Das Ende von Alaiya ================================================================================ Das Ende -------- Adrians Mutter starb in der Nacht. Es war wohl der Tod, den sie eigentlich verdiente. Ein friedlicher Tod. Schmerzlos. In ihrem Schlaf. Er erfuhr es, als er seinen Eltern Frühstück gegen Mittag brachte. Sein Vater hielt ihren Körper im Arm. Er weinte nicht einmal. Sie hatten alle gewusst, dass dies passieren würde. Es war der Grund, warum sie sie hergebracht hatten – zurück zum Schloss – für ihre letzten Tage. Lisa Tepes war alt geworden. 74 Jahre. Ein langes Leben für einen Menschen. Ein gutes Leben, hatte sie gesagt. Dies war, was sie gewünscht hatte. In Wahrheit wusste Adrian nicht, wie er sich fühlen sollte. Er hatte seine Mutter bereits einmal verloren. Damals an Gewalt und menschliche Grausamkeit. Es war ein seltsames Spiel des Schicksals gewesen, das sie zurückgebracht hatte um das Leben zu leben, das sie verdient hatte. Ein gutes Leben, das sie genutzt hatte, um Menschen zu helfen. Er setzte sich neben seinen Vater und nahm die Hand seiner Mutter, die bereits halt war. Er sah den Schmerz in den Augen seines Vaters – einen Schmerz, den er selbst spürte. Schließlich wartete nur die Ewigkeit auf sie – die Ewigkeit ohne Lisa. „Sie hatte ein gutes Leben,“ sagte Adrian. Und es war die Wahrheit. Sie hatte ein gutes Leben. Besser, als was die meisten Menschen erwarten konnten. Es war früher Nachmittag, als er seinen Vater allein ließ. Bald schon fand er sich in der Küche wieder, saß alleine am Küchentisch. Erst jetzt flossen die Tränen. Sie hatten alle gewusst, dass es passieren würde – aber es war dennoch hart, sie erneut zu verlieren. Am Ende fand er seinen Weg zurück zu seinem Schlafgemach. Er setzte sich auf die Kante des Bettes, das er mit seinen Partnern teilte. Sypha war die erste, die sich bewegte. Sie nahm seine Hand. „Ist sie tot?“, fragte sie und Adrian nickte nur. Zumindest würde er seine eigene Ewigkeit – oder wie lang auch immer sein Leben dauern würde – nicht allein verbringen. Trevor und Sypha… Sie hatten sich beide entschlossen an seiner Seite zu bleiben. Sie beide behielten die Züge, die auf ihre Gesichter vor über 20 Jahren gefroren waren. In diesem Moment konnte er nicht einmal ausdrücken, wie dankbar er dafür war. Sie rückte näher zu ihm, schlag ihre Arme um seine Brust. Erst jetzt wachte auch Trevor aus. „Was ist passiert?” „Lisa ist tot“, erklärte Sypha. „Sie ist letzte Nacht im Schlaf gestorben“, sagte Adrian und verlor erneut den Kampf gegen die Schluchzer. „Es war ein friedlicher Tod.“ Trevor sprach nicht. Er war nie gut mit Worten gewesen. Stattdessen nahm Adrians Hand, hielt sie und ließ ihn weinen. Lisa Tepes, Adrians Mutter, hatte die Entscheidung getroffen zu sterben. Sie hatte nie wie sie sein wollen – unsterblich. Sie hatte gesagt, sie genoss die Sonne zu sehr, aber sie alle hatten gewusst, dass sie Angst hatte, einen Teil ihrer selbst in der Verwandlung zu verlieren. Dracula, nein, Vlad Tepes hatte dies respektiert. Er hatte sie nie verwandelt, hatte ihr stattdessen erlaubt, an seiner Seite alt zu werden. „Wie geht es deinem Vater?“, fragte Sypha. „Ich bin nicht ganz sicher“, erwiderte Adrian. „Ich glaube, er braucht etwas Zeit…“ Dabei war er sich der Ironie bewusst. Einst – vor einem halben Menschenleben – war es der Tod seiner Mutter gewesen, der sie alle zusammengebracht hatte. Es war der Tod seiner Mutter gewesen, der seinen Vater in den Wahnsinn getrieben hatte. Sie hatten ihn getötet – seinen Vater – und jetzt waren sie hier. Jetzt war seine Mutter erneut gestorben. Friedlich in ihrem Schlaf, statt auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden. Vielleicht, ja, vielleicht hatte das Schicksal sie nie gehasst. Es hatte ihnen Zeit gegeben. Ein friedliches Ende und Zeit. Zeit zum Vergeben. Zeit ihren eigenen Pfad zu finden. Es hatte ihnen auch die Gesellschaft der anderen gegeben. *** Es hatte nur 30 Jahre gebraucht, bis das Dort Belmont zu einer kleinen Stadt herangewachsen war. Menschen kamen von weit her aus einer Vielzahl von Gründen. Manche kamen her, weil sie von dem Dorf – der Stadt – gehört hatten. Der Stadt mit magischen Lichtern, die nicht brannten, und warmen Wasser, das aus den Wänden kam. Manche kamen her, weil sie gehört hatten, dass sie hier lernen konnten. Und sie konnten lernen, wurden unterrichtet – in Magie, Wissenschaft und Kampfkunst. Auf eine seltsame Art und Weise war diese kleine Stadt vielleicht die best geschützte in ganz Europa. Sie hatten einen Friedhof. Natürlich hatten sie das. Genau so, wie einen Steinmetz, der sich um den Grabstein kümmern konnte. Ihre kleine Stadt war gut organisiert. Vielleicht war es eine gute Sache. Denn damals, als Adrians Mutter das erste Mal gestorben war, hatte es kein Grab gegeben. Sie war auf dem Scheiterhaufen als Hexe verbrannt worden, ihre Asche verteilt. Dies war ein besseres Ende. Es brachte ihr den Respekt, den sie verdiente. Marie kümmerte sich um das meiste. Sie war bereits über dreißig, war die Mutter von drei Kindern. Bis heute hasste sie es zu reisen, obwohl sie in so vielen anderen Zügen nach ihrer Mutter kam. Sie war gut im Organisieren. Sie war keine gute Lehrerin. Sie war gut darin, sich um Leute zu kümmern. Als sie von Lisas Tod erfuhr, umarmte sie Adrian, ein trauriges Lächeln auf ihren Zügen. „Es tut mir so leid, Papi,“ sagte sie. „Es tut mir wirklich leid.“ Und sie beide wussten, dass sie bereits dasselbe Ende für sich gewählt hatte. Simon und Anna hatten die Wahl nie gehabt. Wie Adrian selbst waren sie als Dhampire geboren worden – halb Vampir, halb Mensch. Sie würden… nun, niemand wusste genau für wie lange leben. Der älteste Dhampir von dem sie wussten, war 430 Jahre alt geworden. Aber ihre Informationen sagten nicht, ob er eines natürlichen Todes gestorben war. Als Marie gezeugt worden war, waren Trevor und Sypha beide noch Menschen. Deswegen war sie das einzige menschliche Kind, das sie hatten. Und wie Lisa es einst getan hatte, hatte sie sich diese Menschlichkeit komplett zu eigen gemacht. Sie organisierte rasch alles, was sie brauchten. Jemand, der sich um die Leiche kümmerte. Einen Sarg. Das Grab. Den Grabstein. Es würde keinen Priester bei der Beerdigung geben, denn es gab keinen Priester in der Stadt Belmont. Die Kirche war dieser Tage schwach – und was von ihr blieb, stellte sicher, keinen Fuß in die Stadt zu setzen, die von Vampiren, Magie und Wissenschaft geprägt war. Adrian würde sich darüber nicht beschweren. Schließlich war es der bigotte Hass der Kirche gewesen, der einst fast das Ende der Menschheit bedeutet hatte. „Glaubst du, sie wird dennoch in die Hölle fahren?“, fragte er seinen Vater. Schließlich war Lisa nach ihrem ersten Tod in der Hölle gelandet. Es war etwas, dass Adrian nie verstanden hatte. War es wegen der Sünde, einen Vampir zu lieben, gewesen? Seine Mutter war immer ein guter Mensch gewesen, soviel war sicher. „Um ehrlich zu sein,“ sagte sein Vater, „ich glaube nicht, dass es etwas anderes gibt.“ „Etwas anderes?“ „Etwas anderes, als die Hölle,“ erklärte sein Vater. „Die wenigsten menschlichen Kulturen haben in Himmel oder Hölle geglaubt, nur in ein Nachleben.“ Er seufzte tief und müde. Es war deutlich, dass er schon lange nicht mehr getrunken hatte. „Ich… Ich war dort. Da sind Dämonen, ja, aber keine ewige Folter, keine Schreie, keine Qual, nur… Leere. Es ist eine große Welt und kaum etwas ist da. Also, ja, vielleicht ist es wirklich das Einzige, was uns nach dem Tod erwartet.“ Adrian dachte darüber nach. Er konnte nicht widersprechen. Schließlich war er selbst nie in der Hölle gewesen. Er war bei seinem Vater aufgewachsen, der schon vor Jahrhunderten den Glauben an einen Gott verloren hatte. Dennoch war Adrian immer davon ausgegangen, dass es Himmel und Hölle gab. Vielleicht lag er falsch. „Was ist?“, fragte Adrian, denn etwas anderes bedrückte seinen Vater. Vlad Tepes seufzte. „Ich denke, ich werde ihr folgen.“ Sprachlos starrte Adrian seinen Vater an. „Was?“ „Ich vertraue mir nicht ohne sie, Adrian.“ Sein Vater schüttelte den Kopf. „Und um ehrlich zu sein… Ich habe lange genug gelebt. Ein halbes Jahrtausend ist genug.“ Ein weiterer Seufzer folgte. „Aber…“ War es nicht ironisch, dass er einst selbst diesen Mann getötet hatte und ihn nun versuchte vom Tod abzuhalten? Die Wahrheit war jedoch, dass ihm kein gutes Argument einfiel. Sein Vater schüttelte den Kopf. „Es ist besser so. Ich will nicht auf einer Erde ohne sie leben.“ Sein Blick war aus dem Fenster gerichtet, hinab auf die Stadt. „Wenn ich ehrlich bin, hatte ich meinen Willen zu leben schon verloren, bevor sie damals zum Schluss gekommen war. Ich war nur zu feige zum Sterben gewesen.“ Er pausierte für einen Moment. „Sie hat mir neuen Willen zu leben gegeben, weißt du?“ Nun drehte er sich zu Adrian um. „Sie hat mir außerdem dich geschenkt.“ Er legte seine Hand auf die Schulter seines Sohnes und schaute ihn voller Stolz an. „Die Jahre mit ihr waren gut. Es war ein gutes Leben. Ich hatte Glück, diese Chance zu haben.“ „Bist du dir sicher?“, fragte Adrian schließlich, obwohl er die Wahrheit bereits ahnte. „Ja.” Sein Vater lächelte. „Ich bin sicher.“ Er zögerte. „Aber vielleicht… Ja, es gibt noch eine Geschichte. Eine Geschichte, die ich deinem Mann erzählen will.“ *** Sypha hatte Recht gehabt – wie auch Lisa. Es war möglich für Vampire ohne Töten zu überleben. Ein Vampir brauchte nicht viel Blut, vielleicht vier Liter im Monat. Es war problemlos möglich, so viel von mehreren Menschen zu nehmen ohne einen einzelnen zu töten. Es gab keinen Grund zu verletzen, solange die Menschen einfach zustimmten. Es war kurz nach Mitternacht, als Trevor und Sypha aus der Stadt zurückkehrten. Trevor hatte trinken müssen und Sypha, nun, Sypha hatte getan, was Sypha am besten tat – Dinge organisiert. Denn in einer Stadt fielen viele Dinge an und Sypha war die beste darin, sich drum zu kümmern. Adrian saß bei seinem Vater in einer der Stuben. Es überraschte ihn noch immer, dass sein Vater so ruhig war. Doch vielleicht hatte er Recht: Er hatte nun mehr als 500 Jahre gelebt und vielleicht, ja, vielleicht hörte man irgendwann auf den Tod zu fürchten. „Wie geht es dir?“, fragte Trevor. Nach über 30 Jahren an der Seite des anderen, war es fast überraschend, dass der Belmont ihn nicht mit einem Fluch oder einer Beleidigung begrüßte. Es war ihr eigener Weg, ihre Liebe zum Ausdruck zu bringen. Adrians Atem war zittrig, als er ausatmete. Er hatte die letzten zwei Stunden damit verbracht, Schach gegen seinen Vater zu spielen – etwas, dass sie in mehr als einem Jahrzehnt nicht getan hatten. „Ja. Mehr oder weniger. Es ist nur…“ Er wusste nicht, wie er es ihnen sagen sollte – nach all dem Scheiß, den sie wegen seinem Vater durchgemacht hatten. „Okay, irgendetwas ist nicht okay. Sag doch.“ Trevor ging zu ihm hinüber, nahm seine Hand. Da war Sorge in seinen Augen. Doch Adrians Vater sprach für sich selbst. „Ich werde sterben.“ Adrians beide Partner starrten ihn an. „Was?“ „Ich werde sterben,“ sagte Vlad Tepes. „Meine Zeit ist um.“ Er lächelte schwach. „Ich will nicht in einer Welt ohne sie leben… Daher denke ich… Ich werde die Sonne aufgehen sehen.“ Trevor schaute Adrian fragend an, doch es gab nicht viel, das Adrian sagen konnte. Dagegen verstand Sypha. Sie lächelte und ging zu dem Mann hinüber, den sie einst getötet hatten. „Ich hoffe, dass du Frieden findest.“ Er nickte. „Das hoffe ich auch.“ „Und was ist verfickt noch mal wenn wieder jemand versucht dich zurückzuholen?“, fragte Trevor. Eine berechtigte Frage, wenn man bedachte, wie häufig es passiert war. Vlad zuckte mit den Schultern. „Dann holen sie nichts, als einen gebrochenen alten Mann zurück.“ Er sah Trevor in die Augen. „All der Schmerz, den ich bereitet habe, tut mir leid. Das weißt du.“ Trevor grunzte. Selbst nach den vergangenen 20 Jahren würde er nie das Monster vergessen, dass Dracula gewesen war. Wenn man die vielen Leben bedachte, die sein Vater ausgelöscht hatte, so musste Adrian zugeben, dass er diese Vergebung nicht verdiente. „Ich wollte tatsächlich mit dir reden, Trevor,“ sagte Vlad. „Denn ich habe das Gefühl, es gibt noch eine Geschichte, die du verdienst.“ „Eine Geschichte?“ Sypha horchte auf. Es lag schließlich in ihrer Natur Geschichten zu sammeln. „Ja, eine Geschichte.“ Adrians Vater seufzte. „Wow. Ich kann’s nicht erwarten,“ murmelte Trevor sarkastisch, bevor er sich auf das Sofa setzte. Sypha ging zu Adrian hinüber, setzte sich auf seinen Schoß, während er seine Arme um sie legte. Es war gut, ihre Nähe zu fühlen. „Es geht um deinen Vorfahren,“ sagte Vlad, „Leon Belmont.“ „Du hast ihn getötet!“ Trevor schaute ihn wütend an. Adrian Vater nickte. „Das habe ich. Aber… Er war einst mein Freund.“ „Ist klar.“ „Er war es wirklich. Damals, als ich selbst noch ein Mensch war. Denn ich war einmal ein Mensch.“ Natürlich war er das gewesen. Beinahe alle Vampire waren einst menschlich gewesen. Die Geburt von vollblütigen Vampiren war noch seltener als die von Halbvampiren, da die wenigsten Vampirfrauen gebärfähig waren. Doch selbst Adrian fiel es schwer sich seinen Vater als Menschen vorzustellen. Selbst wenn er einmal einer gewesen war – diese Zeit war lange schon vergangen. Leon Belmont… Er kannte den Mann von den Gemälden im Belmont Hold. Nun, von der Zeit könnte es hinkommen. Leon hatte vor etwa 500 Jahren gelebt. „Ihr Kinder seid weiser, als ich es einst war,“ sagte Vlad. Kinder klang falsch, schließlich hatten auch sie mittlerweile mehr als ein halbes Jahrhundert gelebt. Doch Adrian nahm an das aus der Sicht seines Vaters, sie wirklich kaum mehr als Kinder waren. „Leon und ich, wir lebten damals in Frankreich. Wir arbeiteten für die Kirche, machten dieselbe Arbeit, die die Belmonts für Jahrhunderte machen würden. Wir jagten Monster, töteten Dämonen. Auch Vampire. Ich… Ich hatte ein menschliches Leben. Eine menschliche Frau. Sogar ein Kind.“ Vlad machte eine Pause. „Meine Frau damals… Sie war immer schon sehr kränklich. Vielleicht hätte ich es kommen sehen sollen. Sie starb. Früh. Und kurz nach ihr unsere Tochter. Sie war nur drei Jahre alt geworden.“ „Das mag ja alles traurig sein, aber ich kapier‘ nicht…“ „Trevor,“ zischte Sypha und warf ihm einen wütenden Blick zu. „Lass den Mann reden.“ Trevor verdrehte die Augen, doch hielt vorerst den Mund. „Ich war wütend,“ fuhr Vlad fort. „Wütend auf die Welt und auf Gott. Hätte ich die Möglichkeit gehabt, ich hätte Gott getötet. Leon versuchte mich zu trösten, doch er machte mich nur wütender. Er wollte einen Sinn in all dem Leid finden.“ Eine weitere Pause. „Die Kirche schickte uns einen anderen Vampir zu töten. Dieser Vampir hatte einige Frauen entführt, wollte ihr Blut um sich daran zu stärken. Und ich… Ich war ein wütender Mann und dachte, auf diese Art könnte ich mich an Gott rächen. Ich ließ den Vampir mich verwandeln – nur um ihn dann zu töten und sein Ritual selbst zu Ende zu bringen. Es machte mich stärker als die meisten Vampire zuvor. Und Leon… Leon konnte nicht glauben, was aus mir geworden war. Er versuchte mich zu töten – und ich hasste ihn dafür. Er konnte einfach nicht sehen, wie ungerecht der Gott, den wir gedient hatten, geworden war.“ Nun schüttelte Dracula den Kopf. „Ich war ein Torr. Ich wurde, was ich bin, um Gott eins auszuwischen.“ Er sah zu Trevor, zu Sypha. „Ihr Kinder seid weiser, als ich es war. Ihr seid aus Liebe so geworden, nicht aus Hass.“ Er seufzte. „Vielleicht werdet ihr nie so werden, wie ich es war.“ Trevor warf Sypha einen irritierten Blick zu, doch sie zuckte bloß mit den Schultern. Als sein Blick auf den von Adrian traf, tat dieser dasselbe, obwohl er seinen Vater durchaus verstand. Vielleicht war es wirklich selten. In den letzten dreißig Jahren hatten sie mit vielen Vampiren gesprochen – und häufig genug waren ihre Geschichten traurige gewesen. So viele von ihnen hatten ihr untotes Leben nicht selbst gewählt, sondern gewaltsam verwandelt worden. Andere hatten sich aus Angst vor dem Tod dafür entschieden. Einige waren auch wie sein Vater gewesen, hatten versucht auf diese Art Rache an der Welt zu nehmen. Derweil hatte sich Trevor hierfür entschieden, um an seiner – an Adrians – Seite zu bleiben. Er hatte sich selbst dazu entschieden und er hatte es aus Liebe getan. Selbiges galt für Sypha. Vielleicht reichte dies allein, um ihre Unsterblichkeit erträglicher zu machen. „Was ist am Ende aus Leon geworden?“, fragte Trevor. Vlad zuckte mit den Schultern. „Ich habe das Land verlassen und angefangen zu reisen, habe auf dem Weg verschiedene Arten der Magie gelernt. Er ist mir gefolgt, hat versucht mich zu jagen. Als ich in diese Lande gekommen bin, hat auch er sich hier niedergelassen. Wir haben mehrfach gegeneinander gekämpft. Am Ende habe ich ihn getötet.“ Er schaute zu Trevor. „Leon war bereits alt zu diesem Zeitpunkt. Über 50. Sein erster Enkel war bereits geboren. Nicht dass es mein Handeln entschuldigt, aber… Seine Familie lebte fort.“ „Offensichtlich,“ murmelte Trevor. Denn schließlich waren sie hier. *** Adrian schluckte, als die erste Morgenröte am Horizont zu sehen war. Er respektierte die Wünsche seines Vaters und ein Teil von ihm stimmte sogar zu. Er hatte seinen Vater nun sein ganzes Leben gekannt – logischerweise – und hatte ihn so viele Geschichten aus seiner Vergangenheit erzählen hören, hatte andere Vampire ebenso davon erzählen lassen. Selbst nach all den Jahren wusste er nicht ganz, was genau es an seiner Mutter gewesen war, das diesen Mann verändert hatte. Auf eigene Art und Weise erschien es wie ein Wunder. Und aus all dem Leid und der Zerstörung war doch etwas Gutes gekommen. Sein Vater sah die Sonne ebenfalls aufgehen. Er seufzte und stand auf. „Ich denke, es ist an der Zeit.“ Auch ohne das Adrian was sagte, nahm Sypha seine Hand. Sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln – denn es gab wenig mehr, das sie tun konnte. Sie sprachen nicht mehr, doch sie begleiteten Vlad Tepes die Treppe hoch in den Turm. Es erschien wie eine Seltsame Art, diese Geschichte zu beenden. Ein seltsames Ende. Sie drei waren dort gewesen, als Dracula das erste Mal gestorben war. Es erschien nur richtig, dass sie es auch nun sein würden. „Wenn er das nur das erste Mal getan hätte“, murmelte Trevor, wohl wissend, dass sie ihn alle hören konnten. Unrecht hatte er nicht. Selbst wenn es falsch erschien, hatte er Recht. Wenn Adrians Vater das erste Mal zu dieser Entscheidung gekommen wäre, als Lisa vor 32 Jahren gestorben war, hätte so viel Leid verhindert werden können. Doch sie drei hätten sich nie getroffen. Ein egoistischer Gedanke. Ihr Glück konnte niemals die vielen Leben aufwiegen, die damals ausgelöscht worden waren. So endlos viele Leben. Und dennoch war Adrian sich nicht sicher, was aus ihm geworden wäre, hätte sein Vater sich so entschieden. Er hätte um ihn und seine Mutter getrauert – und dann? Wahrscheinlich wäre er es gewesen, der wahnsinnig geworden wäre. Er war in dieser Art wie sein Vater. Er war nicht gut darin, allein zu sein. Die Türme des Schlosses waren bereits in oranges Licht getaucht, selbst wenn die Sonne noch nicht ganz über die Berge hinaus gestiegen war. Es war ein friedlicher Herbsttag. Der Wald in der Tiefe war von roten und orangen Blättern bedeckt. Sie hielten bei der Brücke an, die nach außen führte. Vlad Trepes atmete tief ein und schaute sie an. Dann, vielleicht einem Instinkt folgend, nahm er Adrian in den Arm. „Deine Mutter war stolz auf dich, das weißt du, ja?“ „Ich weiß.“ „Du hast getan, was ich nicht konnte. Und ich… Ich bin ebenso stolz auf dich.“ Er ließ ihn los, um ihn anzusehen. „Es tut mir leid, dass ich dir dein Leben so schwer gemacht habe, aber ich hoffe… Ich hoffe, du wirst ein gutes Leben haben.“ Nun sah er zu Trevor und Sypha. „Auch ihr.“ „Bist du dir sicher, dass du das hier machen willst?“, fragte Adrian. Sein Vater nickte. „Deine Mutter verdient es nicht an diesem Ort allein zu sein.“ Er schaute nach draußen und zog die Luft ein. „Es ist das richtige.“ „Mach es gut“, flüsterte Adrian, auch wenn er sich nicht sicher war, ob dies nach dem Tod überhaupt möglich war. „Ich werde es versuchen.“ Ein leicht sarkastisches Lächeln zeigte sich auf den Zügen seines Vaters. Und als ob dies alles war, was es zu sagen war, wandte er sich ab und ging hinaus, gerade als die ersten Strahlen der Sonne das Schloss trafen. Es war seltsam friedlich, stellte Adrian fest, als erneut Tränen seine Augen füllten. Der Körper seines Vaters ging in Flammen auf und verschwand – aufgelöst in Asche. Asche, die der Wind schnell forttrug. Es dauerte weniger, als eine Minute. Als Adrian endlich die Augen abwandte und sich umdrehte, zog Trevor ihn zu sich. Er mochte nicht der beste darin sein, die richtigen Worte zu finden – und würde wohl nie um Dracula trauern – doch er wusste, was Adrian in diesem Moment brauchte. Nun, sie hatten auch 30 Jahre an der Seite des anderen verbracht. *** Die Beerdigung seiner Mutter fand drei Tage nach ihrem Tod statt. Simon und Anna waren ebenfalls da, gerade noch rechtzeitig von ihrer Reise zurückgekehrt. Die Beerdigung fand kurz nach Sonnenuntergang statt, um Trevor und Sypha die Teilnahme zu ermöglichen. Es war eine ruhige Beerdigung. Adrian weinte. Er wusste, dass es die Entscheidung seiner Mutter gewesen war, nur ein sterbliches Leben zu leben, auf diese Art zu sterben, doch es änderte nichts daran, wie schmerzlich er sie vermissen würde. Wie er auch seinen Vater vermissen würde. „Bunic hätte zumindest auf uns warten können“, murmelte Simon, als nur noch die Familie am Grab verblieb. Er schaute auf den bereits fertigen Grabstein. „Ich hätte mich gerne verabschiedet.“ Sein Haar war blond und leicht lockig, so wie Adrians. Er hatte sich angewöhnt es zu einem Zopf zu binden. Ironischerweise mochte er von den Kindern das Belmonttypischste sein – obwohl in seinen Adern kein Belmontblut floss. „Ich weiß“, sagte Adrian. „Aber ich glaube, seine Zeit war gekommen.“ Er hielt seinen Sohn in den Armen. Seinen Sohn, der genau wie er schon lange aufgehört hatte zu Altern. „Aber er wünscht dir das beste.“ Simon seufzte. „Ich weiß…“ Von allen Kindern hatte er das engste Verhältnis zu seinem Großvater gehabt, der für ihn vor allem der seltsame Mann, der am Meer lebte, gewesen war, und ihm beigebracht hatte so viele Dinge zu tun. Simon hatte vier Jahre bei seinen Großeltern in England verbracht. „Ich bin mir sicher, dass wir sie eines Tages wiedersehen“, sagte Marie, die ihr jüngstes Kind – die fünf Monate alte Rahel – in den Armen hielt. „Wir werden auch eines Tages sterben.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Das ist verflucht düster“, murmelte Trevor. „Nun, ist doch die Wahrheit, oder?“, erwiderte seine Tochter. „Für euch wird’s vielleicht ein wenig länger dauern, aber irgendwann sterbt auch ihr.“ Das Kind in ihren Armen machte einige Geräusche im Schlaf und sie seufzte. „Kein Leben ist ewig – und ich denke, das ist eine gute Sache.“ Adrian drehte sich um und schaute auf das Grab. Die Namen seiner beiden Eltern waren auf den Stein gemeißelt. Vlad und Lisa Tepes. Marie hatte wahrscheinlich recht. Selbst sie würden nicht für immer leben. Um ehrlich zu sein wollte er das auch nicht. Bis heute war er sich nicht sicher, wie lange er leben würde, doch er wusste eins: Würde es wirklich ewig sein, so würde er eines Tages dieselbe Entscheidung wie sein Vater treffen. „Willst du noch etwas bleiben?“, fragte Sypha und nahm seine Hand. Adrian wischte die Tränen weg. Der Friedhof gehörte zur Stadt, war nahe beim Schloss. Er konnte jeder Zeit zurückkehren. Daher schüttelte er den Kopf. „Lasst uns reingehen“, sagte er. „Ich werde uns etwas kochen.“ „Abendessen klingt nach einer guten Idee“, sagte Anna und drehte sich selbst ein letztes Mal zum Grab zu. Ihr Bruder stimmte zu. „Ich bin verdammt noch mal halb verhungert, wisst ihr das?“ Irgendetwas an seinen Worten brachte Adrian zum Lachen. Letzten Endes bestand kein Zweifel daran, dass diese Kinder Belmonts waren. „Ich schau, was ich euch machen kann”, sagte er und schlug den Weg zum Schloss ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)