Neue (und alte) Abenteuer von Sharry (Szenen, die es nicht in die Hauptfic geschafft haben) ================================================================================ Kapitel 35: Extrakapitel 32 - Zukunft ist Vergangenheit ------------------------------------------------------- Zukunft ist Vergangenheit   -Mihawk- Was für eine angenehme Ruhe, dieses leichte Wanken bei sanftem Seegang, so wachte man doch gerne auf. Allerdings hatte er noch nicht wirklich viel Lust dazu, also drehte er sich auf die Seite und tastete nach dieser angenehmen Wärmequelle, fand jedoch nichts. Seufzend zog er die Decke um sich herum. Er war alleine in seinem Bett, Lorenor war also schon aufgestanden, warum auch immer. Ob er meinte, wieder trainieren zu müssen, oder ob er verhindern wollte, dass eines seiner Crewmitglieder ihn im Sargboot aufsuchen würde? Wobei nein, so etwas war Lorenor doch eigentlich immer… Verwirrt hob Dulacre den Kopf. Er war nicht im Bauch seines Schiffes. Es roch anders, der Wellengang war anders, die Geräusche waren anders, aber… nicht fremd, und auch dieser Raum war alles andere als fremd. Ganz langsam setzte er sich auf, versuchte, die Situation zu erfassen. Ihm war ziemlich schnell bewusst, dass dies kein Traum war, es war real. Aber was bedeutete das? Am vergangenen Abend waren Lorenor und er im Bauch des Sargbootes eingeschlafen, nun erwachte er hier an diesem Ort. Es gab verschiedene Möglichkeiten, aber die Wahrscheinlichste ließ seinen Magen verkrampfen. Er sah auf seine Hände hinab und musste schlucken. Tief holte er Luft, durfte sich nicht verrückt machen, erst einmal Fakten sammeln. Also erhob er sich, zog die Vorhänge um sein Bett zur Seite, die er in der Nacht zuvor wohl nur halbherzig vorgezogen hatte. Es sah tatsächlich alles genau so aus, wie in seinen Erinnerungen, vielleicht etwas düsterer, das Holz etwas dunkler. Dann trat er vor den Spiegel mit der Waschschüssel und seufzte leise auf. Er hatte des Spiegels eigentlich gar nicht bedurft, er konnte es spüren, in seinen Knochen, seinen Muskeln, eine Anspannung, die er so schon lange nicht mehr kannte, aber die ihn über Jahrzehnte hinweg begleitet hatte. Seine brüchige, aber unabdingbare Kontrolle, die er gezwungen war, immer aufrechtzuerhalten. Aber nicht nur das spürte er. Er konnte den Unterschied spüren, seine Verfehlungen, seine Schwächen, ein Wunder, dass Yoru ihn so hatte führen lassen. Sein Blick glitt hinüber zu seinem Schwert. „Kannst du mir die Antwort geben? Was ist Traum und was ist Wirklichkeit?“ Wie er erwartet hatte, antwortete es ihm wissend, ohne ihm aber eine Antwort zu geben. Dennoch klang es deutlich amüsierter, als er sich erinnern konnte, es in jungen Jahren gehört zu haben. Langsam kam die Erkenntnis in ihm an und es schnürte ihm die Kehle zu. Wenn das hier wirklich gerade die Realität war, dann war die Möglichkeit recht hoch, dass er… dass alles… Er lehnte sich vor und packte seine Oberschenkel, kontrollierte seinen Atem, während die Gefühle über ihn hinwegschwappten. Er hätte es wissen müssen, er hätte es wissen müssen! Natürlich, die Dinge waren zu perfekt gelaufen. Kuraigana, der Kampf, seine Kontrolle und… Lorenor. Da wurde es ihm bewusst, sein Blick glitt zu seinem Bett hinüber, und Panik stieg in ihm auf, während er sich durchs Haar rieb und die Realität hart auf ihn niederschlug. Seine Knie wurden weich, und er stolperte zum Stuhl, auf dem seine Kleidung lag, fiel beinahe drauf. Sein Herz schmerzte, Gott, was schmerzte sein Herz, während sein Kopf noch versuchte zu begreifen, was sein Herz schon längst verstanden hatte. Ein Klopfen an der Tür ließ ihn aufschrecken und eine Sekunde war da so eine irrationale Hoffnung, die natürlich nicht wahrwerden konnte, als die Türe aufging. „Kapitän, wo bleibst du denn? Es ist schon… Hey, was ist denn los?“ Es war Jiroushin, natürlich war es Jiroushin. Wer sonst hätte es je gewagt, ihn in seinem Schlafzimmer aufzusuchen? Aber es war auch nicht Jiroushin, nicht der, den er kannte, auch wenn er ihm wirklich noch viel zu ähnlich sah, als wäre die Zeit ihm viel zu gnädig gewesen. „Hey? Was…? Hawky?“ Er erzitterte unter diesem Namen, den Jiroushin in jener Zeit – dieser Zeit – so gut wie nie verwendet hatte, da Dulacre es gehasst hatte, jegliche Schwäche, jegliche Sanftheit verachtet hatte. Aber gerade, gerade zerbrach alles in ihm, denn… denn ihm wurde bewusst, dass alles, was passiert war, nicht mehr gewesen war als ein Traum. Und vielleicht konnte er es alles wieder erlangen, seine Kontrolle, seine Stärke, aber was nicht existierte konnte auch nicht wiedererlangt werden. Vielleicht war es nur Wunschdenken gewesen, eine verzweifelte Hoffnung, jemanden zu begegnen, der ihn verstand, der die Schwertkunst verstand, der ihn besiegen könnte, der ihn… lieben könnte. „Hey!“ Er sah auf, als Jiroushin ihn an den Schultern packte. „Was ist passiert?“ Wie sollte er es ihm sagen? Wie sollte er ihm sagen, dass er bis gerade in einem Traum gelebt hatte, für mehrere Jahrzehnte? Dass er nicht mehr der Mann war, der am vergangenen Tag ins Bett gegangen war, weil er gelebt hatte, älter geworden war? Dass er gerade realisierte, dass er jemanden verloren hatte, den es vielleicht noch nicht mal gab. Als würde ein solcher Mensch existieren. Aber eine gute Sache hatte dieser Körper, bevor Dulacre seine Kontrolle zurückerlangt hatte, weich geworden war, sich geöffnet hatte. Dieser Körper brach nicht, obwohl Dulacre es sich fast wünschte, obwohl er sich wünschte, ihm würden die Tränen kommen und er könnte trauern, in den Armen seines besten Freundes. Immerhin wussten wir bis dahin gar nicht, ob du überhaupt zu solchen Gefühlen fähig bist, Hawky. Zittrig holte er Luft, lehnte sich nach vorne und legte die Unterarme auf den Oberschenkeln ab, musste sich beruhigen. „Alles in Ordnung? Soll ich Makoto holen?“ „Nein“, flüsterte er, wollte hart und herablassend klingen, aber seine Stimme verriet ihn. „Es ist nichts…“, was mit Medizin behandelt werden könnte. „Gib mir nur einen Moment.“ „Natürlich. Hattest du einen Albtraum?“ Er starrte Jiroushin an, packte seinen Unterarm in einer unbewussten Geste der Unsicherheit und da merkte er es, sein Blick glitt hinab, auf das Armband auf seiner Haut, hart der Kontrast des schwarzen Kreuzes zu seiner bleichen Haut, und es fühlte sich so fremd an, so falsch. Er hörte ein weiteres Klopfen, etwas weiter entfernt, wahrscheinlich zum Aufenthaltsraum. „Ka… Kapitän? Jiroushin?“ „Wir sind gleich da“, antwortete Jiroushin ernst. „In Ordnung. Alles ist bereit zum Auslaufen. Wir warten nur noch auf den Befehl.“ „Gut, wir kommen gleich.“ Bis auf das leise Klicken der schließenden Türe war es still. „Okay, sag mir, was…?“ „An welcher Insel haben wir angelegt?“ „Was? Aber das weißt du… Otoyk, natürlich.“ Ein Blitzschlag glitt durch Dulacre, Otoyk… Otoyk im East Blue… Er wusste, welches Jahr sie schrieben, er wusste, in welcher Zeit er war, konnte sich daran erinnern. Heute würden sie zum Kap der Zwillinge aufbrechen, nachdem sie hier zwischengehalten hatten, um ihr Schiff und das… das Sargboot… Er sprang auf. „Jiroushin, ist das Sargboot fertig repariert?“ Sein Vize sah ihn mit großen Augen an. „Ja, aber was ist…?“ „Gut, ihr werdet noch nicht auslaufen. Ich werde jetzt aufbrechen und…“ „Warte!“ Jiroushin hatte ihn am Unterarm gepackt, er war schon drauf und dran gewesen, das Zimmer zu verlassen. „Was hast du vor? Du bist ja noch nicht mal angezogen.“ Ja, damit hatte er Recht. Dulacre musste sich beruhigen, aber wie konnte er? Doch als Jiroushin ihn so ansah, wurde ihm noch etwas anderes bewusst. Vieles mochte verloren sein, vielleicht sogar alles, aber wenn er seinen engsten Freund seit Kindertagen ansah, wusste er, dass er vielleicht auch etwas ändern konnte, etwas verhindern konnte, etwas retten konnte. Und genau dieser Gedanke brachte etwas Ruhe in sein Chaos. „Dulacre, rede mit mir. Was ist passiert? Du bist ja ganz durch den Wind.“ Fast schon sanft entledigte er sich Jiroushins Griff, wusste sehr wohl, dass dies den anderen nur noch mehr verwirren würde. „Es tut mir leid, Jiroushin, ich wollte dich nicht so überrumpeln.“ Die Augen des anderen weiteten sich in Entsetzen. Ach ja, damals hätte er sich nie entschuldigt. Seufzend wandte er sich ab und schritt eilig zu seinen Klamotten herüber. Er war wirklich ein anstrengender Zeitgenosse gewesen, nicht wahr? „Mir ist bewusst, dass mein derzeitiges Verhalten dich verwirren muss, aber sei dir gewiss, dass ich nicht kopflos handle. Ich muss nur… es gibt etwas von dringlichster Wichtigkeit, von dem ich mich überzeugen muss, so schnell wie möglich.“ Der andere machte einen Laut, der wohl Zustimmung sein sollte, aber das Misstrauen nicht verbergen konnte, während Dulacre sich anzog. „Und worum geht es? Und warum ist dir das jetzt so plötzlich eingefallen? Du benimmst dich eigen, fast wie ein komplett anderer Mensch.“ Sein Blick glitt suchend durch den Raum, doch er konnte seinen Hut nicht finden, und erst da erinnerte er sich, dass er zu dieser Zeit noch keinen getragen hatte. Seufzend begegnete er dem viel zu klugen Blick seines Vizes. „Ich kann dir noch keine Antwort geben, aber du hast Recht. Es kann sein, dass die Dinge sich von hieran verändern werden.“ Er nahm sein Schwert und Yoru grüßte ihn mit Belustigung. „Vermutlich werde ich bei Sonnenuntergang zurück sein, vielleicht etwas später. Sollte ich bis morgen früh nicht zurück sein, verfolgt mich.“ Zu seiner Überraschung stellte Jiroushin sich ihm jedoch in den Weg. „Das kannst du doch nicht ernst meinen. Kapitän, gestern Abend hast du mir noch gesagt, dass wir zum Kap aufbrechen, sobald die Reparaturen abgeschlossen sein würden. Du warst bereits unleidig und ungeduldig, und nun willst du einen ganzen Tag verschwenden? Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich dies ohne Erläuterung hinnehme.“ Aber Dulacre verstand, er konnte Jiroushin dessen Unsicherheit ansehen, aber er war schon immer Dulacres Stimme der Vernunft gewesen, wenn seine eigene verstummt war. Jiroushin musste davon ausgehen, dass genau dies gerade der Fall war. „Jiroushin, ich traue dir wie kaum einem anderen.“ Dies würde sein Misstrauen vermutlich nur steigern. „Aber ich kann es dir nicht sagen, noch nicht. Es ist… Mir ist bewusst, dass es sich wie Wahnsinn anhören würde, aber ich bin noch nicht bereit, dir diesen Teil meiner Selbst zu zeigen.“ Jiroushin erzitterte unter dieser ungewohnten Ehrlichkeit zwischen ihnen beiden, doch er blieb ernst. „Du weißt, dass dein Wahnsinn mich nie abgeschreckt hat?“ Es brachte Dulacre zum Lächeln. Er hatte ganz vergessen, wie stark Jiroushin damals gewesen war, mit seiner Härte mithalten zu können, sie aushalten zu können. „Es ist nicht Wahnsinn, was ich dir zeigen werde. Aber aus diesem Grund brauche ich noch diesen einen Tag. Ich muss mich mit eigenen Augen davon überzeugen, sonst kann ich nicht weitersegeln.“ „Wovon musst du dich überzeugen?“ Er schritt neben Jiroushin, packte seine Schulter, aber sah zur Türe, konnte ihm nicht ins Gesicht sehen. „Ob es irgendwann wieder Farbe in dieser trostlosen Welt geben kann.“ Damit ging er, ließ Jiroushin offensichtlich verwirrt zurück, ignorierte Crewmitglieder, die ihn grüßten, die ihn fragten, überließ es Jiroushin, sich um sie zu kümmern. Sein altvertrautes Sargboot wartete auf ihn, nicht ganz so, wie er es die letzten Jahre – die nicht existierten – gekannt hatte, aber dennoch so, wie er es damals gewollt hatte. Das kleine Boot, welches ihm erlaubte zu kämpfen, ohne seine Crew in Gefahr zu bringen. Dann stach er in See. Es war noch fast Nacht, der Morgen würde noch lange auf sich warten lassen. Er hatte damals wirklich früh zum Kap aufbrechen wollen, und das war nun sein Glück. Er wusste, dass er circa vier Stunden unterwegs sein würde, und diese Zeit würde er brauchen, um seine Gedanken zu ordnen. Jiroushin hatte ihm zu etwas Ruhe und Klarheit verholfen, aber die Emotionen brodelten unter seiner brüchigen Kontrolle. Es war wirklich ein seltsames Gefühl und er war sich immer noch nicht hundertprozentig sicher, ob dies nun tatsächlich die Wirklichkeit war oder nicht. Seine Logik wollte es sachlich sehen. Es war nicht mehr als ein Traum gewesen, ein Wunschtraum, der ihm wie Jahrzehnte vorgekommen war. Nichts an seiner derzeitigen Position sollte ihn daran zweifeln lassen. Aber… aber er wollte zweifeln, musste zweifeln, hoffen. Dennoch, töricht handelte er nicht, der rationale Part in ihm war immer stärker gewesen, immer schon. Vielleicht war es wirklich nur ein Traum gewesen, aber gleichwohl musste er die Zeichen ernstnehmen. Wenn dies nur ein Traum gewesen war, dann deshalb, weil sein Unterbewusstsein ihn vor den kommenden Wochen warnen wollte, doch jetzt war er vorbereitet, jetzt konnte er sich eine Strategie überlegen, jetzt wusste er, dass er dieses Mal bereit war, diesen einen Schritt mehr zu gehen. Dieses Mal würde er sich nicht an die Kette nehmen lassen. Die Stunden, bis er die kleine Insel erreicht hatte, waren gefühlt langsamer verstrichen, als sie sollten. Als wäre die Zeit nun vollends sein Feind geworden. Er hatte versucht, diese Ewigkeit für kluge Gedankengänge zu nutzen, sich Wege zu überlegen, falls man ihn wirklich zum Samurai machen wollte, seine Crew wirklich als Druckmittel einsetzen wollte. Aber je langsamer die Minuten verstrichen waren, desto schwerer war es ihm gefallen. Nun sprang er an Land, hoffte, dass er aus Lorenors unzusammenhängenden und unvollständigen Angaben die richtigen Schlüsse gezogen hatte. Er brauchte nicht lange, um das kleine, abgelegene Dorf am großen Wald zu finden. Aber solche Dörfer gab es im East Blue wie Sand am Meer, das allein sollte ihm also keine Hoffnung… Oh. Für einen Moment schien die Zeit wieder auf seiner Seite zu sein, als sie plötzlich stehen zu bleiben schien. Ein kleines Kind, wenige Jahre alt, eine Axt auf den Rücken, rannte mit einem breiten Grinsen an ihn vorbei, einer Truppe von Waldarbeitern entgegen, die ihn schon lauthals begrüßten. Welch ein Glück. Er lebte, er existierte. Ohne Dulacre auch nur zu bemerken, lief der Junge mit dem grasgrünen Haar quer über die Straße, schien ihn nicht mal zu sehen, während Dulacre nichts anderes außer ihn wahrnahm, fühlte so viele Emotionen, wie er es in dieser Zeit doch noch gar nicht konnte. Also war es nicht nur ein Traum gewesen, vielleicht nicht die Zukunft, aber eine Möglichkeit, vielleicht ein… „Du solltest nicht hier sein, Wanderer.“ Er schnellte herum. „Aber Mihawks halten sich so oder so nicht gerne an die Regeln Fremder, nicht wahr?“ „Lorenor Zakuro“, flüsterte er, sein Kopf bereits geneigt, wie er es in dieser Zeit doch nie getan hatte, selbst in seiner Zeit doch nur selten tun würde. „Dann weißt du also, wer ich bin“, stellte sie fest, ihre Stimme autoritär, ihr Akzent ihm fremd. „Nicht, dass daran noch ein Zweifel bestand in dem Moment, als du meinen Sohn sahst.“ „Ist… ist er es wirklich?“, fragte er eine dumme, kindische Frage, aber sein Herz wollte noch nicht glauben, was seine Augen gesehen hatten. „Ist dies das erste Mal, dass du auf den Pfaden der Zeit wandelst? Anscheinend schon“, sprach sie nach einem Moment weiter, als er nicht antwortete. „Nun denn, erhebe dein Haupt, in dieser Zeit bin ich niemand mehr, vor dem man sich verneigt.“ Dulacre folgte dieser Aufforderung. „Ganz gleich, wie viel Zeit vergehen mag und wie wenige diesen Namen noch kennen mögen, nichts davon ändert etwas an Eurer Herkunft.“ Sie zeigte ein Lächeln, verhalten und verschmitzt, wie er es von Lorenor kannte, so sehr von ihm kannte. „Ein Mihawk durch und durch.“ Dann wandte sie sich um und ging. „Folge mir, Wanderer.“ Er tat, wie ihm geheißen, merkte, wie die Verwirrung der vergangenen Stunden in Neugierde umschlug, die Anspannung in Spannung, das Drängen in Erwartung. Eine Vielzahl von Szenarien spielte sich in seinem Kopf ab, während er ihre Worte und die letzten Momente verarbeitete und sie beobachtete. Sie war in etwa so groß wie Lorenor, ihr grasgrünes Haar aufwendig geflochten und hochgesteckt, wie Perona es manchmal bei Lady Loreen probiert hatte, aber Lady Loreen hatte meist recht kindlich gewirkt im Verhältnis zu dieser Dame. Jede Bewegung ihres Körpers verriet ihm mehr über sie, die Spannung in diesen Muskeln, der Stolz in dieser Haltung. Weder die verbrauchte Kleidung noch der abgemagerte Zustand konnte die Vergangenheit dieser Frau verbergen und Dulacre wunderte sich, wie sie es so lange geschafft hatte, sich zu verstecken. Schließlich standen sie vor dieser Hütte, die Dulacre nur aus spärlichen Erzählungen kannte. Sie sah überhaupt nicht aus wie in seiner Vorstellung. Nach Lorenors Geschichte hatte er einen kleinen Schlag aus brüchigem Holz und zerbrochenen Ziegeln erwartet, aber auf den ersten Blick unterschied dieses kleine Häusschen wenig von den umliegenden, bis auf, dass es weit abseits stand. Es war klein, schlicht, niederer Qualität, wie alles in diesem Dorf, aber mehr auch nicht. Dieses Bild bestätigte sich, als er eintrat, und er erkannte diese Art der Behausung. Ein kleiner Eintritt, an dem man die Schuhe zurücklassen konnte und dahinter eine kleine Stufe und ein simpler Holzboden mit einer Feuerecke in der Mitte des Raumes eingelassen. Nun verstand er Lorenors Herkunft. Spärliche Einrichtung, keine Stühle, man saß auf dem Boden, an der Feuerstelle. Er beugte sich hinab und trat seine Stiefel aus, bemerkte ihren Blick und stellte sie an die Seite, nahm Yoru ab und lehnte es gegen die Wand. Er wartete ihr Nicken ab, dann trat er diese Stufe hoch in den Wohnbereich dieses winzigen Hauses. „Du zeigst viel Respekt für einen Mihawk“, sprach sie mit ihrem starken Akzent. „Es gibt nur wenige, die meinen Respekt verdienen“, entgegnete er klar und folgte ihr zu zwei verschlissenen Kissen. Elegant kniete sie sich hin und mit einem Seufzen ließ er sich ebenfalls nieder, hatte es nie gemocht, auf dem Boden zu sitzen. „Ich würde dir ja einen Tee anbieten, aber dieses Treffen wird vorüber sein, bevor das Wasser kochen würde.“ Wieder zeigte sie dieses Lächeln, welches ihn zu sehr an Lorenor erinnerte. „Nun denn, wir sollten die Zeit nutzen, also stelle deine Fragen.“ Für einen Moment schwiegen sie beide, während seine Gedanken weiter Schlüsse zogen. „Ihr habt gewusst, dass ich nicht aus dieser Zeit stamme und dass ich kommen würde. Woher?“ Mit hochgezogener Augenbraue neigte sie den Kopf, ein absolutes Ebenbild ihres Sohnes, wenn es nicht für diese Überheblichkeit wäre. „Nun, ich kann dir ansehen, dass du nicht aus dieser Zeit stammst, Wanderer, und ich wusste, dass du kommen würdest. Ihr Mihawks hattet immer schon ein… drängendes Verlangen nach Wissen und ich kenne die Antworten auf deine Fragen, daher musstest du zu mir kommen.“ „Über die Grenzen von Zeit und Raum hinweg?“ „Was sind schon ein paar lächerliche Grenzen? Sie galten für mich nicht, warum sollten sie für dich gelten, der du doch die Grenzen der Menschlichkeit längst abgelegt hast?“ Sie nickte sachte. „Aber das ist nicht das, was du fragen möchtest, nicht wahr?“ Er hielt ihrem Blick stand. „Lo… Euer Sohn sagte, Ihr würdet nur die Sprache Alciels sprechen, dennoch unterhalten wir uns gerade. Habt Ihr Euren Sohn belogen?“ „Wieder eine andere Frage“, bemerkte sie und sah zur Feuerstelle hinüber. „Ich spreche mehr Sprachen, als es in dieser Welt noch gibt, aber nur, weil ich eine Sprache spreche, bedeutet es nicht, dass ich mich dazu herablasse, mit jemandem zu sprechen.“ Manchmal erinnerst du mich an sie. „Aber mit mir sprecht Ihr?“ Sie zeigte wieder dieses leise Lächeln, aber dieses Mal war es eine Drohung. „Du lässt mir ja keine Wahl. Es ist eine Schande, dass du als Mihawk nicht mal mehr die Sprache deiner Vorfahren beherrschst.“ Oh ja, das hier machte Spaß. „Vergebt diese Schwäche meinerseits“, entgegnete er und merkte, wie ihm ganz warm wurde. Endlich, endlich, „aber ich würde gerne Eurer Aufforderung nachkommen und meine erste Frage stellen.“ „Nur zu.“ „Der Name des Wächters, der von… meinem Vorfahren getötet wurde, sein Name lautet Hakuryuu, nicht wahr?“ „Nein.“ Überrascht sah er auf. Ihm sollte ein Fehler in seinem Gedankengang unterlaufen sein? Sie lächelte. „Den Drachen Hakuryuu hat es nie gegeben, ein Name, welcher sich die Geschichten ausdachten, als Erinnerung an die weiße Baumkrone unter derer unser Volk einst lebte. Aber ganz Recht. Derjenige, welchen die Geschichten als Drachen betiteln, welchen die Geschichten den Namen Hakuryuu gaben, welcher über unser Volk wachte, unser Blut und unser Schild war, ist jener, den du Wächter nennst.“ Sein Herz schlug schneller. „Und als Ihr… Eurem Sohn sagtet, dass Hakuryuu zurückkehren würde, da… da meintet Ihr… Hakuryuu ist längst zurückgekehrt.“ Sie schloss die Augen und nickte andächtig. „Mein hochgeschätzter Gatte hat es leider nie verstanden, hat verzweifelt auf einen Erben gehofft… und durfte sein Kind nie kennenlernen.“ Ihr Schmerz war gut verborgen, aber Dulacre konnte ihn trotzdem sehen, als sie ihn ansah. „Den Schmerz des Verrates hat jeder Lorenor gespürt, aber ich wusste, dass er weiterleben würde, in einigen Monaten.“ „Aber nicht nur Ihr, oder?“, fragte er nach. „Das Findelkind Hakuryuu, die Geschichte sagt, er hätte den Verstand verloren und sich gegen sein eigenes Volk gerichtet, aber das ist nicht die Wahrheit.“ „Nein, das ist sie nicht, nicht ganz. Natürlich wussten auch die anderen Wanderer, dass die Wiedergeburt der Blutlinie folgt, und sie… vernebelten seinen Geist. Er glaubte, wir würden seinen Tod wollen, und zu jener Zeit gab es wohl niemanden auf der Welt mehr, der ihn hätte aufhalten können. Mein Gatte verschaffte mir… uns die nötige Zeit, zu fliehen. Dem restlichen Volke Alciels war dies nicht vergönnt. Nun ja, mit Ausnahme einer Blutlinie natürlich.“ Sie zeigte ihm ein schwaches Lächeln. „Man mag es Schicksal nennen, oder Ironie, dass die einzigen Blutlinien Alciels, die heute noch existieren, die der Mihawks und der Lorenor sind.“ Bisher hatte sie die grundlegenden Vermutungen seinerseits bestätigt, was ihn auch nicht sonderlich überraschte, also war es Zeit, die wichtigen Fragen zu stellen. „Weil es uns bestimmt ist, auf ewig gegeneinander zu kämpfen?“ Da weiteten sich ihre Augen. „Ist es das, was deine Vorfahren dich gelehrt haben?“ Er zögerte, ehe er schließlich zugestand: „Meine Mutter hatte leider nicht mehr die Gelegenheit, mich zu lehren. Vergebt mir, dass mein Wissen unvollständig ist.“ Es war ungewohnt, mit so viel Mitleid angesehen zu werden. „Nein, mir tut es leid. Welche Last, dein wahres Erbe nicht zu kennen.“ Dann lächelte sie. „Mein Junge, du weißt von den dreizehn Pfaden der Kampfkunst, nicht wahr? Nun, die Mihawks waren schon seit jeher Meister des Schwertes. Niemand konnte das Schwert so führen, wie sie, nicht mal ein Lorenor, nicht mal Hakuryuu, der alle dreizehn Pfade beschritten hatte. Es gab nur eine einzige Ausnahme, und ja, er starb durch die Hand eines Mihawks, denn niemand sonst wäre würdig gewesen, ihn zu töten.“ Verwirrt sah er sie an. „Aber… dann…?“ „Hättest du gesagt, miteinander kämpfen, hätte ich dir nicht widersprochen“, sagte sie sanft, ehe sie zum Fenster heraussah. „Es kommt nicht von ungefähr, dass du dich meinem Sohn so verbunden fühlst. Selbst für einen Mihawk ist deine Liebe zum Schwerte unvergleichbar, aber mein Sohn wird sie verstehen, denn er fühlt sie bereits jetzt schon.“ „Aber habt Ihr ihm nicht verboten, den Weg des Schwertes zu gehen?“ „Durchaus. Ich wollte ihm nicht den Weg bereiten, denn nur so kann er seinen eigenen gehen.“ Sie lächelte. „Außerdem ist dieser Körper nicht mehr geeignet, ihm den Kampf zu lehren.“ Er nickte. Es war offensichtlich, nicht so sehr der verhärmte Körper, aber Dulacre konnte spüren, wie wenig Haki in ihr war. Er hatte sich immer gewundert, warum sie sich geopfert hatte, anstatt mit Lorenor zu fliehen, aber ein Blick verriet ihm die Antwort. „War das Euer Opfer, um Zeit und Raum zu überwinden?“ Leise lachte sie. „Ach, die Intelligenz eines Mihawks kann sehr erfrischend sein. Ganz recht.“ „Wie habt Ihr das geschafft, Ihr und Euer Sohn.“ „Oh, er war zu der Zeit nicht viel mehr als ein blinder Passagier“, bemerkte sie und strich sich unbewusst über den Unterleib. „Du musst wissen, die alten Bäume tragen unglaublich viel Macht in sich, und wenn man bittet, dann helfen sie. Ornos war belagert von den Verrätern, der Baum der Zeit viel zu weit entfernt, also suchte ich Flora auf. Ich gab ihm, was ich geben konnte, und er ließ mich schlafen, für hunderte von Jahren. Denn ich hoffte, dass in einer späteren Zeit mein Kind aufwachsen könnte, ohne verfolgt zu werden. Aber als Flora fiel, erwachte ich, in dieser grausamen Welt.“ Sie senkte den Blick. „Es ist sehr schmerzhaft, in einer Welt zu leben, in der den Bäumen so viel Leid zugefügt wurde. Aber wir suchen uns nicht aus, in welcher Zeit wir leben, nur was wir daraus machen.“ Dann sah sie ihn wieder an und ein schwaches Lächeln zeigte sich. „Auch wenn du dich nicht erinnern magst, für dich muss es schwierig gewesen sein. So viele Generationen, so viele Leben, die du gewartet haben musst, genauso wie diese Welt, so viele Jahre. Aber die Zeit ist nahe, man kann die Luft schon flüstern hören.“ Es kostete ihn viel Kraft, über solche Worte nicht die Augen zu rollen. Silvers Rayleigh hatte auch immer gerne in Mythen und Gleichnissen gesprochen. Mit dieser Sprache wollte er nichts anfangen. Allerdings nahm er eine Sache aus diesen Worten mit. „Es war mir also bestimmt, Euren Sohn zu treffen?“ Sie hob eine Augenbraue an. „Vielleicht, vielleicht waren es auch die unzähligen Entscheidungen vieler, die euch zufällig zueinander führten.“ Dann sah sie zur Feuerstelle, als ob die Flammen ihr etwas sagen würden. „Du solltest deine Fragen stellen, viel Zeit bleibt dir nicht mehr.“ Er zögerte nicht. „Ich habe noch wichtige Fragen an Euch. Zunächst, was bedeutet Or? Oder viel mehr, bedeutet es Wächter?“ Es war offensichtlich, wie sie versuchte, ihn zu erfassen, ehe sie schließlich nickte. „Ganz recht, Kind, der du deine eigene Sprache nicht mehr kennst, es ist eine Wortendung, die Schutz oder Beschützen bedeuten kann, aber auch Wache und Begleitung. Doch da du die alten Sagen nicht kennst, kannst du die wahre Bedeutung natürlich nicht kennen.“ „Werdet Ihr sie mir sagen?“ Sie schien fast nachdenklich, als wüsste sie nicht, ob sie das wirklich tun sollte. „Laut einer Sage, so alt wie diese Welt, so alt wie die Bäume dieser Welt, gab es einst zwei Geister, Or und Ro, sie galten als die Schutzgötter dieser Welt. Bevor die ersten Bäume ihre Blüten trugen, vereinigten sich die beiden Geister zu Oro, Schwert und Schild. In unserer Sprache gab es lange Zeit nicht nur den Schutz oder den Wächter. Jedes Or, was du in einem Wort findest, war einst Oro, Schwert und Schild, Angriff und Verteidigung, Führung und Folge, Geleit und Widerstand. Über die Zeit verändert sich jede Sprache, komplexere Begriffe werden vereinfacht, Ausdrücke gekürzt, aus Oronos wurde Ornos, aus Lorenoro wurde Lorenor. Aber du, junger Mihawk, solltest nie die Bedeutung des Or unterschätzen.“ „Ist dies der Grund, warum Ihr euren Sohn Zorro nanntet, als Hommage an die alten Geister?“ „Vielleicht“, entgegnete sie schmunzelnd, „vielleicht mochte ich aber auch einfach nur den Namen.” „Gut, ich verstehe“, antwortete er, ohne Zeit zu verlieren, wusste, dass sie nicht näher drauf eingehen würde, und das war auch nicht notwendig, er hatte die Information erhalten, die er wollte, und seine Zeit war anscheinend knapp bemessen. „Dann komme ich nun zu meiner nächsten Frage. Die Wächter. Anders als die Wanderer werden sie nicht anhand einer Blutlinie wiedergeboren, oder?“ Sie hob einen Zeigefinger. „Du stellst die Frage falsch. Aufgabe der Wanderer ist es, auf der Welt zu wandeln. Sie leben, sterben und werden wiedergeboren, in einem ewigen Kreislauf, den nur sie selbst beenden können. Es gab nur eine Hand voll Wanderer, die sich entschieden, ihren Weg an eine Blutlinie zu koppeln.“ „Die Verräter.“ „Nein, die, die folgten, bevor sie zu Verrätern wurden, und der eine, der es nicht wurde. Wächter hingegen… Wächter werden geboren, wenn die Zeit sie braucht, wenn die Bäume sie brauchen.“ „Wenn der König ihn braucht?“ Sie lächelte, sagte jedoch nichts. „Und jetzt? Leben die Wächter?“ „Bist du dir sicher, dass du dies wissen willst? Ein solches Wissen könnte gefährlich sein.“ Er nickte. Bedächtig schloss sie die Augen und erst fragte er sich, was sie tat, aber da verstand er, warum sie anscheinend so vieles wusste. Für einen Moment schien ihr Körper fast schon unstet, dann wuchs ihr Lächeln und sie hob einen Finger. Wer wusste, was die Jahrhunderte unter Einfluss einer dieser Bäume noch bewirkt hatte. „Alle bis auf einer, aber auch er wird bald geboren werden.“ Er hatte es gewusst! Er hatte es gewusst. „Deine nächste Frage?“ Sie sah ihn wieder an, ihr Körper wieder so unscheinbar schwach wie vorher. „Die Geschichte erzählt, dass Hakuryuu aus seinem Heldenschwert zwölf Drachenschwerter schmieden ließ. Das Heldenschwert, welches aus einem Reißzahn des Drachen geschmiedet worden sein soll. Aber wenn es den Drachen nie gab, dann…“ Er deutete mit einer Hand zu seinem Schwert. „Nicht nur Ornos wurde vom Blut des Wächters genährt, nicht wahr?“ „Woran hast du es bemerkt?“ Ihre Augen leuchteten. „Also stimmt es. Die Sage beschreibt die Entstehung meines Schwertes, nicht nur meines Schwertes, deshalb… deshalb reagieren die Drachenschwerter alle so deutlich auf ihn, gieren nach seinem Blut.“ „Und deshalb hast du ein solches Interesse an jenen Schwertern.“ Er sah sie an. „Ich danke Euch für Eure Antworten, allerdings solltet Ihr eines wissen. Weder ist Euer Sohn der Wächter, noch bin ich jener Wanderer. Es mag sein, dass wir von ihnen abstammen, unserer Leben mit den ihren verbunden sind, aber wir leben unsere eigenen Leben und gehen unsere eigenen Wege.“ Sie neigte leicht den Kopf. „Oh, was für ungewöhnliche Worte für einen Mihawk. Klammert ihr euch nicht gewöhnlich an euer Schicksal?“ „Wenn mein Schicksal bedeuten soll, Lorenor zu töten, dann werde ich es eigenhändig verraten.“ Seine Aussage schien sie zu belustigen, doch dann fiel ihr Blick erneut auf die Flammen. „Du hast noch Zeit für eine letzte Frage“, sagte sie. „Ich brauche keine Antworten mehr“, entgegnete er. „Aber ich will die Zeit nutzen, Euch eines zu sagen. Euer Sohn ist glücklich. Er folgt einem Mann, den er als würdig erachtet. Er folgte meiner Anleitung und nun ist er der beste Schwertkämpfer der Welt. Aber am wichtigsten ist, dass er stets seinem eigenen Kompass an Moral und Ehre folgt. Ich bitte Euch, seid stolz auf Euren Sohn, auch wenn Ihr seinen Weg nie sehen werdet.“ „Ich bin stolz auf ihn, jede Sekunde meines Seins“, sagte sie, ehe sie langsam nickte, „aber ich bin dir auch dankbar für diese Worte. Es schmerzt mich, seinen Weg nicht mehr lange begleiten zu können, aber dank dir wird es mir etwas leichter fallen, zu gehen.“ „Euer Leid kann ich nicht nehmen, aber lasst mich Euch eines sagen“, sagte er. „Es mag vermessen sein, aber ich liebe ihn und ich werde ihm nicht erlauben, vor mir zu sterben.“ Sie lächelte. „Ich danke dir, junger Mihawk, und auch dir wünsche ich, dass du glücklich wirst. Allerdings muss ich dir eine Warnung mit auf den Weg geben. Wenn du dein Glück bei meinem Sohn suchst, wird es ein einsamer Weg. Er wird sich nicht für dich entscheiden können.“ „Eine Lorenor, die sich vom Schicksal einschüchtern lässt“, lachte er leise auf. „Ihr solltet weder Euren Sohn noch mich unterschätzen.“ Fragend neigte sie den Kopf. „Es mag Euch überraschen, aber mein Weg ist alles andere als einsam. Ich habe Euren Sohn nie darum gebeten, sich zu entscheiden, und er ist – geradeso – egoistisch genug, sich nicht entscheiden zu wollen.“ „Tatsächlich“, entkam es ihr und auch sie zeigte ein Lächeln. „Welch Glück.“ Dann erhob sie sich und Dulacre tat es ihr gleich, als sie auf ihn zukam. Einen Moment dachte er, das Feuer würde niederbrennen, aber da bemerkte er, dass die Dunkelheit aus den Ecken des Zimmers zu kriechen schien, seine Sicht zu beeinträchtigen schien. „Es ist Zeit für dich, zurückzukehren“, sagte sie und griff seine Hand. „Bitte richte meinem Sohn folgende Worte aus…“ Er riss die Augen auf. Keine Sekunde brauchte er, um das sanfte Wiegen wiederzuerkennen. Das Sargboot. Er wollte schon die Augen wieder schließen, da bemerkte er, dass er immer noch eine Hand hielt. Sein Blick glitt zur Seite, neben ihm saß Lorenor im Bett und selbst in der Dunkelheit der Nacht konnte er sehen, wie Lorenor ihn mit großem Auge anstarrte. Dulacre hatte seine Hand gegriffen, hielt ihn immer noch fest. Eine Welle der Erleichterung durchflutete ihn, so dankbar war er in diesem Moment, so demütig, dass es kein Traum gewesen war, dass er nun hier war. Doch dann bemerkte er Lorenors Blick, fast schon glasig. „Lorenor, was ist denn?“ Noch nie hatte der andere ihn so angesehen. „Was hast du gerade gesagt?“ „Wie bitte?“ Verwirrt setzt er sich ebenfalls auf. „Wovon redest du?“ „Gerade hast du… Hast du geträumt?“ Richte meinem Sohn folgende Worte aus Sie sahen einander an. „Ich habe deine Mutter getroffen… glaube ich. Es war ein Traum, aber es war auch…“ „Real?“ Er nickte und er konnte sehen, wie verschiedene Emotionen über Lorenors Gesicht glitten, was er sonst nur selten zeigte. „Haben dich ihre Worte erreicht?“ Einen Moment weitete sich Lorenors unversehrtes Auge, dann wandte er den Blick ab und nickte sachte. „Was hat sie gesagt?“ Fast schon abwesend sprach Lorenor ein paar Worte in jener längst vergessenen Sprache, die Dulacre nicht verstand und es war ihm beinahe, als würde ihre Stimme in sein Worten widerhallen. Er hob eine Hand, berührte Lorenor an der Schulter. „Was bedeuten jene Worte?“ Und da schien Lorenor aus seinen Gedanken zu erwarten, süffisant grinste er Dulacre an, offensichtlich genoss er es, ausnahmsweise mal ihm Wissen vorauszuhaben. „Das wüsstest du gerne, was?“ In Gedanken an all das Wissen, das er erlangt hatte, spielte er gnädig mit. „Ja, das wüsste ich gerne.“ „Tja, dein Problem.“ Lorenor gähnte ausladend und ließ sich dann zurück in die Laken fallen. „Ich werde jetzt auf jeden Fall weiterschlafen. Versuch das nächste Mal bei deinen Zeitreisen leiser zu sein.“ „Sie war sehr stolz auf dich.“ Dort in den Laken sah Lorenor zu ihm auf, ein sachtes Lächeln, aber ein glasiger Blick. „Ich weiß“, flüsterte er. „Allerdings war sie auch ziemlich unhöflich“, bemerkte Dulacre und ließ sich neben Lorenor fallen, gab ihm so Nähe, ohne dass Lorenor fragen musste, „nicht mal Tee hat sie mir angeboten, tze.“ Leise lachte Lorenor auf. „Musstest du auf dem Boden sitzen?“ „Ja, auf einem alten, zerschlissenen Kissen an der Feuerstelle. Ihr lebtet wirklich recht… simpel.“ „Oh, da hattest du Glück, Besuch durfte eigentlich nicht die Schwelle hinterm Eingangsbereich übertreten.“ „Ach nein?“ Er sah Lorenor an, der mit den Schultern zuckte und zur Decke aufsah, leicht gähnte, nun nicht mehr so belastet von tiefen Gedanken. „Nein.“ Dann gähnte er erneut. „Und ich kann dich nicht überzeugen, mir die Bedeutung jener Worte zu verraten?“ Lorenor sah ihn grinsend an. „Nein.“ Er seufzte. „Na, dann ist es wohl an der Zeit für mich, jene Sprache zu lernen.“ „Wenn du meinst“, lachte Lorenor leise. „Ich werde jetzt weiterpennen. Gute Nacht.“ Für einen Moment beobachtete er, wie Lorenor sein Auge schloss, erneut gähnte und dann innerhalb von Sekunden tatsächlich einschlief, eine wirklich besondere Gabe. Für einen Herzschlag sah er fast aus wie jener Junge von vor zwanzig Jahren. „Gute Nacht, mein kleiner Wildfang.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)