Dunkel von Chi_desu (sasu/saku) ================================================================================ Kapitel 5: Scherben ------------------- Tsunade schüttelte betroffen den Kopf. "Kannst du gar nichts sehen?", fragte sie und schaltete das Licht an. Sasuke reagierte gar nicht darauf. Er schüttelte bloß den Kopf. Sakuras Fingernägel gruben sich in ihren Unterarm. Das war alles nur ein böser Traum. Das durfte nicht wahr sein. Tsunade nahm sein Kinn und schaute ihm lange in die Augen. Schließlich seufzte sie resignierend. "Es tut mir so leid, Sasuke-kun. Ich schätze, habe es nicht geschafft." "Und was bedeutet das jetzt?", fragte Sasuke unruhig. "Wann werde ich wieder sehen können?" Tsunade überlegte und sagte dann: "Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Ich kann dir nicht sagen, ob sich der Sehnerv regenerieren kann oder nicht oder ob es jemand gibt, der dir besser helfen kann als ich. Es besteht immer Hoffnung, aber... wenn du die Wahrheit hören willst... ich denke, du wirst nie wieder sehen können." Verzweifelt schlug Sakura die Hände vors Gesicht und begann zu weinen, während Sasuke keinerlei Regung zeigte. Wie vom Blitz getroffen starrte Sasuke ins Nichts. "Sasuke-kun, es tut mir sehr..." "Geh!", knurrte er Tsunade an. "Sasuke, ich..." "Lass mich allein!", schrie er. "Lasst mich alle allein!" Das letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war falsches Mitleid oder diese hohlen Entschuldigungen. Er wollte bloß noch allein sein um diese Nachricht zu verdauen. Er hörte Schritte, als Sakura und Tsunade den Raum verließen und ihn allein zurückließen. Sasuke Hände klammerten sich um die Bettdecke. Blind. So war das also. Er war blind. Was ihm nun durch den Kopf ging war nicht etwa die Frage, was sich nun in seinem Leben ändern würde, sondern nur der eine Gedanke: Wie soll ich meine Rache bekommen, wenn ich blind bin? Lange, sehr lange, saß er so da und versuchte, Ordnung in das Chaos in seinem Kopf zu bringen. "Blind?!", keuchte Naruto und packte eine total verheulte Sakura bei den Schultern. "Sakura, was hast du gesagt??" "Sa...Sasuke... er ist blind...", schluchzte sie und warf sich wieder in seine Arme. "Seine Augen, ich hab sie gesehen nach der Schlacht... Tsunade kann ihm nicht helfen..." Sie hörte nicht mehr auf zu reden, doch Naruto hörte ihr nicht mehr zu. Entsetzt drückte er sie an sich und versuchte, diesen Schock zu verdauen. Blind? Wie konnte das sein? Warum ausgerechnet Sasuke? Naruto mochte sich nicht vorstellen, wie er reagiert hätte, wäre er jetzt an Sasukes Stelle. So viel ging ihm im Kopf herum und mehr als alles andere spürte er plötzlich eine unendliche Wut und Traurigkeit. Sasuke hatte das nicht verdient. Wieso mussten diese schrecklichen Dinge passieren? "Keine Angst, Sakura..", sagte er leise. "Das wird schon wieder. Wir finden einen Weg, Sasuke zu helfen. Irgendwie." Aber noch während er das sagte, lief ihm eine Träne über das Gesicht und er begriff, dass er selbst nicht daran glaubte. Blind. Nutzlos, schwach, für immer hilfebedürftig. Sasuke ballte die Hände zu Fäusten. Er war doch immer noch ein Shinobi. Durch seine Adern floss Uchiha Blut. Ja klar. Ein blinder Shinobi. Willst du dich lächerlich machen? War jetzt alles zu Ende? Sollte er für immer in dieser Finsternis leben? Ohne ein Ziel, ohne eine Aufgabe? Einfach nur leben? Itachi würde das gefallen, wirklich. Ein blinder Shinobi. Er würde sich köstlich darüber amüsieren, wenn er sowas wie Sinn für Humor hätte. Warum versuchst du es nicht, und forderst ihn so heraus? Vielleicht lässt er dich aus Mitleid auch mal treffen, bevor er dich aufschlitzt. Verzweifelt presste Sasuke die Hände an seine Schläfen. Diese zynische, trotzige Stimme in seinem Kopf trieb ihn schier in den Wahnsinn. Panik erfasste ihn. Was tu ich denn jetzt? So kann ich nicht weiterleben! Langsam stand Sasuke auf. Er kannte diesen Raum nicht, alles war hier fremd. Ausgerechnet mit seinem verstauchten Knöchel stieß er gegen einen Stuhl, als er sich mühsam vorwärts tastete. Er biss sich auf die Unterlippe, um nicht aus Wut und Schmerz zu schreien. Seine Hände, die fahrig nach einem Halt oder einer Orientierung suchten, fanden ein kühles Objekt, vielleicht ein Glas oder eine Tasse. Seine Finger schlossen sich darum und dann schleuderte er es mit einem Schrei in irgendeine Richtung. Glas klirrte und er hörte, wie die Splitter auf den Boden prasselten. Die Tür wurde aufgestoßen und Sakura schrie auf. Ihre Stimme klang verzerrt, sie hatte wohl geweint. Sasuke lauschte ihren Schritten, als sie zu ihm gelaufen kam und seinen Arm berührte. "Sasuke-kun, was ist passiert?" Er drehte den Kopf in die Richtung, aus der ihre Stimme kam. Sie ließ ihn wieder los aber er griff nach ihrer Hand und erwischte sie beim zweiten Versuch. "Sasuke?", fragte sie unsicher. Er gab keine Antwort. Statt dessen führte er ihre Hand zu seinem Gesicht und legte sie auf seine Wange. Er fühlte ihre weiche Haut, aber jetzt, durch den Kontakt, spürte er auch noch etwas anderes. Ihr Chakra, dass gleichmäßig im selben Rhythmus wie ihr Herzschlag durch ihren Körper floss. Er konnte es fühlen. Zögernd ließ er sie los und auch nachdem der Hautkontakt unterbrochen war, fühlte er sie weiterhin. Er wusste, wo sie im Raum stand. Reflexartig schloss er die Augen und fühlte ein weiteres, vertrautes Chakra, ganz in der Nähe. Naruto. Er konnte sogar sagen, aus welcher Richtung er es spürte. Sasuke beschloss, dass diese Welt der Dunkelheit für ihn nicht genug war. Sich auf sein Gehör allein verlassen zu müssen war ihm zu mühsam. Er hatte nicht vor, sich einfach damit "abzufinden". Nein, noch nicht. Niemals. Nie. Er schob sich an Sakura vorbei. "Sasuke-kun! Wo willst du hin?" "Trainieren." Sasuke spürte den Wind in seinem Haar und er atmete die frische Luft tief ein. Hier, auf diesem Dach, war er schon einmal gestanden. Damals hatte er Naruto herausgefordert, weil er sich ihm unterlegen gefühlt hatte. Sein Mund verzog sich zu einem schiefen Grinsen. Das Thema war jetzt wohl auch vom Tisch. Naruto, und allen anderen auch, ging es längst besser. Nur ich bleibe für immer blind. Nur ich. Das ist nicht fair. Er machte einen Schritt nach vorne und stieß mit der Fußspitze gegen etwas. Er streckte den Arm aus, um zu ertasten, was es war. Wie erwartet fühlte er kalten Draht unter seinen Fingern. Das Gitter, das Patienten vor dem herunterstürzen schützen sollte. Er lehnte seinen Kopf dagegen. Es wäre so leicht, über dieses Gitter zu springen, und diesem Alptraum hier und jetzt ein Ende zu machen. Noch nie, nicht einmal nach dem Tod seiner Eltern, hatte er solche Gedanken gehabt. Damals hatte seine Wut auf Itachi ihn am Leben erhalten. Aber jetzt, wo ihn dieses Schicksal getroffen hatte, merkte erst, wie schwach und labil er wirklich war. In den Tod zu springen erschien ihm plötzlich so unendlich... verlockend. So viel einfacher als dieses mühsame Leben, das sowieso immer wieder nur Schmerzen für ihn bereithielt. Das ist alles nicht fair. Wozu noch weitermachen? Er würde sogar seine Freunde verlieren. Team 7 gab es nicht mehr. Sie würden sich jemand anders suchen müssen. Einen blinden Schüler würde Kakashi nie akzeptieren. Und Sasuke wollte kein Hindernis für die beiden anderen sein. Viel zu oft hatte er sich über Naruto oder Sakura geärgert, wenn sie ihn aufgehalten und eine Mission behindert hatten. Jetzt war er es, jetzt war er der Stolperstein. Das alles jetzt zu beenden, wäre so einfach gewesen. Wild entschlossen schüttelte er den Kopf. Nein. Er war kein Feigling. Er durfte noch nicht sterben, nicht solange Itachi noch am Leben war. Es war fast erstaunlich, dass dieser Hass auf seinen Bruder ihn selbst jetzt noch am Leben hielt. Diese Flamme in seinem Inneren würde erst erlöschen, wenn Itachi tot und der Clan gerächt war. Und dann?, fragte eine leise Stimme in seinem Kopf. Aber das war ihm egal. In seinem Denken hatte es nie ein danach gegeben. Selbst wenn du Itachi besiegen solltest, letzten Endes bist du trotzdem nur noch ein blinder Shinobi. Er schloss die Augen. Na und? Dann sterbe ich eben mit ihm. Aber noch nicht jetzt. Noch nicht. Nicht bevor... Eine fremde Präsenz riss ihn aus seinen Gedanken und er drehte sich um. Es dauerte einen Moment, bis er begriff, wer es war. "Kakashi.", sagte er tonlos. "Was machst du hier?" "Oh, ich wollte dich mal besuchen und nach dir sehen." "Mach dir nicht die Mühe. Ich bin nicht mehr dein Soldat. Ich bin blind, das weißt du bestimmt. Also geh und besuch jemand anderen. Ich brauche kein Mitleid." "Du bist verbittert. Das kann ich sogar verstehen." "Lass mich allein, Kakashi." Sein Lehrer kam auf ihn zu und legte ihm eine Hand auf den Kopf um ihm durch das Haar zu wuscheln. "Sei ein bißchen vorsichtig, Sasuke. Was du da machst, ist ungesund. Diese Technik ist nicht dazu konzipiert worden, dass du sie ständig anwendest." Sasuke ignorierte ihn. Als Sakura Sasuke das nächste Mal besuchen kam, hatte er sich verändert. Sie merkte es nicht gleich, denn als sie den Raum betrat, saß er aufrecht im Bett, reglos, mit weit geöffneten Augen. Sie öffnete den Mund, um ihn zu begrüßen, aber er kam ihr zuvor. "Hallo, Sakura.", sagte er ruhig. Er hob den Kopf und seine Augen schienen sie tatsächlich anzusehen. Erstaunt fragte sie: "Woher weißt du...?" "Dein Chakra.", gab er knapp zurück. "Ich kann es fühlen." Er schlug die Bettdecke beiseite und stand auf. Sein Knöchel und auch die anderen Verletzungen waren inzwischen fast wieder verheilt. Er ging problemlos durch den Raum, ohne gegen ein Hindernis zu stoßen. Verblüfft sah Sakura ihm zu. Selbst er konnte sich wohl kaum innerhalb nur einer Woche an seine Blindheit gewöhnt haben. Aber Sasuke bewies ihr das Gegenteil. Er öffnete den Schrank und holte seine Sachen raus. Sakura war so erstaunt, dass sie erst richtig begriff, was er da tat, als er schon fast mit packen fertig war. "Was tust du?!" "Ich werde heute entlassen.", antwortete er. "Die Ärzte können nichts mehr für mich tun, ich darf nach Hause." Das hatte sie nicht gewusst. Etwas unsicher ging sie ihm zur Hand beim packen und er ließ es zu ihrem Erstaunen sogar zu. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, Sasukes Habseligkeiten zusammenzupacken und ihn beim Personal abzumelden. Aber schließlich standen sie beide doch gemeinsam vor dem Ausgang. Sakura griff nach Sasukes Hand, aber er machte sich los. "Geh einfach voraus.", sagte er stur. Langsam begriff sie, was sich verändert hatte. Sasuke wandte irgendeine seltsame Technik an um andere Personen aufzuspüren. Er hatte sie nur an ihrem Chakra erkannt, eine Fähigkeit, die sonst nur Jounin beherrschten, wenn überhaupt. Und er hatte das innerhalb nur einer Woche gelernt. Schön zu wissen, dass in ihm noch immer Kampfgeist war. Sie kamen auf die Hauptstraße und Sakura achtete darauf, dass sie einen Weg ohne eventuelle Stolpersteine für Sasuke nahm, der neben ihr ging und sich nur an ihr orientierte. Es war früh morgens, trotzdem waren schon recht viele Leute auf der Straße. Zur Zeit war Konoha sehr belebt. Kaum einer hatte die große Schlacht unverletzt überstanden. Tsunade hatte alle unwichtigen Missionen abgesagt damit ihre Krieger im Dorf bleiben und sich erholen konnten. Gerade um diese Uhrzeit waren viele Shinobi auf den Straßen und sie alle erkannten Sasuke. Sie alle hatten gesehen, wie er zusammen mit den anderen an vorderster Front gekämpft und die Gegner zurückgedrängt hatte. Und die Nachricht über die Folgen seiner Verletzung hatte sich wie ein Lauffeuer im Dorf verbreitet. Als Sasuke neben Sakura die Straße entlang lief, beugten die Shinobi respektvoll ihre Köpfe vor ihm. Sogar Jounin senkten den Kopf in Anerkennung seiner Leistungen. Sakura staunte über das Bild, das sich ihr bot. "Sasuke...", hauchte sie, tief berührt. "Die Leute... sie alle... sie verbeugen sich vor dir... sogar die Jounin... sie alle wissen, wie tapfer du gekämpft hast..." Sasuke verzog das Gesicht und sagte bitter: "Sie verbeugen sich nicht, weil ich gut gekämpft habe, sondern weil ich blind bin. Ich brauche ihr Mitleid nicht. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, dann hätte ich mich niemals in diesen Kampf, der gar nicht der meine war, eingemischt." Schon bei diesen Worten hätte Sakura wissen müssen, dass Sasuke sich keineswegs mit seinem Schicksal abgefunden hatte. ...tbc... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)