Eisblaue Augen von Chi_desu (Shounen-Ai) ================================================================================ Kapitel 9: Anya --------------- Noch am selben Tag rief Anya mich an. Sie war ziemlich enttäuscht darüber, dass ich vergessen hatte, sie anzurufen. Um das wieder gut zu machen, lud ich sie ein, mich zu besuchen. Dieses Wochenende hatte sie keine Zeit, aber sie ließ sich überzeugen, mich am nächsten Freitag zu besuchen. Ich freute mich sehr auf ihren Besuch und in meiner grenzenlosen Dummheit entschied ich mich, ihr den Club zu zeigen, in dem Kay arbeitete. Nur ein Idiot wie ich hätte auf so eine Idee kommen können. Am Montag ging ich zum Frisör und ließ mir die Haare schneiden. Meine neue Kurzhaarfrisur war etwas ungewohnt aber ich hatte mich nach einer Veränderung geradezu gesehnt. Mit Spannung sah ich dem Freitag Abend entgegen, wo sich die zwei Menschen treffen würden, die mir am liebsten waren: Anya und... Kay. Anyas Besuch war wie erwartet eine schöne Abwechslung. Ich schleppte sie ziemlich schnell in den Club, aber zu meiner Überraschung stand Kay nicht am Eingang. Ich fragte den anderen Türsteher, wo er denn wäre, und die ruppige Antwort war: "Der ist drinnen." Also suchten wir uns drinnen einen Platz und bestellten uns schon mal was. Die Musik war ziemlich klasse, also konnte sie auch über die fiesen Gestalten hinweg sehen. Etwa eine halbe Stunde saßen wir da und unterhielten uns, alles war perfekt, bis auf eins: mir fehlte Kay. Also stand ich auf, um nach ihm zu suchen. Ich durchforstete die dunkelsten Ecken des Clubs, und schließlich fand ich ihn, beim Hintereingang, mit einer Flasche Bier in der Hand. Er trug wieder seine Mütze, unter der sich sein schönes, blondes Haar verbarg. Er sah schlecht aus. Aber als ich seinen Namen rief, hob er den Kopf und er schien fast zu lächeln. "Lukas!", sagte er und stellte sich vor mich. Natürlich blieb sein Blick sofort an meinen Haaren haften. Langsam hob er den Arm und berührte eine Haarsträhne, die mir ins Gesicht hing. "Wieso hast du sie abschneiden lassen?" Spielerisch verzog ich das Gesicht und fragte: "Gefallen sie dir nicht?" Er lächelte. "Ist einfach ungewohnt. Ich mochte deine langen Haare." Eine Hand legte sich auf meine Schulter und dann schmiegte sich Anya liebevoll an mich. "Lukas, kommst du? Mir ist langweilig ohne dich." Kays Blick verdüsterte sich. "Ah! Darf ich vorstellen? Kay das ist meine Freundin Anya, Anya das ist Kay, von dem ich dir erzählt habe.", sagte ich eifrig. Ich wollte, dass die zwei sich gut verstanden. Anya lächelte zurückhaltend und sagte schlicht: "Hallo." Sie umarmte mich von hinten, legte ihren Kopf auf meine Schulter. Seltsam, normalerweise mochte sie keine Zutraulichkeiten in der Öffentlichkeit. Kay schien blass geworden zu sein. Das Leuchten war aus seinen Augen verschwunden und er warf uns einen düsteren Blick zu. "Hallo.", sagte er unwillig. Fast trotzig nahm er einen Schluck aus seiner Bierflasche und ließ sie dann einfach fallen weil sie leer war. "Hast du sie hergebracht, um ihr zu zeigen wie runtergekommen der Arbeitsplatz vom dämlichen Kay ist? Hmm?" Ohne mich darauf antworten zu lassen schob er sich an uns vorbei und sagte giftig: "Eine kleine Führung gefällig? Hier vorne seht ihr die Bar, da hinten die Tür, und hier drüben das Klo, wo ich mir die nächsten 5 Minuten die Seele aus dem Leib kotzen werde. Viel Spaß noch." Damit war er auch schon im Menschengewühl verschwunden. Anya und ich starrten ihm entgeistert nach. Anya fragte sich vermutlich grade, ob ich noch zurechnungsfähig war, weil ich ihr einen dermaßen unfreundlichen, betrunkenen Kerl als meinen besten Freund vorgestellt hatte. Ich selber war vollkommen perplex. Ich hatte Kay noch nie so wütend erlebt, und vor allem begriff ich nicht, was mit ihm los war. Und außerdem musste ich mir das von ihm nicht bieten lassen, und meine Freundin auch nicht. "Setz dich wieder hin, damit unsere Plätze nicht verloren gehen.", sagte ich zu ihr. "Ich rede mit ihm." Irgendwie schien sie protestieren zu wollen, ließ es aber dann doch und tat, was ich ihr gesagt hatte. Während sie zu unserem Platz zurück ging, rannte ich Kay hinterher. Er war gerade bei der Klotür angekommen, da holte ich ihn ein. Wütend packte ich ihn an der Schulter und riss ihn unsanft herum. Ehe er protestieren konnte, zischte ich: "Sag mal, was ist eigentlich dein Problem?" Zornig versuchte er, mich wegzustoßen, aber ich hielt ihn eisern fest. Mit funkelnden Augen starrte er mich an und knurrte: "Ich hab kein Problem, also lass mich in Ruhe." "Und warum warst du dann so fies zu Anya und mir?" "Einfach so! Und jetzt nimm deine Hände von mir!", zischte er und stieß mich weg. Er verschwand im Klo und ich blieb verständnislos zurück. Was war bloß in ihn gefahren? Ich zuckte die Schultern. Wenn er die beleidigte Schönheit spielen wollte, dann bitte. Ich würde mir den Abend mit Anya jedenfalls nicht verderben lassen. Ich kehrte zu ihr an den Tisch zurück und es dauerte eine Weile, sie davon zu überzeugen, dass Kay nicht immer so war und es sicher nicht so ernst gemeint hatte. Aber dann hatten wir einen ziemlich schönen Abend. Ich ließ Kay schmollen, und wir begegneten ihm ein paar Stunden lang nicht mehr. Irgendwann stand ich nur mal kurz auf, um aufs Klo zu gehen. Auf meinem Weg zurück entdeckte ich Kay. Er saß an der Bar mit irgendeinem Drink in der einen, und einer merkwürdig aussehenden Zigarette in der anderen Hand. Eigentlich wollte ich ihn für seine fiese Nummer mit Nichtbeachtung strafen, aber er hing bereits nur noch halb auf dem Stuhl und schwankte gefährlich. Ich nannte leise seinen Namen und legte ihm die Hand auf die Schulter. Er hob kurz den Kopf und warf mir einen vernichtenden Blick zu. "Was wills du?", lallte er. "Denkst du nicht, dass du schon genug getrunken hast?", fragte ich ihn. "Warum sagst du es mir nicht, Mutter!!", sagte er giftig. Ich unterdrückte den Impuls, ihn einfach allein zu lassen, und setzte mich statt dessen neben ihn. Er war nicht nur betrunken, er war total zu. Wieder kam mir in den Sinn, was seine Eltern über seinen Alkoholkonsum gesagt hatten und zum ersten Mal machte ich mir wirklich Sorgen um ihn. "Komm, du hattest wirklich genug!", sagte ich ungeduldig und versuchte, ihm das Glas wegzunehmen. Obwohl er betrunken war, war das gar nicht so leicht, er klammerte sich regelrecht daran fest. "Lass mich!", nuschelte er. "Ich kann auf dein... Mitleid verzichten! Geh weg!" Er hatte eine ganz entsetzliche Fahne. Auf einmal machte ich mir furchtbare Sorgen um ihn. War er wirklich schon ein Alkoholiker? Wie regelmäßig ließ er sich dermaßen voll laufen? "Komm, gib schon her!", sagte ich, aber er riss das Glas an sich und funkelte mich an. Auf einmal schlug meine Sorge in Wut um, ich sprang vom Sessel und schrie ihn an: "Dann sauf dich doch zu Tode, du Blödmann!!!" Ich drehte mich um und wollte weglaufen, ihn da so sitzen lassen, aber er rief: "Lukas! Warte!" Ich blieb stehen und drehte mich wieder zu ihm um. Er nahm mich beim Hemdsärmel und zog mich zu sich heran. Seinen Kopf lehnte er an meine Brust und raunte: "Es tut mir leid. Seit dem Abitur läuft einfach alles schief bei mir." Wie hätte ich ihm weiter böse sein können? Ich legte meine Hand auf seinen Kopf und sagte: "Komm, ich bring dich nach Hause." Ich zahlte eilig seine Rechnung und hievte ihn vom Stuhl. Er schlang die Arme um meinen Nacken und lallte irgendwas unverständliches vor sich hin. Mühevoll schleppte ich ihn durch den halben Club, bis zum Tisch von Anya. Schon als sie uns sah, wirkte sie wenig begeistert. "Lukas, was machst du? Was ist mit ihm los?" "Entschuldige. Er hat zu viel getrunken, ich muss ihn nach Hause bringen.", erklärte ich ihr. "Und warten, bis es ihm besser geht. Kommst du mit oder willst du nach Hause gehen?" Wütend packte sie ihren Mantel und stand auf. "Ich gehe nach Hause. Mach doch was du willst." "Aber nicht allein. Es ist gefährlich, nachts." Deswegen ließ ich ihr ein Taxi rufen. Als sie im Taxi saß und ich sie in Sicherheit wusste, stapfte ich mit einem betrunkenen Kay um den Hals zu seiner Wohnung. Mir war zu dem Zeitpunkt gar nicht bewusst, was ich da eigentlich getan hatte. Denn im Grunde hatte ich ihn meiner Freundin vorgezogen. Dass er sturzbetrunken war und meine Hilfe brauchte, spielte in dem Fall keine Rolle. Bis zu dem Wohnblock zu kommen war kein Problem. Kay allerdings die Treppe hoch zu schaffen war pure Schwerstarbeit. Er war nicht der Schmächtigste und ich hatte mich zeitlebens nie mit Krafttraining oder dergleichen beschäftigt. Nach den drei Stockwerken war ich total fertig. Kay hatte sich von mir gelöst und war auf den Boden gesunken. Eigentlich hatte ich vorgehabt, ihn ins Bett zu schaffen, aber jetzt brauchte ich auch erst mal ne Pause. Nachdem ich die Tür abgeschlossen hatte, setzte ich mich neben ihn auf den Boden und atmete erst mal tief durch. Kay hatte seinen Kopf tief gesenkt und rührte sich eine ganze Weile lang nicht. Nachdem ich selbst einigermaßen zur Ruhe gekommen war, fragte ich besorgt: "Ist alles okay mit dir?" Die Antwort war ein Flüstern, zu leise als dass ich es hätte verstehen können. Als ich nachfragte und meinen Kopf gegen seinen drückte, hörte ich ihn leise antworten: "Nein... bei mir ist gar nichts okay." "Ist dir schlecht? Kann ich irgendwas für dich tun?" Matt schüttelte er seinen Kopf. Er war leichenblass und sah wirklich schlecht aus. "Lukas...", nuschelte er. "Ich hab nichts mehr unter Kontrolle. Irgendwie ist einfach alles... alles schief gelaufen. Ich will nicht mehr... ich kann einfach nicht mehr." Seine Worte erschreckten mich zutiefst. Bestimmt meinte er es gar nicht so, trotzdem bekam ich furchtbare Angst um ihn. "Sag so was nicht, bitte.", bat ich ihn. "Ich weiß nicht, was du für Probleme hast. Aber du kannst doch noch mal von vorn anfangen. Wir sind doch Freunde, ich werde dir helfen." "Du kannst mir nicht helfen.", sagte er düster und fuhr sich unruhig durch sein blondes Haar. Ich blieb still. Jemand anders hätte vielleicht eine Antwort darauf gewusst, aber ich nicht. Ich konnte nur schweigen, ich war noch nie gut darin gewesen, andere zu trösten oder ihnen zu helfen. Alles was ich tun konnte war heute für ihn da zu sein und auf ihn aufzupassen. "Weißt du noch, das Sommerfest?", fragte er unvermittelt. "Was? Ja... ich erinnere mich daran...", stotterte ich. Mit der Frage hatte ich nicht gerechnet. Natürlich erinnerte ich mich. An dem Abend hatte sich alles verändert. Von da an war nichts mehr gewesen wie vorher. "Habe ich das geträumt?", fragte er müde. "Oder haben wir uns damals geküsst?" Ich war perplex. So eine direkte Frage hatte ich nicht erwartet. Wie sollte ich darauf antworten? Ich biss mir unsicher auf die Unterlippe. Aber mein Schweigen war auch eine Antwort. Sein Kopf hob sich und er schaute mich mit diesen blauen Augen an. Seine Stirn legte sich in Falten und er sagte düster: "Also war es kein Traum. Wenn ich das früher gewusst hätte... ich frage mich, ob wir dann heute hier so sitzen würden." "Wieso nicht? Was hätte es geändert, wenn..." Weiter kam ich nicht, denn abrupt rückte er vor und drückte seine Lippen auf meine. Mein Kopf war wie leergefegt. Warum machte er so was? Wollte er mich quälen? Nur einen Augenblick lang schmolz ich schier dahin, so wie es früher schon gewesen war, dann schaltete sich mein Verstand wieder ein und ich stieß ihn grob von mir. Nein, so wollte ich das nicht. Ich wollte nicht schon wieder so leiden. Wenn er morgen wieder nüchtern sein würde, würde er wieder der Alte sein, und diesen Schmerz wollte ich mir ersparen. Außerdem war ich mit Anya zusammen. Seltsam, dass sie mir immer als letztes einfiel. Mein Blick fiel auf Kay, der mich fast enttäuscht anschaute. Ich erwartete, dass er irgendwas sagen würde, aber er schwieg eisern. Und ich, ich hatte auch nichts zu sagen. Warum musste alles immer so kompliziert sein? Ich wich seinem Blick verlegen aus. "Komm. Ich bringe dich ins Bett. Du solltest erst mal deinen Rausch ausschlafen." Widerstandslos ließ er sich von mir auf die Füße ziehen und in sein Bett bringen. Diesmal blieb ich nicht bei ihm. Er musste sich bloß ausschlafen. Und ich konnte und wollte nicht bei ihm bleiben. Zu Hause wartete Anya auf mich. Nachdem ich mich versichert hatte, dass er schlief und alles in Ordnung war, verließ ich die Wohnung und machte mich auf den Heimweg. Ich hatte heute großes Glück gehabt. Denn ich wusste in meinem Inneren, dass ich einen nüchternen Kay nicht zurückgewiesen hätte, wenn er mich geküsst hätte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)