Ich warte wenn's sein muss Jahrhunderte von Cat_in_the_web (Robert + Johnny) ================================================================================ Kapitel 4: Die Wahrheit ----------------------- Titel: Ich warte wenn’s sein muss Jahrhunderte Kapitel: 4/? Autor: Cat in the web Fandom (Anime/Manga): Beyblade Genre: Mystery, AU, Romantisch, Drama Einstufung: PG Pairing: Robert + Johnny (nebenbei noch Oliver + Enrico) Disclaimer: Ich habe keinerlei Rechte an Beyblade. Ich bin nur ein Fan, der sich die Charaktere kurz ausgeliehen hat, um eine Fanfiction zu schreiben. Und natürlich mache ich kein Geld damit. Vielen Dank an die lieben Kommentarschreiber Kaiko_Flarana, CaSinfonikerchen, Dranza-chan und Oliver-chan. -------------------------------------------------- Ich warte wenn’s sein muss Jahrhunderte von Cat in the web Kapitel 4: Die Wahrheit Johnny lachte fröhlich und zog Robert hinter sich her aus der Spielhalle heraus. „Nicht zu fassen! Du spielst dieses Videospiel zum ersten Mal und hast gleich den High Score!“ In belustigtem Unglauben schüttelte der schottische Rotschopf seinen Kopf. „Das Spiel war ja auch recht einfach. Alles, was man benötigt, ist ein schnelles Reaktionsvermögen“, meinte Robert grinsend und schritt an Johnnys Seite die Straße entlang. „Das stimmt schon, es war nur ein simples Ballerspiel. Schieß die Alienraumschiffe ab, bevor sie auf der Erde landen können. Das Teil ist uralt, aber immer noch sehr beliebt. Aber hast du das Gesicht von dem Typen am Rennsimulator gesehen, als du den High Score geholt hast? Ich glaube, das war der vorherige Champion. Der Typ sah aus, als würde er gleich platzen.“ „Es gibt halt immer einen, der besser ist. Das Einzige, was man sich erhoffen kann, ist, dass derjenige sich nicht gerade in derselben Stadt aufhält wie man selbst.“ Diese Bemerkung Roberts brachte Johnny erneut zum Lachen, und er taumelte ein wenig zur Seite. Robert streckte die Hand aus und ergriff seinen Arm, um zu verhindern, dass er aus Versehen auf die Straße trat. Obwohl es schon spät war, fuhren immer noch Autos durch die Stadt. Die Berührung von Roberts Hand beruhigte Johnny wieder, und ein wohliges Gefühl von Wärme schlich sich von der Kontaktstelle seinen Arm hinauf bis zu seinem Bauch und breitete sich dort aus. Er trat noch ein wenig näher an Robert heran, so dass sich ihre Körper fast berührten. „Wo wollen wir als nächstes hin?“, fragte er. „Ich fürchte, zur Bushaltestelle. Es ist kurz vor Mitternacht, und du hast morgen eine wichtige Vorlesung an der Uni, schon vergessen?“ Robert bedauerte, dass ihr Treffen schon wieder vorbei war, doch er gehörte nicht zu den Personen, die für ihr eigenes Vergnügen die Verpflichtungen anderer übergingen. Bildung war in seinen Augen ein wichtiger Aspekt des gesellschaftlichen Lebens einer Person, und er hatte bereits bei früheren Treffen erfreut festgestellt, dass Johnny über eine ganze Menge Wissen verfügte, auch wenn der Schotte viele Dinge, die ihm beigebracht worden waren, als nutzlos ansah. „Richtig“, seufzte Johnny enttäuscht. „Die Zeit, die wir miteinander verbringen, vergeht immer wie im Fluge.“ Robert konnte dem nur zustimmen. Während sie die Straße zur Haltestelle entlang gingen, strich ein kühler Wind über sie hinweg. Johnny fröstelte und schlang die Arme um seinen Oberkörper, um sich besser warm zu halten. Es war merklich kühler in den Nächten geworden, ein Zeichen dafür, dass es fast Herbst war. Robert bemerkte sein Frösteln, legte einen Arm um ihn und zog ihn an seine Seite, um ihm zusätzlich Körperwärme abzugeben. Einen Moment war Johnny von der Geste überrascht, und sein Körper versteifte sich ein wenig, so dass Robert schon dachte, er würde ihn zurückweisen. Doch dann entspannte sich Johnny wieder und schmiegte sich an Roberts Seite. Robert lächelte, während er geradeaus zur Haltestelle blickte und sich wünschte, diese wäre weiter entfernt, damit er das Gefühl von Johnny dicht an seiner Seite länger genießen könnte. Johnny hegte ganz ähnliche Gedanken, und auch auf seinem Gesicht lag ein Lächeln, doch war sein Blick auf den Boden vor ihnen gerichtet, damit niemand die leichte Röte auf seinen Wangen sehen konnte. An der Bushaltestelle angekommen, trennten sie sich wieder, wenn auch nur widerstrebend. „Sehen wir uns am Samstag?“, fragte Johnny. „Natürlich“, bestätigte ihm Robert lächelnd. Bevor Johnny noch etwas sagen konnte, hielt der Bus bereits neben ihm. Insgeheim verfluchte er dieses perfekte Timing. Er hätte lieber noch länger an der Bushaltestelle gewartet, wenn er dafür noch einige Minuten mit Robert hätte verbringen können. Doch es half nichts. Schnell verabschiedete er sich von seinem Freund und stieg ein. Die Türen schlossen sich hinter ihm, und er suchte sich einen Platz, von dem aus er Robert noch eine Weile sehen konnte, während der Bus Fahrt aufnahm. Schließlich verlor er Robert jedoch aus den Augen, als der Bus in eine andere Straße einbog. Johnny seufzte und wandte seinen Blick vom Fenster ab. Es fühlte sich seltsam an, wenn Robert nicht bei ihm war, so als würde ihm etwas fehlen, aber er konnte nicht so ganz sagen, wieso das eigentlich so war. Wenn er seine anderen Freunde verließ, hatte er dieses seltsame Gefühl nicht. Er war gerne mit seinen Freunden zusammen, aber er wollte auch nicht die ganze Zeit mit ihnen zusammen sein. Doch mit Robert schien das anders zu sein. Robert war kein Freund wie die anderen, er war etwas Besonderes. Wenn Johnny bei ihm war, vergaß er alle anderen, und er vermisste auch seine Familie und seine Heimat nicht, wie er es manchmal hier in Deutschland tat. Die Ruhelosigkeit, unter der er seit er denken konnte häufig gelitten hatte, verschwand in Roberts Nähe, als hätte es sie nie gegeben. Er fühlte sich komplett, wie ein Puzzle, dem man die letzten Teile hinzugefügt hatte. Nach einem Treffen mit Robert dachte er immer bereits an ihr nächstes Treffen. Die Zeit dazwischen schien bedeutungslos. Natürlich erfüllte er immer noch alle in dieser Zeit an ihn gestellten Anforderungen und Erwartungen, aber eigentlich war das nur noch eine Ablenkung für ihn, um die Zeit zu überbrücken, bis er Robert wieder sehen konnte. Wenn er Robert dann endlich wieder sah, schlug sein Herz vor Freude schneller, und wann immer sie einander berührten, fühlte er diese wohlige Wärme in seinem Inneren. Mit Ausnahme seiner Eltern und Geschwister hatte ihm nie jemand so viel bedeutet wie Robert. Und dafür konnte es doch eigentlich nur eine Erklärung geben: er war verliebt – verliebt in Robert! Bei diesem Gedanken schlug Johnnys Herz wieder ein wenig schneller, und er konnte nicht sagen, ob es nun Aufregung oder Freude war. Eigentlich hatte sich Johnny nie für schwul oder auch nur bisexuell gehalten, aber er hatte sich ohne Zweifel in einen Mann verliebt. Doch das machte ihm nichts aus, solange dieser Mann Robert war. So unlogisch und konfus das auch klingen mochte, solange es Robert war, in den er sich verliebt hatte, war für Johnny alles okay damit. Und im Moment fühlte er sich ohnehin viel zu glücklich, um sich Gedanken über seine Gefühle zu machen. Der Bus hielt erneut, und Johnny stieg aus. Lächelnd und ohne seiner Umgebung groß Aufmerksamkeit zu schenken, ging er die letzten paar Meter zu seiner Haustür und verschwand in seiner Wohnung. Bald lag er in seinem Bett, und selbst im Schlaf schien er zu lächeln. Ganz offensichtlich hatte er süße Träume. *** Sobald der Bus um eine Ecke gebogen war, war Robert in eine dunkle Seitenstraße geeilt, hatte seine Schwingen ausgefahren und sich in den Himmel erhoben. Sorgsam darauf bedacht, selbst nicht gesehen zu werden, folgte er dem Bus. Der kalte Wind, der hoch über den Dächern besonders spürbar war, machte ihm nichts aus, denn als Vampir besaß er eine große Resistenz gegen die Kälte, und sein Körper schien immer eine gleich bleibend hohe Temperatur zu haben, die der eines normalen Menschen entsprach. Es musste schon wesentlich kälter werden, damit er einen Effekt an sich feststellte. Als Johnny den Bus verließ, folgte ihm Robert weit über ihm bis zu seiner Wohnung, und nachdem Johnny sich ins Bett begeben hatte, blieb Robert weiterhin beharrlich auf seinem Beobachtungsposten auf einem der gegenüberliegenden Dächer. Nach einiger Zeit, als Johnny längst eingeschlafen war, flog Robert hinüber und setzte sich außerhalb von Johnnys Schlafzimmerfenster auf das Dach. Robert legte seine Fingerspitzen auf das Fenster, hinter dem Johnny schlief. Er erinnerte sich daran, wie friedlich Jonathan immer ausgesehen hatte, wenn er neben ihm geschlafen hatte, und er fragte sich, ob er einen ähnlich friedlichen Ausdruck auch auf Johnnys Gesicht sehen würde. Robert wünschte sich nichts mehr, als in dieses Zimmer zu gehen, sich auf Johnnys Bettkante zu setzen und ihm beim Schlafen zuzusehen. Und vielleicht noch mehr… Er sehnte sich nach diesem temperamentvollen jungen Mann, nach dem Feuer in ihm, um sein Herz zu wärmen und seine Seele zu erleuchten. Roberts Fingerspitzen drückten fester gegen das Glas, glitten über die glatte Oberfläche und suchten nach Schwachstellen im Rahmen... Erschrocken zog Robert seine Hand zurück, als er bemerkte, was er da tat. Fast hätte er das Fenster eingedrückt und wäre in Johnnys Wohnung eingebrochen! Sehnte er sich so sehr nach dem jungen Mann, dass er dafür seine Privatsphäre in solch rüder Form verletzen wollte? Robert musste sich selbst gegenüber eingestehen, dass er diese Frage bejahen musste. Er wünschte sich, dass Johnny ständig in seiner Nähe sein könnte. Doch da war jene Grenze, von der er Johnny nichts erzählt hatte. Die kleinen und großen Lügen, die verschleierten, wer er wirklich war, was er war. Wie würde Johnny wohl reagieren, wenn er herausfand, dass Robert ein Vampir war, der seit Jahrhunderten durch die Welt zog? Robert wusste, wie er einst auf die Existenz eines Vampirs reagiert hatte. Wie er losgezogen war zusammen mit den Kriegern aus dem schottischen Clan der McGregor, um Oliver zu töten. Und was er gedacht und gefühlt hatte, als er von Oliver selbst zu einem Vampir gemacht worden war. Johnny würde ihm sicherlich zuerst gar nicht glauben, vielleicht sogar lachen in der fälschlichen Annahme, dass Robert einen Scherz machte. Und wenn er dann die Wahrheit erkannte, was würde er dann tun? Würde er staunend dieses Wesen vor ihm anstarren, das er für eine fiktive Figur aus einer Legende gehalten hatte, für die Schöpfung eines Romanautors? Würde er in Panik ausbrechen? Würde er Robert jemals wieder sehen wollen? Robert wusste nicht, was Johnny tun würde, wenn er die Wahrheit erfahren würde. Und er wollte es sicher noch nicht feststellen, gewiss nicht heute Nacht. Die Zeit war noch nicht reif dafür, falls sie es überhaupt je sein würde. Und er musste sich eingestehen, dass er Angst hatte vor Johnnys Reaktion. Er hatte Angst, zurückgewiesen zu werden. Robert breitete seine Schwingen aus und flog davon. Er würde geduldig auf das nächste Treffen mit Johnny warten. Und während er wartete, ging er ihren gemeinsamen Abend in seinen Gedanken nochmals durch, erinnerte sich an jede Geste, jedes Lächeln von Johnny, und sein Herz füllte sich mit Wärme. Er liebte Johnny, und er wollte so viel Zeit mit ihm verbringen wie es nur möglich war. Wäre da nur nicht dieser kleine Stachel in seinem Herzen, diese Lügen über seine wahre Existenz, dann wäre alles perfekt. *** Weitere Treffen folgten, und mit jedem Mal konnte Johnny spüren, wie seine Zuneigung zu Robert wuchs. Dazu gesellten sich inzwischen Träume mit solch eindeutigem erotischem Inhalt, dass sie Johnny erröten ließen, wenn er nur an sie dachte. War das noch normal? Er konnte sich diese Frage selbst nicht beantworten. Er wusste nur mit Sicherheit, dass er bei Robert sein wollte. Er wollte seine Nähe spüren, seine ruhige Stimme hören, die ihm einen angenehmen Schauder über den Rücken jagte, die gelegentlichen Berührungen genießen, die eine wohlige Wärme in seinem Inneren entstehen ließen. Manchmal erschreckte Johnny sein eigenes Bedürfnis, das er nach diesem Mann empfand. Er hatte versucht, sich ein wenig von Robert fernzuhalten, zumindest nicht mehr so oft mit ihm zu telefonieren, doch das hatte nicht geklappt. Er brauchte Robert. Wenn sie sich sahen oder miteinander telefonierten, fühlte er sich so lebendig wie nie zuvor. Johnny fragte sich manchmal, wie Robert wohl reagieren würde, wenn er von seiner Liebe zu ihm erfahren würde. Würde er sich abgestoßen fühlen, weil Johnny ihn, eine Person des gleichen Geschlechts, liebte? Würde er ihn als abnormal oder gar pervers bezeichnen? Aber Robert war zu dem Blind Date gekommen, und im Gegensatz zu Johnny hatte er gewusst, dass er sich mit einem Mann treffen würde. Er konnte also eigentlich nicht viel gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen haben. Andererseits hatte er das Ganze vielleicht von Anfang an nur für einen guten Witz gehalten. Johnnys Freunde von der Universität hatten das Blind Date schließlich arrangiert. Doch Robert hatte es nicht bei einem Treffen belassen. Vielleicht empfand er mehr für Johnny, aber vielleicht war es auch nur Freundschaft. Johnny rieb sich seufzend die Stirn. Es gab so viele ‚vielleichts’ in dieser Sache, dass ihm beim Nachdenken ganz schwindlig wurde. So ging es nicht weiter. Er musste Klarheit schaffen. Er musste wissen, was genau Robert für ihn empfand, und um dies zu erfahren, würde er ihm erzählen, was er für ihn empfand. Johnny wusste, dass die Wahrheit ein großes Risiko in sich barg. Wenn Robert erfuhr, dass Johnny ihn liebte, würde er seinen Freund möglicherweise für immer verlieren. Oder auch nicht. Er würde es nur dann erfahren, wenn er den nächsten Schritt in dieser Sache machte. Johnny fürchtete sich vor den Konsequenzen seiner Entscheidung, doch er war kein Feigling. Die McGregors waren niemals Feiglinge gewesen, und Johnny war da keine Ausnahme. Er würde Robert erzählen, dass er ihn liebte, und dann würde sich zeigen, was seine Liebe in Roberts Augen wert war. *** Robert musterte seinen Freund mit leichter Sorge. Er hatte Johnny heute Abend in ein kleines Restaurant gebracht, von dem er durch Zufall gehört hatte, und er war nicht enttäuscht worden. Das Restaurant war sehr gemütlich eingerichtet, und die Preise waren angemessen. Doch Johnny hatte sich nicht so recht entspannen können. Er wirkte nervös, was er vergeblich zu überspielen versuchte, und der Wein in seinem Glas verschwand mit erstaunlicher Geschwindigkeit, was Robert veranlasste, eine Flasche Mineralwasser für sie beide zu bestellen in der Hoffnung, Johnny auf diese Art davon abzubringen, weiteren Alkohol zu sich zu nehmen. Nachdem sie das Restaurant wieder verlassen hatten, machten sie einen kleinen Spaziergang. Doch Johnny wirkte noch immer angespannt. Schließlich fragte Robert: „Stimmt irgendwas nicht, Johnny? Du scheinst den ganzen Abend schon ein wenig nervös zu sein.“ „Nein, nein. Es ist alles in Ordnung“, winkte Johnny schnell ab, doch er wirkte nicht überzeugend. Schon den ganzen Abend lang überlegte er, wie er mit Robert über seine Gefühle sprechen sollte. Er hatte beschlossen, Robert seine Liebe zu gestehen, aber er musste feststellen, dass dies wesentlich leichter gesagt als getan war. Was würde Robert dazu sagen? Was wenn er nichts für ihn empfand? Oder noch schlimmer: was wenn er ihn zurückwies? Johnny atmete tief durch und sah sich um. Dann deutete er auf ein Parkhaus in der Nähe. „Lass uns da rauf gehen, okay? Von dem Dach des Parkhauses hat man eine schöne Aussicht über das Stadtviertel.“ Das Parkhaus war nicht sehr hoch, nur ein paar Stockwerke, doch es dauerte eine Weile, bis sie die Treppen hinaufgegangen waren. Es gab keine Aufzüge, und wenn es welche gegeben hätte, wären sie um diese Uhrzeit sicher nicht mehr in Betrieb gewesen. Nur wenige Autos parkten spät abends noch hier, und es war kein Mensch außer ihnen in dem Gebäude. Johnny trat an den Rand des Daches und sah über die nächtliche Stadt hinweg. Einige Stockwerke unter ihm lag der gepflasterte Boden eines kleinen Platzes, aber vor ihm erstreckten sich die Dächer der Häuser. Um das Parkhaus herum lagen in erster Linie Geschäfte, die um diese Uhrzeit dunkel und verlassen waren, doch ein paar hundert Meter weiter begann ein Wohnviertel. Geräusche drangen von dort zu ihnen herüber, weit genug weg, um die Ruhe auf dem Dach kaum zu stören, und das Licht, das sie von den Wohnungen und Straßenlampen erreichte, war schwach genug, um einen klaren Blick auf die Sterne über ihnen zu erlauben. Johnny lehnte sich an das Geländer, welches um das Dach herum lief, und betrachtete die Sterne. Ohne seinen Blick von ihnen zu nehmen, sagte er: „Ich wollte ungestört mit dir reden.“ „Du kannst immer mit mir reden, Johnny“, erwiderte Robert mit sanfter Stimme. Er hatte das Gefühl, dass er nun erfahren würde, was Johnny bedrückte. „Ich habe dich sehr gern, weißt du“, fuhr der Schotte fort. „Es ist komisch, aber ich habe das Gefühl, als hätte ich dich schon immer gekannt. Du bist mir so vertraut wie ein Mitglied meiner Familie, dabei kennen wir uns noch nicht einmal ein Jahr.“ Er hielt sich mit einer Hand an einer Mauer fest und kletterte auf das Geländer. Die Handlung war fast unbewusst. Johnny versuchte sich von der Angst vor Roberts Reaktion auf das, was er ihm sagen würde, abzulenken, in dem er versuchte, einen besseren Blick auf die fernen Lichter im Wohnviertel zu erhaschen. Robert hatte Johnny aufmerksam zugehört, doch nun wurde er selbst abgelenkt, als er beobachtete, wie Johnny auf das Geländer kletterte. „Johnny, das ist nicht ungefährlich“, warnte er, doch dann drehte sich Johnny zu ihm um. Ihre Blicke trafen sich, und Robert vergaß unter der Intensität dieses Blickkontaktes, was er sagen wollte. Johnnys Stimme klang nun fester und weniger zögerlich: „Ein Leben ohne dich scheint gar nicht mehr vorstellbar zu sein. Ich habe dich mehr als nur gern, Robert. Selbst wenn das aus dem Mund eines anderen Mannes komisch klingt, selbst wenn du diese Gefühle nicht erwidern kannst, ich muss es dir trotzdem sagen, wenigstens einmal: ich liebe dich.“ Robert fühlte deutlich, wie sein Herz vor Freude schneller schlug, als er diese Worte hörte. Seine Gedanken überstürzten sich für einen Moment, erinnerten ihn an die Zeit, wo er diese Worte schon einmal gehört hatte, vor so vielen Jahrhunderten in Schottland. Johnny beobachtete Robert angstvoll, doch dieser schien zu geschockt, um sich zu rühren. Mit einem enttäuschten Seufzen wandte sich der Schotte wieder der Aussicht zu. „Es tut mir Leid, Robert“, hörte er sich selbst sagen, und seine Stimme klang erstaunlich fest, obwohl sich sein Herz schmerzhaft zusammen zu krampfen schien. „Ich wollte dich nicht belästigen oder dich in Verlegenheit bringen. Du bist jemand ganz besonderes für mich. Ich hoffe, du willst trotzdem noch mit mir reden.“ Diese Worte rissen Robert aus seinen Erinnerungen in die Gegenwart zurück. Er hörte die Traurigkeit in der Stimme von Johnny und begriff, dass dieser glaubte, er würde ihn zurückweisen. Doch Robert lag nichts ferner. „Du bist auch jemand ganz besonderes für mich, Johnny. Und es gibt nichts, was dir Leid tun müsste. Ganz im Gegenteil, ich bin so froh, diese Worte von dir zu hören. Ich liebe dich, Johnny McGregor.“ Für einen Moment war es Johnny, der wie erstarrt war. Doch dann wandte er zögernd seinen Kopf in Roberts Richtung. „Wirklich?“, fragte er mit einer fast ein wenig kindlich klingenden Stimme, so als wäre er nicht sicher, ob nicht doch jemand nur einen Scherz mit ihm machen wollte. „Ja, wirklich“, antwortete Robert lächelnd. Dann streckte er die Arme nach Johnny aus. „Komm zu mir.“ Ein strahlendes Lächeln erhellte nun auch Johnnys Gesicht, und er drehte sich um, um vom Geländer zu springen und zu Robert zu laufen. Vielleicht war die Bewegung zu schnell, vielleicht war er vor Freude unachtsam, vielleicht war auch nur irgendwas auf dem Geländer, das es an einer Stelle rutschig machte, oder es war der vorher konsumierte Alkohol, doch was immer es auch war, Johnny verlor das Gleichgewicht und kippte nach hinten. Die Freude auf seinem Gesicht wurde durch Entsetzen abgelöst, als er begriff, was vor sich ging. Ein angstvolles „Robert!“ war zu hören, eine Hand streckte sich seinem Freund entgegen, dann war der Körper verschwunden und fiel in Richtung der unnachgiebigen Steine viele Meter unter ihm. Roberts Reaktionszeit war schneller als die jedes Menschen, doch um Johnnys Hand rechtzeitig zu packen und ihn zurück aufs Dach zu ziehen, reichte sie nicht aus. Aber selbst der eisige Schrecken, der ihn durchfuhr, als Johnny fiel und aus seinem Blickfeld verschwand, konnte ihn nicht verlangsamen, sondern spornte ihn im Gegenteil noch mehr an. Innerhalb eines Sekundenbruchteils hatte Robert den Abstand zwischen sich und dem Dachrand überwunden, sprang auf das Geländer und von dort kopfüber hinter Johnny her. Es war ein seltsames, schreckliches Gefühl. Johnny fühlte und hörte die Luft an sich vorbeirauschen, er sah die Gebäude neben sich scheinbar plötzlich in die Höhe schießen, während er an ihnen vorbei dem Boden entgegen fiel. Sollte er nicht schreien, jetzt wo er sterben würde? Er fühlte sich seltsam betäubt. Alles ging so schnell und lief doch wie in Zeitlupe ab. Über sich sah er, wie sich der Abstand zum Geländer vergrößerte, wie Robert plötzlich darauf erschien und kopfüber hinter ihm her sprang. Dank seines Schwungs und seinem größeren Gewicht erreichte Robert ihn schon nach wenigen Metern freien Falls. Starke Arme schlossen sich um seinen Körper. Wollte Robert mit ihm sterben? Doch dann hörte er ein Rauschen, das nichts mit der an ihm vorbeirauschenden Luft zu tun hatte. Eine tiefschwarze Dunkelheit schien direkt aus Roberts Rücken hervorzubrechen. Ihr Fall verlangsamte sich schlagartig. Ein Geräusch wie vom Schlagen großer Schwingen war zu hören, als sie die restlichen Meter zur Erde hinunter glitten. Sanft berührten ihre Füße den Boden. Einen Moment lang hielt Robert Johnny noch fest, dann öffnete er seine Arme. Johnny, der noch immer unter Schock stand, taumelte aus ihnen heraus und landete unsanft auf seinem Hosenboden, doch er beachtete den leichten Schmerz gar nicht. Stattdessen starrte er mit offenem Mund den vor ihm stehenden Robert an, einen Robert mit schwarzen Schwingen, die direkt aus seinem Rücken zu kommen schienen und die Form von riesigen Fledermausflügeln hatten. „Robert, was… was bist du eigentlich?“, stammelte Johnny. Robert schloss für einen Moment die Augen und atmete tief ein und aus, bevor er seine Augen wieder öffnete. Genau vor diesem Moment hatte er sich gefürchtet. Vor ihm saß Johnny auf dem Boden, und sein Gesicht zeigte deutlich Schock und Verwirrung. Leider waren diese Gefühle nicht allein der Tatsache zuzuordnen, dass er fast ums Leben gekommen wäre. Die violetten Augen des Schotten waren allein auf Robert gerichtet, sein Fall vom Dach nur wenige Sekunden zuvor war vergessen. Robert überlegte für einen Moment, ob er seine Schwingen wieder einziehen sollte, um Johnny diesen für ihn unnatürlichen Anblick zu ersparen. Doch dann entschloss er sich dagegen. Es hatte keinen Sinn, die Wahrheit noch länger zu verheimlichen. Wie sagten die Menschen doch immer? Die Katze war aus dem Sack. „Johnny“, begann Robert und trat einen Schritt auf seinen Freund zu, hielt aber wieder inne, als er sah, wie Johnny bei der Bewegung zusammen zuckte. „Hab bitte keine Angst vor mir. Ich bin keine Bedrohung, ich bin nur anders als du, aber ich bin…“ Robert zögerte kurz, suchte nach dem richtigen Wort, dann sprach er es aus: „…menschlich.“ Und während er dieses Wort aussprach, erkannte er, dass es stimmte. Er war zwar ein Vampir, aber kein seelenloses herzloses Monster. Er kannte genügend Vampire, um dies zu wissen, und am allerwichtigsten: er kannte sich selbst. Johnny rang sichtlich um Fassung. Schließlich brachte er hervor: „Menschen haben keine Flügel.“ „Nein, die haben sie nicht“, stimme Robert mit sanfter Stimme zu. „Und als ich als Mensch geboren wurde, hatte ich auch keine. Aber nun bin ich kein Mensch mehr, sondern gehöre einer anderen Art an.“ „Einer anderen Art?“, hakte Johnny nach. Der ruhige Klang von Roberts Stimme beruhigte seine aufgewühlten Gefühle ein wenig, doch er war noch immer sehr verwirrt. „Ja, einer anderen Art, deren Individuen ihren Ursprung zwar in den Menschen haben, die aber trotzdem nicht mehr zu den Menschen gehören.“ Robert zögerte erneut. Er wusste, dass seine nächsten Worte für Johnny wie ein Schlag sein würden, und er konnte nur hoffen, dass Johnny ruhig blieb. „Ich bin ein Vampir.“ Robert hatte sich auf einige Reaktionen von Johnny vorbereitet: ein angstvoller Schrei, plötzlicher Hass, ein Fluchtversuch… Doch Johnny blieb auf dem Boden sitzen und starrte Robert nur an. Dann schien er seine Fassung zurück zu gewinnen. „Aber es gibt doch gar keine…“, begann er, brach jedoch mitten im Satz ab und warf erneut einen langen Blick auf Roberts schwarze Schwingen. „Wirst du mich jetzt beißen?“, fragte er schließlich. „Nein“, antwortete Robert entschieden. „Es ist zwar richtig, dass Vampire sich von Blut ernähren, aber es ist nicht so, als könnten wir nie genug bekommen. Wir sind nicht die blutrünstigen Monster, die man so gerne in den Horrorgeschichten beschreibt. Und ich würde gerade dir nie etwas antun.“ Er trat erneut vorsichtig auf Johnny zu, und als der Schotte nicht zurückwich oder sonst eine Angstreaktion zeigte, überwand er den Abstand zwischen ihnen und ging vor seinem rothaarigen Freund in die Hocke. „Ich habe auf dem Dach gesagt, dass ich dich liebe, und das stimmt auch.“ Robert musterte Johnny, und für einen Moment überwältigten ihn seine Gefühle, die er für diesen Mann, diese Seele hatte. Seine Erinnerungen an ein längst vergangenes Leben und die Leere, die all die Jahrhunderte danach in seinem Herzen gelauert hatte, drangen in sein Bewusstsein und verschmolzen die Vergangenheit mit der Gegenwart. „Ich liebe dich. Ich liebte dich vor so vielen Jahrhunderten, und ich liebe dich auch heute noch. Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben. Und jetzt bist du endlich wieder da…“ Roberts Stimme wurde leiser und verklang. Das Gefühl von Unwirklichkeit, welches durch die Intensität seiner Erinnerungen ausgelöst wurde, verschwand, und ihm wurde bewusst, was er gerade gesagt hatte. Auch Johnny war die Bedeutung seiner Worte nicht entgangen, und seine Augen verengten sich. „Erklär mir das“, forderte er. „Du hast mich bereits vor Jahrhunderten geliebt, und jetzt bin ich wieder da?“ Robert zuckte leicht zusammen, als er Johnnys fordernden Tonfall hörte. Innerlich verfluchte er seine lose Zunge. Es war nun nicht mehr genug, dass Johnny die Tatsache verkraften musste, dass er heute Abend fast gestorben wäre und von einem Vampir gerettet wurde, einem Wesen, an dessen Existenz die Menschen nicht einmal glaubten. Jetzt würde er auch noch von dem Wissen um Reinkarnationen erfahren, und dass er selbst eine solche wiedergeborene Seele war. Es war alles ziemlich viel für einen Abend, doch jetzt konnte Robert nicht mehr zurück. Er begann damit, Johnny die Wahrheit zu erzählen, von seiner Begegnung mit Jonathan McGregor vor so vielen Jahrhunderten in Schottland, seine Verwandlung in einen Vampir, all die Jahrhunderte, in denen er die Welt bereiste, bis er schließlich hier in dieser Stadt Johnny McGregor begegnete, der Wiedergeburt von Jonathan McGregor. Als Robert endete, saß Johnny einige Minuten lang regungslos da und dachte nach. Schließlich fragte er mit leiser Stimme: „Dann liebst du eigentlich Jonathan McGregor?“ Robert wusste, er bewegte sich nun auf dünnem Eis. Ein falsches Wort, und Johnny würde denken, er sähe lediglich den lange verstorbenen Jonathan in ihm. Es würde seine Gefühle schwer verletzen. Robert überdachte seine Worte sorgsam, bevor er sie aussprach: „Du bist ohne jeden Zweifel Jonathans Wiedergeburt. Aber die Wiedergeburt eines anderen zu sein, bedeutet nicht, dieser andere zu sein. Jedes Leben ist einzigartig, es kann sich nicht wiederholen. Deine Seele ist die Seele des Mannes, den ich einst kannte, Jonathan McGregor ist das Leben, das du vor deinem jetzigen Leben gelebt hast. Deshalb bist du Jonathan auch sehr ähnlich. Und das war der Grund, warum du mir zuerst aufgefallen bist. Aber es ist nicht so, dass ich dich nur als Jonathan sehe, oder du nur ein Ersatz für ihn bist. Wenn du da bist, fühle ich mich komplett, genau wie damals mit Jonathan. Doch du hast eine eigene Persönlichkeit. Ich würde dich niemals nur als die Reinkarnation eines geliebten Menschen sehen und so das Leben, das du jetzt hast, herabwürdigen. Du bist Johnny, und nicht Jonathan. Und ich liebe dich.“ Johnny seufzte und rieb sich mit einer Hand seinen Kopf. Es war alles zu viel für ihn. Seine Gedanken überschlugen sich, und er hatte Schwierigkeiten, all den Überlegungen, die gleichzeitig in seinem Geist abliefen, zu folgen. Schließlich erhob er sich, und auch Robert stand auf. „Ich möchte nach Hause gehen. Ich kann jetzt einfach nicht klar denken“, sagte Johnny zu ihm. Robert nickte. „Du hast meine Telefonnummer. Ich hoffe, du wirst mich anrufen, wenn du deine Gedanken geklärt hast.“ „Hast du keine Angst, ich könnte den Leuten von deinem Geheimnis erzählen? Das du ein Vampir bist?“, fragte Johnny. Robert verzog seinen Mund zu einem halbherzigen Lächeln. „Wer würde dir glauben?“ „Niemand“, antwortete Johnny müde und ging langsam in Richtung der nächsten Bushaltestelle. Robert hob halb seinen Arm, um Johnny aufzuhalten und ihm anzubieten, ihn selbst nach Hause zu bringen. Doch dann ließ er den Arm wieder sinken und schritt lediglich an Johnnys Seite die Straße entlang, nachdem er seine Schwingen erneut vor den Augen der Menschen verborgen hatte. Er glaubte nicht, dass Johnny in seinem jetzigen Zustand aus Schock und emotionalem Chaos ein Flug über die Dächer der Stadt in den Armen eines Vampirs gut tun würde. Es war besser, wenn in seinem Leben so schnell wie möglich die Sicherheit der Normalität wieder einkehren würde. Dann würden seine Gedanken hoffentlich ihre Klarheit zurückgewinnen. ------------------------ Fortsetzung folgt... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)