Eden von winterspross ================================================================================ Kapitel 9: Neuf --------------- Neuf ~für Jan~ Es ist still, als er aufhört zu reden, nur die Palmen rauschen im Wind. Ich weiß nicht recht, was ich sagen soll. Was sagt man in so einem Fall? Und wieso glaube ich überhaupt, was ich da höre? Ist es diese Insel, die so aussieht, als wäre sie nur aus wagen Erinnerungen entstanden, diese kleinen ,Fehler', die sich hier überall eingeschlichen haben? Dinge wie die blutroten Steine und der unnatürlich blaue Ozean? "Igraine." Idiot. Wieso sollte er auf den Namen hören? Er weiß doch noch nicht einmal, dass ich ihn in Gedanken so nenne. Trotzdem, er sieht mich eine Zehntelsekunde lang an. Dann wendet er sich ab und geht langsam den Trampelpfad zum Strand entlang. Ab und zu bückt er sich, um etwas Müll aufzusammeln. Er spricht nicht mehr, ich bin knapp davor, zu verzweifeln. Seit dieser verdammten Geschichte hat er keinen Ton mehr von sich gegeben, ganz so, als hätte ihn das Erzählen seine gesamte Kraft gekostet. Es ist anders als damals, als er vom Himmel gefallen ist. Sein Herz ist damals zerbrochen, der Glanz in seinen Augen erloschen. Ich habe alles heil gemacht. Aber jetzt, jetzt gibt es nichts mehr, dass ich heilen kann. Er scheint innerlich tot zu sein. Was soll ich nur tun? Sag du es mir. Hilf mir, diese künstliche Einsamkeit zu ertragen. Sie ist künstlich, weil ich sie gemacht habe. Seine Nähe und diese gottverdammte Stille machen mich verrückt, also halte ich mich von ihm fern und versuche, ohne ihn zu leben. Es gelingt mir mehr schlecht als recht, denn er fehlt mir. Deshalb lege ich mich jede Nacht wieder zu ihm in die Höhle, obwohl ich mir jeden Tag aufs Neue schwöre, es nie wieder zu tun. Ich liege am Strand und starre in den Himmel. Die Sterne sind in völlig widersinnigen Sternbildern angeordnet, die man so sicher auf keiner Sternkarte findet. Ein weiterer Fehler, einer von vielen. Ich habe in den letzten Tagen einige entdeckt. Die ganze Insel ist ein Sammelsurium von Erinnerungsfetzen und Gesprächen, die Igraine aufgeschnappt hat, dessen bin ich mir mittlerweile sicher. Hat er jemals wirklich das Meer gesehen? Hat er jemals richtige Speisen gegessen? Hat er jemals einen Menschen gekannt, der ihn geliebt hat? Mir wird kalt, der Nachtwind hat eingesetzt. Wie still es auf der Insel ist... Ich muss in die Höhle. Der Weg dorthin erscheint mir kilometerlang. Was ist nur mit mir los? Gut, ich breche gerade zum wiederholten Mal mein eigenes Versprechen, Igraine in Ruhe zu lassen. Aber warum kann ich meine Füße jetzt kaum noch heben? Ich fühle mich fast so, als würden Bleigewichte an ihnen hängen. Ich werde panisch, als mir die Beine einknicken. Eine Lähmung auf einer einsamen Insel, das fehlt mir gerade noch. Hysterisch keuchend krieche ich weiter auf den Eingang der Höhle zu. Ich weiß, dass der Kleine mir helfen kann, ich muss ihn nur erreichen. Als ich ihn plötzlich vor mir stehen sehe, zucke ich zusammen. Langsam hebe ich den Kopf. Er hat sich vor mich hingehockt und sieht mich mitleidig an. Dann greift er sich ins Haar und zieht eine der perlendurchsetzten Strähnen heraus. "Willst du wissen, was das ist?" Ich wimmere. Was soll das, wieso spricht er plötzlich wieder mit mir? "Das ist ein Kabel." Er zerrt an der Perlenschnur und wickelt sie um seine Hand. Ich traue meinen Augen nicht. Sie hat kein Ende. Immer länger wird das Knäuel um die Hand des Kleinen, bis er schließlich loslässt und sich das Kabel blitzschnell wieder in ihn zurückzieht. Entsetzt stöhne ich auf. Mittlerweile hat er sich vor mich hingesetzt und meinem Kopf in seinen Schoß gelegt. Zärtlich streicht er durch mein vom Salzwasser und dem ewigen Wind steif gewordenes Haar und murmelt beruhigende Worte. Oder sollte mich erschrecken, was er von sich gibt? "Du bist ein Fehler im System. Ich weiß nicht, wie du es geschafft hast, zu mir zu kommen, aber eigentlich ist das unmöglich..." Ein Fehler im System. Ich? Wie soll ich denn das verstehen? Igraine lächelt, ich weiß und spüre das. Wir sind uns nah und gleichzeitig so fremd, dass es mir fast körperlich wehtut. "Hilf mir... Ich will mich erinnern." Mehr kann ich nicht sagen, ich kann kaum atmen. Irgendetwas nimmt mir die Kraft. Ist es die Insel oder er selbst, der mich schwächt? Weißt du, ich glaube fast, wenn nicht bald ein Wunder geschieht, werde ich ersticken. Seltsam, dass ich in all der Zeit nie einen Gedanken daran verschwendet habe, was wohl passieren könnte, wenn ich krank werde... "Willst du dich wirklich erinnern?" Igraines Mund ist an meinem Ohr, ich spüre seinen Atem. Langsam nicke ich. __ ... Whatever~ spross Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)