Greif nach den Sternen von Cat_in_the_web (Bryan + Ray) ================================================================================ Kapitel 7: Eine neue Chance --------------------------- Titel: Greif nach den Sternen Kapitel: 7/? Autor: Cat in the web Fandom (Anime/Manga): Beyblade Pairing: Bryan + Ray Disclaimer: Ich habe keinerlei Rechte an Beyblade. Ich bin nur ein Fan, der sich die Charaktere kurz ausgeliehen hat, um eine kleine Fanfiction zu schreiben. Und natürlich mache ich kein Geld damit. Herzlichen Dank für die Kommentare (und wieder einmal für die Geduld) an: Robino, Hoshisaki und Lady_Genevieve! -------------------------------------------------- Greif nach den Sternen von Cat in the web Kapitel 7: Eine neue Chance Bryan parkte seinen Wagen auf dem Firmenparkplatz von Motor Wheels und stieg aus. Einen Moment blieb er neben seinem Wagen stehen und betrachtete das Gebäude mit einem unruhigen Gefühl im Magen. Gestern Nachmittag hatte Direktor Hill ihn angerufen und für den heutigen Tag zu einem Gespräch hierher bestellt. Der Untersuchungsausschuss der Firma hatte inzwischen Ergebnisse geliefert, die Hill mit Bryan besprechen wollte. Die Nachricht löste eine Welle von widersprüchlichen Gefühlen in Bryan aus. Auf der einen Seite war er froh, dass endlich ein Ergebnis vorlag und das Warten ein Ende hatte. Seine Zwangsbeurlaubung von seiner Arbeit war eine harte Maßnahme gewesen, die sowohl ihm als auch seinen Kollegen deutlich gemacht hatte, wie ernst die Situation war. Und genau darin lag auch das Problem. Die Ungewissheit würde zwar in Kürze vorbei sein, aber wie würde das Ergebnis aussehen? Würde man Bryan die Schuld an dem geplatzten Werbevertrag geben? Würde er vielleicht sogar seinen Job verlieren? Die Aussicht, plötzlich arbeitslos zu sein, weckte in Bryan ein Gefühl, das fast schon an Panik grenzte. Wer wusste schon, wie seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt aussahen? Er hatte zwar immer gute Arbeit bei Motor Wheels geleistet, aber dadurch würde eine plötzliche Kündigung nur suspekt erscheinen. Neue potenzielle Arbeitgeber würden sich fragen, was da passiert war, und dann vermutlich lieber andere Bewerber für eine freie Stelle bevorzugen. Bryan schüttelte den Kopf, als ob er die pessimistischen Gedanken so vertreiben wollte, und setzte sich in Bewegung. Herr Hill hatte nichts von einer Kündigung verlauten lassen. Solche Gedanken waren reine Spekulation. Um sich ein wenig abzulenken, dachte Bryan an den gestrigen Abend zurück. Er hatte Ray besucht, und sie waren zusammen Essen gegangen. Doch durch den Anruf von Herrn Hill war Bryan abgelenkt gewesen. Ray hatte gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Auf seine Frage hin hatte Bryan ihm erzählt, dass er am nächsten Tag ein Gespräch mit Herrn Hill haben würde. Bryan bereute seine Worte nun. Ray hatte so besorgt ausgesehen. Er hatte sogar angeboten, ihn zu begleiten. Bryan hatte sein Bestes gegeben, Ray zu beruhigen und ihm zu versichern, dass es keine große Sache war. Um ihn abzulenken, hatte er nach den Probeaufnahmen gefragt. Diese Taktik hatte funktioniert, und zwar für sie beide. Ray erzählte ihm alles darüber, und sowohl er als auch Bryan vergaßen für den Rest des Abends die Sache mit Motor Wheels und Herrn Hill einfach. Es war noch ein schöner Abend geworden, und allein der Gedanke daran hellte Bryans Stimmung erheblich auf. Mit wesentlich leichteren Schritten als noch zuvor auf dem Parkplatz betrat er das Gebäude von Motor Wheels und fuhr mit dem Fahrstuhl hinauf zu dem Konferenzraum, in dem Herr Hill mit ihm sprechen wollte. Als er aus dem Fahrstuhl trat und den Flur entlang ging, nickten ihm die Angestellten, denen er begegnete, kurz zu. Manche lächelten ihn sogar an, wenn auch sehr zurückhaltend. Die Gerüchteküche von Motor Wheels brodelte, seit der Werbevertrag geplatzt und der Untersuchungsausschuss ins Leben gerufen worden war, und Bryan hatte keine Zweifel, dass sein Erscheinen dem Klatsch neue Nahrung geben würde. Er fühlte die neugierigen Blicke in seinem Rücken, aber er ließ sich nichts anmerken, sondern hielt sich gerade und ging mit ruhigen Schritten und neutralem Gesichtsaudruck zum Konferenzraum. Auf sein Klopfen hin hörte er die Stimme von Direktor Hill, die ihn herein bat, und er trat ein. Herr Hill saß am Kopfende der hufeisenförmig angeordneten Tische und bedeutete Bryan mit einer Handbewegung, auf dem Stuhl ihm gegenüber Platz zu nehmen. „Guten Tag, Herr Kuznetsov. Es freut mich, dass Sie so kurzfristig kommen konnten.“ „Guten Tag, Herr Hill. Das ist gar kein Problem.“ Bryan setzte sich und beschloss, sofort auf den Punkt zu kommen und den Grund des Gesprächs anzusprechen. Es lag ihm nicht, lange um Probleme herumzureden. „Ich bin sehr an einer Klärung dieser Angelegenheit interessiert.“ Für den Anfang war das genug gesagt. Bryan wollte klare Worte hören, doch er wusste auch, dass er Direktor Hill die Führung ihres Gesprächs überlassen musste, denn dieser stand in der Firmenhierarchie weit über ihm. Es würde keinen guten Eindruck machen, wenn er einen Vorgesetzten bevormundete. Das professionelle Lächeln von Herrn Hill schien eine Spur breiter und etwas ehrlicher zu werden. „Sie haben ganz Recht, wir kommen am Besten gleich zur Sache. Ich hatte gestern eine Besprechung mit dem Untersuchungsausschuss. Die Ergebnisse der einzelnen Untersuchungen wurden besprochen. Ich muss sagen, es war sehr informativ.“ Herr Hill machte einer Pause und griff wie beiläufig nach den Ordnern, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Er blätterte darin herum und ordnete sie neu auf dem Tisch, als suche er nach etwas, aber tatsächlich galt seine Aufmerksamkeit nur Bryan. Dieses Spiel dauerte etwa eine Minute, lange genug, um Bryan wie eine Ewigkeit zu erscheinen und nachzufragen, was Herr Hill denn erfahren hatte. Doch Bryan nahm den Köder nicht an, sondern saß ruhig auf seinem Stuhl in gerader, aufmerksamer Haltung, die Augen auf Herrn Hill gerichtet, der Gesichtsausdruck höflich, aber auch etwas distanziert. Nichts an ihm verriet die Nervosität, die er ohne Zweifel spürte. Herr Hill hätte dem jungen Mann fast applaudiert, aber stattdessen tat er so, als hätte er gefunden, wonach er suchte. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und nahm das Gespräch wieder auf. „Die Untersuchung umfasste zuerst nur die Umstände des geplatzten Werbevertrages mit Herrn Kon, wurde später aber ausgeweitet auf die Tätigkeiten der Werbeabteilung in den vergangenen Monaten. Ich muss sagen, ich bin sehr zufrieden mit der Leistung Ihrer Abteilung. Besonders einige Ihrer Ideen haben mich beeindruckt.“ Herr Hill warf einen beiläufigen Blick auf den Ordner, der den Bericht über Bryan enthielt, dann stellte er erneut Blickkontakt mit seinem Gegenüber her. „Ich bin zwar durch den Untersuchungsausschuss umfassend informiert worden, aber ich möchte es gerne aus Ihrem eigenen Mund hören, Herr Kuznetsov. Seit wann leiten Sie die Werbeabteilung praktisch selbstständig, ohne dass Herr Sergenson die Arbeit übersieht?“ Bryans Gedanken überschlugen sich fast, so schnell versuchte sein Verstand, die verschiedenen Möglichkeiten, die er hatte, zu analysieren. Er wusste nicht, was für Ergebnisse Hill vorgelegt worden waren, aber die Wahrheit war ohnehin seine einzig sinnvolle Option. Mit allem anderen würde er nur Sergensons Position stützen und sich selbst schaden. „Seit einigen Monaten, Herr Hill. Herr Sergenson erhält regelmäßig Berichte und unterzeichnet die Dokumente, die seine Unterschrift benötigen.“ „Und sonst tut er nicht viel mehr, dessen bin ich sicher“, kommentierte Hill. Bryan erwiderte nichts darauf, sondern wartete ab. Das Hill über Sergenson offenbar Bescheid wusste, war gut für ihn, aber er wusste immer noch nicht, wo er selbst stand. Auch er hatte keine weiße Weste. Er wusste, dass Sergenson ihn bevorzugt behandelt hatte, und er musste davon ausgehen, dass dies auch dem Untersuchungsausschuss aufgefallen war. Die nächsten Worte von Direktor Hill bestätigten ihm dies. „Sie sind in sehr kurzer Zeit zum stellvertretenden Leiter der Werbeabteilung aufgestiegen, Herr Kuznetsov. Ich bin sicher, dass Sie mir nicht widersprechen werden, wenn ich darauf hinweise, dass eine solch steile Karriere in so kurzer Zeit nur durch eine Begünstigung Ihrer Person durch einen hochrangigen Vorgesetzten möglich ist, in Ihrem Fall durch Herrn Sergenson. Wie auch immer, Ihre Leistungen in der Werbeabteilung sind herausragend, dies kann Ihnen niemand absprechen.“ Hill faltete seine Hände vor sich auf dem Tisch und sah Bryan ernst an. Diesmal zeigte sich kein Lächeln auf seinem Gesicht, und Bryan wusste, dass sie nun zum Kern ihrer Besprechung kamen. „Die Untersuchung hat unter anderem ergeben, dass das Handeln von Herrn Sergenson dazu führte, dass Herr Kon den Vertrag nicht unterschrieben hat. Ich gebe zu, dass mir die Details fehlen, da Herr Sergenson sich nicht zu den Geschehnissen in seinem Büro äußern will und ich Herrn Kon zu dem Vorfall nicht befragen möchte. Aber ich weiß genug, um meine eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen. Der Vorfall an sich wiegt schon schwer, aber zusammen mit der Arbeitsmoral der letzten Monate von Herrn Sergenson sind dienstliche Konsequenzen unausweichlich. Ich vertraue darauf, dass Sie nichts von dem, was ich Ihnen jetzt anvertraue, verlauten lassen werden, Herr Kuznetsov, bis die Firmenleitung offiziell ihre Mitteilung macht, aber da Sie direkt betroffen sind, müssen Sie es erfahren.“ Hill wartete einen Moment, bis ein zustimmendes Nicken von Bryan erfolgte, dann fuhr er fort: „Herr Sergenson wird diese Firma verlassen. Es wird wohl einen Handel mit ihm geben, damit er in den vorzeitigen Ruhestand gehen kann, oder etwas dergleichen, aber das überlasse ich der Personalabteilung. Wichtig ist nur, dass er nicht länger für Motor Wheels arbeiten wird. Was zu der Frage führt, wer seinen Posten als Leiter der Werbeabteilung übernehmen wird. Sie wären ein ausgezeichneter Kandidat für diesen Posten, wenn Sie nicht vor allem durch Bevorzugung in so kurzer Zeit so weit gekommen wären.“ Bryans Muskeln spannten sich an, obwohl er ruhig zu bleiben versuchte. Sergenson war fort, der Untersuchungsausschuss wusste über ihn Bescheid, und das war eine Erleichterung. Doch Bryans eigenes Schicksal war noch ungewiss, obwohl er zumindest nicht mehr mit seiner Kündigung rechnete. Er wusste, er konnte Sergensons Job machen, er machte ihn schon seit Monaten! Aber die Art seines Karriereaufstiegs konnte ihm beruflich das Genick brechen. Es war anzunehmen, dass er bald in einem kleinen Büro sitzen würde, zurückgestuft zum einfachen Angestellten mit entsprechendem Gehalt, den die Kollegen bemitleideten und heimlich auslachten. Der Gedanke, dem Spott der anderen ausgesetzt zu sein, beunruhigte Bryan weit mehr als der Gedanke, seine Karriere bei Motor Wheels nochmals von vorn beginnen zu müssen. „Andererseits kann Ihnen niemand Talent absprechen. Sie sind ein wertvoller Mitarbeiter für unsere Firma, und ich wünsche, dass Sie Ihr Talent in vollem Umfang entfalten können“, gestand Hill ein. „Daher habe ich nach eingehender Beratung mit dem Untersuchungsausschuss beschlossen, Ihnen eine Chance zu geben, dieser Firma zu beweisen, wie gut Sie tatsächlich sind.“ Bryans ganze Aufmerksamkeit war auf Hill gerichtet. Er wartete gespannt auf seine nächsten Worte, darauf, dass ihm Gelegenheit gegeben wurde, sich zu beweisen. Und er würde diese Herausforderung annehmen, so wie er auch als Beyblader jede Herausforderung angenommen hatte, und sein Bestes geben. Aber Hills nächste Worte überraschten ihn: „Wie gut kennen Sie eigentlich Herrn Kon, Herr Kuznetsov?“ „Wir sind miteinander befreundet“, antwortete Bryan. „Gut befreundet?“ „Ja, ich denke, dass ich das guten Gewissens sagen kann.“ Hill lächelte. „Das freut mich für Sie. Motor Wheels hat immer noch ein sehr großes Interesse an Herrn Kon als Werbeträger. Sogar noch mehr als vorher, denn wie mir zu Ohren gekommen ist, könnte Herr Kon in naher Zukunft ein Filmstar werden. Es gab ein entsprechendes Gerücht, und als ich nachgeforscht habe, stellte sich heraus, dass Herr Kon in den Filmstudios der Sunshine Production war. Wissen Sie etwas darüber?“ Bryan zögerte einen Moment lang. Ray hatte ihm viel erzählt, aber das war alles vertraulich. Konnte er einfach Hill erzählen, was Ray ihm als Freund erzählt hatte? Fast ein wenig widerwillig antwortete er: „Herr Kon deutete ein Interesse der Sunshine Production an seiner Person an.“ „Es ist mehr als nur ein Interesse, nicht wahr, Herr Kuznetsov?“, hakte Hill nach. Bryan zögerte noch eine Sekunde, dann gab er auf. Er hatte ein schlechtes Gewissen gegenüber Ray, aber es ging hier immer noch um seinen Job. „Es liegen keine Verträge vor, aber es wurden Probeaufnahmen mit Herrn Kon gemacht. Eventuell könnte Herr Kon in naher Zukunft einen Vertrag mit Sunshine Production abschließen. Es steht jedoch noch nichts fest.“ „Es steht erst fest, wenn die Tinte unter dem Vertrag trocken ist“, stimmte Hill zu. „Aber bei Herrn Kon zweifle ich nicht daran, dass er einen Vertrag bekommen wird.“ „Ich denke das ebenfalls, aber einen Vertrag zu bekommen und einen Film zu drehen bedeutet noch nicht, dass er auch Erfolg in der Schauspielerei haben wird.“ Bryan widerstrebte es, Zweifel an Ray zu äußern, die er gar nicht hatte, doch seine berufliche Kompetenz verlangte von ihm, Hill darauf hinzuweisen. „Glauben Sie denn nicht, dass er Erfolg haben wird?“, kam dann auch prompt die Frage. „Ich bin davon überzeugt, dass er erfolgreich sein wird, aber ich muss auch zugeben, dass ich ein wenig voreingenommen bin“, gestand Bryan. „Dann sind wir das beide, denn auch ich zweifle nicht an seinem Erfolg“, sagte Hill, und ein breites Lächeln zeigte sich für einen Moment auf seinem Gesicht. Dann sagte er endlich die Worte, auf die Bryan gewartet hatte: „Aber ich sprach vorhin davon, Ihnen eine Chance zu geben, Herr Kuznetsov. Es ist eigentlich ganz einfach. Wenn Sie es schaffen, dass Herr Kon den Werbevertrag mit Motor Wheels doch noch unterschreibt, dann werden Sie zum Leiter der Werbeabteilung auf Probe ernannt. Ihre Probezeit in dieser Position beträgt zwei Jahre. Während dieser Zeit wird Ihre Arbeit genauestens beobachtet, aber wenn Sie weiterhin solch gute Arbeit wie bisher leisten, zweifle ich nicht daran, dass Sie nach Ablauf der Probezeit Leiter der Werbeabteilung bleiben werden. Sollte Ihre Arbeit wider Erwarten nicht überzeugen können, wird jemand anderes zum Abteilungsleiter ernannt, Sie bleiben aber weiterhin Angestellter von Motor Wheels. Aber wie bereits gesagt, dies hängt davon ab, ob Sie es schaffen, den Vertrag mit Herrn Kon abzuschließen. Die Konditionen des Vertrages dürfen übrigens durchaus neu verhandelt werden, falls dies nötig sein sollte. Die Unterlagen befinden sich bereits auf Ihrem Schreibtisch in Ihrem Büro. Ich hoffe, dieser Vorschlag ist akzeptabel, Herr Kuznetsov?“ „Das ist er, Herr Hill.“ Bryans Gesicht war eine Maske, die seine Emotionen perfekt kaschierte, doch seine Stimme klang ein wenig benommen. Er fühlte sich etwas überrannt von den Geschehnissen der letzten Stunde, aber er bemühte sich darum, sich nichts anmerken zu lassen und völlig in Kontrolle der Ereignisse zu erscheinen. Wie in Trance verabschiedete er sich von Direktor Hill und ging zu seinem Büro. Als er die Tür zum Vorzimmer seines Büros öffnete, saß Frau Schmidt hinter ihrem Schreibtisch und begrüßte ihn mit einem fröhlichen Lachen. Es war alles wie es vorher gewesen war, sogar noch besser, und das beruhigte Bryans Nerven ungemein. *** Ray war unruhig. Wie ein in einen zu kleinen Käfig gesperrtes Raubtier schritt er in seiner Suite auf und ab, durchwanderte die einzelnen Räume, um schließlich vor dem Telefon zum Stehen zu kommen und es prüfend anzustarren, weil es die ganze Zeit nicht klingelte. Nach einiger Zeit nahm er seine Wanderung wieder auf, nur um irgendwann erneut vor dem Telefon zu pausieren. Es war zum verrückt werden. Er hatte sogar schon zwei oder drei Mal überprüft, ob sein Telefon auch funktionierte. Es funktionierte einwandfrei. Es rief ihn nur niemand an. Ray wünschte zwei Anrufe sehnlich herbei. Zum einen den seiner Managerin, die ihm sagen sollte, was die Sunshine Production bezüglich der Rollenbesetzung für ihren neuen Film entschieden hatte. Nachdem Ray während der Probeaufnahmen einen Vorgeschmack auf die Arbeit an einem Filmset erhalten hatte, wollte er diese Erfahrung nur zu gerne ausbauen. Zum anderen wollte er wissen, wie das Gespräch zwischen Bryan und seinem Vorgesetzten verlaufen war, und er hoffte, dass Bryan ihn anrufen würde. Ray machte sich große Sorgen um seinen Freund. Wer wusste schon, was Motor Wheels entscheiden würde? Vielleicht glaubten die Bosse der Firma, sie hätten durch den geplatzten Werbevertrag an Ansehen verloren, immerhin war die Sache sogar in den Nachrichten erwähnt worden. Bryan war ein junger Angestellter, ihn als Sündenbock zu opfern, um einen möglichen Image-Schaden von der Firma abzuwenden, würde in den Augen seiner Bosse vielleicht Sinn machen. Fast bereute Ray, dass er den Vertrag abgelehnt hatte, doch er wusste, mit einem Mann wie Sergenson hätte er nicht arbeiten können. Ray ließ sich neben das Telefon auf die Couch sinken und rieb sich mit den Fingern über die Schläfen. Die Sache mit Bryan machte ihm weit mehr Sorgen als die Filmrolle. Wenn er die Rolle nicht bekam, würde kein Schaden für ihn daraus entstehen. Selbst wenn die Medien davon erfuhren, war er beliebt genug, dass es seine Karriere als Modell nicht negativ beeinflussen würde. Ein bisschen Spott von jenen, die ihm seinen Erfolg neideten, konnte er ertragen. Aber für Bryan stand weit mehr auf dem Spiel. Die Entscheidung der Bosse von Motor Wheels konnte das Aus für seine Karriere bei dieser Firma bedeuten, und dann würde er von vorn anfangen müssen mit einem Makel in seinem beruflichen Lebenslauf. Ray fragte sich, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn er mit jemanden bei Motor Wheels gesprochen hätte, wenn er erklärt hätte, warum er den Werbevertrag abgelehnt hatte, und dass es nicht Bryans Schuld gewesen war. Wie hieß dieser Mann noch mal, den Bryan heute traf? Direktor Hill, wenn er sich richtig erinnerte. Aber Ray glaubte nicht, dass er wirklich jemand Fremden von Sergensons Übergriff erzählen konnte. Dazu war ihm das einfach zu unangenehm, und jetzt war es auch schon zu spät dazu. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als Bryans Anruf abzuwarten. Ray lehnte sich zurück, einen nachdenklichen Ausdruck auf dem Gesicht. Wenn es zum Schlimmsten kam, wenn Bryan wirklich seinen Job verlor, dann konnte er ihm doch einen geben. Viele Modells und Schauspieler hatten persönliche Assistenten, die ihnen all die kleinen Alltagsdinge abnahmen, ihre Termine koordinierten oder einfach nur ihre Wasserflasche hinter ihnen hertrugen. Ray verzog das Gesicht, als er sich seinen Freund dabei vorstellte, wie er ihm die Wasserflasche hinterher trug. Wenn er das von Bryan verlangte, würde dieser ihm den Flascheninhalt ohne Zweifel über den Kopf schütten. Der Gedanke brachte Ray zum Grinsen. Der russische Ex-Beyblade-Champion war viel zu stolz, um einen solchen Job anzunehmen, da war sich Ray sicher. Bryan war ein Kämpfer. Selbst wenn es zum Schlimmsten kam, würde er nicht aufgeben. Diese Erkenntnis munterte Ray auf. Das Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken. Wie der Blitz stand er neben dem Apparat und griff nach dem Hörer. „Hallo?“ „Hallo, Ray. Hier ist Sara“, hörte er die amüsiert klingende Stimme seiner Managerin. „Sag mir bloß nicht, du hast den ganzen Tag neben dem Telefon gehockt, so schnell wie du dich gemeldet hast.“ „Natürlich nicht“, antwortete Ray, was ja auch stimmte. Er war nur fast den ganzen Tag lang in seiner Suite auf und ab gewandert. Das brauchte Sara aber wirklich nicht zu wissen. „Gut. Jedenfalls habe ich tolle Neuigkeiten für dich. Du hast die Filmrolle bekommen.“ Saras Stimme hörte sich an, als stände sie kurz davor zu jubeln. Rays Herz tat es ganz bestimmt. Für einen Moment vergaß er die Sorge wegen Bryan, und er konnte nur fragen: „Ist das wahr?“ „Natürlich ist das wahr. Der Regisseur soll sich sehr zufrieden gezeigt haben über deine Leistungen bei den Probeaufnahmen, und nachdem was ich so über ihn gehört habe, kann man das als großes Kompliment werten. Der Vertrag soll mir in den nächsten Tagen zugehen. Der Drehtermin steht noch nicht ganz fest, aber Sunshine Production möchte wohl möglichst bald beginnen…“ Sara plapperte munter drauflos, ein sicheres Zeichen dafür, wie sehr sie sich freute. Ray hörte ihr allerdings schon nicht mehr zu. Freude und Aufregung ließen sein Herz schneller schlagen und füllten seine Ohren mit einem Rauschen, das fast schon wie Engelsgesang klang. Mit einem verträumten Ausdruck in den Augen und einem breiten Grinsen auf dem Gesicht starrte er das Telefon vor sich an, ohne es wirklich zu sehen. Erst Saras Stimme brachte ihn schließlich wieder zurück in die Realität: „Ray? Ray! Bist du noch dran?“ „Äh…ja, ich bin noch da, Sara.“ „Ich verstehe deine Freude, aber du solltest deiner Managerin schon zuhören.“ „Hast du was Wichtiges gesagt?“, fragte Ray ein wenig kleinlaut. „Nein, eigentlich nicht“, gestand Sara. „Ich habe ja den Vertrag noch nicht.“ Ray seufzte erleichtert. „Na, dann brauchst du dich wenigstens nicht wiederholen.“ „Stimmt auch wieder“, lachte Sara. „Und wir wissen ja beide, dass ich zum Plappern neige, wenn ich mich freue. Sobald der Vertrag da ist, rufe ich dich wieder an, dann kommst du zu mir ins Büro, und wir besprechen alles. Übrigens, ich habe zumindest schon erfahren, dass die meisten Filmszenen in den Filmstudios gedreht werden und nicht an irgendwelchen weit entfernten Orten. Da du einige Zeit in Star City verbringen wirst, solltest du dich nach einer Mietwohnung umsehen. Das Hotel ist schön, aber auf Dauer wird das ziemlich teuer.“ „Hältst du es für sinnvoll, wenn ich mir hier in Star City eine Wohnung kaufen würde?“, fragte Ray. „Ich weiß natürlich, dass ich in meinem Job viel Reisen muss, aber ich hätte gerne ein eigenes Zuhause, auch wenn ich manchmal wochenlang weg wäre.“ „Ich halte die Idee für gut. Du brauchst Stabilität in deinem Leben“, antwortete Sara, und sie klang nun fast schon mütterlich. „Außerdem habe ich mein Büro ja auch in Star City. Es war kein Zufall, dass ich dich hierher gerufen habe. Star City ist eine aufstrebende Wirtschaftsmetropole mit vielen Möglichkeiten. Hier eine Wohnung zu besitzen, ist praktischerweise auch eine Geldanlage. Kennst du übrigens den Star Tower? Er ist so gut wie fertig gestellt, die Wohnungen darin sollen verkauft werden. Er ist das Prestigeobjekt auf dem Immobilienmarkt hier.“ Ray erinnerte sich an den ersten Abend, den er mit Bryan verbracht hatte, und wie er am Aussichtspunkt am Meer den Star Tower gesehen hatte. „Ja, ich kenne das Gebäude.“ „Den solltest du dir mal ansehen“, schlug Sara vor. „Das werde ich. War es das, oder gibt es noch etwas Neues?“ „Nein, das war’s. Du wartest wohl noch auf einen Anruf, hm? Nicht zufällig von deinem Freund Bryan?“, fragte Sara in neckischem Ton. Mit der Erwähnung von Bryans Namen fielen Ray all die Sorgen wieder ein, die er sich um seinen Freund machte. „Nein, ich meine ja. Ja, ich hoffe, dass er noch anruft, aber das war nicht der Grund für meine Frage“, antwortete Ray, der sich plötzlich ein wenig durcheinander fühlte. Sara schien sein plötzliches Gefühlschaos nicht mitgekriegt zu haben. Sie redete munter weiter: „Ihr zwei seid so ein süßes Paar. Ich wünsch euch noch viel Spaß. Dann bis später, Ray.“ „Ja, bis später.“ Ein Klicken in der Leitung signalisierte das Ende des Gesprächs, und Ray legte den Hörer auf. Dann setzte er sich wieder auf die Couch, lehnte sich zurück und starrte an die Zimmerdecke. Sahen Bryan und er wirklich aus wie ein Paar? Sara hatte das wohl eher aus Spaß gesagt, aber wenn Ray so an die letzten Tage mit Bryan zurückdachte, fragte er sich, wie viel Wahres wohl darin lag. Er und Bryan hatten sich geküsst, mehr als einmal, und Ray hatten die Küsse sehr gut gefallen. Tatsächlich würde er Bryan gerne wieder küssen. Wie tief ging ihre Freundschaft eigentlich? Und war das noch Freundschaft, oder ging es nicht bereits ein wenig tiefer als das? Als Ray ein Teenager war, hatte er sich in seine Kindheitsfreundin Mariah verliebt, die im Beyblade-Team der White Tigers gewesen war. Später hatte er dann etwas ganz ähnliches für seinen Teamkameraden Kai empfunden. Seit dem wusste er, dass er bisexuell war. Nun, das war kein Problem für ihn. Bryan schien auch keine Probleme damit zu haben, ihn zu küssen, immerhin war der erste Kuss von ihm ausgegangen. Ray fühlte sich wohl, wenn Bryan bei ihm war. Er vermisste ihn, wenn er nicht da war. Er machte sich Sorgen um ihn. Und jetzt, wo er so darüber nachdachte, fand er ihn verdammt attraktiv. Emotionen waren so eine Sache. Man konnte sie nur fühlen, nicht greifen. Und manchmal schienen sie wild durcheinander zu wirbeln. Das machte eine Analyse schwierig. Ray erinnerte sich an einen Spruch seines Lehrers, dem Mentor der White Tigers: ‚Um deinen Gegner zu erkennen, musst du erst dich selbst erkennen.’ Damals hatte das für ihn und seine Freunde keinen Sinn gemacht, heute verstand er es besser, zumindest ein wenig. Sich selbst zu erkennen, zu wissen, was man wirklich fühlte, konnte sehr schwierig sein. Wenn man sich selbst nicht kannte, wie sollte man seinen Gegner einschätzen können? Wenn er seine eigenen Emotionen nicht richtig kannte, wie sollte er wissen, was er für Bryan empfand? Ray atmete tief ein und aus und versuchte, seine aufgewühlten Gefühle zu beruhigen. Er ließ seine Gedanken wandern, erinnerte sich an all die Stunden mit Bryan von ihrem ersten Treffen an. Sein Herz schlug schneller, als er sich ihre Küsse in Erinnerung rief. Der Kuss am Strand, der war am Schönsten gewesen. In Gedanken versunken, strich er sich mit den Fingerspitzen über seine Lippen. Dann lächelte er. Oh ja, es war definitiv mehr als nur Freundschaft, was er für Bryan empfand. Er war dabei, sich in seinen einstigen Gegner und jetzigen Freund zu verlieben, und er würde bestimmt nicht versuchen, dagegen anzukämpfen. Warum auch, immerhin schien Bryan seine Gefühle zu teilen. Ray streckte sich und seufzte wohlig. Er würde dieser ganzen Sache zwischen sich und Bryan Zeit lassen zu wachsen. Er würde ihre Beziehung zueinander pflegen und darauf hoffen, dass ihre Gefühle füreinander weiter wuchsen. Offen gesagt, hatte er keine Zweifel daran. Aber das änderte nichts daran, dass er immer noch nicht wusste, wie es Bryan jetzt ging und was Motor Wheels entschieden hatte. Ray warf einen nun wieder recht nervösen Blick auf seine Uhr. Dann griff er erneut zum Telefonhörer und wählte Bryans Privatnummer. Nach fünfmal Klingeln hörte er endlich ein Klicken in der Leitung, doch zu seiner Enttäuschung war es nicht Bryan, sondern sein Anrufbeantworter. Ray hinterließ eine kurze Nachricht mit der Bitte um Rückruf und legte wieder auf. Es sah ganz so aus, als wäre sein Warten noch lange nicht zu Ende. *** Als Bryan an diesem Tag nach Hause kam, war er sehr zufrieden. Es war ein anstrengender Tag im Büro gewesen. Viel Arbeit war liegengeblieben, während Sergenson und er beurlaubt gewesen waren. All dies lag nun auf Bryans Schreibtisch. Aber das störte Bryan nicht. Er hatte endlich seinen Job zurück und konnte seine kreative Energie in die Projekte der Werbeabteilung leiten. Selbst das Getuschel über ihn und Sergenson auf den Gängen und in den Büros von Motor Wheels hatte ihn nicht gestört. Tatsächlich empfand er sogar so etwas wie Genugtuung. Noch gab es keine offizielle Bekanntmachung der Firmenleitung, doch dass Bryan wieder in seinem Büro war, von Sergenson jedoch jede Spur fehlte, hatte dazu geführt, dass die Gerüchteküche brodelte. Bryan hatte zu allem geschwiegen. Er würde nicht den Fehler begehen, die Gerüchteküche anzuheizen, indem er den Inhalt eines vertraulichen Gespräches mit dem Firmendirektor den Kollegen bekannt gab. Herr Hill hatte offenbar eine hohe Meinung von ihm, und Bryan würde sein Ansehen nicht riskieren, nur um den Tratsch anzuheizen. Sein Anrufbeantworter signalisierte durch ein blinkendes Lämpchen, dass eine Nachricht für ihn vorlag. Ein wenig zögerlich drückte Bryan den Knopf zum Abspielen. Er hatte die Zeit der Schmähanrufe immer noch nicht ganz vergessen, als die Leute ihn für einen Feind von Ray hielten. Doch gleich darauf lächelte er erfreut, als Rays Stimme in der Stille seiner Wohnung ertönte. Es war die einzige Nachricht für ihn, und sobald die Aufzeichnung endete, hob Bryan den Hörer ab und wählte Rays Nummer. „Hallo?“, ertönte Rays Stimme aus dem Hörer. „Hallo, Ray. Hier ist Bryan.“ „Bryan! Alles in Ordnung bei dir?“ Rays Stimme klang plötzlich hektisch, was Bryan verwunderte. „Ja, natürlich. Warum sollte ich nicht in Ordnung sein?“ Doch dann begriff er: „Oh, du meinst wegen dem Gespräch mit Direktor Hill heute Morgen, nicht wahr? Keine Sorge, Ray, alles in Ordnung. Ich habe heute meine Arbeit für Motor Wheels wieder aufgenommen.“ „Das ist gut. Ich hatte mir wirklich Sorgen gemacht“, sagte Ray mit einem erleichterten Seufzen, und Bryan fühlte, wie Wärme sein Herz durchströmte. Sein Problem musste Ray wirklich nahe gegangen sein, und irgendwie war Bryan gerührt. „Und was ist mit Sergenson?“, hörte er Ray fragen. „Sergenson wird die Firma verlassen, vermutlich schickt man ihn in den vorzeitigen Ruhestand. Diese Information ist aber noch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.“ Bryan hielt es für wichtig, darauf hinzuweisen, obwohl er Ray gewiss nicht für eine Plaudertasche hielt. „Keine Sorge, ich verrate nichts“, erwiderte dieser leicht amüsiert über den Hinweis. Als prominentes Modell wusste Ray um den Wert persönlicher Informationen. „Ich habe übrigens auch Neuigkeiten, die noch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Ich habe die Rolle in dem Film bekommen.“ „Tatsächlich? Ich gratuliere dir.“ Bryan war ehrlich erfreut. Er hatte es sich schon gedacht. Er hätte sogar Geld darauf gewettet, aber es jetzt zu hören, war noch viel besser. „Danke. Wie wäre es, wenn wir uns morgen zum Essen treffen? Ich lade dich ein.“ „Das ist eine fantastische Idee, Ray. Nur eine Sache gefällt mir dabei nicht.“ „Was denn?“, fragte Ray verdutzt und fast ein wenig ängstlich. „Ich bin derjenige, der dich einladen wird und nicht umgekehrt“, antwortete Bryan. „Wie wäre es, wenn ich dich morgen Abend im Hotel abhole? So um 19 Uhr? Ich kenne da ein wundervolles kleines Restaurant, das auch ein Hinterzimmer hat, wo wir ungestört sein können. Der Besitzer wird kein großes Trara um dich machen, auch wenn er dich erkennt. Ich kenne ihn gut. Und die Pasta dort ist die Beste der Stadt. Du magst doch Pasta?“ „Ich liebe Pasta. Also bis morgen, Bryan.“ „Ja, bis morgen.“ Bryan legte auf und lächelte. Er freute sich schon jetzt auf morgen. Es würde wundervoll sein, Ray zu sehen, vor allem jetzt, wo die Probleme an der Arbeit für ihn vorbei waren. Obwohl das eigentlich nicht ganz stimmte. Bryans Lächeln verschwand. Da war immer noch der Test, der darüber entscheiden würde, ob er Leiter der Werbeabteilung wurde. Er musste den Vertrag mit Ray abschließen. Bryan seufzte. Am Besten brachte er die Sache schnell hinter sich. Er würde den Vertrag morgen mit ins Restaurant nehmen. ------------------------ wird fortgesetzt… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)