Aschenstaub von Coronet (Der erste Zauberkrieg) ================================================================================ Kapitel 3: Kleine Tode ---------------------- • London, Februar 1971 •   Der Hyde Park lag ausgestorben da – abgesehen von seinen tierischen Bewohnern. Am Ufer des großen Serpentine-Sees schliefen die Enten mit ihren Köpfen unter den Flügeln und die zahlreichen Grauhörnchen, die bei Tag Passanten um Nüsse anbettelten, ruhten in den Bäumen. Dafür bevölkerten nun andere Geschöpfe die Grünflächen: Kleine Nager, streunende Haustiere und sogar ein Fuchs auf Nahrungssuche schlichen durch die Schatten. Eine einzelne, getigerte Katze mehr fiel so kaum auf, selbst wenn sie zielstrebig über Wege und Brücken huschte, anstatt ihr Revier gegen Artgenossen zu verteidigen oder Mäusen neben den Mülleimern aufzulauern. Trotzdem sah Minerva sich immer wieder nervös um, die felligen Ohren gespitzt. Das Knacken so manchen Astes klang ganz wie eine Apparation und sie hatte nicht vor, nach ihrer eben erst geglückten Flucht aus der Kirche im Lake District ausgerechnet hier doch einem Todesser in die Arme zu laufen. Es war zwar nicht so, dass sie den Kampf scheuen würde – aber manchmal erwies es sich klüger, ein Schatten in der Nacht zu bleiben; eine graue Katze unter vielen. Auf leisen Pfoten war sie Voldemorts Anhängern eine bedeutend größere Gefahr. Und mit ihrer Nachricht zur rechten Zeit konnte sie immerhin dafür sorgen, dass die Auroren zur Festnahme kamen. Die Vorstellung, dass die beiden Trottel in der Kirche gerade den (gerechten) Schock ihres Lebens bekamen, beflügelte ihre Schritte. Auch das Glück dieser Nacht blieb auf ihrer Seite. Nicht mal der einsame Fuchs traute sich in ihre Nähe. Unbescholten gelangte sie an ihr Ziel, wo sie elegant auf eine leere Parkbank sprang. Nun hieß es warten. Mal wieder. Sie verkniff sich wie so oft in den letzten Nächten ein Seufzen und setzte sich stattdessen auf ihre Hinterpfoten. Albus beteuerte schließlich oft genug, dass Geduld eine Tugend war. »Besonders in diesen Zeiten dürfen wir uns nicht zu überstürzten Handlungen hinreißen lassen«, pflegte er stets zu sagen, wenn sie als Reaktion darauf geräuschvoll die Luft einsog. Und er hatte ja recht, natürlich hatte er recht – er hatte immer recht. Trotzdem änderte es nichts daran, dass sie sich wie eine vermaledeite ägyptische Katzenstatue vorkam, so starr saß sie auf dieser Bank. Und dann erst diese Kälte ... Mit einem Schaudern plusterte sie ihr Fell auf. War es in London etwa kühler als draußen im Lake District? Oder war es nur der langen Nacht geschuldet, dass sie sich an ein warmes Kaminfeuer mit Ingwerkeksen sehnte? Egal. Sie vertrieb die Träume von einem wohlbekannten Wohnzimmer in Mayfair durch ein Zucken der Ohren. Wenn ihre Arbeit der letzten Monate sie eines gelehrt hatte, dann, dass ein Moment der Unachtsamkeit genau wie dieser reichte, um den Hinkepank nicht zu bemerken, der sich anschlich (und sie am Schwanz zog). Sobald sie wieder in Hogwarts war, würde genug Zeit bleiben, solchen Sehnsüchten nachzuhängen. Doch zuerst würde sie ihren Auftrag formvollendet abschließen. Also spannte sie die Muskeln fester an und besann sich auf den verlassenen Hyde Park zurück. Sämtliche guten Vorsätze halfen allerdings nicht gegen den Ballon aus Ungeduld, der sich immer in ihr weiter aufblähte. Ein paar ereignislosen Minuten später konnte Minerva einfach nicht anders – sie musste ihren Katzenschwanz zucken lassen. Zumindest die Spitze davon. Nur ein bisschen von rechts nach links. So fiel es ihr leichter, die Büsche gegenüber anzustarren und sich nicht zu langweilen. Es war schließlich das eine, ein Ziel zu observieren oder Todessern aufzulauern. Dann hatte sie eine Mission, einen Fokus. Aber herumsitzen und warten? Ohne zu wissen, ob überhaupt jemand kommen würde ...? Verdammt, das hier war viel zu kurzfristig! Zumal es ein Brief wahrscheinlich ebenso getan hätte, um die Informationen ihres Einsatzes zu übermitteln. Besser, sie dämpfte ihre Hoffnungen direkt – Knack. Das kam aus den Schatten. Nicht weit von ihr entfernt. Sie grub die Krallen in das Holz unter ihren Pfoten. Wartend. Andere Geräusche folgten, weniger laut als das erste. Altes Laub raschelte, dann löste sich ein Schemen umgeben von einer blassblauen Aura aus der Dunkelheit. Rasch kam er den sandigen Parkweg hinauf. Ein Umhang bauschte sich im Wind auf und schon trug es den schwachen Duft von Pflanzengrün vermischt mit dezentem Aftershave zu Minerva. Sie miaute leise. Die Gestalt wandte den Kopf und näherte sich ebenso zielstrebig der Bank wie sie Minuten zuvor. Je näher sie kam, desto deutlicher wurden ihre Formen. Es war ein kleiner Mann mittleren Alters, an dessen dunkelblauem Umhang ein aufgesticktes Abzeichen des Ministeriums prangte. Unter seiner Robe trug er einen altmodischen Muggelanzug aus den 50ern, mitsamt bunter Krawatte und schnittiger Weste. Seine Hände waren in den Umhangtaschen verborgen, aber es war auch so zu erkennen, dass er einen Zauberstab umklammerte. Minerva spannte die Muskeln an, bereit sich zurückzuverwandeln. In Gedanken griff sie schon nach ihrem eigenen Stab, eine einzige flüssige Bewegung. Aber den Mann ließ sie trotzdem nicht aus dem Blick. Im Gegenteil, sie nahm genau in sich auf, wie der Wind ihm das feine Haar aus der Stirn blies. Wie seine hellen Augen die Umgebung absuchten und doch immer wieder zu ihr zurückfanden. Wie er seine Schritte noch einmal beschleunigte. Und leider auch, wie schmal er im Vergleich zu ihrer letzten Begegnung geworden war ... Ohne ein Wort zu sagen, setzte der Zauberer sich neben sie – als sei es alltäglich, sich nachts in einem geschlossenen Park mit einer Katze zu treffen. Das breite Lächeln auf seinem Gesicht spiegelte allerdings ihre eigene Aufregung. Es zerknitterte die Haut um seine Augen in lauter Lachfältchen und hinterließ kleine Grübchen auf seinen Wangen, die ihm den Ausdruck eines glücklichen Kindes an Weihnachten verliehen. »Minerva?«, fragte er leise. Während er sprach, zog er den Zauberstab aus seiner Umhangtasche und legte ihn locker über seine Knie. Seine Stimme mochte vor Euphorie vibrieren, aber die Stabspitze zeigte definitiv in ihre Richtung. Um ihn nicht genauso lang warten zu lassen, wie sie es hatte tun müssen, neigte Minerva den Katzenkopf, sodass es nach einem Nicken aussah. Und einen Augenblick später erwiderte sie das Lächeln des Mannes vernünftig, wieder zurück in ihrem eigenen Körper. »Hallo Elphinstone.« Ihre Stimme wankte ein wenig, aber das ließ sein Strahlen nur wachsen. »Merlin sei Dank, Min. Ich habe mich sofort auf den Weg gemacht, als ich deine Phönixbotschaft erhalten habe!« Ein verdächtiges Schimmern überzog seine grauen Augen. »Was bin ich erleichtert, dich wiederzusehen ...« Bevor die Freude endgültig Oberhand gewinnen konnte, richtete Minerva ihrerseits den Zauberstab auf ihn. »Es tut mir leid, aber du kennst das neue Prozedere mit den Sicherheitsfragen sicherlich aus dem Ministerium. Also sag mir ... wie oft hast du die Frage schon gestellt?« Ihr Gegenüber ließ sich nicht irritieren, sondern schnaubte amüsiert. »Zehn Mal. Ein elftes Mal hast du mich ja nicht gelassen.« Wärme stieg ihr in die Wangen. Einmal mehr war sie dankbar, dass Menschen im Gegensatz zu Katzen im Dunkel so schlecht sahen. Selbst nach allem, was im letzten Jahr zwischen ihnen passiert war, brachte der Gedanke an Elphinstones viele Heiratsanträge sie immer noch in Verlegenheit. Oder erst recht, schließlich hatte der Ernst ihrer Gefühle den Witz darin überholt. Sie räusperte sich gegen den aufsteigenden Kloß in ihrem Hals an, die Schultern zurückgedrückt. »Ich freue mich auch, dich zu sehen, Elphinstone.« Ihre Mundwinkel zuckten leicht, als sie den Blick aus seinen funkelnden Augen auffing. »Im Übrigen ist zehn die perfekte Antwort«, fügte sie fester an. »Untersteh dich also, das ändern zu wollen.« Elphinstone schlug die Lider nieder, ohne das Schmunzeln von seinen Gesichtszügen zu lassen. »Natürlich. Es wäre ja auch viel zu verwirrend, sich ständig eine neue Antwort merken zu müssen.« »Gut, gut ...« Schweigen senkte sich. Für ein paar Wimpernschläge saßen sie beide so verlegen da wie zwei Hogwartsschüler in der Nische hinter der Statue von Heraldine der holden Hexe im sechsten Stock, wann immer Minerva diese passierte. Dann erlöste Elphinstone sie mit einem Glucksen aus der Starre. »Ein Glück habe ich die richtige Katze erwischt. Ich hatte schon Sorge, dass ich ein tiefgründiges Gespräch mit einer gewöhnlichen Straßenkatze anfange.« Sie zog eine Augenbraue hoch, die Lippen geschürzt. »Solltest du meine einzigartige Fellzeichnung je vergessen, gibt es da einen ganz einfachen Trick – wenn sich die Katze streicheln lässt, ist es die Falsche.« »Das weiß ich doch. Ich ärgere dich nur.« Elphinstone schenkte ihr ein Zwinkern. »Reine Sicherheitsmaßnahme meinerseits, versteht sich. Wenn du diesen gewissen Blick bekommst, weiß ich, dass es wirklich du bist.« »Als wenn meine Rückverwandlung nicht Beweis genug ist, dass ich kein Todesser sein kann. Im Gegensatz zu einer Aura oder dem allgemeinen Aussehen kann man das ganz sicher nicht fälschen.« »Ach Min. Nimm mich doch nicht so ernst, hm?« Entgegen der Versuchung, sich von Elphinstones Leichtigkeit anstecken zu lassen, drückte sie den Rücken fester durch, ihren Blick starr auf den dunklen Parkweg gerichtet. »Die Lage ist aber ernst. Es ist Krieg und wir haben nicht lange Zeit. Lass uns zum Punkt kommen.« Sie hörte ihn leise seufzen. Als sie einen Seitenblick riskierte, sah sie, dass er die Schatten in der anderen Richtung beobachtete, den Zauberstab fest im Griff. »Hat man dich verfolgt?«, fragte er. Von jetzt auf gleich war jeglicher Humor aus seiner Stimme verschwunden. »Nein. Die beiden Todesser haben mich nicht einmal bemerkt. Ich habe noch gewartet, bis ich die Ankunft der Auroren gehört habe, die du geschickt hast, dann bin ich ungesehen disappariert. Was einmal mehr beweist – für manche Leute sind nachts eben wirklich alle Katzen grau. Was quasi gleichbedeutend mit unsichtbar ist.« Elphinstone atmete hörbar auf. »Tja, ich habe einen Namen für diese Leute – Idioten. Und nur fürs Protokoll: Ich mag vielleicht auch einer sein, aber ich maße mir einfach mal an, dass ich das Brillenmuster um deine Augen überall und jederzeit wiedererkennen würde.« Ein kleines Geräusch zwischen Schnauben, Seufzen und Schmunzeln entkam Minerva. »Wirklich, Elphinstone –« Er unterbrach sie mit einem Kopfschütteln. »Gib mir nur eine Minute, ja?« Die Sanftheit in seiner Stimme überwältigte sie fast, als er sich wieder zu ihr drehte. Das Lächeln auf seinem Gesicht hatte sich gewandelt. Verschwunden war der Schalk, das freche Funkeln des Amüsements. Stattdessen lag nur Zärtlichkeit in seinem Blick. Er hielt ihr seine offene Handfläche entgegen und überbrückte die geringe Distanz zwischen ihnen. »Magst du mir deine Hand geben?«, bat er leise. Für einen Sekundenbruchteil stockte sie, ohne ganz zu wissen weshalb. Vielleicht weil es so lange her war? Wochen – nein, sogar Monate. Doch dann schlug sie den Gedanken beiseite und folgte seinen Worten. Allein die Wärme von Elphinstones Haut war genug, um ihr Herz stolpern zu lassen. Die Angst, von Todessern entdeckt zu werden, schmolz irgendwo in den Hintergrund. Es wurde nicht besser, als Elphinstone seine Finger sanft mit ihren verschränkte. »Schnatz gefangen«, murmelte sie und drückte ihn bedachtsam. Er gluckste leise. »Schließ deine Augen, okay?« Sie holte tief Luft – »Nur ganz kurz. Nicht mal eine Minute. Ich halte meine Augen auch extra weit offen.« Um seine Worte zu unterstreichen, stupste Elphinstone mit seinem Zauberstab sacht gegen ihr Knie. »Falls jemand aus dem Busch springt, werfe ich mich vollkommen heldenhaft vor dich. Ehrenwort.« Schon klappte ihr der Mund wieder auf, eine Erwiderung auf der Zunge. Aber ein Blick auf Elphinstones hoffnungsvolles Gesicht besann sie eines Besseren. Also tat sie wie geheißen, obwohl es sich falsch anfühlte, ihre Verteidigung derart aufzugeben. Als würde er diesen Gedanken hören, strich Elphinstone mit dem Daumen über ihren Handrücken. »Atme tief ein und aus.« »Elphinstone ...« Automatisch sog sie die Luft ein, um sich für eine längere Rede zu wappnen – nur um sie dann wieder gehen zu lassen. Sie hörte, wie Elphinstone dasselbe tat. Noch ein Atemzug und ihre Schultern sanken hinab. Eine kleine Stimme in ihrem Hinterkopf flüsterte, dass das hier albern war, doch mit dem nächsten Ausatmen verschwand sie. Selbst das aufgeregte Kribbeln in ihrer Brust verflog. Nur Elphinstones warmer Druck auf ihrer Hand blieb. »Danke«, wisperte sie in die Stille, ohne ihre Lider zu heben. »Dann ist es also besser?«, fragte er im Flüsterton zurück. »So viel besser.« Die Müdigkeit in ihrer Stimme überraschte sie selber. Bis eben hätte sie schwören können, dass jede Faser ihres Körpers unter Strom stand, und jetzt fröstelte sie plötzlich aufs Neue. Zum Glück schien das Kaminfeuer in greifbare Nähe gerückt, denn Elphinstone drückte ihre Hand fester. »Es tut mir leid, dass du so lange keine Pause mehr hattest.« »Schon gut ...« »Nein. Du überwachst seit Monaten jeden Tag in deiner Freizeit Gideons Verstecke, immer in der Gefahr, entdeckt zu werden, und das nur, damit du mir helfen kannst – das ist keine Kleinigkeit. Und dann erst der Mut, den du heute bewiesen hast ... Ich wünschte, ich könnte dir mehr bieten als so eine kleine Verschnaufpause auf einer Parkbank. Du verdienst es.« »Als ob du nicht selber jeden Tag mit den Todessern zu tun hast.« Minerva nahm noch einen tiefen Atemzug, ehe sie die Lider langsam wieder hob. »Überhaupt – hat man dich verfolgt?« »Du lässt dich wirklich nicht lange ablenken, was?« Elphinstone schüttelte seufzend den Kopf. Mit seiner Zauberstabhand zog er ein kleines, rundes Gerät in einer Metallfassung aus der Umhangtasche. Der gläserne Kern sirrte unentwegt, allerdings nur ganz leise, wie eine lästige Mücke. Dazu leuchtete er blassrot. »Wenn ich mir das Taschenspickoskop so ansehe, habe ich meine beiden Aufpasser mit dem Umweg über den Tropfenden Kessel und drei sehr ... nette Etablissements wohl vorerst abgeschüttelt.« »Also beobachten die Todesser immer noch dein Haus?« Er seufzte neuerlich. »Min, mach dir nicht zu viele Gedanken –« »Beantworte einfach meine Frage.« »... ja. Sie stehen ganz zuverlässig jeden Tag im Hauseingang gegenüber. Inzwischen haben sie offenbar auch eine umfangreiche Karte an Orten zusammengestellt, die ich üblicherweise besuche. Abgesehen vom Ministerium, versteht sich. Wann immer ich meinen Kamin benutze oder appariere, kann ich sicher sein, dass sie früher oder später auftauchen. Sie müssen ihrerseits irgendwelche Aufspürer nutzen, die meine Abwesenheit registrieren ... Deshalb habe ich sie heute lieber glauben lassen, dass ich nur ein wenig ausgehe.« »Ausgehe ...?« Minervas Stimme beschrieb dieselbe verwunderte Aufwärtskurve, die ihre hochgezogene Augenbraue darstellte. Elphinstone rieb ihre Fingerknöchel mit seinem Daumen, während er leise lachte. »Um es genau zu sagen« – er lehnte sich näher heran und senkte seine Stimme zu einem Wispern – »ich glaube, dass meine zwei üblichen Wachhunde ziemlich verklemmt sind. Zumindest habe ich einiges ausprobiert, damit ich sie elegant loswerde, und festgestellt, dass sie mir nicht überall hin folgen.« »Will ich überhaupt wissen, was du damit meinst?« »Ich nehme stark an, dass du nicht so lächerlich engstirnig wie die beiden Kerle bist, also ja.« Mit einem Grinsen schob Elphinstone das Spickoskop wieder in seine Tasche. »Es gibt da einen reizenden kleinen Pub in einer Seitengasse des Drachenschwanzboulevards, der nicht im Mindesten anrüchig ist, aber besonders gerne von Zauberern besucht wird, die ein gewisses Interesse am gleichen Geschlecht hegen. Nun, was soll ich sagen – dahin wollten meine Verfolger plötzlich nicht mehr mitkommen.« Sie konnte ein Auflachen nicht unterdrücken. »Ehrlich? Mehr braucht es nicht?« »Anscheinend nicht.« »Und ich dachte schon, du erzählst mir jetzt, dass du einen Besuch im Bordell oder dergleichen vortäuschst.« »Oh nein, nein, keine Sorge!« Selbst im fahlen Mondlicht war ersichtlich, dass sich Elphinstones Ohrspitzen röteten. »Ich habe zugegeben mit dem Gedanken gespielt, aber das wäre wirklich der allerletzte Reisigzweig am Rennbesen gewesen – und zum Glück reicht es ja auch, dorthin zu gehen, wo alle sittsam angekleidet bleiben.« »Umso bemerkenswerter, dass deine Verfolger dabei schon aufgeben. Ich hätte denen mehr Ehrgeiz zugetraut.« »Ich auch. Aber ich habe noch ein paar andere Treffpunkte dieser Art ausprobiert und was soll ich sagen ... jedes Mal ein Volltreffer. Schneller wird man diese unliebsame Plage nicht mal mit einem Verschwindefluch los. Ich muss nur reingehen und schon kann ich ungesehen durch die Hintertür verschwinden, denn die beiden Trottel bleiben draußen stehen, als hätten sie einen Basilisken gesehen.« »Und das, wo doch alle angezogen bleiben.« Es brauchte keine Sekunde, damit Minerva begriff, was sie gerade von sich gegeben hatte. Aber nun war es zu spät. Sie straffte die Schultern, eisern darum bemüht, ihre Miene zu kontrollieren. Elphinstone neben ihr hustete, als hätte er sich furchtbar verschluckt. »Bei Merlins Feinripp«, keuchte er, »das hätte auch von Mulciber kommen können!« »Der war wirklich schrecklich, was? Entschuldige.« Doch neben ihr schüttelte Elphinstone grinsend den Kopf und verlockte damit ihre Mundwinkel zu einem Zucken. »Der war grässlich und ich finde es großartig«, stellte er klar. »Ich meine – wie schön ist es bitte, dass du über meine Flucht durch eine Schwulenbar einen Witz machen kannst, während meine Verfolger so viel falsche ‚Angst‘ davor haben, dass sie nicht mal einen Fuß über die Schwelle setzen können?« Verlegen senkte Minerva die Augenlider ein Stück. Sie ertrug den Anblick von Elphinstone und besonders seinen schmunzelnden Lippen nicht länger, denn die riefen sie nur dazu auf, alle Vorsicht in den Wind zu schlagen. »Für mich war es nie ein Problem, dass du dich prinzipiell auch zu Männern hingezogen fühlst, warum sollte es das jetzt auf einmal sein?« »Du weißt, wie ich das meine. Jemand anderes wäre vielleicht ... keine Ahnung, enttäuscht, dass ich es überhaupt so wirken lasse, als wäre ich offen für –« »Elphinstone.« Minerva legte den Kopf schief und warf ihm ihren schärfsten Professorinnenblick zu. »Diese Person werde ich nie sein. Himmel, ich würde es auch überleben, wenn du den Besuch im Bordell vortäuschen müsstest. Es würde mir nicht gefallen, aber wichtiger ist doch, dass du in Sicherheit bist.« Der amüsierte Ausdruck auf Elphinstones Gesicht schmolz zu sanfter Wehmut. Einen Moment lang erwiderte er nichts, doch Minerva spürte genau, wie er ihre Hand langsam zerquetschte – und sie drückte ebenso doll zurück. »Wäre die Einstellung meiner zwei Verfolger nicht so traurig, dann wären ihre kleinen Tänzchen sogar richtiggehend lustig«, murmelte Elphinstone schließlich. »Neulich hat der eine versucht, seinen Kumpel mit einem ganzen Fass von Ogdens Feuerwhiskey zu bestechen. Erfolglos. Die feinen Herrschaften im Grünen Salon sind wohl zu furchteinflößend. Es könnte einen ja jemand auf ein Tässchen Tee einladen.« »Seien wir froh«, seufzte Minerva leise. »Wären die beiden nur ein bisschen hartnäckiger, würden wir vielleicht nicht hier sitzen.« »Das stimmt wohl. Ich möchte wetten, dass ihr Dunkler Lord außer sich wäre, wenn er wüsste, dass sie sich so leicht von ihrer Aufgabe abbringen lassen.« »Oder stolz.« Geringschätzig schnaubte sie. »Ich kann mir richtig gut vorstellen, dass seine Anhänger nicht nur von einer Welt des reinen Blutes träumen, sondern auch einer Welt ohne jegliche ... ‚Abweichungen‘. Immerhin verbreitet sich das reine Blut nicht von alleine.« Elphinstones Mundwinkel sanken weiter herab. »Wahrscheinlich hast du recht. Aber deshalb sind wir ja hier. Damit es nie dazu kommt.« »Richtig.« Sie nickte langsam. Wie hatte sie sich überhaupt derart von ihrem Anliegen ablenken lassen? Schon kehrte das Kribbeln in ihre Glieder zurück, angefangen bei den Fingerspitzen. Sie verscheuchte die überschüssige Energie, indem sie den Stoff ihrer Strumpfhose an den Knien zurechtzupfte. »Und heute dürften wir zumindest einen Erfolg zu feiern haben.« In aller Kürze umriss sie ihre Beobachtungen des Abends, von der Ankunft der Todesser über das leere Grab hin zur gesäuberten Kirche. Im fahlen Mondschein erbleichte Elphinstone. »Oh, bei Salazars schwärzester Magie ...« Sie streichelte seinen Handrücken, denn ihr war klar, dass er an seine älteste Schwester dachte, die zu Lebzeiten vielleicht nicht in alle Experimente ihres Mannes involviert gewesen war, aber genug gewusst hatte, um in ihrem Tagebuch einige Hinweise zu hinterlassen. Und nun belegte das Auftauchen von Voldemorts Anhängern in der Kirche immerhin ihre Auffassung, es handle sich um Forschung, die der selbsternannte Dunkle Lord für seinen Krieg zu nutzen erachtete. »Wenn die beiden Todesser erstmal in einer Arrestzelle sitzen, können wir sicherlich mehr Informationen von ihnen erhalten«, versuchte Minerva Elphinstone aufzumuntern, obwohl die Worte selbst in ihren Ohren schal klangen. »Dann informiere ich Albus und den Orden und gemeinsam bringen wir das alles in Ordnung. Auch in Elladoras Namen.« Elphinstone wippte nachdenklich mit seinem Zauberstab auf und ab. »Für den Anfang wäre es schon schön, wenn ich nur den Namen ihres Auftraggebers erfahren könnte. Dann könnten wir den auch gleich festsetzen ... Aber gut, die Befragung ist allein meine Sorge. Und dank deiner Vorarbeit weiß ich ja zum Glück, wo ich ansetzen muss. Danke dafür. Du hast wirklich mehr als genug geleistet.« »Ach ...«, hob Minerva zu einem Widerspruch an – doch im selben Augenblick zuckte Elphinstone wie vom Doxy gebissen zusammen. »Wenn man vom Grimm spricht! Da ist auch schon die Nachricht vom Aurorenbüro.« Erneut wühlte er in der Tasche seines Umhangs. Anstatt des Spickoskops zog er dieses Mal ein galleonengroßes Goldstück hervor. In das Metall waren zwei Waagschalen geprägt, die von der Spitze eines Zauberstabs hingen – das Wappen der Strafverfolgungsabteilung. Darunter stand E. Urquart, Oberster Strafverfolger. »Lass mal sehen ...« Mit einem Zungenschnalzen drehte Elphinstone die Ausweismarke um. »Und ...?« »Verflucht.« Nun sanken nicht nur Elphinstones Mundwinkel, sondern auch die Schultern hinab. »Zugriff nahe Windermere – ein ca. zwanzig Jahre alter Verdächtiger flüchtig«, las er vor. Minerva sank das Herz. »Nein – verdammt! Wäre ich nur länger geblieben –« »Und hättest riskiert, dass dich jemand sieht? Du weißt doch, dass das nicht geht. Das Ministerium darf nicht wissen, dass wir am Gesetz vorbei zusammenarbeiten, und die Todesser sowieso nicht. Dass du gegangen bist, war genau richtig.« Sie konnte sich ein Augenrollen nicht verkneifen. »Natürlich weiß ich das alles. Aber ich hätte aus den Schatten helfen können. Vielleicht ein kleiner, heimlicher Zauber zur rechten Zeit –« »Nein.« Mahnend pikste Elphinstone sie mit dem Zeigefinger gegen das Knie, ohne dabei ihre Hand loszulassen, deren Rücken er nach wie vor sanft rieb. »Das Risiko ist es schlicht nicht wert. Außerdem ist nicht alles schief gegangen. Hier steht auch, dass Pippa und ihre Leute den älteren Todesser geschnappt haben. Er ist auf dem Weg in die Zentrale.« Die Luft, die sich in ihren Lungen aufgestaut hatte, entlud sich in einem halb erleichterten, halb überraschten Laut. »Oh ... wenigstens etwas.« »Mhm.« Sie sah zu, wie Elphinstone mit dem Daumen über die magisch leuchtende Kurzbotschaft auf der Rückseite seiner Marke rieb, sodass sie verschwand. »Ich sollte bald los. Pippa hat mich zwar wie versprochen direkt informiert und hält die Sache für mich zurück, aber wenn ich nicht zügig auftauche, um die Akte zu beanspruchen, greift sich nachher vielleicht doch jemand anderes den Verdächtigen. Je schneller die Anklage verfasst wird, desto besser, heißt es schließlich dieser Tage.« »Dann sollte ich wohl zusehen, dass ich die Spur des zweiten Todessers aufnehme. Vielleicht lässt er sich ja an einem anderen von Rosiers Verstecken blicken. Davon wissen die Auroren schließlich nicht ...« Aufbruchbereit drückte Minerva ihre Füße fester gegen den Boden. Doch etwas hielt sie zurück. Elphinstones Hand. Er zog nicht an ihr, es war einfach nur seine bloße Berührung, die sie auf der Bank verweilen ließ. Sie wünschte, es bliebe mehr Zeit, nur eine Minute – Elphinstone hob den Blick von seiner Marke. »Versuch lieber, noch etwas Schlaf zu bekommen. Ich glaube kaum, dass der zweite Mann heute noch irgendwo hingeht. Dafür wird der Schreck über das Auftauchen der Auroren viel zu tief sitzen. Und ich möchte nicht, dass dir ein Fehler passiert, weil du übermüdet bist.« Mit einem schiefen Lächeln drückte er ihre Hand fester, bevor er ein leises »Bitte« hinzufügte. »Elphinstone ...« Sie sah auf ihre verschränkten Finger hinab und presste die Lippen zu einem festen Strich zusammen, um ein nutzloses Seufzen zu unterdrücken. »Du weißt, dass ich es hasse, wenn du mit sowas recht hast?« »Ja, aber das ist es mir wert.« Seufzend tappte sie mit ihrer Schuhspitze auf und ab. »Also dann ...« Aus dem Nichts schwoll ein Kloß in ihrem Hals an. Schon prickelte es am Rande ihres Sichtfelds. Rasch stand sie auf, wobei sie Elphinstone ein wenig zu entschlossen ihre Hand entzog. Sie klang, als hätte sie eine gigantische lila Sumpfkröte verschluckt, sobald sie ihre Stimme wiedergefunden hatte. »Du schreibst mir, wenn du etwas Neues weißt?« Neben ihr stand Elphinstone ebenfalls auf. »Natürlich«, erwiderte er leise. Im Gegensatz zu ihr wurden seine Worte immer sanfter, je näher der Abschied rückte. Oh, wie sie es hasste! Angestrengt starrte Minerva in die Dunkelheit, ihren Zauberstab auf die Büsche gerichtet. Doch natürlich wandte Elphinstone sich nicht einfach ab und ging. Nein, er nahm sich den Mut heraus, ihr eine Haarsträhne hinters Ohr zu streichen und sie die ganze Zeit dabei so ... so ... so anzusehen. »Weißt du wie froh ich bin, dass die Todesser ausgerechnet heute aufgetaucht sind und uns zusammengeführt haben?« Er zupfte an dem lockigen Haar zwischen seinen Fingern und senkte seine Stimme weiter, bis sie weniger als das Wispern der Blätter im Wind war. Minerva wusste bereits, dass er Gälisch mit ihr sprechen würde, bevor er das erste Wort gesagt hatte. »Feuch«, flehte Elphinstone beinahe, »innsidh mi dhut cho mòr ’s a tha gaol agam ort.« Ihr Kinn begann unaufhaltsam zu zittern. »Ich weiß, diese Abschiede machen die Zeit dazwischen nur schwerer«, setzte Elphinstone weiterhin auf Gälisch hinzu, »aber darf es wenigstens heute noch einmal sein? Wenn wir sonst schon nicht feiern können?« Es dauerte. Zumindest ein paar gepresste Atemzüge lang. Dann begriff Minerva, welches Datum sie hatten. Den 14. Februar. Valentinstag. »Eigentlich hast du es doch schon in deiner Frage ausgesprochen«, erwiderte sie ebenso in ihrer zweiten Muttersprache. Ertappt schlich sich das Schmunzeln zurück auf Elphinstones Gesicht. »Schon, aber nicht so, wie ich eigentlich will.« »Phin ...« Die geballte Macht aus all den Wochen ohne ihn überrollte Minerva. So viele Tage, an denen sie sich nach seiner Umarmung verzehrt hatte; so viele Nächte, in denen Tränen ihr in die Augenwinkel gebissen hatten, weil sie in einem kalten Bett eingeschlafen war. Manchmal kam ihr die Distanz zu Elphinstone ärger vor als ihre Trennung von Dougal einst. (Und das Schlimmste: In den finstersten Stunden schlich sich die Frage ein, ob es nicht leichter wäre, diesen einen Tod erneut zu sterben, anstatt jedes Mal hundert kleine Tode zu erleiden, sobald ihre Wege sich trennten.) Doch jetzt verdrängte sie diesen Irrsinn und umfasste Elphinstones warme Wangen mit beiden Händen. Es war ihr egal, dass sie auf offener Fläche standen und sie nach wie vor den Zauberstab umklammerte – sie wollte ihn nur noch küssen. Wenigstens für ein paar Sekunden vergessen, dass die Welt um sie in Kriegsflammen verging ... Nur am Rande bemerkte sie, dass Elphinstone einen schimmernd blauen Protegoschild um sie schuf, während er seinerseits die Arme an ihre Taille legte. »Ich liebe dich so ...«, murmelte er noch, da streiften ihre Lippen längst mit einer Erwiderung über seine und verschluckten all die restlichen Worte, mit denen er ihr sonst sicher seine Gefühle im Detail beschrieben hätte. Sie wusste es auch so. Spürte es. Die Zeit, die für ihren Kuss blieb, war ohnehin viel zu kurz. Minerva kam es wie ein einziges Blinzeln vor, da schwand der Schutzschild schon wieder und Elphinstone trat zurück. Er seufzte schwerer als angesichts des Krieges. »Ich glaube, Pippa hat eine zweite Nachricht geschickt. Ich sollte mich beeilen ...« Sie nickte schon, da sprach er noch. »Viel Erfolg bei der Befragung. Und ... bitte pass auf dich auf.« Lächelnd blinzelte Elphinstone gegen den überquellenden Glanz in seinen Augen an. »Immer. So wie du auch.« Ein letztes Mal beugte er sich vor und drückte ihr einen derart schnellen Kuss auf die Lippen, dass sie ihn kaum schmecken konnte. »Oidhche mhath, a ghràidh.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)