Ashita wa kitto von Yamato_ (Tomorrow For Sure (Daiken)) ================================================================================ Kapitel 3: Shinjitsu (Wahrheit) ------------------------------- Part 3: Shinjitsu (Wahrheit) “Nach der Schule im Computerraum!“ blinkte Koushirou‘s Nachricht auf dem D-Terminal. “Der Digimon Kaiser hat wieder zugeschlagen.“ “Was meinst du könnte es diesmal sein?“ fragte Takeru, als er mit Hikari durch die stillen Gänge des Schulgebäudes ging. “Einen großen Teil der DigiWelt haben wir ja schon wieder befreit. Ich hab‘ gar nicht mehr mitgezählt, wie viele dieser Dark Towers wir inzwischen zerstört haben.“ “Willst du meine ehrliche Meinung hören?“ “Natürlich, ich bin ja froh um alles, was uns weiterhelfen könnte. Wenn du eine Idee oder Theorie hast, dann bitte laß sie mich hören!“ Nachdenklich sah sie zum Fenster auf den Schulhof hinaus. “Es führt zu nichts, Takeru-kun. Wir zerstören die Dark Towers, der Kaiser stellt neue auf, und wir zerstören sie wieder. Es ist ein ewiger Krieg, ohne Sinn und Ziel. Wir sollten wirklich ernsthaft darüber nachdenken, unsere Strategie zu ändern!“ Takeru verzog das Gesicht zu einen gequälten Lächeln. “Ernsthaft nachdenken? Strategie?“ Sie bogen in den Gang, an dessen Ende der Computerraum lag. “Mit einigen Leuten aus unserem Team könnte das etwas problematisch...“ Ein Entsetzensschrei gellte durch das Schulgebäude, noch bevor Takeru seinen Satz beenden konnte. “Du hast waaaasss!“ “Du hast gesagt, ich soll ihm einen Kuß von dir geben, hat sie, oder hat sie nicht, Iori-kun? Ich versteh‘ überhaupt nicht, warum du dich so aufregst.“ “Ich soll mich nicht aufregen? Ich soll mich nicht aufregen! Du willst mir meinen Typen ausspannen, und ich soll mich nicht aufregen!“ Miyako’s Stimme überschlug sich, “Sag’ mal, du hast sie wohl nicht mehr alle!“ “Wollten wir nicht Kontakt mit der DigiWelt...“ Zaghaft versuchte Iori’s Stimmchen sich bemerkbar zu machen, fand aber keinerlei Gehör. “Bloß weil du bei Hikari-chan abgeblitzt bist, mußt du doch nicht gleich schwul werden. Obwohl, bei deiner Visage..“ “Schau dich mal im Spiegel an, du Schreckschraube, dann weißt du was eine Visage ist!“ “Leute, ich hab‘ eben die neuesten Daten heruntergeladen, und...“ “Mimi-Onee-sama, sagt, daß ich hübsch bin. Und Mimi-Onee-sama hat... “ “Ist das wieder ein Dark Tower, Izumi-sempai?“ “Allerdings, Iori-kun, das ist... “ “Mimi-Onee-sama! Wenn hier irgendwer schwul ist, dann du mit deiner Mimi-Onee-sama! Jedes zweite Wort von dir ist Mimi-Onee-sama....“ Die Tür wurde mit voller Wucht aufgerissen und knallte krachend gegen die Wand. Heraus stürmte eine verzweifelte Miyako und warf sich schluchzend in Hikari’s Arme. “Findest du mich häßlich, Hikari-chan?“ Daisuke stand ziemlich hilflos im Türrahmen und sah betreten drein. “Was hab‘ ich jetzt wieder gemacht?“ Takeru rang die Hände und wandte die Augen gen Himmel. “Oh, ihr Götter der DigiWelt, was habt ihr uns da nur angetan!“ Hikari grinste. “Sei nicht so streng mit ihnen, Takeru-kun, wir waren damals auch nicht viel besser.“ Einige Minuten später hatten die DigiRitter sich einigermaßen beruhigt und standen im Halbkreis um einen der PCs, wo Koushirou ihnen die neueste Karte der digitalen Welt zeigte. Die einzelnen Gebiete waren in Karos unterteilt, weiße Karos für die Regionen, die sie schon befreit hatten und schwarze Karos für diejenigen, die noch unter der Kontrolle des Digimon Kaisers standen. Inmitten einer großen weißen Fläche prangte ein einzelnes schwarzes Karo. “In diesem Gebiet wurde etwa vor vier Stunden ein Dark Tower errichtet,“ erklärte Koushirou. “Bis jetzt haben uns noch keine Hilferufe der dortigen Digimon erreicht, das Gebiet scheint weitgehend unbewohnt zu sein. Aber irgend etwas muß der Digimon Kaiser dort entdeckt haben, sonst hätte er sich nicht gerade dieses Gebiet ausgesucht.“ “Was könnte er dort wollen?“ überlegte Takeru. “Taktisch wäre es doch viel klüger, seine Grenzen zu verschieben, anstatt sich ein Gebiet aus der Mitte herauszupicken. Es ist von allen Seiten aus angreifbar, er wird es nicht lange halten können. Er muß etwas ganz Bestimmtes dort entdeckt haben.“ “Vor etwa vier Stunden, nicht wahr, Sempai?“ Hikari griff einen anderen Gedanken auf. “Das müßte gegen halb eins gewesen sein. Sieht so aus, als ob der Angriff während der Mittagspause stattgefunden hätte.“ “Mittagspause?“ fragte Daisuke zweifelnd. “Ja, stimmt schon, an den meisten Schulen ist die Mittagspause irgendwann zwischen halb zwölf und halb zwei.“ Hikari nickte. “Ist euch schon mal aufgefallen, daß die meisten Angriffe nachmittags, oder abends erfolgen. Nicht während der Schulzeit! Das spricht für die Theorie, daß der Kaiser tatsächlich ein Mensch ist. Während er in der Schule sitzt, kann er natürlich nicht in der DigiWelt herumgeistern.“ “Ich finde, wir sollten Hikari’s Gedanken auf alle Fälle weiter verfolgen!“ Daisuke griff nach seinem DigiVice. “Koushirou-sempai könnte zum Beispiel so eine Art Statistik aufstellen. Wenn er die Stundenpläne von den Schulen mit den Zeitpunkten der Angriffe vergleicht, kriegt er vielleicht raus, auf welche Schule der Kerl geht.“ Er nahm Chibimon auf den Arm. “Aber jetzt sollten wir in die DigiWelt, und dort nach dem Rechten sehen. Wozu sind wir schließlich die DigiRitter!“ Die Kinder hatten ihre DigiVices bereits auf den Bildschirm gerichtet, als Daisuke Miyako mit dem Ellenbogen anstieß: “Sag mal, Miyako-san, willst du nun deinen Kuß, oder nicht?“ “Den werd‘ ich mir schon selbst abholen, verlaß dich drauf!“ Miyako war wieder die Zuversicht in Person. “Digital Gate Open! Erabareshi Kodomo-tachi Start!“ DigiVice voran sausten die fünf in den Bildschirm, gefolgt von ihren Digimon. Wie immer digitierten Poromon, Upamon und Chibimon sofort aufs RookieLevel, als sie die DigiWelt erreichten. Tailmon und Patamon blieben so, wie sie waren. Als einziges Digimon der Kinder konnte Tailmon dauerhaft im ChampionLevel bleiben. “Wo sind wir hier?“ Daisuke sah sich um. “Ist das wirklich der Teil der DigiWelt, den der Kaiser unter seine Kontrolle gebracht hat?“ Auch Iori spähte angestrengt in die Ferne. “Ich kann hier nirgendwo einen Dark Tower entdecken.“ “Unsere Koordinaten stimmen.“ Wie immer traute Miyako ihrem Laptop weiter als ihren Augen. “Koushirou-sempai hat sich bestimmt nicht verrechnet.“ Sie befanden sich inmitten einer Felsenwüste. Weit und breit nichts außer Sand und Steinen, keine Digimon, keine Pflanzen, gar nichts. Was in aller Welt wollte der Digimon Kaiser mit einem solchen Gebiet? Wo es kein Leben gab, war auch nichts worüber er herrschen konnte. “Vielleicht ist es eine... “ Takeru kam nicht dazu den Satz zu beenden. Als Daisuke sich umdrehte, konnte er gerade noch sehen, wie Takeru, Hikari, Patamon und Tailmon im Sand versanken, als ob sich plötzlich der Boden unter ihren Füßen aufgelöst hätte. “Was ist hier los?“ schrie Miyako entsetzt. Einen Augenblick später sausten auch sie und Hawkmon nach unten, der Sand erstickte ihren Hilfeschrei. Iori versuchte nach ihr zu greifen und verschwand in Sekundenschnelle mit Armadimon in der Tiefe. Daisuke brach in die Knie und begann im Sand zu graben. Vielleicht war es Treibsand, seine Freunde würden ersticken, wenn er sich nicht beeilte. Warum nur war der Boden auf einmal wieder so fest? Und warum waren alle Spuren im Sand verschwunden? So, als ob niemals jemand hiergewesen wäre? “Daisuke!“ In einem verzweifelten Versuch, endlich beachtet zu werden, schlüpfte V-Mon zwischen Daisuke’s Arme und sah ihm ins Gesicht. “Sie sind nicht da unten! So können wir sie nicht finden!“ Daisuke ignorierte sein Digimon und buddelte weiter. Sand brannte in seinen Augen, aber er bemerkte es kaum. Seine Finger schmerzten, doch es war nicht wichtig. Er würde sie finden, egal was geschehen war, er würde sie retten. Der Wind trug das Lachen über die Wüste, höhnisch und grausam gellte es in den Ohren und brach sich an den Felsen in der Ferne. Sein verzerrtes Echo wurde zurückgeworfen und hallte am Horizont wieder, womöglich noch unbarmherziger als vorher. Obwohl es ihn schauderte, biß Daisuke die Zähne zusammen, er wollte keine Angst zeigen. “Macht dir wohl Spaß, im Dreck rumzuwühlen!“ verspottete ihn die Stimme. “Du bist genau da, wo du hingehörst!“ “Wo sind meine Freunde?“ schrie Daisuke. “Was hast du mit ihnen gemacht?“ “Im Augenblick warten sie noch auf dich. Noch. Sie können von Glück sagen, daß ich sehr viel Geduld besitze.“ “Daisuke, sieh‘ nur!“ V-Mon deutete in die Ferne. Am Horizont war jetzt deutlich der Umriß eines Dark Tower zu erkennen. Womöglich hatten die Luftspiegelungen der Wüste ihn vorher unkenntlich gemacht. “Geh‘ zum Teufel, du verfluchter Digimon Kaiser!“ Ohne lange zu überlegen sprang Daisuke auf und rannte auf den Tower zu. V-Mon folgte ihm. “Schwierig. Falls du es noch nicht gemerkt haben solltest, Unschuldslämmchen, ich bin der Teufel. Und du solltest dich etwas beeilen, denn deinen Freunden läuft die Zeit davon.“ Er wußte nicht, wie lange er gelaufen war, als um ihn herum die ersten großen Felsen auftauchten. Ihre zerklüfteten Gestalten ragten schattenhaft in einen düsteren Himmel, ihre Konturen verschwammen mit dem Nebel zu einem geisterhaften Grau. Und über allem thronte, gefährlich und geheimnisvoll, der Dark Tower. “Daisuke-kun!“ Hikari’s angsterfüllter Schrei gellte durch die Schlucht, und riß ihn aus seiner Trance. Er fuhr herum, und sah seine Freunde und ihre Digimon gefesselt von einer Felsenbrücke hängen. Sie waren so eingeschnürt, daß sie sich kaum bewegen konnten und unter ihnen tat sich ein Abgrund auf. “Wir wußten, daß du kommen und uns helfen würdest!“ Miyako’s Stimme klang erleichtert, fast zuversichtlich. Auch Iori rang sich ein Lächeln ab. “Mach‘ den Kerl fertig und dann nichts wie weg von hier!“ “Willkommen in meiner Hölle, du widerliche kleine Schmeißfliege von einem DigiRitter!“ Der Digimon Kaiser stand vor ihm, genauer gesagt, über ihm, auf der Spitze eines Felsens. Heulend fuhr der Wind durch sein zerzaustes blauviolettes Haar, zerrte an seinen Kleidern und bauschte den mächtigen Umhang. Von seinem Gesicht war nicht viel zu erkennen. Wie üblich hielt er es hinter seiner riesenhaften dunklen Brille verborgen, die im Dunkeln aufblitzte wie ein einzelnes dämonisches Insektenauge. Ohne jede menschliche Regung fixierte es Daisuke und er spürte, wie die Wut in ihm emporstieg. “Verfluchter Digimon Kaiser!“ Daisuke griff nach dem Digimental des Mutes und hob es hoch. “V-Mon, mach dich bereit zur...“ “Ist das eine Art mit seinem Kaiser zu sprechen?“ lachte die Gestalt auf dem Felsen. “Wird langsam mal Zeit, daß dir jemand ein paar Manieren beibringt!“ Mit einer herrischen Geste warf er den Umhang zurück und deutete auf den Abgrund unter der Felsenbrücke “Deltamon!“ Sand wirbelte auf. Die Felsen erzitterten und kleine Gesteinsbrocken wurden in der Luft herumgeschleudert. Daisuke schloß die Augen, und schlug schützend die Hände vors Gesicht. Sofort sprang V-Mon schützend vor ihn, um sicherzugehen, daß er nicht von etwas getroffen wurde. Da es viel zu klein war, um irgendetwas ausrichten zu können, hüpfte es aufgeregt auf und nieder. Das Wesen, das sich aus dem Abgrund erhob, war mit Abstand das schauderbarste Geschöpf, das Daisuke je zu Gesicht bekommen hatte. Sein Kopf schien nur aus einem einzigen riesigen Rachen mit gewaltigen Zähnen zu bestehen, den es nun unter den verzweifelten DigiRittern aufsperrte. Es ging aufrecht, auf zwei Beinen, und hatte kräftige Arme, aber keine Hände. Aus den Armstümpfen wuchsen zwei weitere Köpfe, nicht minder furchterregend als der erste. Alle drei Rachen waren nun weit geöffnet und nur wenige Meter von seinen Freunden entfernt. Ob es von Natur aus böse war, wußte Daisuke nicht, aber der schwarze Evil Ring, der sich um seinen Körper spannte, war Beweis genug, daß es jedem Wink des Digimon Kaisers gehorchen würde. Die anderen DigiRitter waren in höchster Gefahr. “Tu ihnen nichts,“ schrie Daisuke entsetzt, als die Köpfe sich bedrohlich seinen gefangenen Freunden näherten, “laß sie gehen!“ Der Digimon Kaiser verzog das Gesicht zu einem hinterhältigen Grinsen. “Erste Lektion in gutem Benehmen, kleiner Schreihals: Einem Kaiser befiehlt man nicht, man bittet ihn! Und zwar auf Knien.“ Als Daisuke verzweifelt in die Knie brach, wurde das Grinsen noch hämischer. “Und an deiner Anredeform solltest du auch noch etwas feilen. Wie wäre es denn mit ‘Euer Majestät‘? Oder...hm, mir fällt da sicher noch was Besseres ein. Sagen wir doch ‘Allmächtiger Tennoh, Herrscher über Leben und Tod.‘ Kannst du dir das merken, du Wicht, oder bist du zu blöd dazu?“ “Kuso!“ fluchte Daisuke mit zusammengebissenen Zähnen. “Ich werde...“ “Du wirst zusehen, wie deine Freunde sterben, wenn du nicht tust wie dein Tennoh dir befielt!“ Das Gesicht des Kaisers verzerrte sich vor Wut. “Deltamon!“ Das gewaltige Digimon reckte einen seiner Arme und ein aufgesperrter Rachen näherte sich Takeru. “Kümmere dich nicht um mich!“ rief er, als seine Haare und Kleider in Deltamon’s Atem zu flattern begannen. “Du mußt kämpfen, Daisuke-kun, gib nicht auf!“ Er versuchte angestrengt, nicht nach unten zu sehen. “Allmächtiger Tennoh, Herrscher über Leben und Tod,“ Daisuke’s Stimme zitterte, noch nie in seinem ganzen Leben war er so gedemütigt worden, “bitte seid gnädig und schont das Leben meiner Freunde!“ “Gut, sehr gut!“ Der Kaiser brach in ein meckerndes Lachen aus, das von den Felswänden widerhallte. In Sekundenschnelle war er wieder todernst und Daisuke glaubte das haßerfüllte Blitzen seiner Augen selbst hinter den dunklen Gläsern seiner Brille wahrnehmen zu können. “Aber leider nicht gut genug! Wo bleibt die Verbeugung?“ Daisuke neigte den Kopf und preßte Stirn und Handflächen gegen den harten Untergrund, daß es weh tat. Schmerz gegen Schmerz. Anders konnte er es nicht mehr ertragen. Seine Freunde zählten auf ihn, jetzt war er vollkommen auf sich allein gestellt. Alles hing jetzt von seiner Fähigkeit ab, sich beherrschen zu können. Er war ein DigiRitter, er durfte seine Freunde nicht im Stich lassen, ganz egal welches Opfer ihm abverlangt wurde. “Nicht tief genug! Deine Stirn ist nicht am Boden, wo sie hingehört, willst du deinen Tennoh verärgern?“ zischte der Digimon Kaiser. “V-Mon! Du solltest etwas nachhelfen – mit deinem Fuß!“ “Daisuke,“ wimmerte V-Mon, “ich kann doch nicht...“ “Mach schon, V-Mon, stell den Fuß auf meinem Kopf. Irgendwann werden wir’s ihm heimzahlen, verlaß’ dich drauf.“ “Gomen, Daisuke!“ Das Digimon stieß einen Schluchzer aus und gehorchte. Daisuke war schon oft auf jemanden wütend gewesen, aber das was er jetzt empfand, war nicht damit zu vergleichen. Es war Haß, purer Haß, der in diesem Augenblick in seiner Seele hochwallte. Es war ein Brennen, das von seinem Herzen Besitz ergriff und sich allmählich im ganzen Körper ausbreitete. Er wußte nicht, wie lange er in dieser erniedrigenden Position verharrte. Er hörte Schritte, die sich ihm langsam näherten, aber er wagte nicht den Kopf zu heben. So lange der Kaiser mit ihm beschäftigt war, würde er zumindest den anderen nichts antun, soviel war sicher. Er mußte versuchen, irgendeinen Plan zu schmieden, den Kaiser irgendwie abzulenken, damit V-Mon sich vielleicht davonstehlen, und die anderen losbinden... Ein Zischen durchschnitt die Luft, wurde lauter, als es auf ihn hernieder sauste und endete in einem ohrenbetäubenden Knall. Sekunden später spürte er ein furchtbares Brennen auf seinem Rücken, und jeder Versuch einen klaren Gedanken zu fassen, löste sich in rasenden Schmerz auf. ‘Er hat mich geschlagen,‘ schoß es ihm durch den Kopf, ‘er hat mich tatsächlich geschlagen. Bei allen Göttern, wie ich ihn hasse! Nur jetzt nicht weinen, das würde ihm Spaß machen. Nur nicht weinen!‘ Er biß die Zähne zusammen, als er erneut das Geräusch der Peitsche in der Luft hörte und wartete auf den nächsten Schlag. Das wäre die Gelegenheit für V-Mon sich davonzuschleichen, er glaubte nicht, daß der Kaiser noch auf das Digimon achtete. Aber wie sollte er V-Mon etwas mitteilen? Konnte er etwas in den Sand schreiben, ohne daß der Kaiser es merkte? Der nächste Schlag blieb aus. Er hörte, wie sein Feind die Peitsche in den Gürtel zurücksteckte und offensichtlich etwas anderes daraus hervorholte. Was immer es auch sein mochte, es würde Daisuke keine Angst machen, das nahm er sich fest vor. Eine Hand griff in seine Haare und zog seinen Kopf hoch. “Hast du denn überhaupt keinen Stolz?“ fragte die Stimme des Digimon Kaisers dicht an seinem Ohr. “Läßt du alles mit dir machen, nur wegen ein paar anderer Kinder, die dir eigentlich egal sein könnten?“ “Sie sind mir aber nicht egal!“ Daisuke spürte, wie er allmählich den Kampf gegen die Tränen verlor. “Sie sind meine Freunde und ich hab‘ sie lieb!“ “Wie rührend! Ich fang‘ gleich an zu heulen,“ verspottete ihn der Digimon Kaiser. Er hielt seine andere Hand vor Daisuke’s Gesicht und Daisuke konnte nun deutlich den Gegenstand erkennen, den er darin hielt. Es war eine Sanduhr. “Nun höre, du Wurm!“ Die Stimme hatte wieder ihren offiziellen Charakter angenommen. “In meiner unendlichen Großmut, habe ich, der Herrscher über alle Digimon, beschlossen, diesen armseligen Wichten ihr Leben zu schenken.“ Er machte eine Pause, um seine Worte auf Daisuke wirken zu lassen. “Allen – außer einem! Und da ich mich heute so gut amüsiert habe, gewähre ich dir sogar noch eine weitere Gunst.“ Seine Finger spielten mit Daisuke‘s Haar und ließen es dann ruckartig los. “Du darfst dir persönlich aussuchen, wen von deinen sogenannten Freunden du am wenigsten ‘lieb‘ hast.“ “Du meinst...“ Daisuke konnte nicht glauben, daß jemand so grausam sein konnte. “Ich meine.“ Langsam drehte sich die Sanduhr in den Händen des Digimon Kaisers. “Wenn du keine Entscheidung getroffen hast, bevor das letzte Sandkorn den Boden erreicht, werden alle sterben!“ “Das... das kannst du nicht machen.“ Daisuke versagte die Stimme. Wut, Haß und Verzweiflung mischten sich in seinem Herzen zu unbändigem Schmerz. Er würde keine, er konnte keine Entscheidung dieser Art treffen. Niemals! “Ich kann! In der Welt der Menschen magst du vielleicht Macht über mich besitzen, aber hier habe ich die alleinige Macht!“ Der Digimon Kaiser hatte plötzlich angefangen zu schreien. “Und ich werde dich diese Macht spüren lassen!“ In der Welt der Menschen? Macht über ihn? Was in aller Welt meinte er damit, Daisuke konnte sich nichts darunter vorstellen. War er dem Digimon Kaiser schon mal irgendwo begegnet? Die Rufe seiner Freunde rissen ihn in abrupt in die Wirklichkeit zurück.. “Du mußt mich wählen,“ schrie Takeru, “Iori ist noch so klein, und die Mädchen... daran darfst du nicht einmal denken!“ “Das ist doch Blödsinn,“ rief Iori. “Auf mich könnte ihr am ehesten verzichten!“ “Aber ich bin die Älteste,“ erklärte Miyako bestimmt. “Ich hab‘ schon mehr erlebt, als die anderen, es wäre nicht fair, wenn sie das nicht erleben dürften.“ “Daisuke-kun,“ Hikari’s Stimme war ruhig und sehr eindringlich, “nichts von alledem ist fair, egal was du tust. Aber bitte wähle mich, damit die anderen am Leben bleiben. Bitte.“ “Kuso!“ schrie Daisuke, “oh verdammt, verdammt, verdammt, ich kann das nicht!“ Die Tränen stürzten ihm die Wangen hinunter, alles verschwamm vor seinen Augen. Was willst du denn noch, ich mach’ doch alles, was du verlangst,“ schluchzte er, “dir geht es doch gar nicht um sie, sondern darum, daß du mich quälen willst!“ “Ach, hast du das auch schon bemerkt?“ höhnte der Digimon Kaiser, “bist ja richtig intelligent. Kommt das vielleicht von der Taucherbrille?“ Er verzog das Gesicht zu einem grausamen Lächeln. “Aber du hast vollkommen recht, eine bessere Möglichkeit, dich zu quälen, gibt es überhaupt nicht! Das ist die gerechte Strafe dafür, daß du versucht hast, in mein Reich einzudringen und mir meine Macht streitig zu machen. Quae sunt Ceasaris Ceasari!“ Er warf die Sanduhr zu Boden, der Sand war abgelaufen. “Sieh zu, wie sie sterben!“ “Töte mich,“ flehte Daisuke unter Tränen. “Laß sie gehen, und töte mich an ihrer Stelle. Du hast gesagt, du wirst alle, bis auf einen am Leben lassen. Dann nimm mich und laß die anderen frei!“ “Nicht genug damit, daß du dich für sie demütigen läßt, nun willst du auch für sie sterben.“ Kopfschüttelnd sah der Kaiser ihn an. “Soviel Dummheit läßt sich ja gar nicht mehr in Worte fassen.“ “Jeder von ihnen würde dasselbe für mich tun!“ Daisuke setzte sich auf. “Weil sie mich nämlich auch lieben. Aber jemand wie du kann das natürlich nicht begreifen! Weil dich niemand liebt und du...“ “Du wirst es nicht glauben, das wußte ich,“ Sein Feind grinste, und seine Stimme klang beinahe fröhlich. “Schon lange, bevor ich in diese Welt kam und zum Digimon Kaiser wurde!“ “...und du auch niemanden liebst. Weil du das nämlich überhaupt nicht kannst!“ “Verschon mich,“ unterbrach ihn der Digimon Kaiser. “Das Wort Liebe hab‘ ich schon vor sehr langer Zeit aus meinem Wortschatz gestrichen. Es gibt da nämlich ein paar andere Wörter, die es sehr viel genauer treffen. Wie wäre es zum Beispiel mit Abhängigkeit? Unterwerfung! Machtverlust! Jemanden zu lieben bedeutet, ihm Macht über sich zu verleihen. Sich in seine Abhängigkeit zu begeben! Ich habe mir vor langer Zeit geschworen, daß nie wieder jemand Macht über mich besitzen wird. Nie wieder! Ich habe die alleinige Macht!“ Er warf den Kopf zurück und lachte, das häßliche grausame Lachen, das Daisuke inzwischen so gut kannte. Abrupt hörte es auf und seine Augen sprühten Blitze hinter den dunklen Brillengläsern. “Und du hast es gewagt, meine Macht anzuzweifeln!“ zischte er, “du hast es gewagt, in mein Leben einzubrechen, und alles auf den Kopf zu stellen, mit deinem sentimentalen Gefasel und deinen unsinnigen Luftschlössern! Du wolltest Macht über mich und das werde ich niemals, niemals zulassen! Du hast mich gedemütigt und dafür wirst du bezahlen!“ Seine Stimme klang jetzt überhaupt nicht mehr zuversichtlich, sondern eher wie die des kleinen Jungen, der sich hinter Brille, und Umhang verbarg. ‘Wenn er nicht ein solches Arschloch wäre,‘ dachte Daisuke mit grimmiger Miene, ‘könnte er einem beinahe leid tun.‘ “Genug geredet, das Spiel ist zu Ende.“ Er schluckte heftig, anscheinend befürchtete er schon zuviel über sich verraten zu haben. “Du hast eine Bitte geäußert und ich werde sie dir gewähren.“ Er wies mit dem Finger auf Daisuke. “Töte ihn, Deltamon!“ Donnernd stapfte das riesige Digimon auf Daisuke zu und blieb nur wenige Meter vor ihm stehen. In seinen drei Rachen sammelte sich blaues Feuer. Daisuke stand auf und wischte sich das Gesicht ab. Keine Tränen mehr, Schluß damit! Auf dem Boden kriechend würde er seinem Schicksal bestimmt nicht begegnen. “Ich werd’ dich beschützen, Daisuke!“ “Natürlich wirst du das.“ Er hob V-Mon hoch und nahm es auf den Arm. Am liebsten hätte er ihm befohlen, zu fliehen und sich zu verstecken, aber er wußte, es würde nicht gehorchen. Es war sein Digimon und würde bei ihm bleiben. Bis zum bitteren Ende. Trotzig schluckte er seine Angst hinunter und sah dem Energieball entgegen, der sich vor Deltamon’s Köpfen formte. Wenigstens würde es nicht mit Zähnen und Klauen angreifen, das wäre sehr viel unangenehmer geworden. Von dieser Attacke würde er vermutlich gar nicht allzuviel mitbekommen. Tapfer widerstand er dem Drang die Augen zu schließen. Es würde gleich vorbei sein. “Big Crack!“ Unter Deltamon brach plötzlich der Boden auf, und die riesige Bestie geriet ins Wanken. Der Energieball sauste knapp an Daisuke und V-Mon vorbei, und schlug zischend und krachend in den Felsen ein. “Digmon!“ Fassungslos sah Daisuke seinem Retter entgegen. “Wie ist das möglich!“ “Sanctuary Bind!“ Seite an Seite gingen Neferitimon und Pegasmon zum Angriff über. Hikari und Takeru schmiegten sich eng an die Rücken ihrer Digimon, um von der Wucht ihrer gemeinsamen Attacke nicht heruntergeschleudert zu werden. “ Tempest Wing!“ Auch Horusmon griff in den Kampf ein, Miyako klammerte sich an seinen Rücken, ihr langes Haar wehte wie eine Fahne hinter ihr her. Ungläubig wechselte Daisuke’s Blick zwischen seinen kämpfenden Freunden und ihren gefesselten Ebenbildern an der Felsenbrücke. Was ging hier vor? “Wormmon, du nutzloses Ding!“ brüllte der Kaiser sein Digimon an. “Wie konntest du sie nur entkommen lassen!“ “Gomen, Ken-chan.“ Ängstlich duckte es sich zu Boden, doch der Kaiser beachtete es überhaupt nicht mehr, er plante bereits seinen nächsten Zug, um die Situation wieder in den Griff zu bekommen. “Ihr seid dran, Bakemon!“ Bakemon! Die Geist-Digimon, die ihre Gestalt wechseln konnten. Das also war des Pudels Kern! Angewidert und zugleich fasziniert beobachtete Daisuke wie sich die Bakemon in ihre ursprüngliche Gestalt zurückverwandelten. Er war getäuscht worden! Die ganze Zeit! Und sie hatten so verdammt echt ausgesehen! Unglaublich! “Digimental Up!“ Daisuke griff nach seinem DigiVice, und hielt es in die Höhe. Es wurde höchste Zeit in den Kampf einzugreifen, er war schon lange genug untätig herumgestanden. “V-Mon Armor Shinka – Moeruna no Yuuki: FlaDramon!“ “Hilf den anderen gegen die Bakemon!“ rief Daisuke seinem Digi-Partner zu. Er selbst hatte jetzt einen anderen Kampf zu bestehen. Nicht nur tobte in ihm die Wut über die angetanen Demütigungen, er wollte die ganze Sache ein für allemal beenden. Schluß mit den Scharmützeln gegen gefangene Digimon, die nicht wußten, wie ihnen geschah. Jetzt würde er denjenigen zur Rechenschaft ziehen, der wirklich für das alles verantwortlich war. Der Digimon Kaiser hörte ihn nicht kommen, er war viel zu beschäftigt, auf den Kampf zu achten und Befehle in der Gegend herumzubrüllen. Wormmon krabbelte ihm in den Weg, aber er sprang mit einem Satz über es hinweg, dieser Winzling konnte ihn nun wirklich nicht aufhalten. Mit einem Wutschrei stürzte er sich auf seinen Feind und riß ihn zu Boden. Keuchend rollten sie den Abhang hinunter und schlugen in besinnungsloser Wut aufeinander ein. Daisuke fühlte überhaupt nicht, wohin ihn die Schläge trafen, sein Herz raste vor Rachedurst, seine Seele war nur von einem einzigen Gedanken besessen: Vergeltung für die ihm angetane Schmach. “Nun sieh mal einer an, hast endlich hassen gelernt,“ fauchte der Digimon Kaiser, “lange genug hat es ja gedauert!“ Als er die Faust hob, um nach Daisuke zu schlagen, rutschte der Ärmel seines Gewandes zurück und gab den Blick auf sein Handgelenk frei. Etwas war daran festgebunden, aber Daisuke konnte in der Hitze des Kampfes nicht genauer erkennen, was es war. Er blockte den Angriff seines Feindes mit dem eigenen Arm und traf auf etwas Hartes, das zwischen ihren Fäusten zerbrach. Der eine Teil davon baumelte immer noch am Handgelenk des Kaisers, den anderen hielt nun Daisuke in der Hand. Was immer es sein mochte, die frische Bruchstelle war messerscharf, eine bessere Waffe hätte er gar nicht finden können. “Jetzt erst ist das Spiel wirklich zu Ende!“ Er setzte dem anderen Jungen die Klinge an den Halsansatz. “Stoß zu, wenn du den Mut hast!“ Trotzig warf der Digimon Kaiser den Kopf in den Nacken, und bot seinem Feind die Kehle dar. Durch die heftige Bewegung ritzte die Spitze die Haut, und ein einzelner Blutstropfen erschien in der Halsgrube, lag auf der blassen Haut wie eine rubinrot schimmernde Perle. “Du bist doch total krank,“ sagte Daisuke verächtlich und ließ die Klinge sinken, “ hast nix im Kopf außer Kämpfen und Umbringen. Kann man mit dir überhaupt noch normal reden, du Spinner?“ Blitzschnell schnellte der Arm des Digimon Kaiser nach oben, packte Daisuke’s Hand und versuchte ihm den Gegenstand zu entwinden. “Und du bist hoffnungslos naiv! Du wirst nie begreifen, worauf es wirklich ankommt!“ Wieder bebte der Boden und Daisuke wurde von irgendetwas durch die Luft geschleudert. Benommen blieb er einige Meter entfernt liegen. Erst als er den Kopf hob, bemerkte er, daß er genau vor Deltamon’s Füße gefallen war, das regungslos dastand, und die Befehle seines Herrn abwartete. Jetzt sammelte es wieder Energie in seinen Mäulern, um für den nächsten Angriff bereit zu sein. “Du hättest mich töten sollen, als du die Gelegenheit dazu hattest,“ sagte der Digimon Kaiser böse und verzog das Gesicht zu einem grausamen Lächeln. “Sayonara, Motomiya Daisuke-kun.“ Woher kannte der Kerl seinen Namen? Wie war das möglich? “So geht’s aber nicht!“ Mit einem gewaltigen Satz sprang FlaDramon vor Daisuke, und wehrte den Energieball mit seiner eigenen Attacke ab. Anschließend stürzte es sich, Kopf voraus, auf den Evil Ring des Monsters, der mit einem ohrenbetäubenden Klirren zerbrach. Deltamon brüllte laut auf, als es von der Gehirnwäsche befreit war. Zu Daisuke’s Überraschung und Erleichterung griff es jedoch niemanden an, sondern suchte so schnell wie möglich das Weite. Vermutlich hatte es ein ziemliches Trauma hinter sich und wollte sich in Sicherheit bringen, bevor ihm noch etwas zustieß. Da Deltamon nun keine Gefahr mehr für Daisuke darstellte, machte FlaDramon sich nicht die Mühe es zu verfolgen, sondern wandte sich seinem Schützling zu. “Bist du verletzt, Daisuke?“ erkundigte es sich besorgt. Etwas abwesend schüttelte Daisuke den Kopf, er versuchte immer noch verzweifelt die Teile des Puzzles zusammenzufügen. Woher kannte der Digimon Kaiser seinen Namen? Wo konnten sie sich in der realen Welt begegnet sein? Er senkte den Blick und bemerkte, daß seine Hand immer noch den zerbrochenen Gegenstand umklammert hielt. Kein Zweifel, es war ein Teil des Amuletts, das er vorgestern noch getragen hatte. Aber wie gelangte dieses Amulett in die Hände des Digimon Kaisers? Sollte das etwa bedeuten, daß... Nein, unmöglich! Viele Menschen trugen solche Amulette, es konnte auch ein Zufall sein. Es mußte ein Zufall sein! Oh bitte, laß es einen Zufall sein! “Das ist nicht möglich,“ stammelte Daisuke. “Was?“ fragte der Digimon Kaiser gelassen. “Redest du davon?“ Er hob den Arm, an dem der andere Teil des Amuletts festgebunden war. “Oder meinst du vielleicht das hier?“ Mit einem Kopfnicken deutete er nach unten und Daisuke sah den rasch größer werdenden Blutfleck auf seinem rechten Hosenbein. Am Schienbein. Etwas oberhalb des Knöchels. War das bei ihrer Rauferei passiert? Oder schon davor? So viele Zufälle auf einmal konnte es nicht geben! Oder doch? Spielte seine Phantasie ihm einen Streich? “Ich glaub’s nicht!“ Fassungslos schüttelte Daisuke den Kopf. “Ich glaub’s einfach nicht! Das ist ein Trick! Das kann einfach nicht wahr sein!“ “Glaubst du es jetzt?“ Der Digimon Kaiser nahm die Brille ab und Daisuke blickte in die spöttischen Augen von Ichijouji Ken. “Du bist der Digimon Kaiser...“ Daisuke versagte die Stimme, er konnte nicht weitersprechen. “Du hast mich... du hast mich die ganze Zeit... warum?“ Er stieß einen Wehlaut aus und preßte beide Hände gegen die Brust. “Du solltest wissen, wann ein Kampf verloren ist.“ Ken schien sich an Daisuke’s Verzweiflung zu weiden. “WEISST DU DENN NICHT, DASS DIE DUNKELHEIT IMMER TRIUMPHIEREN WIRD? SELBST ÜBER DIE AUFRICHTIGE UND REINE LIEBE EINES UNSCHULDIGEN MENSCHENHERZENS. Merk dir das für die Zukunft, mein kleiner Waldschrat!“ Er setzte die Brille wieder auf und stieß einen lauten Pfiff aus. Sofort kam ein drachenähnliches Digimon angeflogen und fiel vor ihm zu Boden, damit er auf seinen Rücken steigen konnte. “Falls du eine hast!“ Das Digimon preschte zwischen den Felsen hindurch und verschwand im Nebel. Alles was zurückblieb, war ein höhnisches Lachen, das leiser und immer leiser wurde, bis es schließlich verklang. Daisuke stand regungslos da, bis seine Beine plötzlich nachgaben und er beinahe zu Boden stürzte. Jetzt erst war es ihm möglich zu schreien, er schrie, bis er keine Luft mehr bekam und Tränen seine Stimme erstickten. Es fühlte sich an, als ob etwas in ihm zerrissen wurde. Er hatte immer geglaubt, es sei nur eine Redensart, wenn jemand behauptete, das Herz tue ihm weh. Aber jetzt wußte er, daß er sich geirrt hatte. Sein Herz schmerzte in seiner Brust wie eine tödliche Wunde. Waren Stunden oder nur Minuten vergangen? Er wußte es nicht. Irgendwann kamen die anderen angelaufen, redeten auf ihn ein, wollten wissen, ob ihm etwas passiert sei. V-Mon antwortete ihnen und erklärte in Kurzfassung, was geschehen war. Seine Freunde nickten verständnisvoll und hakten nicht weiter nach, schließlich war es ein traumatisches Erlebnis, vom Digimon Kaiser gefangengenommen, und allen möglichen grausamen Spielen unterzogen zu werden. Mehr erfuhren sie ohnehin nicht, da V-Mon selbst nicht genau wußte, was eigentlich los war. An Daisuke zogen die Gespräche der anderen vorüber wie Wolken, die der Wind über den Himmel trieb. Sie führten eine Diskussion darüber, wer sie befreit haben könnte, kamen aber zu keinem befriedigenden Ergebnis. Koushirou hatte einen Fernseher ausfindig gemacht, durch den sie in die reale Welt zurückkehren konnten und sie verabredeten sich für den folgenden Tag im Computerraum. Dann trennten sie sich und machten sich auf den Heimweg. Er schaffte es sogar zum Abschied zu lächeln und zu sagen, daß alles in Ordnung sei. Mechanisch ging er den gewohnten Weg nach Hause. Sein Vater war noch nicht von der Arbeit zurück, und seine Mutter telephonierte mit einer Freundin. Aus dem Zimmer seiner Schwester plärrte Nanjo Koji irgendetwas von Herz und Schmerz, bis es seiner Mutter zuviel wurde und sie seine Schwester anbrüllte, sie solle die Musik leiser drehen, von dem Krach bekäme sie Kopfschmerzen. Daisuke verkroch sich in sein Zimmer und schaltete seine eigene Anlage ein, um den Lärm zu übertönen. Er wußte nicht, wie er den Rest des Tages herumbrachte. Schularbeiten, das gemeinsame Abendessen, die anerkennenden Worte seiner Eltern, die sich über die gute Mathematiknote freuten. Die Hänseleien seiner Schwester. Die Extraportion Essen verstecken, die er für Chibimon ins Zimmer schmuggeln mußte. Und doch versuchte er das Schlafengehen hinauszuzögern. Der Gedanke, im stillen dunklen Zimmer zu liegen und auf den Schlaf zu warten, der nicht kommen würde, erschien ihm unerträglich. Er wartete, bis seine Eltern ihn zum dritten Mal ermahnt hatten, bevor er sich in sein Zimmer verzog. Erst nachdem seine Mutter ihm einen Gute-Nacht-Kuß auf die Stirn gedrückt und die Zimmertür hinter sich geschlossen hatte, steckte er seinen Kopf unters Kissen und begann leise zu weinen. Chibimon sagte nichts, aber es schlüpfte auch unter das Kissen und fing an, sein Gesicht zu streicheln. Daisuke drehte den Kopf auf die andere Seite. Irgendwann mußte er doch eingeschlafen sein, denn das schrille Geräusch, das ihn aufgeweckte, war nichts anderes als das Klingeln des Telephons, und Minuten später hörte er die wütende Stimme seiner Mutter: “Nein, Sie können jetzt niemanden sprechen, es ist drei Uhr morgens, und wir möchten bitte in Ruhe schlafen. Auf Wiederhören!“ Er sprang aus seinem Bett, jagte in den Flur hinaus und riß seiner überraschten Mutter den Hörer aus der Hand, bevor sie auflegen konnte. “Was soll der Krach?“ Der verschlafene Kopf seiner Schwester erschien im Türspalt ihres Zimmers. “Daisuke, wieso bist du nicht im Bett?“ schimpfte seine Mutter und versuchte ihm den Hörer wieder wegzunehmen. “Das geht wirklich nicht, um diese Zeit, du hast morgen Schule! Und...“ Daisuke flüchtete mit dem Telephon in sein Zimmer und schloß die Tür ab. Er hörte noch, wie seine Schwester beruhigend auf seine Mutter einredete und sie von seiner Zimmertür wegführte. “Das wird morgen ein Nachspiel haben,“ tönte es noch aus dem Flur, bevor sich endlich die Türen schlossen und wieder Ruhe einkehrte. Daisuke holte tief Luft. Manchmal war er richtig dankbar, daß es seine Schwester gab. Mit Sicherheit würde sie ihn morgen löchern, was dieser geheimnisvolle Anruf zu bedeuten hatte. Aber das machte nichts, bis dahin würde er sich schon etwas einfallen lassen. Jetzt gab es wichtigere Dinge. Tsuzuku... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)