Neue (und alte) Abenteuer von Sharry (Szenen, die es nicht in die Hauptfic geschafft haben) ================================================================================ Kapitel 31: Extrakapitel 28 - Fluch und Segen - Teil 3 ------------------------------------------------------ Fluch und Segen – Teil 3   -Mihawk- Es war eine ruhige Reise gewesen. Nicht, dass er etwas anderes erwartet hatte. Dank der Abkürzung durch den Calm Belt hatten sie nur wenige Tage gebraucht und der East Blue war von Natur aus eine sanfte See. Die Zeiten hatten sich etwas geändert, die jungen Leute verstanden oft nicht, warum der East Blue von den Älteren als schwächster der vier Blues betitelt wurde, kamen doch viele der großen Namen aus ebendiesem Meer. Aber das änderte nichts daran, dass die Strömungen und Gezeiten im East Blue im Vergleich zum Rest der Welt fast schon friedlich und sehr berechenbar waren. Nicht selten zogen Veteranen und in die Jahre gekommenen Krieger sich hierhin zurück, ein weiterer Grund für die Ruhe, denn das Alter allein bedeutete noch lange nicht, dass man weniger Vorsicht vor jenen Namen walten lassen sollte. Natürlich galt das nicht für sie beide. Niemand würde es wagen, ihren Weg zu kreuzen, und so kam es, dass sie keinem Schiff nähergekommen waren als dem Horizont. Es stimmte schon, dass die Enge des Sargbootes ihre Bewegungsmöglichkeit beschränkte, aber da sie beide auch hervorragend faulenzen konnten, hatte es fast schon etwas von einem kleinen Urlaub. Insbesondere bei diesem frischen Sommerwind. „Und? Was sagt Jiroushin?“, fragte er, ohne sich umzudrehen, beobachtete die aufgehende Sonne. „Ich hab nicht mit ihm telefoniert“, entgegnete Lorenor ausweichend, der gerade an Deck kam. „Das war der Koch. Er meinte, ein paar Gäste hätten wohl das Sargboot gesehen, und er wollte nur sichergehen, dass nichts passiert ist.“ „Ach so?“ Er sah Lorenor aus dem Augenwinkel an, der sich neben ihn stellte. „Dabei hätte ich schwören können…“ „Halt die Klappe!“, knurrte Lorenor und wandte errötend den Blick ab. „Du kannst Jiroushin schon etwas mehr vertrauen. Er passt gut auf deine Schülerin auf. Du wirst schon sehen, wenn wir zurückkehren, wird sie sich deutlich weiterentwickelt haben.“ „Ich finde…“, murmelte Lorenor nach einigen ruhigen Sekunden, „… dass sie sich schon deutlich weiterentwickelt hat. Weniger ihre Kampffertigkeiten, um ehrlich zu sein – tatsächlich dachte ich, dass sie da schneller sein würde, aber ihr Körper ist wirklich noch sehr schwach – aber… im Zwischenmenschlichen. Oder irre ich mich da?“ „Nein, tust du nicht“, bestätigte er Lorenors Wahrnehmung. „Rays Anwesenheit tut ihr gut. Ein Kind in ihrem Alter, laut und mit eigener Meinung, aber glücklicherweise auch von einem sehr freundlichen Gemüt und trotz allem auch recht rücksichtsvoll. Es wird noch dauern und ihre Vergangenheit wird sie natürlich stets begleiten, aber ich denke, sie kann es schaffen, einige dieser Verhaltensregeln, die ihr aufgezwungen wurden, zu durchbrechen.“ „Bist du dir sicher?“ Er konnte Lorenors Blick auf sich fühlen. Es war keine Unsicherheit, eher eine Nachfrage, ob Dulacre ihn nur beschwichtigen wollte oder ob dies tatsächlich sein Urteil war. „Das bin ich. Schließlich ist sie deutlich intelligenter als du“ – „Na vielen Dank auch.“ – „und sie ist noch jung, da fällt es leichter, falsche Gewohnheiten zu verlernen.“ Für einen Moment schwieg Lorenor, aber dann nickte er, zeigte dieses leise Lächeln. „Das ist gut.“ „Mhm… und was ist mit dem Smutje? Werden wir ihn oder die anderen deiner Crew nach Shimotsuki aufsuchen?“ „Er hat… uns eingeladen“, antwortete Lorenor nach einer weiteren Sekunde. „Aber ich hab noch nicht zugesagt. Ich… einen Schritt nach dem anderen. Ich will mir darüber noch keine Gedanken… da ist sie.“ Am Horizont zeigte sich der schwache Schemen von Festland im schimmernden Licht der Morgensonne. Dulacre nutzte den Moment, um Lorenor zu begutachten, und für einen Moment hatte er fast das Gefühl, als würde dessen 19-jähriges Ich wieder dort stehen, so jung schien er, so sehr leuchtete sein Blick, als sich seine Schultern strafften und er tief einatmete. Kuraigana mochte sein Zuhause geworden sein, seine Crew seine Familie, Mihawk sein Partner, aber auf dieser Insel hatte er nun mal seine Kindheit gebracht, und nun würde er endlich in die Heimat zurückkehren.   Kurze Zeit später schritten sie in einem gemächlichen Tempo einen langen Pfad an Wiesen und Feldern entlang bergauf. Lorenor zeigte einen recht ungewöhnlichen Gesichtsausdrück, wie er von links nach rechts schaute, als wollte er alles aufnehmen, mit leuchtendem Blick aber strengem Mund. Manchmal erwähnt er etwas, erklärte Dulacre eine Veränderung, aber die meiste Zeit schwiegen sie. Es war friedlich, obwohl auf den Feldern gearbeitet wurde, begegneten sie kaum jemandem. Das änderte sich, als sie das nächste Dorf erreichten. Hier herrschte der übliche Trubel eines geschäftigen Alltags, wie sie es auch unten am kleinen Hafen erlebt hatten. „Da vorne ist es“, bemerkte Lorenor und nickte zum Weg, der aus dem Dorf hinausführte, nicht weit dahinter, an dem Fuße eines kleinen Berges konnte man vereinzelte Dächer ausmachen. Es war wirklich nicht weit entfernt vom Wasser, eine kleine Insel, die fast so wirkte, als würden die Unruhen der Welt hier keine Einkehr finden. „Ach, daran erinnere ich mich“, bemerkte Lorenor und nickte zu einem kleinen Laden herüber. „Da haben wir früher, als wir schon was älter waren, immer… Tanjon?“ Gerade war ein jüngerer Mann mit Topfschnitt und schwarzen Haaren aus dem Laden getreten, hatte sich noch nach hinten umgewandt und mit jemandem gesprochen. Doch mitten in der Unterhaltung verstummte er und sah sie an, seine Augen weiteten sich. „Zo…rro? Zorro!“ Er stürmte auf sie zu. „Mann, bist du das wirklich? Ich kann es ja kaum…“ Dann sah er Dulacre und natürlich erstarrte er, so wie es sein sollte. „Tanjon“, entgegnete Zorro freudig und schritt auf den anderen zu, der immer noch Dulacre anstarrte, als wäre er kurz davor, schreiend wegzulaufen. Ach, er hatte nichts von seinem alten Charme verloren. „Du bist wieder hier? Wolltest du nicht auch die Welt bereisen?“ „Ahach“, lachte der Fremde auf und zwang seinen Blick von Dulacre weg auf Lorenor, rieb sich verlegen den Nacken, während seine Wangen warm wurden. „Das hab ich doch eigentlich immer nur gesagt, weil ich nicht hinter dir zurückstehen wollte. Aber kaum warst du aufgebrochen, wurde mir bewusst, dass ich hier eigentlich sehr glücklich bin. Außerdem hätte ich ja schlecht den Meister allein lassen können, nachdem du einfach abgehauen bist.“ „Hey“, lachte Lorenor auf, als der andere ihm spielerisch in die Seite boxte. „Aber das freut mich. Meister Koshiro konnte deine Hilfe mit Sicherheit gebrauchen. Und die anderen?“ „Hajime war tatsächlich für ein paar Jahre auf See, weißt du? Die Fischer von Katsudo hatten ihn als Leibwächter angeheuert und er…“ Er unterbrach sich, als zwei weitere Männer aus dem Laden traten. „Hey! Hajime, Kenta, guckt mal wer da ist?“ Sie alle schienen in etwa Lorenors Alter zu haben und waren zweifelsohne seine ehemaligen Kameraden. Die beiden Neuankömmlinge reagierten wie der Topfschnitt, erst Überraschung, dann große Freude und dann, sobald sie Dulacre bemerkten, eine Mischung aus Verwirrung und Angst. „Kenta, los! Lauf und sag dem Meister Bescheid“, meinte dann der Topfschnitt und nach einem weiteren Moment des Starrens, nickte der Glatzkopf kurz, sah noch einmal zu Lorenor, zeigte ein Grinsen und grüßte ihn knapp, ehe er sich umwandte und den Weg entlanglief. „Der Meister hat gewusst, dass du kommen würdest!“, sagte dann der Lockenkopf, deutlich zu laut. „Vor über einem Monat hat er es schonmal erwähnt, dass er sich sehr freuen würde, dich nochmal wieder zu sehen, und letzte Woche sagte er, dass du wohl bald kommen würdest.“ Dann glitt sein Blick zu Dulacre hinüber und Lorenor schien dies wohl zu bemerken, denn er grinste nur breit und deutete mit dem Daumen auf Dulacre. „Der gehört zu mir“, erklärte er salopp anstatt einer vernünftigen Vorstellung, aber Dulacre war dies recht, ihm war gleich, wer diese Männer waren. Aber er konnte sehen, dass Lorenors Erklärung die anderen eher noch mehr verwirrte als alles andere. „Dann kommt, wenn Meister Koshiro schon weiß, dass ich komme, möchte ich ihn nicht warten lassen.“ Dulacre folgte einen Schritt hinter ihnen, hörte ihnen zu, wie sie über dies und das sprachen, Fragen stellten, an vergangene Zeiten erinnerten. Es war deutlich, dass die Drei viele Jahre miteinander verbracht hatten und für einen Moment war Lorenor nicht mehr der beste Schwertkämpfer der Welt, nicht mehr gefürchteter und berüchtigter Pirat, einer der stärksten Krieger, sondern einfach nur ein Lehrling eines Dojos. Schnell war jedoch auch unverkennbar, dass Lorenor wohl schon damals deutlich ehrgeiziger und verbissener trainiert hatte als seine Mitstreiter. Der Lockenkopf zeigte stolz seine Narben von seiner Zeit auf hoher See und erzählte, wie er selbst erst vor wenigen Monaten zurückgekehrt war, unterbrach sich jedoch, als sie endlich das kleine Dojo erreichten. Sie alle hielten inne, als Lorenor stehen blieb, tief atmete er ein, leuchtender Blick, warmes Lächeln. Der Vorhof war klein, es war ein simples Dojo, gut gepflegt, der Name stand draußen in einfachen Zeichen. Mehrere Dutzend Schüler verschiedener Altersklassen trainierten im Vorhof die üblichen Grundschritte, unter Anleitung von ein paar weiteren Lehrlingen. Lorenor stieß einen leisen Laut, fast ein Auflachen, aus, als er sie sah. Dies war also der Ort, an dem Lorenor den Großteil seiner Kindheit verbracht hatte. Als erstes bemerkten sie mehrere Kinder, erstarrten regelrecht in ihren Übungen, manche zeigten sogar auf sie und innerhalb von weniger Sekunden brach das strukturierte Training in sich zusammen. „Nana, denkt daran, ihr seid mitten in einer Einheit. Keine Unterbrechungen“, korrigierte sie ein älterer Mann, der gerade auf die Terrasse des Haupthauses trat und zur Ordnung mahnend mehrmals mit den Händen klatschte. „Nur weil wir Besuch bekommen haben, solltet ihr euch nicht ablenken lassen. Ganz gleich, wie bekannt die Namen auch sein mögen.“ Die Schüler reagierten fast augenblicklich auf die sanften Worte des Lehrmeisters, auch wenn hier und da noch ein verstohlener Blick in ihre Richtung glitt, die Lehrlinge hingegen glotzen sie unverhohlen an. Doch der Lehrmeister ignorierte dies und schenkte ihnen ein freundliches Lächeln, trat einen Schritt zur Seite und deutete mit einer Geste in die Räumlichkeiten seiner Kendo-Schule. „Kommt doch bitte herein.“ An der Terrasse zum Trainingsraum blieben Lorenors Kameraden zurück und Lorenor ließ sich auf dem Boden nieder, während die Türe hinter ihnen geschlossen wurde, in angemessener Haltung, wie es in einem Dojo üblich war, sein ehemaliger Lehrmeister am Kopfende des Raumes, in der gleichen Haltung; Dulacre blieb an der Türe stehen. „Meister Koshiro.“ Tief verneigte Lorenor sich, stützte die Fäuste auf dem simplen Holzboden ab. „Ich bin zurückgekehrt.“ „Willkommen zurück.“ Für einen Moment schwiegen sie, dann erhob Shimotzuki Koshiro sich und schritt auf Lorenor zu. „Und nun, da wir die Formalien hinter uns gebracht haben, lass mich dich ansehen, Zorro.“ Mit weit geöffneten Armen hieß er Lorenor willkommen, der sich nochmal verneigte und dann aufrichtete, ein ehrliches Lächeln auf den Lippen, während sein ehemaliger Lehrmeister ihn mit warmem Blick begutachtete, ihm schließlich auf die Schultern klopfte und dann – offensichtlich zu Lorenors Überraschung – in eine Umarmung zog. „Me… Meister?“, kam es von ihm, ohne dass er sich wirklich bewegte. „Ich denke nicht, dass es angemessen für den besten Schwertkämpfer der Welt ist, mich noch Meister zu nennen“, entgegnete Shimotzuki mit einer Wärme in seiner Stimme, löste die Umarmung und hielt Lorenor an der Schulter fest. „Welche Freude, dich wiederzusehen.“ „Ganz gleich, was ich erreiche und welche Titel ich erlange, Sie werden immer mein Lehrmeister bleiben.“ Die schmalen Augen des alten Mannes wurden glasig. „Du warst immer schon ein sehr selbstloser, gütiger Mensch.“ Dann glitt sein Blick beinahe schon zufällig auf Dulacre. „Oh“, kam es von Lorenor und er machte einen halben Schritt in Dulacres Richtung, ohne sich von der Hand seines ehemaligen Lehrmeisters auf der Schulter zu lösen. „Darf ich vorstellen, Mihawk Dulacre. Er ist mein Partner.“ „Mhm“, machte der alte Mann nur. „Dulacre, Meister Koshiro.“ Dulacre schritt in den Raum hinein. „Eine Ehre, ich hätte nicht gedacht, Euch je kennenzulernen, Herr Mihawk“, bemerkte der alte Mann. Einen Schritt neben Lorenor blieb er stehen und begegnete diesem ehrlichen Blick. Dann neigte er seinen Kopf zu einer knappen Verbeugung. „Herr Shimotzuki, es ist mir eine Freude, Sie kennen zu lernen. Es scheint mir, als wäre ich Ihnen zu großen Dank verpflichtet.“ Er ignorierte Lorenors ungläubiges Gesicht im Augenwinkel. „Obwohl Ihre Fähigkeiten so beschränkt sind“ – „Hey!“ – „waren Sie Lorenor ein guter Lehrmeister und haben ihm Halt und Ausbildung geboten, wenn andere gescheitert wären. Ohne Ihr Zutun wäre er nicht der geworden, der er heute ist, und dafür schätze ich Sie sehr.“ „Oh, vielen Dank“, lachte Shimotzuki auf und rieb sich verlegen den Nacken. „Solch wohlwollenden Worte hätte ich mir von Euch nicht zu hoffen gewagt, Herr Mihawk, wo Ihr doch so bekannt seid für Eure scharfe Zunge.“ „Irren Sie sich nicht“, entgegnete Dulacre und begutachtete ihn kühl. „Es ist nichts Wohlwollendes an meinen Worten, aber auch, wenn Ihre Qualitäten als Schwertkämpfer… bedauerlich sind, so kann ich Ihre Qualitäten als Lehrmeister doch anerkennen.“ „Ernsthaft?!“, knurrte Lorenor von der Seite und sah ihn kopfschüttelnd an. „Beeindruckend.“ Shimotzuki sah ihn aufmerksam an. „Ein Blick und Ihr habt meine Fähigkeiten direkt erfasst. Aber eigentlich sollte es mich nicht überraschen, Euer Können muss ohnegleichen sein. Schließlich hat es noch niemand geschafft, den Titel so lange zu halten wie Ihr.“ „Das stimmt, allerdings hatte ich auch gar keine andere Wahl. Es hat lange gedauert, einen würdigen Nachfolger zu finden.“ Noch einen Moment musterten sie einander, dann sahen sie gleichsam zu Lorenor, der zwischen ihnen stand und unter ihren Blicken errötete. „Was auch immer“, bemerkte er und raufte sich die Haare, ehe er sich seinem ehemaligen Lehrmeister zuwandte. „Ich würde gerne zum Grab gehen und…“ Er verstummte, als Shimotzuki verständnisvoll nickte. „Mach nur, mach nur. Wir können später reden. Du solltest sie nicht zu lange warten lassen.“ Lorenor nickte mit einem sanften Lächeln. „Herr Mihawk, darf ich Euch zu einer Tasse Tee einladen? Ihr müsst eine lange Reise gehabt haben, ich möchte Euch angemessen empfangen.“ Er begegnete dem klugen Blick des alten Lehrmeisters. „Sehr gerne.“ Dann nickte er Lorenor zu, der nur kurz zu ihm herübersah, ebenfalls nickte und ohne jegliches Zögern ging. „Eine Frage hätte ich allerdings doch“, bemerkte Shimotzuki mit nachdenklichem Unterton, als Lorenor die Türe hinter sich zuzog. „Als Zorro Euch seinen Partner nannte, meinte er da…?“ „Nein“, widersprach Dulacre mit leiser Anspannung, „er meinte es im romantischen Sinne.“ „Oh, das überrascht mich dann jetzt doch etwas.“ Shimotzuki zeigte ein leichtes Lächeln. „Nun ja, er ist halt erwachsen geworden, nicht wahr? Wobei er seine kindliche Unschuld leider schon sehr früh hatte verlieren müssen.“ „Und dennoch ist dies der Ort, an dem er in Sicherheit Kind sein und erwachsen werden durfte.“ Der ältere Mann wandte sich zu ihm um, seine schmalen Augen weit geöffnet. „Ihr scheint ihn gut zu kennen.“ Dies bescherte Dulacre ein Lächeln. „Vermutlich besser als er selbst, aber das sollte keine Überraschung sein.“ „Nicht?“ Doch was auch immer Shimotzuki damit meinte, behielt er für sich, während er Dulacre ins angrenzende Teehaus führte. Dort warteten sie in Stille, während der Glatzkopf ihnen Tee servierte, ihn immer wieder misstrauisch beäugte. Dulacre hatte nicht viel übrig für diese alten Traditionen, aber er war sich bewusst, wie viel Respekt der Lehrer ihm gegenüber damit ausdrücken wollte, und das konnte er immerhin annehmen. Also drehte er die Schale ein-zwei Mal, wie es Brauch war, ehe er schließlich den milden Tee trank. Endlich hatte der Glatzkopf seine Aufgabe erledigt und verließ den Raum. „Nun?“, erhob Dulacre die Stimme. „Sie haben etwas zu sagen?“ Erneut weiteten sich die Augen des anderen. „Ihr seid wirklich sehr direkt“, meinte er ruhig. „Ich bin kein Freund der belanglosen Plauderei und wenn Sie schon das Gespräch mit mir suchen, dann bevorzuge ich, unumwunden zur Tat zu schreiten. Alles andere wäre sinnlose Zeitverschwendung.“ Shimotzuki schwieg. Offensichtlich dachte er über Dulacres Worte nach, während er ihm Tee nachgoss. Dann setzte er sich hin und begutachtete Dulacre nachdenklich. „Ihr scheint mir ein sehr unbeugsamer, ernsthafter Mensch zu sein. Ich habe schon viel von Euch gehört, rationaler Stratege, herzlos, gnadenlos, emotionslos, die Zeitungen haben nie einen Hehl darum gemacht, Euch als unmenschliches Monster darzustellen. Aber selbst in den Kreisen der Schwertkunst klangen die Töne ähnlich. Schlicht zusammengefasst hattet Ihr auf mich immer den Eindruck eines kaltherzigen, abweisenden Einzelgängers“, forderte er Dulacres Geduld heraus. „Die vergangenen Jahre waren die Gerüchte über Euch deutlich widersprüchlicher, sodass ich Zweifel an meiner Wahrnehmung hegte. Aber nun, da Ihr mir gegenübersitzt, sehe ich meine ursprüngliche Einschätzung bestätigt, oder würdet Ihr widersprechen?“ „Nein.“ „Mhm“, entgegnete Shimotzuki nur und senkte seinen Blick auf den Tee in seinen Händen. „Ihr sagtet, Ihr würdet Zorro sehr gut kennen. Dann wisst Ihr mit Sicherheit auch viel über seine Vergangenheit, seine Zeit hier auf dieser friedlichen Insel, in dieser kleinen, unscheinbaren Schule.“ „Natürlich.“ Nun neigte Shimotzuki leicht den Kopf. „Wieso begleitet Ihr Zorro dann an diesen Ort? Ihr seid sehr unverhohlen darin, Eure Ablehnung zu zeigen, daher denke ich nicht, dass Eure Wertschätzung mir gegenüber, die Ihr vor Zorro zum Ausdruck brachtet, gelogen war. Aber warum?“ „Unnötige Fragen, simple Antworten“, entgegnete er mit einem Augenrollen. „Ich kann wertschätzen, was Sie für Lorenor in der Vergangenheit getan haben, unabhängig von Ihren mangelnden Fertigkeiten als Schwertkämpfer und Ihrem absoluten Versagen als Vater. Mich interessiert lediglich, was Sie für Lorenor getan haben, der Rest ist mir einerlei.“ Shimotzuki stieß einen leisen Laut aus, während Dulacre sprach, und stellte seinen Tee hin, um seine Brille abzunehmen, rieb über die Gläser, als müsse er sie reinigen. „Und die Antwort, warum ich Lorenor begleitet habe, ist ebenso simpel. Weil er es wollte und mich darum bat. Ihm war es wichtig, mir den Ort seiner Kindheit zu zeigen, und mir war es wichtig, den Ort seiner Kindheit zu sehen. Nicht mehr, nicht weniger.“ Es war still, aber Dulacre dachte überhaupt nicht dran, diese Stille zu brechen. „Puh“, kam es dann schließlich von Shimotzuki, als er seine Brille wieder aufsetzte. „Ich war ja auf Eure Schonungslosigkeit vorbereitet, aber solche Worte von einem Fremden zu hören…“ „Wenn etwas simple Ehrlichkeit für Sie schon zu viel ist, hätten Sie mich nicht zum Tee einladen sollen“, entgegnete er kühl, „aber Sie wussten von meiner Schonungslosigkeit und dennoch sind wir nun hier. Also nur zu, erklären Sie sich, rechtfertigen Sie sich, verteidigen Sie sich, vor mir. Ich gebe Ihnen die Chance, für Lorenor, sagen Sie mir, warum Sie bei Ihrer Tochter so versagt haben, obwohl Sie aus derselben Generation stammen wie meine Schwester.“ Eine Spannung glitt durch den anderen Mann, sein Mund eine dünne Linie, die Schale in seinen Händen erbebte regelrecht. Für einige Atemzüge blieb nichts im Raum als diese Spannung, aber Dulacre war das gleich. „Er wusste es also“, sagte er dann schließlich. „Ich war mir nicht sicher, ob Kuina es ihm damals erzählt hat, aber nach Euren scharfen Bemerkungen… er wusste es, die ganze Zeit und dennoch… dennoch zollt er mir solchen Respekt. Habt Ihr ihm nicht von Eurer Schwester erzählt?“ „Durchaus“, entgegnete Dulacre kühl. „Aber Lorenor ist sehr wohl in der Lage zu differenzieren. Er hat großen Respekt vor Ihnen und ist Ihnen dankbar, für alles, was Sie getan haben, und dennoch hat er natürlich seine eigenen Meinungen und Ansichten, die teilweise von Ihren abweichen.“ „Und Ihr? Ihr verurteilt mich, nicht wahr?“ Klar begegnete er Dulacres Blick. „Ich bin überrascht, dass Ihr noch nicht versucht habt, Zorro den Respekt mir gegenüber auszureden.“ „Oh, nehmen Sie sich nicht so wichtig. Sie sind nicht die erste schwache Vaterfigur, die mir in meinem Leben begegnet ist, das interessiert mich wenig. Sie haben Lorenor den Weg bereitet, dafür bin ich Ihnen dankbar, das Leben und der Tod Ihrer Tochter berührt mich nicht.“ Shimotzuki schluckte und für einen Moment entglitten ihm die Gesichtszüge, dann hatte er sie wieder unter Kontrolle. „Und dennoch, obwohl Ihr wusstet, weshalb ich das Gespräch mit Euch suchen würde, wollt Ihr, dass ich mich vor Euch rechtfertige, wie Ihr es nanntet. Wieso?“ „Ich habe meine Gründe.“ „Aber die werdet Ihr mir nicht sagen?“ „Nein.“ Stille. Nach einigen Sekunden zog der alte Lehrmeister die Augenbrauen verdutzt nach oben, lehnte sich zurück und positionierte sich etwas neu, ehe er sich leise räusperte. „Nun gut. Ihr habt Recht, natürlich habe ich den Aufstieg Eurer Schwester mitverfolgt. Ich war selbst noch grün hinter den Ohren, als die Gerüchte eines Wunderkindes über die Blues hinwegschwappten. Ich erinnere mich gut. Ein junges Mädchen, eine Mihawk – natürlich eine Mihawk – kaum ein Dutzend Jahre alt, und sie hatte angeblich schon namhafte Schwertkämpfer geschlagen, gewiss schlug das hohe Wellen. Ich war neugierig, wie wohl ihr Kampfstil war, wenn alle ihre Gegner größer, schwerer und stärker sein mussten, doch ich hörte, wie die Älteren sprachen und manche von uns Jüngeren übernahmen es. Sind doch alles nur Gerüchte. Vielleicht ist sie ja ganz talentiert, aber wahrscheinlich war es für die richtigen Schwertkämpfer nie ein ernsthafter Kampf. Sie haben sie doch gewinnen lassen, keiner bringt kleine Mädchen gerne zum Heulen. Egal, wie stark sie für ihr Alter sein mag, Frauen werden im Endeffekt immer schwächer sein als Männer.“ Shimotzuki schwieg für mehrere Sekunden, begutachtete seine Teeschale nachdenklich. „Ich weiß, wie seltsam ich es damals fand. Jeder schien eine Meinung zu haben und jeder meinte, erklären zu müssen, warum diese Gerüchte nicht stimmen könnten. Als würden sie sich bedroht fühlen, in ihrem Stolz verletzt, obwohl es doch auf der Welt so viele Schwertkämpfer gab, die besser waren, oder über die es unglaubwürdige Geschichten gab, aber nur bei der Prinzessin des Schwertkampfes wurde es immer in einem Nebensatz erwähnt. Doch ganz gleich, was alle sagten, die Gerüchte wurden lauter, der Name bekannter, und irgendwann krönte sich das Prinzesschen selbst zur Königin, sogar die größten Schwertkämpfer der damaligen Zeit verneigten sich vor ihrem Können und priesen sie als beste Schwertkämpferin der Welt an, selbst das Gemunkel verstummte und ich habe nicht mehr viel darüber nachgedacht.“ Er seufzte schwer und Dulacre stellte seinen Tee ab. „Als… Die Nachricht von Mihawk Sharaks Tod hat die Welt deutlich mehr erschüttert, als viele es sich wohl eingestehen wollten. Sie war so jung gewesen, so vielversprechend, hatte so unbezwingbar gewirkt, und natürlich waren die alten Worte wieder laut geworden. Ich selbst habe zu der Zeit meine Frau kennengelernt und ich weiß noch, wie mich des Nachts die Gedanken heimgesucht haben, wie quälend furchtbar ein solcher Verlust wohl sein musste.“ Wieder schwieg er und Dulacre merkte, dass er diese ruhige Art nicht wirklich gut leiden konnte. „Diese Erinnerungen verblassten mit der Zeit, ich heiratete meine Frau, Ihr habt den Titel des besten Schwertkämpfers errungen, und ich habe diese Kendoschule übernommen. Mit den Jahren kannte man nur noch einen Mihawk, den berüchtigten Falkenauge, über den es so viele Gerüchte gab, die doch so fantastisch unglaubwürdig waren, dass sie wahr sein mussten… Ich glaube, manche waren dankbar, den Namen Ihrer Schwester vergessen zu dürfen. Ich weiß nicht, ob ich ihn selbst ebenfalls vergessen habe, aber als meine Tochter geboren wurde, da hielt ich sie im Arm, hielt die Hand meiner erschöpften Frau, und alles, woran ich denken konnte, war jener Zeitungsartikel.“ Mit einem Ruck sah er plötzlich auf und begegnete Dulacres Blick, die schmalen Augen weit geöffnet. „Es war keine bewusste Entscheidung, nicht mal das kann ich mir zugutehalten. Es passierte unbewusst, je älter meine Tochter wurde, desto weniger Schülerinnen nahm ich auf, desto öfter sagte ich jene Worte, die ich in meiner Jugend gehört hatte… und glaubte sie. Frauen sind nicht für den Kampf gemacht, sie werden immer schwächer als Männer sein. Aber Kuina… oh, Ihr hättet ihr Talent gesehen, ihren Willen, ihre… Kampfesfreude.“ Er zeigte ein Lächeln, fast so etwas wie Stolz, doch dann schwand es. „Viele in der Schule behaupteten, Kuina würde bevorzugt behandelt, sie wäre gar nicht so gut, aber die Älteren würden sich nicht trauen, gegen sie zu gewinnen, weil sie meine Tochter sei. Es war Unsinn, aber ich habe nichts dagegen gesagt. Bis Kuina acht war, war ich dagegen gewesen, sie am Unterricht in meiner Schule teilnehmen zu lassen, aber sie trainierte alleine, beobachtete mich, meine Lehrlinge und auch die Schüler – und wer weiß, was mein Vater für einen Anteil hatte, ehe er starb - und irgendwann musste ich eingestehen, dass sie talentierter war als alle anderen in der Schule, ach, als alle anderen auf der Insel, einschließlich mir selbst.“ „Sogar talentierter als Lorenor?“ „Oh, das weckt Ihr Interesse, nicht wahr?“ Er entgegnete nichts, sondern sah Shimotzuki nur kalt an, bis dieser den Blick senkte. „Zorro… Manchmal gibt es ein paar Jugendliche oder Erwachsene, die den Schwertkampf noch lernen wollen, aber die meisten Kinder in meiner Schule treten zwischen vier und sechs Jahren ein. Kuina und Zorro kamen beide jeweils erst mit acht dazu und man möchte meinen, dass es ihnen einen gewaltigen Nachteil beschert hätte, aber während bei Kuina die meisten noch meinten, ich hätte sie privat trainiert, hatte Zorro keine Vorbildung im Schwertkampf, aber… innerhalb weniger Wochen war er besser als alle aus seinem Jahrgang, er brauchte nicht mal ein Jahr, um sämtliche Schüler – und Lehrlinge – dieser Schule zu besiegen, alle bis auf Kuina. Egal, was er tat, er besiegte sie nicht.“ „Sollten Sie darüber nicht stolz sein?“ Überrascht sah der andere auf und schüttelte dann den Kopf. „Ich hoffe, sie war stolz, sie hat beeindruckendes geleistet, ich hingegen… Ihr habt ganz recht mit Euren Worten, ich war ein sehr schlechter Vater. Ihr müsst wissen, als ich Zorros Talent sah, war ich… obwohl ich doch eine so talentierte Tochter hatte, gegen die Zorro nicht ein einziges Mal hatte bestehen können in ihren abertausenden Kämpfen, steckte ich in ihn meine Hoffnungen und ich widersprach auch nicht, als manche überlegten, ob er nicht eines Tages ein geeigneter Nachfolger sein würde.“ Erneut seufzte er und sah Dulacre dann an. „Also ja, Ihr habt Recht. Ich habe als Vater versagt. Die Worte, die ich einst belächelt habe, glitten wie selbstverständlich über meine Lippen, obwohl ich wusste, dass die Jüngeren mir nachplapperten, obwohl ich wusste, dass sie es hören würde, von ihnen und von mir. Ich weiß nicht mal genau, warum ich es tat, warum ich diese Worte glaubte. Vielleicht wollte ich sie davon abhalten, den Kampf zu suchen. Ich dachte wohl, ich würde sie vor einem schrecklichen Schicksal bewahren, wenn ich ihren Willen brechen würde, ich dachte wohl, ich würde so ihr Leben retten, aber schlussendlich verlor ich sie dennoch, an einen so alltäglichen Unfall, der so viel grausamer war, als ich mir je hätte vorstellen können.“ Resigniert leerte Shimotzuki seinen Tee, hatte offensichtlich seine Ausführungen beendet, und so saßen sie dort für einige Sekunden in Stille. „Sie irren sich“, bemerkte Dulacre schließlich, erhob sich und stellte seine Schale weg, wissend, dass dies nicht den Formalien entsprach. „Wie bitte?“ Shimotzuki klang verdutzt, aber Dulacre wandte ihm weiterhin den Rücken zu. „Glauben Sie mir ruhig. Sie mögen als Vater versagt haben, aber den Willen Ihrer Tochter konnten Sie nicht brechen.“ Einen Moment noch hielt er die Schale fest. „Dafür waren Sie zu schwach und sie war zu stark.“ Shimotzuki atmete auf, als wollte er etwas sagen, schwieg jedoch. Erst nach einigen Sekunden erhob er erneut die Stimme: „Darf ich Euch etwas sehr Anmaßendes sagen?“ Das entlockte Dulacre dann doch ein leises Auflachen. „Ich erheitere Euch?“ „Gewiss, Lorenor hatte mich bereits gewarnt, aber Sie sind wirklich ein fast schon zu höflicher Mann. Nun gut, ich höre.“ Dabei wusste er, was kommen würde, so wie ihn nichts des bisherigen Gespräches überrascht hatte. „Ihr… Ihr erinnert mich etwas an… meine Tochter.“ Dem anderen immer noch den Rücken zugewandt, musste er schmunzeln. „Ich hatte Sie nicht für so herzlos gehalten, die eigene Tochter mit einem Monster zu vergleichen.“ „Wa… nein.“ Er konnte hören, wie Shimotzuki völlig überrumpelt auf die Beine stolperte. „So meinte ich das nicht und ich… Verzeiht, ich wollte Euch nicht beleidigen.“ „Das haben Sie nicht.“ Langsam wandte er sich dem anderen zu, immer noch belustigt von dieser Situation. „Sie glauben, Ihre verstorbene Tochter sei mir ähnlich gewesen? Irgendein Mädchen aus dem East Blue mit ein bisschen Talent?“ „Ja, so ist es.“ Shimotzuki lächelte nicht. „Natürlich sind mir die Unterschiede bewusst und meine Tochter hatte nie die Möglichkeit erwachsen zu werden, sich zu entwickeln, zu reifen, Euren Titel anzugreifen. Aber die Parallelen sind unverkennbar.“ „Ach, sind sie das?“ Und mit einem Mal war da dieses leise Lächeln. „Sagt Ihr es mir? Sie liebte den Schwertkampf, ich habe nie einen Menschen gesehen, der den Schwertkampf so sehr liebte wie dieses Kind. Andere Kinder nahmen Kuscheltiere mit ins Bett, sie das Schwert ihres Großvaters. Sie war ein ernstes Kind, hatte nicht viele… hatte nicht wirklich Freunde, aber man brauchte nur den Schwertkampf erwähnen und sie blühte auf. Sie war eine Einzelgängerin, isoliert von den anderen Schülern, woran ich mit Schuld trug, missverstanden und von dem ein oder anderem auch ein bisschen gefürchtet, schließlich hatte sie das Temperament und den Stolz ihrer Mutter.“ Shimotzuki schritt neben ihn und stellte ebenfalls seine Schale ab. „Und noch eine Gemeinsamkeit.“ „Lorenor.“ „Ganz recht. Sie mochte ihn am Anfang nicht, müsst Ihr wissen, er war sehr großspurig und vielleicht etwas zu selbstbewusst. Aber sie durchschaute sein Können sofort und fand ihn daher wohl etwas anmaßend, genoss es, dass er sie nie besiegen konnte.“ Er schenkte Dulacre einen kurzen Seitenblick. „Doch mit der Zeit lernte sie ihn leiden. Vermutlich… ich vermute, er war derjenige, der auf sie zugegangen ist, nicht umgekehrt, auf keinen Fall umgekehrt. Außerdem, wenn jemand je ihre Freude an einem Kampf, ihren Willen sich zu verbessern, verstanden hat, dann muss es Zorro gewesen ein. Denn es gab niemanden hier in dieser Schule, der so hart trainiert hat wie sie, niemand außer Zorro.“ Wieder schwiegen sie. „Ich denke, ich werde nun Lorenor beim Grab Ihrer Tochter aufsuchen.“ „Bitte verzeiht, ich sagte ja, es sei anmaßend“, rechtfertigte sich Shimotzuki dann, als Dulacre sich zur Tür wandte, und verneigte sich knapp. „Ich verehre das Schwert“, sprach Dulacre dann kühl weiter, als hätte der andere ihn nicht unterbrochen. „Es gibt nichts auf dieser Welt, was mich so sehr erfüllt wie die Kunst des Schwertes. Meine Schwester hat es verstanden, sie mit ihrer direkten, ehrlichen Art, auch sie hat das Schwert geliebt, auch sie hat den Kampf geliebt.“ Langsam sah er den anderen an. „Mir ist sehr wohl bewusst, dass Ihre Tochter und ich gewisse Charakterzüge teilen, so wie Lorenor gewisse Charakterzüge mit meiner Schwester teilt, aber die Unterschiede werden wohl überwiegen. Doch das eine, was uns alle verbindet, ist die Hingabe zum Schwerte, und nur wahre Schwertkämpfer werden das je verstehen können.“ Die schmalen Augen hinter der Brille weiteten sich und dann verneigte Shimotzuki sich tief. „Ich danke Euch!“ „Tze, wie unnötig.“ Er brauchte nur wenige Minuten, um Lorenor zu finden, ignorierte die Augen, die ihn verfolgt hatten, fand seinen Partner an einem schlichten Grabstein. Als er sich dazu gesellte, schaute Lorenor kurz zu ihm auf, sein sanftes Lächeln auf den Lippen. „Die Schule steht ja noch.“ „Ach bitte, als wäre sie meinen Zorn wert.“ In Stille waren sie da, Dulacre lehnte gegen irgendeinen Grabstein, Lorenor kniete auf dem Boden. Der Wind raschelte in den Blättern und angenehme Luft wehte über sie hinweg. Es war friedlich, Lorenor meist mit geschlossenen Augen, manchmal sah er zum Grabstein auf, manchmal zum Himmel, Worte in der Luft, die wohl nie gesprochen werden würden, die wohl nie gehört werden würden. Dulacre ließ seinen Blick über die Umgebung wandern, wie ein Unbeteiligter, der einem fremden Gespräch lauschte, ohne zuzuhören. Irgendwann erhob Lorenor sich und begegnete seinem Blick, ehe er sachte nickte. Gemeinsam schritten sie zurück zur Schule, dort hatte gerade das Nachmittagstraining begonnen. Doch Shimotzuki saß nicht, wie es für den Lehrmeister üblich sein sollte, auf der Terrasse, sondern erwartete sie am Eingang. „Ich würde mich freuen, wenn ihr euch etwas zu mir gesellen würdet. Ein bisschen Nostalgie kann sicherlich nicht schaden, oder Zorro?“ Lorenor grinste breit. „Ich würde zwar lieber mitmachen, aber meinetwegen, dann bin ich halt mal nur der Beobachter, wollte das eh noch ein bisschen üben.“ Shimotzuki quittierte diese Aussage mit einem leichten Stirnrunzeln, ging dann jedoch mit ihnen zur Terrasse und bot ihnen einen Platz zum Zuschauen an, also saßen sie da. Doch während Lorenor ab und an ein paar warme und wohlwollende Worte mit seinem ehemaligen Lehrmeister austauschte, wurde es Dulacre langsam zu viel. „Das reicht jetzt!“, knurrte er und erhob sich, brachte sämtliche Schüler und Lehrlinge zum Erstarren. Kurz sah er zu Shimotzuki herüber. „Sie können mich nicht einladen und dann erwarten, dass ich mir dieses Trauerspiel kommentarlos ansehe.“ „Hey, lass den Scheiß!“ Lorenor erhob sich bereits, unterbrach sich jedoch, als Shimotzuki beruhigend eine Hand hob. „Herr Mihawk, es ist mir eine Ehre, dass Ihr diese bescheidende Schule mit Eurer Anwesenheit würdigt. Es tut mir leid, wenn unsere Leistung Euren Ansprüchen nicht genügen kann.“ Einen kurzen Moment sahen sie einander an und Worte waren unnötig, also schnaubte Dulacre nur auf, rollte mit den Augen und nickte knapp. „Ja, es ist eine Ehre für diese Schule“, murrte er nur unbeeindruckt und schritt auf den Glatzkopf zu. „Du, herkommen!“ Es sprach für ihn, dass er nicht augenblicklich zusammenbrach, aber er zitterte, als er durch die Reihen der Schüler schritt und vor ihm stehen blieb, doch Dulacre wandte sich den übrigen Schülern zu. „Ich werde es nur einmal sagen, also hört gut zu. Ich unterrichte den Durchschnitt nicht, es ist nichts Erbauliches daran, schlechte Leistung zu begutachten. Aber euer Lehrmeister hat die Grundsteine in der Ausbildung des derzeitigen besten Schwertkämpfers der Welt gelegt und aus diesem Grund, und nur aus diesem Grund, bin ich gewillt, eine einmalige Ausnahme zu machen.“ Kalt starrte er sie nieder und keiner wagte, zu sprechen. „Doch ich bin nicht bereit, meine Methoden an den Durchschnitt anzupassen, daher merkt euch folgendes, ich wiederhole mich nicht, man unterbricht mich nicht, man spricht nicht, wenn ich spreche und was ich sage, ist Gesetz. Niemand von euch muss an dieser Einheit teilnehmen, also wenn ihr dies nicht aushaltet oder nicht bereit seid, in den folgenden Stunden zu tun, was ich verlange, dann verschwindet. Ich habe keine Zeit an Müßiggänger zu verschwenden.“ Naturgemäß regte sich niemand. „Gut. Glatzkopf hier wird jetzt die Grundschritte ausüben und ich werde ihn korrigieren. Schaut genau zu, hört genau zu, vereinnahmt jedes Wort und jede Position.“ Er zeigte auf den Glatzkopf. „Los, Glatzkopf!“ „Uhm… mein Name ist…“ „Sehe ich so aus, als würde mich dein Name auch nur im Mindesten interessieren? Fang an oder verschwinde.“ Er konnte Lorenors Blick auf sich fühlen – wie die Blicke aller, aber die anderen waren ihm gleich – während er die offensichtlichen Fehler des Lehrlings hart korrigierte, seine Schultern packte, seine Füße in die richtige Position stieß. Er kannte die Lehre und Vorgehensweise der meisten Schulen, aber für diese langsame Art der Verbesserung fehlte ihm die Geduld. Natürlich konnte man auch mit den tausendsten Wiederholungen langsam seine Position und Haltung verbessern, aber das war ihm zu wenig. Es gab viel zu korrigieren und er musste sich oft wiederholen, ein Naturtalent war der Glatzkopf bei weitem nicht, aber er versuchte es, immerhin, und er brach nicht sofort weinend unter Dulacres harten Worten zusammen, immerhin. Die restlichen Schüler knieten auf der Erde und sahen zu, aber natürlich waren es nur Kinder und natürlich verstanden sie nicht, verloren mit der Zeit die Konzentration und warfen sich gegenseitig Blicke zu, manche von ihnen höhnisch, vermutlich hatte es etwas Befriedigendes, dass der Lehrling, der einen stets korrigierte und vielleicht auch ab und an piesackte, nun ununterbrochen korrigiert wurde und sich unter fremder Lehre quälte. „In Ordnung, das reicht.“ Hart durchatmend warf der Glatzkopf sich nach vorne und stützt beide Hände auf den Oberschenkeln ab, während Dulacre sich umwandte. „Macht es Spaß? Schön, jemandem dabei zuzusehen, wie er versucht, sein Bestes zu geben, während man selbst dabei faulenzt, nicht wahr? Lasst es mich klarstellen. Dieser Glatzkopf hier ist besser als ihr alle anderen, deshalb habe ich ihn ausgewählt. Jeder andere von euch wäre mittlerweile bereits vor Erschöpfung zusammengebrochen. Also belächelt ihn, genießt, dass ich ihn malträtiere, aber erkennt, dass er gerade von dem besten Lehrmeister der Welt eine private Einheit erhalten hat, während ihr anderen nur zugucken durftet.“ Dann deutete er auf die übrigen Lehrlinge, auch die, die an der Seite Shimotzukis saßen. „Herkommen!“ Kurz sahen sie zu ihrem Lehrmeister herüber, doch auf sein Nicken sprangen sie auf und kamen herbeigeeilt, vier an der Zahl, der Topfschnitt, der Lockenkopf und zwei etwas jüngere, Brille und Langhaar. Dulacre hingegen sah zu Lorenor hinüber und mit einem schweren Seufzen erhob dieser sich und kam herübergeschlurft. „Gut, Glatzkopf, du gehst dich duschen, du stinkst. Danach komm zurück. Ihr zwei“ – er zeigte auf Brille und Langhaar – „werdet nun Lorenor begleiten, ihr beide mich. Hört zu, wie wir unterrichten, hört zu, wie wir korrigieren. Wenn ihr Fragen habt, fragt. Dummheit ist eine Schande, aber noch schändlicher ist, nichts gegen sie zu unternehmen, und dumme Lehrer können klugen Schülern nichts beibringen – Dummen auch nicht, aber die interessieren mich nicht – also lernt und werdet besser.“ Lorenor seufzte erneut auf, sagte jedoch nichts. Dulacre erhob seine Stimme: „Alle in Ausgangsposition. Ich werde den Takt für acht Schläge vorgeben, danach haltet ihn bei.“ Es überraschte ihn nicht, als er sich umdrehte und Shimotzuki neben dessen Lehrlingen stand, sein höfliches Lächeln auf den Lippen. „Darf ich Euch begleiten?“, fragte er höflich. „Alles andere wäre wohl eine Dummheit.“ „Hey!“ Lorenor stieß ihm den Ellenbogen in die Seite. „Übertreib jetzt mal nicht.“ Kurz sahen sie einander an, dann seufzte Lorenor und rollte sein Auge, ehe er sich umdrehte. Dulacre tat es ihm gleich und dann begann ihre Einheit. Er hielt es den Lehrlingen zugute, dass sie nach ihrer anfänglichen Scheu wirklich viel fragten – meistens sehr dumme Fragen, aber nun gut, das hatte er ja erlaubt – während Shimotzuki meist ruhig beobachtete. Äußerst selten bemerkte er – äußerst kluge – Kleinigkeiten und die wenigen Fragen, die er stellte, zeugten von der Qualität seines Auges. Mit halbem Ohr achtete er auch auf Lorenor. Er wusste, dass es nicht unbedingt Lorenors Komfortzone war, nicht nur andere zu unterrichten, sondern dabei auch noch beobachtet, noch hinterfragt zu werden, aber auch für ihn war dies eine gute Schule, und auch, wenn Lorenor sich noch nicht so ausdrücken konnte, wie er wohl wollte, so war sowohl sein Blick als auch sein Gedanke stets ideal. Die Einheit endete schließlich mit ihnen allen vorne auf der Terrasse, und den Schülern, teils nassgeschwitzt, vor ihnen im Innenhof. Dulacre bemerkte Lorenors Blick und seufzend gab er nach, woraufhin Lorenor ein leises Grinsen zeigte. „Nun gut.“ Er schritt durch die Reihen der Schüler, merkte wie manche erzitterten, als er sie passierte. „Du, du - nicht du, die neben dir, ja genau, du -, du und der kleine mit der Brille, der sich dahinten meint, zu verstecken. Genau, wage das übrigens nie wieder.“ Er schritt zurück nach vorne und wandte sich dann um. „Ihr könnt euch jetzt umziehen gehen. Das Training ist vorbei. Die vier, die ich soeben ausgewählt habe, machen sich für einen Trainingskampf bereit. Ihr habt dreißig Minuten. Die anderen lassen euch Vortritt, egal worum es geht.“ Die Schüler stimmten einstimmig zu. „Und auch, wenn dies nicht mal erwähnt werden sollte, so würde ich jedem raten, den Trainingskämpfen beizuwohnen.“ Er begegnete Lorenors Blick, der ein leichtes Grinsen zeigte und dann den Lehrlingen folgte, die sich ebenfalls umziehen gingen. So kam es, dass er und Shimotzuki alleine zurückblieben. „Beeindruckend“, bemerkte ebendieser. „Ihr habt eine sehr harsche Wortwahl und dennoch… jede eurer Anweisungen, jeder eurer Ratschläge war perfekt an das Level des jeweiligen Schülers angepasst.“ „Eine Anweisung, die der Schüler nicht zu verstehen, geschweige denn umzusetzen, weiß, zeugt nur von dem Unvermögen des Lehrenden.“ Er ignorierte das wissende Lächeln des anderen. „Ihr seid wahrlich ein Lehrmeister für die kommende Generation an Schwertmeistern.“ Dabei hatte er wohl etwas anderes sagen wollen. „Das stimmt“, sagte er die Wahrheit, ehe er Shimotzuki ansah, „allerdings gibt es da etwas, bei dem ich Ihre Einschätzung begrüßen würde.“ „Oh?“ „Ganz recht. Wie Sie zurecht feststellen, kann ich aus Willigen und Talentierten wahre Meister des Schwertes formen. Aber Sie unterrichten hier wahrlich alles, von wenig willig bis absolut talentlos, und in diesem Bereich habe ich nunmal eher begrenzte Erfahrungen.“ „Wie ich sagte, Ihr habt eine harte Wortwahl. Wie kann ich Euch behilflich sein?“ Sie sahen einander an. „Es gibt da ein Kind, erlesenes Talent, hervorragende Kampfeslust und die notwendige Dickköpfigkeit, aber… wie kann man jemanden mit minderer Motivation, fehlender Disziplin und verfehlter Selbstwahrnehmung unterrichten? Verstehen Sie mich nicht falsch, ich selbst halte ebenfalls wenig von schnöder Trockenarbeit, langweiligem Training, das halte ich niemandem vor, dennoch gehöre ich zu den allerbesten, zurecht. Aber dieses Kind ist… Worte und Taten liegen zu weit auseinander. Die Worte versprechen großen Willen und noch stärkeres Durchhaltevermögen, aber…“ „…sobald die Übungen anstrengender werden, ist das Jammern groß und die Motivation dahin, nicht wahr?“ „Ich wusste ja, dass ein solches Verhalten Ihnen bereits bekannt ist.“ „Ja, das ist es. Aber ich muss Euch enttäuschen, ich habe keine Wunderlösung für Euch.“ „Machen Sie sich keine Gedanken, ich bin ohne Erwartungen in dieses Gespräch gekommen.“ Shhimotzki zeigte ein Lächeln. „Aber ich kann Euch einen Rat geben. Ihr könnt für dieses Kind keine Entscheidung treffen und Ihr könnt nicht seinen Willen ersetzen. Aber Ihr könnt es aushalten, Ihr könnt diesem Kind den Weg offenhalten, eine Hand anbieten, die Disziplin einfordern, wenn der Wille schwächelt. Es wird viel Geduld von Euch fordern, noch mehr Vergebung, nicht von Fehlern, sondern Unlust, die Ihr nicht als Respektlosigkeit gegenüber dem Schwerte verstehen dürft. Denn was könnte bewundernswerter sein, als einen beschwerlichen Weg dennoch zu gehen, auch wenn der Wille schwächelt und man ohne Hilfe nicht bestehen könnte?“ In Stille sahen sie einander an. „Sie sind wahrlich ein gutmütiger Mensch.“ „Nun ja, mir ist bewusst, dass Ihr diese Gutmütigkeit belächelt, vielleicht sogar zu Recht, kann sie mich doch viel Zeit und vertane Liebesmüh kosten. Aber ich möchte glauben, dass es dennoch der richtige Weg ist.“ Er seufzte und sah auf, als die ersten Schüler zurück in den Innenhof strömten. „Schließlich hat diese Gutmütigkeit mir die Kraft gegeben, Zorro ein bisschen Halt geben zu können, als selbst ich mich vor meinem eigenen Schüler fürchtete.“ Dulacre ließ dies unkommentiert und beobachtete, wie die Schüler sich auf den Boden knieten, um den Platz in der Mitte, an dem sich die vier Auserwählten versammelt hatten, in sauberer Uniform, offensichtlich nervös. Dann kamen auch die Lehrlinge zurück und setzten sich auf ihre Plätze an der Terrasse. „Ähm, Entschuldigung“, fragte eines der Kinder, „aber… was wird das nun für ein Kampf? Wer von uns kämpft gegen wen?“ Eine berechtigte Frage, da die Vier teils sehr unterschiedliche Qualitäten hatten. „Nun ja, euer…“ „So, kann es losgehen?“ Lorenor kam herein, ein breites Grinsen im Gesicht, eine dieser hässlichen Uniformen an, lockerte sich mit der rechten Hand die linke Schulter, die er rotierte, ein Bambusschwert in der freien Hand. „Also, wer ist mein erster Gegner?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)