Schuldgefühle von abgemeldet (2. Platz im Herbst/Winter-FF-WB 2003) ================================================================================ Kapitel 1: Jahrmarkt des Schicksals ----------------------------------- Kapitel 1 - Jahrmarkt des Schicksals Ranma wußte es nicht, aber der Tag, den er hätte ändern sollen, wenn er gekonnt hätte, lag einen Tag vor dem Tag, von dem er dies wünschte. Es war der Tag, an dem Ukyo Kuonji, Meisterin des Martial Arts-Okonomiyaki-Kochens, und zudem Ranmas 'hübsche' Verlobte, eine von Dreien, - nunja, von Vieren, wenn man die verrückte Gymnastik-Kampfsportlerin Kodachi mitzählte - beschloß, ihr Okonomiyakirestaurant für einen Tag zu schliessen und den alljährlichen Herbstjahrmarkt in Nerima zu besuchen. Die Sonne schien, der Himmel leuchtete strahlendblau, und es war sogar noch relativ warm. Wie so häufig trug sie dunkelblaue Jungenkleidung, und darüber eine Schärpe, in der eine Reihe kleiner, rasiermesserscharfer Wurf-Spatel steckten. Den großen Kampfspatel, der ihr Markenzeichen war, trug sie wie üblich auf dem Rücken. Das braunhaarige Mädchen war eigentlich recht gutmütig und geduldig, zumindest, wenn man es mit Ranmas anderen Verlobten verglich, aber in letzter Zeit verspürte es im Bezug auf seinen Verlobten eine steigende Unruhe. Ranma schien unfähig, sich zwischen ihr, dem brutalen Machoweib Akane Tendo und der Amazone Shampoo zu entscheiden. Im Prinzip hatte jede der Drei ein Anrecht darauf, den Erben der Saotome Kampfsportschule für Schlägereien aller Art als zukünftigen Ehemann zu betrachten. °Aber eigentlich bräuchte er nur die Vor- und Nachteile einer Heirat mit jeder von uns gegeneinander abzuwägen. Dann bliebe am Ende nur ich übrig.° dachte Ukyo nicht ganz ohne Berechtigung. Akane schlug oder beschimpfte ihn bei jeder Gelegenheit und verstand nicht sehr viel von Haushaltsarbeiten - um es vorsichtig auszudrücken. Shampoo wollte Ranma nicht um seiner Selbst willen, sondern nur, weil die Amazonentradition von ihr verlangte, ihn zu heiraten, weil er sie im Kampf besiegt hatte. Eigentlich gab es also nur eine logische Wahl, nämlich sie, seine ihn liebende beste Freundin aus frühen Kindheitstagen, und deshalb verstand Ukyo sein Zögern einfach nicht. Wieder einmal über diese Gedanken brütend wanderte sie über den lärmenden Jahrmarktsplatz. Verschiedene Fahrgeschäfte und Fressbuden lockten die Bürger Nerimas in Scharen zu sich, aber Ukyo hatte bis jetzt lediglich etwas Zuckerwatte gekauft, und war einmal mit einem Karussel gefahren. Ursprünglich war sie hergekommen, um ein wenig abzuschalten, und sich gehen zu lassen, aber als sie wieder begonnen hatte über Ranma nachzudenken, war plötzlich die metaphorische schwarze Wolke in ihrem Kopf aufgetaucht und hatte ihr die Stimmung verdorben. "Irgendwas muß ich jetzt tun, um mich aufzuheitern, oder der ganze freie Tag war für die Katz." seufzte sie leicht frustriert. Dann fiel ihr Blick auf ein kleines rot-weiss gestreiftes Zelt. Ein Schild über dem Eingang wies es als Wahrsagerzelt aus und versprach außerdem die absolute Richtigkeit aller Vorhersagen. Diese letzte Aussage wirkte auf sie nicht unbedingt vertrauenerweckend, aber in ihrer Zeit in Nerima hatte sie schon seltsamere Dinge erlebt. °Ach was soll's? Wieso nicht zur Abwechslung etwas Hokus Pokus?° Als Ukyo das Zelt betrat, brauchten ihre Augen einen Moment, um sich an die Beinahe-Dunkelheit im Zelt zu gewöhnen. Fast sofort spürten ihre im Kampftraining geschärften Sinne die unheimliche Atmosphäre des Ortes. Etwas, was unmöglich allein von der schlechten Beleuchtung herrühren konnte. "Immer herein, immer herein." lud sie die krächzende Stimme einer alten Frau ein näherzutreten. Ukyo trat um eine als Raumteiler im Zeltinnern hängende Stoffbahn herum, und blieb erstmal mit einem verblüfften Gesichtsausdruck stehen. Vor ihr saß eine kleine, alte, runzelige Frau mit einem schwarzen, oben spitz zulaufenden Hut und einem schwarzen Mantel auf einer großen, blaßblau schimmernden Kugel und blickte sie mit forschenden Augen an. Für einen Moment dachte die Okonomiyaki-Köchin, sie würde Cologne, der Matriarchin der Amazonen, gegenüberstehen, aber die Frau hier hatte keinen Stock dabei, und Ukyo konnte sich nicht erinnern, den alten Ghoul, wie Ranma sie ziemlich treffend nannte, jemals ohne den krüppeligen Gehstock gesehen zu haben. °Netter Trick, es so aussehen zu lassen, als ob die Kugel in der Luft schwebt.° dachte Ukyo anerkennend. "Setz dich doch, junges Fräulein." forderte die Alte sie auf. "Und dann sag mir, was du wissen willst. Wenn ich meine Arbeit getan habe, kostet dich das zweitausend Yen." "Was ich wissen will?" wiederholte Ukyo stirnrunzelnd. °Eigentlich soll sie mir doch sagen, was ich wissen will.° "Ich meine," erklärte die Wahrsagerin seufzend und mit einer wie das Knistern von altem Pergament klingenden Stimme, "dass du mir sagen sollst, zu welchem deiner Lebensbereiche ich etwas in Erfahrung bringen soll. Oder vielleicht hast du einen Gegenstand verlegt, und willst, daß ich ihn für dich wiederfinde..." "Nein, nein." Ukyo schüttelte den Kopf. "Es geht da um einen Jungen..." "Also eine Liebesgeschichte." brummte die Alte. Ukyo errötete leicht, nickte dann aber. "Sein Name ist Ranma, und er ist außer mir noch mit zwei anderen Mädchen verlobt." Nun sah die Alte stirnrunzelnd zu ihr auf. "Und an so einem bist du tatsächlich interessiert?" "Es...ist nicht seine Schuld." verteidigte sie ihn. "Und es ist ziemlich kompliziert." "Darauf möchte ich wetten." murmelte die Frau, während sie von ihrer Kugel glitt. "Naja, wollen mal sehen, was mir meine magische Kristallkugel über dich sagen kann." brummte sie weiter. "Insbesondere über deine Liebesangelegenheiten." "Und ihre Vorhersagen werden wirklich alle wahr?" erkundigte Ukyo sich mehr als nur ein wenig skeptisch. "Du hast Glück, Mädchen." entgegnete die Alte darauf. "Nicht viele Wahrsager sind so fähig wie ich, und viele, die unter dieser Bezeichnung arbeiten, sind in der Tat Scharlatane." Sie lachte, möglicherweise über einen privaten Witz, den nur sie verstand. "Ich bin auch nur als Krankheitsvertretung hier, weil ich der Frau, die sonst hier arbeitet, noch einen Gefallen schulde. Normalerweise residiere ich nicht auf Jahrmärkten, und vielleicht ist es ja Schicksal, daß wir uns hier begegnen. Aber nun lass mich meine Arbeit tun, ja?" Für ein paar Minuten starrte die Wahrsagerin intensiv in die blaue Kugel hinein und gab gelegentlich ein paar wenig aufschlußreiche 'Hmms', 'Ahhs' und 'Ohs' von sich. Ukyo wurde langsam ungeduldig und begann nervös mit dem Fuß auf den Boden zu tippen. "Hmm...ich sehe dich...und einen jungen Mann in deinem Alter." erklärte sie plötztlich, gerade als Ukyo meinte, vor Anspannung platzen zu müssen. "Der Mann trägt Kleidung in chinesischem Stil und hat einen geflochtenen Zopf." "Kannst du mehr sehen?" fragte Ukyo mit drastisch wachsendem Interesse. "Ihr seid im Stadtpark von Nerima, und es ist Herbst." erwiderte die Alte. Dann schwieg sie für eine ganze Weile, während sie erneut intensive Blicke in ihre Kugel warf. "Ich kann dir nur noch so viel sagen, junge Dame: Irgendwann in naher Zukunft, vielleicht sogar schon morgen, steht zwischen dir und diesem jungen Mann eine wichtige Entscheidung an. Ihr könnt dieser Entscheidung ausweichen, aber dann wird sich nicht viel zwischen euch ändern. Oder ihr ringt euch dazu durch, diese Entscheidung zu treffen. Dann wird für euch nichts mehr so sein, wie es bis dahin gewesen ist." "Wirklich?" Ukyo sprang glücklich auf und hätte die Alte am liebsten umarmt. "Und werden wir glücklich verheiratet sein?" "Dazu kann ich dir nichts sagen. Dinge, die sich erst aus späteren Entscheidungen entwickeln können, vermag mir die Kugel nicht so ohne weiteres zu enthüllen." erklärte die Wahrsagerin rätselhaft, und für einen Moment hatte die Okonomiyakiköchin das Gefühl, die Alte würde ihr noch etwas verschweigen. "Naja, macht nichts." Ukyo zuckte mit den Achseln. Dann lächelte sie zufrieden und lief aus dem Zelt, nachdem sie die zweitausend Yen für die Prophezeiung bezahlt hatte. Sie mußte jetzt genau überlegen, wie sie Ranma dazu bekommen konnte, in der Verlobungsfrage endlich Farbe zu bekennen. Uranai Baba schaute dem Mädchen noch hinterher, als es schon lange außer Sicht verschwunden war, und schüttelte traurig den Kopf. Sie bedauerte, daß sie, den Regeln der Magie folgend, lediglich Möglichkeiten aufzeigen durfte. Unter keinen Umständen durfte sie Einfluß darauf nehmen, welche der Möglichkeiten eine Person wählte, und sie wußte leider genau, was das Mädchen nun tun würde. Dazu bedurfte es keiner Wahrsagerin. Solange sie denken konnte, war sie in diesem Berufsfeld tätig. Das Übernatürliche war sozusagen ihr Steckenpferd. Aber in Augenblicken wie diesen hasste sie ihren Job. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)