See der Träume von abgemeldet ================================================================================ Prolog: -------- So, ich will nicht lange quatschen. also, genießt die Story einfach... Wenn ich so zurückblicke auf mein Leben, dann kann ich sagen, dass ich vieles erreicht habe. Ich habe einen wundervollen Ehemann gefunden und mit ihm eine liebevolle Familie gegründet. Dies liegt nun ungefähr 50 Jahre zurück und doch erinnere ich mich noch an jede einzelne wunderbare Minute. Wenn ich so zurücksehe dann kann ich mich glücklich schätzen so ein Leben gehabt zu haben. Es gibt Menschen, die mit Schrecken zurückdenken, aber so einer bin ich nicht und so einer wollte ich auch nie sein. Doch so war mein Leben nicht immer. Im Rückblick auf meine Jugend muss ich sagen, dass ich ein richtiger Wildfang war. Meine Eltern waren oft am Verzweifeln mit mir. Sie waren die besten Menschen, die man sich nur vorstellen kann. Meine Mutter war Angestellte in einem Supermarkt in Maryland und mein Vater der mutigste Inspekteur, den man sich nur vorstellen konnte. Jeder in dem kleinen Dorf war glücklich mit ihnen befreundet zu sein. Sie hatten immer einen Rat und viel Verständnis für die Probleme der Einzelnen. Tja, so habe ich sie in Erinnerung seit ich mit 18 Jahren nach New York ging. Das Leben in einem Dorf wurde mir einfach zu langweilig und ich wollte endlich einmal in die große, weite Welt. Es hat meiner Mutter das Herz gebrochen, dass ich soweit von zu Hause fortging, aber ich konnte nicht anderst. Nachdem mich mein damaliger Freund verlassen hatte und ich meinen Schulabschluss geschafft habe, wusste ich, dass die Zeit für meine Reise gekommen ist. Sicher, die ersten paar Monate sind schwer gewesen. Mit großer Mühe habe ich eine Wohnung gefunden, die ich mir mit meinem Ersparten leisten konnte. Der Vermieter war zwar ein richtig schleimiger Kerl, aber bevor ich auf der Straße saß, war ich bereit Kompromisse im Leben einzugehen. Meine Wohnung ist nicht sehr groß gewesen. Die Räume waren klein und einige Male sah man auch Ungeziefer herumkrabbeln. Manchmal konnte ich einfach nicht glauben, dass ich mein schönes Zimmer im Haus meiner Eltern aufgegeben habe um stattdessen in so einer schäbigen Bude zu leben. Aber ich wollte auch unabhängig sein, dass ist auch der Grund gewesen, warum ich keine Hilfe von ihnen angenommen habe. Ich war erwachsen und wollte fähig sein für mich selber zu sorgen. Da ich aber eine Wohnung hatte, musste ich mir auch einen Job suchen. Anfangs arbeitete ich in einer kleinen Bar "The Nightdream" und meine Bezahlung war Recht gut. Die Kunden gaben gerne Trinkgelder her. Ich schätze aber, dass es zum Teil mit meinem Erscheinungsbild zu tun hatte. Mit 18 Jahren war mein Haar noch blond gelockt und passte hervorragend zu meinen meerblauen Augen. Meine schlanke Figur und meine weiblichen Rundungen haben schon viele Männer zu Schweißausbrüchen gebracht. Der Boss achtete immer darauf, dass seine "Häschen", wie er uns gerne bezeichnete, immer einen Minirock mit einer weitausgeschnittenen Bluse und dazu hohe und unbequeme Stöckelschuhe trugen. Sie schmerzten bei jedem Schritt, aber das einzige positive daran war, dass sie meine langen Beine betonten. Dies ist wahrscheinlich der Grund gewesen, warum ich in der Bar öfters mit Sprüchen wie "Süße, wann hast du denn Feierabend" oder "Kann man dich auch für zu Hause mieten?" zu leben hatte. Mit der Zeit sparte ich Geld um mir eine Finanzierung für eine Tanzschule zu leisten. Mein größter Wunsch, schon seit ich einem im Fernsehen eine Aufführung von Balletttänzern gesehen habe, war, so zu sein wie sie. Meine Eltern konnten es nie verstehen, dennoch ließen sie mich davon träumen. Mit 23 Jahren hatte ich dann meine ersten Übungsstunden. Obwohl ich hart an meiner Kondition und meiner Beweglichkeit üben musste, schaffte ich es zwei Jahre später meine erste Rolle in einer Tanzaufführung zu bekommen. Meine Mutter hatte am Abend der Prämiere Tränen in den Augen und auch mein Vater konnte nur so vor Stolz strahlen. Das war ein schönes Gefühl und das Glück stand immer auf meiner Seite, bis zum heutigen Tag........ Claire wurde unsanft durch das Läuten ihres Weckers aus den Träumen gerissen. "Verflucht, warum muss dieses Ding gerade jetzt mich wecken?" Obwohl sie die Antwort auf die Frage bereits wusste, bevor sie zu Ende gesprochen hatte, konnte sie es sich nicht verkneifen es laut auszusprechen. Es war gerade mal 6:30 Uhr auf ihrer Uhr, jedoch musste sie schon früh anfangen, da sie sich auf eine wichtige Rolle vorbereiten sollte. Ihrem Manager hatte Claire es zu verdanken endlich eine Hauptrolle bekommen zu haben, deshalb wollte sie ja ihren Trainingsplan einhalten. Also stand sie auf und ging in die Küche um sich einen Kaffee zu machen. Am Weg dorthin kam sie an ihren Spiegel vorbei und das Bild, das sie sah, machte ihr bewusst, dass sie wohl einen unruhigen Traum gehabt haben muss. Claire kam zu dem Entschluss, dass ein Kaffee ihre Welt gleich viel besser aussehen lassen würde. Sie nahm einen großen Schluck und als ihre Zunge die Flüssigkeit berührte, schrie sie vor Schrecken auf. "Verdammt ist das heiß. Warum passiert das gerade mir?" Da sie keine Zeit hatte über diese Frage nachzudenken, beschloss Claire sich für das Training herzurichten. Ihr erster Termin heute war schon für 7:30 Uhr angesetzt und so wie sie sich kannte, brauchte sie noch so einige Zeit im Badezimmer. Zwanzig Minuten vor diesem Termin hatte sie endlich eine Dusche hinter sich und suchte ihren Body und die Leggins, die sie sonst immer zum Tanzen trug. Ihre Locken hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden und auch eine dünne Make-Upschicht in ihrem Gesicht verteilt. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie wiedermal zu spät dran war. Hastig eilte Claire die Treppe hinunter und wäre beinahe ausgerutscht, wenn sie sich nicht am Geländer festgehalten hätte. Sie hörte noch wie in ihrer Wohnung das Telefon klingelte, doch sie hatte keine Zeit um noch einmal kehrt zu machen. Wie so jeden Morgen nahm sie ein Taxi, nur leider waren die Straßen bereits um diese Uhrzeit voll von ihnen, weil etliche Menschen in die Arbeit fuhren. Zu ihrem Glück war das Theater, in das sie musste, nicht weit entfernt, dennoch kam sie um 10 Minuten zu spät. Der Regisseure wartete bereits voller Ungeduld auf sie. Er war ein Mann Anfang der 50-iger, aber dennoch ein Könner seines Faches und wohlbekannt. Das einzige, was er nicht leiden konnte, war Unpünktlichkeit. "Sie sind zu spät dran, Claire. Wir waren schon vor 10 Minuten verabredet. Denken sie, dass sie es sich leisten können zu spät zu kommen, nur weil sie die Hauptrolle haben? Es gibt genug andere die sie gerne hätten und pünktlich erscheinen würden." Bevor sie auch nur etwas darauf erwidern konnte, schickte er sie umziehen. So ein aufgeblasener Schnösel, dachte sie sich. Den sollte mal einer ganz schön seine Meinung sagen. "Andere hätten gerne diese Rolle" äffte sie ihn nach. So schnell Claire konnte schlüpfte sie in ihre Leggins und zog darüber ihren Body an. Nach einem letzten Blick in den Spiegel entschied sie, dass sie bereit wäre und ihm ihr Talent zu zeigen. "Der wird sich noch wundern." "Sei doch nicht so wütend, das steht dir nicht." Erschrocken fuhr sie herum und sah Tim, die männliche Hauptrolle und guter Kollege von ihr, hinter sich stehen. In ihrer Wut hatte sie nicht bemerkt, wie er in den Umkleideraum gekommen war. Da sie ihm aber den Schrecken nicht anmerken lassen wollte, drehte sie sich um und blickte ihm in die Augen. "Ist doch wahr, oder etwa nicht? Irgendjemand sollte ihm von seinem hohen Ross hinunter holen." "Wir müssen jetzt anfangen. Komm schon, tanz für mich." Gemeinsam gingen sie auf die Bühne und begannen die Tänze für die Aufführung einzustudieren. Mit der Zeit verrauchte auch ihre Wut, während sie gemeinsam mit Tim sich bewegte. Wie wild fegten beide über die Bühne und gaben ihr bestes. Der Schweiß war ihnen beiden anzusehen, aber Profitänzer mussten dies nun einmal durchhalten, wenn so ein sklaventreiberischer Regisseure ihnen zu sah. Schließlich erlaubte er ihnen eine kurze Pause einzulegen und die beiden Tänzer gingen erschöpft aber glücklich zurück in die Garderobe, wo man bereits Getränke für sie hingestellt hatte. "Du warst echt klasse, Claire. Man könnte meinen, du bist für das Tanzen geboren." "Danke, du machst mich ja ganz verlegen. Du warst übrigens auch nicht so schlecht." "Danke. Sag, hättest du nicht Lust mit mir heute abend etwas essen zu gehen?" "Du lädst mich ein?" "Ja. Wir kennen uns jetzt schon einige Zeit und ich finde wir sollten einmal gemeinsam ausgehen." "So findest du. Nun ja, wir sind Kollegen und deshalb sollten wir keine Dates haben." "Es ist ja kein Date. Betrachte es als ein geschäftliches Treffen. Wir nehmen vorher eine kleine Stärkung und dann können wir in deine oder in meine Wohnung gehen und wir Tanzen ein bisschen." Bei diesen Worten setzte Tim ein freches Grinsen auf und Claire sah die Lust in seinen Augen aufleuchten. Als er dann auch noch seine Aussage bekräftigte in dem er sie dicht an sich zog und sich leicht mit ihr bewegte, stockte ihr Atem. Dieser Mann hatte sie schon immer fasziniert, jedoch nie in ihrem Träumen dachte sie, dass er sie einladen würde und nun hatte sie die Chance. Es war nicht Liebe, was sie für ihn empfand, es war pures Verlangen was sie fühlte, wenn sie ihn sah. Gerade als sie zusagen wollte, wurde sie ans Telefon gerufen. Ungern wollte Claire aus dieser Umarmung, aber sie hatte keine Wahl, da man ihr mitteilte, der Anruf wäre sehr wichtig. Leicht genervt nahm sie den Hörer ab. "Hier Claire. Wer will mich sprechen?" Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine männliche Stimme. "Ähm... ich weiß nicht ob du dich noch an mich erinnern kannst. Ich bin Ryan Winter. Ich war einmal dein Nachbar in Maryland." Da sie sich nur wage an ihn erinnern konnte, fuhr sie fort. "Was willst du von mir?" "Ich rufe aus einem bestimmten Grund an. Deine Eltern hatten einen Autounfall und liegen beide im Krankenhaus. Ich glaube du solltest kommen, da es ziemlich ernst um sie steht." Sofort verwarf sie ihre Pläne für ein romantisches Abendessen mit Tim und beschloss so schnell sie konnte zu ihren Eltern zu fahren. Zurück in das Dorf, dass sie seit 5 Jahren vermieden hatte. "Okay, ich komme sofort." Kapitel1 -------- so, hier ist der zweite teil...viel spaß damit :) Nie hätte Claire gedacht, dass sie wieder nach Maryland zurückkommen würde, da sich dort einiges ereignet hatte, dass sie nicht einmal ihren Eltern erzählt hatte. Der Schmerz und der Scharm saßen noch immer in ihren Knochen, als sie die Grenzen des Dorfes erreichten. In all den Jahren hatte sie geschafft diese zu vergessen, doch nun musste sie sich zwingen, da es um ihre Eltern ging, sie zu ertragen. Gleich nachdem sie den Anruf mit der schrecklichen Nachricht erhalten hatte, schnappte sie sich ihre Sachen und machte sie sich auf den Weg. Der Regisseure hatte kein Mitleid mit ihr und schmiss Claire aus der Aufführung hinaus und auch Tim machte ein beleidigendes Gesicht als sie so einfach ging. Konnte denn keiner verstehen das es um Leben und Tod ging? Wieso waren sie so herzlos? Doch diese Gedanken verschwanden wieder, als sie vor dem kleinen Krankenhaus in Maryland anhielt. Claire hatte ein wenig angst auf die Nachricht, die sie darin erwarten könnte, doch sie musste hinein. Von einer Krankenschwester erfuhr sie, dass ihre Eltern auf der Intensivstation liegen. Sofort ging sie zum Aufzug und fuhr in den 3. Stock. Da sie aber nicht genau wusste wo sie hinmüsse, sprach sie den nächsten Arzt an, der ihr entgegenkam. Leider hatte dieser gerade seinen Dienst angetreten und wusste noch nichts über diese Patienten, was Claire wütend machte. "Sie sind doch Arzt. Wo sind meine Eltern?" Bevor der angesprochene etwas sagen konnte, kam ein Mann auf sie zu und sprach sie an. "Claire, sind Sie es?" Fast sprachlos sah sie den Mann an. "Kennen wir uns?" "Ich habe Sie angerufen. Mein Name ist Ryan Winter." "Ah Sie sind es. Wissen Sie vielleicht wo meine Eltern sind." Sein erzwungenes Lächeln wurde nun zu schmalen Lippen. "Ja, folgen Sie mir bitte." Wortlos gingen sie einen Gang entlang. Vor einer Türe blieben sie stehen. "Ihrem Vater geht es schon besser. Er wird durchkommen." "Und was ist mit meiner Mutter?" Als sie ihm in die Augen sah, bemerkte sie, dass diese glänzten. "Es geht ihr nicht gut. Sie sollten mit ihrem zuständigen Arzt sprechen. Da drüben kommt er." Ohne zu zögern ging sie zu diesem hin. "Hallo. Mein Name ist Claire McLain. Wie geht es meinen Eltern?" Bemitleidenswert blickte er ihr in die Augen. "Wenn ich ehrlich sein soll, nicht gut. Ihr Vater kommt zwar durch, aber er wird nicht mehr so sein wie früher. Sein Gehirn wurde schwer beschädigt bei dem Unfall. Deshalb wird er wahrscheinlich nicht mehr gehen können und vielleicht auch nicht mehr sprechen, aber das werden wir erst sehen." "Und..und wie geht es meiner Mutter?" "Sie hat sehr viel Blut verloren. Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen, so leid es mir für sie tut." "Oh mein Gott. Das darf doch nicht wahr sein. Wie lange wird sie denn noch ungefähr leben?" "Schwer zu sagen. Einige Tage, Stunden, vielleicht sogar nur ein paar Minuten. Man kann es nicht sagen. Wenn sie wollen, dann können sie zu ihr hinein. Sie ist allerdings nicht bei Bewusstsein. Sie müssen jetzt stark sein. Entschuldigen Sie mich bitte." Wäre Ryan nicht hinter ihr gestanden, dann wäre sie jetzt schmerzvoll auf dem Boden gefallen, weil ihre Beine plötzlich nachgaben. "Weinen Sie ruhig, wenn sie wollen. Es braucht ihnen nicht peinlich zu sein." "Nein, ich muss mich zusammenreißen. Helfen Sie mir bitte zu meiner Mutter." Er hob sie in seinen starken Armen hoch, obwohl ihr das unangenehm war, doch sie hatte nicht die Kraft zu protestieren. Am Krankenbett setzte Ryan Claire auf einen Sessel und sie berührte die Hand ihrer Mutter. "Hörst du mich? Bitte mach die Augen auf, ich bin es, deine Claire. Mam, wach auf. Bitte!" Ryan beobachtete die Szene und fing beinahe an seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen und zu weinen. Aber er nahm sich vor stark zu sein, wenn es auch Claire war. Immer wieder hörte er ihr Flehen, doch ihre Mutter bewegte sich nicht. So vergingen einige Minuten. Doch plötzlich wie durch ein Wunder öffnete diese ihre Augen. "Mam, du bist aufgewacht. Ich liebe dich so." Obwohl sie sehr schwach war und das Reden ihr sehr schwer fiel, lächelte diese. "Claire, mein Engel. Schön dich wieder zu sehen. Ich liebe dich auch. Kümmere dich um deinen Vater, bitte. Versprichst du es mir?" Claire konnte nur nicken. Ihre Stimme hätte versagt, wenn sie ihr versucht hätte zu antworten. "Danke, ich werde immer bei euch sein." Nach diesen Worten schloss sie ihre Augen und hörte auf zu atmen. In Panik schrie Claire Ryan an. "Holen Sie einen Arzt, schnell!" Dieser tat wie ihm geraten und stürmte los auf der Suche nach einem Arzt. Als endlich einer erschien, konnte er nur noch den Tod ihrer Mutter feststellen. Nun war ein Punkt angelangt an dem Claire ihre Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Unschlüssig was er machen sollte, nahm Ryan sie in den Arm und spürte ihre heißen Tränen auf seiner Brust. "Weinen Sie ruhig. Es wird ihnen danach viel besser gehen." So standen sie eine Weile da, bis sie sich ein bisschen beruhigte. "Bringen Sie mich bitte zu meinem Vater." "Der Arzt meinte aber, dass ich Sie nach Hause bringen sollte. Man hat uns nämlich verboten zu Ihrem Vater hineinzugehen." "Warum? Geht es ihm schlechter?" "Nein, es ist nur eine Vorsichtsmaßnahme. Wenn sie wollen bringe ich sie ins Haus ihrer Eltern und Sie ruhen sich dort aus. Ich werde bei Ihnen bleiben und falls sich etwas am Zustand ihres Vaters ändert, sollen die Ärzte anrufen." Obwohl sich Claire gegen diesen Vorschlag sträubte, brachte er sie doch von dem Krankenhaus weg. Die Fahrt dauerte vom Krankenhaus in das Elternhaus eine halbe Stunde. In Claires Augen war das eine von den längsten Zeiten in ihrem Leben. Sie fuhren vorbei an bekannten Häusern, Feldern und Wiesen, doch darauf achtete sie nicht. Immer wieder musste sie an das Bild im Krankenhaus denken. Das warme Lächeln, das ihr ihre Mutter noch gezeigt hatte, und daraufhin starb. Die wichtigste Frau in ihrem Leben hatte sie einfach alleine gelassen. Noch immer konnte Claire es nicht fassen. Ryan parkte seinen Wagen und half ihr auszusteigen. Nach all den Jahren bin ich also wieder hier, dachte Claire. So viele Erinnerungen waren mit einem Mal in ihrem Kopf. Die ganzen Guten, aber auch welche, an die sie sich nie wieder erinnern wollte. Diese waren kurz vor ihrem Schulabschluss passiert, während ihre Eltern nicht daheim waren. Keine Menschenseele wusste etwas davon, nur sie und noch jemand. "Claire, hören Sie mich?" Wie von weit hörte sie Ryans Stimme und wurde aus ihren Gedanken gerissen. "Mir geht es gut, danke." Seinen Augen blickten sie eindringlich an und er kam zu dem Entschluss, dass es wohl stimmte. Gemeinsam standen sie einige Minuten und beobachteten das wunderschöne und stille Bild, was sich ihnen zeigte. Die Sonne war bereits am untergehen und spiegelte sich in dem kleinen See, der vor dem Haus war. Der Wind wehte in den Bäumen, das war ein Zeichen, dass es in der Nacht stürmisch werden könnte. Claire spürte eine neue Böe und sie begann zu frösteln. Ryan hatte diese bemerkt und führte sie deshalb zu dem Haus. Auf der Veranda blieb sie noch einmal stehen und sah auf den ruhigen See. Hier war sie oft mit ihren Eltern oder Freunden gewesen. Es ist eine schöne Zeit gewesen, bis zu einem gewissen Tag. Als Ryan Claire berührte, schreckte sie leicht aus ihren Erinnerungen, aber sie wollte sich dies nicht anmerken lassen. Doch er hatte es gesehen. Schon zum zweiten Mal seid sie hier angekommen sind, war sie einfach so in ihren Gedanken versunken. Was hatte das wohl zu bedeuten? Da aber gerade ihre Mutter gestorben war, wollte Ryan nicht nachfragen. Wie überall in Maryland war auch diese Türe mit dem selbstgemachten Willkommensschild von Marge McLain nicht abgeschlossen. Claire konnte es noch nie glauben, dass alle ein großes Vertrauen ineinander haben. Für sie stand immer fest das eine Türe verschlossen gehört. Das Haus war ordentlich aufgeräumt und nach Claires Ansicht wirkte es, wie in einem Spielfilm. Im Wohnzimmer lag auf dem Lieblingssessel ihrer Mutter eine Zeitschrift mit dem Titel "Mirror" und daneben ihr Strickzeug. Claire berührte es sanft mit ihren Fingern und wünschte sich, dass ihre Mutter doch nur hier wäre und alles ein böser Traum gewesen wäre. Doch das war es nicht. Schließlich führte ihr Blick zum Kamin hinüber. Dies war der Platz an dem sie im Winter oft mit ihren Eltern gesessen ist und zusammen Äpfel gebraten hatten. Ihre damalige Katze Tiger, weil ihr Fell rötlich war, hat daraufhin immer versucht diese zu erwischen und selber zu verzehren. "Ja, so wird es nie wieder sein", sprach Claire ihm Flüsterton und spürte wie ihre Füße nachließen. In Zeitlupe sank sie zu Boden und sie kauerte sich wie ein kleines Kätzchen zusammen, wobei ihre aber Tränen über die Wange liefen. Ryan stand die ganze Zeit in der Türe und beobachte Claire. Seine Kehle war ausgetrocknet. "Ich würde ihr so gerne irgendwie helfen, oder etwas tröstendes sagen, aber mir fällt nichts ein. Was soll ich nur machen?", fragte er sich im Gedanken immer wieder. Noch nie war er in so einer Situation gewesen und sogleich auch hilflos. Sein Atem stockte und er hatte das Gefühl, als ob ihm jeden Moment das Herz stehen blieb. Nachdem Claire zusammengekauert am Boden saß, ging Ryan zu ihr und versuchte sie in den Arm zu nehmen. Beide blieben in der Position einige Minuten lang und genossen die Anwesenheit des jeweils anderen. In der Ferne hörten sie einen Hund bellen. Ryan war der erste, der sich wieder rührte. "Wollen Sie einen Kaffee haben?" Mit einem Nicken teilte sie ihm ihre Antwort mit und er ging schweigend in die Küche. Alles war hier auf seinem Platz. In einer Vitrine standen schön sortiert die Tassen, die damals ein Hochzeitgeschenk an das frischverheiratete Paar waren. Marge McLaine hatte sie immer in Ehren gehalten, weil sie und ihr Mann es von ihrer Freundin bekommen haben, die kurze Zeit nach der Hochzeit an Leukämie gestorben war. Oft hatte Ryan Marge vor dem Herd stehen gesehen, wenn er mit seinen Freunden auf dem Fahrrad vorbeigefahren ist. Es duftete immer nach Zimt und ihren berühmten Plätzchen. "Manchmal hat sie uns dann hineingerufen und welche angeboten. Sie schmeckten genauso gut, wie sie rochen. Wie gerne würde ich jetzt Plätzchen haben.", dachte er, als Claire den Raum betrat. "Kann ich Ihnen helfen?" Ihre Augen waren rot unterlaufen und sie wirkte wie ein kleines, zerbrechliches Mädchen. "Nein, brauchen Sie nicht. Ruhen Sie sich im Wohnzimmer aus. Ich werde Ihnen dann den Kaffee bringen." Dankend sah Claire Ryan an. "Okay." Als Ryan kurze Zeit später zu ihr kam, lag Claire auf dem kleinen, schmalen Sofa. Sie hatte eine Hand unter ihrem Kopf und schien zu schlafen. Eine Haarsträhne hing über ihr Gesicht und die Sonne schien sie auf der Nase zu kitzeln. Ryan stellte die zwei Tassen auf den fast antik wirkenden Tisch und betrachtete sie einige Zeit. Seit sie vor einigen Jahren aus Maryland weggegangen war, hatte sie sich kaum verändert, nur ihr Körper glich jetzt mehr dem einer Frau. Sie war wunderschön in seinen Augen, schon seit sie gemeinsam zur Schule gegangen waren. Er bedauerte, dass sie aus der Stadt gezogen war. Noch nie war er in jemanden so verliebt gewesen, wie in sie, doch Claire würdigte ihn keines Blickes. Im Gegensatz zu früher hatte er sich sehr verändert. Er ist schwach und dünn gewesen, nun war er stark und muskulös. >Die viele Arbeit als Holzfäller hatte sich bezahlt gemacht<, dachte er sich. >Ob sie mir vielleicht jetzt eine Chance geben würde? Wahrscheinlich in Anbetracht ihrer Familientragödie wird sie es nicht tun, aber eines Tages?< Eine Bewegung in seinen Augenwinkeln riss ihn aus seinen Gedanken. Cleo, die momentane Katze des Hauses kam ins Zimmer. Marge hatte sie damals verletzt auf der Straße aufgefunden. Der Tierarzt konnte das Tier retten, aber es gab nirgends ein Zuhause für die Katze, sodass sie ins Haus der McLaines kam. Ihr graues Fell glänzte in hereinfallendem Sonnenlicht. Leise erhob sich Ryan und ging auf das Tier zu. Die Katze zeigt keine Anzeichen von Furcht, sondern sah ihn mit ihren gelben Augen durchdringend an. Ryan kniete sich nieder und begann ihr das samtweiche Fell zu kraulen. Zufrieden lies sie nur ein lautes Schnurren von sich hören. Ryan bemerkte nicht, dass Claire langsam die Augen aufschlug und ihm liebevoll zusah. "Sie können anscheinend liebevoll mit Tieren umgehen." Leicht erschrocken drehte sich Ryan zu ihr um. "Eigentlich nicht, aber Cleo kennt mich schon länger." Claire hatte sich in der Zwischenzeit aufgesetzt und nach ihrer Tasse Kaffee gegriffen. Ryan setzte sich ihr gegenüber in einen Stuhl und tat es ihr gleich. Nachdem beide einen Schluck getrunken hatten, blickte Claire ihn durchdringend an. "Sie kennen sich hier anscheinend sehr gut aus. Wie kommt das?" "Naja, ich wollte es Ihnen vorhin nicht sagen, aber ich wohne hier." "Sie wohnen hier? Warum?" "Es sollten nur einige Wochen sein. Mein Haus ist vor 14 Tagen abgebrannt und Ihre Eltern waren so freundlich mich hier leben zu lassen in der Zwischenzeit. Wenn es Sie stört, dass kann ich mir auch ein Hotelzimmer nehmen." "Bleiben Sie ruhig." Claire trank noch einen Schluck Kaffee, bevor sie weitersprach. "Hat der Arzt sich schon gemeldet?" "Tut mir leid, nein. Aber ich bin sicher, es geht Ihrem Vater schon besser." Sofort bemerkte er wieder den traurigen Gesichtsausdruck auf ihrem wunderschönen Gesicht. Es schien, als ob ihr die schrecklichen Ereignisse der vergangenen Stunden wieder eingefallen sind. Ryan versuchte ihr Trost zu spenden, trotzdem verspürte er einen Stich in seinem Herzen. "Ich kann das mit Ihren Eltern noch immer nicht begreifen. Sie waren so gute und nette Menschen. Wieso gerade sie? Ich verstehe es einfach nicht." Claire sah ihn an und er erkannte einen Glanz in ihren Augen. "Ich frage mich es die ganze Zeit." Bevor sie weitersprach, stand sie auf und ging zu den Bildern an der Wand hin. Beim Betrachten dieser musste sie schmunzeln. Das eine zeigte eine Theateraufführung aus ihrer High- School- Zeit, wie sie sich gerade verbeugte. Damals hatte sie die Rolle der Julia in Shakespeares "Romeo und Julia" gespielt. Ihre Mutter war so stolz auf sie, dass sie nach der Aufführung gemeinsam ein Eis essen waren. "Es war mein größter Wunsch einmal die Julia zu spielen. Durch dich wurde er wahr." Diesen Satz sagte die Stimme ihrer Mutter hinter Claires Stirn. Erneut stiegen Tränen in ihren Augen auf und sie sah zum nächsten Foto. Während ihrer Erinnerung bemerkte sie nicht, wie Ryan hinter sie trat und die Bilder ebenfalls musterte. "An die Theateraufführung kann ich mich noch erinnern. Ich habe damals auch mitgespielt. Leider reichte mein Talent nur für die Rolle von dem alten Capulet. Ich gebe zu, dass Bobby Smith sicher ein besserer Romeo als ich war, trotzdem war ich eifersüchtig auf ihn. Alle Mädchen haben sich in ihn danach verliebt." >Wie wahr<, dachte sich Claire. "Mir ist es genauso ergangen. Er ist ein wunderbarer Schauspieler und Herzensbrecher gewesen. Mich würde interessieren was er heute für einen Job hat." "Naja, Bobby hatte sehr viel Talent, aber es reichte anscheinend nicht aus. Kurz nachdem du weggezogen warst, wollte auch er aus Maryland entkommen, aber bereits nach einigen Monaten kam er zurück. Seine Eltern sagen immer noch, das Gott und die Welt an seinem Scheitern schuldig waren. Seine damalige Freundin hatte ihn dann schließlich auch verlassen. Armer Kerl. Kein Geld, kein Job und keine Freundin. Er hat mir richtig leid getan." "Wie geht es ihm jetzt?" "Tja, durch den Einfluss seiner Eltern hat er eine Stelle als Sekretär im Rathaus bekommen. So weit ich gehört habe, verdient Bobby auch gut. Das einzige was ihm noch fehlt, ist eine Frau." Claire hatte ihm die ganze Zeit zugehört, während sie die restlichen Bilder betrachtete. Danach drehte sie sich um und setzte sich wieder auf das Sofa. Nach einem letzten Schluck war die Tasse leer und sie lehnte sich zurück. Cleo kam wieder ins Zimmer und sprang neben sie. Vorsichtig rollte sie sich neben Claire ein und schloss die gelben Augen. Mit der Rückseite ihrer Hand strichelte sie das Tier. "Sagen Sie, was für einen Job haben Sie, Ryan?" Bevor er antwortete, ging er zum Fenster und sah hinaus. "Was ich arbeite? Nun, im Ort besitze ich ein Gasthaus. Vielleicht können Sie sich noch an das "Lake Inn" erinnern. Früher gehörte es meinen Eltern, aber diese sind vor drei Jahren gestorben. Mein Vater erlitt einen Herzanfall und meine Mutter starb an gebrochenem Herzen. Früher habe ich als Holzfäller gearbeitet, bevor ich das Inn übernahm. Wenn Sie wollen, können wir dort einmal hinfahren." Claire blickte ihn begeistert an. "Das würde ich gerne einmal machen. Früher war ich mit meinen Freundinnen dort. Das waren noch schöne Zeiten." "Sie sind jetzt als Tänzerin tätig, soweit es mir ihre Mutter erzählt hat. Sind Sie deshalb von hier weggezogen?" Bevor sie antwortete, schwieg sie einen Moment. Ryan bemerkte es, wollte aber nicht genauer nachfragen. "Nun, es war ein Grund von vielen. Schon als kleines Kind wollte ich eine berühmte Tänzerin werden. Meine Eltern traf es schwer, als ich Maryland verlassen wollte, aber ich musste hier fort. Ich kann es Ihnen nicht genauer erklären, bitte verzeihen Sie mir." "Schon in Ordnung. Sie sprechen nicht gerne über die Vergangenheit. Habe ich Recht?" Claire sah ihn schockiert an. Sie kannten einander nicht gut, warum sollte sie sich dann über die Gründe für ihre "Flucht" aus dem kleinen Dorf rechtfertigen. Leichte Wut stieg in ihrem Inneren auf und Ryan konnte es in ihren Augen sehen. Die Traurigkeit war in den Hintergrund gerückt und an deren Stelle machte sich ein Funkeln bemerkbar. Gerade als er noch etwas sagen konnte, läutete zu seinem Glück das Telefon. Claire sprang auf und nahm den Hörer ab. Ein flaues Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus. Der Arzt sprach zu ihr in einer ruhigen und besänftigenden Stimme. "Mrs. McLain, ich habe Ihnen eine schreckliche Nachricht zu überbringen. Es tut mir leid, aber es kam bei Ihrem Vater zu Komplikationen. Wir haben jetzt bemerkt, dass er schlimmer verletzt ist, als wir vermutet haben. Eine weitere Untersuchung hat ergeben, dass er innere Blutungen hat. Vielleicht sollten Sie noch einmal ins Krankenhaus fahren und Ihrem Vater vor dem Tod sehen. Wir können leider nichts mehr für ihn tun. Mrs. McLain? Sind Sie noch am Apparat?" Claire stand die ganze Zeit schwer atmend am Telefon. Als sie von der schrecklichen Nachricht hörte, verließen sie alle Kräfte. Plötzlich wurde alles um Claire herum schwarz. Von weitem erkannte sie Ryans Stimme, die ihren Namen rief. Dann nichts mehr. Als Claire die Augen wieder öffnete, spürte sie zwei starke Arme um ihren Körper. Benommen versuchte sie einen kläglichen Versuch sich wieder zu befreien, doch Ryan war stärker. "Geht es Ihnen wieder gut?" Mit besorgtem Blick sah er sie an. Mitleid, Trost und Verständnis erkannte Claire in seinem Gesicht. "Es geht schon wieder. Lassen Sie mich bitte los." Zögernd erfüllte er ihren Wunsch. Ryan vergewisserte sich noch, ob sie ohne seine Hilfe auf den Beinen stehen konnte und entschied, dass sie es schaffte. Obwohl sie noch immer blass im Gesicht war, erklang ihre Stimme fest und kalt. "Ich muss sofort ins Krankenhaus, Ryan. Seien Sie bitte so nett und fahren Sie mich hin. Alleine schaffe ich es nicht." Diese Bitte war ein bitteres Einsehen. Immer war sie froh gewesen alles alleine zu bewältigen, aber momentan fehlte ihr jede Kraft. Mit einem Nicken schob Ryan Claire zu der Türe uns nahm die Autoschlüssel, die er beim Eintreten auf eine Kommode gelegt hatte. Wiedermal an diesem Tag kam Claire die Autofahrt ewig vor. Mittlerweile war es finster und es hatte leicht zu Regnen begonnen. Sofort ging fuhr sie im Krankenhaus auf die Intensivstation und fand den diensthabenden Arzt wieder. Er hatte bereits auf sie gewartet. "Miss McLain. Ich muss mit Ihnen sprechen. Würden Sie bitte zu mir in mein Büro kommen?" Ryan stand ein bisschen abseits und beschloss den beiden nicht zu folgen. Er würde noch früh genug erfahren, was passiert war. Der Arzt führte sie in ein kleines, aber schick eingerichtetes Zimmer und machte eine einladende Geste auf einen Stuhl vor sich. "Bitte setzten Sie sich doch." Claire befolgte es und sah ihn an. "Es tut mir leid, es Ihnen zu sagen, aber ihr Vater ist vor einer viertel Stunde gestorben. Wie haben alles versucht, aber unsere Bemühungen waren leider umsonst. Ihr Vater hat tapfer bis zum Schluss versucht zu kämpfen." Claires Stimme versagte nun gänzlich. Ihre einzige Familie war bei nur einem Autounfall gestorben. Jetzt stand sie alleine in der Welt. Was würde nun geschehen? Alleine und elternlos? Heiße Tränen flossen aus ihren Augen über ihre Wange. Sie fühlte sich wie eine seelenlose Puppe in einem schlechten Horrorfilm. Nicht einmal der Person, die sie am wenigsten leiden konnte, hätte sie so eine Situation gewünscht. Was sollte sie nur machen? "Miss McLain? Hören Sie mich? Kommen Sie wieder zu sich." Als Claire nach einigen Minuten noch immer nicht reagierte, ging der Arzt Ryan holen. Sofort kam dieser auf sie zu und kniete sich vor sie nieder. Mit leiser und ruhiger Stimme sprach er auf sie ein. "Claire? Kommen Sie wieder zurück zu mir. Bitte." Mit starrem Blick sah sie noch immer auf ihn herab. Ihre Stimme überschlug sich beim Sprechen. "Ich bin alleine. Niemand ist bei mir. Alle sind tot. Ich bin so alleine." "Nein Claire, dass sind Sie nicht. Ich bin hier und brauche Sie. Sie müssen jetzt stark sein." "Ich muss stark sein? Ja, das muss ich. Ryan, Sie haben Recht." In ihren Augen erschien wieder Leben und blickten ihn dankend an. Ein leichtes Lächeln deutete sich auf seinem Mund an und er nahm sie in die Arme. "Sie werden es schaffen. Ich werde Ihnen helfen. Verlassen Sie sich darauf." Am nächsten Morgen erwachte Claire erst sehr spät. Mit einem bitteren Geschmack im Mund dachte sie an den letzten Tag. Ryan hatte wie versprochen ihr geholfen und die ganzen Formulare ausgefüllt, während sie zusammengesunken daneben gesessen war. Auf der Heimfahrt sprachen sie nicht miteinander und gleich nach dem Aussteigen aus dem Wagen ging Claire in ihr altes Zimmer, um sich niederzulegen. Sie hatte gehofft, dass es ihr am nächsten Morgen besser gehen würde, aber das tat es nicht. >Ich bin alleine und niemand wird mir helfen. Ich muss stark sein< überlegte Claire, doch plötzlich fiel es ihr wieder ein. Sie war nicht alleine. Ryan würde weiterhin bei ihr sein, aber, was wusste sie schon von ihm. An ihre Jugend konnte sie sich noch erinnern, aber nicht an ihn. Konnte sie ihm denn vertrauen? >Wirst du schon können Claire. Das hat er doch gestern schon bewiesen<, schallte sie sich selber. Durch ein Klopfen an der Türe wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Kurz darauf erschien auch Ryans Gesicht durch einen Türspalt. "Guten Morgen Claire. Wie geht es Ihnen heute?" "Naja, auf jeden Fall ein bisschen besser als gestern. Ich möchte mich für Ihre Hilfe bedanken." "Das freut mich für Sie. Ich werde jetzt Kaffee für Sie machen. Kommen Sie dann einfach hinunter." Nachdem Ryan aus dem Zimmer verschwunden war, stand Claire auf. Erst jetzt fiel ihr auf, dass ihr die Decke im Schlaf heruntergerutscht war und jetzt am Boden lag. Als ihr das bewusst wurde, färbten sich ihre Wangen rot. >Reiß dich zusammen Claire! Du bist eine erwachsene Frau und hast weitaus größere Probleme als deine nackten Füße. Eine schöne Dusche wird mich sicher gut tun.< Sofort ging sie ins Badezimmer und wusch sich. Währenddessen stand Ryan in der Küche und machte Kaffee. >Wieso bringen ihre langen Beine mein Blut nur so in Wallungen? Ich bin hier um ihr zu helfen und was mache ich Trottel? Ich betrachte ihre wohlgeformten Beine. Die Arme hat gestern ihre Eltern verloren. Ich muss mich dringend zusammenreißen.< Als Ryan aufsah, stand Claire in der Türe. Der Duft von frischer Seife und Shampoo breitete sich im Zimmer aus. "Hier Ihr Kaffe ist fertig. Ich hoffe nur, dass er Ihnen schmeckt." Vorsichtig reichte er ihr die heiße Tasse und für einen kurzen Moment berührten sich ihre Finger. Schnell zog Ryan sie wieder zu sich und hackte seine Daumen in seiner Hose ein. "Haben Sie schon überlegt, wie es weitergehen soll?" Claire nahm einen großen Schluck aus ihrer Tasse und sah ihn an. Darüber hatte sie wirklich noch nicht nachgedacht. Würde sie ihre Karriere als Tänzerin aufgeben und hier bleiben oder würde sie es übers Herz bringen, ihr Elternhaus zu verkaufen? "Nein habe ich noch nicht. Die nächsten Tage und vielleicht Wochen werde ich hier bleiben und mich um alles kümmern. Die ganze Arbeit verrichtet sich nicht von selber. Ich werde mich am besten so schnell wie möglich mit der Bestattung beschäftigen. Dann werde ich weitersehen. Ich kann es noch immer nicht glauben." Gedankenverloren sahen sich beide einen kurzen Moment an. Der Gedanke an das Begräbnis hinterließ bei beiden eine Schauer zurück. Sowohl Claire als auch Ryan tranken schweigend ihren Kaffee. Wie sollte es nun weitergehen? Claire nahm einen letzten Schluck und im selben Moment bemerkte sie, wie Ryan sie betrachtete. "Was ist? Habe ich etwas in den Zähnen?" Sie war irritiert durch seine offene Geste, dennoch versuchte sie so normal wie möglich zu klingen. Über ihre Worte schmunzeln, schüttelte Ryan seinen Kopf. "Nein haben Sie nicht. Es tut mir auch leid, aber ich musste gerade daran denken, wie Sie damals..." Jetzt wurde Claire neugierig. "Wie ich damals was?" Doch ihre Frage blieb unbeantwortet, da Ryan sie mit seiner Hand abwinkte. Stirnrunzelnd sah sie ihn noch einen Moment an, drehte sich dann allerdings um und stellte ihre Tasse in die Spüle. Als sie gerade den Wasserhahn aufdrehen wollte, kam Ryan auf sie zu. "Ruhen Sie sich noch aus. Ich werde das für Sie erledigen." "Vielen Dank, aber ich weiß, wie das geht. Sie müssen mich jetzt nicht die ganze Zeit bedienen." Sichtlich beleidigt von seinem Angebot hielt sie ihre Tasse untern den kalten Wasserstrahl und begann sie auszuspülen. Jetzt lächelte Ryan und hob resignierend die Hände. "Okay, okay. Wie wäre es dann, wenn Sie abwaschen und ich trockne die Tassen dann ab?" Claire wunderte sich über die Hartnäckigkeit des anderen, stimmte jedoch ein. Nachdem sie fertig waren, ging jeder auf sein Zimmer, da es noch genug zu erledigen gab. Die Sonne schien sehr stark und erwärmte die Erde und die Pflanzen. Claire zog tief die erfrischende Luft ein und streckte sich. Als sie vorhin in ihrem Zimmer aus dem Fenster gesehen hatte, hatte sie spontan beschlossen eine Runde zu Joggen. Die Bewegung würde ihr gut tun und sie ein wenig von ihrer Trauer ablenken. Also zog sie sich ein paar schwarzer Leggins an und ein graues Top darüber. Mit einem zufriedenen Blick in den Spiegel verließ sie das Haus und begann mit ihrem Lauf. Früher war sie immer durch den Wald gelaufen und hatte gemeinsam mit ihrem Vater öfters diese Strecke erkundet. Es roch nach Tannennadeln und frischem Holz. Obwohl Claire auch immer in der Stadt einige Runden im Park gelaufen war, konnte man dies mit dem hier nicht vergleichen. Wie wunderbar ruhig es hier war. Keiner würde sie stören und ihr den Weg versperren. Hier konnte sie frei sein und in ihren Gedanken versinken. Die Welt um sich herum begann zu schrumpfen und Claire konzentrierte sich nur an das, was vor ihr lag. Irgendwo im Geäst knackte es und sie fuhr erschrocken zusammen. Als sie sich umblickte, entdeckte Claire ein kleines Eichhörnchen, dass neugierig von seinem Baum herunter gesprungen war. Erleichternd aufatmend, schallte sie sich selber, für ihr Zusammenzucken. >Oh Mann, Claire! Es ist doch nur ein Eichhörnchen. Hier passiert dir schon nichts.< Als sie weiterlief, erreichte sie eine Lichtung. Obwohl Claire schon früher diesen Weg desöfteren gelaufen war, konnte sie sich an diese nicht mehr erinnern. Für einen kurzen Moment ließ sie sich in das Gras nieder und ruhte sich aus. Ihr Blick schweifte zum Himmel und sie beobachtete, wie zwei Vögel an einer Baumspitze miteinander sangen. >Es ist einfach wunderschön hier. Wenn ich gewusst hätte, wie schön hier alles ist, wäre ich vielleicht früher mal wieder zurück gekommen. Ich hätte mit meiner Mutter gemeinsam den Garten führen können und mit meinem Vater lange Waldspatziergänge machen können. Vielleicht wären wir an dieser Lichtung vorbeigekommen.< In ihren Gedanken stellte sie sich ihren Vater vor, wie er neben ihr im Gras sitzen würde und seinen alten Strohhut tief ins Gesicht ziehen würde. Dieses Bild hatte er oft bei diversen Spaziergängen abgegeben. Die Erinnerung ließ wieder Tränen in ihre Augen steigen. Nie wieder würde sie ihn leibhaftig vor sich sehen und nie wieder würde sie ihre Mutter bei der Pflege ihrer geliebten Rosen zusehen können. In der Entfernung hörte sie plötzlich ein Donnern. Mit dem Rand des Tops wischte sie sich die Tränen weg und stand auf. Dabei klopfte Claire sich einige Grasbüschel von ihren Leggins und atmete noch einmal tief ein. Man konnte schon den Regen riechen und ein heftiger Wind stieg langsam auf. Schließlich machte sie kehrt und lief zurück in die Richtung aus der sie gekommen war. Da Claire einen ausgeprägten Orientierungssinn hatte, fand sie ohne Probleme wieder zurück nach Hause. Zu ihrer Überraschung fand sie Ryan im hinteren Teil des Gartens stehen und Holz hacken. Als er sie sah, winkte er ihr zu und schwank ein weiteres Mal die Axt. Es war ein eindrucksvolles Bild, das sich Claire bot. Er trug kein Hemd, sodass seine muskulösen Arme zur Geltung kamen, und die aufziehenden, grauen Wolken im Hintergrund bildeten einen starken Kontrast zu seinen dunkelblonden Haaren. Wie gebannt starrte Claire einen Moment lang auf den Mann vor sich. Nachdem sie sich aus ihrer Starre gelöst hatte, ging sie auf Ryan zu. "Was machen Sie hier?" Ihre Stimme hörte sich krächzend an. Schnell räusperte sie sich und wartete auf eine Antwort. Mit einer Hand wischte er sich den Schweiß von der Stirne. "Ich sorge dafür, dass wir Feuerholz für den Kamin haben. Ich wollte es noch vor dem Regen schaffen." Ryan warf einen Blick zu den Wolken und lachte. "Wie ich sehe gerade noch rechtzeitig. Helfen Sie mir mal." Er drückte ihr zwei Holzscheite in die Hand und nahm sich selber sieben auf die Hand. Schnell trugen sie das Holz ins Haus. Drinnen war es ein wenig wärmer, dennoch trat Claire noch einmal auf die Terrasse hinaus. Der Himmel hatte sich verfinstert und schon konnte man die ersten Regentropfen fallen sehen. Als schließlich auch die ersten Blitze zu sehen waren, schlang sie ihre Arme um ihren Körper. Sie mochte Gewitter. Schon als kleines Kind war sie ganz versessen darauf gewesen. Ohne, dass sie es merkte, trat Ryan hinter sie. Mit einer Hand lehnte er sich gegen den Pfosten, der das Dach festhielt und zog die nach frischem Regen riechende Luft ein. "Einfach herrlich. Finden Sie nicht auch? Das letzte Mal hatte es vor einer Ewigkeit geregnet." Mit einer kleinen Enttäuschung stellte Claire fest, dass er sein Hemd wieder an hatte. Nach einem kurzen Seufzer, blickte sie auf den See hinaus, wo sich die Regentropfen wie Nadeln hineinbohrten. "Ja das ist es. Ich liebe dieses Wetter. Früher stand ich immer mit meinem Vater genau an der Stelle, an der Sie stehen." Für einige Zeit hörten sie nur das Prasseln des Regens. Verstohlen musterte Ryan Claire. Sie wirkte so zerbrechlich und schwach, dennoch wirkte sie sehr gefasst, obwohl sie erst ihre Eltern verloren hatte. Er schätzte diese Härte an ihr, da er mit Tränen nicht umgehen konnte. Außerdem, fand er, sah sie mit einem Lächeln viel bezaubernder aus. "Die beiden fehlen mir sehr. Bob und Marge waren so nett zu mir. Wenn ich den Fahrer des andern Autos in die Hände bekomme, dann kann er sich auf etwas gefasst machen. Wie kann man nur Fahrerflucht begehen?" Die Frage war rhetorisch gemeint, dennoch schreckte Claire hoch. "Fahrerflucht? Ich dachte, dass es ein Unfall war. Was ist wirklich geschehen?" Ryans Blick glitt in die Ferne und er schwieg kurz. "Ein Zeuge hat beobachtet, dass ihre Eltern von einem Wagen geschliffen wurden und sie deshalb gegen einen Baum gefahren waren. Das feige Schwein ist abgehauen und hat die beiden einfach verwundet am Straßenrand alleine gelassen. Man konnte nicht genau erkennen, um wen es sich in dem Auto handelte, aber es soll ein junger Mann gewesen sein. Wahrscheinlich war er nicht von hier, denn wer würde Bob und Marge einfach verletzt zurücklassen?" Wütend über seine Hilflosigkeit wandte sich Ryan ab. Claire hingegen war entsetzt und musste erst das Gehörte verarbeiten. >Meine Eltern wurden von der Straße gedrängt? Aber warum und wer würde so etwas zu Stande bringen?< Eine eisige Kälte breitete sich in ihr aus und sie fröstelte. Wie in einem Nebel ging sie ins Haus und ließ sich neben dem Kamin nieder, in dem schon ein Feuer brannte. Ryan dürfte es entfacht haben, bevor er zu ihr hinaus getreten war. Obwohl es im Zimmer warm war, zitterte Claire noch immer. Cleo streckte sich neben ihr aus und die Nähe des Tieres tröstete Claire. Wenigstens einer, dem sie immer vertrauen konnte. Mit der Zeit wurde es wärmer und auch Ryan kam hinein. Als er Claire so in Gedanken sitzen sah, begann er sich Sorgen zu machen. Es schien ihr nicht gut zu gehen, obwohl sie sich von außen her stark gab. Dennoch stand ihr die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben. Was wäre, wenn sie plötzlich zusammen brechen würde? Was sollte er dann tun? Ryan hatte keinerlei Erfahrungen, wie er andere trösten konnte. Vor einigen Jahren hatte er das selbe durchgemacht, als man ihm die Nachricht von dem Tod seines Vaters und Wochen später das Ableben seiner Mutter mitgeteilt hatte. Den Schmerz, den Claire fühlte, war ihm nur zu sehr vertraut. Die Leere, die man fühlte, wenn einem bewusst wird, das man ab heute niemanden mehr hat, auf den man sich hundertprozentig verlassen konnte und der einem liebt. Er musste auf jeden Fall Claire so gut es ging zu unterstützen. "Claire?" Seine Stimme war ein Flüstern neben dem Knacksen des Feuers und dem Aufprall der Regentropfen auf dem Fenster. Claire schreckte aus ihrer Trance auf. Zum wiederholten Male hatte sie sich wieder in ihre eigene Welt zurückgezogen. Peinlich berührt von ihrem Auftreten senkte sie den Blick auf den Boden. Dabei fiel ihr Erst jetzt auf, dass sie noch ihre verschwitzte Leggins anhatte. Sie erklärte kurz, dass sie sich duschen würde und ging anschließend hinauf in den ersten Stock. Ryan sah ihr wachsam und vorsichtig nach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)