Mitternacht von Chi_desu (Sasu/Naru) ================================================================================ Kapitel 5: Brüder ----------------- Entgeistert starrte Sasuke das Kind an. Seine Mutter wirkte begeistert, er hingegen war wirklich geschockt. Es hätte ihn vielleicht nicht überraschen sollen, immerhin waren er und Itachi die einzigen Söhne des Oberhaupts gewesen, trotzdem war diese Nachricht für ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Der Junge sah ihm so ähnlich, dass es fast schon erschreckend war. Stumm sah er zu, wie seine Mutter sich neben dem Kind hinkniete und fröhlich sagte: "Kiyoshi, das ist dein großer Bruder Sasuke." Die Brüder, die sich heute zum ersten Mal begegneten, starrten einander misstrauisch an. Unter anderen Umständen hätte Sasuke der finstere Blick des Kindes amüsiert, aber im Moment war ihm nicht nach Lachen zumute. Das alles war ein bisschen viel auf einmal für ihn. Zuerst die ganzen bekannten Gesichter, dann seine Mutter, die er so vermisst hatte, und nun hatte er auf einmal einen kleinen Bruder? Seine Mutter schien seine Verunsicherung diesmal nicht zu bemerken. Sie führte Kiyoshi zu ihm und sagte zu dem Kind: "Willst du deinem großen Bruder nicht mal hallo sagen?" Der Junge verzog das Gesicht und sagte dann: "Hallo, du." "Hallo", murmelte Sasuke. Der Junge starrte seine Mutter fragend an, so als wollte er sagen "Und was soll ich jetzt mit dem anfangen?". Sie streichelte ihm über den Kopf und sagte: "Schon gut, geh wieder in dein Zimmer. Ich mache dir gleich Frühstück." Artig nickte Kiyoshi und verschwand aus dem Raum. Sasuke blickte seine Mutter an. "Ich habe einen kleinen Bruder...", murmelte er fassungslos. "Er wird bald fünf." "Fünf Jahre... und ich treffe ihn heute das erste mal..." Es schmerzte, mehr als er zugeben wollte. Er war immer glücklich gewesen bei Itachi, aber nun wurde ihm erst richtig bewusst, was ihm in den Jahren alles entgangen war. Er wünschte sich aus tiefstem Herzen, dieser kleine Junge würde zu ihm aufschauen und ihn lieben, so wie er Itachi geliebt hatte. Stattdessen war er ein Fremder für das Kind. Seine Mutter kam zu ihm an den Tisch. "Mach dir keine Gedanken. Er wird dich ganz schnell ins Herz schließen, da bin ich mir sicher. Er ist noch etwas schüchtern, aber er hat mir immer aufmerksam zugehört wenn ich ihm von seinem großen Bruder erzählt habe." "Er hat aber zwei große Brüder", sagte Sasuke. Ihr Lächeln verschwand. "Ja ich weiß. Aber ich bin froh, dass du alleine gekommen bist. Es wäre schlimm genug für uns gewesen, wenn nur Itachi uns verlassen hätte. Aber dass er dich mitgenommen hat... das kann ich ihm niemals verzeihen." "Er hat mich zu nichts gezwungen. Er hat mich gefragt, ob ich mitkommen will, und ich habe Ja gesagt." "Und warum? Warum wolltest du weg von zu Hause?" Es tat ihm weh, sie so traurig zu sehen. Er hatte nie daran gedacht, wie sehr sein Verschwinden sie verletzt haben musste. "Das wollte ich gar nicht. Ich wollte nur bei Itachi sein. Ich hab ihn damals abgöttisch geliebt." Sie nickte, obwohl er ihr ansah, dass sie ihn nicht wirklich verstehen wollte. "Und wo ist Itachi jetzt?" "Er ist nicht mitgekommen, er wollte das Dorf nicht betreten." Sie nahm seine Hand. "Wie geht es ihm?" Diese simple Frage gab Sasuke etwas Hoffnung. Auch wenn sie gesagt hatte, sie könnte Itachi nicht verzeihen, machte sie sich doch Sorgen um ihn. "Es geht ihm gut." Vorsichtig drückte er ihre Hand. "Es war schön, bei ihm. Ich war wirklich glücklich. Es tut mir so leid, dass du dir Sorgen machen musstest." "Und nun? Wirst du bei uns bleiben oder gehst du zu ihm zurück?" Unsicher wich er ihrem Blick aus. "Ich... weiß es nicht. Ich muss herausfinden, wo ich hingehöre. Und ihr... wollt ihr mich überhaupt hier haben?" "Aber natürlich! Ich..." Sie konnte den Satz nicht mehr beenden, denn in dem Moment wurde die Haustür geöffnet. Überrascht sah Sasuke den Mann an, der ins Zimmer kam. Es war sein Vater. Fugaku Uchiha blickte seinen Sohn lange an, bevor er sprach. "Also ist es wahr. Du bist wieder da... Sasuke." "Tou-sama..." Die förmliche Anrede kam ihm über die Lippen, ohne dass er es wollte. Sein Vater hatte noch immer eine erhabene Aura, er flößte Sasuke nach wie vor Respekt ein. Es wurde still im Raum und Sasuke konnte den Blick seines Vaters überhaupt nicht deuten. Auf einmal hatte er einen Kloß im Hals, hatte Angst, sein Vater würde ihn einfach rauswerfen. Aber dann sagte Fugaku: "Willkommen zu Hause, mein Sohn." Zwischen ihnen herrschte vom ersten Moment an wieder die kühle Distanz, die Sasuke nie so ganz verstanden hatte, trotzdem atmete er erleichtert auf. "Danke." Sein Vater kam zu ihm an den Tisch und musterte ihn. "Mein Sohn. Ich habe so viele Fragen an dich. Aber ich habe keine Zeit und du siehst müde aus. Vielleicht ruhst du dich erst etwas aus, und wir reden heute Abend." "Gerne." Er neigte höflich den Kopf. Das kannte er noch aus seiner Kindheit. Seinem Vater war die Arbeit immer über alles gegangen. Das einzige, was noch vorher kam, war der Clan. Wie auch immer seine Prioritäten angeordnet waren, seine Kinder kamen erst viel später. Aber inzwischen nahm er es seinem Vater nicht mehr übel. Als er aufstand, ergriff seine Mutter das Wort. "Komm, du solltest dich wirklich hinlegen. Ich mache dir nachher was zu essen." Unter dem scharfen Blick seines Vaters ging er rüber in den Flur, gefolgt von seiner Mutter. Automatisch steuerte er sein Zimmer an und bevor seine Mutter etwas sagen konnte, öffnete er die Tür. Der Anblick seines Zimmers verschlug ihm die Sprache. Das war nicht mehr sein Zimmer. Seine ganzen Sachen waren einfach... weg. Stattdessen lagen da jetzt die Spielsachen eines Kindes, vermischt mit den falschen Shuriken und Kunai, die man schon den vierjährigen zum Üben in die Hand drückte. Und mitten im Raum saß Kiyoshi, der gerade mit irgendwas spielte, und starrte Sasuke aus großen Augen an. "W-was...?", stammelte Sasuke. "Tut mir leid...", sagte seine Mutter. "Das ist jetzt Kiyoshi's Zimmer. Hätten wir gewusst, dass du zurückkommst... Aber du kannst in Itachi's Zimmer schlafen." Wie betäubt ließ er sich von ihr ins Nebenzimmer führen. Und auch hier war die Veränderung radikal. Itachi's Zimmer war immer spartanisch eingerichtet gewesen, aber nun waren wirklich all seine persönlichen Dinge verschwunden. Der Raum war nun nicht mehr als ein Gästezimmer. Schwer ließ er sich auf das Bett sinken und hörte kaum, wie seine Mutter sagte: "Wenn du irgendwas brauchst, ruf einfach nach mir. Ich besorge dir in der Zwischenzeit was zum Anziehen. Und gib Bescheid, wenn du Hunger hast." Dann schloss sich die Tür und er war allein. Diesmal war Sasuke wirklich erschüttert. Wo hatten sie seine und Itachi's Sachen hingeräumt? Es war natürlich dumm von ihm gewesen, zu glauben, dass sie sein Zimmer so belassen hätten, wie er es verlassen hatte, trotzdem tat es unsäglich weh. Dieses Zimmer war leer. Es war so, als hätte Itachi nie existiert. Ja, es war fast so, als hätte man die Erinnerung an Itachi und ihn völlig aus diesem Haus verbannt. Als ob es uns nie gegeben hätte... Wie er es seinem Vater versprochen hatte, führte Sasuke am Abend mit ihm eine lange Unterhaltung. Noch einmal erzählte er alles von Anfang an und beantwortete mit wachsender Abneigung die bohrenden Fragen. Sein Vater kommentierte seine Schilderungen nicht, er fragte einfach wieder und wieder nach, bis er mit den Antworten zufrieden schien. Sasuke bemühte sich, so wenig wie möglich zu lügen. Gegen Ende des Gespräches fragte sein Vater ihn: "Und was hast du nun vor? Möchtest du deine Ausbildung als Shinobi fortsetzen?" Verwundert hatte Sasuke geantwortet: "Geht das denn? Ich... ich denke schon, dass ich das will, ja." "Ich nehme stark an, dass Itachi dich trainiert hat. Ich spreche mit Tsunade und sorge dafür, dass so bald wie möglich jemand deine Fähigkeiten überprüft und dich einstuft, damit du deine Ausbildung hier fortsetzen kannst. Immerhin bist du ein Uchiha." Irgendwas störte Sasuke an diesem Satz, aber er wusste nicht einmal, was es war. Es war sicher nicht schlecht, von den hiesigen Lehrern zu lernen. Vielleicht konnten sie ihm ja etwas beibringen, das er von Itachi noch nicht gelernt hatte? Obwohl er daran seine Zweifel hatte. Das Gespräch war vorbei und sein Vater saß nun brütend auf den Boden und starrte auf seine Tasse Tee. Sasuke entschuldigte sich und zog sich zurück in Itachis Zimmer, wobei er wieder fast in das falsche Zimmer geplatzt wäre. Seine Mutter hatte ihm inzwischen Kleidung besorgt, Hosen in etwa in seiner Größe und eine Menge Hemden mit dem Uchiha Emblem. Ihm fiel sehr wohl auf, dass es nicht die Kleidung seines Bruders war. Die hätte ihm sicher auch gepasst, denn Itachi war ein Stück größer mit dreizehn gewesen. Das bestärkte noch seinen Verdacht, dass ihre Sachen vernichtet worden waren. Es machte ihn traurig, aber er versuchte, sich einzureden, dass er keinen Grund dazu hatte. Itachi hatte ihn ja gewarnt, sich nicht zu sehr auf seine Eltern einzulassen. Er war nur neugierig gewesen. Und vielleicht würde ihm während seines Aufenthaltes endlich klar werden, warum Itachi seine Eltern so sehr ablehnte. Noch eine ganze Weile stand er am Fenster, schaute hinaus auf den Garten, in dem er oft gespielt und trainiert hatte, und überlegte, ob es nicht alles ein riesengroßer Fehler gewesen war. Warum war er hier? Irgendwas an diesem Ort fühlte sich einfach falsch an. Seine Eltern hatten jede Erinnerung an ihn einfach verschwinden lassen. Hatte er ihnen wirklich gefehlt? Er spürte so viele unausgesprochene Dinge in der Luft und wünschte sich plötzlich seinen Bruder zurück, der zwar auch seine Geheimnisse hatte, der ihn aber niemals angelogen hätte. Er wünschte sich Itachi's Direktheit zurück, und das Gefühl der Geborgenheit, das er in der Nähe seines Bruders hatte, und das er hier so vermisste. Dieses Haus war kalt und er hatte das nagende Gefühl, dass er seinen Eltern nicht trauen sollte. Als er sich hinlegte, drangen Stimmen aus dem Wohnzimmer bis in sein Zimmer. Seine Eltern unterhielten sich, vielleicht waren sie auch mal wieder beim Streiten. Das erinnerte ihn sehr an seinen letzten Abend in diesem Haus. Ein paar Minuten versuchte er, trotzdem zu schlafen, dann hielt er es doch nicht aus und schlich sich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer, um dem Gespräch zu lauschen. Er bekam nur Gesprächsfetzen mit, und es war nicht schwer zu erraten, dass es um ihn ging. Sie waren definitiv nicht einer Meinung und Sasuke murmelte tonlos: "Déja vu..." Angestrengt lauschte er, aber er bekam nicht alles mit, außer dass ab und zu sein Name fiel und ein oder zweimal auch Itachis. Nachdem er ein paar Minuten gelauscht hatte, beschloss er, wieder schlafen zu gehen. Sollten sie doch diskutieren, er wollte sich nicht wieder jede Nacht darüber Gedanken machen müssen wie damals als Kind. Als er in sein Zimmer zurückkehren wollte, entdeckte er, dass Kiyoshis Tür einen Spalt geöffnet war. Der Junge merkte, dass er entdeckt worden war, und kam zögernd aus dem Zimmer. Sasuke beugte sich runter und fragte leise: "Kannst du auch nicht schlafen?" Kiyoshi schüttelte stumm den Kopf. Aus einem Impuls heraus legte Sasuke die Hand auf den Kopf des Kindes und sagte zuversichtlich: "Keine Sorge, die vertragen sich wieder. Ich kenn das." Sein kleiner Bruder schaute ihn aus großen Augen an, hin und hergerissen zwischen Misstrauen und Erleichterung. Schließlich nickte er und gähnte verstohlen. Lächelnd flüsterte Sasuke: "Gehen wir wieder ins Bett, ja? Gute Nacht." "Nacht", murmelte Kiyoshi und die Brüder gingen wieder in ihre Zimmer. In der ersten Nacht schlief Sasuke sehr schlecht. Er träumte merkwürdige Dinge über Itachi, träumte von ihrem ersten Auftrag, vom ersten Mal als er getötet hatte, und von seinem kleinen Bruder Kiyoshi, der in einem leeren Zimmer saß und ein Foto von Sasuke und Itachi mit einer Schere in kleine Schnipsel zerschnitt. Zu seiner Überraschung wurde Sasuke schon am nächsten Morgen von seinem Vater zur Akademie begleitet. Er hatte keine Ahnung, wie und wann sein Vater so schnell alles organisiert hatte, aber dort wartete bereits ein Jounin, um seine Fähigkeiten zu überprüfen. Der Typ hatte graue Haare, die untere Hälfte seines Gesichts war maskiert und er hatte sein Stirnband über sein linkes Auge gezogen. Als er Sasuke und seinen Vater entdeckte, hob er die Hand. "Yo, ihr zwei." Fugaku zog eine Augenbraue hoch. "Ich bin überrascht, dass du schon da bist, Kakashi. Dabei hatte ich dich nur für eine Stunde früher bestellt als vorgesehen." "Tja, ich war neugierig auf deinen Sohn", sagte Kakashi und grinste offensichtlich unter seiner Maske. Dann wandte er sich Sasuke zu. "Und du bist also Sasuke? Meine Güte, als ich dich das letzte Mal gesehen habe warst du soo klein!" Er deutete mit seiner flachen Hand ungefähr auf Kniehöhe und Sasuke verdrehte die Augen. Dieser Spruch wurde wirklich mit jedem Mal wo er ihn hörte weniger prickelnd. Dementsprechend gereizt entgegnete er: "Und hast du auch einen Namen?" "Ah, mein Name ist Hatake Kakashi. Aber du darfst mich Kakashi nennen!" "Na Wahnsinn...", murmelte er. Die überdrehte Art dieses Mannes gefiel Sasuke ganz und gar nicht. Außerdem spürte er hinter dieser Fassade etwas ganz anderes. Er beschloss, diesem Kakashi erstmal nicht zu vertrauen. Er fand Kakashi unheimlich, wie er sich hinter seiner Maske und hinter seinen scheinbar gedankenlosen Sprüchen versteckte. "Na, Sasuke-kun. Wollen wir dann mal anfangen? Ich schlage der Einfachheit halber einen kleinen Zweikampf vor, damit ich mir ein Bild machen kann." Der Vorschlag gefiel ihm schon besser. Er hatte nur selten die Gelegenheit bekommen, sich mit ebenbürtigen oder gleichstarken Gegnern zu messen. Trainiert hatte er immer nur mit Itachi, der ihm auch jetzt noch haushoch überlegen war, und die Aufträge der Akatsuki hatte er immer spielend hinter sich gebracht. Deswegen nickte er enthusiastisch. Während Kakashi ihm die Regeln erklärte ("Es ist alles erlaubt, ja?"), zog sein Vater sich an den Rand des Trainingsareals zurück und dort stand auch Tsunade mit noch ein paar anderen, wie Sasuke erst jetzt bemerkte. Es waren wohl doch einige an seinen Fähigkeiten interessiert. Der kleine Kampf begann ganz harmlos. Sasuke griff Kakashi ein paar Mal an, zuerst direkt, dann mit Shuriken, um seine Reaktionen auszutesten und die eigenen Vorteile zu finden. Diese erste Phase dauerte vielleicht zwei, drei Minuten. Dann hatte Sasuke gemerkt, dass Kakashi schnell war, ganz unglaublich schnell. Er fand für sich keinen Vorteil, er begriff nur, dass Nahkampf besser für ihn war, denn seinem Feuerball war Kakashi mit Leichtigkeit ausgewichen. Sasuke aktivierte die Sharingan, und damit wurde es leichter, die schnellen Bewegungen des Jounin vorauszusehen. Ein paar Minuten vergeudeten sie damit, den Schwachpunkt des anderen zu suchen und sich gegenseitig irgendwie anzugreifen. Dann machte Kakashi langsam ernst und Sasuke geriet in Bedrängnis. Als der erste Angriff kam, den er nicht mehr voraussehen konnte, mitten ins Gesicht getroffen wurde und durch die Luft segelte, beschloss er, ebenfalls ernst zu machen. In seiner linken Hand erzeugte er einen Feuerball. Im Augenwinkel sah er, wie sein Vater angespannt zu ihm rüber starrte, und auch Tsunade schaute ihn jetzt erwartungsvoll an. Er beschloss, seinem Vater zu zeigen, was er alles gelernt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)