Aoi von QueenLuna (Und die Kunst des Glücklichseins.) ================================================================================ Kapitel 2: 2 ------------ Kapitel 2 Vergangenheit 3 Jahre zuvor Die schwere Stahltür fiel gut vernehmlich ins Schloss, sperrte damit die Welt, das Schreien der Fans und jegliche anderen Geräusche aus. Schwer atmend lehnte ich mich gegen sie, spürte immer noch das Adrenalin durch meine Adern rauschen, das wohlbekannte Zittern, das mich bei jedem Konzert ergriff und mich in Hochstimmung versetzte. Wir hatten die Bühne gerockt. Ich bekam das Grinsen, das sich seit einer geraumen Weile auf meinen Lippen hielt, kaum in den Griff. Es war geil gewesen, einfach toll. Und einmal mehr wusste ich, dass ich das immer und immer wieder in dieser Form erleben wollte. Und überhaupt… Was konnte es besseres geben, als all diese begeisterten Gesichter zu sehen, sich feiern zu lassen und dabei die aufregendste Zeit mit den Menschen, mit denen ich beinahe mein gesamtes Leben teilte, zu erleben? Nichts. „Uruha, kommst du?“ Kais zerzauster Kopf erschien im Durchgang zwei Türen weiter und grinste mich breit an. „Ja, ich komme gleich.“ Schon war er wieder verschwunden, im Hintergrund hörte ich Reita lachen. Tief einatmend löste ich mich langsam von dem kühlen Metall in meinem Rücken. Meine Beine fühlten sich seltsam wackelig an, während ich auf unseren Vorbereitungsraum zusteuerte. Wir mussten nachher unbedingt zusammen etwas trinken gehen, das hatten wir uns nach dem Abend verdient. Irgendwie würde ich die anderen schon davon überzeugen. Fürs Hotelzimmer war ich im Moment zu aufgekratzt, ich wollte die noch junge Nacht genießen und das nicht alleine. Im Zweifelsfall war ich auch mit der Bar im Hotel zufrieden, die hatte eine wunderbar umfangreiche Getränkekarte. Dann wäre der Weg auch nicht so weit. Und wir – „Warte.“ Warme Finger schlossen sich urplötzlich um mein Handgelenk und ehe ich mich versah, wurde ich durch eine unscheinbare Tür gezogen, die direkt hinter mir mit einem gedämpften Knall ins Schloss fiel. Nur ein schwacher Lichtschein drang durch das Fenster herein und tauchte den Raum in gedämpftes Licht. Was –? Überrumpelt spürte ich, wie ich gegen die Wand gedrückt wurde, der grobe Putz kratzte rau über die bloße Haut meiner Schultern. Ein warmer, mir allzu vertrauter Körper drängte sich gegen meinen und nahm mir jegliche Möglichkeit zur Flucht. Mein Herz machte einen aufgeregten Sprung, in meinem Bauch kribbelte es, als weiche Lippen meine verschlossen und mir den Atem raubten. Das Zittern in meinem Innern, das gerade erst ein wenig abgeklungen war, verstärkte sich augenblicklich erneut. Gierig zog ich ihn noch enger an mich heran. Vorwitzige Hände zerrten an meinem Oberteil, suchten ungeduldig einen Weg darunter. Ich konnte ein lautes Keuchen nicht unterdrücken, als sie auf meiner nackten Haut auf Wanderschaft gingen und dabei eine aufregend prickelnde Spur mit sich zogen. Oh… Dieser verführerische Mund wusste genau, wie er mich systematisch um den Verstand bringen konnte. Hatte ich vorhin behauptet, dass ich mich etwas wackelig auf den Beinen fühlte, nun bestanden sie definitiv aus Wackelpudding. Sehnsüchtig klammerte ich mich an den anderen Körper, bahnte mir ebenfalls einen Weg unter die leicht feuchte Kleidung. Es machte mich an und ließ alle überflüssigen Gedanken in meinem Kopf verstummen. Ich wollte ihn spüren. Seine Haut, die Wärme, seine Nähe. Alles. Schließlich mussten wir uns voneinander lösen. Schwer atmend standen wir da, die Lust deutlich ins Gesicht geschrieben. Einige Strähnen seines dunklen Haares klebten ihm in der Stirn und ich gab dem Impuls nach und strich sie zur Seite. Sein typisches Lächeln zierten die vollen Lippen, ehe sie meinen Mund ein weiteres Mal für sich eroberten. Wenn er so weitermachte, würde das mit dem Trinkengehen definitiv ausfallen. Nicht, dass ich etwas dagegen hatte. Er schaffte es immer, mich völlig aus dem Konzept zu bringen und ich genoss es. Mehr als das. Doch plötzlich verschwand er und mit ihm alle Berührungen. Irritiert blinzelnd öffnete ich die Augen, brauchte einige Sekunden, um mich zu erholen. Wieso –? Fragend hauchte ich seinen Namen, mehr bekam ich gerade nicht zustande. Er stand wenige Schritte von mir entfernt und betrachtete mich mit einem Blick, der mir einen Schauer über den Rücken jagte und mein Herz höher schlagen ließ. Gleich darauf war seinen Lippen wieder auf meinen. Er konnte ebenso wenig genug von mir bekommen, wie ich von ihm. „In einer Stunde“, raunte er zwischen den Küssen, ehe er sich vollends von mir löste und einen Schritt zurücktrat. „Mein Zimmer. Lass mich nicht warten.“ Dann ging er. Die Tür fiel mit einem Klicken zu und ließ mich allein und aufgewühlt zurück. * Weniger als zwei Jahre zuvor Mit einem dumpfen Laut landete eine weitere große Platte voller Kuchen und Gebäck in der Mitte des Tisches. Wer, bitte schön, sollte das alles essen? „Möchtet ihr noch etwas?“ Ich war mir sicher, dass die Frage nur rein pro forma gestellt wurde, denn ihr erwartungsvoller Blick ließ keinen Rückzieher zu. „Gerne, Shiroyama-San“, erklang es leise aus vier Mündern. Mein Blick suchte Aoi, der mit einem schmalen Lächeln seine Mutter beobachtete, wie sie uns die Teller erneut volllud. Man könnte meinen, sie hätte Angst, wir würden augenblicklich verhungern, sobald wir heimfuhren. Nicht, dass wir uns wirklich darüber beschweren würden, denn ihr Kuchen war immer lecker, und wer konnte der kleinen Frau, die jedes Mal, wenn die komplette Band zu Besuch kam, aufgeregt durchs Haus wuselte und uns bemutterte, schon etwas abschlagen. Vermutlich würde sie uns den restlichen Kuchen einpacken und mitgeben. Es war eines dieser Wochenenden, an denen wir uns von den Bandaktivitäten eine kleine Auszeit gönnten und was bot sich dabei besser an als Aois Elternhaus? Er war unweit des Meeres aufgewachsen und wenn in der Nacht beinahe alle Geräusche der Stadt erstarben, konnte man das Rauschen sogar bis hierher hören. Mittlerweile hatte es sich zu einer kleinen Tradition entwickelt, aller paar Monate ein Wochenende in Mie zu verbringen. Für Aoi hatte es noch den netten Nebeneffekt, dass er diese Tage auch gleich mit den obligatorischen Familienbesuchen verbinden konnte und wir störten dabei wenig, denn seine Mutter hatte uns faktisch vom ersten Tag an adoptiert. Also ein perfekter Ort zum Entspannen und da das Haus auch sehr groß war, traten wir uns nicht gegenseitig auf die Füße, wie es in meinem Elternhaus passiert wäre. „Ach, ich muss euch die Tage noch ein paar Bilder zeigen“, plauderte Shiroyama-San vergnügt, während wir uns stillschweigend die bestimmt schon vierte Portion Kuchen rein zwängten. Ich würde mich nächste Woche auf Diät setzen müssen, wenn das das Wochenende über so weiterging. Sonst passte ich definitiv nicht mehr in meine Bühnenoutfits. „Deine Schwester war letztens zu Besuch. Sie lässt dich grüßen“, fuhr sie an Aoi gewandt fort, der bedächtig nickte. „Du kannst ja auch mal herkommen, wenn sie da ist. Sie wollte nächste Woche nochmal vorbeischauen. Und Tomo vermutlich auch. Ihr habt euch ewig nicht mehr gesehen.“ Es war deutlich zu erkennen, dass Aoi sich um eine Antwort wand. Alle saßen mit interessiert gespitzten Ohren da, während er nach den passenden Worten suchte und seine Mutter fröhlich weiterredete. Nicht, weil es ein besonders brisantes Thema war, sondern vielmehr, weil es immer wieder interessant war, zu beobachten, wie sich Aoi innerhalb seiner Familie verhielt. Auf der Bühne gab er den heißen Verführer, den nichts aus der Ruhe brachte. Auch hinter den Kulissen schien er stets alles im Auge zu behalten, die Kontrolle zu haben und war selten um eine Antwort verlegen. Um so anders, im Beisein seiner Mutter. Er liebte seine Familie, das wusste ich, und das war auch unübersehbar. Allerdings hatte seine Mutter ein sehr vereinnahmendes Wesen und für sie war es schwer nachzuvollziehen, warum ihr Sohnemann nicht aller zwei Wochen hier auftauchte, wie sie es gern gehabt hätte. Ich wollte mir auch gar nicht vorstellen, wie es hier zuging, wenn alle Geschwister aufeinander trafen. Nichts mit Ruhe und Entspannung. Das wurde selbst einem Aoi zu viel. Nur das jedes Mal erneut seiner Mutter begreiflich zu machen, kam einer Gratwanderung gleich. Ich sah, wie Aoi etwas unruhig auf dem Stuhl hin und her rutschte und konnte mir nur mit Mühe ein Schmunzeln verkneifen. Es war untypisch für ihn und ein bisschen tat es mir auch leid, ihn so in Bedrängnis zu sehen. Sein Blick huschte schnell über uns, blieb schlussendlich an mir hängen, ohne dass seine Mutter etwas davon mitbekam, da sie gerade für Kaffeenachschub in den Tassen sorgte. Mein Herz machte einen kurzen Stolperer, so Hilfe suchend sah er mich an. Ein mitfühlendes Lächeln schlich auf meine Lippen, während ich seinen Blick erwiderte. Schließlich war er es, der wegsah und lautlos seufzte, ehe er sich an seine Mutter wandte. „Ich sehe, was ich tun kann.“ * Keuchend schnappte ich nach Luft, als die weichen Lippen meinen Hals entlang wanderten und leicht hineinbissen. „Aoi…“ „Leise.“ Fest verschloss Aoi meinen Mund mit seinem, raubte mir den Atem und die Stimme. Nur beiläufig registrierte ich, wie sich flinke Hände unter mein Shirt stahlen und verführerisch über meinen flachen Bauch strichen. Eine Gänsehaut folgte ihnen. Gott, wenn er so weitermachte, würde das nichts mehr werden mit dem ‚Leise‘. Die Anderen saßen nur zwei Zimmer weiter und die Wände des alten Hauses waren verdammt dünn. „Ich will nicht ständig hier aufkreuzen müssen“, murmelte er gegen meine Lippen, nur um sich gleich darauf einen weiteren Kuss zu rauben. „Ich halte diese ständigen Fragen nicht mehr aus.“ Obwohl seine Worte hart klangen, wusste ich wie sehr er seine Familie liebte. Aber ich konnte ihn verstehen. Andächtig und mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen löste ich mich minimal von ihm und fuhr ich mit den Fingerspitzen am Rand seines Hosenbundes entlang, ehe sie sich unter den Stoff mogelten. Das tiefe Seufzen, das über Aois Lippen kam, ließ meine Mundwinkel zufrieden zucken. Ich musste ihn einfach spüren. Er sah so heiß aus, wie er mit halb geschlossenen Augen vor mir stand, dabei diese leichte Falte zwischen den Brauen, während er meine Berührungen genoss. Oh Mann, ich hatte mich doch eigentlich nur kurz vor dem Abendessen umziehen wollen. Dass mir Aoi ins Gästezimmer folgen würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Doch nun, wer war ich, um mich solch einer Gelegenheit entziehen zu wollen. „Dann lass es doch einfach.“ Flatternd öffneten sich seine Augen. Für einen Moment war ich mir nicht ganz sicher, ob er mich verstanden hatte, denn sein Blick war herrlich verklärt. Doch schon Sekunden später pressten sich seine Lippen erneut auf meine, der Griff um meine Hüfte wurde fester, als er mich an sich zog. Ich kam einfach nicht gegen ihn an. Seine Küsse waren wie Naturgewalten, ihnen konnte ich mich nicht entziehen – auch nach über anderthalb Jahren nicht. „Ich kann nicht. Du kennst doch meine Mutter.“ Mit Mühe verbiss ich mir ein Seufzen, als seine Lippen meinen Hals für sich eroberten und schließlich unterhalb meines Ohres zum Stillstand kamen. Ein Schauer rann mir über den Rücken, als Aoi gegen meine erhitzte Haut raunte: „Es ist immer so schwer, ihr etwas abzuschlagen.“ „Uns… fällt sicher etwas ein, um dich zu retten… hng.“ Aois leises Lachen ließ meine Puls in neue Höhen schießen. „Sht. Nicht, dass die anderen uns hören.“ Sein Blick war absolut berechnend, während er beobachte, wie ich mich unter seinen vorwitzigen Fingern wand, die gerade so aufreizend über meine nackte Haut strichen und es mir schwer machten, seinen Worten Folge zu leisten. Manchmal wurde ich das Gefühl nicht los, dass er mich absichtlich in solche Situationen manövrierte, in denen unser Spiel jederzeit entdeckt werden konnte – einfach nur um zu sehen, wann ich nicht mehr konnte und aufgab. Ab wann es mir egal wurde, ob plötzlich jemand in der Tür stand oder uns hörte. Er machte mich fertig. Kurz hielten die Finger inne, ich spürte seine weichen Lippen an meinem Ohrläppchen. „Wir könnten heute Nacht übrigens auch baden gehen. Da haben wir Ruhe.“ Allein die Vorstellung nachts mit Aoi im Meer zu schwimmen – oder was auch immer zu tun – machte mich noch heißer auf diesen Mann, der sich gerade so ungeniert an mich presste. Ich konnte sein Grinsen auf meiner Haut spüren. Schwer atmend schloss ich die Augen und gab auf. * Das leichte Beben in meinem Inneren wollte einfach nicht nachlassen. Genauso vehement hielt sich das verklärte Lächeln auf meinen Lippen, während ich nicht verhindern konnte, dass mein Blick immer wieder zu Aoi huschte. Im Gegensatz zu mir sah er beinahe ausgeschlafen aus. Nur der Hauch eines Schattens unter seinen Augen deutete darauf hin, dass die Nacht für uns beide doch ziemlich kurz gewesen war. Und das kleine Gähnen, das er hinter seiner Hand zu verstecken suchte, damit seine Mutter nichts davon mitbekam. Mir wurde augenblicklich warm, als ich erneut an die letzten Stunden zurückdachte. Ob ich das Grinsen heute überhaupt noch aus meinem Gesicht verbannen konnte? Neben mir schnaufte es vernehmlich und riss mich damit aus meiner anscheinend offensichtlichen Betrachtung. „Du kannst echt anstrengend sein, wenn du so bist.“ Reitas Murmeln war so leise, dass ich mir nicht sicher war, ob ihn richtig verstanden hatte. „Wie?“ „Nichts, nichts.“ Irritiert blickte ich zu ihm, während die anderen mehr oder weniger aufmerksam Shiroyama-Sans Familiengeschichten folgten, die sie mit zahlreichen Erinnerungsfotos untermalte. Ich beugte mich etwas näher zu ihm. „Was meinst du?“ Er antwortete nicht, doch der Blick, den er mir aus den Augenwinkeln zuwarf, war vielsagend. „Ihr wart übrigens ganz schön spät zurück.“ Machte er sich gerade lustig über mich oder wollte er mich für meine Unvernunft rügen? Manchmal verfluchte ich die Tatsache, dass wir uns schon so lange kannten, denn irgendwie schaffte ich es nie, ihm etwas zu verheimlichen. Ich spürte, wie meine Wangen rot wurden, denn die Bilder der letzten Nacht waren immer noch so klar vor meinen Augen, dass ich sie für einen kurzen Moment schließen musste, um mich nicht völlig zu verraten. Wie viel Ruki und Kai von dem, was zwischen Aoi und mir vor sich ging, mitbekamen, wusste ich nicht. Darüber gesprochen hatte ich bisher nur mit Reita und das reichte auch. Ich wollte es nicht unnötig kompliziert machen, indem ich mich erklären musste. Dass Reita es wusste, war schon anstrengend genug, denn der Kerl hatte einfach eine viel zu gute Beobachtungsgabe. Verlegen griff ich nach meiner Tasse, nur um gleich darauf den Mund angewidert zu verziehen. Der Kaffee war kalt. „Uruha, möchtest du noch einen?“ Mein Herz machte unwillkürlich einen Sprung, als ich mir Aois Aufmerksamkeit bewusst wurde. Fragend sah er mich über den Tisch hinweg an. Wie automatisiert nickte ich, konnte meinen Blick nicht von diesen dunklen Augen losreißen. Erst als er aufstand, um seinen gastgeberischen Fähigkeiten nachzukommen, erwachte ich aus meinem Starren. Ich stand heute definitiv neben mir. War es die Müdigkeit? Mein leerer Magen, der trotz allem das angebotene Frühstück verweigert hatte, auf das sich die anderen so bereitwillig gestürzt hatten? Oder doch das wohlige Gefühl in mir, das seit gestern Abend einfach nicht weichen wollte? Reitas erneutes Schnauben war bei meinen Überlegungen leider nicht hilfreich. „Und hier waren Yumi und ihr Mann letztes Jahr mit der Kleinen im Disneyland. Ist sie nicht süß? Und sie ist in den vergangenen Monaten so sehr gewachsen.“ Zustimmendes Gemurmel erklang, als Shiroyama-San stolz lächelnd das Foto herumzeigte. „Nächstes Mal nehmen sie mich mit, dann hab ich noch mehr von meiner Enkelin. Und wenn Yuu dann mal Kinder hat, können wir ja alle zusammen zum Vergnügungspark. Das wird schön.“ Mit einem Mal herrschte betretenes Schweigen im Raum, nur unterbrochen von den zischenden Geräuschen der Kaffeemaschine aus der angrenzenden Küche. Mit erhobener Augenbraue ließ Reita das Foto, das er gerade in den Händen hielt, sinken. „Aoi und Kinder? Das wäre ja mal was Neues.“ Reita und seine vorlaute Klappe. Allerdings sprach er genau das aus, was ich dachte. Ich wusste nicht, ob wir gerade der armen Frau das Herz brachen, aber Aoi hatte in all den Jahren nie etwas in diese Richtung verlauten lassen und auch wirkliches Interesse gezeigt. Irgendwie hatte es bei keinem von uns jemals zu Debatte gestanden, außer bei Kai vielleicht. Generell waren wir viel zu sehr mit unserem Job verwachsen und überhaupt – Shiroyama-Sans Blick wirkte etwas irritiert, als sie in die Runde sah. „Hat Yuu euch das nicht erzählt?“ „Was habe ich euch nicht erzählt?“ Da stand er mit meiner dampfenden Tasse in der Hand im Türrahmen und blickte fragend von einem zum anderen. „Na, dass du schon immer heiraten wolltest, bevor du vierzig wirst und am liebsten einen Sohn hättest. Oder zwei. Ich finde die Vorstellung ja ganz entzückend und –“ Sie redete weiter, doch ich bekam nichts mehr mit. Reitas Bemerkungen, das gedämpfte Kichern der anderen verwischten zu einem undeutlichen Rauschen in meinen Ohren. Ich konnte nur auf Aoi starren, der stirnrunzelnd mit seiner Mutter sprach und leicht nickte. Nur undeutlich sah ich, wie sich seine Lippen bewegten, verstand dennoch seine Worte nicht. War das ein Scherz? Warum sagte er so etwas? In meinem Kopf herrschte Stillstand. Aoi wollte heiraten? Und Kinder? Wieso wusste ich davon nichts? Mein Herz zog sich zusammen. Was, wenn es stimmte und nicht nur die Wunschvorstellung Shiroyama-Sans war? War ich dann nicht … im Weg? * Schweißgebadet und mit klopfendem Herzen schreckte ich auf. Einen Moment lang lag ich orientierungslos im Bett und starrte in die Dunkelheit. Es musste noch mitten in der Nacht sein, kein Lichtschein drang von außen hinein. Es dauerte einige Minuten, ehe ich endlich in der Lage war, schwer atmend nach dem Handy zu tasten, das irgendwo neben mir auf dem Nachtisch lag. 3.36Uhr. Mit einem verzweifelten Stöhnen ließ ich mich zurück in die Kissen fallen und raufte mir die Haare. Das gab‘s doch nicht. Das war inzwischen die dritte Nacht in Folge, in der mich wirre Träume heimsuchten und mich aus dem Schlaf rissen. Ich kam einfach nicht zur Ruhe. Weder tagsüber noch nachts. Sobald ich meine Augen schloss, waren sie da – diese Erinnerungsfetzen an die Zeit mit Aoi, in der sich alles so leicht und unbeschwert gewesen war. Sie fühlten sich so schrecklich lebendig und greifbar an, dass es mir beinahe die Tränen in die Augen trieb. Es schmerzte. Ich wollte das nicht. Ich wollte mich im Traum nicht so gut und glücklich fühlen, nur um im nächsten Moment wieder mit der Realität konfrontiert zu werden und mit diesem stechenden Gefühl des Verlustes in meiner Brust aufzuwachen. Es war zum Verrücktwerden. So sehr ich diese eine Nacht vor einer Woche verdrängen wollte und die damit erneut aufkommenden Gefühle, desto mehr suchten sie mich heim. Als hätten sie nur darauf gewartet, sich wieder in mein Leben zu schleichen. Anscheinend hatten mein Körper und mein Kopf sich gegen mich verschworen. Dabei hielt ich Aoi bereits seit Tagen extra auf Abstand und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie stark mich das alles aus der Fassung brachte. Vergebens. Nur allmählich verschwammen die Traumbilder, das Zittern in mir blieb. Meine Augen brannten so sehr, dass ich die Handballen gegen die Lider pressen musste. Scheiße. Einfach nur Scheiße. Mein Herz konnte sich nicht beruhigen. Ich wollte das nicht, ich wollte diese Bilder nicht in meinem Kopf. Auch nach all der Zeit zog es in meiner Brust, wenn ich an diesen Morgen in Aois Elternhaus dachte. An Shiroyama-Sans erwartungsvollen Blick, ihre Pläne für Aois Hochzeit, die in ihrer Vorstellung anscheinend schon in greifbarer Nähe stand. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nie auch nur einen intensiveren Gedanken daran verschwendet, was das mit uns war, wie es weitergehen sollte, ob es mehr als nur – eine kleine Freizeitbeschäftigung? – war, das Stillen von Lust oder ob Aoi bereits andere Pläne hatte. Warum auch? Aoi war immer für mich da gewesen, wenn ich ihn gebraucht und gewollt hatte. Aber wenn er wirklich – Es war der Anfang vom Ende gewesen. Mit einem Mal war die rosarote Seifenblase zerplatzt, in der ich mich die ganzen Monate, gar Jahre, befunden hatte und von der ich bis dahin nicht einmal gewusst hatte, dass es sie gab. Es war alles immer leicht und unkompliziert zwischen uns gewesen. Jetzt schnürte es mir die Luft ab. Ich war ein Störfaktor. Und wir hatten ein Ablaufdatum. Obwohl – eigentlich gab es gar kein ‚Wir‘. Ich würde allein sein. Und nun war ich allein und konnte nicht zurück. Es war alles so widersprüchlich. Ich sollte mir nicht den Kopf darüber zerbrechen, was gewesen war, was hätte sein können und sollte es einfach als gegeben hinnehmen und nicht der Vergangenheit nachtrauern. Egal, wie gut es sich damals angefühlt hatte. Es war vorbei. Wir waren nicht mehr zusammen. Waren es nie gewesen. Wir schliefen nicht mehr miteinander und im letzten Jahr, in dem ich mit Ayako liiert gewesen war, hatte unsere Freundschaft wunderbar funktioniert. Wir hätten keine gemeinsame Zukunft gehabt. Eine Zukunft, die ich so vorher nie erwartet oder angestrebt hatte und die sich plötzlich einfach ungefragt in mein Leben drängelte. Das war das Schlimmste daran – und das volle Ausmaß wurde mir erst jetzt so richtig bewusst. Ich hatte zu Beginn wirklich nie mehr von Aoi gewollt als seine Nähe, seine Leidenschaft und die Befriedigung, die nur wir einander in dieser Art geben konnten. Und doch hatte ich nicht verhindern können, dass daraus still und heimlich etwas anderes wurde, das ich immer ignoriert hatte. Ich hatte Aoi und dieses vertraute Gefühl in mir nicht verlieren wollen. Wenn nur nicht diese Zweifel aufgetaucht wären. Alles, was mit ihm zu tun hatte, hatte ich hinterfragt, hatte mir selbst nicht mehr über den Weg getraut, weshalb ich es lieber beendet hatte, bevor es zu schmerzhaft geworden wäre. Es war beinahe beschämend, wenn ich jetzt darüber nachdachte, dass ich einfach nur aus dieser Situation geflohen war, um nicht verletzt zu werden und es dennoch nicht geholfen hatten. Trotz all der vergangenen Monate und meiner Beziehung zu Ayako schien sich rein gar nichts geändert zu haben. Es schmerzte sogar noch mehr als früher. Und – ich vermisste ihn. * Diese Gedanken, nach dem was wäre wenn, ließen mich den ganzen Tag nicht mehr los, weshalb mich Kai am nächsten Tag unverzüglich nach Hause schickte, als ich mit fiebrig glänzenden Augen bei der Probe auftauchte. Mein Kopf dröhnte und wollte einfach keine Ruhe geben. Die Stille meiner Wohnung war dabei nicht sonderlich hilfreich, da sie mein Hirn zu Höchstleistungen antrieb. Mit schmerzenden Gliedern verkroch ich mich ins Bett und zog die Decke über den Kopf. Nichts sehen, hören oder fühlen. Das wäre perfekt, doch so einfach war es nicht. Da war Aois aufmerksamer Blick, der mich vorhin besorgt gemustert hatte, und der mir nicht aus dem Kopf ging. Da war Reitas Stimme in meinem Ohr, die mir am Telefon gut zusprach und Hoffnung in mir schürte, wo keine sein sollte. »Rede doch endlich mal mit Aoi darüber. Eins kann ich dir als Freund sagen, ich hab dich in den letzten Jahren definitiv nie so glücklich lächeln gesehen wie den Jahren zuvor. Und ihn auch nicht.« Da waren all die Erinnerungen an die schönen, aufregenden Momente. Gequält kniff ich die Augen zusammen, rollte mich zusammen und schlang die Arme um mich. Ich fühlte mich fiebrig und kalt. Alleingelassen. Ich wollte nur noch schlafen. Nicht mehr denken müssen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)