A new generation von -Raven- ================================================================================ Kapitel 3: Phase 3: Soldier girl -------------------------------- Phase 3: Soldier Girl Um Punkt sechs Uhr dreißig morgens wurde Tia von einem schrillen elektronischen Geräusch geweckt. Fluchend drehte sie sich auf die andere Seite und nahm den Telefonhörer ab. "Ja?" "Guten Morgen!", erklang Misato Katsuragis widerlich fröhliche Stimme. "Zeit zum Aufstehen, sonst kommst du zu spät zur Schule!" Schule? Das war also tatsächlich ernst gemeint gewesen? "Ja... schon gut." "Nur nicht so begeistert, junge Dame! Wir treffen uns in einer Viertelstunde zum Frühstück in der Kantine. Beeil' dich!" "Hm." Tia legte auf und quälte sich widerwillig hoch. Musste das wirklich sein? Immerhin hatte sie bereits einen Schulabschluss... Richtig, es ging ja um den sogenannten ,Teamgeist'. Bei ihrem Glück würde sie in der Klasse vermutlich auch noch neben Setsuke sitzen. Warum erzählt mir eigentlich ständig irgendwer, dass ich mich beeilen soll? Mit einem weiteren, nicht jugendfreien Fluch erhob sie sich und stolperte ins Bad, um zu duschen. Später stand sie grübelnd vor ihrem Kleiderschrank. Meine zerfetzten Jeans kann ich denen wohl nicht antun. Der Minirock wäre auch nicht ganz so passend... Für einen Moment war sie versucht, das kurze, meerblaue Kleid anzuziehen, entschied sich dann aber dagegen. Denk' immer daran, wer und was du bist. Vergiss' nicht, was du zu leisten hast. Seufzend schlüpfte sie in ihren Kampfanzug, fasste ihr Haar zusammen und steckte es nachlässig hoch. "Okay... Computer... Identity Card..." In der Kantine war nicht allzu viel los; der Schichtwechsel hatte bereits vor einer Stunde stattgefunden. Riley, Misato und David hatten sich an einem Tisch in der Ecke niedergelassen. Schau mal einer an. Ganz die glückliche Familie. Ist doch echt zum Kotzen. "Wahooo! Auftritt unserer diensthabenden Sexbombe!" Das kam - natürlich - von dem Surferidioten. Tia lächelte ihn strahlend an. "Das solltest du lassen, wenn du Wert darauf legst, deine Zähne zu behalten. Guten Morgen, zusammen." Riley grinste verhalten. "Guten Morgen." Misato musterte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. "Guten Morgen... Hatte ich gestern nicht erwähnt, dass hier für dich kein Uniformzwang herrscht?" "Doch, Ma'am." Die Subkommandantin schien einen Moment lang zu überlegen, wie sie die Antwort am besten formulierte, gab es jedoch auf und lächelte statt dessen entwaffnend. "Na ja, wir müssen heute Nachmittag sowieso noch eure Schuluniformen abholen... Damit fühlst du dich dann bestimmt ein bißchen wohler." Das gab Tia nun wirklich den Rest. Schuluniformen? Geht's denen noch gut? "Schon gut. Teamgeist", grummelte sie übellaunig und zog los, um sich ihr Frühstück zusammenzustellen.Wenn sie nicht bald ihren Kaffee bekam, würde sie vermutlich Amok laufen. "Das nennst du Frühstück?" "Hm", machte Tia unverbindlich und biß demonstrativ in ihren Schokoriegel. "Haben sie dir bei der Armee denn nichts über gesunde Ernährung beigebracht?" Da habe ich ganz andere Dinge gelernt... "Doch. Aber nur in der Theorie." "Wahrscheinlich rauchst du auch noch, oder?" Ihr Gesichtsausdruck verriet die starke Hoffnung auf das Gegenteil, doch das Mädchen musste sie enttäuschen. "Seit meinem dreizehnten Lebensjahr, Ma'am." "Du weißt aber schon, dass das nicht gesund ist, oder?" Wie niedlich. Da hat jemand versucht, sich pädagogische Fähigkeiten anzulesen. "Ja, Ma'am." "Ich kann nicht verstehen, dass niemand dich daran gehindert hat..." Tia unterdrückte nur mit Mühe ein boshaftes Kichern. Als ob die Jungs in der Kaserne sie an irgend etwas gehindert hätten! Und sie war immer klug genug gewesen, nicht zu rauchen, wenn Jörn oder der zuständige Spieß in der Nähe waren. "Du solltest versuchen, es dir abzugewöhnen." "Mal sehen." Es scheint hier das allgemeine Hobby zu sein, sich über meine Lebensgewohnheiten aufzuregen. Viel Spaß dabei... "Du bist nicht besonders beeindruckt von Misatos Standpauke, oder?" "Nein." "Ganz unrecht hat sie ja nicht." Angewidert spuckte Tia in den Rinnstein. "Ach was. Einerseits sollen wir uns wie Erwachsene verhalten, aber wenn wir uns dann eine erwachsene Unart zulegen, heißt es wieder ,Sei ein braves Kind und lass' das.' So was nennt man ,Doppelmoral', Riley." "Stimmt schon. Aber rauchen ist wirklich nicht besonders gesund..." "Sei kein Idiot. Wahrscheinlich werde ich von einem Engel platt gemacht, bevor ich überhaupt auch nur Ansätze von Lungenkrebs bekomme. Was glaubst du denn, warum wir so gut bezahlt werden?" "Ich glaube, DAS nennt man ,Nihilismus'." "Möglich. Vielleicht bin ich auch einfach nur verrückt. Auf alle Fälle habe ich keine Lust, ständig über das nachzudenken, was passieren könnte." "Warum nicht?" "Weil ich dann nicht mehr in der Lage wäre, meinen EVA zu steuern. Ich wäre zu gar nichts mehr in der Lage. Und dann wäre ich ein Nichts." "Siehst du das nicht zu extrem?" "Ich versuche nur, meinem Leben einen zu Sinn geben." "Und was ist mit den Menschen, die dich lieben?" Niemand liebt mich. Aber das geht dich einmen Dreck an. Zu ihrem Entsetzen hörte sie sich selbst sagen: "Du hast eine Familie, richtig? Du hast Eltern, denen du was bedeutest, die stolz auf dich sind und was weiß ich. Ich hatte immer nur meine ehrgeizige Mutter und ihren verheirateten Stecher. Meine Mutter hat mich gehasst, und jetzt ist sie tot. Meinen Vater habe ich nie kennengelernt, und mein Zuhause ist die UN-Infanterie-Kaserne in Neu-Hamburg, Abschnitt 26, Stube 03-167. Der Liebhaber meiner Mutter war in Deutschland mein Vorgesetzter, und er hat sich nur um mich gekümmert, weil ich zufällig die Pilotin von EVA-07 bin." "..." "Versteh' mich bloß nicht falsch. Ich bemitleide mich nicht selbst. Das sind lediglich Fakten. Ich brauche keine Familie. Ich komme sehr gut allein klar." "Jeder braucht irgend jemanden." Aber ich habe niemanden. "Ich nicht." Mit diesen Worten ging sie etwas schneller, um zu David und Setsuke aufzuschließen. "Hey, Dave! Du wolltest mir doch von deinem ach so glücklichen Händchen beim Pokern erzählen, oder?" Sie kam leider nicht dazu, den jungen Amerikaner noch weiter aufzuziehen, denn in diesem Augenblick erreichten sie die zentrale Oberschule. Hübscher Bunker. Fast wie zu Hause. "Und wo müssen wir jetzt hin?" "Kommt mit. Ihr seid in meiner Klasse." Tia sah mit verengten Augen zu Setsuke hinüber. "Ja", murmelte sie zwischen ihren zusammengebissenen Zähnen hindurch, "das hatte ich bereits befürchtet." Riley legte ihr wie zufällig die rechte Hand auf den Arm. "Na komm schon. So schlimm kann es nicht werden." OBERSCHULE NORD, NEO-TOKYO 4 Er hatte Unrecht - es wurde sogar noch schlimmer. Sämtliche Gespräche in der Klasse verstummten schlagartig, und die Schüler starrten die Neuen an, als kämen sie von einem anderen Stern. Strategie A - ignorieren. Offenbar saßen Jungen und Mädchen hier getrennt auf den unterschiedlichen Seiten des Mittelgangs, sonst hätte sie sich neben Riley oder David gesetzt - schon aus Prinzip. So blieb ihr nichts anderes übrig, als auf der Suche nach einem freien Platz mit den infantilen, pubertierenden Idioten zu kommunizieren. "Hey", sprach sie ein Mädchen mit bravem Kurzhaarschnitt und freundlichen braunen Augen an, "du kannst dich neben mich setzen." "Ja. Danke." Der Traum meiner schlaflosen Nächte. Wenig begeistert nahm Tia hinter dem Pult Platz und packte ihren Computer aus. "Ich heiße Hitomi Suzuhara", stellte das Mädchen neben ihr sich ungefragt vor. "Ich bin die Klassensprecherin." "UN-Sergeant Tiaiel Akane Langley." "Setsuke hat erzählt, dass du eine von den EVA- Piloten bist." "Ach." Welchen Grund hätte ich sonst, hier zu sein? Zum Glück betrat in diesem Moment der Lehrer den Raum, sonst wäre es Tia wohl sehr schwer gefallen, wenigstens halbwegs höflich zu bleiben. Die drei Neuankömmlinge mussten sich noch einmal vorstellen, dann begann der Unterricht. Passenderweise handelte es sich um Geschichte. "Bereits wenige Jahre nach dem Second Impact begann die politische Situation wieder kritisch zu werden..." Tia schaltete einfach ab; den Krieg hatte sie immerhin hautnah miterlebt. Da brauchte sie nicht auch noch irgendeinen senilen Trottel, der ihr irgendwelche Halbwahrheiten erzählte. Offenbar war sie mit dieser Ansicht nicht alleine; kaum jemand hörte wirklich zu. Unauffällig sah sie sich in der Klasse um. Ach du liebe Zeit... Sie wusste schon, warum sie sich normalerweise von Gleichaltrigen fernhielt. Wie konnte man bloß so unreif sein? Die Mädchen tuschelten (Was für dumme Gänse...), und die Jungen hatten nichts besseres zu tun, als Tia anzustarren bzw. Riley und David mit dämlichen Fragen über die EVAs zu nerven. Ich will hier 'raus... oder ein anständiges Sturmgewehr mit genügend Munition. Jemand tippte ihr vorsichtig auf die Schulter. Mühsam ein gereiztes "Finger weg!" unterdrückend, wandte Tia sich zu Hitomi um, die verstohlen auf ihren Laptop wies. Entnervt nahm Tia das blinkende "Neue Nachricht"-Symbol zur Kenntnis. Die sind hier sogar zu blöd, um Zettel zu scheiben! Mit einem raschen Klick öffnete sie die Mail. "Ist er dein Freund?" Tia fiel es schwer, diese Frage ernst zu nehmen. "?" "Riley." "Nein." "Warum starrst du ihn dann die ganze Zeit an?" "Selbst wenn ich ihn anstarren WÜRDE - was definitiv nicht der Fall ist - würde DICH das nun wirklich nichts angehen." Hoffentlich war diese Schnepfe jetzt beleidigt und ließ sie in Ruhe. Ja, sie schien Glück zu haben: Hitomi öffnete das Arbeits-Window mit dem geschichtlichen Text und wandte sich mit einem verletzten Blick wieder dem Thema des Unterrichts zu. Wenigstens etwas. Sofort heute Nachmittag würde Tia mit Misato sprechen; einen zweiten Tag in dieser Klasse würde sie mit Sicherheit nicht aushalten. NERV-HAUPTQUARTIER, NEO-TOKYO 4 "Kommt nicht in Frage, Tia. Kommandant Ikari hat ausdrücklich gesagt..." "Ich verstehe. Und aus blindem Kadavergehorsam heraus wird jeder noch so sinnentleerte Befehl befolgt." Misato starrte ihren Schützling sprachlos an. "Weißt du eigentlich, was du da gerade gesagt hast? Er ist immerhin der Oberste Befehlshaber von NERV, und..." "Und eine Fehlbesetzung in diesem Job. Er hat die menschliche Autorität einer toten Beutelratte. Falls ich darauf hinweisen darf, Ma'am: ich habe ein Universitätsdiplom." "Und du meinst, das gibt dir das Recht, dich wie ein ungezogenes kleines Mädchen zu verhalten, sehe ich das richtig? Du gehst weiter zur Schule. Ende der Diskussion." "Nein. Ich werde da bestimmt nicht mehr hingehen." "Und warum nicht?" "Weil ich nicht angestarrt werden will wie ein Tier im Zoo. Diese ganze unreife Bande..." "Du bist doch auch erst fünfzehn." "Ich werde in drei Monaten sechzehn." "Und wenn schon. Du musst dich dem Team anpassen. Und solange das Team hauptsächlich aus schulpflichtigen Jugendlichen besteht, gehst du eben auch zur Schule, Frau Professor Doktor in spe, haben wir uns verstanden?" Tia warf ihrer Vorgesetzten einen wirklich mörderischen Blick zu. "Lassen Sie mich doch wegen Befehlsverweigerung erschießen, Ma'am", schlug sie kühl vor. Sie verließ sie den Raum, ohne eine Antwort abzuwarten; allerdings konnte sie es sich nicht verkneifen, kräftig die Tür hinter sich zuzuschlagen. Kochend vor Wut machte Tia sich auf den Weg zum Fitnessraum; dort hatte sie sowieso hingewollt, als sie rein zufällig auf Misato getroffen war. Nach einigen Aufwärmübungen begann die Soldatin ihr Training; sie hatte bereits mit acht Jahren Unterricht in verschiedenen Kampfsportarten erhalten. Momentan wünschte sie sich wirklich, ein Foto von Misato oder von Kommandant Ikari an ihrem Sandsack befestigen zu können... "Hallo, Tia." "Was willst DU denn hier?" "Freut mich auch, dich zu sehen", überging Riley ihre nicht gerade freundliche Begrüßung. "Ich habe gehört, du hattest Krach mit Misato?" Die Buschtrommeln verbreiten es schon. "Und wenn schon. Ich glaube nicht, dass dich das etwas angeht." "Doch. Immerhin sind wir ein Team..." "Von wegen. Ohne mich." "Warum schließt du dich aus?" "Wer redet denn von mir?" Rechter Haken, linker Haken, ein Tritt in die Gegend, wo bei einem Menschen der Solarplexus liegen würde... "Nicht schlecht." "Warte erst mal ab, bis du mich in meinem EVA erlebst." "Du erlaubst dir wohl überhaupt keine Schwäche, was?" "Nein. Ich bin schließlich nicht Setsuke." "Das war jetzt nicht gerade fair..." "Warum? Weil ich nicht mit dieser Heulboje verglichen werden will? Sie kann ja ruhig einen auf ,Bitte beschütz mich' machen, aber von mir brauchst du das nicht zu erwarten. Wie ich schon sagte: ich brauche niemanden. Und am allerwenigsten eine Klasse voller pubertärer Trottel." Pause. Gerade, als Tia zu glauben begann, dass sie dem Briten das Maul gestopft hatte, fing er wieder an. "Wovor hast du Angst?" "WIE BITTE?" "Mach' mir nichts vor. Die Leute in der Klasse machen dir Angst." "DAS IST NICHT WAHR! ANTA BAKA?" "Soweit ich weiß, war das der Spruch deiner Mutter." Herausfordernd funkelte Tia den schwarzhaarigen Jungen an. "Ich habe keine Angst. Vor niemandem." "Das glaube ich dir nicht. Wenn du keine Angst hättest, würdest du dich nicht so verhalten. Niemand hier will dir etwas tun." "Lass' mich in Ruhe." "Nein. Gerade jetzt nicht. Bitte..." "WAS ?" "Ich möchte dir doch nur helfen." "Ich brauche keine Hilfe, und von dir schon gar nicht. Ich brauche NIEMANDEN, schreib' dir das endlich hinter die Ohren, du Idiot!" "Okay. Aber vergiss' bitte nicht: ich bin da, falls du es dir anders überlegen solltest." Damit ging er, bevor sie die Gelegenheit hatte, die eine oder andere Hantel nach ihm zu werfen. Irgendwie war Tia nach diesem "Gespräch" endgültig der Spaß am Training vergangen. Wütend starrte sie in den großen Wandspiegel, bis ihre Augen brannten; dann zertrümmerte sie ihn mit der bloßen Faust. "Sie ist genau wie Asuka," seufzte Misato. Ritsuko nahm einen Schluck kalten Kaffee aus ihrer ramponierten Lieblingstasse. "Das hätte ich dir gleich sagen können. Sturheit scheint sich prinzipiell über die weibliche Linie zu vererben." Im Fall der Doktorin beruhte diese Einschätzung auf eigener Erfahrung. "Ich verstehe sie einfach nicht, Ritsuko!" "Sie ist in der Pubertät, Misa-chan", bemerkte die Wissenschaftlerin unerwartet sanft. "Was willst du damit sagen?" "Es ist eine schwere Zeit für sie, und sie hat keine Familie mehr. Sie weiß nicht einmal, wer ihr Vater ist. Ihre einzige Bezugsperson ist ihr Vormund, General Hansen. Und der ist erstens in Neu-Hamburg und zweitens ein Mann. Tia hat den Tod ihrer Mutter miterlebt. Versuch' du mal, dabei normal zu bleiben." "Asuka..." "Tia ist aber nicht Asuka. Ich glaube, sie ist auf einer gewissen Ebene verletzlicher. Wir müssen endlich aufhören, sie mit ihrer Mutter zu vergleichen! Sie braucht Zeit; sie muss erst einmal Vertrauen zu den anderen - und zu uns - fassen. Abgesehen davon... Du hast ihre Akte gelesen. Sie ist UN-Sergeant, hat eine Ausbildung zur Einzelkämpferin, ist im Umgang mit allen möglichen Waffen geschult worden, sie ist Scharfschützin, war mit einer Anti-Terror-Einheit im Einsatz... Das alles ist ein bisschen viel für ein Mädchen ihres Alters, findest du nicht? Sie kann sich gar nicht so verhalten wie Setsuke - nur als Beispiel. Die letzten dreieinhalb Jahre hat sie in einer Kaserne gelebt, unter Soldaten." "Hm... Setsuke lebt bei ihrer Familie..." "Ich sehe, du weißt, worauf ich hinaus will", bemerkte Ritsuko lächelnd. "Das WG-Prinzip." "Allerdings. Wir sollten das wirklich ins Auge fassen - dein Einverständnis vorausgesetzt." "Klar, warum nicht. Schließlich habe ich den ganzen Zirkus ja schon mal mitgemacht. Irgendwann werden sie auch mal erwachsen Und so viel anders können sie nicht sein, nur weil sie..." Die Subkommandantin verstummte, als Shinji Ikari den Raum betrat. "Ich habe gehört, es gibt Probleme mit Tia?" "Ja. Shinji, ich bin der Meinung, dass sie und die Jungs erst einmal für eine Weile zu mir ziehen sollten. Tia braucht so etwas wie eine familiäre Umgebung, und da ist das HQ wohl nicht unbedingt das Richtige. Setsuke wohnt ja auch bei ihren Eltern." "Bist du sicher, dass du dir das noch einmal antun willst?" "Ja." "Und Kaji?" "Pöh... Kaji..." Misato hatte also mal wieder Streit mit ihrem Dauerverhältnis. Die beiden konnten nicht mit-, aber auch nicht ohne einander leben, weswegen sie schon seit etwa fünfzehn Jahren auf getrennten Wohnungen bestanden. "Na gut. Aber du bist diejenige, die es ihnen sagen wird." "Kein Problem!" "Das sagst du so einfach." "Na ja, Fräulein Akademiker wird wahrscheinlich strikt dagegen sein, aber ich gebe ihr erst gar keine Möglichkeit, zu widersprechen." "Fräulein Akademiker?" "Tia. Sie hält alle Leute in ihrer Klasse für primitive, pubertierende Idioten." "Das kenne ich doch irgendwo her", meinte Shinji verblüfft. "Ja. Genau so. Aber ganz genau so." "Du lieber Himmel..." "Sie weigert sich sogar strikt, noch mal zur Schule zu gehen. Aber wir werden noch sehen, wer hier am längeren Hebel sitzt." "Hältst du es für klug, sie dazu zu zwingen, wenn sie es partout nicht will?" "Ja. Sie muss lernen, sich anzupassen." "Hm..." "Abgesehen davon ist sie der Ansicht, du hättest die Autorität einer toten Beutelratte. Tut mir leid, das war ein Zitat. Du solltest dringend mal mit ihr reden." "B...Beutelratte." "Ja. Das ist nicht gerade förderlich für die Zusammenarbeit, findest du nicht?", Lieb lächelnd wälzte Misato den schwarzen Peter auf ihren Vorgesetzten ab. Sie saß auf einer Parkbank und starrte konzentriert auf den Karpfenteich. Als Shinji sich näherte, wollte sie aufstehen. "Oh nein, bleib doch bitte sitzen." "Wie Sie wünschen, Kommandant", erwiderte sie knapp nickend. "Darf ich mich zu dir setzen?" Ihr Gesicht war undurchdringlich; eine perfekte Maske, die jede Emotion verbarg. "Bitte, Sir." Er ließ sich neben ihr auf der Bank nieder und beobachtete eine Weile schweigend die Karpfen. Tia schwieg ebenfalls; sie schien geduldig darauf zu warten, dass er etwas sagte. "Subkommandantin Katsuragi sagte mir, dass du dich in der Schule nicht besonders wohl fühlst..." Das Mädchen lächelte dünn. "So kann man das natürlich auch ausdrücken, Sir." "Darf ich fragen, warum du dich so gegen die Schule sträubst?" Sie sah ihn direkt an; ihre blaugrünen Augen blitzten. "Kommandant Ikari, als Soldatin und EVA-Pilotin bin ich es durchaus gewohnt, Befehle entgegenzunehmen und auszuführen. Dieser Befehl ergibt für mich allerdings keinen Sinn." "Weil er von mir stammt?" Schweigen. Dann: "Sie hat Ihnen das mit der Beutelratte erzählt." "Ja. Und aus deiner Akte konnte ich ersehen, dass du bereits des öfteren Zusammenstösse mit Vorgesetzten hattest. Einer deiner Ausbilder hat in seiner Beurteilung geschrieben, du hättest ein Problem mit Autoritäten. Und du scheinst eine Menge Zeit in der Arrestzelle verbracht zu haben." Gleichgültig zuckte das Mädchen mit den schmalen Schultern. "Ich habe kein Problem mit Autorität. Nur mit Vorgesetzten, die keine haben. Wenn Sie mich dafür unter Arrest stellen wollen - bitte. Sie sind der Boss." Shinji schwitzte. Er wusste genau, dass er für immer schlechte Karten bei Tia haben würde, wenn er jetzt nicht die richtige Antwort gab. Das Mädchen prüfte ihn - und er war in keinster Weise darauf vorbereitet. "Hältst du das denn für notwendig?" Wieder ein Schulterzucken. "Die Entscheidung liegt bei Ihnen, Sir." Sie hatte seinen ungeschickten Versuch mühelos durchschaut und im Ansatz abgewürgt. Zeit für Plan B. "Ich glaube nicht, dass eine solche Maßnahme deinen Respekt vor mir steigern würde. Wahrscheinlich würde sie sogar das genaue Gegenteil bewirken. Sieh mal... ich bin nicht der Kasernenhof-Typ. Es liegt mir nicht, andere Leute anzuschreien und herumzukommandieren. Man hat mir diesen Posten aufgrund meiner Forschungen und meiner Erfahrung mit dem Projekt E zugewiesen. Ich könnte mir schöneres vorstellen, aber es ist nun einmal notwendig. Es tut mir leid, dass du mich offenbar nicht magst. Trotzdem müssen wir versuchen, miteinander auszukommen - zum Wohl der Menschheit." Einen Moment lang befürchtete er, sie würde ihn auslachen, doch dann nickte sie. "In Ordnung." "Heißt das, wir schließen einen Waffenstillstand?" "Betrachten Sie es als solchen." Abwesend zog sie die Beine an und legte den Kopf auf die Knie. Jetzt wirkte sie geradezu herzzerreissend jung und zerbrechlich. "Erklären Sie es mir noch einmal, Sir." Erstaunt musterte Shinji das junge Mädchen. "Ich verstehe nicht ganz..." "Ich habe mit elf Jahren mein Abitur gemacht; letztes Jahr habe ich mein Studium der Mikrobiologie abgeschlossen, und zwar cum laude. Momentan schreibe ich an meiner Doktorarbeit. Warum sollte ich also noch einmal zur Schule gehen?" "Nun... Das Team..." "Wir sind kein Team. Verstehen Sie mich nicht falsch: die anderen sind ja ganz nett. Aber ich bin... anders." Das hatte der Kommandant schon einmal gehört. "Deine Mutter hatte das selbe Problem..." "Bitte lassen Sie meine Mutter aus dem Spiel. Ich bin nicht wie sie." "Nein, natürlich nicht. Aber... Vielleicht würdet ihr euch tatsächlich besser verstehen, wenn ihr zusammen zur Schule geht. Abgesehen davon könntest du Kontakt zu Gleichaltrigen knüpfen... Freunde finden, mit denen du in deiner Freizeit mal was unternehmen kannst..." "Zum Beispiel Seilspringen? Kommandant, ich..." "Hattest du jemals richtige Freunde?" "Nein." "Möchtest du denn keine haben?" "Nein. Wozu?" Ihre Augen verdunkelten sich, und ihr Gesicht wurde wieder zu der ausdruckslosen Maske von vorhin. "Bitte entschuldigen Sie mich jetzt, Sir." "Ja... ja, natürlich." Sie salutierte knapp und verließ den Park, einen verwirrten, ratlosen Shinji Ikari zurücklassend. Anta baka ? - etwa: Bist du bescheuert? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)