Schuldgefühle von abgemeldet (2. Platz im Herbst/Winter-FF-WB 2003) ================================================================================ Kapitel 8: Nikolausfeier mit Überraschungen ------------------------------------------- Kapitel 8 - Nikolausfeier mit Überraschungen Japaner feiern gern. Selbst wenn es um Feste und Traditionen geht, die aus anderen Kulturkreisen stammen. Womöglich verdanken sie das der Fähigkeit, unvoreingenommen positive Errungenschaften anderer Nationen zu nehmen, bei Bedarf zu verbessern, und in ihre eigene Kultur zu integrieren. Nun, im Haus der Tendos waren die Gründe eigentlich allen Anwesenden herzlich egal. Das Nikolausfest war ein lustiges Fest, und eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen sogar Nabiki eine gewisse Spendabilität zeigte. Natürlich nicht zu viel, denn das würde ja ihre Reputation als eiskalte Geschäftemacherin gefährden. Diese Reputation hinderte sie jedoch nicht daran, ihrer jüngeren Schwester dabei zu helfen, das Haus festlich zu dekorieren, um die für die Vorweihnachtszeit angemessene Festtagsstimmung zu verbreiten. Normalerweise machte Akane das Schmücken des Hauses große Freude, aber daran, wie sie ihre Schultern hängen liess, an ihren leicht nach unten gezogenen Mundwinkeln und an den roten Rändern um ihre Augen, ein Zeichen dafür, daß sie kürzlich wieder geweint hatte, erkannte Nabiki mühelos, daß ihre kleine Schwester in diesem Jahr keinen Spaß an ihrer Arbeit hatte. Seufzend legte sie eine Schachtel mit Weihnachtsmotiv-Fensterbildern zur Seite, trat zu ihrer Schwester, die gerade dabei war, eine Girlande zu befestigen, und legte ihr aufmunternd eine Hand auf die Schulter. "Früher oder später wird er zurückkommen, Akane." Souns jüngste Tochter lächelte schwach. "Ich weiss. Aber das macht es auch nicht leichter. Nicht zu wissen, wo er ist, und warum er überhaupt verschwunden ist..." "Du vermisst den Baka, stimmt's?" Nabiki lächelte leicht, vermied aber bewußt jede Andeutung von Ironie oder Sarkasmus in diesem Lächeln. Akane senkte die Augen und nickte knapp. "Ich auch." Nabikis Stimme war leise, fast nicht zu hören, aber Akane hatte sie gehört. Überrascht blickte sie ihre ältere Schwester an. "Was? Aber ich dachte immer, du magst ihn nicht." "Manchmal muß man erst etwas verlieren, bevor man merkt, was es einem bedeutet." erwiderte Nabiki leise. Dann straffte sie sich und schüttelte die aufkommende Melancholie ab wie einen alten Umhang. "Wenn ich daran denke, wieviel Geld ich mit Informationen und Gerüchten über ihn gemacht habe...außerdem war er mein einträglichstes Fotomodell. Und es war hier seit seiner Ankunft nie langweilig." erklärte sie. "Okay, weil du so oft Streit mit ihm hattest, hab ich mir oft gewünscht, er solle zum Teufel gehen. Aber wenn ich sehe, wie es dir jetzt geht, wo er verschwunden ist..." Akane errötete und versuchte, ihrer Schwester zu widersprechen, aber diese hob nur abwehrend die Hand und schüttelte den Kopf. "Du brauchst nichts zu sagen, Akane. Und mach dir keine Sorgen. Dein Geheimnis ist bei mir sicher." Sie lächelte aufmunternd, doch dann wurde ihr Blick finster wie die Nacht, bevor sie weitersprach. "Aber wenn der Baka wiederkommt, und er keinen guten Grund für sein Verschwinden hatte, dann werde ich ihn für jeden Tag bezahlen lassen, den er fort war." Akane nickte verstehend und lächelte dankbar. "Danke, Nabiki." "Kein Problem. Und jetzt laß uns mit der Deko weitermachen, ja?" Zur gleichen Zeit waren Soun und Genma damit beschäftigt, unter Nodokas strenger Aufsicht Süssigkeiten und andere kleine Geschenke in einen großen Stoffsack zu packen. Aufgrund seiner Körperform - ausgehend von einer europäischen Illustration, die Nabiki irgendwo aufgegabelt hatte - war entschieden worden, daß Genma die Aufgabe des Nikolauses übernehmen sollte, und sein Freund Soun hatte sich nach einigem Drängen als Knecht Ruprecht zur Verfügung gestellt. Unter Nabikis Anleitung, und mit ein wenig Aufmunterung durch Nodoka und ihr Katana, hatten die Zwei mehrere Tage lang für die ihnen unbekannten Rollen geübt, was für einige dringend benötigte Momente der Erheiterung im Hause Tendo gesorgt hatte. Später an diesem Abend sollten beide Senior-Kampfsportler in Ermangelung eines Kamins durch eines der Fenster ins Haus klettern, um die Geschenke im Sack zu verteilen. Dank des furchtbaren Schneesturms würden sie sich nicht sehr lange draußen aufhalten wollen, so daß der Inhalt des Sacks nur im Vorfeld des Nikolaus-Auftritts gefährdet war. Nodoka hatte sich, einer Eingebung Nabikis folgend, als gute Fee zur Verfügung gestellt, die den eßbaren Anteil des Sackinhalts vor der notorischen Freßgier ihres Ehemanns bewahren sollte. Wie jede gute Fee verfügte sie als Hilfsmittel über einen Zauberstab, dessen Magie in diesem speziellen Fall aus einer Armlänge rasiermesserscharfen Stahls bestand. Natürlich war Nodoka kein despotisches, schwertschwingendes Monstrum, das nur durch die Macht kalten Stahls regieren konnte. Der Stahl, den sie in ihre Stimme zu legen vermochte, hatte mindestens genausoviel Gewicht, und als Hüterin der Ehre ihres Clans sah sie es als ihre Pflicht an, ihren Mann wie ein Hirte sein verirrtes Schaf wieder auf den rechten Weg zurückzuführen, wenn er davon abkam. Aber eher mit Worten als mit der Klinge. In den knapp fünf Wochen, die sie bei den Tendos wohnte, hatte Nodoka mehr geredet als in den vergangenen zehn Jahren, aber zu Genmas Glück verfügte sie über scheinbar unendlich viel Geduld. Zumindest mit ihm. Das Katana war ein nützlicher Wink mit dem Zaunpfahl, um ihren Gatten zur Ordnung zu rufen, aber wirklich benutzen würde sie es natürlich nur als allerletzten Ausweg. Doch davon ahnten Genma und Soun freilich nichts, was auch ganz gut war. Während Nodoka, die zuvor Kasumi bei der Zubereitung des Abendessens geholfen hatte, mit großer Gewissenhaftigkeit ihren Wachdienst versah, pendelte Souns älteste Tochter mit ihrem üblichen Fleiß zwischen Eßraum und Küche hin und her, um den Tisch zu decken. So wie es aussah, würden sieben Personen am Abendessen teilnehmen, was bedeutete, daß Kasumi den Tisch für acht Personen decken würde. Seit jenem Tag, an dem der Erbe des Saotome-Clans spurlos verschwunden war, kochte sie weiterhin für ihn mit und deckte auch weiterhin den Tisch für ihn mit. "Für den Fall der Fälle." pflegte sie zu sagen, wenn man sie darauf ansprach. Das Lächeln in ihrem Gesicht blieb dabei unverändert, aber wer genau hinsah, konnte den Schmerz in ihren Augen sehen. Abgesehen von Nabiki vermochte sie es noch am Besten von allen zu verbergen, daß, und vor allem wie sehr, sie Ranma vermisste. In der relativ kurzen Zeit, die Ranma mit seinem Vater im Tendo-Haushalt gewohnt hatte, war er ihr ans Herz gewachsen, und sie sah inzwischen so etwas wie einen jüngeren Bruder in ihm. Sein Verschwinden traf sie vergleichbar hart wie der Tod eines Familienmitglieds, doch Kasumi hatte seit dem Tod ihrer Mutter die Rolle des einsamen Felsens in der Brandung angenommen. Damals schon war sie für den Rest der Familie das einzige Element der Stabilität gewesen, und jetzt, angesichts des emotionalen Chaos, das Ranmas Verschwinden ausgelöst hatte, sah sie sich erneut vor diese Aufgabe gestellt. Doch der Fels bekam allmählich Risse, und Kasumi wußte nicht, was sie ohne die Unterstützung von Ranmas Mutter getan hätte. Denn auch wenn sie sich einredete, sie dürfe ihre Gefühle vor den anderen nicht zeigen, um sie nicht noch mehr zu belasten, war sie ja auch nur ein Mensch. Was das Verbergen von Gefühlen betraf rangierten Genma und Soun am anderen Ende der Skala. Fast täglich hatte Soun lautstark über das Verschwinden seines 'Schwiegersohns' lamentiert. Genau wie Genma, der den Verlust seines Erben, oder den Verlust seiner Altersvorsorge - abhängig davon wie betrunken er war - beklagte. Und Souns Kneipentouren mit Ranmas Vater hatten seit jenem Tag im Oktober an Frequenz und Intensität zugenommen. Dies war auch der Grund dafür, daß Nodoka endlich ihres Mannes habhaft geworden war. Eines Tages war sie zu Besuch gekommen, hoffend, ihr Mann und ihr Sohn könnten sich ausnahmsweise nicht auf einer kurzfristig angesetzten Trainingsreise befinden, und hatte ihren Mann völlig betrunken auf der Veranda der Tendos liegend vorgefunden. In diesem Zustand war es für ihn unmöglich gewesen zu fliehen, und so hatte Nodoka vom unerklärlichen Verschwinden ihres Sohnes erfahren. Um ihren Mann und die Situation im Auge zu behalten, und natürlich auch, um auf die Wiederkehr ihres Sohnes zu warten, hatte sie sich ebenfalls bei den Tendos einquartiert. Sie teilte sich das Zimmer, in dem vorher Genma und Ranma gewohnt hatten, mit ihrem Mann. Dieser Einfall hatte sich als Glücksfall für Genma entpuppt, auch wenn er nach außen hin vermutlich etwas anderes behauptet hätte - wenn sich jemand für seine Meinung dazu interessiert hätte. Seine Frau gab ihm den nötigen Halt, um wieder soweit zu sich zu finden, daß er nicht täglich betrunken in einer Ecke lag. Von dem Fluch, der auf ihm und Ranma lastete, seit er in einem seiner häufigen Anfälle des Saotome-Ignoranz-Syndroms ein gewisses verfluchtes Trainingsgelände in China besucht hatte, erzählte er ihr freilich nichts. Und da zu Genmas Glück keiner der anderen Eingeweihten das Bedürfnis nach seinem schnellen Ableben zu verspüren schien, informierte auch sonst niemand das weibliche Oberhaupt der Saotome-Familie über die Folgen des China-Ausflugs. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)