Die Marionette - Teil I von Sennyo (Die Zeremonie der Finsternis) ================================================================================ Kapitel 2: Die Todesliste ------------------------- Maria lief und lief. Sie wusste nicht wohin sie lief und es war ihr auch egal. Die Hauptsache war nur, so weit wie möglich von dem Marktplatz weg zu gelangen. Sie war nicht fähig zu verstehen, was soeben passiert war. Ihre Eltern waren tot - ermordet von einer großen Überzahl. Das war kein fairer Kampf gewesen. Aber, war er gerechtfertigt gewesen? Gab es überhaupt etwas, dass einen Mord rechtfertigen konnte? Hatten die Magier nicht genau das getan? Sie hatten ihre Eltern "dreckige Mörder" genannt, und kurz darauf selbst einen Mord begangen. Sie ignorierten ihre eigenen Regeln. Gewiss, ihre Eltern hatten für ihre Taten eine Strafe verdient, aber musste es gleich der Tod sein? Maria wusste es nicht. Vor ein paar Minuten hatte sie erfahren, dass ihre Eltern Mörder waren und kurze Zeit später hatte sie sie verloren, weil eine Gruppe voller aufgebrachter Magier sie angegriffen hatten. Warum waren ihre Eltern überhaupt so verhasst gewesen, dass so viele ihren Tod wollten? Was war passiert an all den Tagen, an denen Maria scheinbar endloslange Stunden darauf gewartet hatte, dass ihre Eltern nach Hause kamen? Hatten sie auch an jenen Tagen gemordet? Das sie dazu in der Lage gewesen wären, hatten sie ja nur allzu deutlich unter Beweis gestellt. Doch Maria konnte das ganze Ausmaß von dem, was ihre Eltern getan haben, gar nicht erkennen. Viel zu gering war ihr Wissen darüber. War sie also wirklich die Richtige, um ein Urteil zu fällen? Maria wusste nicht, was sie fühlen sollte. Trauer über den Verlust der Eltern? Hass auf die Magier, die an ihrem Tod Schuld waren? Oder Verachtung und Schrecken über das Handeln ihrer Eltern? Während sie sich mit all den Fragen quälte, auf die sie doch keine Antwort bekommen sollte, kam sie an den Rand eines riesigen Waldes. Es war der Wald des Schreckens! In ihrer Verzweiflung war Maria auf kürzestem Weg nach Hause gelaufen. Sicheren Schrittes suchte sie sich den Weg zwischen den Bäumen hindurch. Es gab wohl niemanden, der sich in diesem Wald besser auskannte als sie, jetzt wo ihre Eltern nicht mehr lebten. Mitten im Wald blieb Maria plötzlich stehen, schob mit ihrem Fuß etwas Laub beiseite und öffnete die darunter zum Vorschein gekommene Falltür. Sie sprang hinein, schloss sie von innen und macht sich auf den Weg, den dunklen Gang entlang, bis sie in die vertraute Höhle ihrer Eltern kam. Hier war sie zuhause, doch das Leben an diesem Ort, würde nie wieder so sein, wie es einmal war. Nun war dies ihre Höhle. Ihre Eltern waren tot, sie war allein. Immer noch geschockt über das Horrorszenario, das sich auf dem Marktplatz abgespielt hatte, setzte sich Maria an einen großen Tisch. Sie versuchte einen klaren Kopf zu bekommen und sich erst einmal wieder zu beruhigen. Dieser Tag war der Schrecklichste gewesen, den sie je erlebt hatte. Sie hatte nun niemanden mehr auf dieser Welt. Was sollte sie jetzt tun? Warum mussten ihre Eltern sterben? Und warum wollten die Magier auch sie töten? Sie grübelte lange vor sich hin, fand aber keine Antwort. Dann endlich übermannte sie die Trauer. Sie sackte auf dem Stuhl zusammen und fing an zu weinen. Sie weinte lange. Unzählige Tränen flossen über ihr hübsches Gesicht. Warum musste das alles geschehen sein, welchen Sinn hatte es gehabt? Warum hatte man ihr die beiden einzigen Menschen genommen, die sie auf der Welt gehabt hatte? Wie konnte ein so großer Hass entstanden sein, dass das Leben der anderen nichts mehr wert war? Maria verstand es nicht. Sie verstand weder ihre Eltern noch die Magier. Was war vorgefallen, das jemanden so tief sinken ließ? Wie konnte es nur so weit gekommen sein? Maria packte die Wut. Sie stand auf und fegte mit ihrem Arm alles vom Tisch. Klirrend fiel ein längliches, rundes Glasgefäß, das einer Vase ähnelte, auf den Boden und zerbrach. Maria, noch immer mit Tränen in den Augen, bückte sich, um die Bescherung wegzuräumen, als ihr auffiel, das eine kleine Schriftrolle auf dem Gefäß gefallen war. Sofort war ihre Neugier geweckt. Was war so geheim, dass ihre Eltern es versteckten? Schnell rollte sie das Pergament auseinander und begann zu lesen. 13. Juni 1991 : Holly Daggens ist tot. Sie starb innerhalb von zwei Minuten an den Folgen eines leichten Giftpulvers. 27. August 1991 : Robin Müller ist dem Erstickungspulver erlegen. 14. Oktober 1991 : Die achtköpfige Familie Teressy hatte im Wald des Schreckens einen tödlichen Unfall. 27. Oktober 1991 : Ein weiteres Mal hat das Giftpulver Wirkung gezeigt. Tisha und Ben McNeal sind tot. 31. Oktober 1991 : Peter Hilma hat einen tödlichen Halloween-Schock bekommen. 25. Dezember 1991 : Familie Reinbach hat das diesjährige Weihnachtsfest nicht überlebt. Maria hielt sich vor Schreck den Mund zu um nicht laut aufzuschreien. Mit zittrigen Händen umklammerte sie die Rolle. Den Rest des Textes überflog sie nur noch. 17. Februar 1992 : Tim Wender stirbt ...... 29. April 1992 : Amy Pellmann und Brian Steward ertrinken ...... 16. September 1992 : Danny o'Konna und seine drei Schwestern Lucy, Mira und Jelly schlucken Todespulver ...... 4. Dezember 1992 : Fatima Guna, Kerstin Allmacher und Fredericke Krega überleben den Todesfluch nicht ..... 15. März 1993 : Gina und Karsten Hängemann erliegen hochkonzentriertem Schlangengift ..... 26. Mai 1993 : ? Maria konnte nicht glauben was sie vor sich liegen hatte. Das war eine Liste von all den Menschen, die in den letzten zwei Jahren verschwunden waren. Ihre Leichen hatte man nie gefunden, aber diese Schriftrolle war der Beweis, dass sie tot waren. Sie waren alle Opfer desselben Ehepaares geworden, Sarah und Ian Zantos, Marias Eltern. Der Liste nach zu urteilen betrug die Zahl der Opfer knapp zweihundert Magier, aber Maria wusste nicht, ob das auch wirklich alle waren. Möglicherweise waren nicht alle Opfer in diese Liste eingetragen worden. Aber das interessierte Maria jetzt nicht. Sie hatte sogar vergessen zu atmen. Ihre Eltern hatten all die unschuldigen Menschen getötet, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Diese Erkenntnis traf Maria wie der Schlag. Wie war es nur möglich gewesen, dass sie von all dem nichts erfahren hatte? Jetzt wusste sie, warum die Magier soviel Angst vor ihren Eltern gehabt und weshalb sie sie so sehr gehasst hatten, dass sie ihnen sogar den Tod gewünscht hatten. Aber warum wollten sie auch sie töten? Glaubten sie etwa, sie würde genauso gewissenlos handeln? Ja, dass musste der Grund sein. Sie hatten Angst. Sie wollten kein Risiko eingehen. Schließlich hatten die Zantos ihre Tochter auch ausgebildet. Jetzt kannte Maria den Grund, warum sie so viel Wert darauf gelegt hatten, dass sie auch mit der Schwarzen Magie vertraut war. Von wegen zur Verteidigung! Sie sollte damit selbst irgendwann einmal angreifen! Dieser Gedanke war widerlich. Wie konnten ihre Eltern nur glauben, dass sie so etwas tun würde? Je mehr Maria darüber nachdachte, umso schlechter wurde ihr. Sie empfand keine Trauer mehr, sie empfand nur noch Abscheu. Sie ergriff das Pergament, rollte es zusammen und wollte es gerade in ein großes, hölzernes Regal legen, als ihr auffiel, dass noch eine Schriftrolle auf dem Boden lag. Auch sie musste aus dem Glasgefäß gefallen sein. Doch dieses Mal wollte Maria nicht wissen, was darauf stand. Eine Schriftrolle ihrer Eltern gelesen zu haben, war schon schlimm genug gewesen, auf eine Zweite konnte sie gut und gerne verzichten. Sie hob sie widerwillig vom Boden auf und legte sie, zusammen mit der Todesliste in das Regal. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)