Beautiful Behavior von Varlet ================================================================================ Kapitel 34: Zwei Jahre später ----------------------------- Wie erwartet war die Kooperation der anderen Bundesbehörden sehr ausbaufähig. Sowohl das CIA als auch die Sicherheitspolizei in Japan hatten das Gespräch direkt beendet. Nur das MI6 zeigte sich kooperativ, was daran lag, dass Shuichi direkt mit seiner Mutter sprach. Das Gespräch begann unverfänglich, zuerst redeten sie über Gott und die Welt, dann über sein Leben und zum Schluss über seine Geschwister. Gerade als Mary das Gespräch beenden wollte, nannte er ihr den wahren Grund für seinen Anruf. Sie war alles andere als begeistert und wusch ihrem Ältesten den Kopf. Doch nachdem sie sich endlich beruhigt hatte, konnte man wieder vernünftig mit ihr reden. Zu seinem Erstaunen war sogar seine Mutter in die Untersuchung gegen die Organisation involviert. Eigentlich hätte es keine Überraschung sein sollen. Seit dem Verschwinden seines Vaters lebte Mary mit Shukichi und Masumi in Japan. Doch nachdem Shukichi Flügge geworden war und Masumi immer mehr Fragen über ihren Vater und das Leben in England stellte, kehrte Mary für einen Kurzurlaub dorthin zurück. Es dauerte nicht lange bis sie vom MI6 wieder angeworben wurde und in den aktiven Dienst zurückkehrte. Mittlerweile wusste man auch, dass Japan nicht so sicher war, wie Tsutomu annahm. Und so kehrte Mary in ihre Heimat zurück und nahm die Ermittlungen auf. Im Vergleich zum FBI hatte das MI6 nur wenig konkrete Anhaltspunkte gesammelt, allerdings bekam Shuichi die Akten zum Verschwinden seines Vaters endlich zu Gesicht und konnte sich mit den genauen Geschehnissen auseinandersetzen – zumindest kurz. Danach hatten er und Agent Decker es noch einmal bei der Sicherheitspolizei versucht. Die neuen Gespräche verliefen zäh und zogen sich immer in die Länge. Irgendwann stimmte das FBI einem fragwürdigen Deal zu, in dem sie ihre Daten zuerst offenlegten und darauf vertrauten, dass die Sicherheitspolizei nachzog. Obwohl Akai gar nicht mehr damit gerechnet hatte, segneten sie die Zusammenarbeit dann doch ab. Aber er hatte sich zu früh gefreut. Bis alles in trockenen Tüchern war, verging mehr als ein Jahr, aber dann ging alles schnell. Für alle Agenten, die nach Japan wollten, wurde ein Sprachkurs organisiert und jedem wurde freigestellt, ob er weiterhin gegen die Organisation ermitteln wollte. Ihre – bereits nicht so große - Gruppe wurde dadurch deutlich dezimiert. Aber damit konnten sie Leben, denn im ersten Schritt wurde nur Akai nach Japan geschickt. Einige Wochen später sollte James folgen und dann Camel. In der Zwischenzeit musste Shuichi monatliche dem FBI berichten. Er konnte sich schlimmeres vorstellen, aber vermutlich war das noch nicht alles. Was die Berichtspflicht an die Sicherheitspolizei anging, würde er erst an seinem ersten Arbeitstag erfahren. Es juckte ihn bereits in den Händen wieder aktiv gegen die Organisation zu ermitteln. Der kurze Ausflug durch die Suche nach Jodie und die Begegnung mit Chris Vineyard hatten ihm nur einen kleinen Vorgeschmack gegeben. Wie gerne hätte er sich in ihren inneren Kreis geschlichen und die Organisation selbst infiltriert, allerdings bestand die hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie sein Gesicht kannten. Dass Chris ein Mitglied der Organisation war, konnten sie mittlerweile mithilfe der Sicherheitspolizei verifizieren. Und so wie er die Schauspielerin einschätzte, würde sie nicht zögern und ihn verraten. Sie dachte eben immer nur an ihren eigenen Vorteil. Shuichi dachte an die Worte seines Vorgesetzten – Agent Decker. Wenn es zu brenzlig wurde, sollte er abbrechen. Aber daran wollte er noch nicht denken, nicht bevor es begonnen hatte. Die Sicherheitspolizei hatte sich um eine Wohnung für ihn gekümmert und den Schlüssel in einem Schließfach am Flughafen deponiert. Am Tag seiner Abreise hatte Shuichi den Code für das Schließfach auf sein Handy geschickt bekommen. Die Miete für seine Wohnung in den Staaten und für seine neue Wohnung in Japan, trug das FBI und obwohl er für einen unbestimmten Zeitraum an die Sicherheitspolizei ausgeliehen wurde, zahlte das FBI auch weiterhin sein Gehalt. Für Außenstehende war es ein merkwürdiges Konstrukt, doch das störte Shuichi nicht. Hauptsache war, dass er sich nicht selbst darum kümmern musste. Parallel dazu hatte er alle wichtigen Unterlagen aus den Staaten mitgenommen und würde sie an einem sicheren Ort aufbewahren. Selbst James Black hatte ihn noch einmal instruiert und gefragt, ob er sich auf die Sache wirklich einlassen wollte. Natürlich wollte er das, auch wenn er sein Leben in New York auf Eis legen musste. Nicht nur das, er würde auch zu Jodie keinen Kontakt mehr haben. In den zwei Jahren hatte sich ihr Verhältnis ziemlich verändert. Shuichi war mitten in der Nacht aufgestanden und hatte sich im Badezimmer frisch gemacht. Anschließend ging er auf seinen Balkon und zündete sich eine Zigarette an. Ein letztes Mal ließ er seinen Blick über die Hochhäuser schweifen. Seinen Koffer hatte er am Vorabend bereits gepackt, allerdings konnte er Kleidung und andere wichtige Sachen auch in Japan kaufen. Als die Zeit voranschritt, verließ Shuichi mit gepacktem Koffer seine Wohnung und schloss die Tür. Er lief die Treppe nach unten und verließ das Wohnhaus. Sofort schlug ihm die kalte Luft entgegen. Camel stieg aus dem Wagen und hob grüßend die Hand. „Hier bin ich“, sagte er, ärgerte sich aber im nächsten Moment über seine Aussage. Akai ging zu ihm. „Danke, dass du mich zum Flughafen fährst.“ Camel lächelte und platzierte den Koffer im Kofferraum. Danach stiegen er und Akai ein. Camel startete den Motor und fuhr los. Die Straßen waren um diese Uhrzeit noch relativ leer, weswegen sie nicht lange zum Flughafen brauchten. „Kann ich sonst noch etwas für dich tun?“ „Nicht nötig. Halt dich am Riemen und komm in einigen Wochen hinterher.“ Shuichi stieg aus und holte seinen Koffer aus dem Kofferraum. Ohne eine weitere Verabschiedung betrat er den Flughafen. Er gab sein Gepäck auf und passierte die Sicherheitskontrolle. Vor dem Gate wartete er auf das Boarding. Doch es dauerte nicht lange, bis er das Flugzeug betreten konnte. Mehrere Stunden später war er in Tokyo angekommen. Trotz allem war es ein komisches Gefühl gewesen, wieder in Japan zu sein. Beim letzten Mal machte er mit seiner Familie Urlaub am Strand. Dennoch würde er aufpassen, seinem Bruder nicht über den Weg zu laufen. Shukichi war nicht dumm und würde hinter den wahren Grund seiner Anwesenheit kommen. Aber er hatte vorgesorgt und sich bereits über den Stadtteil informiert, in dem sein Bruder lebte. Mit Glück konnte er die Begegnung umgehen. Shuichi blickte in die Menschenmenge und beobachtete ihr Tun. Die Touristen liefen wie aufgeschreckte Hühner von einer Seite zur Anderen und wussten nicht, was sie tun sollten. Als sie danach von der Zollabfertigung herausgewinkt wurden, schienen sie überrascht zu seinen und fingen die Diskussion an. Akai holte seinen Wohnungsschlüssel aus dem Schließfach und lief zum Ausgang. Wie viele andere stellte er sich an die Bushaltestelle und wartete auf die nächste Linie. Während die Japaner zunächst die Insassen des Busses aussteigen ließen, versuchten sich die Touristen sofort in den Bus zu zwängen. Wahrscheinlich hatten sie Angst, dass sie keinen Sitzplatz fanden oder nicht mitgenommen wurden. Shuichi stieg als letzter ein, zahlte sein Ticket und blieb im Gang stehen. Nach rund 45 Minuten hatte er sein Ziel erreicht und stieg aus. Er blieb an der Bushaltestelle stehen. „Was wollen Sie?“ Der Mann, der ihm vom Flughafen gefolgt war, richtete seine Brille. „Selbstverständlich haben Sie meine Anwesenheit bemerkt. Mein Name ist Kazami, ich arbeite für die Sicherheitspolizei. Eigentlich wurde ich geschickt, um Sie abzuholen und herzubringen. Allerdings sind Sie am Flughafen an mir vorbei gelaufen. Ich wollte dennoch sichergehen, dass Sie problemlos hier ankommen.“ Shuichi nickte verstehend. „Danke, aber es ist nicht das erste Mal, dass ich in Japan bin.“ „Selbstverständlich“, entgegnete Kazami. „Bitte Entschuldigen Sie. Nun da Sie hier sind, kann ich wieder gehen. Sollte noch etwas sein, können Sie mich natürlich erreichen.“ Er griff in seine Jackeninnentasche, zog die Geldbörse hervor und eine Visitenkarte heraus. Diese überreichte er seinem neuen Kollegen. Akai blickte auf die Karte. „Ruhen Sie sich aus, Jetlag ist nie angenehm. Wir erwarten Sie dann kommenden Montag bei uns im Büro. Die Adresse haben Sie?“ „Ja“, antwortete der Agent. „Bis Montag.“ Shuichi ging die Straße entlang, bis er das Wohnhaus fand. Er zog den Schlüsselbund aus seiner Hosentasche heraus und öffnete die Tür. Danach ging er auf den Aufzug zu und betätigte den Knopf. Als die Tür aufging, stieg er ein und fuhr nach oben. In jeder Etage wohnten drei Parteien – die Wohnungen rechts und links waren größer und für Familien gedacht. Die mittlere Wohnung eignete sich gut für alleinstehende Personen. Akai schob den Schlüssel am Bund in das Schloss und betrat seine neuen vier Wände. Die Wohnung war bereits möbliert und passte zu einem Mann seines Alters. Shuichi ließ seinen Koffer im Flur stehen und sah sich um. Auf der rechten Seite lag das Badezimmer. Es war klein, aber ausreichend und mit einer Dusche ausgestattet. Auf der linken Seite gab es einen Abstellraum mit Sicherungskasten. Akai schlüpfte aus seinen Schuhen und betrat den großen Wohnraum. Direkt zu seiner Linken fand er die Küche vor. Die Schränke und der Kühlschrank waren leer, sodass er in Gedanken bereits eine Einkaufsliste zusammenstellte. Er ging zurück in den Wohnraum. Auf der einen Seite standen ein Schreibtisch und ein Stuhl, auf der anderen Seite befand sich eine Wohnwand mit Sofaecke und Tisch. Von dort kam man direkt in das kleine Schlafzimmer. Es war mit einem Bett und einem Schrank ausgestattet. Ausreichend für den FBI Agenten. Vermutlich würde er den großen Teil der Zeit nicht einmal zu Hause sein. Akai ließ sich auf das Sofa fallen. Er schloss die Augen und wollte nur einen Augenblick der Ruhe genießen. Solange er nicht einschlief, hatte er kein Problem. Es war ein ganz normales Phänomen: Jetlag. Er hatte ihn, denn egal wie sehr er sich auch vorbereitet hatte, der Jetlag kam trotzdem. Und auch wenn er in diesem Augenblick schlafen wollte, durfte er sich diesem Verlangen nicht hingeben. Denn ansonsten würde er auch noch die kommenden Tagen darunter leiden. Augenblicklich öffnete Shuichi seine Augen. Mit den falschen Gedanken würde er doch noch den Schlaf finden. Er zog sein Handy aus der Hosentasche und deaktivierte den Flugzeugmodus. Sofort erschienen die zahlreichen Nachrichten auf dem Display. Der Agent seufzte. Er sollte sich nach der Ankunft bei seinen Kollegen in Amerika melden, allerdings hieß es nicht, dass es sofort geschehen musste. Hätte er gewusst, dass sie sich nicht zurückhalten würden, hätte er sich schon am Flughafen gemeldet. Er sah vor seinem inneren Auge, wie Camel am Computer saß und die Seite der Fluggesellschaft mit dem Live-Ticker regelmäßig aktualisierte. Sie meinten es sicher nur gut, doch gerade jetzt brauchte er es nicht. Nach und nach schrieb er jedem die Nachricht, dass er angekommen und sich in seiner neuen Wohnung befand. Das würde erst einmal reichen. Shuichi legte das Handy auf das Sofa neben sich. Kaum, dass er es nicht mehr in der Hand hielt, klingelte es. Er seufzte erneut. Statt auf die Anrufe von Black zu reagieren – die dieser während Akais Fluges tätigte - schrieb Shuichi ihm eine Nachricht. Scheinbar reichte es dem Älteren nicht. Oder es steckte mehr dahinter. Shuichi griff wieder nach seinem Handy und nahm den Anruf entgegen. „Akai.“ „Black hier“, begann der Agent. „Wie ich gelesen habe, sind Sie gut in Japan angekommen. Hatten Sie einen angenehmen Flug?“ Shuichi war überrascht von dem Smalltalk, ging aber darauf ein. „Alles bestens. Mein Flug ging pünktlich und wir hatten keine Turbulenzen. Der Wohnungsschlüssel war im Schließfach deponiert und ich bin jetzt zu Hause. Jemand von der Sicherheitspolizei hat mich bereits aufgesucht und ich werde in drei Tagen zum Dienst erscheinen. Wie Sie sich sicherlich denken können, setzt bei mir der Jetlag ein und ich kämpfe gegen die Müdigkeit. Wenn ich nicht einschlafe, habe ich gute Chancen, dass ich nicht lange darunter leiden werde. Spätestens am Montag, meinem ersten Arbeitstag bei der Sicherheitspolizei werde ich voll einsatzfähig sein.“ „Ich verstehe“, fing James an. „Das FBI ist froh, dass Sie diesen Einsatz in Japan übernehmen und so viel für uns tun. Falls Sie unsere Unterstützung benötigen, scheuen Sie sich nicht zu Fragen.“ „Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Ich weiß, was ich tue oder tun muss“, entgegnete Shuichi. Er zögerte. „Agent Black?“ „Ja?“ „Das ist sicherlich nicht der einzige Grund, warum Sie angerufen haben. Wir haben bereits vor einigen Tagen darüber gesprochen und meine Nachricht haben Sie auch gelesen. Außerdem haben Sie es schon die ganze Zeit über versucht, sogar als ich noch in der Luft war und nicht rangehen konnte.“ Black schluckte. „Es geht um Jodie.“ Akai verengte die Augen. Jodie war immer noch ein heikles Thema. „Was ist passiert?“ „Sie hat es wieder getan.“ „Sie hat was getan?“ „Sie ist wieder verschwunden. Und sie hat schon wieder einen Abschiedsbrief hinterlassen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)