Eisblaue Augen von Chi_desu (Shounen-Ai) ================================================================================ Prolog: -------- Also die FF hab ich schon vor Ewigkeiten geschrieben aber sie ist mir immer noch eine der liebsten. Dachte mir, ich poste sie einfach mal hier vielleicht interessiert sie ja wen? Es gibt eigentlich nicht viel dazu zu sagen, alles erklärt sich im Laufe der Zeit selbst... Prolog. Ich sah ihn zum ersten Mal am ersten Schultag meines letzten Jahres am neuen Gymnasium. Selbst in der Hektik und all den fremden, neuen Gesichtern fiel er mir mit seinen eisblauen Augen auf. Ich weiß noch, dass ich nur dachte: "Na, der wird sicher keine Probleme bei den Frauen haben." Dann versank sein blonder Haarschopf wieder in der Menge und ich konzentrierte mich wieder auf das bunte Treiben um mich herum. Meine Eltern waren umgezogen und obwohl ich sie angefleht hatte, mein letztes Schuljahr in meiner Heimatstadt beenden zu dürfen, waren sie hart geblieben und hatten mich hierher geschleppt, nach Grünstadt, an einen Ort mit höchstens 1000 Einwohnern, an dem sich sprichwörtlich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Stadt war wahrlich nicht die richtige Bezeichnung für das Kuhdorf, fand ich. Nur grün war es. Überall. Ich konnte diese Farbe schon nicht mehr sehen. Ich hasste diesen Ort, diese Schule, einfach alles vom ersten Augenblick an. Mir fehlten meine Freunde, die jetzt etliche hundert Kilometer weit weg den ersten Schultag feierten, während ich mich von all den Fremden anstarren lassen musste, als hätte ich drei Köpfe. Ich war nie ein geselliger Typ gewesen oder jemand, der leicht Freundschaften schloss. Gerade deshalb vermisste ich meine Freunde umso mehr und ich ahnte, dass es ein sehr einsames Schuljahr für mich werden würde. Dieses Gefühl bestärkte sich nur im Laufe des Vormittags. Der Lehrer, der aussah als hätte man ihn gerade erst aus einer Anstalt entlassen, ließ mich in einem Spießrutenlauf vor die Klasse treten und mich vorstellen. "Tag. Mein Name ist Lukas und ich komme aus..." Ich erntete schiefe Blicke, als ich von meiner Heimatstadt Köln erzählte und ziemlich unverhohlen durchblicken ließ, wie sehr mich dieses Kuhdorf in dem sie alle so gern wohnten anödete. Er, mit seinen seltsamen blauen Augen stach aus der Menge hervor. Ein Grinsen umspielte seine Lippen, aber ich hatte das Gefühl, das hing weniger mit mir zusammen als mit der Tussi mit den feuerroten, langen Haaren, die neben ihm saß und ununterbrochen auf ihn ein redete. Ich war sehr froh, dass ich mich, nachdem ich mir durch meine kurzen Worte genug Feinde gemacht hatte, wieder hinsetzen durfte, und verbrachte den Rest des Vormittags in einer Art Dämmerzustand, und dem gequälten Versuch, nicht einzuschlafen. Mein Sitznachbar, der Streber mit dem Pickelgesicht, hätte das dem Lehrer sicher gemeldet. Gott, wo war ich hier bloß gelandet? Ich ahnte ja nicht, was der blonde Junge, an den ich kaum mehr als einen Gedanken verschwendet hatte, noch für eine Bedeutung haben sollte. War ich naiv. Kapitel 1: Der Junge namens Kay. -------------------------------- Ereignislos verstrichen die ersten beiden Wochen und ich stellte sehr schnell fest, dass ich ihn vielen Fächern den anderen hinterher hinkte. In meiner alten Klasse war ich immer locker mitgekommen, aber hier herrschte tatsächlich ein höherer Standard als in meiner alten Schule. Das hatte ich nicht erwartet, eigentlich hatte ich geglaubt, es mir im Unterricht gemütlich machen zu können und das letzte Jahr vor dem Abitur ganz locker hinter mich zu bringen. Was für ein Irrtum! Statt dessen hatte ich richtig Arbeit damit, den ganzen Stoff nachzuholen. In den Hauptfächern war es größtenteils okay, bloß in englisch hatte ich absolut Probleme, das war schon immer mein schwaches Fach gewesen. Die Nebenfächer... nun... die verschob ich auf den Sommer, da würde ich schon noch genug Zeit haben das nachzulernen. Das Hauptproblem blieb englisch. Gleich die erste Arbeit setzte ich gekonnt in den Sand. Vor der ganzen Klasse nahm der Lehrer mich auseinander und fragte mich, wie ich denn bloß dies und das und jenes sowieso nicht wissen konnte? Ich nickte bloß artig mit dem Kopf und versuchte, das Gekicher der anderen zu ignorieren. Ich hatte noch nicht sehr viel Kontakt mit meinen neuen Klassenkameraden gehabt. Ich saß meine Stunden ab und sobald der Unterricht vorbei war, verschwand ich nach Hause. Ich redete mir ein, dass ich keine Lust auf deren primitive Unterhaltungen hatte. In Wahrheit war es mehr eine Flucht. Eigentlich wollte ich nämlich nicht sehen, wie einsam ich unter ihnen wirklich war. Also mied ich sie. An dem Tag als ich das Ergebnis der Englischarbeit erfuhr, beschloss ich, diesen ersten Misserfolg ausgiebig zu "feiern". Wie gewöhnlich waren meine Eltern nicht da, mein Vater war auf Geschäftsreise und meine Mutter ausgegangen, weiß der Himmel wohin. Vielleicht ein spätes Meeting. Oder ein Treffen mit einem ihrer Liebhaber. War mir relativ egal. Ich kaufte mir also eine Kiste Bier, lieh mir irgendeinen guten Actionfilm aus und verbrachte den halben Abend damit, auf der Couch zu liegen, Bier zu trinken und Chips zu futtern. Als mir von dieser teuflischen Mischung so schlecht wurde, dass ich glaubte, kotzen zu müssen, schnappte ich mir eine volle Flasche Bier und ging an die frische Luft. Da würde sich mein Magen schon wieder beruhigen - so hoffte ich zumindest. Und wenn nicht würde ich irgendwo in die Büsche kotzen und dann wieder weitertrinken. Ja. Guter Plan. Ich schlenderte also über die Straße und erkundete zum ersten Mal wirklich diesen dämlichen Ort der mir so verhasst war, während ich gleichzeitig gegen die Übelkeit kämpfte. Die Straßen waren breit und wurden nur teilweise von dem orangenen Licht der Straßenlaternen beleuchtet. Überall war Gras und standen Bäume, ab und zu ein alter Brunnen oder ein großes Tor, durch das inzwischen vereinzelt sogar Autos fuhren. Irgendwo rauschte Wasser, irgendwo hier gab es anscheinend sogar einen kleinen Bach. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, rauszugehen. Denn diese Idylle hier bescherte mir erst recht Übelkeit. Ich ließ mich schließlich bei einer weiteren Grünfläche nieder. Der Brunnen in der Mitte war umgeben von großen Steinen, auf die man sich setzen konnte. Also setzte ich mich, und atmete tief ein. Die Übelkeit ließ tatsächlich langsam nach, aber ich wagte es noch nicht, das Bier anzurühren. Oben am Himmel öffnete sich die Wolkendecke und der Mond spiegelte sich im Wasser des Springbrunnens. Von unten schimmerten Geldstücke im Wasser. Ah, dachte ich. Ein Wunschbrunnen. Zu der Zeit hätte ich mir sicher nur eines gewünscht, wenn ich ein Geldstück dabei gehabt hätte: Wieder ,nach Hause' zu kommen, nach Köln, zu allem was ich gekannt und geliebt hatte. Ich suchte nach einer Münze, aber meine Hosentasche bot mir nur ein zerknülltes Taschentuch. Ich hörte Schritte auf dem Kiesweg und hob den Kopf. Zwei Personen kamen auf den Steinkreis zu und ich setzte mein bestes, unbeteiligtes Gesicht auf. Als sie näher kamen, erkannte ich sie im Mondlicht. Es waren zwei aus meiner Klasse, der Junge mit den blauen Augen und das Mädchen, das neben ihm saß. Mit den hüftlangen, roten Haaren. Im ersten Moment dachte ich, sie wären ein Liebespaar, aber dann änderte ich meine Meinung. Sie gingen nebeneinander her, redeten miteinander, lachten, aber er berührte sie nicht. Sie hielten nicht Händchen wie ein normales Paar. Und ihre Blicke waren auch anders. Das Mädchen entdeckte mich und stockte in ihrem Redeschwall, nur für einen Moment. Der Blick des Jungen fiel jetzt auch auf mich, aber er wirkte gleichgültig und ging einfach weiter. Sie folgte ihm und beide stellten sich vor den Brunnen. Das Mädchen warf etwas hinein, wohl eine Münze, und schloss die Augen. Er stemmte die Hände in die Hosentaschen und wartete geduldig, bis sie sich was gewünscht hatte. Dann, sehr zu meiner Überraschung, verabschiedeten sich die zwei mit ein paar Worten und einem lockeren: "Bis morgen dann!" voneinander. Wozu waren sie hergekommen? Komisch, eigentlich. Der Junge drehte sich zu mir um und nickte mir zu. "Hallo du.", murmelte ich. Er blieb direkt vor mir stehen und sagte: "Ich heiße Kay." "Was?", ich war zu verblüfft über seine ungefragte Vorstellung, um etwas intelligenteres hervorzubringen. Dann riss ich mich zusammen und murmelte: "Lukas. Ich heiße Lukas." Er sah irgendwie nicht aus, als ob er vorhatte, wieder zu gehen. Das passte mir gar nicht. Ich wollte lieber allein sein. Er setzte sich ungefragt zu mir auf den Stein. Naja, der Stein war ja nicht mein Eigentum und er konnte sich hinsetzen wo er wollte, trotzdem störte es mich. Seelenruhig holte er eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche und zündete sich eine an. Dann hielt er mir die Schachtel auffordernd hin, aber ich schüttelte den Kopf. "Nee danke. Ich bin Nichtraucher." Er zuckte die Schultern und steckte die Schachtel wieder weg. Irgendwie gefiel mir das gar nicht. Hatte er vor, noch länger hier zu bleiben? Sein Blick fiel auf das Bier. Dann drehte er seinen Kopf wieder weg und zog an seiner Zigarette. Erst dann fragte er: "Wartest du auf jemand oder feierst du alleine?" Seine Stimme war ungewöhnlich tief und hatte einen seltsamen Klang. "Allein.", antwortete ich knapp. "Hier in diesem Kaff ist ja auch nix los. Was feiert ihr hier? Melk-die-Kuh-Feste?" Er grinste. Als ich schon keine Antwort mehr von ihm erwartete, sagte er: "Weiter oben die Straße entlang gibt es die Westernbar. Da treffen wir uns meistens. Ich bin eh dahin unterwegs, willst du mitkommen?" Ich grunzte fast bei dem Satz. "Westernbar?", fragte ich spöttisch. "Soll ich meine Cowboystiefel mitbringen oder reicht's, wenn ich das Lasso dabei hab?" Darauf reagierte er nicht. Das verunsicherte mich etwas. Ich versteckte mich gerne hinter meinem Sarkasmus, und für gewöhnlich hatte das auch die gewünschte Wirkung, entweder wurden die Leute wütend oder sie lachten. Er schwieg einfach nur. Als er zu Ende geraucht hatte, stand er auf und sagte nur: "Wie du willst. Alleine saufen ist sicher viel interessanter. Wenn du's dir anders überlegst kannst du ja nachkommen." Damit drehte er sich um und ging. "Mm. Blödmann.", murmelte ich, wohlweislich leise genug damit er es nicht hören konnte. Er hatte sich auch schon wieder in Bewegung gesetzt und stiefelte den Kiesweg entlang zurück zur Straße. Westernbar... was für ein blöder Name. Das bestätigte mal wieder meine Meinung über dieses öde Kaff. Ich nahm mir vor, spätestens nach dem Abitur sofort aus Grünstadt zu verschwinden und nach Köln zurückzukehren. Am darauf folgenden Morgen hatte ich natürlich einen Mords-Kater. Erst hatte ich gar nicht zur Schule gehen wollen, aber meine Mutter war überraschend aufgetaucht und der hatte ich ja wohl schlecht von meiner nächtlichen Sauforgie erzählen können. Mit einem totalen Brummschädel saß ich im Englisch Unterricht und versuchte, den hämmernden Kopfschmerz irgendwie zu beruhigen. Ich bekam es gar nicht richtig mit, als der Lehrer von einem kleinen Projekt sprach. Erst als man uns in kleine Gruppen aufteilte, wurde ich etwas munter. Dieser Idiot von Lehrer las gerade Namen vor, formte Gruppen zu jeweils zwei Leuten. Na super. Als ich einem gewissen Kay zugeteilt wurde, war ich ganz froh, denn das war der einzige Name den ich kannte. Nachdem alle irgendwem zugeteilt waren, kam er zu mir. Ich sah wahrscheinlich wenig begeistert aus, er wirkte eher so als wäre ihm alles egal. Es fiel mir sehr schwer, aber zähneknirschend fragte ich ihn: "Was genau sollen wir denn jetzt eigentlich machen?" "Wir sollen uns ein Thema für ein Projekt ausdenken, an dem werden wir die nächsten Wochen arbeiten und am Ende dann einen Bericht schreiben und der wird benotet.", fasste er die Aufgabe knapp zusammen. "Na super.", murmelte ich und erhob mich schwerfällig von meinem Platz. "Hast du schon eine Idee?" Ich hatte absolut keine Lust auf Teamarbeit. Wir verließen gemeinsam das Klassenzimmer, wobei ich ihm eher wie ein Hund hinterher trottete, und setzten uns in den Computerraum um ein bisschen zu recherchieren. Ich schaute ihm zu. Ich kannte mich mit Computern schon aus, aber so schnell wie er hätte ich die Informationen wohl nicht gefunden. Geübt saß er vor dem Bildschirm und suchte das Internet nach interessanten Texten ab. Ich fand das Thema langweilig und konnte mich irgendwie nicht auf den Bildschirm konzentrieren. Ich beobachtete lieber Kay. Eine Strähne von seinem blonden Haar fiel ihm ins Gesicht und ich stellte fest, dass es am Ansatz eher braun als blond war. War wohl nur gefärbt. Er roch nach Zigarettenrauch und irgendwas anderem, dessen Geruch ich sehr angenehm empfand. Die meisten Jungs in unserem Alter umgaben sich entweder mit einer Parfumwolke oder stanken nach Schweiß. War beides ziemlich grässlich, fand ich. Aber den Mädchen schien das egal zu sein. Obwohl Kay ganz besonders beliebt war. Irgendwie hatte dieser Typ was besonderes an sich. Kein Wunder dass die Mädchen ihm teilweise richtig nachliefen. Natürlich nicht die aus unserer Klasse. Aber bei den jüngeren war er wohl sehr beliebt. Kein Wunder, mit blauen Augen und blonden Haaren... außerdem war er groß, sportlich, nicht zu dürr. Der typische die-Mädchen-lieben-ihn Typ eben. Ganz im Gegensatz zu mir. Aber das machte mir schon lange nichts mehr aus. Schließlich hatte er gefunden wonach er gesucht hatte und schaute mich an. "Okay ich drucke es grade aus." Ich murmelte: "Ausgerechnet englisch... ich versteh nicht mal die Hälfte davon." Er schaute mich an und grinste. Er hatte wirklich eine sympathische Art. Wenigstens war er nicht so aufgeblasen wie die anderen. Ich hatte wohl noch Glück gehabt, dass ich ihm zugeteilt worden war. "Hey! Wie geht's bei euch so voran?" Die Rothaarige stand plötzlich neben uns. Ich hatte sie gar nicht bemerkt. Ich versuchte, mein Gedächtnis zu mobilisieren um mich an ihren Namen zu erinnern. "Kathrin, du Nervensäge!", sagte Kay grinsend und nahm mir damit die Denkarbeit ab. "Hast du mit eurem Projekt nicht schon genug zu tun? Musst du uns jetzt auch noch nerven, eh?" Sie lachte und ich verdrehte unauffällig die Augen. Mein Gott. Schleimscheißerin. "Ich wollte dir nur mal über die Schulter schauen. Ach übrigens, wollen wir morgen Abend zusammen essen? Ich komme zu dir und wir machen uns irgendwas schönes, ja?" "Mh. Okay.", machte er und ich konnte nicht feststellen, ob er begeistert oder genervt war. Er kam mir eher gleichgültig vor. Ganz am Anfang hatte ich geglaubt, die zwei seien ein Paar, aber inzwischen war ich mir absolut sicher dass dem nicht so war. Die Rothaarige war nur ziemlich dreist und er ziemlich beliebt. Kein Wunder. Während ich meinen Überlegungen nachgehangen war, hatte sie wohl einen Witz gemacht, denn auf einmal lachte er, aus vollem Hals, mit seiner tiefen Stimme. Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Er war wirklich sympathisch. Könnte ich nur so sein... Allerdings legte ich herzlich wenig Wert auf Bewunderung wie die von Kathrin und den anderen Schlampen. Sie nervte mich sowieso total, und da unsere Aufgabe für heute erstmal erledigt war, stand ich auf und verabschiedete mich: "Also ich muss nach Hause. Macht's gut." "Bis morgen!", murmelte er und sah von seinem Gespräch mit ihr nicht mal auf. Die Nacht war sternenklar und ich war mal wieder allein unterwegs. Ich hatte mit einem meiner alten Kumpel telefoniert und der hatte mir natürlich - unsensibel wie er war - total von irgendwelchen Festen und Parties vorgeschwärmt, und ich hatte mich ziemlich verarscht gefühlt. Ich saß einsam hier am Arsch der Welt und konnte zusehen was ich machte. Ziemlich frustriert hatte ich mich aus dem Haus geschlichen - meine Mutter war zur Abwechslung mal zu Hause gewesen - und strolchte nun ziellos durch den Ort. Ich war schon wieder auf dem Heimweg, da kam ich an dieser Westernbar vorbei. Ich zögerte. Sollte ich da reingehen? Vielleicht saßen ja welche aus meiner Klasse drin. Dann hätte ich wenigstens eine gute Entschuldigung um mich volllaufen zu lassen. Eine Weile lang stand ich unschlüssig vor dem Eingang, dann ging die Tür auf und jemand der das Lokal verließ nahm mir die Entscheidung ab. Ich sah wie ein kompletter Idiot aus, wie ich so vor der Tür stand, also ging ich einfach mal rein. Tatsächlich saßen gleich um den ersten Tisch einige aus der Klasse. Unter anderem entdeckte ich auch einen blonden Haarschopf, kurz bevor der herumwirbelte und blaue Augen mich anschauten. "Hallo!", rief er mir zu und ein anderer schrie: "Leute, Platz machen!!" Alles rückte artig zusammen, bis ein Platz für mich direkt neben Kay frei wurde. Ich quetschte mich dazu und bestellte mir ein Bier. Die Unterhaltung fuhr trotz der kurzen Störung fort und ich saß eigentlich mehr als stummer Zuhörer unter ihnen. Aber das machte mir nichts. Ich versuchte, mir ein paar Namen zu merken und holte die verlorene Zeit beim trinken schnell auf. Ab und zu fragte Kay mich irgendwas, aber ich hielt mich größtenteils zurück. Lachte mit, wenn er lachte und freute mich an seiner tiefen Stimme. Zum ersten Mal kam ich mir nicht mehr ganz so einsam vor. Als dann die Zeit verging und der Abend immer später wurde, wurde es langsam leer am Tisch. Immer mehr Leute mussten weg, verabschiedeten sich und irgendwann waren wir nur noch zu fünft. Bis Kay plötzlich einfiel dass er keine Zeit mehr hatte. Wenn er sprach klang es schon etwas unsicher und wirr, er hatte deutlich zu viel getrunken. Das wurde richtig offensichtlich als er aufstand und wie ein Seemann hin und her schwankte. Grinsend fragte Kathrin: "Und du denkst, du kommst allein noch bis nach Hause? Ich wette nicht." "Ach was das geht schon..", lallte er. "Irgendwer sollte vielleicht mit ihm gehen.", schlug einer vor. Okay, wieso eigentlich nicht ich? Ich hatte sowieso auch schon genug getrunken. "Ich geh mit.", bot ich an und stand auf. Mir war auch ziemlich schwummerig aber ich war wesentlich sicherer auf den Beinen als er. "Komm schon.", murmelte ich und gemeinsam verließen wir das Lokal. Draußen war es inzwischen ziemlich kalt geworden. Die Nacht war noch immer sternenklar aber unser Atem verrauchte beim ausatmen. Gemeinsam gingen wir nebeneinander her. Ich hatte natürlich keine Ahnung, wo er wohnte, aber er war noch nicht zu betrunken um den Weg nicht zu finden. Er war irgendwie aufgekratzt. Betrunken lallte er: "Und, wie findest du die Westernbar?" "Ich bin überrascht.", gab ich zu. "Und enttäuscht. Keine Cowboys." Er lachte wieder, und auf einmal schlug mein Herz ganz schnell. Ein Grinsen stahl sich auf mein Gesicht und ich schaute ihn fasziniert an. Ich hatte recht gehabt. Er war was besonderes. Er zeigte auf ein recht großes Haus. "Da hinten wohne ich!" Irgendwie freute ich mich, dass ich jetzt wusste wo er wohnte. Wir liefen rüber zu dem Haus und vor dem Gartentor hielt ich an. Kay prallte mit voller Wucht gegen mich und nuschelte: "Was hältst du an?" Mein Herz klopfte so heftig. Warum nur? Ich konnte mich kaum konzentrieren. "Du wohnst hier!" "Ahh.. ja...", murmelte er und grinste. "Na denn bis morgen!", sagte er und ließ mich dann alleine stehen. Verwirrt starrte ich ihm nach und dabei sah ich in den Augenwinkeln gerade noch die Sternschnuppe, die sich glitzernd über den Himmel zog. Ich glaubte nicht an das Märchen von Sternschnuppen die einen Wunsch erfüllen. Aber in dem Moment starrte ich hinauf in den klaren Himmel und bat ganz leise: "Ich will, dass diese Gefühle verschwinden!" Kapitel 2: Was ich in meinen Träumen sah. ----------------------------------------- Klassenfahrt. Ich war zutiefst genervt. Wir waren alle 18, mindestens 17 Jahre alt und sollten unter der Aufsicht von den Lehrern irgendwo in ein verschneites Nest fahren und dort den "Winterzauber" erleben. Am liebsten wäre ich gar nicht mitgefahren. Aber dann hätte ich in die Schule gehen müssen und das wollte ich noch weniger. Und deswegen fand ich mich am Montag Abend in einer "gemütlichen" Skihütte wieder, genauer gesagt in einem schäbig eingerichteten Zimmer mit drei Betten. Mit im Nacken verschränkten Armen lag ich auf meinem Bett, und versuchte, mich an den Grund zu erinnern warum ich mitgefahren war. Die anderen kamen gerade von ihren Skiausflügen, ich hörte es am Gepolter als sie die Treppe hoch kamen. Die Tür ging auf und zwei frierende Gestalten trampelten ins Zimmer. Kay zog sich die Mütze vom Kopf und schüttelte seine blonden Haare, während der andere sich aus seiner Jacke schälte und dann stöhnend auf das Bett fallen ließ. "Na, wie war's?", fragte ich. "Alle Finger und Zehen noch dran?" "Ich weiß nicht...", murmelte Kay und ließ sich auf das Bett fallen. Demonstrativ starrte er auf seine Finger. "Mmhh... der Zeigefinger ist etwas blau, aber sonst..." Ich grinste. "Also... da ich heute den ganzen Tag auf der faulen Haut gelegen habe, während ihr euren Hals auf der Piste riskiert habt... soll ich euch eine Tasse heißen Kakao holen?" Der dritte im Bunde lehnte dankend ab, und verzog sich aus dem Raum um sich zu seinen Freunden nebenan zu gesellen. Kay allerdings nickte. "Das find ich eine gute Idee." Faul streckte er sich und ließ sich rücklings auf das Bett sinken, während ich den Raum verließ und unten eine Tasse Kakao besorgte. Ein paar Minuten später saßen wir auf unseren Betten und schlürften unsere heiße Schokolade. Er sah echt begeistert aus und es macht mir Spaß, ihm zuzusehen. Ich hörte ein leises Geräusch und plötzlich fielen mir meine Haare ins Gesicht. Verwundert blinzelte ich und griff an meinen Hinterkopf. "Oh shit!", murmelte ich. Mein Haarband, mit dem ich meine langen, dunklen Haare für gewöhnlich bändigte, war gerissen. Einfach so. Fragend hob er die Augenbrauen und ich lachte etwas verlegen. "Ich hab sonst kein Haarband." Verärgert schob ich meine Haare hinter mein Ohr, nur damit sie eine Sekunde später, als ich einen Schluck aus der Tasse nahm, wieder nach vorne fielen. Als ich einen Blick zu ihm rüber warf, grinste Kay breit. "Ist doch egal. Sieht eh gut aus." Mir wurde heiß. Plötzlich war ich über die Haare fast dankbar, die mein heißes Gesicht verdeckten. Er fügte hinzu: "Hast du nicht gemerkt dass ein paar von den hübschen Mädchen aus den unteren Klassen ein Auge auf dich geworfen haben?" Oh. Mir ging es schon wieder besser. Ernüchtert war vielleicht das passendere Wort. "Mhm.", murmelte ich und schlürfte meinen Kakao. Was war bloß los mit mir? Ich hätte mich selbst ohrfeigen können. Solche merkwürdigen Gefühle hatte ich noch nie gehabt, es war als würden die Emotionen mit mir Achterbahn fahren. Diese doofen Gören waren mir egal. Ich dachte nur an... ja, an wen eigentlich? Ich schüttelte knapp meinen Kopf, diesen Gedanken wollte ich lieber nicht zu Ende denken. Die Tür ging auf und riss mich aus meinen Gedanken. Kathrin war es. "Kay, komm rüber! Wir machen ein kleines Würfelspiel! Es gibt Wodkaaa!" Sofort sprang Kay vom Bett. Aber bevor er ihr folgte, warf er mir einen Blick zu und fragte: "Na was ist? Kommst du?" "Klar..." Im Kreis saßen wir auf dem Boden und würfelten darum wer als nächstes trinken musste. Das ging jetzt schon seit einiger Zeit so, es war schon sehr spät und die meisten waren schon gegangen. Ich hatte dem Alkohol ordentlich zugesprochen, und Kay neben mir offensichtlich auch. Aber es war ganz witzig gewesen bisher. Bis... Auf einmal klingelte irgendein Handy. Unbewusst fassten wir alle uns an die Hosentasche oder drehten den Kopf. Bis Kay murmelte: "Is meins.", und sein Handy aus der Hosentasche zog. Als er den Knopf drückte und das Handy ans Ohr hielt, grinste er plötzlich. "Ja, hi. - Wie geht's dir? - Mir? Bestens. - Wir trinken hier grade ein bisschen. - Nein... - Nein, nicht viel..." Er rückte ein Stück von uns weg damit wir unser Spiel fortsetzen konnten. Gebannt lauschte ich dem Gespräch. Mit wem sprach er denn so vertraut? Kathrin neben mir würfelte und trank, aber ich war irgendwie nicht bei der Sache. Neugierig und so unauffällig wie möglich erkundigte ich mich: "Mit wem spricht er denn?" "Na ist doch klar. Mit seiner Freundin." Es war, als hätte mir jemand eine schallende Ohrfeige verpasst. Ich senkte meinen Kopf, damit die anderen nicht meinen unsteten Blick sehen konnten. Seine Freundin? Kay hatte eine Freundin? Bisher war mir das gar nicht in den Sinn gekommen. Er hatte nie etwas erwähnt, man hatte ihn nie mit einem Mädchen gesehen... "Er ist schon fast zwei Jahre mit ihr zusammen.", erklärte Kathrin. "Seine Beziehungen halten erstaunlich lange. Mag man gar nicht meinen so wie er aussieht." Ich blieb stumm, starrte auf den Boden. Dann hörte ich wie Kay leise ins Telefon sprach: "Ja... ich dich auch." Plötzlich fühlte ich mich als wäre ich wieder nüchtern. Meine Augen brannten und in meine Brust bohrte sich ein unsäglicher Schmerz. "Was ist?", fragte mich irgendwer. "Sorry...", stammelte ich und stand ungelenk und hastig auf. "Mir ist schlecht... Ich geh ins Bett." Fluchtartig verließ ich das Zimmer, hörte Kathrin noch lästern: "Der verträgt wohl nicht sehr viel.." Ich stolperte über den Flur und wischte mir übers Gesicht. Meine Haut fühlte sich heiß an, als hätte ich Fieber. Was war bloß mit mir los? Ich floh zurück in unser Zimmer, direkt ins Bad. Da stand ich nun vor dem Spiegel und beobachtete, wie meinem Spiegelbild Tränen über die geröteten Wangen liefen. Ich weinte!! Was war bloß los mit mir? Ich war keine Heulsuse. Ich hatte schon früh gelernt, meine Gefühle für mich zu behalten und zu unterdrücken. Aber diese Gefühle, die ich noch nicht mal benennen oder definieren konnte, hatten mich dermaßen unvorbereitet getroffen, dass meine Selbstkontrolle versagt hatte. Wütend wischte ich mir übers Gesicht. Hör sofort auf zu heulen, du Waschlappen! Hörst du?! Du bist kein Weichei und heulen ohne jeden Grund ist ja echt abartig. Reiß dich zusammen. Ich wusch mir das Gesicht bis kaum noch verräterische Spuren meines unerwarteten Gefühlsausbruchs zu sehen waren und kam dann aus dem Bad. Gerade richtig, denn die Tür ging auf und Kay kam ins Zimmer. Auch das noch. "Hey! Was bist du denn so schnell abgehauen?!", erkundigte er sich und seine Stimme klang schon wieder etwas angeheitert. Er hatte aber auch gesoffen wie ein Fass ohne Boden. "Einfach so.", murmelte ich und wich seinem Blick aus. Er nickte zustimmend. "Naja war eh nix mehr los. Ich werde dann auch mal schlafen gehen. Du sag mal... is dir schlecht?" "Hä? Wieso?" "Deine Augen sind ganz rot. Siehst aus als hättest du engere Bekanntschaft mit der Kloschüssel geschlossen.", schmunzelte er und ich dankte dem Herrn für diese Ausrede. "Ach ja... ja... ich vertrag den Alkohol wohl nicht." Er grinste und ließ mich dann so stehen. Ich atmete ein paar mal tief ein und aus und versuchte, meiner verwirrenden Gefühle Herr zu werden. Dann folgte ich ihm, und warf einen Blick auf die Uhr. 3 Uhr früh. Er saß auf dem Bett, gähnte herzhaft und zog sich seinen Pullover über den Kopf. Ich hastete an seinem Bett vorbei und setzte mich auf das Bett, fest darum bemüht, ihn nicht anzusehen. Langsam zog ich mich auch aus bis auf die Boxershorts und wühlte mich dann unter die Decke. Er kämpfte noch mit seiner Hose, wie mir ein schneller Blick zur Seite zeigte. Irgendwann kämpfte auch er sich unter die Decke, tastete nach dem Lichtschalter und dann wurde es mehr oder weniger dunkel im Raum. Nebenan hörte man Lärm, da war jemand immer noch wach. Draußen stürmte es. "Wo ist denn... Hannes?", fragte ich und hoffte, dass ich mich korrekt an den Namen erinnert hatte. "Drüben.", murmelte Kay. "Der wird heute Nacht wahrscheinlich dort bleiben." Nun wusste ich nicht, ob ich mich darüber freuen sollte, die Nacht mit ihm allein zu verbringen oder ob ich mich fürchten sollte. Fürchten vor mir selbst. Sollte ich mit ihm sprechen? Als sein Handy wieder klingelte, erübrigte sich das. "Ja?", hörte ich ihn am Telefon fragen. "Ah, du schon wieder! Ja, klar..." Ich kniff fest die Augen zusammen und drehte mich auf die Seite. Schon wieder seine Freundin. Warum tat es so weh? Ich wollte nur noch schlafen. Rücklings lag ich im Bett. Ihre langen, blonden Haare kitzelten mich, als sie sich über mich beugte um mich sanft zu küssen. Ihre Lippen schmeckten süß. Sie roch nach Zigarettenrauch, aber ich liebte den Geruch an ihr. Ihr Haar strich über meine nackte Brust als sie kleine Küsse auf die Haut platzierte. Ihre Hände strichen über meine Wange und ich packte ihr Handgelenk, küsste ihre zarte Hand. Dann war ihr Kopf wieder über mir und sie starrte mich aus eisblauen Augen an. Ich hatte noch immer ihr Handgelenk gepackt. Ihr Haar kitzelte mich nicht mehr. Es war kurz. Mit dunklem Ansatz. Ihre vollen Lippen waren nicht länger blutrot. Die Hand, deren Handgelenk ich festhielt, war stark und robust und breit, mit langen, starken Fingern. Er starrte mich an. Ohne Worte. Sein Mund war leicht geöffnet. Sein Kopf war noch immer leicht über meinen gebeugt. Eine blonde Haarsträhne hing ihm ins Gesicht. Mein Herz klopfte. Mir war so warm. Ich fühlte mich geborgen. Dann lächelte er und beugte sich ganz langsam zu mir runter. Unsere Lippen näherten sich einander, immer mehr, bis... "AAAAAHH!!!!" Aufrecht saß ich im Bett, schweratmend, mit klopfendem Herzen und verschwitztem Körper. "Mein Gott!!", keuchte ich. "Scheiße..." "Schlecht geträumt?" Seine tiefe Stimme ließ mich erschreckt zusammenzucken. Ich hatte ganz vergessen wo ich war. Oh verdammt! Hoffentlich hatte ich nicht seinen Namen gesagt, oder mich verraten... "Ja...", flüsterte ich heiser. "Ganz mieser Alptraum..." Das war nicht wirklich gelogen. Dieser Traum hatte mich zutiefst erschreckt. Benommen stand ich auf und taumelte ins Bad. Großer Gott. Hilfe... Meine Hände zitterten. Was war mit mir los? Woher war dieser beunruhigende Traum gekommen? Und warum klopfte mein Herz so sehr, wenn ich daran dachte? Diese Bilder... ich wurde sie nicht los... Warme Hände, die behutsam über meine Haut streichelten... Ich machte das Wasser an und wusch mir übers Gesicht. Sein Haar, das mich kitzelte, wenn er sich über mich beugte, um mich zu küssen... Mein Atem ging schwer. Es kribbelte in meinem Bauch. Süße Lippen, die meine ganz sanft berührten... "UAAH!!" Wütend schüttelte ich den Kopf. Das war nur ein TRAUM gewesen! Und diese Gefühle waren nur das Nachbeben. Über seine Träume hatte man keine Kontrolle. Das hatte nichts zu bedeuten. Gar nichts. Es war immer noch alles gut. Ich war normal. Normal. Normal. Das Wort hämmerte sich in meinen Kopf und verlor seine Bedeutung. Mir war schwindlig. Vielleicht war ich nicht ,normal'. Vielleicht stimmte etwas nicht mit mir, vielleicht war ich in ihn... "Bist du in Ordnung?" Ich zuckte zusammen und fuhr herum. Seine müden, blauen Augen schauten mich mit ehrlicher Sorge an. Das war fast zu viel für mich. Er runzelte die Stirn. "Hey! Bist du okay?" "Ah! Ja! Ja, ich bin okay." Er zuckte die Schultern. "Scheint ja ein schlimmer Traum gewesen zu sein." "Ja... nein... ich meine..." Gott ich brachte ja keinen klaren Satz mehr raus. Ich wollte nicht, dass er merkte, was mich so fertig machte. Gleichzeitig wollte ich auch nicht, dass er mich für einen Schwächling hielt, weil ich mich bloß wegen einem Alptraum so aufführte. Ich seufzte leise. "Ist wohl nicht mein Tag." Oder meine Woche. Eigentlich nicht mal ein besonders gutes Jahr. "Okay... wenn doch was ist kannst du mich ja wecken." Damit verzog er sich und ging wieder schlafen. Erleichtert ließ ich mich gegen den Spiegel sinken und mein schwarzes Haar fiel mir ins Gesicht. Der Junge, der mich aus seinen dunklen Augen im Spiegel anblickte, war mir auf einmal seltsam fremd. Was passierte mit mir? Kapitel 3: Liebeskummer ----------------------- Für den Rest der Woche hielt ich mich von Kay fern. Ich verbrachte fast die ganze Nacht bei den anderen im Zimmer, wenn er kam wartete ich ein paar Minuten und verabschiedete mich dann. Ich wollte nicht mehr in seiner Nähe sein. Jedenfalls mein Verstand wollte das nicht. Ich fürchtete mich, vor etwas, das ich noch nicht mal beim Namen nennen konnte. Ich weigerte mich hartnäckig, darüber nachzudenken. Denn die Wahrheit hätte mir vielleicht nicht gefallen. Lieber lief ich davon. Ich wusste nicht, ob Kay es mitbekam. Vermutlich eher nicht. Aber mir tat es weh. Ein Teil von mir wollte bei ihm sein, aber genau vor diesem Teil fürchtete ich mich. So ging die Klassenfahrt vorbei und ich kehrte wie betäubt nach Hause zurück. Ich war wie ausgewechselt, ich konnte nicht essen, nicht schlafen, und ich wusste nicht mal, wieso. Ich wollte auch nicht darüber nachdenken, denn vielleicht wäre die Wahrheit noch schlimmer gewesen als diese merkwürdige Ungewissheit. Mich in meiner Ignoranz und meiner Feigheit suhlend überstand ich irgendwie die Tage nach der Klassenfahrt, ohne ihm öfter als nötig zu begegnen. Bis er mich einlud. Mitten im Unterricht drehte er sich plötzlich zu mir um und fragte: "Wir gehen nächste Woche Weihnachtsmarkt. Willst du leicht mitkommen?" Ich war überrumpelt. Und weil Unterricht war, konnte ich nicht weglaufen. Sollte ich nein sagen? Das wäre ziemlich auffällig gewesen. Also räusperte ich mich und antwortete heiser: "Klar... gern." Ich dämlicher Feigling hatte mich mal wieder in Schwierigkeiten gebracht. Und deswegen fand ich mich eine Woche später frierend am Hauptplatz der nächsten großen Stadt wieder und wartete auf die anderen. Mir war schrecklich kalt und weil ich so nervös war, konnte ich mich an der Weihnachtsbeleuchtung oder der Aussicht auf Glühwein nicht freuen. Zu viert kamen sie an. Kay, sein bester Kumpel, Kathrin und noch jemand aus unserer Klasse dessen Namen ich nicht kannte. "Hallo.", begrüßte ich sie schief. Mir schwante übles, ich ahnte schon, dass dieser Abend nicht gut ausgehen konnte. Wir stiefelten los und die vier unterhielten sich angeregt. Ich blieb ein bisschen zurück und lief hinter ihnen her. Zuerst schauten wir uns die Stände an, gingen einfach nur durch, dann suchte jemand einen Glühweinstand aus und wir kauften uns jeder eine Tasse. Kathrin schrie: "Aaah, schaut euch das mal an!" Die Gruppe folgte ihr neugierig zu einem Stand. Mich interessierte es nicht, was sie jetzt wieder gesehen hatte. Ich blieb am Tisch stehen und wärmte mich am Glühwein, freute mich am Geruch von Zimt und den Lichtern, die über den Straßen hingen. Ich mochte Weihnachten. Ich freute mich genau so lange, bis Kay plötzlich wieder neben mir stand. Ich ließ vor Schreck fast die Tasse fallen. Die Gruppe war noch immer etwas weit weg. Ich murmelte: "Hier ist es mir zu voll.", nahm meine Tasse und verzog mich. Etwas abseits von dem ganzen Trubel der engen Stände hielt ich inne. Kay folgte mir. Es war still, wir schwiegen beide. Dann fragte er plötzlich: "Gehst du mir aus dem Weg?" Überrascht sah ich auf. Etwas unsicher erklärte er: "Ich meine, bist du irgendwie sauer auf mich? Hab ich was falsches gesagt? Du gehst mir seit dem Ski-Wochenende total aus dem Weg, kommt mir vor." Ach was, da musst du dich täuschen. Warum sollte ich dir aus dem Weg gehen? Hab ich vielleicht was zu verbergen? Du bist auch nur einer unter vielen, ich mag dich nicht mal. Leise antwortete ich: "Das war sicher nur Zufall." "Ach?", machte er und ich merkte deutlich, dass er mir nicht glaubte. Wieso interessierte es ihn eigentlich? Wir standen sehr lange schweigend da. Bis er sagte: "Gehen wir wieder zu den anderen." Ich folgte ihm stumm. Ich merkte erst jetzt, dass es zu schneien begonnen hatte. Wir stießen wieder zum Rest der Gruppe. "Mann ist das kalt!", motzte Kathrin. Sie nervte wirklich total. Immer hatte sie was zu sagen. Immer brachte sie Kay zum lachen. Kay stupste sie grinsend an. "Dann mach dir ein paar warme Gedanken." "Blödmann.", murmelte sie schmollend. Jemand machte eine Bemerkung über sie und Kay fing wieder zu lachen an. Seine blauen Augen leuchteten. Seine Lippen leicht geöffnet, seine Haut jetzt leicht gerötet. Ich wurde ganz still. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich sah nur noch ihn. Und dort, unter dem bezaubernden Sternenhimmel, dem Duft von Zimt und Schnee in der Luft, verpackt in einen dicken, warmen Mantel mit einer Tasse Glühwein in den frierenden Händen, da begriff ich, dass ich ihn liebte. Endlich hatte ich begriffen, was mit mir los war, hatte mir eingestanden, dass ich bis über beide Ohren verliebt war. In Kay, in einen Jungen. Seltsamerweise war ich nicht einmal sehr schockiert über die Tatsache, dass ich mich ausgerechnet in einen Jungen verliebt hatte. Dabei hätte ich so etwas nie für möglich gehalten. Ich hatte schon mal eine Freundin gehabt, und die hatte ich auch sehr gemocht. Aber das war schon eine Weile her, damals waren wir zu jung gewesen als dass mehr als ein paar harmlose Küsse gewesen wären. Irgendwann hatte sie mit mir Schluss gemacht und ich hatte ihr nicht allzu sehr nachgetrauert. Seit dem hatte ich keine Freundin mehr gehabt, einfach weil sich bei keiner jemals so ein Gefühl eingestellt hatte, wie es jetzt bei ihm war. War das der Grund? War ich schwul? Ich hätte es nie für möglich gehalten und ich war einfach nur erstaunt. Natürlich sagte ich es niemandem. Ich musste erstmal feststellen, ob ich mir das nicht nur einbildete. Vielleicht war es nur eine Phase. Vielleicht mochte ich ihn einfach nur und hängte mich so an ihn, weil er der einzige war, der in diesem gottverlassenen Dorf nett zu mir war. Aber nichtsdestotrotz waren diese Gefühle da und sie ließen sich nicht abstellen. Ich wich ihm nicht mehr aus. Statt dessen versuchte ich alles, um ihm nahe zu sein. Das Herzklopfen, dieses wunderbare Gefühl in meinem Bauch das er bei mir auslöste, war so ungewohnt, so... schön. Es ihm zu sagen kam für mich nicht in Frage. Ganz davon abgesehen dass ich mich damit offiziell outen würde - und der Gedanke war mir nun doch unangenehm - hatte er eine Freundin und schloss damit die verschwindend geringe Möglichkeit, dass er meine Liebe erwidern könnte, gänzlich aus. Am Anfang war das ok. Ich war damit zufrieden ihn zu beobachten, mir jedes Detail seines Gesichtes einzuprägen und Nachts von ihm zu träumen. Aber dann begann es, richtig fies weh zu tun, wenn ich bei ihm war. Ich dachte daran, ihn zu küssen, ich konnte mich kaum noch auf das konzentrieren, was um mich herum geschah. Die Schmetterlinge im Bauch hatten sich in Schmerz verwandelt. In unsäglichen Liebeskummer, mit dem ich mich niemandem anvertrauen konnte. Vorläufiger Höhepunkt meines Liebeskummers war eine Fahrt nach Österreich. Es war kurz vor Weihnachten und er hatte vor, irgendwelche Verwandten in Salzburg zu besuchen und dann auch gleich die Stadt zu erkunden. Kay war nicht nur schon 18, wie ich armer noch-17-jähriger feststellte, sondern hatte sogar ein Auto. Zwar war es eine Klapperkiste, aber es fuhr. Sein bester Kumpel wollte mitfahren und als sie mich fragten, sagte ich auch gleich zu. Die Fahrt war Qual und Freudentaumel zugleich für mich. Ich hatte nur Augen für ihn, und auch als wir zu dritt die Stadt anschauten, glotzte ich nur ihn an, während er irgendwelchen blonden, schlanken Mädchen nachstarrte. Es war eigentlich ein schöner Tag, obwohl es für mich auch die Hölle war. Während sein Kumpel, der irgendeine Tussi aufgerissen hatte, noch bleiben wollte, fuhren wir wieder heim. Ich saß neben ihm. Er zündete sich eine Zigarette an und fragte mich irgendwas, ich bekam es gar nicht richtig mit. Bis er mir mit der Hand vor dem Gesicht rumwedelte. "Hallo?" "Mmm.. WAS?", murmelte ich überrascht. Er grinste. "Wir sind da. Oder möchtest du hier übernachten?" "Was? Nein..." Ich lachte unecht. "Sorry, hab geträumt." Verwirrt wie ich war zog ich am Türgriff, und kapierte nicht, dass die Autotür abgeschlossen war. Bevor ich den Griff abreißen konnte, beugte Kay sich geduldig rüber und angelte nach dem Hebel um die Tür zu entriegeln. Dabei musste er sich direkt über mich rüber beugen. Ich wäre fast wahnsinnig geworden. Er war so nah, und er roch so... so gut, so... "Kay...", krächzte ich heiser. Es kam mir vor als hätte ich ihn noch nie mit seinem Namen angesprochen. "Hm?", machte er abgelenkt, weil er noch immer nach dem Hebel suchte, anstatt mich selber machen zu lassen. Dann machte es Klick, und er sagte: "Aah, Tür ist offen." Er wollte sich wieder zurücklehnen. "Kay!", sagte ich noch mal. Er drehte den Kopf um mich anzusehen, und... ich... küsste ihn. Er war so nah gewesen, ich hatte einfach nicht anders handeln KÖNNEN. Kay war total überrumpelt. So sehr, dass er einen Moment lang stocksteif in meinen Armen wurde, die ich um ihn geschlungen hatte. Dann riss er sich los und prallte gegen die Tür auf der Fahrerseite. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er mich an und fragte wütend: "Spinnst du?? Was soll das?!" Wahrscheinlich ohne es zu merken presste er seine Hand gegen seinen Mund und ich begriff, was ich getan hatte. Ich weiß nicht mal, ob es gut war, dass sich ausgerechnet jetzt mein Verstand einschaltete. Ich grinste breit und sagte fröhlich: "Das war doch nur ein Scherz! Du solltest mal dein Gesicht sehen, du schaust ja ganz entsetzt!" Wenn es denn möglich war, grinste ich noch breiter und streckte ihm dann die Zunge raus. "Hältst du mich vielleicht für schwul? Tja da muss ich dich enttäuschen, war nur ein kleiner Scherz." Düster schaute er mich an und maulte: "Das fand ich aber nicht witzig. Mach so was nie wieder." "Jaja. Also dann mach's gut!", sagte ich und riss die Tür auf. "Tschüß.", brummte er und ich schlug die Autotür zu. In dem Moment da ich mich vom Auto abgewandt hatte, verschwand das falsche Grinsen von meinem Gesicht. Mir schwammen Tränen in den Augen und ich war einfach nur froh, dass er sie nicht gesehen hatte. Ich hörte ihn wegfahren und als ich sicher war, dass er fort war, sackte ich zu Boden. Ich war so ein Idiot! Wieso hatte ich das getan? Damit tat ich mir doch nur selber weh. Ich stand auf und anstatt ins Haus zu gehen, schlug ich den Weg ein zu dem Wunschbrunnen, wo ich zum ersten Mal mit ihm gesprochen hatte. Diesmal hatte ich eine Münze dabei. Das Mondlicht glitzerte im Wasser, als ich sie hineinwarf, die Hände faltete und leise meinen Wunsch aussprach: "Ich wünsche mir, dass Kay mich liebt." Ich war so ein Dummkopf. Kapitel 4: Ein Kuss im Mondschein --------------------------------- Kay verzieh mir meinen kleinen "Scherz" sehr schnell. Wahrscheinlich glaubte er, der Glühwein sei mir zu Kopf gestiegen, als ich ihn im Auto geküsst hatte. Hätte er gewusst, wie tief sich dieser Kuss in mein Gedächtnis gebrannt hatte, wie sehr er mich aufgewühlt und verletzt hatte, dann wäre er mir sicher von dem Moment an aus dem Weg gegangen. Aber er tat einfach so, als wäre es nicht passiert. Wie von selbst wurde ich in die kleine Gruppe aufgenommen, die sich um ihn und Kathrin scharte und war dadurch auch bei allem dabei was sie unternahmen. Das war schön, weil ich nicht mehr allein sein musste, andererseits tat es weh, ihm immer so nah zu sein und doch zu wissen, dass da niemals mehr sein würde. Die Wochen flogen nur so vorbei und langsam wurde es Sommer, es wurde wärmer und die ersten Klausuren für das Abitur nahten. Ich hatte sehr wenig Zeit, so wie die anderen auch, wir konzentrierten uns ganz auf das lernen, und so rückte mein Liebeskummer für eine kurze Weile in den Hintergrund. Mit Ach und Krach schaffte ich die Klausuren. Jetzt standen nur noch die mündlichen bevor, vor denen mir am meisten graute. Aber den Abend, nachdem wir die Ergebnisse der Klausuren bekommen hatten, dachte ich erst mal nicht weiter als ein paar Stunden an die Zukunft. Denn die Clique hatte eine Idee: Sommerfest. "Wir haben so viel gelernt, jetzt haben wir uns eine Pause und ganz viel Wodka verdient!", sagte Kay dazu nur lapidar. Und deswegen veranstalteten wir noch am selben Abend ein Sommerfest, was nichts anderes hieß als uns mit einer Stereoanlage und jeder Menge Alkohol auf der Wiese in der Nähe des Schulgebäudes trafen, im Kreis saßen und feierten. Je später der Abend wurde, desto mehr lichteten sich die Reihen. Der Mond stand hoch über der Wiese, leuchtend hell. Die Leute verteilten sich überall auf der Wiese. Auch Kay und ich saßen etwas abseits, nachdem ich ihn vor 2 Stunden zu dem Gebüsch am Rande begleitet und ihm bei einer Kotzorgie die Haare aus dem Gesicht gehalten hatte. Das Paradoxe daran war nicht, dass er, nach dem seine letzten paar Bier im Gebüsch gelandet waren, fröhlich weitertrank, als wäre nichts gewesen. Sondern, dass ich so verknallt war, dass es mir sogar gefallen hatte, einem übelst Kotzenden die Haare festzuhalten und ihn zurück auf die Wiese zu bringen. Hauptsache war nur, ich konnte ihm nahe sein. Und jetzt saßen wir abseits von den anderen, es musste inzwischen schon nach 3 Uhr sein, und er lallte mir etwas vor, über seine Freundin. "Sie sagt, ich hätte zu wenig Zeit für sie!", nuschelte er. "Und dass ich mich verändert hätte. Nach 2 Jahren sagt sie mir, ich hätte mich verändert, und sie weiß nicht, ob sie mit mir zusammenbleiben will! Zwei Jahre!! Das is so enttäuschend!" Und abfällig fügte er hinzu: "Weiber...!!" Er hob das Glas und prostete mir zu. Mitleidig schaute ich ihm zu. Also war diese dumme Kuh, mit der er zusammen war, gerade dabei, ihm das Herz zu brechen. Er schwankte gefährlich und ich fing ihn auf. Müde lehnte er seinen Kopf an meine Schulter. "Diese blöde Gans...", nuschelte er und ich streichelte über seinen blonden Haarschopf. "Also ich würde dich nie verlassen.", flüsterte ich. Ich weiß nicht, ob er es hörte. Wenn, dann nahm er es entweder nicht ernst, oder er kapierte gar nicht, was ich meinte. Jedenfalls sagte er nichts sondern schloss kurz die Augen, ruhte sich aus und versuchte wohl, gegen das Schwindelgefühl anzukämpfen. "Was machst du eigentlich nach der Schule?", fragte er dann. "Ich weiß noch nicht...", antwortete ich ehrlich. "Studieren, schätze ich. Darüber hab ich mir noch keine Gedanken gemacht. Aber in der Nähe gibt es doch eine Uni, in..." "Wolltest du nicht zurück nach Köln? Ich dachte, du wärst der erste, der aus diesem Nest verschwindet.", unterbrach er mich. Seine blonden Haarsträhnen hingen ihm ins Gesicht. Er sah unglaublich süß aus. Er hatte Recht. Vor ein paar Monaten hätte ich sofort gesagt dass ich, egal was ich studieren oder arbeiten würde, auf jeden Fall nach Köln gehen würde. Aber jetzt... jetzt gab es da noch Kay. Wir würden uns nie wiedersehen, ginge ich weg von hier. Ich nahm ihm die Bierflasche aus der Hand und nahm einen Schluck. Es war schön, hier so mit ihm zu sitzen, allein im Grunde, da uns keiner beachtete, alle so weit weg saßen und mit sich selbst beschäftigt waren, und über alles mögliche zu reden. "Irgendwie ist es gar nicht so schlimm hier. Und was wirst du tun?", fragte ich. Er lächelte leicht. "Ich geh nach Salzburg. Ich hab immerhin Verwandte dort und ich mag die Stadt. Außerdem gibt es da eine sehr gute Uni, wo ich das studieren kann was ich möchte, damit ich vielleicht später was mit Musik machen kann." Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, was er da gesagt hatte. Er... er wollte weggehen? Weg von hier, von diesem erbärmlichen Nest, von... mir...? Furcht griff wie eine unsichtbare Hand nach meinem Herzen, fing es ein und drückte es zusammen. Heiser fragte ich: "Du wirst woanders studieren? In Österreich? Ist das... sicher?" "Mhm." Er nickte matt. "Ich habe die Bewerbungen abgeschickt und sie haben mich genommen. Eine Wohnung für mich suchen meine Verwandten im Moment. Schon sehr bald nach dem Abitur werde ich umziehen. Das heißt, falls ich bestehe." Er lachte. Meine Welt war in tausend Stücke zerbrochen. Kay wollte weggehen. Das bedeutete, ich hatte vielleicht noch ein paar Wochen mit ihm, dann würde er aus meinem Leben verschwinden. Und es gab nichts, was ich dagegen tun konnte. Meine Gedanken überschlugen sich. Könnte ich nicht auch in Salzburg studieren? Ich wusste sowieso noch nicht, was ich studieren wollte, war doch egal, Hauptsache.... Ach was. Was für einen Grund sollte ich haben, dorthin zu gehen? Es gab keine Chance, ihm zu folgen. Unsere Wege würden sich irgendwann unweigerlich trennen. Und schon so bald... Mir schossen die Tränen in die Augen. Warum nur? Wieder schaute ich ihn an. Er hatte die Augen geschlossen und seufzte nur gelegentlich. Er war mir so nah und merkte nicht, wie sehr er mich schockiert hatte. Mir blieb nur noch, die übrige Zeit zu genießen. Traurig legte ich meinen Kopf auf seinen, presste meine Wange gegen sein duftendes, weiches Haar. Und dann liefen mir die Tränen über das Gesicht. Minutenlang saßen wir so da, dann fragte er leise: "Was ist mit dir?" Ich hob den Kopf wieder und wischte mir übers Gesicht. "Nichts.", log ich. Er richtete sich ungeschickt wieder auf. "Das glaub ich nicht. Hab ich was falsches gesagt? Ich will das jetzt wissen!" Schmollend schob er die Unterlippe vor und ich musste fast lachen. Mir liefen die Tränen übers Gesicht aber jetzt wirkten sie wie Lachtränen. Ich würde ihn schon bald nicht mehr wiedersehen. Das war der traurigste Moment meines Lebens. Irgendwie hatte ich das Gefühl, mit ihm etwas sehr wichtiges zu verlieren. Er war nicht nur irgendwer in den ich mich verliebt hatte. Er war meine erste große Liebe und - so dachte ich damals - auch die Liebe meines Lebens. Ich weiß nicht, ob es der Alkohol war, oder einfach nur meine Furcht, ihn nie wieder zu sehen.... jedenfalls holte ich tief Luft und sagte: "Ich muss dir was sagen... Kay." Er sah mich neugierig an. "Das neulich im Auto war kein Scherz... Ich hab mich in dich verliebt." So, jetzt war es raus. Er war wahrscheinlich zu betrunken, um zu kapieren, was ich da gesagt hatte, aber mir fiel eine gewaltige Last vom Herzen. Er schaute mich aus seinen blauen, weit offenen Augen an. Ich lehnte mich vor, bis sich unsere Nasenspitzen fast berührten. Diesmal machte ich nicht mehr den Fehler, ihn zu überrumpeln. Er drehte den Kopf leicht zur Seite und das war als Einladung mehr als genug für mich. Ohne weiter darüber nachzudenken beugte ich mich vor und küsste ihn. Diesmal war es anders. Er war nicht entsetzt, und stieß mich auch nicht von sich. Seine Augen waren halb geöffnet, ich verlor mich fast in ihrem blau. Dann trennten wir uns für einen Augenblick, und er sah mich fast erstaunt an. Ich lächelte. Er hob die Hand und strich mir mein langes Haar hinters Ohr. Erst jetzt merkte ich, dass mein Haar offen war, offensichtlich hatte ich mein Haarband irgendwann verloren. Und dann, ich weiß nicht, wieso er das machte, rückte er vor und fing mich ein in einem zweiten, ungleich intensiveren Kuss. Ich schloss die Augen, die Umgebung, die Traurigkeit über sein Weggehen, das alles war für einen kurzen Augenblick vergessen. Der Augenblick brannte sich für immer in mein Gedächtnis. Seine Lippen waren so weich und süß. Und ich glaubte, den Boden unter den Füßen zu verlieren als seine warme Zunge den Weg in meinen Mund fand. Es war der Himmel für mich, in meinem Bauch kribbelte es, und jetzt verwandelte sich die Verliebtheit in etwas anderes, stärkeres. Nach einer Unendlichkeit, die viel zu kurz war, und in der wir einen Kuss der mich einfach überwältigte austauschten, lösten wir uns voneinander und er sah mich an. Ich konnte seinen Blick beim besten Willen nicht deuten. Aber er sah nicht wütend aus. Dann legte er zwei Finger auf seine Lippen und fing an zu grinsen. "W-was ist?", fragte ich verunsichert. Grinsend sagte er: "Was für ein abgefahrener Traum...!" Dann sank er wieder vor, lehnte seinen Kopf an meine Brust und murmelte etwas unverständliches. Ich sah mich um. Niemand beachtete uns, keiner hatte es gesehen. Kay atmete in regelmäßigen Zügen gegen meine Brust und fiel schließlich um. Mit seinem Kopf auf meinem Schoß saß ich da, und versuchte noch immer, über diesen gewaltigen Kuss hinwegzukommen. Er hatte seine Augen geschlossen und war auf dem besten Wege, einzuschlafen. Liebevoll streichelte ich ihm sein blondes Haar aus der Stirn. Ich beugte meinen Kopf über ihn und meine Haare kitzelten ihn im Schlaf. Leise flüsterte ich: "Ich liebe dich." Während mein hübscher Kay friedlich mit seinem Kopf auf meinem Schoß schlief, lag ich noch lange wach, streichelte ihm über die Stirn und versuchte, mir jedes Detail seines Gesichts einzuprägen. Ich erwachte aus meinem leichten Schlaf, obwohl ich nicht wusste, wieso. Müde hob ich meinen Kopf und stellte fest, dass ich ihn auf die Brust des schlafenden Kay gelegt hatte. Er schlief tief und fest, und ich versuchte, mich zu erinnern, warum wir hier so lagen. Als seine Hand sich auf meine legte und unsere Finger sich ineinander verschlangen, war es mir vollkommen egal. Eng aneinander geschmiegt lagen wir auf der Wiese, atmeten die kühle Nachtluft eines beginnenden Sommers. Er roch wunderbar, trotz der mitschwingenden Alkoholfahne. Seine Brust hob und senkte sich langsam. Ich lächelte und wollte mich wieder hinlegen. Da stockte sein gleichmäßiger Atem und seine Augenlider flatterten. Müde, blaue Augen sahen mich plötzlich an. Einen Moment lang glaubte ich, nun sei mein schöner Traum vorbei. Aber er lächelte bloß und drückte meine Hand. Dann sank sein Kopf wieder zurück auf die Wiese und er schlief wieder ein. Ich ließ mein Haupt auf seine breite Brust sinken und driftete sehr schnell wieder in einen leichten Schlaf. Morgen war so unendlich weit weg. Heute wollte ich glücklich sein, und das konnte ich nur mit ihm. Kapitel 5: Trennung ------------------- Der Morgen danach war erst mal ein sehr ungemütliches Erwachen. "Na seht euch mal die zwei Schwuchteln an.", sagte eine spöttische Stimme und als ich verschlafen die Augen öffnete, sah ich Kathrin neben uns stehen. Sie grinste mich an. "Aufstehen, wir haben heute Unterricht." "Wie spät ist es?", fragte ich müde. "Sieben.", antwortete sie schlicht. "In einer Stunde geht's los." Damit stiefelte sie davon, wahrscheinlich um noch mehr Leute zu wecken. Ich richtete mich auf. Kay schlief noch immer. "Hey!", zischte ich und rüttelte an ihm. "Wach auf." Es dauerte seltsam lange, bis ich ihn endlich wach bekam, und als ich ihm half, sich aufzusetzen, schaute er mich aus geröteten Augen an und wirkte ziemlich desorientiert. Leider hatten wir keine Zeit für ein schönes, langsames Aufwachen, heute war Freitag und damit auch Unterricht. "Komm, steh auf.", sagte ich und sofort zuckte er zusammen und fasste sich an den Kopf. Boah, der musste ja einen Mords-Kater haben. Rücksichtsvoll wie ich war fügte ich im Flüsterton hinzu: "Es ist sieben Uhr, in einer Stunde haben wir Mathe." "Fuck...", fluchte er leise und fasste sich gleich wieder an den Kopf. Er sah leichenblass aus, hatte Ringe unter den Augen und roch auf drei Meter gegen den Wind nach Alkohol. Er sah mich aus geröteten Augen an und einen Moment lang schwieg er, seine Augenbrauen zogen sich zusammen so als versuchte er, über irgendetwas nachzudenken. Dann gab er es wohl auf denn er bat mich: "Lukas? Kannst du mich nach Hause bringen?" "Klar." Ich legte seinen Arm um meine Schultern und zog ihn dann in die Höhe. Ich brachte ihn stumm nach Hause, seine Mutter war ziemlich geschockt, als ich ihn so ablieferte. Wir verabschiedeten uns nicht mal voneinander, er stolperte nur ins Haus und murmelte: "Mir is schlecht...." Danach ging ich kurz nach Hause, wo wie immer niemand sonst daheim war, duschte mich und zog mich um, dann ging ich zur Schule. Kay kam an diesem Tag nicht mehr zur Schule. Den ganzen Tag über wartete ich auf einen Anruf oder einen Besuch von ihm, aber der kam nicht. Und als er Tags darauf zur Schule kam, da schwieg er beharrlich. Ich wagte es nicht, ihn auf den Kuss anzusprechen und er schlug das Thema von sich aus nicht an. Es kam mir vor, als würde er mich meiden. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein und er konnte sich daran gar nicht erinnern oder er hielt das ganze bloß für einen "abgefahrenen Traum". Es kamen die mündlichen Prüfungen und wir konzentrierten und alle wieder auf das Lernen. Knapp aber doch bestand ich die Prüfungen, während Kay sie ohne Probleme schaffte. Er war sehr intelligent, das hatte ich schon ganz am Anfang des Schuljahres gemerkt. Die ganze Klasse veranstaltete danach noch mal ein gewaltiges Abschlussfest. Aber Kay kam nicht. Das war sehr untypisch für ihn weil gerade er eigentlich keine Gelegenheit zum feiern ausließ. Aber es gab keine Gelegenheit mehr, ihn darauf anzusprechen. Die Tage flogen nur so vorbei, und dann kam die Zeremonie, als uns unsere Zeugnisse überreicht wurden. Endlich sah ich Kay mal wieder. Und gleichzeitig war der Tag des Abschieds gekommen, der Tag vor dem ich mich gefürchtet hatte. Ich brachte diese dämliche Zeremonie vollkommen geistesabwesend hinter mich, starrte immer nur auf den blonden Hinterkopf von Kay, der direkt vor mir saß. Dann hatte ich meinen Wisch in der Hand, ein unbedeutendes Stück Papier mit ein paar Noten, und - wohlgemerkt - nicht den besten Noten. Wir standen alle in Anzügen, total herausgeputzt im Saal und verabschiedeten uns. Gott, ich hasste das alles. Ich schenkte den anderen ein fades Grinsen und ein paar lapidare Abschiedsworte, bis mir jemand auf die Schulter tippte. Ich drehte mich um. "Kay." Er lächelte nicht. "Hi, Lukas. Wir haben uns seit dem Sommerfest kaum mehr gesehen, was? Der Stress, und so..." "Mhm.", machte ich und nickte. Verlegen trat ich von einem Fuß auf den anderen, und auch er wirkte irgendwie unsicher. Schließlich nahm ich das Gespräch wieder auf: "Und bei dir geht's dann ab nach Salzburg, hm?" Kay nickte. Irgendwie kam es mir so vor als wäre er leicht blass geworden. Trotzdem sagte er: "Und du? Gehst du jetzt nach Köln oder bleibst du hier?" "Köln.", antwortete ich knapp. "Dann werden wir uns wohl nicht mehr oft sehen. Von Salzburg ist es weit, ich werde nur sehr selten zu Hause sein, in den Ferien und so." "Klar. Aber in den Ferien könnten wir ja wieder einen trinken gehen.", schlug ich vor. Er nickte dazu, aber irgendwie wirkte er nicht sehr begeistert. Wieder kehrte unangenehme Stille zwischen uns ein. Jemand rief Kays Namen. Er drehte den Kopf in die Richtung aus der der Ruf gekommen war. Aber anstatt wegzugehen, drehte er sich noch mal zu mir um, und dann umarmte er mich einfach. Ich war sehr erleichtert, drückte ihn kurz an mich und ließ ihn dann wieder los. "Mach's gut. Wir sehen uns sicher noch.", sagte er lächelnd. "Viel Glück." "Viel Glück.", entgegnete ich und beobachtete traurig, wie er wieder in der Menschenmenge verschwand. Trotz seiner Worte ahnte ich bereits, dass dies ein Abschied für sehr lange Zeit, vielleicht sogar für immer werden würde. Er würde mir so sehr fehlen. Wie er es gesagt hatte, machte sich Kay bereits wenige Tage später auf nach Salzburg, und das obwohl wir eigentlich noch 3 Monate Ferien vor dem Beginn des Studiums gehabt hätten. Er wollte sich wohl schon in der Stadt eingewöhnen, jedenfalls war er irgendwann plötzlich weg, und ich blieb allein zurück. Während der Ferien traf sich die alte Clique noch ab und zu, aber ohne ihn war es nicht mehr dasselbe. Ich nahm irgendeinen schlecht bezahlten Ferienjob an und hielt mich so davon ab, über ihn nachzudenken. Während der Ferien ging es mir noch relativ gut. Dann kam der Beginn des Studienjahres mit dem ersten Oktober und ich zog zurück nach Köln, in meine Heimatstadt, die mir so sehr gefehlt hatte. Erst als ich wieder durch die Straßen Kölns ging, wurde mir eigentlich bewusst, WIE sehr es mir gefehlt hatte und wie glücklich ich war, dorthin zurückzukehren. Nichtsdestotrotz hätte ich diese Stadt sofort aufgegeben, hätte ich dafür Kay wiedersehen können. Und nun, da ich viel Zeit hatte, nur noch Student war, hatte ich sehr viel Zeit zum nachdenken. Ich vermisste ihn über alles. Mir fehlte unsere Freundschaft, sein Lachen, seine blauen Augen. Ich schloss neue Freundschaften, zog im zweiten Semester mit zwei anderen in eine WG, und ich mochte alle meine Freunde, aber keiner von ihnen war wie Kay. Ich lerne viele nette Mädchen kennen, aber keine von ihnen vermochte mit seinen blauen Augen und seinem Lachen und seinem Wesen zu konkurrieren. Die Zeit verging, doch ich hörte nichts mehr von ihm. Wenn ich zu den Ferien heimkehrte, dann war er stets spurlos verschwunden. Alles was ich von ihm hörte waren Gerüchte und sorgenvolle Berichte der Eltern, die erzählten dass Kay exzessiv trank und sich sehr verändert hatte. Zu gerne hätte ich ihn wiedergesehen, wünschte mir, ihm wenigstens mal auf der Straße zu begegnen, damit ich seine blauen Augen nicht ganz vergäße. Aber das passierte nicht. Und über die Monate wurde der Schmerz weniger. Ich dachte immer noch manchmal an ihn, an meine große Liebe, aber die Zeit heilte auch meine Wunden und als ich nach 5 Jahren mein Studium beendet hatte, schien ich Kay fast vollständig vergessen zu haben. Ich bekam ein sehr gutes Jobangebot, zuerst in Köln, dann wurde ich für ein Jahr versetzt, und zwar ausgerechnet nach Salzburg. Natürlich dachte ich dabei an ihn, aber ich war mir auch im Klaren, dass meine Chancen, ihn dort zu treffen verschwindend gering waren. Sonst hätte ich das Angebot auch abgelehnt, denn inzwischen war ich erwachsen genug geworden um zu wissen dass die Gefühle für Kay mir nur geschadet hatten. Also zog ich um nach Salzburg, ohne wirklich auf das vorbereitet zu sein, was mich dort erwarten würde... Kapitel 6: Ein verlorener Traum ------------------------------- Es war kurz nach Weihnachten, als ich endlich meine neue Wohnung bezogen und mich so einigermaßen in der Stadt eingewöhnt hatte. Mein Job hatte sich als echter Glückstreffer herausgestellt, und ich war zum ersten Mal seit langem rundum glücklich. Ich hatte in Köln meine Freundin zurückgelassen, ein liebes Mädchen namens Anya. Es hatte über vier Jahre gedauert, soweit über Kay hinweg zu kommen, doch nun war sie meine Freundin, und wir hatten uns geschworen, uns so oft wie nur möglich zu sehen und dieses eine Jahr uns nicht auseinander bringen zu lassen. Aber nur weil Anya nicht bei mir war, hieß das nicht, dass ich mich nicht amüsieren durfte. Deswegen ging ich an einem Jännerabend zusammen mit den neuen Arbeitskollegen aus. Zuerst feierten wir ganz normal, dann beschlossen drei von uns, noch in einen Club zu gehen der anscheinend etwas ganz besonderes war. Dort erwartete uns erst mal nur eine Menschenansammlung, die sich vor dem Eingang und dem Türsteher staute. Wir warteten eine geschlagene halbe Stunde, bis wir endlich vor dem Türsteher standen und der uns musterte. Unter seiner Kapuze lugte helles Haar hervor. "Ihr könnt reingehen.", sagte er düster und nahm einen Zug von seiner Zigarette. Sein Blick streifte mich und ich stutzte. Seine Augen waren blau. Auch er schien nur einen Moment lang inne zu halten. Zögernd schob ich mich an ihm vorbei. Diese Augen... sie kamen mir so bekannt vor. Und seine Stimme, so tief und so... Ich fuhr herum. "Kay?", fragte ich laut. Sein Kopf ruckte in die Höhe. Ich hatte Recht gehabt. "Kay...", wiederholte ich fassungslos. Er streifte seine Kapuze ab und schaute mich an. Und jetzt blitzte Verstehen in den blauen Augen auf. "Lukas?!" "Hallo...!!", sagte ich, noch immer überrascht über das plötzliche Wiedersehen. "Wie... wie geht es dir?" Ein Schatten huschte über sein blasses Gesicht. "Mir geht's gut." Die Ringe unter den Augen, die blasse Hautfarbe und das Zittern seiner Hände, als er an der Zigarette zog, straften seine Worte Lügen. Außerdem hatte er einen tiefdunklen blauen Fleck unter dem linken Auge, wie nach einem Faustschlag. Ich wollte etwas dazu sagen, aber jemand in der Menge fing an zu schimpfen. Unruhig trat Kay von einem Fuß auf den anderen und sagte: "Ich hab jetzt keine Zeit, sorry." Wollte er mich jetzt einfach so wegschicken? Das konnte nicht sein Ernst sein. "Dann sag mir, wann du frei hast. Ich komme raus und wir unterhalten uns ein bisschen." Sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich. Irgendwie sah es aus, als wäre ihm das alles unangenehm. Wieso? Hatte ich irgendwas falsches gesagt? War das meine Schuld? Wollte er mich loswerden? Trotzdem antwortete er schließlich: "Um vier werde ich abgelöst." Dann wandte er sich von mir ab und unterbrach so abrupt unsere Unterhaltung. Wie betäubt betrat ich den Club, der sich als ziemlich düsterer Ort entpuppte. Die Musik war einsame Spitze, mit einer Live-Band auf der Bühne und allem, aber die Typen die hier rumhingen waren mir nicht geheuer. Und Kay arbeitete an so einem Ort? Den ganzen Abend lang konnte ich mich auf nichts mehr konzentrieren. Ich hatte nur noch sein blasses Gesicht vor Augen. Den Bluterguss unter seinem Auge. Die zitternden Hände. Auf einmal kamen mir die Erzählungen seiner Eltern wieder in den Sinn, die von einer Veränderung ihres Sohnes gesprochen hatten, von Alkohol und Drogen, und ich malte mir die schlimmsten Dinge aus. Ich wusste nicht, warum ich mir solche Sorgen machte, um einen jungen Mann den ich seit 5 Jahren nicht gesehen hatte. Ich fürchtete mich etwas vor unserem Gespräch. Würden diese Gefühle, die mich so lange gequält hatten, nun zurückkehren? Würde alles von vorne anfangen? Oder aber würden wir uns nach diesem Gespräch nicht mehr wiedersehen? Nein, das wollte ich auch nicht. Die Zeit schien rückwärts zu laufen. Als ich aus dem Gebäude kam, machte ein anderer statt Kay den Türsteher. Mein blondes Wunder stand statt dessen lässig an die Wand gelehnt und rauchte schon wieder. Er begrüßte mich mit einem Kopfnicken. "Wollen wir ein bisschen spazieren gehen?", fragte er und stieß sich von der Wand ab. Ich stimmte zu und wir entfernten uns von dem Club. Die beiden, mit denen ich gekommen war, waren so gut wie vergessen. Wieder einmal hatte ich nur noch Augen für Kay, obwohl das Herzklopfen, vor dem ich mich so gefürchtet hatte, nicht zurückgekehrt war. Offensichtlich war ich doch über ihn hinweg. Die ersten paar Minuten schwiegen wir, und es war eine angespannte, unangenehme Stille. Dann fragte er aus heiterem Himmel: "Was willst du hier? Haben meine Eltern dich geschickt?" "Was?" Ich kapierte zuerst gar nicht, was er meinte. "Spiel nicht den Unschuldigen. Was solltest du sonst hier in Salzburg machen.", blaffte er. "Was haben meine Eltern dir dafür angeboten? Solltest du mich zurück holen?" Jetzt kapierte ich. "Du bist ein Idiot!", zischte ich und blieb stehen. "Nur zu deiner Information, ich WOHNE hier! Ich hab einen geilen Job angeboten bekommen, wenn das nicht gewesen wäre, dann hätte ich mir sicher eine andere Stadt als deine ausgesucht! Und deine Eltern wissen überhaupt nichts davon!" Prüfend, ja fast schon misstrauisch starrte er mich an, dann huschte so etwas wie ein Lächeln über sein Gesicht und er sagte: "Sorry. Langsam werde ich wohl paranoid. Hallo, Lukas. Ist schön dich mal wiederzusehen." Er kam zu mir und schlang seine Arme locker um mich für eine freundschaftliche Umarmung. Für so etwas war er früher nie zu haben gewesen. Aber wenigstens schien er sich jetzt zu freuen, mich zu sehen. Ich fürchtete mich ein wenig, als mir der Duft seiner Haare in die Nase stieg, der noch immer der selbe war, der Geruch von Zigaretten, vermischt mit seinem angenehmen Duft, aber es löste allenfalls ein Gefühl von Heimweh in mir aus. Dann ließ er mich los und wir gingen weiter. Ich wusste nicht, wohin, sondern folgte ihm einfach. "Was arbeitest du denn?", erkundigte er sich. "Ich arbeite in einer Werbeagentur. Wir entwerfen Konzepte für TV-Spots und Plakate, und ab und zu richten wir große Werbeevents aus." "Na das passt wie die Faust aufs Auge. Du hast es geschafft mit deinem Sarkasmus Geld zu machen." Er grinste und ich war sehr erleichtert, etwas vom alten Kay in ihm wiederzuentdecken. "Und du? Studierst du noch?", fragte ich. Schnell verdüsterte sich sein Gesicht wieder. "Ich hab das Studium geschmissen. Ich arbeite hier im Club, warte auf eine Chance dass ich auf die Bühne darf." "Du studierst nicht mehr? Aber warum? Du warst doch derjenige von uns dem das Lernen so leicht fiel! Du warst der mit den Möglichkeiten, der mit der hohen Intelligenz! Wenn ich mein Studium geschafft habe, dann.." "Ich hatte einfach keine Lust mehr.", unterbrach er mich ruppig. Dann wurde er ruhiger und fügte hinzu: "Das ist nicht so einfach. Es hat sich alles verändert." Die Worte hatten etwas beunruhigend endgültiges für mich. Ich wollte nicht, dass sich alles veränderte. "Sturkopf.", murmelte ich, um mich selber von meinen düsteren Gedanken abzulenken. "Blödmann.", maulte er zurück. Ich grinste. Wenigstens das war noch gleich geblieben. Trotzdem wurde ich schnell wieder ernst. "Wieso bist du nicht nach Hause zurückgekommen, wenn du dein Studium geschmissen hast?", erkundigte ich mich. "Auf die Vorträge meiner Eltern hatte ich wirklich keine Lust.", antwortete er. "Ich finds klasse hier in Salzburg." In so einem schäbigen Club zu arbeiten, damit war er wirklich zufrieden? Aber offensichtlich war es ihm unangenehm, darüber zu sprechen. Die kleine Gasse, durch die er uns geführt hatte, endete in einem großen Hof, mit vielen Türen und mehrstöckigen Wohnblocks. "Hier wohne ich.", sagte er und lehnte sich gegen die Wand. Anscheinend hatte er auch nicht die Absicht, mich hereinzubitten. Von außen wirkte dieser Wohnblock auch nicht sehr einladend. Ich ließ nicht zu, dass sich wieder diese unerträgliche Stille ausbreitete, und fragte: "Wie ist es dir sonst so ergangen, die letzten Jahre? Ich hab dich vermisst, du warst nie zu Hause wenn ich am Wochenende oder in den Ferien da war." "Die letzte Zeit war ziemlich scheiße.", gestand er. "Ich habe ewig nach einem guten Job gesucht, und von meinen Eltern wollte ich kein Geld nehmen. Es hat lange gedauert, das im XTC zu finden." Ich brauchte einen Moment und zu kapieren dass das der Name des Clubs war. Irgendwie bezeichnend, fand ich. Da waren sicher sowieso die Hälfte der Leute irgendwie zugedröhnt gewesen. "Und diesen Job willst du behalten?", fragte ich. Er zuckte die Schultern. "Türsteher will ich nicht bleiben. Ich will auf die Bühne, meine Musik auflegen, singen.", antwortete er. "Man hat mir versprochen dass ich meinen Auftritt kriege, sobald mal irgendwer ausfällt." "Klasse...", murmelte ich recht wenig begeistert. Ich hatte Kay noch nicht wirklich bei einem Auftritt erlebt, deswegen wusste ich auch nicht, wie gut er war. Nur dass er Musik wirklich liebte und einen sehr guten Musikgeschmack hatte, das wusste ich. Das war ein weiterer Punkt, den ich an ihm so geliebt hatte. Früher. Um vom Thema abzulenken fragte ich: "Und wie ist das passiert?" "Was?" "Na dein blaues Auge." "Oh." Wieder schien er nach einer Ausrede zu suchen. "Kleine Schlägerei, nichts weiter. Hab irgendwie Ärger mit so ein paar Typen." Zu gerne hätte ich nachgefragt, aber ich merkte sehr wohl, dass er nicht darüber reden wollte. Früher hätte ich nachgebohrt, aber irgendwie waren wir uns seltsam fremd geworden. Ich konnte nicht weiter danach fragen. "Und... was nun?" Er zuckte die Schultern, als wollte er sagen "Mir doch egal!" Was war mit dem fröhlichen Jungen passiert den ich damals so lieb gewonnen hatte? Wo war sein Lachen geblieben? "Du, ich friere. Ich geh jetzt." "Warte." Ich wühlte kurz in meiner Tasche und zog dann eine Visitenkarte hervor. "Hier, meine Nummer. Du kannst mich immer anrufen, wenn was ist." Ich gab sie ihm und einen Moment lang berührten unsere Finger einander. Seine Haut war kalt. Achtlos stopfte er die Karte in seine Tasche und nickte. Wich meinem Blick aus. "Wir sehen uns sicher irgendwann noch mal. Tschüß." Ohne auch nur meine Antwort abzuwarten drehte er sich um und marschierte davon. "Kay...", rief ich halbherzig hinter ihm her. Was gäbe es denn für einen Grund, ihn aufzuhalten? Wir hatten nichts mehr miteinander zu tun. Aber er hatte jetzt meine Nummer. Vielleicht würde er sich ja wirklich melden, wenn er Probleme hatte. Als er in einem Hauseingang verschwunden war, drehte ich mich langsam um, und ging davon. Nach dem Abschluss hatte ich so sehr auf ein Wiedersehen mit Kay gehofft, aber ich hätte nie gedacht, dass es so aussehen würde. Diese Kälte, mit der er mich behandelt hatte... und diese schmerzhafte Stille... es war tatsächlich so... Alles hatte sich verändert. Kapitel 7: Herzklopfen ---------------------- Zwei Wochen verstrichen, mehr oder weniger ereignislos, zumindest bezogen auf ihn. Er meldete sich nicht, und ich ließ mich auch im Club nicht sehen, einfach weil ich zu stolz war, mich ihm aufzudrängen. Er hatte ja deutlich klar gemacht, dass das unerwartete Wiedersehen mit mir ziemlich unerwünscht gekommen war. Dann klingelte an einem Samstag Nachmittag plötzlich das Telefon. Als ich abhob, meldete sich niemand. Gerade wollte ich wieder auflegen, da sagte seine tiefe Stimme: "Lukas?" Ich erkannte seine Stimme sofort. "Kay. Was gibt's?" Erst druckste er etwas herum, dann brachte er aber doch hervor: "Ich hab einen Auftritt heute Abend... möchtest du kommen? Das... das wird vielleicht das beste was ich mit meinem Leben mache... und ich hätte hinterher gern eine objektive Meinung." Ahh. Ich hatte ihm schon früher immer geradeheraus meine Meinung gesagt (mal abgesehen von meinen Gefühlen für ihn), er wusste genau, wenn er mich fragte, dann kam auch wirklich die Wahrheit. "Ja klar, ich komme gern.", versprach ich. "Gut." Sonderlich begeistert klang er ja nicht. Warum war Kay nur so seltsam? "Um kurz nach Mitternacht bin ich dran. Ich sorge dafür dass man dich reinlässt." "Klasse, dann bis später. Tschüß." KLICK, schon hatte er aufgelegt. Missmutig starrte ich den Hörer an. Eigentlich hätte ich absagen sollen. Heute hatte Anya Geburtstag und weil wir uns nicht sehen konnten, hatte ich vorgehabt, mit ihr am Abend ein langes Telefongespräch zu führen. Aber die Möglichkeit, Kay auf der Bühne zu sehen, wollte ich mir nicht entgehen lassen. Und da ich ja nichts mehr für ihn empfand, war ihn zu sehen auch kein Problem mehr für mich. Ich freute mich schon auf den Abend. Als ich um kurz vor zwölf den Club XTC betrat, war von Kay weit und breit nichts zu sehen. Ich vermutete, dass er sich vorbereiten musste und setzte mich an einen der wenigen Tische. Heute war nicht sehr viel los, ich hoffte nur, dass er nicht enttäuscht sein würde weil nur so wenige seinen Auftritt miterleben konnten. Es dauerte bis viertel nach zwölf, bis sich endlich mal was tat. Plötzlich ging die Musik aus und es wurde dunkel im hinteren Teil des Gebäudes. Und dann kam jemand auf die Bühne. Das Licht war trübe, aber ich erkannte Kay sofort. Diesmal trug er nicht mehr diese Mütze und ich sah erst jetzt, wie sehr seine Haare gewachsen waren. Sie waren jetzt fast so lang wie meine und noch immer so hellblond wie damals. Er trug eine ganze Sammlung CDs bei sich. Das Publikum sah gespannt zu ihm hoch. Kay hielt sich nicht mit irgendwelchen Reden auf, sondern er fing einfach an. Legte eine CD auf und es ertönte, wie konnte es denn anders sein, Hiphop. Er hatte seinen großartigen Geschmack was Musik betraf nicht verloren. Zuerst legte er nur auf, erfüllte den Raum mit Musik und Leben, dann nahm er sich das Mikrofon und fing an zu rappen/singen (beides). Und ganz davon abgesehen, dass er ein wahres Musikgenie war, wie ich fand, war ich plötzlich zutiefst gebannt von ihm. Seine blauen Augen strahlten, dort auf der Bühne. Das war der Kay, den ich früher gekannt hatte, voller Energie und mit der Fähigkeit, einen ganzen Haufen Leute für sich zu begeistern. Stumm saß ich da, schaute ihm zu und mein Herz fing an rasend schnell gegen meine Brust zu pochen. Ich konnte nicht fassen, wie sehr seine Augen leuchteten. Plötzlich wusste ich wieder, warum ich mich damals in ihn verliebt hatte. Eine merkwürdige Hitze stieg in mir auf, direkt in mein Gesicht, das vor Aufregung stark gerötet sein musste. Er war fantastisch. Irgendwie konnte ich nicht mehr aufhören, ihn anzustarren. Der Augenblick ging viel zu schnell vorbei. Irgendwann verebbte die Musik, Kay dankte seinem Publikum und auf der Bühne wurde es wieder dunkel. Die Leute jubelten. Ich selbst war noch richtig weggetreten, überrascht von meiner heftigen Reaktion. Nach zehn Minuten kam er an meinen Tisch, und zu meinem Entsetzen sah er noch immer aus wie eben auf der Bühne - strahlende Augen und eine Aura der ich kaum widerstehen konnte. "Und?", fragte er mich. "Wie fandest du das?" Ich wollte in Begeisterungsstürme ausbrechen, aber mir blieben die Worte im Halse stecken. Schließlich rang ich mich zu einem "Du warst fantastisch, Kay" durch. Er grinste und setzte sich zu mir an den Tisch. "Ich hätte nicht gedacht, dass das so klappen würde.", gestand er. "Ich habe schon so lange nicht mehr Musik gemacht... ich hab keine Anlage und hatte keine Aufträge..." "Du warst wirklich unglaublich.", sagte ich nach einem kräftigen Schluck aus meiner Flasche Bier. "Du solltest mehr machen als nur das." "Denkst du wirklich, ich bin so gut?" "Klar. Ich fand dich besser als Eminem. Und sonst kannst du ja immer noch Volksmusik machen.", rief ich und prostete ihm zu. Er fing an zu lachen, unbekümmert so wie früher, und da war es um mich geschehen. Mir wurde heiß und mein Herz pochte und in meinem Bauch tanzten die berühmten Schmetterlinge... "Ich muss hier raus.", stammelte ich und stand so abrupt auf, dass ich beinahe eine volle Flasche Bier vom Tisch gestoßen hätte. Kay rief etwas hinter mir her, als ich fluchtartig zur Tür stürmte, aber es ging im Stimmengewirr unter. Es war mir auch egal. Ich stürmte aus der Tür und rammte dabei irgendeinen Typen, aber auch das registrierte ich kaum. Ich nuschelte eine Entschuldigung und rannte ins Freie. Erst als ich die frische, kühle Luft auf meiner Haut spürte, blieb ich stehen. Oh Gott, was war da gerade passiert? Verwirrt fuhr ich mir durchs Haar. Shit. Ich war auf dem besten Wege, mich neu in ihn zu verlieben. Dabei war ich mir so sicher gewesen, dass die alten Gefühle endgültig erledigt waren. Was sollte ich jetzt machen? Ich musste... mich von ihm fernhalten. Ich durfte ihn nicht wiedersehen. Anya war jetzt meine Freundin und ich hatte sie wirklich gern, nein ich liebte sie. Wirklich. "Hey, du!", sagte plötzlich irgendwer und im selben Moment wurde ich an der Schulter gepackt und herumgerissen. Ich war noch immer viel zu überrascht um zu begreifen was der komische, breitschultrige Typ wollte. "Willst du dich nicht entschuldigen, du kleiner Scheißer?" "Was?" Mein Verstand klärte sich weitestgehend, zumindest genug damit ich begriff dass er der Typ war, den ich gerade angerempelt hatte. Und er war nicht allein, zwei andere standen auf einmal hinter mir. Das war nicht gut. Der Kerl schubste mich, und ich prallte gegen einen der anderen. "Hast du Lust auf Ärger, du Wichser? Den kannst du haben.", sagte er düster. Seine Hand ballte sich zur Faust. Scheiße, wo war ich denn nun wieder reingeraten? Ich wurde wieder gestoßen, diesmal ungleich härter und wäre fast auf den Boden gefallen. Bevor ich mich beschweren konnte, sagte eine schneidende Stimme: "AUFHÖREN!!!" Hinter dem Schlägertyp drängelte sich Kay hervor und schaute ihn düster an. "Er gehört zu mir, lass ihn in Ruhe." Der Typ sah nicht so aus, als ob er sich von Kay was sagen ließe, denn obwohl sie etwa gleich groß waren, war Kay doch um einiges schlanker und weniger muskulös. Trotzdem stellte Kay sich vor mich und schaute dem Kerl gerade in die Augen. So lange, bis der aufgab und brummte: "Na schön. Ist sowieso uninteressant sich mit so einem Weichei zu prügeln." Herausfordernd reckte Kay den Kopf in die Höhe, aber die drei zogen trotzdem ab. Erleichtert legte ich ihm die Hand auf die Schulter und murmelte: "Danke." "Mh.", machte er und drehte sich zu mir um. "Was war denn eben mit dir los? Du bist plötzlich aus der Tür gestürmt... hab ich was falsches gesagt?" Ich schüttelte den Kopf. "Nein. Ich hab nur plötzlich... keine Luft mehr gekriegt." Das war nicht mal wirklich gelogen. Nur dass das nicht an der schlechten Luft im Club gelegen hatte sondern an ihm. Man sah ihm dementsprechend deutlich an, dass er mir kein Wort glaubte. Trotzdem nickte er und sagte: "Okay. Also, ich hab hier eh nichts mehr zu tun, und du schwankst schon ein bisschen... ich werde mal nach Hause gehen. Wie weit ist es bis zu dir nach Hause?" "Umm, ich muss die Straßenbahn nehmen, meine Wohnung ist etwas abseits..." "Von mir aus kannst du bei mir schlafen.", schlug er vor. "Die Stadt ist ziemlich gefährlich, und wenn die sehen dass du betrunken bist..." "Ich bin nicht betrunken!", protestierte ich. Ich hatte zwar getrunken im Club aber sooo viel war es nun auch wieder nicht gewesen. "Wie auch immer, willst du bei mir übernachten?", fragte er ungeduldig. Unschlüssig schaute ich ihn an. Hatte ich mir nicht grade vorgenommen, ihn nicht mehr zu treffen? Und jetzt sollte ich bei ihm übernachten? "Klar." Oh Gott, konnte ein einzelner Mensch so dämlich sein? SHIT!! So kam es, dass ich an jenem Winterabend neben Kay her trottete, direkt in Richtung seiner Wohnung. Kapitel 8: Eine Nacht mit Kay ----------------------------- Seine Wohnung war genau so, wie ich es beim ersten Anblick der Wohnhäuser vermutet hatte. Schäbig, alt und düster. Aber wenn mich jemand in diese Wohnung gebracht hätte, ohne mir zu sagen, wer hier wohnte, ich hätte sofort auf Kay getippt, obwohl ich selbst nicht genau sagen konnte, wieso. Seine Wohnung hatte nur 3 kleine Zimmer, das Schlafzimmer, das Bad und die kleine Küche, die eher als Kochnische hätte bezeichnet werden können. Das Schlafzimmer war ziemlich unaufgeräumt. In der Mitte stand ein großes Bett, es wirkte sehr gemütlich, es gab einen kleinen Fernseher und eine Stereoanlage, an den Wänden hingen Poster von Leuten die ich als Musik-Laie nicht kannte. Ich mochte seine Wohnung, aber sie wirkte eher wie ein Studentenzimmer als die Wohnung eines Erwachsenen. Während ich unschlüssig in der Tür stand, räumte Kay schnell ein paar Sachen zusammen, machte das Bett frei und den Boden davor. Dann sah er mich an, aus müden, blauen Augen. "Okay... mmh... gehen wir schlafen? Oder willst du noch irgendwas machen?" Seltsamerweise wurde mir bei dieser Frage ganz heiß und ich hatte sehr, SEHR beunruhigende Gedanken. Ich räusperte mich. "Ähm... nein... ich... ich bin müde... gehen wir... schlafen..." Jeder halbwegs intelligente Mensch musste merken, wie verlegen ich war, aber Kay ignorierte es entweder, oder er bekam es tatsächlich nicht mit. Er kramte eine dünne Wolldecke raus und gab sie mir. Für sich legte er die Bettdecke auf den Boden und sagte dann: "Du schläfst auf dem Bett." "Das ist aber nicht nötig, ich kann auch auf dem Boden..." "Ach was.", sagte er ruppig. "Das geht schon so." Und damit war das für ihn geklärt. Ich ließ mich gleich auf das Bett fallen während er noch mal ins Bad ging. Dann kam er zurück, trug nur noch seine Shorts und wieder ließ mich der Anblick nicht so kalt wie ich mir das gewünscht hätte. Er machte das Licht aus und legte sich hin. Dann war es plötzlich still im Raum. Von draußen drang ein bisschen Licht durch das Fenster, gerade so viel, dass ich ihn am Boden erkennen konnte, wenn ich runter sah. Ich war auf einmal hellwach. Wie sollte ich denn da auch schlafen? Ich lag im Zimmer von Kay, fast neben ihm, neben dem Jungen, in den ich so unendlich verliebt gewesen war! Lange lag ich wach, selbst als schon Kays gleichmäßige Atemzüge an mein Ohr drangen. Mein Herz, das mich zu verraten schien, klopfte lautstark gegen meine Brust. Ich fürchtete mich vor meinen Gefühlen. Nochmal wollte ich so einen Schmerz wie damals nicht durchmachen müssen. Mitten in der Nacht schrak ich hoch, geweckt durch ein ungewohntes Geräusch. Das Bett, in dem ich lag, roch fremd. Als ich die Augen öffnete, zeichneten sich fremde Lichter an der Wand ab und ich richtete mich erschreckt auf. Wo...? Erst als ich die Person am Boden vor dem Bett entdeckte, erinnerte ich mich daran, wo ich hier war. Bei Kay. Erleichtert ließ ich meinen Kopf zurück auf das Kissen sinken. Er hatte mich geweckt, wie er sich da unten unruhig hin und her warf. Es war wohl sehr unbequem am Boden. Ich hätte ihn gern raufgebeten, aber nach seiner ungeduldigen Entscheidung gestern Abend hatte ich dazu nicht den Mut. Gerade hatte ich meine Augen geschlossen, da ertönte von unten ein leises: "Duuu, Lukas?" "Hmmm?", machte ich verschlafen. "Ist dir kalt?" "Ein bisschen, wieso?" Schelmisch kam es aus der Dunkelheit: "Ich hätte hier eine wunderbar warme, weiche Decke." Grinsend fragte ich: "Und was muss ich tun, damit ich die kriege?" "Du musst mir nur ein bisschen Platz machen...." Ich war zu müde, um mich zu fürchten, vor mir selbst oder auch vor seiner Nähe. Statt dessen rutschte ich zur Seite, bis ich mit dem Rücken an die Wand stieß. Schwer kletterte Kay auf das Bett und zog die Bettdecke mit sich. Ungeduldig strampelte ich die Wolldecke weg und er legte die Bettdecke über uns beide. "Mmmh... schön warm...", seufzte ich und kuschelte mich in die Decke. Das beste daran war, dass sie nach ihm duftete. "Und weich..", seufzte er mit. "Der Boden war so hart." Ich schloss meine Augen, um in dieser angenehm warmen Umgebung wieder einzuschlafen. Er lag mit dem Gesicht zu mir, er war so nah, dass ich seinen Atem auf meinem Gesicht spüren konnte. Der Augenblick war perfekt, so wie nur einer zuvor in meinem Leben, damals ein Kuss auf einer Wiese im Schein des Mondes. Aber diesmal küssten wir uns nicht. Wer weiß, was anders gelaufen wäre, wenn wir es getan hätten. Statt dessen schliefen wir ein, so nah beieinander, und doch ohne einander auch nur zu berühren. Es war ein perfekter Augenblick. Morgens war von der distanzierten Nähe nicht mehr viel übrig geblieben. Ich wusste nicht, wer von uns im Schlaf den Abstand zwischen uns überbrückt hatte, jedenfalls lagen wir jetzt wirklich eng aneinander gekuschelt unter der Decke, ich wusste kaum, welcher Fuß meiner war, weil nämlich mein Bein eingeklemmt zwischen seinen war. Sein gleichmäßiger Atem kitzelte mich im Gesicht. Sein Duft brachte mich beinah um den Verstand, ich glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Vorsichtig befreite ich mich aus seiner Umarmung und kletterte so leise wie möglich vom Bett. Ich musste hier weg, weg von ihm, fliehen vor diesen Gefühlen, die mich zu überwältigen drohten, wann immer er in meiner Nähe war und ich in diese blauen Ozeane seiner Augen schaute... "Wo willst du denn so schnell hin?" Kays Stimme riss mich sehr schnell in die Wirklichkeit zurück und ich fühlte mich wie ertappt. Ich hatte keine Antwort parat. Er setzte sich im Bett auf, ohne seinen Blick von meinen Augen abzuwenden und sagte: "Ist schon komisch, wie sich alles verändert hat, was? Vor fünf Jahren bin ich dir aus dem Weg gegangen, und heute ist es umgekehrt. Heute fliehst du vor mir." "Was?", fragte ich erstaunt. Es war wirklich Zeit, dass es jemand von uns aussprach, aber dass es Kay sein würde, hatte ich nicht erwartet. Ich war noch nicht vorbeireitet auf diese Konfrontation. Ich war noch zu müde, zu sehr gefangen von seiner Aura. Deswegen senkte ich meinen Kopf und verkündete: "Ich geh ins Bad. Wir reden später weiter." So lange wie es möglich war, ohne verdächtig zu wirken, verbrachte ich im Bad. Als ich rauskam, hatte Kay schon das "Frühstück" vorbereitet, das für ihn aus einer Tasse Kaffee und einer Zigarette bestand. Ich setzte mich zu ihm an den kleinen Tisch und wir schwiegen. Zu meinem Leidwesen trug er noch immer nur seine Shorts. Ich war es, der das Schweigen schließlich beendete. "Warum bist du mir damals aus dem Weg gegangen?" Jetzt war ich bereit für eine Auseinandersetzung. Und für die Wahrheit. Er starrte auf seine Tasse, so als hätte er irgendwas ganz besonderes am Boden der Kaffeetasse entdeckt. Trotzdem antwortete er: "Weißt du noch, das Sommerfest damals?" Ich nickte. Wie hätte ich das vergessen können? Er murmelte: "Ich war so was von betrunken... ich war wirklich richtig zu. Und dann hatte ich einen wirklich... beunruhigenden Traum. Das hat mich erschreckt. Ich war mir unsicher, ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte. Deswegen bin ich dir aus dem Weg gegangen. Ich hatte Angst vor der Wahrheit, glaube ich." Stumm schaute ich ihn an, aber in meinem Inneren tobte ein Sturm. Ein beunruhigender Traum? Mir waren seine Worte damals nach dem Kuss noch bestens in Erinnerung geblieben: Was für ein abgefahrener Traum...! Also hatte er es tatsächlich für einen Traum gehalten. Oder sprach er von etwas anderem? Sollte ich nachfragen? War ich wirklich bereit für eine endgültige Antwort? Mein Mund öffnete sich, aber ich brachte keinen Ton raus. Was, wenn ich mich irrte? Ich versuchte, etwas zu sagen. Was, wenn er wirklich etwas für mich empfunden hatte, damals? Ich war jetzt mit Anya zusammen. Mir blieb jedes Wort im Halse stecken. "Und warum gehst du mir aus dem Weg?", fragte er. "Tu ich doch gar nicht.", entgegnete ich, nur etwas zu schnell. "Ich kannte dich mal ziemlich gut.", sagte er. "Du hast doch irgendwas. Seit wir uns gestern im Club gesehen haben bist du so komisch... als wäre dir irgendwas unangenehm." "Du kennst mich immer noch zu gut.", murmelte ich. "Ich habe wohl auch Angst." "Wovor?" Gerade schaute ich ihm in die Augen und er wirkte fast erstaunt über den Blickkontakt. Vielleicht konnte er in meinen Augen lesen, was ich selbst nicht wahrhaben wollte. "Ich traue mir selbst nicht, wenn ich bei dir bin.", sagte ich fest und stand dann auf, ohne den Blickkontakt zu ihm zu verlieren. "Manches ändert sich eben nie." Mit einem Kopfnicken verabschiedete ich mich von ihm und verließ die Wohnung. Diesmal war ich stolz auf mich. Ich hatte meine Gefühle unter Kontrolle behalten. Ich war NICHT verliebt in Kay. Kapitel 9: Anya --------------- Noch am selben Tag rief Anya mich an. Sie war ziemlich enttäuscht darüber, dass ich vergessen hatte, sie anzurufen. Um das wieder gut zu machen, lud ich sie ein, mich zu besuchen. Dieses Wochenende hatte sie keine Zeit, aber sie ließ sich überzeugen, mich am nächsten Freitag zu besuchen. Ich freute mich sehr auf ihren Besuch und in meiner grenzenlosen Dummheit entschied ich mich, ihr den Club zu zeigen, in dem Kay arbeitete. Nur ein Idiot wie ich hätte auf so eine Idee kommen können. Am Montag ging ich zum Frisör und ließ mir die Haare schneiden. Meine neue Kurzhaarfrisur war etwas ungewohnt aber ich hatte mich nach einer Veränderung geradezu gesehnt. Mit Spannung sah ich dem Freitag Abend entgegen, wo sich die zwei Menschen treffen würden, die mir am liebsten waren: Anya und... Kay. Anyas Besuch war wie erwartet eine schöne Abwechslung. Ich schleppte sie ziemlich schnell in den Club, aber zu meiner Überraschung stand Kay nicht am Eingang. Ich fragte den anderen Türsteher, wo er denn wäre, und die ruppige Antwort war: "Der ist drinnen." Also suchten wir uns drinnen einen Platz und bestellten uns schon mal was. Die Musik war ziemlich klasse, also konnte sie auch über die fiesen Gestalten hinweg sehen. Etwa eine halbe Stunde saßen wir da und unterhielten uns, alles war perfekt, bis auf eins: mir fehlte Kay. Also stand ich auf, um nach ihm zu suchen. Ich durchforstete die dunkelsten Ecken des Clubs, und schließlich fand ich ihn, beim Hintereingang, mit einer Flasche Bier in der Hand. Er trug wieder seine Mütze, unter der sich sein schönes, blondes Haar verbarg. Er sah schlecht aus. Aber als ich seinen Namen rief, hob er den Kopf und er schien fast zu lächeln. "Lukas!", sagte er und stellte sich vor mich. Natürlich blieb sein Blick sofort an meinen Haaren haften. Langsam hob er den Arm und berührte eine Haarsträhne, die mir ins Gesicht hing. "Wieso hast du sie abschneiden lassen?" Spielerisch verzog ich das Gesicht und fragte: "Gefallen sie dir nicht?" Er lächelte. "Ist einfach ungewohnt. Ich mochte deine langen Haare." Eine Hand legte sich auf meine Schulter und dann schmiegte sich Anya liebevoll an mich. "Lukas, kommst du? Mir ist langweilig ohne dich." Kays Blick verdüsterte sich. "Ah! Darf ich vorstellen? Kay das ist meine Freundin Anya, Anya das ist Kay, von dem ich dir erzählt habe.", sagte ich eifrig. Ich wollte, dass die zwei sich gut verstanden. Anya lächelte zurückhaltend und sagte schlicht: "Hallo." Sie umarmte mich von hinten, legte ihren Kopf auf meine Schulter. Seltsam, normalerweise mochte sie keine Zutraulichkeiten in der Öffentlichkeit. Kay schien blass geworden zu sein. Das Leuchten war aus seinen Augen verschwunden und er warf uns einen düsteren Blick zu. "Hallo.", sagte er unwillig. Fast trotzig nahm er einen Schluck aus seiner Bierflasche und ließ sie dann einfach fallen weil sie leer war. "Hast du sie hergebracht, um ihr zu zeigen wie runtergekommen der Arbeitsplatz vom dämlichen Kay ist? Hmm?" Ohne mich darauf antworten zu lassen schob er sich an uns vorbei und sagte giftig: "Eine kleine Führung gefällig? Hier vorne seht ihr die Bar, da hinten die Tür, und hier drüben das Klo, wo ich mir die nächsten 5 Minuten die Seele aus dem Leib kotzen werde. Viel Spaß noch." Damit war er auch schon im Menschengewühl verschwunden. Anya und ich starrten ihm entgeistert nach. Anya fragte sich vermutlich grade, ob ich noch zurechnungsfähig war, weil ich ihr einen dermaßen unfreundlichen, betrunkenen Kerl als meinen besten Freund vorgestellt hatte. Ich selber war vollkommen perplex. Ich hatte Kay noch nie so wütend erlebt, und vor allem begriff ich nicht, was mit ihm los war. Und außerdem musste ich mir das von ihm nicht bieten lassen, und meine Freundin auch nicht. "Setz dich wieder hin, damit unsere Plätze nicht verloren gehen.", sagte ich zu ihr. "Ich rede mit ihm." Irgendwie schien sie protestieren zu wollen, ließ es aber dann doch und tat, was ich ihr gesagt hatte. Während sie zu unserem Platz zurück ging, rannte ich Kay hinterher. Er war gerade bei der Klotür angekommen, da holte ich ihn ein. Wütend packte ich ihn an der Schulter und riss ihn unsanft herum. Ehe er protestieren konnte, zischte ich: "Sag mal, was ist eigentlich dein Problem?" Zornig versuchte er, mich wegzustoßen, aber ich hielt ihn eisern fest. Mit funkelnden Augen starrte er mich an und knurrte: "Ich hab kein Problem, also lass mich in Ruhe." "Und warum warst du dann so fies zu Anya und mir?" "Einfach so! Und jetzt nimm deine Hände von mir!", zischte er und stieß mich weg. Er verschwand im Klo und ich blieb verständnislos zurück. Was war bloß in ihn gefahren? Ich zuckte die Schultern. Wenn er die beleidigte Schönheit spielen wollte, dann bitte. Ich würde mir den Abend mit Anya jedenfalls nicht verderben lassen. Ich kehrte zu ihr an den Tisch zurück und es dauerte eine Weile, sie davon zu überzeugen, dass Kay nicht immer so war und es sicher nicht so ernst gemeint hatte. Aber dann hatten wir einen ziemlich schönen Abend. Ich ließ Kay schmollen, und wir begegneten ihm ein paar Stunden lang nicht mehr. Irgendwann stand ich nur mal kurz auf, um aufs Klo zu gehen. Auf meinem Weg zurück entdeckte ich Kay. Er saß an der Bar mit irgendeinem Drink in der einen, und einer merkwürdig aussehenden Zigarette in der anderen Hand. Eigentlich wollte ich ihn für seine fiese Nummer mit Nichtbeachtung strafen, aber er hing bereits nur noch halb auf dem Stuhl und schwankte gefährlich. Ich nannte leise seinen Namen und legte ihm die Hand auf die Schulter. Er hob kurz den Kopf und warf mir einen vernichtenden Blick zu. "Was wills du?", lallte er. "Denkst du nicht, dass du schon genug getrunken hast?", fragte ich ihn. "Warum sagst du es mir nicht, Mutter!!", sagte er giftig. Ich unterdrückte den Impuls, ihn einfach allein zu lassen, und setzte mich statt dessen neben ihn. Er war nicht nur betrunken, er war total zu. Wieder kam mir in den Sinn, was seine Eltern über seinen Alkoholkonsum gesagt hatten und zum ersten Mal machte ich mir wirklich Sorgen um ihn. "Komm, du hattest wirklich genug!", sagte ich ungeduldig und versuchte, ihm das Glas wegzunehmen. Obwohl er betrunken war, war das gar nicht so leicht, er klammerte sich regelrecht daran fest. "Lass mich!", nuschelte er. "Ich kann auf dein... Mitleid verzichten! Geh weg!" Er hatte eine ganz entsetzliche Fahne. Auf einmal machte ich mir furchtbare Sorgen um ihn. War er wirklich schon ein Alkoholiker? Wie regelmäßig ließ er sich dermaßen voll laufen? "Komm, gib schon her!", sagte ich, aber er riss das Glas an sich und funkelte mich an. Auf einmal schlug meine Sorge in Wut um, ich sprang vom Sessel und schrie ihn an: "Dann sauf dich doch zu Tode, du Blödmann!!!" Ich drehte mich um und wollte weglaufen, ihn da so sitzen lassen, aber er rief: "Lukas! Warte!" Ich blieb stehen und drehte mich wieder zu ihm um. Er nahm mich beim Hemdsärmel und zog mich zu sich heran. Seinen Kopf lehnte er an meine Brust und raunte: "Es tut mir leid. Seit dem Abitur läuft einfach alles schief bei mir." Wie hätte ich ihm weiter böse sein können? Ich legte meine Hand auf seinen Kopf und sagte: "Komm, ich bring dich nach Hause." Ich zahlte eilig seine Rechnung und hievte ihn vom Stuhl. Er schlang die Arme um meinen Nacken und lallte irgendwas unverständliches vor sich hin. Mühevoll schleppte ich ihn durch den halben Club, bis zum Tisch von Anya. Schon als sie uns sah, wirkte sie wenig begeistert. "Lukas, was machst du? Was ist mit ihm los?" "Entschuldige. Er hat zu viel getrunken, ich muss ihn nach Hause bringen.", erklärte ich ihr. "Und warten, bis es ihm besser geht. Kommst du mit oder willst du nach Hause gehen?" Wütend packte sie ihren Mantel und stand auf. "Ich gehe nach Hause. Mach doch was du willst." "Aber nicht allein. Es ist gefährlich, nachts." Deswegen ließ ich ihr ein Taxi rufen. Als sie im Taxi saß und ich sie in Sicherheit wusste, stapfte ich mit einem betrunkenen Kay um den Hals zu seiner Wohnung. Mir war zu dem Zeitpunkt gar nicht bewusst, was ich da eigentlich getan hatte. Denn im Grunde hatte ich ihn meiner Freundin vorgezogen. Dass er sturzbetrunken war und meine Hilfe brauchte, spielte in dem Fall keine Rolle. Bis zu dem Wohnblock zu kommen war kein Problem. Kay allerdings die Treppe hoch zu schaffen war pure Schwerstarbeit. Er war nicht der Schmächtigste und ich hatte mich zeitlebens nie mit Krafttraining oder dergleichen beschäftigt. Nach den drei Stockwerken war ich total fertig. Kay hatte sich von mir gelöst und war auf den Boden gesunken. Eigentlich hatte ich vorgehabt, ihn ins Bett zu schaffen, aber jetzt brauchte ich auch erst mal ne Pause. Nachdem ich die Tür abgeschlossen hatte, setzte ich mich neben ihn auf den Boden und atmete erst mal tief durch. Kay hatte seinen Kopf tief gesenkt und rührte sich eine ganze Weile lang nicht. Nachdem ich selbst einigermaßen zur Ruhe gekommen war, fragte ich besorgt: "Ist alles okay mit dir?" Die Antwort war ein Flüstern, zu leise als dass ich es hätte verstehen können. Als ich nachfragte und meinen Kopf gegen seinen drückte, hörte ich ihn leise antworten: "Nein... bei mir ist gar nichts okay." "Ist dir schlecht? Kann ich irgendwas für dich tun?" Matt schüttelte er seinen Kopf. Er war leichenblass und sah wirklich schlecht aus. "Lukas...", nuschelte er. "Ich hab nichts mehr unter Kontrolle. Irgendwie ist einfach alles... alles schief gelaufen. Ich will nicht mehr... ich kann einfach nicht mehr." Seine Worte erschreckten mich zutiefst. Bestimmt meinte er es gar nicht so, trotzdem bekam ich furchtbare Angst um ihn. "Sag so was nicht, bitte.", bat ich ihn. "Ich weiß nicht, was du für Probleme hast. Aber du kannst doch noch mal von vorn anfangen. Wir sind doch Freunde, ich werde dir helfen." "Du kannst mir nicht helfen.", sagte er düster und fuhr sich unruhig durch sein blondes Haar. Ich blieb still. Jemand anders hätte vielleicht eine Antwort darauf gewusst, aber ich nicht. Ich konnte nur schweigen, ich war noch nie gut darin gewesen, andere zu trösten oder ihnen zu helfen. Alles was ich tun konnte war heute für ihn da zu sein und auf ihn aufzupassen. "Weißt du noch, das Sommerfest?", fragte er unvermittelt. "Was? Ja... ich erinnere mich daran...", stotterte ich. Mit der Frage hatte ich nicht gerechnet. Natürlich erinnerte ich mich. An dem Abend hatte sich alles verändert. Von da an war nichts mehr gewesen wie vorher. "Habe ich das geträumt?", fragte er müde. "Oder haben wir uns damals geküsst?" Ich war perplex. So eine direkte Frage hatte ich nicht erwartet. Wie sollte ich darauf antworten? Ich biss mir unsicher auf die Unterlippe. Aber mein Schweigen war auch eine Antwort. Sein Kopf hob sich und er schaute mich mit diesen blauen Augen an. Seine Stirn legte sich in Falten und er sagte düster: "Also war es kein Traum. Wenn ich das früher gewusst hätte... ich frage mich, ob wir dann heute hier so sitzen würden." "Wieso nicht? Was hätte es geändert, wenn..." Weiter kam ich nicht, denn abrupt rückte er vor und drückte seine Lippen auf meine. Mein Kopf war wie leergefegt. Warum machte er so was? Wollte er mich quälen? Nur einen Augenblick lang schmolz ich schier dahin, so wie es früher schon gewesen war, dann schaltete sich mein Verstand wieder ein und ich stieß ihn grob von mir. Nein, so wollte ich das nicht. Ich wollte nicht schon wieder so leiden. Wenn er morgen wieder nüchtern sein würde, würde er wieder der Alte sein, und diesen Schmerz wollte ich mir ersparen. Außerdem war ich mit Anya zusammen. Seltsam, dass sie mir immer als letztes einfiel. Mein Blick fiel auf Kay, der mich fast enttäuscht anschaute. Ich erwartete, dass er irgendwas sagen würde, aber er schwieg eisern. Und ich, ich hatte auch nichts zu sagen. Warum musste alles immer so kompliziert sein? Ich wich seinem Blick verlegen aus. "Komm. Ich bringe dich ins Bett. Du solltest erst mal deinen Rausch ausschlafen." Widerstandslos ließ er sich von mir auf die Füße ziehen und in sein Bett bringen. Diesmal blieb ich nicht bei ihm. Er musste sich bloß ausschlafen. Und ich konnte und wollte nicht bei ihm bleiben. Zu Hause wartete Anya auf mich. Nachdem ich mich versichert hatte, dass er schlief und alles in Ordnung war, verließ ich die Wohnung und machte mich auf den Heimweg. Ich hatte heute großes Glück gehabt. Denn ich wusste in meinem Inneren, dass ich einen nüchternen Kay nicht zurückgewiesen hätte, wenn er mich geküsst hätte. Kapitel 10: Vernünftige Entscheidung ------------------------------------ Ein paar Tage später stand Kay frühmorgens vor meiner Tür, einfach so. Ich war sehr überrascht, als ich die Tür aufmachte und er so dastand, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben und mit einem fast schüchternen Lächeln. Was mich fast noch mehr überraschte war aber die unbändige Freude, die bei seinem Anblick in mir aufstieg. "Komm rein!", sagte ich und bat ihn in meine Wohnung. "Wie geht's dir? Ich kann..." "Mir geht's gut.", unterbrach er meinen Redeschwall. "Ich wollte dich nur kurz sprechen." Irgendwie wirkte er verändert, und obwohl ich nicht genau sagen konnte, wieso, war es trotzdem eine positive Veränderung, wie ich fand. Ich führte ihn nach oben in meine gemütliche Wohnung und er blieb unschlüssig an der Tür stehen. Er lächelte mich an. "Ich habe aufgehört zu trinken. Ich hab sämtliche Alkoholflaschen weggeworfen." "Ehrlich??", freute ich mich. "Du siehst sehr gut aus." Er senkte verlegen den Kopf und ich begriff wie das geklungen hatte. "Ich meine, du siehst verändert aus. Man merkt, dass etwas anders ist." Ein paar Tage ohne Alkohol konnten natürlich nicht die Spuren von Übermüdung und Überanstrengung aus seinem Gesicht tilgen, aber allein der Entschluss schien ihn irgendwie gestärkt zu haben. Endlich strahlte er wieder etwas von dem alten Selbstbewusstsein und der Fröhlichkeit aus, die ich damals so an ihm bewundert hatte. Um das Thema zu wechseln schaute er sich um. "Du hast echt eine klasse Wohnung!", staunte er. Klar, verglichen mit seiner Wohnung... Neugierig ging er ins Schlafzimmer. Sein Blick schweifte über den Fernseher, das Bett, und blieb dann am Regal neben dem Bett hängen. Ich wusste nicht, was dort sein Interesse erweckt hatte, bis er den Bilderrahmen in die Hand nahm. Es gab bloß zwei Bilder in meiner gesamten Wohnung, und die standen hier. Eins zeigte Anya. Und das zweite zeigte... uns. Kay und mich. Es war damals bei irgendeiner Party gemacht worden, es war das einzige das nur uns beide zeigte. Und das hielt er in der Hand. "Das Bild hatte ich ganz vergessen.", sagte er nachdenklich. "Damals war alles noch so einfach.", sagte ich. "Ich war so sauer als meine Eltern mich nach Grünstadt geschleppt haben. Ich hab wochenlang geschmollt und alles gehasst was mir dort begegnet ist. Bis auf dich. Du warst... meine Rettung, derjenige, der mich wieder hochgezogen hat. Es war so einfach, mich glücklich zu machen." "Du hast recht.", gab er zu. "Das letzte Schuljahr war klasse. Wir waren ein gutes Team. Aber die Zeiten sind vorbei." Er stellte das Bild weg. "Und es wird nie mehr so sein wie es war. Wir haben uns geküsst. Freunde können wir nicht mehr sein. Aber was sind wir dann?" Darauf fand ich keine Antwort. Er lächelte mich traurig an. "Sowas hab ich befürchtet. Weißt du, ich mag dich, aber so kann es nicht weitergehen. Es tut zu weh." Ich schnappte nach Luft. Es tat weh? Wieso? Was meinte er damit? "Ich werde versuchen, meine Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen. Das kann ich nicht, wenn du da bist und mich aus dem Gleichgewicht bringst. Ich möchte etwas Abstand zwischen uns bringen. Tut mir leid." Ich war seltsam ruhig. "Ist schon gut. Das ist vielleicht für uns beide das Beste. Weißt du, was Anya gesagt hat als sie am Sonntag abgeflogen ist? Sie sagte ,Wenn man euch zusammen sieht, könnte man fast eifersüchtig werden.' Das war sie wohl auch." "Ah.", machte er. "Deswegen. Ich hatte das Gefühl, sie kann mich nicht leiden." Obwohl mir nicht danach zumute war, lachte ich. "Stimmt. Aber es liegt nicht an dir, glaub mir." Er schob unschlüssig die Hände in die Hosentaschen. "Also dann... du... du kannst jederzeit im Club vorbeischauen, wahrscheinlich werde ich im Sommer jeden Samstag dort meinen Auftritt haben." "Und du kannst mich jederzeit anrufen, wenn du Schwierigkeiten hast oder einen Freund brauchst.", murmelte ich. "Danke..." Er wollte sich umdrehen, aber ich konnte mich nicht beherrschen, ich kam auf ihn zu und umarmte ihn fest. Mir war zum heulen zumute. Alles in mir schrie danach, ihn aufzuhalten, damit er mich nicht noch mal verließe, aber.... es war wohl tatsächlich das Beste so. Ich war überrascht, dass ich mich so erwachsen verhalten konnte. Ich hatte wohl doch dazugelernt. Ich drückte ihn fest an mich und spürte, wie sich seine Arme um mich legten. Ich hatte Tränen in den Augen. "Ich werde dich vermissen. Du hast mir gefehlt, die letzten fünf Jahre...", flüsterte ich, und ich wusste nicht, ob er es hörte. Irgendwann ließen wir einander los und er lächelte mir zu. "Mach's gut." "Du auch." Und dann war er plötzlich aus der Tür verschwunden und ich blieb allein zurück. "Geh nicht.", murmelte ich und wischte mir übers Gesicht. "Geh nicht schon wieder weg." Es waren die Worte, die ich ihm gern gesagt hätte. Ich wusste, er wäre bei mir geblieben wenn ich sie laut ausgesprochen hätte. Aber ich wusste nicht einmal, ob ich das wirklich gewollt hätte. Alles in mir war zerrissen, als wollten mein Herz und mein Verstand in zwei verschiedene Richtungen. Aber alles grübeln nützte nichts mehr. Kay war fort. Und obwohl ich wusste, wo er wohnte und arbeitete, schien er mir unerreichbarer als je zuvor. Ich telefonierte noch am selben Tag mit Anya und erklärte ihr, dass ich Kay nicht mehr sehen würde. Sie wirkte sehr erleichtert und machte auch keinen Hehl daraus, dass sie Kay fast schon als Rivalen angesehen hatte. Sofort verbesserte sich die Stimmung zwischen uns und ich lud sie ein, mich schon bald wieder zu besuchen, diesmal ohne Störung. Alles schien in Ordnung zu sein. Aber in mir drin war nur Chaos. Kay hatte beschlossen mich nicht mehr zu sehen und ich hatte ihn nicht aufgehalten. Diesmal wollte ich ihm nicht mehr nachtrauern. Ich würde nicht in den Club gehen, auch nicht zu seiner Wohnung, um nach ihm zu sehen. Kay war ein Geist aus der Vergangenheit, den ich eigentlich gar nicht hätte wiedertreffen sollen. Dies war meine Chance, endgültig von ihm loszukommen. Die Gefühle würden verschwinden, so wie sie es schon einmal getan hatten. Um den wieder frischen Schmerz zu überdecken, stürzte ich mich in die Arbeit. Die Firma hatte viele Aufträge und ich halste mir absichtlich jede Menge Arbeit auf. Selbst am Wochenende kam ich nicht zur Ruhe. Die ersten paar Tage verstrichen und ich haderte mit meiner Entscheidung. Immer wieder war ich versucht, zu ihm zu gehen und mit ihm zu sprechen. Es quälten mich Alpträume, in denen ich seine blauen Augen sah, und wenn ich morgens aufwachte, war ich mir sicher, dass ich mich irgendwann vor seiner Tür wieder finden würde. Aber irgendwie fand ich mich damit ab. Ich akzeptierte seine Entscheidung, und zu meinem Glück rief er mich nicht mehr an. Der Kontakt brach völlig ab und als Anya mich das nächste Mal besuchen kam, konnte ich meine Gefühle wieder auf sie konzentrieren. Ich liebte sie noch immer. Der Winter zog an mir vorbei, ohne dass ich es merkte, wurde es Frühling. Es wurde April, dann Mai, und Kay wurde wieder zu einem Stück aus meiner Vergangenheit, einer Erinnerung die immer weh tun würde, aber mit der ich leben konnte. Ich war wieder glücklich mit Anya. Und irgendwann im Mai, kurz nach ihrem Geburtstag, da fragte ich sie. Ich nahm einfach ihre Hand und fragte sie: "Anya, willst du mich heiraten?" Und es war mein Ernst. Nur flüchtig tauchten seine blauen Augen in meinem Kopf auf, und ich vergaß sie ohne Bedauern wieder, als meine Freundin mich anlächelte und ganz leise "Ja." sagte. So kam es, dass ich plötzlich verlobt war. Wir hatten noch keinen Termin für eine Heirat, aber inoffiziell war sie für den Sommer im nächsten Jahr geplant. Wir wollten in Köln heiraten, erst wenn ich wieder fest dort wohnte. Und wir hatten einstimmig beschlossen, Kay nicht einzuladen. Ich wollte ja nicht riskieren, im falschen Augenblick doch noch schwach zu werden. Kapitel 11: Das Leben geht weiter --------------------------------- Im Sommer trafen Anya und ich uns überhaupt nicht. Ich hatte sehr viel um die Ohren, die Firma hatte einen gewaltigen Auftrag für ein Riesen-Event ergattert und ich war zum Hauptverantwortlichen gemacht worden. Eine namhafte Firma plante ein Sommerfest, genauer gesagt ein "Sommersilvester", das ebenso gewaltig wie das neue Jahr gefeiert werden sollte. Den Sommer über verbrachte ich mit dem planen dieses Events, und selbst meine wohlverdienten Ferien fielen dabei ins Wasser. Aber die Arbeit machte mir Spaß, außerdem versprach diese Sache das Sprungbrett für meine Karriere zu werden. Und dann im Juli war es soweit. Das Projekt Sommersilvester startete frühmorgens und die Anzahl der bereits erschienenen Besucher ließ auf einen großen Erfolg schließen. Gegen Mittag war der Park, den wir uns gemietet hatten, brechend voll und als es langsam auf den Abend zu ging, wo ein Feuerwerk geplant war, stand ich am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Ich hatte in den letzten Wochen so viel gearbeitet, koordiniert, geplant, vorausgesehen, und nun war das Fest in vollem Gange und alle wollten irgendwas von mir. Die Live-Band spielte mit ohrenbetäubender Lautstärke, die Leute von der Security waren hoffnungslos unterbesetzt und im See in der Mitte des Parks waren schon mehrere Unfälle passiert, von denen zum Glück keiner tödlich ausgegangen war. Ich war ein nervliches Wrack. Zusammengesunken saß ich mit einer Zigarette in der einen und einem Krug Bier in der anderen Hand an der Bar und genoss meine kurzen Ruhepausen. Und bei einer dieser Pausen stand er plötzlich vor mir. Der Traum meiner schlaflosen Nächte, gleichzeitig mein schlimmster Alptraum. "Kay!" Mir fiel vor Schreck beinah meine Zigarette in den Schoß. "Was machst DU denn hier?" Er war ganz ruhig. "Ich hab mir gedacht ich seh mir dieses Sommersilvester mal an. Ist ziemlich klasse. Und was machst du hier?" "Was ICH hier... Ich habe das ganze geplant!", empörte ich mich. Das hier war mein Auftritt, wie konnte er es wagen, hier einfach aufzutauchen und mich aus dem Konzept zu bringen? Oh Gott, ich durfte nicht zu lange in seiner Nähe bleiben. "Wenn du mich entschuldigst, ich habe zu arbeiten." Ich stand auf. "Lass dich von mir nicht aufhalten. Ich wollte nur mal hallo sagen." Warum war er bloß schon wieder so unterkühlt zu mir? Oh, dieser Kerl brachte mich noch um den Verstand... So schnell ich konnte tauchte ich im Menschengewühl unter. Der Stress war erstmal vergessen. Kay hatte verdammt gut ausgesehen. Verändert, irgendwie sehr viel lebendiger. Er hatte seinen Vorsatz also wahr gemacht. Oh Gott. Diesmal war ich ehrlich erleichtert, als mich wieder jemand von der Security ansprach, weil sie zu wenig Leute hatten. Die Arbeit lenkte mich ab. Erst in dem Augenblick, als die ersten Feuerwerkskörper am Himmel explodierten und den wunderschönen Sternenhimmel in allen Farben erleuchten ließen, fiel der Stress wie eine gewaltige Last von mir ab. Es war vorbei, mein schlimmster Arbeitstag lag hinter mir. Von jetzt an war nichts mehr geplant, es galt nur noch, die Leute an den unzähligen Ständen mit Essen und vor allem Alkohol zu versorgen. Dafür war gesorgt. Die Band spielte jetzt eigene Lieder, alles lief entspannter. Es war dunkel jetzt und die Menge lichtete sich etwas. Für manche war der Abend zu Ende, aber für die meisten begann die Party jetzt erst richtig. So wie für mich. Es war eigentlich ein wunderschöner Abend, das merkte ich erst jetzt. Keine Wolke war am Nachthimmel zu sehen, im Vergleich zu den furchtbaren Höllentemperaturen am Tag war es jetzt angenehm kühl, gerade so dass man sich im T-shirt wohl fühlte. Ich bestellte mir einen White Russian (das Gute war, dass für mich alle Getränke gratis waren) und machte dann einen kleinen Rundgang. Versuchte, Meinungen über das Fest aus den Gesprächen herauszuhören, um Hinweise zu erhaschen, wie ich es nächstes Jahr besser machen könnte. Denn dass es ein nächstes Mal geben würde, das stand so gut wie fest. Es war ein voller Erfolg geworden, keiner hätte mit so vielen Besuchern gerechnet. Die Werbeeinnahmen hatten die Ausgaben mehr als reichlich gedeckt. Ich musste mir selbst auf die Schulter klopfen. Irgendwann setzte ich mich erschöpft an den See, zog meine Schuhe aus und hielt meine Füße in das kühle Nass. Ich hatte keine Lust, nach Hause zu gehen, obwohl es von dort aus nur 2 Minuten zu Fuß waren. Also trank ich reichlich und als es so auf 3 Uhr zu ging, schwankte ich schon ziemlich. Und auf einmal war Kay wieder da. Er setzte sich einfach zu mir und ich nuschelte: "Was machs du hier?" "Ich war drüben bei der Band und hab ein bisschen getanzt. Gibt übrigens ein paar sehr hübsche Mädchen hier." Die Worte versetzten mir einen Stich. "Ich wollte mich nur etwas abkühlen." Er kniete sich ans Ufer, tauchte seine Hände in das kühle Wasser und spritzte es sich ins Gesicht. Trotz meines Zustands ging mir das mit den Mädchen nicht mehr aus dem Kopf. "Und? Hast du eins kennengelernt?" "Ein was?", fragte er geistesabwesend. "Ein Mädchen!!", blaffte ich. Er schüttelte den Kopf. "Ich will kein Mädchen. Es gibt nur einen Menschen auf der Welt den ich im Moment will." Ich war hin und hergerissen zwischen Hoffnung und Angst, Angst vor seiner Antwort. "Und wer.... ist das?", fragte ich zögernd. "Hm." Er zuckte die Schultern. Offensichtlich wollte er nicht antworten. Ich hätte getötet für diese Antwort, aber ich durfte ihn jetzt nicht drängen. Ich starrte hoch zum Himmel, schaute mir die Sterne an. Als ich den Kopf drehte, sah ich dass er auf den Boden starrte. Er schien um Worte zu ringen. Wollte er mir etwas sagen? Für kurze Zeit war es still. "Duuu, Lukas?", fragte er langgezogen. Ich schaute ihn an. "Ich hab gelogen. Ich war nicht zufällig hier, sondern ich habe einen Bericht über das hier in der Zeitung gelesen... und da stand dein Name.", gestand er mir. Er hatte auch was getrunken, aber augenscheinlich weit weniger als ich. Ich kriegte gar nicht richtig mit, was er da sagte. "Und warum bis du dann hier?" Ich spürte seine Hand auf meiner Schulter, als er mich zu ihm drehte. "Um meinen Fehler wieder gut zu machen." Und diesmal küsste er mich. Alle guten Vorsätze waren vergessen, ebenso wie Anya. Ich kannte ihn. Diesmal war es keine Laune und auch nicht der Alkohol. Das war alles, wonach ich mich gesehnt hatte. Willig öffnete ich den Mund und nach einen leidenschaftlichen Kuss stand er auf und zerrte mich in die Höhe. "Gehen wir zu mir.", lallte ich und er hatte nichts dagegen. Zusammen schleppten wir uns bis zu meiner Wohnung und ich bin heute noch überrascht, dass wir sie gefunden und den Weg dorthin überlebt haben. Ich hatte kaum die Tür hinter uns zu geworfen, da fielen wir regelrecht übereinander her. Wir rissen einander die Kleider vom Leib, nur unterbrochen von heftigen Küssen und Berührungen. Er drängte mich gegen die Wand und küsste mich fordernd, während seine Hände an meinem Körper entlang glitten und schließlich meine Hose ungeduldig öffneten. Mein Verstand hatte sich längst verabschiedet. Ich stieß ihn weg und beförderte ihn auf das Bett. An den Rest der Nacht erinnere ich mich nur noch bruchstückhaft. Küsse, Berührungen, lange unterdrückte Gefühle, die plötzlich hervorbrachen... es war wie eine Naturgewalt. Und trotz meines Zustands wusste ich eins: ich hatte nie besseren Sex gehabt als in dieser Nacht mit Kay. Und als wir dann nebeneinander lagen, unsere verschwitzten Körper aneinander gedrückt, wartete ich vergebens auf ein Gefühl von Reue. Ich wusste eigentlich nur, dass ich so glücklich war wie schon lange nicht mehr. Kapitel 12: Geständnisse ------------------------ Ich war derjenige, der zuerst aufwachte. Ich lag neben ihm, auf der Seite in seine Richtung. Er lag auf dem Rücken, Arme und Beine weit von sich gestreckt und beanspruchte damit fast das ganze Bett für sich. Er sah geradezu unverschämt süß aus wenn er schlief, aber ich hatte nicht lange Zeit, mich an dem Anblick zu erfreuen. Denn mein schlechtes Gewissen packte mich. Ich stieg vorsichtig aus dem Bett und ein Blick auf den Wecker zeigte mir, dass es kurz nach zehn Uhr morgens war. Ein wenig peinlich berührt angelte ich nach meinen Shorts und schlüpfte hinein. Immer mehr Erinnerungen an den gestrigen Abend stiegen in mir hoch, und eigentlich waren es sehr schöne Erinnerungen. Nur jetzt, im Licht des Tages, im nüchternen Zustand betrachtet, da fühlte ich mich einfach nur schlecht. Ich hatte Anya eiskalt betrogen, ohne auch nur einen Gedanken an sie zu verschwenden. Ich ging zur Balkontür und schob den Vorhang zur Seite. Ich war überrascht. Es regnete. Der Himmel war wolkenverhangen, und dabei war die Nacht noch so klar gewesen. Wie schnell sich alles ändern konnte... Und was sollte ich jetzt tun? Ich war verlobt, und ich mochte Anya ja auch, nein, ich liebte sie. Aber Kay... Ich warf einen Blick auf ihn. Ihn liebte ich auch. Konnte man zwei Menschen gleichzeitig lieben? Für wen sollte ich mich entscheiden? Oder würde er mal wieder aufwachen und nüchtern einen Rückzieher machen? Mir damit die Entscheidung abnehmen? Ich ließ den Vorhang los und setzte mich auf den Fußboden vor dem Bett. Seine Hand hing über dem Bettrand und ich nahm sie ganz vorsichtig. Einen Moment lang sah es so aus, als würde er aufwachen. Aber sein gleichmäßiges Atmen hörte nicht auf und ich strich über seine weiche Haut. Ich lehnte meinen Kopf gegen das Bett. Das alles war so merkwürdig. Auf einmal kam mir wieder das Sommerfest von damals in den Sinn, und mein gewaltiger Liebeskummer. Wenn ich damals gewusst hätte, dass ich einmal so neben ihm aufwachen würde... Sein Atem stockte und seine Hand umfasste meine. Ich hob den Kopf. Er hielt kurz die Luft an und atmete dann zischend aus. Dann drehte er sich auf die Seite und sah mich an. Seine blauen Augen fixierten meine, aber auf eine angenehme Art. Lange schaute er mich an. Ich war nicht gespannt, unruhig oder unsicher. Es lag eine merkwürdige Ruhe in der Luft. Er öffnete den Mund und sagte: "Ich liebe dich." Diesmal war es sein Ernst. Man konnte es in seinen eisblauen Augen sehen. Ich sah es. Es war, als würde mir jemand die Kehle zuschnüren. Ich drückte seine Hand und rang nach Worten. Meine Augen brannten und plötzlich lief etwas über meine Wange. Ich weinte. Das letzte mal, dass ich geweint hatte, war damals bei unserem Abschied gewesen, um Mitternacht beim Sommerfest. Seine Augenbrauen wölbten sich und sein Gesicht sah plötzlich besorgt aus. Ich drückte seine Hand an meine Wange und sagte ihm ehrlich: "Ich weiß nicht, was ich tun soll. Vielleicht... vielleicht hab ich einen großen Fehler gemacht. Anya und ich haben uns verlobt, weißt du? Es tut mir leid, aber ich... ich brauche etwas Zeit, um eine Entscheidung zu treffen." Vermutlich hätte ich jede Reaktion von ihm erwartet, nur diese nicht. Er setzte sich auf und lächelte mich an, auch wenn man deutlich merkte, dass es aufgesetzt war. "Das ist okay.", sagte er. "Nimm dir so viel Zeit wie du brauchst. Bei mir hat es immerhin über fünf Jahre gedauert." Er wickelte die Decke um sich und stieg aus dem Bett. Ohne ein weiteres Wort streifte er an mir vorbei und zog sich an. Er drehte sich nicht mehr zu mir um sondern murmelte nur ein leises: "Ruf mich an." Dann knallte plötzlich die Tür und er war weg. Ich stemmte mich mühsam in die Höhe und schlurfte ins Bad. Die nächsten Tage und Wochen waren die Hölle für mich. Ich war ständig nur am Grübeln. Mein Verstand wälzte lauter dämliche Argumente, versuchte mir zu sagen, warum ich mich wofür entscheiden sollte. Je mehr ich nachdachte, umso dümmer erschien es mir, sollte ich mich für Kay entscheiden. Und trotzdem war es das, was ich mir am sehnlichsten wünschte. Zweites Problem war die Arbeit. Das Sommerfest war nun beendet, aber es galt noch, einen Projektabschlussbericht zu machen, und natürlich die Aufräumarbeiten und alles andere zu koordinieren. Außerdem lief mein Telefon geradezu heiß, lauter Leute gratulierten mir zu meinem Erfolg und meine Chefs versprachen mir - rein inoffiziell natürlich - dass ich schon bald meine Aufstiegsmöglichkeit bekommen sollte. Aber das alles war für mich nur zweitrangig. Ich hatte ganz andere Probleme. Und die Zeit drängte, obwohl mir Kay alle Zeit der Welt zugesichert hatte. Er würde auch nicht ewig warten. Und Anya wurde auch schon langsam misstrauisch, sie merkte natürlich, dass mich etwas bedrückte und unsere Telefongespräche wurden immer knapper, weil ich ihr natürlich nicht sagen konnte, was mir zu schaffen machte. Ich versuchte, mich zu entscheiden. Lief deswegen tagelang wie ein Zombie durch die Gegend, machte lange Spaziergänge und versuchte, einen klaren Kopf zu bewahren. Letzten Endes war es Blödsinn. An einem heißen Sommertag hielt ich es nicht mehr aus, ich wachte morgens auf und entschied, dass es reichte. Ich rief in der Firma an und nahm mir frei, packte ein paar Sachen ein und fuhr nach Köln. Ich musste unbedingt mit Anya sprechen, so schnell wie möglich. Sie war zwar überrascht, freute sich aber auch über meinen überraschenden Besuch. Da sie noch Studentin war, war es kein Problem, mal einen Tag lang nicht die Vorlesungen zu besuchen und wir verbrachten einen wundervollen gemeinsamen Tag. Schnell waren auch meine Gefühle für sie wieder da, sie war einfach ein liebes, süßes Mädchen. Und deswegen musste ich ihr auch die Wahrheit sagen. Was ich da getan hatte, quälte mich. Ich hatte sie betrogen und sie musste das wissen. Insgeheim hoffte ich vielleicht auch, dass sie mich verlassen und mir damit meine schwere Entscheidung abnehmen würde. Als wir abends zurück kamen (sie wohnte im Studentenheim) wurde ich sehr still. Ich grübelte darüber nach, wie ich ihr das bloß beibringen sollte. Sie merkte, dass mich etwas bedrückte und wir setzten uns aufs Bett. "Was hast du denn heute, Lukas?", fragte sie. "Du warst schon den ganzen Tag über so komisch, und jetzt bist du auf einmal so still geworden. Warum bist du hier? Du hast doch was." "Anya.... ich muss dir was sagen.", murmelte ich unsicher. "Was denn?", fragte sie und sah mich aus großen Augen an. "Ich... Anya, ich hab... ich... hab..." Gott, ich stammelte herum wie der letzte Idiot. Und sie schaute mich aus unwissenden, vertrauensvollen Augen an...! Ich seufzte unhörbar. "Ich hab... dich lieb." Oi. Ich war immer noch der gleiche Feigling wie vor fünf Jahren. Anya lächelte. "Ich dich auch, Lukas." Ich lächelte schief zurück und verdrehte innerlich die Augen. Ich war keinen Schritt weiter gekommen. Ich musste es sagen. Ich musste einfach. Es war nicht richtig, ihr etwas vorzulügen. Das hatte sie nicht verdient. Es dauerte den halben Tag und fast den ganzen Abend, bis ich es wagte. Wir saßen gerade vor dem Fernseher und vor lauter Anspannung bekam ich die Handlung nicht mit. In meinem Kopf wälzte ich tausend Möglichkeiten, wie ich es ihr sagen könnte. Im Endeffekt machte ich es dann auf die allerdämlichste Weise, die man sich vorstellen konnte. Anya schmachtete gerade dem Helden entgegen, da platzte ich heraus: "Anya! Ich hab mit Kay geschlafen!" Ich glaube, im ersten Moment kapierte sie gar nicht, was ich da gesagt hatte. Sie war ganz still, Ewigkeiten lang, so still dass es mir den Magen umdrehte. Oh Gott. Ich musste etwas tun, irgendwas, Hauptsache sie würde mich nicht mehr anschweigen. "Anya, sag doch was!", murmelte ich heiser. "Schrei mich an, aber sag endlich was!" Ich griff automatisch nach ihrer Hand, und das brachte sie zum Explodieren. "Fass mich nicht an!!!!!", fauchte sie mich hysterisch an und sprang auf. "Ist das ein Witz? Wenn das einer ist, kann ich nicht darüber lachen!", schrie sie. "Du hast mit diesem KERL geschlafen!? Bist du schwul??" "Nein... ja... ich weiß nicht! Ich hatte zu viel getrunken, und er auch. Er hat mich geküsst und dann ist es halt passiert!", stammelte ich. Das kleine Detail, dass wir zwischen dem Kuss und dem Sex erstmal nach Hause gegangen waren ließ ich wohlweislich weg. Es war ja im Grunde eine Kurzschlussreaktion von mir gewesen und so sollte sie es auch glauben. "Dann ist es halt passiert??", wiederholte sie. "Spar dir deine blöden Erklärungen! Du hast mich betrogen, mit einem Mann! Was..." Ihre Stimme überschlug sich. Sie atmete tief ein und beendete wesentlich ruhiger ihren Satz: "Was erwartest du denn von mir?" Ich konnte ihr darauf keine Antwort geben. Sie schüttelte ihren Kopf und schaute an die Decke. Ich saß hilflos auf der Couch und wartete. "Liebst du ihn?" Die Frage traf mich unvorbereitet. "Nein...", rutschte es mir heraus und ich spürte in dem Moment, wo ich es aussprach, dass es eine Lüge war. Aber ich wollte nicht, dass sie es wusste. Ich hatte nicht vor, sie für ihn zu verlassen... aber wahrscheinlich wollte sie jetzt sowieso nichts mehr mit mir zu tun haben. Wieder schüttelte sie ihren Kopf und murmelte: "Ich hab gleich gewusst, dass da was nicht stimmt. Wie du ihn angesehen hast..." Sie blieb stehen. "Ich muss das verarbeiten... Lukas, geh bitte." "Aber..." "Verschwinde!!" Mit gesenktem Kopf schlich ich mich aus der Tür und ließ Anya allein zurück. Ich mietete mich für diese Nacht in einem Hotel ein, weil ich keine Lust auf komische Fragen meiner Eltern hatte. Und ich sollte in diesem Hotel fast die ganze Woche über wohnen. Wenn ich versuchte, Anya anzurufen, nahm sie nicht ab. Wenn ich an ihrer Tür klopfte, öffnete mir niemand. Anya setzte ein deutliches Zeichen, sie wollte mich nicht sehen. Vielleicht hätte ich abreisen sollen. Dann hätten wir uns getrennt und die Sache wäre ein für alle mal vorbei gewesen. Aber was für ein Abschied wäre das gewesen? Ich blieb in Köln. Ich versuchte, ihr zu vertrauen, unserer Beziehung zu vertrauen. Sie würde kommen, sei es auch nur, um mir zu sagen dass ein für alle mal Schluss sei. Und am sechsten Tag kam sie. Zuerst rief sie an und ich sagte ihr den Namen meines Hotels. Am Abend dann tauchte sie dort auf. Ich bat sie herein und sie setzte sich. Zwischen uns herrschte unangenehme Stille. Ich rechnete mit dem Schlimmsten. "Lukas?", fragte sie unsicher in die Stille hinein. "Liebst du mich überhaupt noch?" "Natürlich.", antwortete ich, und es war die Wahrheit. "Willst du mich denn immer noch heiraten?" "Ja." Sie stand auf und kam zu mir, lehnte ihren Kopf an meine Brust. "Dann will ich um unsere Beziehung kämpfen. Ich hab dich sehr gern, und du hast gesagt, du warst betrunken, als du mit ihm..." Sie konnte es nicht einmal aussprechen. "Ich will dir so gern verzeihen, aber ich weiß noch nicht, ob ich das kann. Fahr zurück nach Salzburg und gib mir etwas Zeit." "In Ordnung.", flüsterte ich und umarmte sie. Ich war einfach nur froh, dass sie mich nicht gleich zum Teufel gejagt hatte. Noch am selben Abend fuhr ich zurück nach Salzburg. Anya ließ mich ewig warten. Diese Zeit der Ungewissheit war schlimm für mich und ich war ständig geknickt. Meine Freunde in Salzburg merkten das irgendwann und entschlossen sich, mich aufzuheitern. Sie hatten von meiner Hochzeit Wind bekommen und wussten natürlich nicht, dass es nicht mal feststand, ob die Hochzeit überhaupt noch stattfinden würde. Sie glaubten wohl, ich hätte kalte Füße bekommen und wäre deshalb so traurig. Also entschloss man sich, eine Party zu schmeißen, zu Ehren des "bald frisch gebackenen Ehemanns", oder auch eine vorgezogene Junggesellenparty. Oh, und sie machten es wirklich raffiniert! Tagelang hatte ich das Gefühl, die anderen verheimlichten mir irgendwas, aber ich kam einfach nicht hinter das Geheimnis (und das obwohl ich wirklich höllisch neugierig bin!). Sie schafften es sogar, bei einem Besuch bei mir zu Hause (mit fadenscheinigem Vorwand) mein Adressbuch zu klauen. Und ich Idiot wunderte mich noch, wo ich es hatte liegenlassen. An einem Freitag klingelten sie bei mir Sturm und als ich die Tür aufmachte, stürmten sie an mir vorbei in die Wohnung, beladen mit Bierkisten und CDs. Da erfuhr ich, dass ich eine Party gab. Schon eine Stunde später trudelten die ersten Leute ein. Zuerst Leute die ich kannte, aus der näheren Umgebung eben, und nach und nach füllten sich meine bescheidenen Wohnräume mit Leuten die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Die Anlage wurde voll aufgedreht und ich befürchtete, morgen früh würde mich mein Vermieter glatt vor die Tür setzen. Ich war sprachlos, aber nur solange bis man mir das erste Bier in die Hand gedrückt hatte. Diese Party war der absolute Hammer und etwa zwei Stunden lang amüsierte ich mich einfach köstlich. Bis plötzlich ein Gast durch die Tür schritt, bei dessen Anblick ich mein Bier über den Tisch prustete. Blondes Haar, unter dem blaue Augen hervorstachen, ein hochgewachsener junger Mann betrat den Raum. Ich packte mir den nächstbesten meiner Freunde und fragte ihn: "Was zum Teufel macht Kay hier??" "Kay? Kay wer?", machte er unschuldig. "Ach sooo.. jetzt fällt's mir wieder ein... tja der stand auch in deinem Adressbuch. Sogar ganz vorne, nur unter ,Kay'." "Ihr. Habt. Kay. Eingeladen." "War das falsch?" Ach du Scheiße! Ich schüttelte geschlagen meinen Kopf und murmelte ein: "Aber nein. Anya wird mich köpfen, aber das ist kein Probleeem." Mein Kampfgeist erwachte. Na schön! Kay war hier, aber das musste ja noch nichts heißen. Meine Wohnung war zum Bersten voll mit Leuten und er hatte mich noch nicht gesehen. Ich würde einfach untertauchen und ihm für den Rest des Abends nicht begegnen! Genau! Es war ein brillanter Plan. Er hätte sogar funktionieren können. Kapitel 13: Entscheidung ------------------------ Die Räumlichkeiten waren nun doch nicht so groß, und irgendwann musste Kay mir natürlich begegnen. Er hatte mich gesucht, wegen mir war er ja eingeladen worden. In der Küche fand er mich, genauer gesagt, ich hatte ihm nicht mehr entwischen können. "Hey, Lukas.", sagte er und ich versuchte, so zu tun als wäre ich überrascht. "Kay! Was tust du denn hier?" "Deine Freunde haben mich eingeladen." Er bemerkte meinen Blick und fügte hinzu: "Aber offensichtlich bin ich hier nicht erwünscht." "Oh doch!", rief ich sofort und hätte mir auf die Zunge beißen können. Ich wollte Kay ja nicht wegschicken, aber so eifrig hätte ich ihn nicht zurückhalten brauchen. "Ähem. Ich finds schön dass du gekommen bist. Setz dich zu den anderen, ich muss noch ein paar Leute sprechen." Seine Augen sagten mir, dass er sich von mir etwas anderes erwartet hätte, aber für eine klare Entscheidung war ich noch nicht bereit. Im Grunde hatte ich mich schon für Anya entschieden, zumindest mein Verstand drängte mich in diese Richtung, aber ein Teil von mir konnte ihn nicht gehen lassen. Trotzdem nickte er und setzte sich zu den anderen an den Tisch. Ich setzte mich an den Küchentisch und beobachtete ihn. Obwohl er keinen von diesen Leuten kannte, fand er schnell Anschluss. Er sagte irgendwas, das ich auf die Entfernung nicht verstand, und der Tisch grölte vor Lachen. Ich hatte ihn um diese offene Art immer beneidet. Eine Weile lang beobachtete ich ihn, dann seufzte ich leise, nahm mein Bier und ging rüber zum Tisch. Neben ihm war noch ein Platz frei und ich setzte mich dazu. Er warf mir einen undeutbaren Blick zu, dann war ich Luft für ihn und er schien sich prächtig mit den anderen zu amüsieren. Wenn man mal einen Augenblick lang die Spannung die immer in der Luft lag wenn wir uns begegneten vergaß, war es ein großartiger Abend. Zwischendurch klingelte mein Handy und als ich abnahm, fragte Anya: "Was ist denn bei dir los? Das ist ja ein Höllenlärm!! Wo bist du?" "Ich bin zu Hause!", schrie ich ins Telefon. "Diese Verrückten schmeißen eine Party für mich!" "Was? Ich bin gerade.... Hörst du? Ich... gleich ein Taxi und..." Mehr verstand ich nicht. Es war einfach zu laut. Ich hatte bestimmt keine Lust, unsere Beziehungsprobleme mit dem Hintergrund von lauter Musik zu diskutieren. Deswegen brüllte ich ins Telefon: "Tut mir leid, ich kann dich nicht hören! Ruf mich morgen noch mal an!" Ich ließ sie nicht einmal antworten sondern legte einfach auf. Wenn sie nicht anriefe, würde ich es einfach tun, und ihr erklären was hier los gewesen war. Das würde sie verstehen. Jemand drehte die Anlage voll auf und dann schallte eines meiner Lieblingslieder durch den Raum. "Wow! Ticket to heaven! Ich LIEBE diesen Song!!", brüllte ich gegen den Lärm an. "Du hast ja Musikgeschmack!", brüllte Kay zurück. Ich ignorierte den Seitenhieb und fing an den Text mitzugrölen. Irgendwann später stupste mich jemand an und zeigte auf den Eingang. Ein weiteres Mal verschluckte ich mich an meinem Bier als ich diesmal den unerwarteten Gast entdeckte. Anya!!!! Die hätte eigentlich in Köln sein müssen! Ich war total perplex. Was machte sie denn hier? Ich fuhr abrupt hoch und lief zu ihr. Man konnte ihr deutlich ansehen, was für eine Wut sie im Bauch hatte. "Anya, was tust du hier?" Ich zog sie in eine ruhige Ecke wo wir ungestört reden konnten. "Das könnte ich dich fragen.", sagte sie wütend. "Ich wollte dich besuchen, es gibt was Wichtiges zu besprechen! Aber der werte Herr ist ja beschäftigt! Ich bin eine halbe Stunde in der Kälte gestanden! Und als ich dich anrufe, da legst du einfach auf!" "Es tut mir leid, Anya!", beteuerte ich. "Aber das kann doch kein Mensch ahnen! Warum hast du mich nicht früher angerufen? Von Köln nach Salzburg sind es immerhin mehrere Stunden Fahrt!" "Das wollte ich, aber bei dir war dauernd besetzt!" "Anya, es tut mir leid, okay? Warum bist du hier?" Sie druckste herum und murmelte schließlich: "Ich wollte diese Sache... wegen Kay... ein für alle mal klären." Als sie den Namen erwähnte, fiel mir siedendheiß ein, dass ebenjener ja keine 3 Meter von ihr entfernt am Tisch saß. Ich musste sie weglocken, damit sie nicht.... "Ist das Kay???" Zu spät. Sie sah mich groß an. "Kay ist hier?" "Äh, ja... aber das war nicht meine Schuld. Sie haben ihn eingeladen und..." "Lukas, bitte! Spar dir deine Ausreden, ich habe endgültig genug davon.", fauchte sie. "Ich war bereit, dir deinen Ausrutscher zu verzeihen. Aber das jetzt ist zu viel. Während ich mir eine Entscheidung abringe, vergnügst du dich hier mit ihm. Hattet ihr vor, heute Nacht wieder miteinander ins Bett zu steigen?" "Anya, das ist nicht fair." "FAIR?", schrie sie und wurde schnell leiser, als sich ein paar Köpfe zu uns umdrehten. "Entscheide dich, Lukas. Mit wem willst du zusammen sein? Mit mir oder mit ihm? Wenn du dich für mich entscheidest, dann verlange ich, dass du ihn nie wiedersiehst!!" Ich war sprachlos. Wie konnte sie mich vor so eine Wahl stellen? Kay schon wieder aus meinem Leben zu streichen, das konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Dass sie mich so abrupt vor die Wahl stellen würde, hatte ich nicht gedacht. Was sollte ich ihr denn antworten? Ihr Blick veränderte sich. Auf einmal wirkte sie irgendwie traurig. Leise fragte sie: "Lukas... Willst du ihn oder willst du mich?" Mein Blick schweifte rüber zu ihm. Er lachte über irgendeinen Witz und ihm liefen die Lachtränen übers Gesicht. Gott, er war so... so... süß... Ich schaute sie an. Sie schwieg. Ich musste diese Entscheidung jetzt treffen. Ich sah ihr in die Augen. Ich mochte sie, ich hatte sie gern. Aber... wollte ich sie wirklich heiraten? Ich hatte noch immer Kay vor Augen, damals als er 18 Jahre alt gewesen war, als ich mich in ihn verliebt hatte. Und auf einmal war die Antwort einfach da. Ich schaute sie an. "Ihn.", sagte ich ruhig. Ihre grünen Augen starrten mich entsetzt an und für einen Moment entgleisten ihr die Gesichtszüge. "Ist das dein letztes Wort?", fragte sie zittrig. Ich wollte mich entschuldigen, für den Schmerz den ich ihr damit bereitete, aber jedes weitere Wort aus meinem Mund wäre unpassend gewesen. Deswegen nickte ich schlicht. Anstatt mich vielleicht zu ohrfeigen oder anzuschreien, wie ich es erwartet hatte, wurde ihr Blick plötzlich sehr traurig. "Okay. Wie du willst." Ihr liefen Tränen über die Wangen und es brach mir das Herz. Ich hatte sie doch so gern... Anya lächelte unter Tränen. "Du hast gedacht, ich würde dir eine Szene machen, was? Den Gefallen tu ich dir nicht." "Es tut mir leid, Anya. Bitte, glaub mir." "Ich kann... ich kann das jetzt nicht hören. Ist schon gut.", antwortete sie. Sie senkte den Kopf und als ich ihrem Blick folgte, sah ich, dass sie sich den Ring vom Finger zog. Sie gab ihn mir in die Hand und hielt sie nur einen Augenblick zu lang fest. Dann ließ sie los und sagte: "Ich will nie wieder von dir hören. Mach's gut, Lukas." Bevor ich antworten konnte, hatte sie auf dem Absatz kehrt gemacht und war zur Tür hinaus verschwunden. Es tat überraschend weh. Ihre Tränen hatten mir weh getan und mir war jetzt sehr seltsam zumute. Aber gleichzeitig war es, als wäre mir eine zentnerschwere Last vom Herzen genommen worden. Endlich hatte ich eine Entscheidung getroffen, und als mein Blick zurück zu ihm schweifte, wie er so dasaß und mit den anderen lachte, da wusste ich, dass es die richtige gewesen war. Das Kapitel Anya war hiermit abgeschlossen. Wie betäubt ging ich zurück zum Tisch und setzte mich neben Kay. Eigentlich hätte ich meinen Freunden sagen müssen, dass die Hochzeit abgeblasen war, aber warum jedem den Spaß verderben? In Wahrheit hatte ich auch Angst, mich in meinem Zustand den Fragen der anderen zu stellen. Ich würde es ihnen später erklären, wenn ich mich etwas beruhigt hätte. Kay sah mich an und fragte: "Ist etwas passiert?" Woher wusste er es? War ich so leicht zu durchschauen? Ich schüttelte meinen Kopf und antwortete gleichzeitig: "Ja." Die Musik, die vorher so laut gewesen war, schien ganz weit in den Hintergrund zu rücken. Ich hörte sie kaum noch. Unter dem Tisch griff ich nach seiner Hand und drückte sie. Er drückte zurück. Jemand machte einen schmutzigen Witz und wir lachten. Ich lachte so heftig, dass mir die Tränen über das Gesicht liefen, aber es waren keine Lachtränen, sondern Tränen der Erleichterung. So leicht hatte ich mich schon seit Monaten nicht mehr gefühlt. Ich saß da und genoss einfach das warme Gefühl, das mir der Druck seiner Hand gab. Kapitel 14: Eine große Chance ----------------------------- Die Party dauerte ewig. Ich fand, es war genau das, was ich nach dieser plötzlichen Trennung brauchte. Einfach nur jede Menge Bier und so laute Musik, dass man seine eigenen Gedanken nicht verstehen konnte. Mit der Zeit wurden es dann etwas weniger Leute und man hatte wieder etwas Platz in meiner Wohnung. Meine Freunde blieben. Eigentlich war es eine tolle Party, aber irgendwann hatte ich genug. Ich hatte den ersten Schock der Trennung überwunden und wollte jetzt eigentlich nur eins: mit Kay allein sein. Einer meiner Freunde merkte das. Er schaltete die Musik aus und verkündete dann lauthals: "Leute, ich glaube der kleine Lukas muss ins Bett. Die Party ist vorbei." Für diese Worte hätte ich ihn natürlich zum Mond schießen können, weil erstmal der ganze Raum über mich lachte, aber er scheuchte die Leute innerhalb einer Viertelstunde aus der Wohnung und grinste mich dann an: "Du hast was gut bei mir. Und glaub nicht, dass ich morgen komme und dir helfe, diesen Schweinestall aufzuräumen." Bevor ihn eine leere Bierdose treffen konnte, hatte er sich schon aus dem Staub gemacht. Als letztes stand auch Kay auf und als ich ihn fragte, was er vorhabe, antwortete er: "Ich geh nach Hause. Die Party ist doch vorbei." Ohne darüber nachzudenken packte ich ihn am Hemdsärmel und sagte flehend: "Bitte bleib hier." Er warf mir einen fragenden Blick zu und ich sagte einfach nur: "Bitte." Er drehte sich wieder zu mir um und stellte sich vor mich. "Und was nun?", fragte er. "Sollen wir wieder eine kleine Orgie feiern und morgen ist alles vergessen?" Sein Tonfall klang nicht verbittert aber seine Worte wirkten irgendwie vorwurfsvoll. "Nein...", sagte ich. "Nein, ich möchte nur nicht, dass du schon gehst. Du bist der einzige, den ich im Moment bei mir haben möchte." Ich schlang meine Arme um seine Taille und vergrub mein Gesicht an seinem Hemd. Er stand einfach nur da. Ich hoffte auf irgendeine Reaktion, aber ich wartete vergebens. Irgendwann fragte er in die Stille hinein: "Hast du mir sonst nichts zu sagen, Lukas?" Ich schwieg. Was wollte er denn hören? Über Anya konnte ich noch nicht sprechen, die Wunde war zu frisch. Und um zu begreifen dass er einfach nur wissen wollte, wie ich es nun weitergehen lassen wollte, dazu war ich damals einfach zu blöd. Also sagte ich gar nichts. Als ich ihn losließ, wagte ich es endlich, ihm in die Augen zu sehen. Sein Blick zeigte... Enttäuschung. Er machte einen Schritt nach hinten und ich musste ihn loslassen. Er schaute mich düster an, dann drehte er sich um und nahm seine Jacke von der Stuhllehne. "Was machst du?", fragte ich ihn. "Ich gehe.", war seine knappe Antwort und er stürmte aus dem Zimmer. "Kay!", rief ich hinter ihm her, aber da knallte auch schon die Tür und er war weg. Was war denn jetzt los? Ich sprang auf und rannte zur Tür, schrie ihm im Treppenhaus hinterher. Ich hörte noch seine schnellen Schritte auf der Treppe und dann das Geräusch, als er die Haustür aufmachte. Verdammt noch mal, er konnte jetzt nicht einfach so gehen! Ich rannte zurück in meine Wohnung und riss das Fenster auf. Unten sah ich ihn gerade über die Straße gehen. "KAY!", brüllte ich. "Warte!!" Er blieb tatsächlich stehen und ich dachte schon, er würde zurückkommen. Aber er warf mir nur einen düsteren Blick zu und verschwand dann hinter der nächsten Straßenecke. "Blöder Idiot.", murmelte ich und ließ mich auf den Boden sinken. Ich kapierte einfach nicht, was für ein Problem er gehabt hatte. Aber selbst in meinem halb-betrunkenen Zustand begriff ich, dass ICH es vermasselt hatte. Mir war zum heulen zumute. Statt dessen schmiss ich eine Bierflasche an die Wand und schlief dann auf dem Boden ein. Morgens hatte ich einen gewaltigen Kater und musste außerdem noch die Wohnung aufräumen. Das Geschimpfe meines Vermieters wegen der viel zu lauten Party und meinem Gebrüll aus dem Fenster beachtete ich kaum und bugsierte ihn schnell wieder nach draußen nicht ohne mich für den Lärm und die Unannehmlichkeiten natürlich zu entschuldigen. Zum Glück war es ein Samstag und ich musste nicht arbeiten. Ich schaffte es, innerhalb eines Tages die Wohnung wieder auf Vordermann zu bringen und gleichzeitig meinen Kater auszukurieren. Dann, am Abend, überkam mich ein komisches Gefühl. Anya war nicht mehr mit mir zusammen, sie würde mich nicht mehr anrufen. Kay war sauer auf mich. Ich war ganz allein. Dieses Gefühl mochte ich nicht. Ich kapierte langsam, warum Kay so wütend gewesen war, und versuchte, ihn anzurufen. Bei ihm zu Hause nahm nie jemand ab und auf seinem Handy kam immer nur der Anrufbeantworter. Nach dem zehnten Versuch hinterließ ich ihm eine Nachricht: "Kay? Hier ist Lukas. Hör mal, das mit gestern tut mir leid. Könntest du mich bitte anrufen? Ich muss mit dir reden." Ich hoffte, darauf würde er reagieren, aber der Samstag Abend ging vorbei und das Telefon klingelte nicht. Es wurde Sonntag und ich saß gespannt neben dem Telefon. Nichts. Am Sonntag Abend gab ich es auf. Er war offensichtlich wirklich wütend auf mich. Am Montag schlurfte ich unmotiviert zur Arbeit. Ich musste meinen Kollegen klarmachen, dass es keine Hochzeit geben würde und darauf freute ich mich nicht wirklich. Zum Glück nahmen die es ziemlich gelassen auf und bedrängten mich auch nicht weiter mit Fragen. Lustlos machte ich mich an die Arbeit und verbrachte den Vormittag mit öden Telefongesprächen und lästigen Schreibarbeiten. Ich freute mich schon auf den nächsten Event, den wir planen wollten. Endlich mal wieder spannende Arbeit, und die würde mich sicher auch von Kay ablenken. Apropos Kay... kurz vor dem Mittagessen klingelte mein Handy. Ich nahm ab und es war kurz still. Dann sagte mir eine wohlbekannte Stimme: "Hi... ich bin's." Ich seufzte erleichtert. "Kay! Schön dass du anrufst, ich muss..." "Würdest du bitte die Klappe halten und mir zuhören?" Oha. Solche Töne war ich von ihm nicht gewöhnt, er klang sehr ernst. Das brachte mich dazu, tatsächlich meinen Mund zu halten. "Sorry.", murmelte er nach einer kurzen Pause. "Ich bin total durch den Wind. Ähm... warum ich anrufe..." Obwohl ich ihn natürlich nicht sehen konnte, wusste ich genau, dass er sich grade unruhig durch die Haare fuhr, eine Geste die er sehr oft ausführte, wenn er nicht wusste, was er sagen sollte. Ich musste grinsen. "Am Samstag war so ein Typ im Club...", erzählte Kay. "Der hat mich gehört und mir gesagt, dass er vielleicht was für mich hat. Naja, heute morgen habe ich einen Anruf von ihm bekommen." "Das ist ja klasse!", sagte ich fröhlich. Das waren gute Nachrichten, es freute mich, dass sein Traum sich vielleicht doch erfüllen würde. "Ja." Er machte eine Pause und ich ahnte nicht, welcher Hammer dann gleich folgen würde. "Er findet mich gut. Er hat eine kleine Firma, er sagt, er kann mir Aufträge besorgen. Allerdings nicht hier in Salzburg. Er möchte, dass ich nach Wien umziehe." Das Lächeln auf meinem Gesicht gefror zu Eis. "WAS??", keuchte ich ins Telefon, nachdem ich meine Stimme wiedergefunden hatte. "Nach Wien? Aber... so kurzfristig? Er weiß doch gar nicht, ob das was wird? Ich meine... wann denn?" "So bald wie möglich. Er besorgt mir eine Wohnung und ich kriege Auftritte in Wien. Es gibt nicht sehr viel, was mich hier noch hält." "Und... wirst du das Angebot annehmen?", fragte ich zögernd. Stille. Dann: "Kannst du mir einen Grund sagen, warum ich es nicht annehmen sollte?" Diesmal war ich derjenige, der schwieg. Mir fielen tausend Gründe ein, die eigentlich alle auf dasselbe hinausliefen: dass ICH ihn nicht verlieren wollte. Mir kam nicht mal ein Krächzen über die Lippen. Fast vorwurfsvoll kam es von Kay: "Siehst du? Ich werde am Samstag fahren. Wollte mich nur verabschieden. Mach's gut." KLICK! Noch bevor ich geantwortet hatte, hatte er schon aufgelegt. "Du auch...", murmelte ich ganz perplex und ließ das Telefon fallen. Unnötig zu sagen, dass es mit meiner Konzentration von da an vorbei war. Wien war mindestens 4 Stunden Autofahrt von Salzburg entfernt. Ich musste geschäftlich oft nach Deutschland, aber nach Wien war ich noch nie bestellt worden. Ich würde ihn nicht wieder sehen! Scheiße! Tagelang verkroch ich mich außerhalb der Arbeit zu Hause und grübelte. Und als es fast schon zu spät war, kam mir ein Gedanke. Vielleicht... vielleicht hatte Kay mich angerufen und mir Bescheid gesagt, weil er gehofft hatte, ich würde ihn aufhalten? Er hatte mich nach einem Grund gefragt, zu bleiben. Ich wusste doch einen Grund! Vielleicht hatte er diesen Grund einfach nur hören wollen... Meine Güte, war ich blöd!!! Ich sprang auf, schnappte mir das Telefon und rief als erstes ein Taxi. Für dämliche Straßenbahn-Bummel-Fahrten hatte ich jetzt keine Zeit. Dann stürmte ich nach unten und wartete ungeduldig auf das Taxi. Ich schaute auf die Uhr und es war jetzt... 1 Uhr nachmittags. Ich wusste nicht, wann Kay abfahren wollte. Ich konnte einfach nur auf gut Glück zu seiner Wohnung fahren und hoffen, dass er noch da war. Als das Taxi endlich kam war ich bereits etliche Male versucht gewesen, einfach zu Fuß zu gehen (Schnapsidee!). Auf die gute Idee, vielleicht mal bei ihm anzurufen um festzustellen ob er noch da war, kam ich erst im Taxi. Sein Handy nahm er nicht ab. Ich starb im Taxi tausend Tode. Und als wir da waren, nachdem ich hastig gezahlt hatte, stürmte ich nach oben, stieß die halb geöffnete Tür auf - und fand das Zimmer ausgeräumt vor. Das kleine Schlafzimmer war leer, da stand nur noch das Bett und ein leeres Regal. "Kay?", rief ich. "Kay, bist du noch da?" Mir stiegen die Tränen in die Augen. Wahrscheinlich war er schon in Wien. Oh, ich war so blöd, blöd, blöd!!! Dabei hatte ich ihm doch sagen wollen, was er mir bedeutete! "Ich bin hier.", sagte seine dunkle Stimme und ich zuckte zusammen. Aus dem Bad kam Kay, seine letzten Sachen in der Hand. Jetzt fiel mir auch die Reisetasche auf, die neben der Tür stand. Ich war tatsächlich dämlich. Kay schaute mich an. Er hatte wieder diese dunklen Ringe unter den Augen. Sein blondes Haar hing ihm unfrisiert ins Gesicht. Waren seine Augen gerötet, oder bildete ich mir das ein? Er wirkte gar nicht erstaunt, dass ich hier war. Sondern er schaute mich seelenruhig an. "Oh.", machte ich. "Schön... dich zu sehen..." Schon benahm ich mich wieder wie ein Feigling. Ich war doch hergekommen, um ihn aufzuhalten und nicht mit ihm Small-Talk zu machen! Er sah das offensichtlich ähnlich. "Hör mal, ich habe nicht mehr viel Zeit. Warum bist du gekommen?" Um mir zu zeigen wie beschäftigt er war, ging er rüber zur Reisetasche und stopfte das Zeug das er in der Hand gehabt hatte hinein. Okay. Jetzt kam es auf das an was ich zu ihm sagte. Es mussten unbedingt die richtigen Worte sein, sonst würde er mich verlassen. "Kay...", krächzte ich. Mehr brachte ich nicht hervor. Feigling!!! Kay wartete nicht darauf dass ich mir ein Herz fasste, sondern durchsuchte noch mal die Wohnung nach persönlichen Habseligkeiten. Als er fertig war, kam er zu mir und hob die Reisetasche hoch. "Ich hab keine Zeit mehr. Geh aus der Wohnung, ich muss abschließen." Leicht machte er mir es ja nicht gerade. Aber im Grunde hatte ich es auch nicht besser verdient. Ich trat also aus der Wohnung und rang noch immer nach Worten, während er abschloss und den Schlüssel in den Briefkasten warf. Unsicher dackelte ich hinterher, als er sich mit der schweren Tasche nach unten kämpfte. Als wir dann unten das Haus verließen, blieb er stehen und schaute mich an. "Hast du mir noch irgendwas zu sagen?", fragte er und seine traurigen Augen versetzten mir einen Stich. "Kay, hör mir bitte zu.... ich..." "Danke, kein Bedarf.", zischte er. "Ich bin froh, dass ich dieses Angebot gekriegt habe. Ich brauche eine andere Stadt, weit weg von dir!! Machs gut!" Er drehte sich um und stolzierte mit seiner Reisetasche in Richtung Straße. "Ich liebe dich!", schrie ich, bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte. Shit! Ich hatte das Gefühl, dass das genau der falsche Zeitpunkt gewesen war, um es laut auszusprechen. Kay blieb stehen und seine Tasche knallte auf den Boden. Er drehte den Kopf und schaute mich ungläubig an. Ich musste irgendwas sagen, irgendwas!! "Hör mal, ich weiß dass ich ein Idiot bin. Ich hätte das schon viel früher sagen sollen. Ich will nicht, dass du weggehst!" Er drehte sich zu mir um. "Sagst du das jetzt nur, weil du Angst hast allein zu sein?", fragte er. Gott, er kannte mich wirklich zu gut. Aber diesmal hatte er Unrecht. Ich war mir endlich sicher, was ich wirklich wollte. Er sah wütend aus. Aber weil er einfach verwirrt war. Damit hatte er sicher nicht mehr gerechnet. "Wie stellst du dir das vor? Ich habe meine Wohnung gekündigt. Du willst, dass ich hier bleibe, wo ich keine Angebote kriege, und das nur weil du nicht allein sein willst?" "Nein, nicht deswegen. Weil ich dich nicht verlieren will." "Lügner!" Ich kam auf ihn zu. "Ich hab nicht gelogen." Er wich zurück. "Hör zu, ich will das nicht. Ich will einfach nur weg von hier. Lass mich einfach in Ruhe!!" Er wirkte unsicher. Vielleicht wollte er gar nicht weg. Er hatte nur Angst, dass das ganze Theater von vorne losgehen würde. Und dann begriff ich auf einmal auch die Zusammenhänge. "Du bist schon seit dem Sommerfest in mich verliebt gewesen, nicht wahr??", fragte ich, erstaunt über mich selbst. Aber das machte alles Sinn. Deswegen war er so schnell verschwunden und hatte sich auch an den Wochenenden nicht blicken lassen. Er war stärker als ich, er hatte versucht, dem ganzen ein Ende zu machen indem er so weit von mir weggezogen war wie möglich. Deswegen hatte er so komisch reagiert, als wir uns wiedergetroffen hatten. Genau wie ich hatte er Angst gehabt, die Gefühle würden wieder zurückkehren! "Spinnst du?!", schrie Kay und tippte sich an die Stirn. "Es wäre alles bestens gewesen, wenn du nicht plötzlich hier aufgetaucht wärst! Jetzt fängt alles von vorne an!" "Was denn? Läufst du jetzt wieder davor weg?" Ich war auf einmal so stark. Ich hatte mir selbst eingestanden dass nichts auf der Welt etwas daran änderte, dass ich ihn wirklich liebte, und das machte mich stark. Er hatte sich wieder zurückgezogen, nachdem ich ihn abgewiesen hatte, an diesem Morgen nach dem Sommersilvester. "Das wäre dann das dritte Mal. Ich dachte, ICH wäre ein Feigling. Aber du läufst auch nur davon." "Du wagst es, so mit mir zu reden?? Ich wollte uns beiden das ersparen, ja? Und dann kommst du einfach nach Salzburg und bringst mein Leben durcheinander! Ich wollte das nicht, ich wollte diese Gefühle nicht, hörst du!? Aber ich hab sie trotzdem zugelassen, ich habe dir sogar gesagt, dass ich dich liebe, und was hast du gemacht? Du hast auf mich gespuckt! Du hast meine Gefühle mit Füßen getreten!", schrie er mich an. Gott, ich hatte den ruhigen Kay noch nie so sauer erlebt. "Und du meine vielleicht nicht?", fragte ich. "Ich hab dir schon beim Sommerfest gesagt, dass ich dich liebe!" "Ich war BETRUNKEN!" "Na und? Danach hast du mich wie einen Aussätzigen behandelt!" "Also war das deine Rache? Als du mich abgewiesen hast?", knurrte Kay und kam drohend auf mich zu. Er war so wütend. "Blödsinn! Ich hab es eben nicht besser gewusst! Ich war ja auch mit Anya zusammen, und du hast mich bis dahin immer nur spüren lassen, dass wir sicher nicht mehr als Freunde sind und auch nie mehr sein werden!" "Ich hasse dich! Ich wünschte wirklich, du wärst nie in mein Leben getreten! Wärst du doch in Köln geblieben!!", schrie er und es traf mich bis ins Herz. "Oh, das war wirklich fies.", murmelte ich. "Tut mir leid.", sagte er. Wenigstens hatte er sich jetzt wieder beruhigt. Und es war wirklich gut, dass wir uns endlich ausgesprochen hatten. Aber das machte es auch nicht leichter, ihn gehen zu lassen. Er bückte sich nach seiner Tasche und hob sie auf. "Siehst du?", fragte er mich. "Das bringt doch alles nichts. Ich werde jetzt einfach gehen. Und ich habe mir vorgenommen, in Wien kein einziges mal an dich zu denken. Mach's gut." Wie konnte er bloß so kaltherzig sein? Langsam drehte er sich um und ging weiter in Richtung Straße. Ich lief ihm hinterher, ich konnte einfach nicht anders. Ich wollte ihn wenigstens noch mal umarmen, zum Abschied. Ich hielt ihn fest und schlang von hinten meine Arme um ihn. "Warte, ich muss dir eins noch sagen.", sagte ich und er blieb stehen. "Wenn du es dir anders überlegst, wenn es dir in Wien nicht gefällt... du bist jederzeit bei mir willkommen. Meine Wohnung ist sowieso viel zu groß." Er sagte nichts, aber ich glaube, er weinte. "Lass mich los.", sagte er und machte sich los. Ich sah zu wie er um die Ecke verschwand. Er hatte mir nicht mal auf Wiedersehen gesagt. Und ich hatte es nicht geschafft, ihn aufzuhalten. Mir war schlecht. Ich würde mir die nächsten Tage freinehmen, mich ins Bett verkriechen und einfach nur heulen. So schlimm hatte ich mich das letzte Mal am Tag nach dem Sommerfest gefühlt. Einmal mehr lag meine Welt in Trümmern. Epilog: -------- Die Sonne war gerade aufgegangen und ich hatte fertig gepackt. Ein großer Rucksack lag auf meinem Bett, das einzige, was ich mitnehmen wollte. Ungeduldig schaute ich auf die Uhr. Mein Zug ging erst in einer Stunde. Dabei war ich schon seit 3 Stunden wach. Ich hatte einfach nicht schlafen können. Nicht weil ich meine Entscheidung anzweifelte, aber weil ich nervös war. Ich hatte mich entschlossen, nach Wien zu fahren, um Kay zu suchen und ihn zurückzuholen. Dafür hatte ich mir extra eine Woche freigenommen (wieder mal ein Minuspunkt bei meinem Chef). Ich wusste ja nicht mal, wo er wohnte. Trotzdem freute ich mich. Zum ersten mal war ich mir nicht unsicher. Zwei Tage lang hatte ich darüber nachgedacht, bis ich mich dazu durchgerungen hatte, etwas zu unternehmen. Und ich hatte erkannt, dass ich mich verändert hatte. Ich war immer nur davongelaufen, hatte den einfachsten Weg gewählt. Aber so konnte ich nicht weitermachen. Ich musste ihn suchen, anstatt nur feige daheim zu sitzen und mich selbst zu bemitleiden. Einmal hatte ich ihn einfach aus meinem Leben fortgehen lassen, ein zweites mal hatte ich es ebenfalls riskiert. Ein drittes Mal würde es mir nicht passieren. Schon wieder starrte ich auf die Uhr. Ich hielt das einfach nicht mehr aus. Ungeduldig packte ich den Rucksack, ging in Gedanken noch mal alles durch und dachte nach, ob ich auch nichts vergessen hatte, dann schlüpfte ich in meine Jacke und verließ die Wohnung. Draußen vor der Tür atmete ich noch mal tief durch. Wien war groß und ich hatte bloß seine Handynummer. Es war fraglich, ob er mir seine Adresse geben würde. Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Ich musste das trotzdem tun. Sonst würde ich es für den Rest meines Lebens bedauern. Sorgfältig schloss ich ab und schleppte mich dann müde nach unten. Die letzten zwei Tage hatte ich kaum geschlafen. Ich stellte mich auf die Straße und zog mein Handy raus um ein Taxi zu rufen. "Du siehst schlecht aus.", sagte jemand und mir fiel vor Schreck der Rucksack aus der Hand. Ich drehte den Kopf und starrte den blonden, jungen Mann ungläubig an. Neben ihm stand seine Reisetasche. Ich traute meinen Augen nicht. "Kay?", fragte ich, zugegeben nicht gerade geistreich. Er lächelte entwaffnend. "Hey, dich kann man doch nicht allein lassen." Mein Mund öffnete sich aber ich brachte keinen Ton heraus. Er kam auf mich zu und blieb direkt vor mir stehen. Unsicherheit flackerte in seinem Blick als er sagte: "Du hast gesagt, wenn es mir in Wien nicht gefällt, dann soll ich zurückkommen... kann ich... ich meine..." Ich kann keinem beschreiben, wie erleichtert und glücklich ich in dem Moment war. Am liebsten hätte ich ihn umarmt, aber statt dessen lächelte ich ihn an und antwortete: "Wenn du einen Platz zum schlafen brauchst, bei mir bist du immer willkommen." "Schön!", sagte er, ebenso erleichtert wie ich. Aber irgendwie wussten wir beide nicht so recht, was wir sagen sollten. Er deutete mit einem Kopfnicken auf meinen Rucksack. "Und was hattest du vor? Nach Arbeit sieht das ja nicht aus." Ich grinste und hob den Rucksack auf. "Ich wollte nach Wien fahren. Wenn du ein bisschen später gekommen wärst..." "Warum wolltest du nach Wien? Wegen mir?" "Nein, um den Papst zu treffen. Natürlich wegen dir!", spottete ich. "Ich hatte schon Angst, du wärst sauer auf mich.", gab er zu. "Ich hab ein paar fiese Sachen gesagt, als ich gegangen bin. Darum dachte ich, du wärst wütend auf mich. Du hast keine Ahnung wie lang ich schon hier unten gestanden bin." "Egal.", ich ging zu ihm und legte den Arm um seine Schultern. "Willkommen zu Hause." "Schön wieder da zu sein." Nebeneinander spazierten wir zurück in Richtung Eingang. "Und was machen wir jetzt?", fragte er. "Ich weiß nicht. Gerade habe ich mir eine Woche Urlaub genommen." "Und was heißt das?" "Dass ich eine ganze Woche nur für dich Zeit habe." "Ob du es so lange mit mir aushältst..." "Noch viel länger. Ich habe nicht vor, dich wieder wegzulassen." Ich konnte nicht widerstehen und fügte hinzu: "Blödmann. Du hast mir gefehlt." Er stupste mich an. "Ich mag dich auch, Dummkopf." Mitten in der Nacht wachte ich auf, geplagt von einem Alptraum. Schweißgebadet saß ich im Bett und konnte nur an eines denken: war Kay auch noch da? Hektisch tastete ich nach ihm und fand erst Ruhe, als ich seine Hand ertastete und seinen ins Stocken geratenen Atem hörte. Geweckt durch meine hastigen Bewegungen setzte er sich auf und fragte alarmiert: "Was ist los?" Aufgelöst von der düsteren Vision meines Traumes murmelte ich: "Kay? Das hier ist kein Traum, oder?" "Nein." Ich flüsterte: "Ich hab geträumt du hättest mich allein gelassen. Du... du wirst doch nicht wieder nach Wien zurückfahren, oder?" Ich drehte mich zu ihm und ließ mich von ihm umarmen, legte meinen Kopf an seine nackte Brust. Ganz leise bat ich ihn: "Verlass mich nicht." "Hey.", sagte er beruhigend. "Das war bloß ein Traum, ja? Solange du es willst, bleibe ich bei dir." Ich schlang meine Arme um ihn. "Zieh bei mir ein, okay?" Er überlegte kurz, und ich hob den Kopf. Bevor ich mich fürchten konnte, drückte er seine Stirn gegen meine und antwortete: "Es gibt so viele Dinge, die du nicht über mich weißt. Ich kann sicher noch zurück in meine alte Wohnung." "Ich möchte aber, dass du hier bei mir wohnst.", sagte ich und stupste ihn an. "Also, was sagst du?" "Gern." Er küsste mich. Dann hörte ich ihn fragen: "Liebst du mich?" "Das weißt du doch." "Sag es mir." "Ich liebe dich, Kay." "Ich dich auch." Er ließ mich los. "Lass uns wieder schlafen gehen." Er legte sich hin und ich legte mich zu ihm, meinen Kopf auf seine Brust. Genauso wie damals beim Sommerfest. Der Traum war längst wieder vergessen, als mich sein stetiges Ein- und Ausatmen in den Schlaf begleitete. ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)