Mein ist die Rache von Tach ================================================================================ Kapitel 29: ------------ Schweigen. Im Feuer knackte trockenes Holz, gelegentlich klapperte ein hölzerner Teller. Mit wachsendem Selbstzweifel starrte Charles Aramis an, die ihm am Tisch gegenüber saß und sich seelenruhig auf das Frühstück vorbereitete. Kurz zuvor hatte sie den Raum betreten als sei es nur natürlich, dass sie hier war, und ihr „Guten Morgen!“ war von einem charmanten, aber nicht überschwänglichen Lächeln begleitet worden. Ja, zu seinem Leidwesen wirkte sie genauso wie am Morgen zuvor. Keine verräterische Röte der Wangen, kein gedankenverlorenes Lächeln auf den Lippen, nicht einmal ein verstohlener Blick in Richtung des Kamins ließ sich erahnen. „Wollt ihr nur dasitzen und mich studieren?“ Aramis' schnippischer Ton riss ihn aus seinen Gedanken. „Verzeiht mir.“, flüsterte Charles. Er versuchte, seine Verlegenheit mit einem Lächeln zu überspielen, jedoch mit nur mäßigem Erfolg. „Ihr seid wirklich faszinierend.“ Aramis überging, was als Kompliment gemeint war. „War Eure nächtliche Zusammenkunft mit Porthos und D'Artagnan erfolgreich? Habt Ihr einen schönen Plan ausgebrütet?“ Sie hatte sich zu ihm vorgebeugt und ihn durchdringend angesehen, aber ihre geflüsterten Worte klangen leicht, fast belustigt. Nervös warf Charles einen Blick zu Athos, der immer noch am Kamin stand und gedankenverloren im Feuer rührte. Er schien ihrer Unterhaltung nicht zu folgen und Charles sprach in Gedanken ein kurzes Dankgebet für diesen Umstand. „Ich weiß nicht, was Ihr meint!“ Er gab sich sichtlich Mühe, ihr in die Augen zu sehen. Aramis allerdings zog zweifelnd eine Augenbraue in die Höhe. „Ihr seid ein ausnehmend schlechter Lügner, Charles. Und Ihr könnt mir glauben, dass ich schon einige gesehen habe.“ "Gestattet Ihr mir ebenfalls eine Frage?" "Das kommt ganz auf die Frage an. Versucht Euer Glück!" "Warum seid Ihr hier? In Paris, meine ich. Euer Leben hier scheint mir nicht sonderlich komfortabel." Charles sah, wie sich ihr Blick verdunkelte. Hastig fügte er hinzu: "Ihr müsst nicht antworten, wenn es Euch zu persönlich ist!" Aramis winkte beruhigend ab. Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen, dann sah sie ihn gerade heraus an. "Es erschien mir das kleinere Übel zu sein. Freier als das Dasein im Kloster und allemal weniger gefährlich als das Leben als Eigentum des Mistkerls, den man als meinen zukünftigen Ehemann auserwählt hatte. Ich habe Menschen gesehen, die ihr Vieh besser behandeln als er seine Mutter. Und eher hätte ich mich im Wald von Wölfen zerfleischen lassen als das er Hand an mich gelegt hätte. Zudem hatte ich Rache für den Mord an zwei Menschen geschworen. Und die wird nur selten mit Bibel und Rosenkranz geübt." Aramis' Offenheit überraschte ihn. " Aber wenn... Warum solltet Ihr...?" " Warum ich ihn heiraten sollte? Er war das, was mein Onkel als gute Partie bezeichnete. Seine Familie hatte Geld und Einfluss. Wen kümmert es da, dass Vater und Sohn hin und wieder das weibliche Gesinde und die eigene Frau und Mutter misshandeln. Ich wurde dem meistbietenden versprochen und zu meinem großen Pech war er derjenige. Ihm war klar, dass ich ihn abstoßend fand, und es machte ihm sichtlich Vergnügen. 'Die Leute reden aus Missgunst schlecht', hatte mein Onkel erklärt. Aber alle wussten, dass es die Wahrheit war. Auch er. Niemals hätte er meine Cousine diesem Mann versprochen. Aber ich? Ich war ihm schlicht egal. Wir haben uns deswegen lautstark gestritten. Ich habe mir die Ohrfeige meines Lebens eingefangen und danach nicht mehr mit ihm gesprochen. Ein paar Nächte später habe ich meine Sachen gepackt und bin abgehauen. Ich hatte ein paar Briefe aus dem Nachlass meiner Eltern. Darunter einen von einem gewissen Monsieur de Treville in Paris. Er war anscheinend ein Freund meines Vaters gewesen und Soldat. Paris war weit genug weg und ich hatte nichts zu verlieren. Also ritt ich, so schnell mein Pferd es zuließ. Die Nächte verbrachte ich im Wald. Es waren genau drei. Bis heute weiß ich nicht, wie dieses Pferd das geschafft hat. Aber es wäre mir vor Erschöpfung fast tot unterm Hintern zusammengebrochen. Und jetzt sitzen wir hier und unterhalten uns." Das Gehörte hatte Charles sichtlich aufgewühlt. Seine Wangen und Ohren glühten rot, seine Stirn lag in Furchen. Vor Schreck zuckte er plötzlich zusammen, als Athos neben ihm geräuschvoll einen Stuhl verschob. Wie lange hatte er schon an seiner Seite gestanden? "Nicht gerade eine schöne Geschichte.", murmelte Charles schließlich. "Wahrlich nicht. Aber es hat nicht einmal drei Tage gedauert, bis du sie gehört hast. Ich habe Jahre gebraucht. Alter Charmeur." Abgelenkt​ durch das unerwartete Kompliment entging Charles, wie sein Freund zärtlich tröstend über Aramis' Hand strich, während er sich auf den Stuhl zwischen ihnen setzte. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht und es entging Charles keineswegs. Er deutete es jedoch als Zeichen ihrer Zustimmung zu der Bemerkung seines Jugendfreundes. Der Tuchhändler platzte nahezu vor Stolz. "Nun gut. Wie wäre es jetzt aber mit etwas Erbaulicherem? Ich habe gestern Abend nämlich etwas interessantes beobachtet." Inzwischen hatte Charles zu seiner gewohnten Form zurück gefunden. "Wir waren, wie bereits erwähnt, in diesem netten Wirtshaus ..." "Bordell.", korrigierte Athos. "... und die Damen dort waren überaus zuvorkommend. Das Essen dort ist auch vorzüglich, aber das nur am Rande. Nun, jedenfalls ist mir folgendes aufgefallen: der gute Monsieur Porthos ist, wie mir scheint, in eine Käufliche verschossen." Er hatte auf überraschte Gesichter gehofft, wurde jedoch bitter enttäuscht. Statt dessen erntete er betretenes Nicken. "Wissen wir. Und wenn der arme Kerl könnte, würde er sie vermutlich vom Fleck weg heiraten." 'Hört, hört, alter Griesgram.' ging es Charles durch den Kopf. Er war erstaunt ob der Fürsorge, die in Athos' Stimme lag. "Ich glaube, sie kann ihn auch ganz gut leiden. Oder sie gehört auf eine Theaterbühne.", fügte Charles hinzu. Er rutschte ein wenig auf dem Stuhl hin und her und lehnte sich, die Hände auf dem rundlichen Bauch gefaltet, zurück. Zum wiederholten Male beobachtete er die beiden Musketiere. Ihre Bewegungen bei Tisch wirkten routiniert, während sie sich abwechselnd auf seine Ausführungen und ihre Mahlzeiten konzentrierten. Aramis schnitt zwei dicke Scheiben Brot vom Laib, während Athos unaufgefordert ihre beiden Becher mit verdünntem Wein auffüllte. Erneut fühlte er sich an die lieb gewonnenen Abläufe in seinem eigenen Heim erinnert. "Oh, ich bin mir sicher, dass sie ihn auch sofort nehmen würde, aber ihresgleichen heiratet man nur, wenn man der Henker oder anderweitig ausgestoßen ist. Porthos ist weder das eine, noch das andere. Seine Familie ist recht angesehen. Zugegeben, er ist so etwas wie das schwarze Schaf. Aber eine Nutte heiraten käme selbst ihm nicht ernsthaft in den Sinn." Mit einer fragenden Geste hielt Athos ihm den Krug hin. Charles schüttelte dankend den Kopf. Ihm steckte noch der Wein der vergangenen Nacht in Körper und Geist. "Eigentlich schade. Sie hat mehr Verstand als all die ach so respektablen Weiber, die ihn sonst umkreisen." Aramis lies das Messer zwischen den Fingern kreisen. Angesichts der überrascht aussehenden Männer lachte sie: "Erzählt ihm ja nicht, dass ich sein Liebchen leiden kann. Das würde er mir ewig unter die Nase reiben." Doch sofort wurde sie wieder ernst. "Sie ist wirklich ein nettes, kluges Mädchen, wenn man das so sagen kann. Sie ist noch jung und es ist ein Jammer, dass sie in diesem Leben nichts anderes mehr zu erwarten haben soll als ein Dasein in Schande und Ausgrenzung, weil irgendwo auf ihrem Weg etwas schiefgelaufen ist. Niemand wählt freiwillig ein Leben in ständiger Angst vor Willkür und Krankheiten. Und jemand wie Porthos sollte sich nicht gegen einen Menschen entscheiden müssen, der sein Leben bereichert!" Mit einem Mal verstand Charles die Liebe seines Freundes zu dieser Frau. Es ging nicht um Äußerlichkeiten. Es ging auch nicht darum, dass sie mit ihrer Erscheinung eine eigenartige Vorliebe bediente. Er hatte eine tiefe Wärme in ihrem Blick gesehen, sie in ihrer Stimme gespürt. Sie war, was sein Freund Armand nie zu sein vermochte. Gefühlvoll, warmherzig und leidenschaftlich. 'Erstaunlich, wie sich manche Dinge fügen', schoss es dem Venezianer durch den Kopf. "Euer Freund D'Artagnan scheint das aber anders zu sehen. Er wirkte gestern Abend eher verhalten." "Das liegt daran, dass er noch jung ist und das Leben bisher recht gnädig zu ihm war. Seine Frau frisiert und pudert die Königin von Frankreich und es hat ihn nur wenige Wochen gekostet, sie für sich zu gewinnen. Dass Amor ein mieser Bock sein kann, weiß er höchstens aus Erzählungen.", erwiderte Athos mit einem spöttischen Blick über den Rand seines Bechers hinweg. "Falls das eine Anspielung auf mich und meine verflossenen Liebschaften sein soll, lass dir gesagt sein, dass ich nichts bereue! Ich habe viel gelernt." "Soll es nicht. Ich erinnere mich nur zu gut an deine Naturstudien mit unschuldigen Bauernmädchen... " "Du wolltest ja nie!", unterbrach ihn Charles und hob entschuldigend die Schultern. Mit seinen aufgeblasenen Backen wirkte er wie ein trotziges Kind. Sichtlich erheitert folgte Aramis der Komödie, die Athos für sie initiierte. All die Lachfalten, die sein Gesicht in diesem Moment hervorbrachte, bescherten ihr ein zartes Flattern in der Magengegend. Was hätte sie darum gegeben, in diesem Moment mit ihm allein zu sein. "... Weswegen ich Marie dringend von dir abgeraten habe.", beendete Athos seinen Satz. "Jetzt fang nicht davon an. Du weißt, dass ich dir das sehr übel genommen habe!" "Wer ist Marie?", hakte Aramis vorsichtig nach. "Meine Schwester.", antwortete Athos nicht ohne Belustigung. Charles geriet ins Schwärmen: "Ein zauberhaftes Mädchen war sie damals. Zart, elegant und begabt in Gesang und Konversation. Eine Augen- und Ohrenweide. Wie gerne hätte ich sie geheiratet. Oder zumindest einmal geküsst. Ich war schrecklich verliebt. Aber mein Freund Armand hier hielt es für angebracht, ihr zu erzählen, ich sei ein Trophäensammler. Natürlich lehnte sie jede Bitte um ein Stelldichein ab. Ein Ehegesuch durch meinen Vater ebenfalls. Ich war am Boden zerstört." "Und jetzt bist du glücklich verheiratet und wirst jedes Jahr aufs neue Vater. Sei mir wenigstens im Nachhinein dankbar!" Charles schnaubte. Gerade wollte er zu einer Erwiderung ansetzen, als es klopfte. D'Artagnan streckte den Kopf zur Tür herein, betrachtete die Gesellschaft am Tisch und konzentrierte sich schließlich auf Charles. "Ist Porthos nicht mit euch gekommen?" "Guten Morgen, D'Artagnan." Der gespielt tadelnde Tonfall des älteren Musketiers ließ ihn unverzüglich Haltung annehmen. "Guten Morgen. Entschuldigung! Darf ich?" D'Artagnan deutete auf einen leeren Hocker. "Nur zu, setz dich. Iss etwas." Das breite Grinsen in Athos' Gesicht irritierte ihn. Es war ein Anblick mit Seltenheitswert. Vermutlich hätte er die Momente, in denen er ihn so gelöst erlebt hatte, an seinen beiden Händen abzählen können. Er blickte zu Charles, der immer noch schmollend auf seinem Stuhl hockte. "Als ich vorhin gegangen bin, hat er noch tief und fest geschlafen.", gab der schließlich zur Antwort. Aramis, die den verwirrten Gesichtsausdruck ihres jüngsten Freundes bemerkt hatte, versuchte ihn zu beruhigen: "Die beiden wärmen gerade alte Geschichten auf. Nichts, was dich beunruhigen müsste. Ganz im Gegenteil, es ist sogar recht erbaulich." D'Artagnan hatte immer noch nicht recht verstanden, was vor sich ging, doch er nickte. Er beschloss, sich vorerst an Aramis zu halten. "Das war ein gewaltiges Unwetter letzte Nacht, was? Unser Haus hat einige Ziegel eingebüßt. Bist du trockenen Fußes nach Hause gekommen?" Aus dem Augenwinkel erkannte er, wie sich Charles' Körperhaltung ruckartig änderte. "Nein." Aramis lachte. Vergebens wartete D'Artagnan auf eine Erklärung. Stattdessen griff er zu dem Wein, den sie ihm anbot, in der Hoffnung, dass ein wenig Alkohol ihn irgendetwas von dem verstehen ließ, was gerade in diesem Raum vor sich ging. Sein Gesicht mußte seine Verwirrung jedoch erneut erkennen lassen, denn Athos ergänzte sachlich: "Aramis hat die Nacht hier verbracht." Sein Tonfall ließ es klingen wie eine Selbstverständlichkeit, doch D'Artagnan quittierte das Gehörte mit einem blubbernden Geräusch, als die dunkelrote Flüssigkeit aus seinem Mund zurück in den Becher schoss. "Entschuldigt, ich hatte mich verschluckt." Entgeistert betrachtete er Aramis. Ihr Blick ließ keinerlei Scham oder Verstellung erkennen. Keine Röte, wie sie ihr gelegentlich in die Wangen stieg, wenn jemand Andeutungen zu ihre Beziehung zu Athos machte. "Hast du", fragte er schließlich zögerlich, "auf dem Boden geschlafen?" Sein Daumen deutete auf die Stelle, an der Charles' Habseligkeiten lagen. "Das war nicht nötig. Athos' Bett ist mindestens doppelt so groß wie meins.", gab sie nüchtern zurück. Dabei hatten sie die Nacht so eng umschlungen verbracht, dass das ihre vollkommen ausreichend gewesen wäre. "Aber ich muss auf einem Fell schlafen.", brummte Charles unzufrieden. "Du schnarchst auch." Das Thema war für Athos damit beendet. Er nahm es seinem Freund nicht übel, dass er sich beklagte. Der Boden war unbequem, keine Frage. Daran konnte auch das Schafsfell aus seiner eigenen Reiseausstattung nichts ändern. Er hatte jedoch kein Interesse daran, das Bett mit ihm zu teilen. Es hatte Zeiten gegeben, in denen sie gemeinsam in einem Saal hatten schlafen müssen und Athos wollte die Erinnerung daran nicht wiederbeleben. Besonders jetzt, da die Aussicht auf eine andere nächtliche Gesellschaft bestand. Tatsächlich machte er sich bereits Gedanken, wie er Charles den Umzug in ein Gasthaus schmackhaft machen konnte. Zunächst musste jedoch der kommende Tag organisiert werden. In einem versöhnlichen Ton fragte er Charles nach seinen Plänen. "Ich erwarte in den nächsten Tagen eine Wagenladung mit Stoffen aus Venedig. Ich muss mich vorher um die Unterbringung der Waren und meiner Knechte bemühen und wollte mich ein wenig nach potentiellen Handelspartnern erkundigen. Vielleicht mache ich auch schon einen Rundgang über den Markt." "Der Vater meiner Frau ist Schneider, ihr solltet euch einmal bei ihm vorstellen.", warf D'Artagnan ein. "Venezianische Stoffe in guter Qualität könnten ihm gefallen. Sein Name ist Bonacieux, er näht auch Kleider für die königliche Familie." Charles sah ihn lange an, schweigend. Schließlich lächelte er, nickte dankend und sagte: "Ihr seid wirklich ein glücklicher Mann, D'Artagnan." Ohne zu wissen, worauf genau Charles anspielte, antwortete er: "Ich weiß." Athos ergriff wieder das Wort: "D'Artagnan, du wirst mit Porthos dem Tuchhändler einen Besuch abstatten. Versucht ihn auf die anderen toten Frauen anzusprechen oder zumindest herauszubekommen, mit wem er sich in den vergangenen Monaten vergnügt hat und wo er in den letzten Nächten war." "Jawohl, Herr Leutnant!" D'Artagnans halbherziges Salutieren wurde von einem schelmischen Funkeln in den Augen begleitet. "Ich werde ins Hauptquartier gehen und Kapitän de Treville auf den aktuellen Stand bringen.", setzte Athos fort. "Möchtest du mich begleiten, Aramis?" "Bedaure. Die Königin empfängt heute vormittag einige Damen in ihren Gemächern und wird am Nachmittag eine Ausfahrt machen. Ich werde also den ganzen Tag in ihrer unmittelbaren Nähe verbringen. Und wo wir gerade davon sprechen: ich bin spät dran. Vielen Dank für dein Bett und deinen Wein. Wir treffen uns heute Abend im Hauptquartier. Grüßt Porthos von mir!" Sie ließ ihre Hand zärtlich über seine Schultern streichen, griff sich leichtfüßig Hut und Degen und verließ die Wohnung. Gedankenverloren starrte Athos auf die Tür, hinter der sie soeben verschwunden war. Sie hatte ihren Mantel vergessen und er konnte nicht sagen, ob es ein echtes Versehen oder ein Vorwand war, um heute Abend wieder zu ihm zu kommen. "Dich hat es ja wirklich schwer erwischt, mein Freund." Charles' Worte waren nur ein dumpfes Brummen in seinen Ohren. Vor dem Haus der von Rosenbaums stand eine Kutsche. Reich verziert, mit Gold beschlagen und von zwei schlanken Grauschimmeln gezogen. Der Kutscher war auf dem Bock zusammengesackt und döste leise schnarchend, während ein Knabe, kaum älter als 14 und mit langen, dürren Gliedern, die Seitentür offen hielt. Offenbar stand er bereits seit einiger Zeit dort. Seine Haltung war schlacksig und immer wieder ging sein Blick ungeduldig durch die ebenfalls offen stehende Haustür in den großzügigen Eingangsbereich. Als Athos auf Höhe der Pferde angekommen war, straffe sich der Körper des Jungen plötzlich. Aus dem Inneren des Hauses drangen helles Lachen und das Rauschen üppiger Kleider. Die Hausherrin erschien, herausgeputzt in salbeifarbener Seide und filigraner Spitze, umwabert von einer intensiv süßen Duftwolke von Tuberosen. Hinter ihr erschien eine zweite Dame, ebenfalls ihren Wohlstand zur Schau tragend. Athos hatte sie schon mehrfach im Umfeld der Königin gesehen, ihr aber nie große Bedeutung beigemessen. Die Kutsche trug ihr Wappen auf der Tür. Aufgeregt wie junge Mädchen plapperten die beiden Frauen miteinander. Gerade, als die Gräfin von Rosenbaum ihre Röcke zum Einsteigen raffte, bemerkte sie Athos. Er war stehengeblieben und streichelte einem der Pferde das Maul, nachdem es ihn mehrfach auffordernd angestoßen hatte. Sie musterte ihn mit einem knappen, geübten Blick. "Kann man euch helfen, Monsieur?" Zwar war ihre Aussprache wesentlich sauberer als die ihres Gatten, doch konnte auch sie ihre Herkunft nicht verleugnen. Athos wußte gleich, wer sie war. Er erinnerte sich plötzlich daran, wie Aramis sie ihm nach ihrer ersten Begegnung beschrieben und wie unsicher sie anschließend gewirkt hatte. Weder damals noch heute hatte er es verstehen können. Begleitet von einem gewinnenden Lächeln antwortete er: "Ich möchte eurem Gatten einige Fragen stellen. Ist er zu sprechen?" "Nun, er ist zumindest anwesend. Ob er zu reden in der Lage ist, müsst Ihr jedoch selbst herausfinden, Monsieur..." "Das ist der Musketier Athos, meine Liebe.", mischte sich die zweite, hinter vorgehaltenem Fächer flüsternd, ein. "So?" Sie musterte ihn ein weiteres Mal. "Nun, versucht Euer Glück. Aber lasst euch gesagt sein, dass er erst in den frühen Morgenstunden heimgekehrt ist und mehr getragen wurde als das er selbst gelaufen wäre. Erwartet nicht zu viel. Zumal er nach eurem letzten Besuch wohl recht aufgebracht war, wie mir erzählt wurde." Sie bemühte sich nicht, ihr Schadenfreude zu verbergen. Offenbar empfand die Gräfin von Rosenbaum nicht viel Zuneigung für ihren Gatten. Athos nickte verstehend. "Das war nicht unsere Absicht, verzeiht!" Dass die Beziehung der Eheleute zueinander eher unterkühlt war, hatte sich schon bei seinem letzten Besuch herauskristallisiert. Möglicherweise, kam es ihm unvermittelt in den Sinn, machte ihr unverhohlener Spott den Grafen gelegentlich rasend vor Zorn. Bevor sie erneut Anstalten machen konnte, in die Kutsche zu steigen, fügte er hinzu: "Wenn Ihr mir noch eine Frage gestattet, Madame! Wisst Ihr, wo euer Gatte in der vergangenen Nacht war?" "Er wird vermutlich bei einem seiner neuen Freunde gewesen sein, um Geld beim Kartenspiel zu verlieren. Bitte entschuldigt uns jetzt, wir werden erwartet." Die beiden Damen knicksten zurückhaltend und stiegen in die Kutsche. Der livrierte Knabe schlug die Wagentür geräuschvoll zu und sofort setzten sich die Pferde in Bewegung. Erst das leichte Schaukeln des Kutschbocks weckte die staubbedeckte Gestalt, die unter Hut und Mantel inzwischen nahezu unsichtbar geworden war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)