Die Marionette - Teil II von Sennyo (Das Tor von Ischra) ================================================================================ Kapitel 16: Die Überlebende --------------------------- Durch Olivers Tod, verlor auch der Zauber, der Rick gebannt hatte, seine Wirkung. Er konnte sich wieder frei bewegen und lief sofort zu Maria. "Ist alles in Ordnung mit dir?" Sie antwortete ihm nicht. Auch ihre Kräfte kehrten langsam aber sicher zurück, nicht aber ihre Magie. Die hatte sie für immer verloren. Sie hatte sich vollkommen überanstrengt und all ihre Kräfte aufgebraucht. Aber das kümmerte sie jetzt nicht, es war ihr völlig gleichgültig. Für Maria war gerade eine Welt zusammengebrochen. Sie war traurig, unendlich traurig. Celina war tot. Sie war gestorben, um sie zu beschützen. Dabei gehörte sie eigentlich zu den Meistern der Magie. Trotzdem hatte sie sie verraten. Und nun konnte Maria ihr nicht einmal mehr sagen, wie wichtig sie ihr war. Wie sehr sie eine Freundin wie sie brauchte. All das war nun unmöglich. Die Meister der Magie hatten sie nur benutzt. Celina hatte sich von der Macht blenden lassen, die sie angestrebt hatten. Eine Macht, die ihnen zum Verhängnis geworden war. Die Dämonen konnten nun niemals mehr nach Misty-Eye zurückkehren. Das Tor von Ischra hatte sich für alle Zeit verschlossen. Aber zu welchem Preis. Celina und die Meister der Magie hatte mit dem Leben dafür bezahlt. Maria fühlte sich fürchterlich. Sie weinte nicht. Sie konnte es nicht. Sie stand unter Schock. Die grausame Szene, die sich gerade vor ihren Augen abgespielt hatte, hatte sie zutiefst erschüttert. Die Verzweiflung und die Hilflosigkeit schnürten ihr die Kehle zu. Es war alles ihre Schuld. All das war nur geschehen, weil sie sich ihr ganzes Leben lang nur hatte benutzen lassen. Sie hatte nie ein eigenes Leben gehabt. Alles, was sie getan hatte - selbst wenn es in dem Glauben geschehen war, anderen zu helfen - hatte sich als falsch herausgestellt. Es war alles von Anfang an geplant gewesen. Sie hatte alles getan, was von ihr erwartet worden war. Celina hatte ganz Misty-Eye gerettet - und war dafür gestorben. Maria konnte es nicht ertragen, dass man sie für eine Heldin hielt. Nach allem, was sie getan hatte. Sie hatte die Zeremonie der Finsternis gestoppt, sie hatte den Meistern die Gelegenheit gegeben, die Zantana zu töten und somit Misty-Eye in riesige Gefahr gebracht, sie hatte die Splitter des Kristalls nicht zerstört und es den Meistern damit ermöglich, das Tor von Ischra überhaupt erst zu öffnen und dann war ihre einzige Freundin nur ihretwegen gestorben. Alles war ihre Schuld. All das war nur geschehen, weil sie den Anschlag der Magier, dem ihre Eltern zum Opfer gefallen waren, überlebt hatte. Die Magier hatten sie so oft töten wollen. Aber immer hatte sie überlebt. So viele Unschuldige waren ums Leben gekommen, aber sie hatte überlebt. Immer wieder. Nur um den Meistern der Magie weiterhin in die Hände spielen zu können. Das Leben war so ungerecht. Maria hatte immer geglaubt, die Anderen hätten ihr das Leben zur Hölle gemacht. Doch in Wirklichkeit war sie es gewesen, die das Unglück über die magische Insel gebracht hatte. Nur sie allein. Rick war fassungslos. Er hatte nicht die geringste Ahnung davon, was Maria im Moment durchmachen musste, aber auch an ihm war das Ganze nicht spurlos vorübergegangen. Nicht einmal in seinen schlimmsten Alpträumen hätte er sich so etwas vorstellen können. So etwas schreckliches wie diesen Blitz aus reiner Magie, hatte er noch nie gesehen. Er hoffte inständig, niemals wieder Zeuge solcher Grausamkeit werden zu müssen. Doch er konnte sich jetzt nicht den Kopf darüber zerbrechen. Seine ganzen Gedanken drehten sich um Maria. Er machte sich fürchterliche Sorgen um sie. Sie saß ganz einfach auf dem Boden und rührte sich nicht. Sie hatte beide Hände vor den Mund geschlagen und starrte mit leerem Blick vor sich hin. Sie zitterte am ganzen Körper. "Maria!", versuchte Rick sie wieder zur Besinnung zu bringen, "Maria, bitte! Komm wieder zu dir!" Aber seine Worte drangen nicht zu ihr durch. "Maria, lass uns von hier verschwinden, bitte", flehte er sich an. Sie so zu sehen, machte ihm Angst. Er wusste nicht, was er machen sollte. Sie wirkte so zerbrechlich. "Oh, verdammt noch mal, Maria, bitte! Komm wieder zu dir! Hörst du mich nicht?", seine Stimme zitterte inzwischen genauso stark wie Maria. Doch sie reagierte nicht. Er musste sie unbedingt von hier wegbringen. Sie durfte nicht länger die Folgen der Katastrophe vor Augen haben. Vielleicht hatte er dann eine Chance, zu ihr durchzudringen. Er nahm sie vorsichtig auf seinen Arm und kehrte dem Ort des Geschehens den Rücken zu. Er wollte sich gerade auf den Weg nach Hause machen, als Maria aus ihrer Starre erwachte und anfing zu schreien und zu zappeln. "Nein! Lass sie nicht hier. Lass sie nicht allein! Bitte, nein!", rief sie panisch. Egal wie sehr Rick sich auch anstrengte, er konnte sie nicht aufhalten. Sie lief sofort los, direkt zu der Stelle, an der Celina leblos zusammengebrochen war. Sie klammerte sich an deren Leichnam. Sie wollte ihre Freundin nicht loslassen. "Maria, das hat doch keinen Sinn!" Rick war verzweifelt. "Lass uns gehen!" "Ich bleibe hier!", schrie Maria hysterisch und schrill, "Ich bleibe bei Celina! Ich gehe hier nicht weg! Niemals!" "Komm endlich wieder zu dir!" Rick schlug Maria ins Gesicht. Das zeigte Wirkung. Maria erschrak. Und schließlich kamen die Tränen. Schluchzend sackte sie in Ricks Armen zusammen. Sie weinte hemmungslos, sie weinte lange. Erst als sie sich wieder ein wenig gefangen hatte, begann sie zu erklären. "Sie war die Einzige, die mich zur Freundin haben wollte. Auch wenn sie mich hintergangen hatte, wusste ich doch, dass ihre Gefühle für mich echt waren. Selbst als sie mich angriff, wusste ich, dass die wahre Celina mich niemals verraten würde. Sie hat getan, was von ihr verlangt wurde. Wie könnte ich ihr böse sein? Ich selbst habe es doch nicht anders gemacht. Auch ich habe ständig die Befehle der Meister ausgeführt. Ich habe nie mein eigenes Leben geführt. Ich habe ihnen die ganze Zeit über in die Hände gespielt. Ich habe euch alle verraten. Ich habe geglaubt, meine Eltern wären die Feinde von Misty-Eye gewesen, aber nun weiß ich, dass auch sie nur Werkzeuge für die Meister der Magie waren. Nachdem ich die Zeremonie gestoppt hatte, habe ich euch einen Vortrag gehalten, ihr solltet nie den Weg eurer Feinde gehen. Ich habe euch belehrt. Dabei bin ich die ganze Zeit über genau diesem Weg gefolgt. Wie kann ich euch jetzt noch in die Augen sehen? Schließlich habe ich meine eigene Freundin in den Tod geschickt!" "Mach dir nicht so viele Vorwürfe. Wenn jemand an dem Schuld ist, das heute passiert ist, dann diese fürchterlichen Magier. Und die haben dafür bezahlt." Rick wollte Maria helfen, aber er wusste nicht wie. "Lass uns nach Hause gehen. Wir nehmen Celina mit und bereiten alles vor. Sie soll eine würdige Bestattung bekommen." Maria sagte nichts. Sie nickte nur stumm. Rick half ihr auf die Beine und hob anschließend Celina auf seinen Arm. Maria ließ ihre Hand nicht los. Während sie den Marktplatz verließen, liefen ihr die Tränen lautlos übers Gesicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)