Kleine Wölfin von Tamy-kitsune ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Stolz blickte Weißfeder, der Anführer der Elfen vom Wolfsrachen-Hain auf seine Tochter Funkenblick. Die kaum zehn Wechsel der Jah-reszeiten alte Elfe kuschelte sich an die Flanke seines alten Wolfsfreundes und kraulte ihn selbstvergessen. Der Häuptling lächelte, spürte er doch deutlich ihren Wunsch, einen eigenen Gefährten zu finden. Aber wer konnte Fun-kenblick das verdenken? Immerhin war sie das Blut von zwölf Häuptlingen. Die Lieder lehr-ten schon den kleinsten Welpen des Hages deren Namen: Timmorn - Rahnee - Pirscher - Zweispeer - Dunkelhaar - Bärenjägerin - Silberhaar - Goldregen - Sonnenjäger - Erdgräber - Scharfauge - Wolfsläuferin ... und schließlich er - Weißfeder. Der Elf holte tief Luft. So lange schon führte er den Stamm. Drei Generationen waren gebo-ren worden und wieder ums Leben gekommen. Denn das Leben war hart auf dieser wilden Welt: Wenn nicht gerade die grobschlächtigen Fünffinger ihren Lebensraum durchwanderten und alte Feindschaften wieder auflodern ließen, so war es die Wildnis mit ihren Gefahren: Bären und Säbelzähne, Schlinggras und andere gefährliche Pflanzen, reißende Wildbäche und Unwetter hatten schon so vielen Elfen das Leben gekostet. Auch seiner geliebten Wind-sang... Mit einem leisen Schmerz dachte Weißfeder an seine Gefährtin, die Geschichtenerzählerin, die als einzige so alt wie er gewesen war. Ein schwerer Ast hatte die Elfe vor nur acht Wech-seln der Jahreszeiten in das Wasser des Baches geschleudert und niedergedrückt bis sie er-trunken war. Wenigstens war ihm Funkenblick geblieben, ihrer beider Kind, geboren außer-halb des Erkennens. Manchmal glaubte er die Geliebte in seiner Tochter wiederzuerkennen - ihre Fröhlichkeit und ihr Gespür, das richtige zu tun. Bis vor fast zwei Wechseln der Jahreszeiten etwas geschehen war, das alles veränderte. Ein Knurren aus Funkenblicks Kehle ließ Weißfeder aufsehen. Die kleine Elfe richtete sich auf. Ihre schimmernden roten Haare sträubten sich merklich. Sie fletschte die Zäh-ne und knurrte aufbegehrend, wie ein Jung-wolf, der seine Position im Rudel verteidigen wollte. Der Häuptling wußte genau , was sie so zornig machte. Aus dem Wald trat eine hochschwangere Elfe. Rabenschwinge hatte Weißfeder überraschend erkannt, als sie ihn von einer Jagdverletzung heilte. Weder die Heilerin, noch der Häuptling hatte sich wirklich über diese Gaben der Ho-hen gefreut, und Funkenblick war nur mit Mü-he davon abzuhalten gewesen, die ältere Elfe ernsthaft zu verletzen. Seither war das Kind verbittert und zornig. Auch jetzt wieder starrten sich die beiden El-finnen an, um ihren Willen zu messen. Voller Sorge beobachtete Weißfeder das. Hatte nicht die gleiche Situation zur ersten Spaltung des Stammes geführt? Auch Zweispeer und Him-melsfeuerjägerin waren Geschwister gewesen - außerhalb und innerhalb des Erkennens gebo-ren ... und ihre Mütter hatten sich ebensowenig gemocht. Er durfte es niemals so weit kommen lassen - aber wie sollte er den Lauf der Dinge verhin-dern? Rabenschwinge stöhnte leise und senkte schließlich die Augen. Doch sie blieb stehen und legte ihre Hände auf den Bauch, während Funkenblick ein triumphierendes Heulen aus-stieß und wie der Blitz in den nahmen Büschen verschwand. Das Heulen wurde von einigen Wölfen des Rudels in der Nähe beantwortet . In der selben Nacht, in der Funkenblick ihren ersten Wolfsfreund fand, den sie Nachtfell nannte, schenkte Rabenschwinge ihrer Tochter Goldstern das Leben. Funkenblick war die einzige, die dem neuen Mitglied des Stammes keinen Blick gönnte, und das sollte auch in den folgenden Wechseln der Jahreszeiten so sein. Die rothaarige Elfe verbrachte die meiste Zeit beim Rudel, balgte mit Nachtfell, lief mit dem Rudel und lebte mit ihnen im ewigen Jetzt. Sie lernte zu jagen, zu pirschen und zu heulen. Nur noch selten benutzte Funkenblick ihre Stimme, um sich zu verständigen, und obwohl ihr See-lenname wie ein heller Funke in ihr glühte, rann das Blut der Wölfe stärker in ihren Adern. Bald schon ließ sie sich kaum noch unter den anderen sehen. Goldstern war das genaue Gegenteil ihrer Schwester. Sie suchte die Nähe der anderen, war liebenswert, hilfsbereit und ihre sanfte Stimme linderte Schmerzen. Selbst zu Fun-kenblick war sie freundlich, auch wenn der lodernde, haßerfüllte Blick der anderen in ihre Seele schnitt. Mit den Wechseln der Jahreszeiten sah der Stamm immer mehr in Goldstern die kom-mende Nachfolgerin ihres Vaters. Die junge Elfe vereinte die besten Eigenschaften ihrer Eltern in sich: die Klugheit und Voraussicht des Vaters und die Einfühlsamkeit der Mutter. Warum sollte dann Funkenblick den Stamm führen, die mittlerweile mehr Wolf als Elfe war: schroff, keinen Widerspruch duldend und mißtrauisch? Und so verging eine Jahreszeit nach der ande-ren. Aus Welpen wurden Jungelfen, Jungwölfe und schließlich vollwertige Mitglieder des Stammes. Funkenblick war die beste Jägerin des Stammes, die nicht eher aufgab, bis sie wenigstens eine kleine Beute ins Lager brachte - selbst in den harschen Wintern - aber sie wich noch immer den anderen Elfen aus. Goldstern erwies sich als bessere Heilerin wie ihre Mutter, unterstützte ihren Vater mit klu-gem Rat. Aber sie ging nicht auf die Jagd und fürchtete die Fünffinger mehr als alles anderes, seit ihre Mutter von diesen erschlagen worden war. Sie war unfähig, ein Wesen zu töten und ernährte sich nur ungern von Fleisch, während Funkenblick sich an der Spitze der anderen Jäger in den Kampf stürzte. Weißfeder sah diese Entwicklung mit Sorge. Zusammen würden seine Töchter einen präch-tigen Häuptling abgeben, aber so lange die beiden noch immer getrennt waren, würde jede von ihnen den Stamm in den Untergang führen - die eine durch Schwäche, die andere durch Rücksichtslosigkeit. Was konnte er nur tun, um die Schwestern zusammenzuführen? Viel Zeit blieb ihm nicht mehr, denn er spürte, wie der lange Schlaf immer mehr an seinen Körper zehrte. Er war älter geworden als die meisten anderen Elfen des Stammes, und das forderte nun seinen Preis. Schon bald würde er nicht mehr da sein, um seine Kinder auf den rechten Weg zu füh-ren - zum Wohle des Stammes. Weißfeder überlegte lange und beobachtete seine Kinder, bis er schließlich wußte, was er zu tun hatte. Er mußte Funkenblick an die Tu-genden ihrer Mutter erinnern- die sie, wenn auch nicht bewußt, immer noch beherzigte. Denn sonst würde er sie an die Wölfe verlie-ren... Funkenblick horchte auf und schloß kurz die Augen. Ihr Kopfhaar, inzwischen dicht wie eine Mähne sträubte sich, und sie grollte leise Waldläufer ihren dritten Wolfsfreund an, der immer noch das Reh belauerte. Durch diesen Laut schreckte das scheue Waldtier auf und stob davon. //Rie!// Ihr Seelenname pulsierte durch den Körper. Es war ein Ruf, ein sehr dringender Ruf von dem einzigen, der ihren geheimen Namen kennen konnte: Weißfeder! //Rie!// Die innere Stimme wurde drängender, fordernder ... Funkenblick folgte ihrem Instinkt und eilte, so schnell sie konnte durch den Wald. Es mußte etwas geschehen sein, denn der Ruf des Häuptlings wurde immer schwächer. Endlich spürte sie ihren Vater auf. Er lehnte kraftlos an der Flanke seines Wolfsfreundes, hatte die Augen geschlossen und atmete ras-selnd. Funkenblick erschrak. Wie lange hatte sie ihren Vater schon nicht mehr gesehen: Er wirkte so ausgemergelt, so alt ... //Vater ich bin hier! // Funkenblick kauerte sich vor Weißfeder und legte ihre Hände auf seine Schultern. Der Elf öffnete noch einmal seine umwölkten, fast verblaßten Augen. "Rie!" flüsterte er rauh und wechselte dann zum Senden, das ihm leichter fiel. //Meine liebe Tochter, ich wußte, du würdest kommen, denn ich werde nun gehen.// //Warum hat dir keiner geholfen? Ich denke meine Schwester ist eine große Heilerin?// //Werde nicht ungerecht zu den anderen, mei-ne Tochter. Ich habe es so gewollt, und meine Wunde vor ihnen verborgen. Ich wollte, daß sie sich entzündet und mein Blut vergiftet.// Funkenblick hob den Kopf. Nun witterte sie auch den Geruch faulenden Fleisches, das von Weißfeder ausging. //Warum?// //Ich bin alt und müde geworden!// Weißfeder hob kraftlos die Hand und hielt ihr das Amu-lett der Häuptlingswürde entgegen. //Meine liebste Tochter, ich vertraue dir. Bitte erfülle meinen letzten Wunsch.// Er legte ihr das Amulett in die Hände und sank dann zurück. //Dieses Symbol gehörte einst Dunkelhaar und den anderen Häuptlingen. Kehre zurück zu deiner Schwester. Es ist nicht die Zeit für Ri-valitäten. Der Stamm braucht dich, so wie er Goldstern benötigt. Vorsuch zu verstehen, daß ihr beide einander braucht. Ich weiß, daß du wenn du erst einmal vor dem Stamm stehst, das Richtige tun wirst!// Weißfeder lächelte ein letztes Mal. Funken-blick schloß die Augen. Sie spürte, wie die Seele ihres Vaters aus dem Körper wich, und bei ihr verharrte, um ihr Mut zuzusprechen. Eine zweiter Geist gesellte sich zu ihm. //Mutter! Vater!// Funkenblick preßte das Symbol der Häuptlinge gegen ihr Herz, dann legte sie den Kopf in den Nacken. Ihr Heulen klang durch die Nacht. Andere Wölfe griffen ihren Ruf auf und sangen ein letztes Mal für den dahingegangenen Häuptling. Sie standen sich gegenüber und musterten ein-ander schweigend. Weißfeders Töchter maßen einander in stummem Duell, und Funkenblick mußte erkennen, daß Goldstern auch auf ihre Weise eine Kämpferin war. Vielleicht war sie nicht so stark wie eine Eiche, die jedem Sturm widerstand, aber sie bog sich wie eine Weide, im heftigen Wind. Das Symbol der Häupt-lingswürde lang auf einem Baumstumpf zwi-schen ihnen. Immer wieder warfen sie einen Blick auf die zweifach durchbohrte Scheibe. Der Stamm hatte sich im Kreis um sie herum versammelt und tuschelte. Welche von den Elfinnen würde es als erste wagen, danach zu greifen? Funkenblick, deren schmale Augen unter der dichten Mähne wölfisch hervorglüh-ten, oder Goldstern, deren geflochtenes Haar im Mondlicht glomm und funkelte. Nur weni-ge sprachen für die beste und erfahrenste Jäge-rin des Stammes. Die meisten wünschten sich die freundliche, empfindsame Heilerin zur Anführerin. //Schwester!//, vernahmen sie nun Goldsterns offenes Senden. //Ich weiß, daß du das größere Recht hast, Häuptling zu sein, und ich würde von meinem Anspruch gerne zurücktreten, wenn ich wählen könnte, aber ich darf es nicht wegen dem Stamm. Denn was ist ein Häupt-ling, dem die Herzen seiner Gefährten nicht folgen, weil er nicht auf ihre Stimmen hört? Denke an Zweispeer unseren Ahnvater. Dun-kelhaar ist mit seinen Freunden fortgegangen, weil er den Wahnsinn seines Vaters nicht mehr ertragen konnte, der nur forderte, aber nicht gab!// //Ich bin eine Jägerin und habe den Stamm in Notzeiten immer mit Fleisch versorgt. Ohne mich wären die Welpen sicher verhungert! Hast du ihnen mit deinen weichen Händen Nahrung geben können? Kannst du sie in ei-nen Kampf führen, wenn es einmal nötig sein wird?// //Verstehst du auch die Sorgen und Nöte der anderen? Willst du wirklich die Verantwor-tung für ihr Wohl tragen und nicht nur for-dern?// //Glaubst du, das gelingt mir nicht?// //Dann nimm das Zeichen und sei unser Häuptling!// Goldstern trat einen Schritt zu-rück. Die anderen Elfen wurden unruhig, und laute Stimmen erhoben sich, als sich Funkenblick niederbeugte und das Amulett aufhob. "Nein Goldstern! Das kannst du doch nicht machen! Du gibst uns kampflos in die Hände dieser Wölfin?" - "Dunkelhaar hat uns immer davor gewarnt, einen Häuptling anzuerkennen, in dem das Wolfsblut stärker ist als alles andere!" begehrten sie auf und verstummten erst, als Funkenblick die Hand hob. "Bin ich denn darum weniger wert?" grollte sie mit blitzenden Augen. "Ich bin vielleicht außerhalb des Erkennens geboren, aber ich habe auch viel von meinen Eltern geerbt." Sie hielt das Amulett in die Luft. "Ein großer Teil will Goldstern und nicht mich zur Anführerin. Aber Goldstern weiß genau - so wie einige von euch - daß eine Heilerin in manchen Augen-blicken hilflos sein wird. Wir tragen das Blut von Elfen und Wölfen in uns, und diese Seiten dürfen wir nicht verleugnen. Ihr wollt also eine Entscheidung... - Ihr sollt sie bekommen!" Sie nahm das Amulett in beide Hände und brach es in der Mitte durch, dort wo sie die ganze Zeit schon die haarfeinen Risse und Brüche gespürt hatte. Sie hielt Goldstern eine Hälfte entgegen. "Ich werde euer Häuptling sein, wenn es um die Jagd und den Kampf mit den Fünffingern und anderen Gefahren geht, und wir werden gemeinsam beraten, welche Wege wir ziehen wollen, aber ich trete zurück, wenn es um andere Entscheidungen geht. Dann soll Goldstern euch führen. Ihr werdet von nun an damit leben müssen, daß zwei Häuptlinge euch leiten werden!" Goldstern nahm die andere Hälfte entgegen und ergriff Funkenblicks Hand. Und zum er-sten Mal hielt die Schwester sie fest und stieß sie nicht zurück. "Funkenblick hat eine sehr weise Entschei-dung getroffen!" sagte die Heilerin stolz. "Ich nehme sie aus tiefstem Herzen an." Und sie erwiderte Funkenblicks Lächeln. Und so gab es von jenem Tag an zwei Häuptlinge. Funkenblicks kluge Entscheidung verhinderte eine erneute Spaltung im Stamm und ließ ihn gedeihen und wachsen, und alle Schwierigkeiten über-stehen. Denn sonnst könnte niemand mehr ein Lied über Funkenblick singen, die im richtigen Au-genblick erkannt hatte, daß wahre Stärke in der Einheit beider Seelen liegt, die Timmain die Hohe uns Elfen schenkte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)