Die Marionette - Teil II von Sennyo (Das Tor von Ischra) ================================================================================ Kapitel 2: Das alte Regal der Zantos ------------------------------------ Sie war frei! Es war kaum zu glauben. Maria Zantos hatte es geschafft, aus dem dunklen Schatten ihrer Eltern herauszutreten. Das Leben in ständiger Angst war endlich vorbei. Seit die inzwischen dreiundzwanzig-jährige Magierin Misty-Eye vor der ewigen Finsternis bewahrt hatte, konnte sie endlich ein normales Leben führen. Misty-Eye war die Insel, auf der die Magier lebten. Zu der Zeit, da man Hexen und Zauberer überall auf der Welt verfolgt hatte, war sie ihnen zur Zuflucht geworden. Seitdem waren nun schon mehr als fünfhundert Jahre vergangen, doch die Magier lebten immer noch hier. Auf der Insel waren sie sicher, denn niemand, der keine magischen Fähigkeiten hatte, konnte sie erreichen. Jedes Schiff, das Misty-Eye zu nahe kam, wurde durch den magischen Nebel, der sie umgab, daran vorbeigeführt. Dennoch hatte man auf Misty-Eye keinen dauerhaften Frieden gefunden. Schuld daran waren Sarah und Ian Zantos gewesen, Marias Eltern. Sie wollten die Herrschaft über Misty-Eye und dafür war ihnen jedes Mittel recht. Sie verbreiteten Angst und Schrecken unter den Magiern von Misty-Eye. Waren sie in der Nähe, traute sich niemand mehr auf die Straße, denn die Zantos töteten jeden, der sich ihnen in den Weg stellte. So zogen sie den Hass der Magier auf sich, der sich dann mit einem Schlag entlud. Die beiden meistgefürchtetesten Magier ihrer Zeit kamen bei einem Anschlag der versammelten Bevölkerung Misty-Eyes ums Leben. Maria war gerade dreizehn Jahre alt gewesen. Und auch ihr hatte der Anschlag gegolten, doch sie hatte überlebt. In den Jahren, die folgten, lebte Maria in ständiger Angst. Die Magier verfolgten sie. Sie waren immer bereit, sie zu töten, sollten sie ihr begegnen. Daher hielt Maria sich stets im Verborgenen und vermied jeden Kontakt mit ihnen, was durch die Tatsache, dass sie ihrer Mutter zum Verwechseln ähnlich sah, jedoch nicht immer leicht war. Sie hatte die gleiche schlanke Figur, ebenso grüne Augen und genauso langes dunkles Haar wie Sarah es einst gehabt hatte. Doch es kam der Zeitpunkt, an dem sie sich nicht länger verstecken konnte. Als Maria herausfand, dass ihre Eltern vor ihrem Tod einen Fluch über Misty-Eye gelegt hatten, musste sie handeln. Sie hatte sich dem Hass der Magier stellen müssen. Und wie durch ein Wunder war es ihr im letzten Moment auch geglückt die Zeremonie der Finsternis, die den Mond, der sich am 31. Mai 2003 während einer totalen Sonnenfinsternis vor die Sonne schob, für immer dort festhalten und so ewige Dunkelheit über Misty-Eye bringen sollte, abzubrechen. Seitdem konnte sie sich auf Misty-Eye frei bewegen, die Magier hatten nicht mehr die Absicht, sie zu töten. Für Maria hatte sich alles geändert. Natürlich gab es immer noch welche, die davon überzeugt waren, dass Maria nichts Gutes im Schilde führte, aber diese waren nun in der Minderheit und wurden meistens einfach überhört. Und noch etwas hatte sich für Maria geändert. Sie war nicht länger allein. Bereits kurz nachdem Maria die Insel am Tag der Sonnenfinsternis vor ihrem schrecklichen Schicksal bewahrt hatte, schloss sie Freundschaft mir einer jungen Magierin namens Celina Beela. Celina war schlank, hatte hellblondes Haar und strahlend blaue Augen. Sie war ein Jahr jünger als Maria. Maria, die an die Einsamkeit gewöhnt war, war, nachdem sie die Zeremonie gestoppt hatte, ganz normal nach Hause gegangen. Celina war ihr einfach gefolgt. Drei Monate waren seitdem vergangen. Celina und Maria verbrachten fast jede frei Minute zusammen. Maria war glücklich wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Celina kümmerte sich nicht darum, dass sie mit Nachnamen Zantos hieß. Das war ihr egal. Sie wollte einfach nur ihre Freundin sein. Maria stellte sehr schnell fest, dass Celina sehr neugierig war. War sie bei Maria zuhause, störte es sie überhaupt nicht, dass dies einst die Heimat von Sarah und Ian Zantos gewesen war und es in der Höhle aus eben diesem Grund vor Schriftrollen über die gefährliche Schwarze Magie nur so wimmelte. Sie fand es einfach interessant. Es gab für sie anscheinend nichts spannenderes, als die Schriftrollen unter die Lupe zu nehmen. Als Maria sie an einem Abend dabei überraschte, wie sie sehnsüchtig auf die Schriftrollen blickte, sagte sie lächelnd: "Wenn du willst, kannst du sie dir ja mal ansehen. Aber ich warne dich, die Rezepte, die du dort findest, solltest du lieber nicht ausprobieren." Maria wusste genau wovon sie sprach. Fast alle Schriftrollen enthielten Rezepte von Giften und unheilbringenden Tränken. Obwohl das ganze Regal voller Schriftrollen war, gab es nur drei Schriftrollen, auf denen kein Rezept stand. Aufgrund eines merkwürdigen Traums, der sie noch einmal den Tod ihrer Eltern hatte sehen lassen und dem rätselhafte Worte ihrer Mutter gefolgt waren, hatte Maria die Schriftrollen durchsucht, in der Hoffnung eine Antwort auf ihre Fragen zu finden und war dabei auf zwei Schriftrollen gestoßen, die für sie interessant waren. Eine von ihnen war die Schriftrolle über die Zeremonie der Finsternis. Mit ihrer Hilfe hatte Maria das Rätsel über den letzten Fluch ihrer Eltern gelöst. Aber erst der Inhalt der zweiten Schriftrolle hatte ihr die Macht gegeben, etwas dagegen zu unternehmen. Diese Schriftrolle beinhaltete das Geheimnis der Zantos-Familie. Eine enorme Kraft, die seit langem innerhalb der Familie weitergegeben wurde - die Kraft eines Dämons. Ein Blick zu Celina sagte Maria, dass diese gerade an eben jener Schriftrolle hängengelieben war. Celina begann zu lesen. Die Zantana Seit Generationen wird in der Zantos-Familie die Gabe der Zantanischen Verwandlung von Mutter zu Tochter weitervererbt. Sobald sie das 22. Lebensjahr erreicht haben, sind die Frauen in der Lage sich in die Zantana zu verwandeln. Die Zantana ist ein mächtiger Dämon der Schwarzen Magie. Sie hat langes Haar aus reinen Flammen, grüne Katzenaugen und spitze Ohren. Auf dem Rücken trägt sie ein Paar mächtige Adlerschwingen, mit denen sie problemlos weite Strecken zurücklegen kann. Als Zantana haben die Frauen die Möglichkeit, auch ohne Zauberpulver selbst die komplizierteste Magie auszuführen. Um zwischen der Gestalt der Zantana und der des Menschen zu wechseln, muss man einen Löffel voll Zauberpulver schlucken und die Worte "Zantanische Verwandlung" aussprechen. Celina war fasziniert. "So einfach ist das? Du musst nun ein bisschen Zauberpulver schlucken um dich in die Zantana zu verwandeln? Und ich dachte immer das wäre höhere Magie!" Celina hatte die Zantana schon einmal gesehen. In ihrer Gestalt hatte Maria die Zeremonie gestoppt. Ohne die Macht der Zantana wäre ihr das nie geglückt. Celina legte die Schriftrollen zurück ins Regal. Dabei war sie allerdings etwas übereifrig, sodass sie gleich wieder herausfielen. "Tut mir leid! Ich räume das gleich wieder ein!" Celina wirkte erschrocken. Maria sah es gelassen. "Das macht doch nichts. Warte, ich helfe dir." Und so machten sich die beiden an die Arbeit, das Chaos zu beseitigen. Sie hatten es schon fast geschafft, als Celinas Blick auf einen tennisballgroßen Kristall fiel, der auf dem Brett über den Schriftrollen stand. "Sag mal, was ist denn das?" Wieder war ihre Neugierde geweckt. "Was meinst du?" Maria, die noch immer mit den Schriftrollen beschäftigt war, sah Celina fragend an. "Den Kristall oben im Regal." "Ach so, den meinst du. Ich habe keine Ahnung, wofür der gut sein soll. Gehörte meinen Eltern. Soweit ich weiß, stand er immer in diesem Regal, also habe ich ihn einfach da gelassen." "Der gehörte deinen Eltern? Dann hat er bestimmt irgendeine geheime Funktion, oder?" Celinas blaue Augen leuchteten regelrecht bei der Vorstellung. Maria jedoch schüttelte den Kopf. "Das wäre mir neu. Ich habe noch nie gesehen, dass er irgendetwas bewirkt hat." Celina schien ein wenig enttäuscht zu sein. "Schade." Maria war belustigt. "Bist du überrascht, dass auch meine Eltern Dinge besaßen, die keinen besonderen Zweck erfüllten?" Wie es schien, hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)