Fremde Welten (#1) von Purple_Moon (Das Reich der Schatten ist gar nicht so gruselig.) ================================================================================ Kapitel 8: Der Friedenslicht-Orden ---------------------------------- Ich habe mich entschieden, diesen Teil etwas eher hochzuladen, weil ich nicht weiß, wann ich nächste Woche Gelegenheit dazu habe. Und ihr sollt ja nicht warten müssen! ^^ Kapitel 8: Der Friedenslicht-Orden Yami ordnete sein Deck für den nächsten Tag. Es bedurfte eigentlich keiner Verbesserung, er ging nur aus Gewohnheit alles noch einmal durch. Als er die Karten alle wieder auf einem Stapel zusammengelegt hatte, erregte etwas auf dem Fußboden seine Aufmerksamkeit. Er bückte sich und stellte fest, dass eine Karte heruntergefallen war. Yami hob sie auf: Es war der Magier des Schwarzen Chaos. [Hui, der hätte mir gefehlt, auch wenn es kein ernstes Duell ist. Ich muss schon mit allen Mitteln kämpfen, sonst ist Seto sauer.] Seine Freunde waren wieder nach Hause gefahren. Yami steckte sein Deck in die Tasche an seinem Gürtel und ging noch einmal nach unten, um Großvater Gesellschaft zu leisten. Dieser musste den Laden inzwischen geschlossen haben. [Ich muss ihm unbedingt ein bisschen helfen, morgen früh habe ich ja Zeit. Nächste Woche muss Yugi wieder zur Schule... hoffentlich habe ich ihn bis dahin zurück, sonst habe ich ein Problem.] Sugoroku Mutou war schon wieder am Kochen. Er gab sich Mühe, als hätte er einen besonderen Gast. Yami hatte nie darauf geachtet, ob er das immer so machte. "Ähm... kann ich was helfen?" erkundigte er sich etwas unsicher. "Setz dich nur hin," winkte Sugoroku ab. "Weißt du überhaupt, wo das Geschirr ist?" "Äh..." Yami probierte auf gut Glück einen Schrank aus. Sein Gesicht hellte sich auf: Treffer! Vielleicht wusste er durch Yugis Erinnerungen unbewusst Bescheid. Nun die Gläser... Soviel dazu. Hinter der nächsten Schranktür befanden sich Geschirrhandtücher und Putzmittel. Er gab es auf und setzte sich hin, beobachtete den alten Mann aber unauffällig, um sich in Zukunft nicht mehr so zu blamieren. "Ich könnte dir morgen ein bisschen Kochen beibringen. Oder musst du dich auf euer Vorhaben vorbereiten? "Nein, das geht schon. Ich fürchte nur, ich werde mich ziemlich dumm anstellen, weil ich noch nie selber gekocht habe..." Großvater verneigte sich in gut gemeintem Spott. "Nun, Pharao, dann wird es Zeit." Yami lächelte vergnügt. "Yugi hat es wirklich gut mit dir. Ich fürchte, ich bringe ihm nur Probleme. Ein Geist mit vielen Feinden." "Tja, da konntest du keinen besseren finden als meinen Enkel. Kannst du mir nicht was über Ägypten erzählen? Es ist mein Hobby, wie du sicher weißt." "Ich kann mich leider nicht an mein Leben erinnern. Nicht einmal am meinen Tod. Vielleicht ist eine der Mumien im Museum mein Körper..." Yami grinste, als Großvater bei dem Gedanken das Gesicht verzog. "Nun, ganz ausgeschlossen ist das nicht, immerhin wissen wir, dass das Millenniumspuzzle dir gehört hat, und wenn es gefunden wurde, hat man vielleicht auch dich gefunden," räumte der Mann nachdenklich ein. "Allerdings hat man dem Fund des Millenniumspuzzles keine große Bedeutung beigemessen. Ich hätte es nicht behalten können, wenn es so gewesen wäre. Vermutlich haben alle nur das verstaubte Kästchen gesehen und es für ein gewöhnliches Stück Plunder gehalten. Ich muss zugeben, dass ich mir keine Mühe gemacht habe, sie eines Besseren zu belehren." Jetzt musste Yami laut lachen. "Du hast es ja faustdick hinter den Ohren! Das war sicher alles kein Zufall." "Vielleicht nicht. Hier, dein Tee wird kalt. Und nimm von dem Reis und Sashimi. Yami gehorchte und benutzte hartnäckig die Essstäbchen, auch wenn er dadurch viel länger brauchte. Sugoroku gab ihm keine Gabel, sondern ließ ihn gewähren. Er wusste, dass Herrscher über Weltreiche ihren Stolz hatten. Yami gab nicht auf, dieses Mal nicht. "Wo ist eigentlich der Arzt hin?" erkundigte er sich nebenbei. "Oh, irgendwo essen. Soll mir recht sein, ich werde den nicht jeden Abend verköstigen. Wir werden ihn sicher bald nicht mehr brauchen." "Ja, das war ja auch nur eine Maßnahme, damit die Ärzte vom Krankenhaus Ruhe geben. Ich habe nichts gegen den Mann, aber er stört doch ein wenig. Ich wette, er ist auch froh, wenn er hier wegkommt." "Halt die Stäbchen nicht so verkrampft. Ja, so ist es besser." Yami gab sich große Mühe. Er lernte schnell und wurde ganz allmählich satt. "Eine Sache beschäftigt mich." "Was ist es?" "Wenn Yugi nicht bis nächste Woche zurück ist - und das kann passieren - dann werde ich an seiner Stelle in die Schule gehen müssen. Aber was, wenn ich... versage?" Er blickte zweifelnd auf seine verbundene linke Hand. "Morgen haben wir Zeit. Wir können uns mal die Hausaufgaben ansehen, die deine Freunde dir gebracht haben," schlug Großvater vor. Yami nickte. Er hatte nie aufgepasst, wenn Yugi in der Schule war. Vielleicht hätte er sich doch mehr anstrengen sollen. In dieser Welt hatte er bisher nur für die Duelle gelebt. Und für Seto, neuerdings. Sugoroku schien seine Gedanken zu lesen. "Lass uns eine Runde spielen, wenn du mit dem Essen fertig bist. Ich hole mein Deck." Das lehnte Yami gewiss nicht ab. Er hatte wirklich noch Probleme, die Karten in der linken Hand zu halten, aber er musste ja keine Duel Disk benutzen, und das machte es ihm leichter. Aber was sollte morgen werden, wenn sie versuchen wollten, Yugi zu erreichen? Er mischte seine Karten. Eine fiel heraus, und er fing sie gerade noch auf. [Schon wieder der Magier des Schwarzen Chaos. Soll mir das was sagen?] Die Karte kam zurück in den Stapel, und dann konnte es losgehen. Großvater begann. Er spielte sehr auf Verteidigung und nutzte viele Karten, die direkten Schaden verursachten. Sie spielten mehrere Male. Der alte Mann gewann nicht gegen Yami, aber er machte es ihm sehr schwer. Sein Misserfolg machte ihn nicht traurig, sondern stolz auf seinen Enkel... oder dessen anderes Ich. "Du spielst aggressiver als Yugi. Ich schätze, ihr ergänzt euch gut," befand Sugoroku. "Er hat mich ein bisschen gezähmt, denke ich. Wenn er nicht gewesen wäre, hätte ich vielleicht Seto umgebracht... damals im Königreich der Duellanten." Sugoroku hob eine Augenbraue. "Oh, das wäre aber wirklich bedauerlich gewesen." "Findest du?" "Nun, er ist ganz in Ordnung, er hat nur schon früh viel zu hart sein müssen. Wahrscheinlich tust du ihm in dieser Hinsicht sehr gut." Großvater räusperte sich. "Du und Yugi. Ich muss gestehen, dass ich mich noch nicht recht daran gewöhnt habe. Eine männliche Dreierbeziehung, wobei einer ein Geist ist... nichts gegen dich..." "Ich bin froh, dass du uns nicht verdammst." "Nun, das heißt nicht, dass ich es mag, aber was soll ich machen? Seid glücklich miteinander, wenn es das ist, was ihr wollt." Der alte Mann setzte eine Miene übertriebener Nachdenklichkeit auf. "Hmmm, ich frage mich, was Kaiba gerade macht, allein zu Haus..." Yami lief rot an. "Er... unternimmt sicher etwas mit seinem Bruder... Kino oder so." "Ich glaube eher, dass er schon im Bett liegt und sich einen runterholt." "Ack...!" Yami ließ sein Gesicht auf seine auf der Tischplatte liegenden Arme sinken. "Vielleicht auch unter der Dusche," ergänzte Sugoroku. *** Als Yugi in der Dämmerung allein mit dem schwarzen Drachen zurückkehrte, stand Dark bereits da und wartete auf ihn. "Yugi! Wo ist Blacky? Ist was passiert?" Der Junge plumpste etwas ungeschickt von Schattensturms Rücken. "Weißt du denn nicht, wo er hinwollte? Ich dachte, ihr hättet es besprochen." Dark sah ihn entsetzt an. "Er hat dich alleingelassen? Mit einem Drachen?" Yugi nickte. Schattensturm faltete seine Flügel zusammen und legte sich bequem auf den Bauch, während er abwartete, ob er noch gebraucht wurde. "Er hätte dich niemals alleingelassen, wenn er nicht seine eigene Gegenwart für gefährlich gehalten hätte," murmelte Dark. Yugi runzelte verständnislos die Stirn. "Wie meinst du das? Er hat gesagt, er müsse etwas tun, das nicht mehr warten kann. Er dachte vorher, er hätte noch Zeit." "Verdammt! Mava war bei mir. Er meinte, Blacky sei nicht normal. Ich habe es auch gemerkt, aber nicht ernst genommen. Wenn man jemanden liebt, will man es nicht sehen und findet alle möglichen Erklärungen... Yugi, wo ist er hingegangen?" Yugi beschrieb den Berg. So sahen sicher viele Berge aus, er konnte sich nicht vorstellen, dass Dark wusste, von welchem er sprach. Dennoch schien es für ihn Sinn zu machen. "Wenn es der Berg ist, den ich vermute... Dort lebt ein alter Mann, der Gift herstellt. Er hat einen kleineren Drachen als Haustier, den Blacky sich immer ausgeliehen hat, ehe er Schattensturm bekam." "Dann glaubst du, er will sich vergiften?" "Ich fürchte, nein. Er ist dort abgestiegen, damit wir ihn nicht finden, denn er will sich noch einmal den Drachen borgen und woanders hinfliegen. Und ich fürchte, ich weiß, wo er jetzt steckt. Wir müssen zu ihm und ihn aufhalten." Dark drehte sich um, um einen Botenläufer zu finden, doch Mystic war schon da. Sie war für eine Reise gekleidet wie ein Mann. "Mava sagte, es könnte ein Problem mit Blacky geben?" Dark nickte. "Seine Aura war anders, seit wir mit dem Pharao Kontakt hatten. Ich habe das auf die leichte Schulter genommen, weil er sich so normal verhalten hat... naja, abgesehen von den neuen Klamotten und der Ordnung in seinem Zimmer..." Mystic erschrak. "Er hat aufgeräumt? Dann stimmt wirklich etwas nicht." Yugi fühlte sich mies. "Oh Mann, ich hätte ihn aufhalten müssen." Dark legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Es ist nicht deine Schuld. Sag, hat Blacky irgendwas gesagt, das wie ein Abschied klang? Denk genau nach." Das war nicht schwierig. "Er hat mich ganz fest umarmt und gesagt, er müsse etwas tun..." Yugi berichtete schnell so genau wie möglich. Mystic ging zu Schattensturm. Der Drache kannte sie natürlich, weil sie Blackys Schwester war. "Los, kommt! Wir dürfen keine Zeit verlieren! Es wird schon dunkel..." Dark stieg hinter ihr auf und zog dann Yugi hinter sich auf Schattensturms Rücken. "Halt dich gut fest, wir müssen schnell reisen." Yugi wollte fragen, was hier eigentlich los war, doch er hob sich seine Worte für später auf. Offensichtlich war es jetzt wichtiger, zu Blacky zu kommen. Was hatte er wohl Schlimmes vor? Jemanden töten? Ein Unheil heraufbeschwören, wie es seine Großmutter prophezeit hatte? Yugi klammerte sich an Dark fest, und der Drache schoss wieder einmal blitzartig in die Höhe. Er schlug jetzt keine Loopings, sondern sauste zielstrebig in eine bestimmte Richtung, dass der Wind nur so um seine Reiter wirbelte. Die Landschaft unter ihnen war nur schemenhaft zu erkennen, und in der heraufziehenden Dunkelheit sah man sowieso nicht viel. Yugi fand es unheimlich und verstärkte seinen Griff um Darks Körper. Es dauerte fast eine Stunde, ehe der Flug endete. Yugi war vom Wind und der bewegungslosen Haltung schon ganz steif. Doch die beiden Magier drängten ihn zur Eile, und er ließ sich von Dark an der Hand nehmen und durch die Finsternis mitziehen. Erst nach einer Weile konnte er schattenhafte Einzelheiten ausmachen. Am Himmel gab es keinen Mond, aber andere seltsame Lichterscheinungen. Yugi konnte vereinzelt Bäume erkennen, aber sie liefen über festgetretenen, felsigen Boden bergauf, und das ziemlich steil. [Tut mir Leid, Yugi, wir können kein Licht machen,] teilte Dark ihm mit. [Dies ist der heilige Berg des Friedenslicht-Ordens. Wenn ich Magie anwende, werden sie es merken. Sie dürfen uns nicht erwischen. Wir müssen unbedingt bis zum Gipfel gelangen.] [Ah, deshalb können wir nicht zum Gipfel fliegen.] [Drachen würden das ohnehin nicht freiwillig tun. Sie meiden den Berg.] Yugi musste fast rennen, um mit Darks Schrittlänge mitzuhalten. Mystic war irgendwo in der Nähe. Er war bald außer Atem, wagte es aber nicht, sich zu beschweren. Stattdessen versuchte er, noch schneller zu laufen. Nach vielleicht einer Viertelstunde mühsamer Hetzerei bergauf kam hinter einem Felsbrocken, den sie umgingen, der Gipfel in Sicht, leider in weiter Ferne, wie es schien. Ihr Ziel war an einer Prozession von Fackeln erkennbar, die rötlich brannten. Eine große Menschenmenge wanderte den Berg hinauf. Soweit Yugi es erkennen konnte, gingen sie feierlich langsam. Es waren bestimmt hundert Fackeln, und allmählich war Gesang zu hören. Es waren lang gezogene Worte in einer unbekannten Sprache. Sie hatten den Berggipfel fast erreicht, einige gruppierten sich bereits um eine bestimmte Stelle. Ein scharfer, schwefliger Geruch lag jetzt in der Luft. [Ist das ein Vulkan?] [Ein halb aktiver, in dessen Krater immer etwas flüssige Lava ist, ja. Er ist wie ein großer Kochkessel. Die Ordensmitglieder nennen ihn das Auge des Gottes. Wenn der Berg Feuer speit, ist der Gott wütend, und wenn er es nicht tut, haben ihn die Opfer besänftigt.] [Die Opfer?] [Meistens Tiere oder symbolische Gegenstände. Aber manchmal, wenn etwas geschieht, das den Zorn des Gottes anstacheln kann, auch Menschen, um ihn zu beschwichtigen. Wenn jemand krank wird, hält er es oft für ein Zeichen. Er wird entweder mehr beten und um Heilung bitten, oder, wenn es eine schlimme, ansteckende Krankheit ist, sich selbst opfern, um sein Volk vor Schaden zu bewahren. Wenn er das nicht tut und Schaden kommt daraufhin über das Volk, dann wird seine gesamte Familie dafür verantwortlich gemacht und geopfert.] [Ah, das hat Blacky erzählt, er sagte... Dark! Du denkst doch nicht...!] Der Magier verstärkte seinen Griff um Yugis Hand und zog ihn noch schneller gnadenlos hinter sich her. Der Junge klagte nicht darüber, obwohl ihm inzwischen der Schweiß im Gesicht stand. Als sie endlich oben ankamen, hatten die Fackelträger den Gipfel bereits erreicht. Dark nickte Mystic in der Dunkelheit zu. Sie drängte sich in die Reihen der in weiße Gewänder gehüllten Gestalten. Yugi und Dark schlichen zum Rand des großen Kraters, um den sich die Ordensmitglieder im Halbkreis versammelt hatten. Sie hielten sich rechts von ihnen und weit genug entfernt, um nicht gesehen zu werden. Die Leute sangen immer noch ihren seltsamen Gesang. In einem Abstand von drei Metern vom Abgrund entfernt stand niemand mehr. Niemand außer einer hoch gewachsenen Gestalt in einer weißen Robe, die bisher noch eine Kapuze trug. [Das muss Blacky sein! Er will es wirklich tun!] Dark klang panisch. Nur drei Schritte trennten seinen Geliebten vom glühenden Abgrund. [Blacky!] Die Gestalt änderte kaum merklich ihre Haltung. Es war also wirklich Blacky, aber er blickte sich nicht zu ihnen um. Inzwischen kam Unruhe in die Menschenmenge. Mystic sorgte für etwas Ablenkung. "Mutter, Vater! Ich bin es, Mystic!" schrie sie, so laut sie konnte. Ein blauhäutiger Mann mit Vollbart löste sich von seinem Platz ganz rechts vorne, eine Frau von der anderen Seite des Halbkreises. Blacky rührte sich nicht. Die beiden, offenbar Mystics und Blackys Eltern, hielten die Mystische Elfe davon ab, zu ihrem Bruder zu gelangen. "Kind, was tust du? Du darfst das Opferritual nicht stören!" entrüstete sich der Vater. "Mach es uns doch nicht noch schwerer!" flehte die Mutter. Anders als ihr Lebensgefährte sah sie aus, als hätte sie geweint. "Kayos! Komm da weg!" rief Mystic, die beiden ignorierend. Yugi beobachtete von seinem Standpunkt aus, wie Blacky einen tiefen Atemzug machte, aber sich nicht vom Fleck bewegte. [Kayos?] [Das ist Blackys richtiger Name, nur seine Familie nennt ihn so. Und ich manchmal. Die meisten anderen kennen den Namen gar nicht,] erklärte Dark. "Warum soll er sich opfern? Er hat nichts verbrochen!" versuchte Mystic ihre Eltern zu überzeugen. Eine alte Frau trat vor. "Schon seine Geburt war ein Fehler. Der nächste Fehler war, ihn aufwachsen zu lassen. Wir dürfen keinen weiteren begehen! Widersetze dich nicht dem Willen des Gottes, Mädchen!" "Großmutter, wie kannst du behaupten, dass unser Gott es so will? Vielleicht wollte der Gott, dass Kayos ein mächtiger Magier wird!" "Sei still! Er hat selber so entschieden! Wenigstens einer aus eurer Familie ist in dieser Hinsicht vernünftig!" Die restlichen etwa hundert Leute sangen immer noch. Es war jetzt ein monotones Wiederholen einer Textzeile, wie eine Beschwörung. Dann ging die Litanei in ein beständiges Summen über, das ab und zu die Tonhöhe veränderte. Blacky löste einen Verschluss an seinem Hals und ließ die Robe in den Krater schweben. Darunter trug er ein langes, weißes Gewand ohne Ärmel, das am Oberkörper eine Menge Falten warf und um die Hüften von einer Kordel gehalten wurde. Und er hatte einen Kranz aus Blumen und grünen Blättern im Haar. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte Yugi darüber gelacht. Blacky machte einen, zwei Schritte auf den Abgrund zu. "Nein!" Dark konnte nicht länger untätig abwarten. "Kay! Tu's nicht! Verlass mich nicht! Warum willst du das tun? *Kay!!*" Er stürmte auf den anderen Magier zu, doch ehe er ihn erreichen konnte, hatten sich ihm drei Männer in den Weg gestellt, drei weitere packten ihn und zwangen ihn zu Boden. Dark streckte verzweifelt eine Hand aus. "Kayos!" Blacky lächelte ihm traurig zu. Sein Gesicht glühte hellrot im Schein des Lavasees einige Meter unter ihm. Über seine Wangen liefen Tränen des Bedauerns, doch es war ihm durch die Vorschriften des Opferrituals verboten zu sprechen. Er versuchte nicht einmal eine telepathische Botschaft. Yugi starrte entgeistert auf die Szene. Dark setzte keine Magie ein, wahrscheinlich, um niemanden zu verletzen. Vielleicht konnte er es auch gar nicht, diese Leute konnten möglicherweise irgendwelche Banne weben. Noch hatte niemand den Jungen bemerkt. Er war der einzige, der jetzt noch etwas tun konnte. Blacky schien auf etwas zu warten, vielleicht auf ein Signal, um zu springen. Soweit durfte es nicht kommen. Yugi rannte los. Zum ersten Mal war er froh, dass er klein war, denn die Menschen um ihn herum waren fast alle sehr groß und nahmen erst Notiz von ihm, als er sich schon an ihnen vorbeigeschlängelt hatte. Dark rief etwas, das er nicht verstand und ohnehin ignorierte. Er stürzte auf Blacky zu, schlang die Arme um seine Hüften (da kam er gerade so eben dran) und warf sich mit seinem ganzen, geringen Gewicht zurück. Ein Aufschrei fuhr durch die Menge, und für Sekunden war es vollkommen still. Yugi war sich schmerzhaft seines linken Armes bewusst, auf den Blacky gefallen war, aber gebrochen war er wohl nicht. Er ließ den Magier nicht los, und erst mehrere Männer mit vereinten Kräften konnten seinen Griff schließlich lösen. "Wo kommt das Kind her?" begehrte Mystics Vater zu erfahren. "Das ist Yugi, Kayos' Schützling, ein Findelkind," antwortete Mystic schnell. Yugi hielt vorsichtshalber den Mund. Ihm gefiel nicht, wie die zwei Typen, die neben ihm standen, ihn festhielten. Blacky indessen wurde scheinbar vollkommen ignoriert. Er hockte halb aufgerichtet am Boden und wartete ab. "Nun, da er noch ein Kind ist, kann er nicht dafür bestraft werden, dass er das Ritual unterbrochen hat," entschied Mystics Vater. "Der Mann jedoch schon." Sein strenger Blick richtete sich auf Dark, der noch immer von vier Körpern am Boden gehalten wurde. "In welcher Beziehung stehst du zu Kayos?" "Ich liebe ihn mehr als mein Leben!" erklärte Dark. Die Umstehenden begannen zu murmeln. Yugi befürchtete schon, dass sie an einen Ort geraten waren, wo gleichgeschlechtliche Liebe verboten war, andererseits hatte Mava doch gesagt, dass es im ganzen Schattenreich ein unproblematisches Thema war. Nun, Ausnahmen bestätigten ja bekanntlich die Regel. Der bärtige Mann seufzte. "Wir wollen deine Tat als übereilte Reaktion aus Liebe werten. Doch ich muss dich ermahnen: Reiß dich fortan zusammen, sonst muss ich dich öffentlich auspeitschen lassen. Das gleiche gilt für dich, Mystic." "Ja, Vater." "Ich bin Talimecros. Ihr drei seid Gäste in meinem Haus. Folgt Arienne." Die Mutter, Arienne, verneigte sich zur Begrüßung vor Yugi und Dark. "Willkommen. Darf ich deinen Namen erfahren, Sohn? Damit meinte sie Dark. Er war gerührt. Als Blackys Partner hatte sie ihn sofort in ihre Familie aufgenommen, was ihr allerdings einen tadelnden Blick von Talimecros einhandelte. "Ich heiße Dark," stellte der Magier sich schlicht vor. Sie nickte und machte eine einladende Geste bergab. "Kommt. Es ist ein beschwerlicher Weg im Dunkeln, also bleibt dicht bei mir." Sie und ein paar andere Frauen und Männer leuchteten ihnen mit ihren Fackeln. "He, kommt Blacky nicht mit?" fragte Yugi. Arienne hob eine Augenbraue. "Blacky?" "Äh, so nennen wir Kayos immer." Die Frau lächelte nachsichtig. Da sie ihr Haar offen trug, erinnerte sie Yugi sehr an Mystics Abbildung auf der Spielkarte. "Ach so. Du weißt nichts über unsere Bräuche. Er muss bleiben, wo er ist, bis sich diese Nachtstunde wiederholt, also einen Tag lang. Dadurch, dass du ihn berührt hast, wurde sein zuvor rituell gereinigter Körper beschmutzt - symbolisch gesehen natürlich. Es ist ein Vergehen, das Ritual auf diese Art zu stören, und das Opfer muss geläutert werden. Kayos muss hier ausharren, ohne Essen, Trinken oder sonstiges. Er darf nicht sprechen, bis wir ihn abholen nächste Nacht. Dann darf er noch für einen Tag bei seiner Familie sein, gut essen und trinken, und wird sich dann erneut dem Reinigungsritual unterziehen." "Wieso denn? Heißt das etwa, er wird doch noch geopfert?" entsetzte Yugi sich. "Ich muss unbedingt mit ihm reden und erfahren, warum er überhaupt hergekommen ist," beharrte Dark. "Du kannst mit ihm reden, wenn seine Läuterung vorbei ist. Versuch nicht, heimlich zu ihm zu gehen. Auf dieser Familie lastet schon genug Schande." Arienne ging voraus, um weitere Tränen vor ihnen zu verbergen. Dark und Yugi hatten keine andere Wahl, als ihr vorerst zu folgen. Der Pfad war wirklich tückisch, wenn man bergab ging. Sie wussten nicht, wie weit sie sich vom Gipfel entfernt hatten, ehe der Weg nach rechts abzweigte und zu einem Dorf führte. Die Besucher wurden in einem kleinen Extrazimmer in Talimecros' Lehmhütte untergebracht. Es gab einfachste Schlaflager, kaum mehr als eine Decke auf Stroh und eine weitere Decke zum Zudecken. Mystic schlief bei ihrer Mutter. "Haben diese Leute keine gemeinsamen Betten, wenn sie verheiratet sind?" wollte Yugi wissen, da er mitbekam, dass Talimecros ein anderes Zimmer hatte. "Verheiratet? Was ist das?" fragte Dark. Yugi starrte ihn sekundenlang nur an, ehe ihm bewusst wurde, dass nicht alle Kulturen die Ehe hatten. "Das ist da, wo ich herkomme, üblich; man heiratet. Das bedeutet, ein Mann und eine Frau gehen in einer feierlichen Zeremonie einen Bund fürs Leben ein, und sie bekommen nur gemeinsam Kinder, leben zusammen und schlafen im selben Bett. Jeder hat nur einen Partner. Man schwört sich gegenseitig Treue und dass man füreinander da ist. Im Idealfall liebt man einander auch, aber teilweise werden die Hochzeiten von den Eltern organisiert." Dark dachte darüber nach. "Bei uns kann man sich zusammentun und eine Familie gründen, aber man kann sich auch wieder trennen. Es ist nicht so bindend, auch wenn gemeinsame Kinder natürlich bis zu einem gewissen Alter versorgt werden müssen. Doch es gibt keine vorgeschriebene Zeremonie, obwohl manche entsprechende Schwüre ablegen. Das kann man privat oder öffentlich tun." "So. Naja, spielt ja keine Rolle. Was können wir tun? Sie wollen Blacky doch noch opfern, und er wehrt sich nicht einmal dagegen!" "Er kam anscheinend her, um zu sterben. Ich frage mich, warum. Warum will er sterben, und warum kommt er dafür extra hierher? Wieso hat er mir nichts gesagt? Aber jetzt begreife ich, warum er sein Zimmer aufgeräumt hat. Als wollte er es für den neuen Bewohner bereitmachen." Dark ließ sich auf eins der Schlaflager nieder, zog die Knie an und schlang seine Arme darum. "Etwas muss während des Rituals passiert sein, als wir mit dem Pharao Kontakt gesucht haben. Davor war ja alles noch in Ordnung." "Oh... das wäre wahrscheinlich alles nicht passiert, wenn ich..." "Nicht! Gib nicht dir die Schuld! Was immer es war, hat eine Gelegenheit gesehen und zugeschlagen. Wir wurden doch angegriffen. Das steht sicher im Zusammenhang mit Blackys seltsamen Verhalten." "Etwas hat in ihm den Wunsch geweckt, sich umzubringen? Vielleicht, um ihn loszuwerden?" "Ich weiß es nicht. Er wird es mir hoffentlich beantworten können und wollen. Vielleicht kam er hierher, um noch einmal bei seiner Familie zu sein. Oder damit sie davon überzeugt sein können, dass er kein Unheil mehr anrichten wird." Dark seufzte. "Wie auch immer... wir können nichts tun bis nächste Nacht. Ich hasse das. Blacky da oben zu lassen... Aber vorher erhalten wir wohl keine Antworten. Wir müssen uns nach den Bräuchen dieser Leute richten. Lass uns versuchen zu schlafen." Yugi nickte, und er schlief wider erwarten schnell ein. Der eilige Aufstieg hatte ihm wohl doch ganz schön zu schaffen gemacht. *** Fortsetzung folgt Kayos: Blackys richtiger Name wird so ausgesprochen wie das englische Wort "chaos". Also nicht Ka-jos, sondern Key-os. Ich habe ihn nicht von Anfang an so genannt, damit man ihn nicht gleich als Magier des Schwarzen Chaos erkennt. ^^ Sashimi: Roher, kalter Fisch; kann man in Japan in Scheiben geschnitten und schön dekoriert kaufen. Schmeckt eigentlich nur nach der Soße, in die man ihn tunkt. Nicht glitschig, wie man vielleicht denken könnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)