Mein ist die Rache von Tach ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Roter Schnee Sie hatte Paris schon vor Monaten den Rücken kehren wollen, doch etwas hielt sie zurück. Das Gefühl, etwas Bedeutendes verpassen zu können? Vermutlich war es das. Es wollte ihr zumindest keine bessere Begründung einfallen, warum es sie immer noch in dieser kalten, übervölkerten und selbst im Winter streng riechenden Stadt hielt. Zugegeben, sie hatte sich nach all den Jahren daran gewöhnt, dass die wenigsten Gegenden der französischen Hauptstadt auch nur einigermassen erträglich rochen und sie war sich auch nicht sicher, ob sie ohne die Menschenmassen, mit denen sie tagtäglich konfrontiert wurde, überhaupt noch leben konnte. Seit einigen Minuten schon stand sie am Fenster ihres Schlafzimmers und beobachtete die vermummten Gestalten, die sich unter ihren Augen durch den fast kniehohen Neuschnee kämpften. Obwohl das reine Weiß in ihren Augen schmerzte, genoss sie den Anblick. Wenn sie heute Abend nach hause kommen würde, wäre von der Farbe der Unschuld nichts mehr zu erahnen. Der Schnee würde spätestens bis Mittag eine Verbindung mit dem alltäglichen Dreck eingegangen sein. Zwischen den einzelnen Kleiderbergen, die sich mühsam ihren Weg bahnten, wurde sie eines kleinen Jungen gewahr, der, ein Päckchen unter den Arm geklemmt, freudig hinter einer Alten herstiefelte, die dank ihrer enormen Breite gerade soviel Schnee beiseite schob, das der schlanke Knabe ohne größere Anstrengung voran kam. Und als hätte er bemerkt, dass er beobachtet wird, hob er seinen Kopf und strahlte sie mit einem lückenhaften Lächeln an. Aramis kannte das sommersprossige Gesicht mit den Katzenaugen nur zu gut. Sein Gesicht begann jedes Mal zu glühen, wenn er ihr begegnete, was auf Grund der Tatsache, dass er nur drei Häuser weiter wohnte, nicht selten der Fall war, zumal seine Mutter ab und an Besorgungen für sie erledigte und er die verantwortungsvolle Rolle innehatte, ihr diese vorbei zu bringen, sobald sie Abends nach hause kam. Heute jedoch behielt das spitze Gesicht seine natürliche Farbe. Kurz hielt der jüngste Bofiz-Sproß in seinem Marsch inne, um ihr zuzuwinken, dann rannte er auch schon wieder hinter der Alten her, um nicht seine Idee an jemand anders zu verlieren. Vielleicht waren es ja auch diese Kleinigkeiten, die das Leben in Paris angenehm genug machten, um sie gegen die negativen Seiten aufzuwiegen. Oder es war der Kollege, der vor einer halben Stunde völlig durchgefroren vor ihrer Tür stand und seit dem verzweifelt vor dem Kamin darauf wartete, dass sie bereit war, mit ihm den Dienst anzutreten. Erschrocken fuhr Aramis aus ihren Gedanken hoch. Sie hatte doch tatsächlich vergessen, weswegen sie aufgestanden war. Sie nahm sich vor, sich dafür zu ohrfeigen, sobald sie die Zeit dazu fand. Vorsichtig spähte sie durch den schmalen Türspalt. Mit Mühe konnte sie seine vor dem Feuer ausgestreckten Beine erkennen. Er war also immer noch da. Aramis fiel ein Stein vom Herzen. Seine Geduld schien ihr einmal mehr unerschöpflich. Dafür würde er sich wieder in der Behauptung bestätigt fühlen, dass Frauen unnötig lange brauchen, um vor die Tür zu kommen. Auch dafür würde sie sich bei Gelegenheit ohrfeigen. Nachdem sie noch einmal den korrekten Sitz ihres Kragens überprüft hatte, trat sie mit leichtem Räuspern durch die Tür. "Na endlich. Ich dachte schon du hast dich wieder hingelegt..." Ein leichtes Lachen begleitete seine Worte. Betont langsam erhob er sich aus dem Sessel und musterte sein Gegenüber. "Und wofür hast du nun so lange gebraucht? Nein warte, sag nichts: Du bist eine Frau. Hatte ich fast vergessen!" "Fein. Und wie lange hast du gebraucht, um dir diese zwei Sätze zurechtzulegen?" Aramis stemmte die Hände in die Hüfte. So leicht würde sie sich seine Sprüche nun doch nicht gefallen lassen, und wenn er sie mit einem noch so entwaffnenden Lächeln versah. "Sagen wir es mal so, ich hatte ja genügend Zeit...oder willst du mir da etwa widersprechen?" Triumphierend hob er die Augenbrauen. "Aber du willst doch nicht wirklich so vor die Tür gehen, oder?" "Wieso? Gibt es etwas daran auszusetzen?" zum wiederholten Male an diesem Morgen ließ sie ihren Blick über die Uniform gleiten. Was konnte daran nicht stimmen? Sie war sauber, hatte keine Falten und auch sonst schien alles am rechten Fleck zu sein. "Ich bin mir zwar sicher, dass ich dir nichts Neues erzähle, aber es ist kalt draussen..." "Was du nicht sagst!" Aramis riss die Augen auf. "Doch doch...kaum vorstellbar, nicht wahr?" Wissend nickte er mit dem Kopf. Er hatte gute Laune und das war seine Art, sie davon in Kenntnis zu setzen. "Was schlägst du also vor?" Besorgt zog sie die Augenbrauen zusammen. "Ich würde zumindest die gefütterten Handschuhe nehmen...und einen dickeren Mantel wählen. Aber diese Entscheidung liegt natürlich bei dir!" Aramis machte auf dem Absatz kehrt und verschwand erneut hinter der Schlafzimmertür. "Aber lass dir nicht wieder so viel Zeit!" Der Musketier stand mitten im Raum, wippte auf und ab und pfiff betont langsam vor sich hin. "Schon wieder da." Aramis grinste stolz. Solle nochmal einer behaupten, sie wäre langsam. Zwar sah es hinter der schweren Eichentür aus wie auf einem Schlachtfeld, aber immerhin hatte sie die beinahe neuen Handschuhe in Rekordzeit gefunden. Ihr Freund schien davon wenig beeindruckt. "Dann können wir ja endlich!" Immer noch wippte er auf und ab. "Angst vor'm Kapitän?" "Und wie! Du weißt doch wie er ist. Er hat keine Ahnung was es bedeutet, bei dem Wetter durch die halbe Stadt spazieren zu müssen. Er braucht doch morgens nur aus dem Bett zu fallen und steht quasi schon vor seinem Büro. Und unter diesen Bedingungen benötigt er halt zwei Minuten anstatt einer, um von seiner bescheidenen Hütte zum Hauptquartier zu kommen. Wie kann es denn da sein, dass wir anstatt einer halben mehr als eine ganze Stunde brauchen? Ich bitte dich, wie unrealistisch. Das könnte man doch auch in einer viertel Stunde schaffen, zumal doch um diese Jahreszeit wesentlich weniger Menschen unterwegs sind als im Sommer!" Aramis konnte ein Lachen nicht unterdrücken. Wenn er auch selten von seiner Sachlichkeit abliess, sobald es denn einmal so weit war, war er kaum noch zu halten.. "Mein lieber Athos, du solltest dich schämen, derartig über deinen direkten Vorgesetzten zu reden. Er ist doch immer nur auf unser Wohlergehen bedacht!" "Was natürlich erklären würde, warum er uns morgens zu unchristlicher Zeit aus dem Bett jagt. Das ich da nicht selbst drauf gekommen bin!" Er griff sich theatralisch an die Stirn. "Bevor du dir noch weh tust schlage ich vor, dass du dir deine Stiefel greifst und wir uns endlich auf den Weg machen. Was hältst du von der Idee..." "Bei genauerer Betrachtung...Nichts! Aber ich hab einen Gegenvorschlag zu machen. Weiterschlafen!" "Vermutlich in meinem Bett?" "Exakt!" "Vergiss es!" Bereits wenige Minuten später fragte sie sich, ob es so klug war, Athos' Vorschlag derartig vorschnell abzuweisen. Sie konnte nicht so schnell zittern wie ihr kalt war und mehr und mehr beschlich sie das ungute Gefühl, dass sie ihre Ohren nicht mehr fühlen konnte. Vielleicht waren sie ihr ja auch schon hinter der letzten Kurve abgefallen und dienten jetzt den Ratten als Festschmaus. Sie schüttelte sich. "Ich glaube, meine Gänsehaut hat soeben eine Gänsehaut bekommen..." Aramis sah zu ihrem Kollegen auf. Nicht einmal die gerötete Nase konnte seinem Gesicht die Autorität nehmen, die ihm in die Wiege gelegt zu sein schien. Ihren ungläubigen Blick beantwortete er mit einem kurzen Grinsen. "Für derartige Nichtigkeiten ist dir wohl nie zu kalt, hm? Ich an deiner Stelle würde mich so tief wie möglich hinter diesem Kragen vergraben." Erneut zog sie die Augenbrauen zusammen. "Du solltest das lassen!" "Was?" "Diese Sache mit den Augenbrauen...das gibt unschöne Falten die dich nur unnötig grimmig aussehen lassen." "Ich wüsste nicht, was dich das stören könnte!" Aramis bahnte sich nun ebenfalls einen Weg aus dem Kragen des Mantels, über dessen Rand bis dato ihre Nase getrohnt hatte. "Immerhin muss ich jeden Tag diesen Anblick ertragen...!" "Na danke!" "...und unter uns gesprochen: Männer finden grimmig dreinblickende Weiber in den seltensten Fällen wirklich anregend! Du siehst, ich bin nur um deine Zukunft besorgt..." "Meiner Erfahrung nach finden Männer auch Frauen in Uniform nicht sonderlich attraktiv. Was stören da also noch ein paar Falten." Athos zuckte mit den Schultern. Er konnte sich über ihre Attraktivität nun wahrlich nicht beklagen. Aber ihn fragte ja keiner. Warum auch? Er war ja schließlich nur der beste Freund und hatte somit keine Meinung über ihre äußere Erscheinung zu haben. Er seufzte, als plötzlich aus dem Hinterhalt ein Schneeball seinen Schädel traf. Sein Blick folgte dem Filzhut, der langsam zu Boden glitt. Ruckartig fuhr er herum und sah sich mit einer Reihe Kinder konfrontiert, die ihn stolz ob ihres Sieges angrinsten. "In Ordnung, wer von euch kleinen Gaunern war das?" Den Jungen entglitt das Grinsen, als sie registrierten, was sie da so glorreich erlegt hatten. Nach einigen Sekunden des Zögerns deuteten alle Hände auf den selben Bengel, der sich immer noch nicht sicher war, ob er vor Stolz platzen oder doch lieber schleunigst rennen sollte. Doch spätestens als Athos ihn mit dem Finger zu sich winkte, wusste er, dass jede Flucht zwecklos war. Er fügte sich in sein Schicksal und bewegte sich langsam und mit gesengtem Haupt auf den Musketier zu, der unter seinem Mantel noch erhabener wirkte. Als er direkt vor ihm zum Stehen kam, musste er seinen Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen sehen zu können. Die Gedanken des Knaben kreisten nur um eins: Was würde er zur Strafe mit ihm tun. Vermutlich würde er sich seinen Namen geben lassen und sich dann später bei seinen Eltern für eine Bestrafung aussprechen, wie es alle taten. "Keine Schule heute?" Die hellbraunen Augen des Jungen musterten Athos' Gesicht, als hätte er dessen Frage nicht verstanden. Dann antwortete er zögerlich: "Nein, Monsieur!" Noch bevor er erneut über den Sinn dieser Frage nachdenken konnte, hatte er schon eine Hand voll Schnee im Gesicht. Mit weit offenem Mund schnappte er nach Luft. "Damit wären wir dann wohl quitt!" Athos klopfte sich den Schnee, der immer noch an seinem Handschuh hing, am Mantel ab und fuhr dem Jungen durchs zerzauste Haar. "Nicht übelnehmen!" Der kleine Kerl nickte nur stumm, immer noch nicht sicher, was er von der ganzen Situation halten sollte. Schweigend sah er dem Musketier hinterher, der gerade seinen Hut aufhob und sich wieder zu seinem Kollegen gesellte, der die ganze Szene genau so fasziniert beobachtet hatte wie die Reihe Kinder hinter ihm. Er war beeindruckt. "Du hättest ihm wenigstens eine Chance geben können..." Aramis' Vorwurf war halbherziger Natur. Sie musste zugeben, dass dieses kleine Schauspiel ihr Spaß gemacht hat. Ein Schauspiel, ja das traf es. "Was für eine Chance? Mich noch einmal zu treffen? Oh nein..." Athos lachte leise auf. Er würde sich doch nicht von einem Kind geschlagen geben "...eine Chance wegzurennen!" "Mir wurde diese Chance auch nicht gegeben! Ich habe lediglich mit gleichen Waffen gekämpft. Aramis, dass ist eine Schneeballschlacht. Das ist Krieg!" Aramis konnte erkennen, wie sich kleine Lachfalten um seine Augen bildeten. Dann herrschte wieder Schweigen. "Mir ist kalt!" presste Aramis schließlich zwischen den Zähnen hervor. "Ich habe langsam kein Gefühl mehr in den Füßen. Können wir uns nicht irgendwo aufwärmen?" "Und noch mehr Zeit verlieren? Nur über meine Leiche!" "Bei dem Wetter dürfte das keine Schwierigkeit sein..." Sie richtete ihren Blick gen Himmel, der von schweren grauen Wolken verhüllt war. "Sieht so aus, als würde es bald wieder was von oben geben...Ich mag gar nicht daran denken." So sehr sie auch Schnee mochte, es reichte wieder für diesen Winter. Und trotzdem war kein Ende abzusehen. "Bonjour Mademoiselle Aramis!" Joaquin Bofiz begrüßte sie mit hochrotem Kopf und machte dann eine angedeutete Verbeugung Richtung Athos. "Bonjour Monsieur!" Er kannte den Namen ihrer Begleitung sehr wohl, doch allein die Tatsache, dass er eindeutig zu häufig mit ,seiner' Aramis zu sehen war, machte ihn für den kaum zehnjährigen Joaquin unsympathisch und deshalb nicht weiter nennenswert. Er wand sich wieder Aramis zu. "Mama sagt, sie hat etwas für euch. Was es ist wollte sie mir nicht verraten. Ihr sollt es euch bei Gelegenheit abholen..." Mit seinem linken Fuß zog er kleine Halbkreise im Schnee, während er wie gebannt Aramis dabei zusah, wie sie in ihrem Gedächtnis nach etwas wühlte, dass nach Ansicht seiner Mutter nicht für Joaquins Augen bestimmt war. "Was treibst du hier?" Es war ihr wieder eingefallen, das konnte er an ihrem Gesicht erkennen. Als er bemerkte, dass er sie angestarrt hatte, wurde das Rot seines Gesichts noch eine Spur kräftiger. "Schule war geschlossen. Also bin ich ein bisschen durch die Stadt gegangen. Und wisst ihr, was mir da zu Ohren gekommen ist?" Er rieb sich die Hände, die nur durch ein paar dünne Fäustlinge vor der Kälte geschützt wurden. Die Spannung war für ihn kaum noch erträglich. Er musste es loswerden, aber niemals würde er einfach so anfangen zu plaudern. Er war ja schließlich kein altes Waschweib. Man musste ihn schon interessiert um diese Information bitte. "Na?" "Eine Leiche!" Seine Augen funkelten verschwörerisch. "Wie meinen?" Aramis hob die Augenbrauen. "Sie haben eine Leiche gefunden...an der Seine..." "Als ob eine Leiche in dieser Stadt etwas besonderes wäre..." Athos schien sichtlich unbeeindruckt. "Bei dem Wetter ist jeder dahergelaufene Säufer eine potentielle Leiche." "Aber es ist eine Frauenleiche!" Warum musste dieser Kerl ihm seine große Neuigkeit zerstören? Warum? Und als ahne er schon, was er gleich erwidern würde, fügte er schnell noch ein "Und sie sieht nicht wie ein leichtes Mädchen aus!" hinzu. Aramis schüttelte den Kopf. "Wenn an der Geschichte tatsächlich etwas dran sein sollte, dürfte der Kapitän auch schon unterrichtet sein. Wir werden sehen." Eine Gänsehaut überzog ihren Körper, was weniger an dem Gedanken an eine Frauenleiche sondern viel mehr an dem Gedanken an einen weiteren Marsch durch Paris lag. "Sag deiner Mutter, dass ich versuchen werde, heute Abend bei ihr vorbei zu sehen." Joaquin nickte und stapfte durch den Schnee davon, jedoch nicht ohne Athos noch einen misstrauischen Blick hinterher zu werfen. "Darf man fragen was du von seiner Mutter heikles erwartest, das er es nicht erfahren darf?" Athos ignorierte das merkwürdige Verhalten des Jungen ihm gegenüber. "Nachthemden..." Sie konzentrierte sich auf den Weg vor ihr. Ihre Ohren begannen zu glühen. Wenigstens wußte sie jetzt, dass sie nicht abgefroren waren. "Und was ist daran so skandalös?" "Ich weiß nicht...seine Mutter macht sich Sorgen, dass ihn das auf dumme Gedanken bringen könnte..." "Nachthemden?! Erlaube mir die Frage, was du für Nachthemden trägst..." Aramis hatte das Gefühl, ihr würde das Blut in den Adern kochen. "Ich wüßte nicht was es dich angeht, welche Art von Nachthemden ich trage!" "Tut mir leid, aber du hast mich neugierig gemacht..." "Reicht es wenn ich dir sagen, dass sie nicht bis zum Knöchel gehen?" "Du machst es nur noch schlimmer..." "Gut, dann können wir ja jetzt ein anderes Thema anschlagen!" Sie atmete innerlich auf. Es war ihr immer noch ein Rätsel, was sie von seinen Anspielungen halten sollte. "Was denkst du über diese Geschichte mit der Leiche?" "Ich denke sie ist ein tote Hure, die erfroren ist und durch die Fantasie zu vieler tratschender Weiber zu einer toten Edeldame gemacht wurde. Alles in Allem glaube ich, dass der Kleine dich nur beeindrucken wollte..." "Warum sollte er das tun?" "Vermutlich weil du seine erste große Liebe bist..." Athos schmunzelte. "Wie kommst du bitte auf die Idee?" Aramis sah ihn mit großen Augen an. "Ich habe gesehen, wie er dich die ganze Zeit angestarrt hat. Und der Ausdruck in seinem Gesicht war eindeutig mehr als nur Bewunderung, glaube es mir! Der Junge wird wohl nie glücklich werden...." "Hm?" Das erste Mal seit langem hatte sie Probleme, seinen Gedankengängen zu folgen. "Sieh mal, die meisten Männer haben die dumme Angewohnheit, sich irgendwann im Laufe ihrer Jugend auf einen Typ Frau festzusetzen. Viele deiner Kollegen gehören zu dieser Sorte Männer. Porthos gehört nicht dazu, der nimmt alles, was er kriegen kann. D'Artagnan gehört auch nicht dazu, weil er mit der Frau, an die er sein junges Herz verloren hat, verheiratet ist. Aber falls er Constance irgendwann verlieren sollte, wird er sich eine Frau suchen die ist wie sie. Oder er wird nie wieder eine Frau suchen." "Was ist mit dir?" "Ich gehöre nicht dazu, weil ich mein Herz an eine Frau verloren habe, die für mich wohl unerreichbar ist und es auch bleiben wird. Sie oder keine!" Aramis sah eine ihr unbekannte Leidenschaft in seinen Augen aufflammen. Sie verschwand so schnell wie sie gekommen war. "Was, wenn sie es gar nicht wert ist?" "Sie ist es, glaube mir!" Und sie glaubte ihm. Nach einigen weiteren Minuten beschwerlichen Fußmarsches erreichten sie das Hauptquartier der Musketiere. Der Innenhof war schneefrei wie immer. Dies war eine der undankbarsten Aufgaben, die der Kapitän Anwärtern zuteilen konnte. Und er verteilte sie gerne. Aramis wußte das. Sie selbst hatte das Vergnügen gehabt und es gehasst. Kaum hatten sie die schwere Eingangstür hinter sich geschlossen, hörten sie eine rauhe Stimme hinter sich: "Ihr seid spät dran!" "Auch dir einen guten Morgen Nicolas! Immer noch als Schreiberling missbraucht?" Athos brauchte sich nicht nach ihm umzudrehen. Den schwer erkälteten Musketier erkannte er auch so ohne Schwierigkeiten. Statt dessen suchte er die Halle nach anderen Kollegen ab, jedoch vergebens. "Sind wir die Ersten?" Athos wollte seinen eigenen Ohren nicht trauen. Wie konnte er nur eine derart naive Frage stellen. "Die Letzten!" Hätte Nicolas lachen können, er hätte es getan. Statt dessen brachte er es nur zum einem keuchenden Husten. "Du solltest dich nicht über deine Kollegen lustig machen. Der liebe Herr bestraft klein Sünden sofort, wie du sicherlich bemerkt hast!" "Wenn ich mich über euch zwei lustig machen wollte würde ich fragen, was ihr so lange getrieben habt. Aber da ich mir nicht den Zorn einer Dame zuziehen will, lasse ich das an dieser Stelle." "Schon zu spät..." Aramis betrachtete ihn aus dem Augenwinkel. Ihr war klar, dass sie derartige Äusserungen nicht ernst zu nehmen hatte, aber es konnte nicht schaden ab und an klar zu machen, wer hier das Sagen hatte. "Wo sind die anderen?" "Vor ungefähr einer halben Stunde ausgeflogen. Zum Pont Neuf. Haben irgendwas von 'ner Leiche gemurmelt. Der Kapitän lässt ausrichten, dass ihr ebenfalls eure Ärsche dorthin schieben sollt..." Mit einem lauten, schmatzenden Geräusch zog er die Nase hoch und ließ sich wieder in seinen Sessel zurückfallen, den er extra für diesen Anlass hatte hier aufstellen lassen. "Ist der Kapitän zugegen?" Nicolas nickte. "Will aber nicht gestört werden. Und ich an eurer Stelle würde da auch nicht hoch gehen..." Er machte eine fahrige Handbewegung, um die beiden wieder zu verabschieden. "Ich will da wieder rein!" Aramis starrte den kleinen Wölkchen warmer Luft hinterher, die bei jedem Atemzug ihren Körper verliessen. Sie war wahrlich nicht in der Stimmung, bis zum Pont Neuf zu marschieren. Die Leiche würde vermutlich auch in einer Woche noch so daliegen, wie sie es jetzt tat; die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei diesen Temperaturen sofort in Verwesung übergehen würde, war wohl mehr als gering. "Bis wir dort angekommen sind ist sowieso schon alles vorbei...eigentlich könnten wir uns das sparen..." "Ich denke, wir sollten uns das Ganze zumindest einmal ansehen. Wenn schon der Kapitän darüber informiert wird, scheint an dem Tod etwas unnatürlich zu sein." "Mord?" "Es wird wohl zumindest danach aussehen..." Er zögerte. "Und was das angeht, möchte ich mich nicht auf das Urteil eines Porthos verlassen müssen..." Er übersprang die letzten Stufen zum Hof und reichte ihr die Hand. "Wenn Mademoiselle mir folgen wollen?" Nachdem sie einige Minuten durch den Schnee gestapft waren, blieb Aramis plötzlich unvermittelt stehen. "Warum haben wir eigentlich nicht die Pferde gesattelt und sind zum Pont Neuf geritten?" Athos drehte sich zu ihr um. Die Frage war berechtigt. Warum eigentlich nicht? Sie hätten nur quer über den Hof gehen und die Pferde aufzäumen müssen. Die Zeit, die sie damit verschwendet hatten, hätten sie auf dem Weg ohne Probleme wieder herausgeholt. Resignierend lüpfte er die Achseln. "Vermutlich werden wir alt und vergesslich..." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)