Beautiful Behavior von Varlet ================================================================================ Kapitel 32: Japanisch für Angefangene ------------------------------------- Auch wenn Jodie nur ein paar Wörter auf Japanisch lernen wollte, hatte sich Shuichi zu Hause gut auf das Treffen vorbereitet. Er sprach fließend die Sprache und hatte irgendwann selbst alle Regeln und Zeitformen gelernt, sodass ihm all das ins Blut übergegangen war. Das hieß allerdings nicht, dass er auch in der Lage war, anderen bestimmte Sachen zu erklären oder ihnen die Sprache gänzlich beizubringen. Glücklicherweise gab es dafür auch Sprachkurse und zertifizierte Lehrer. Wenn es gewünscht war, würde er sogar einen heraussuchen. Und er hatte kein Problem damit, auf einen solchen Kurs zu verweisen – so wie bei Camel. Falls er allerdings doch etwas erklären musste, hatte er sich am Abend noch etwas in die Grundlagen und verschiedene Formen der Beileidsbekundungen eingelesen. Aber vielleicht würde sich Jodie nicht trauen, Fragen zu stellen und stattdessen still dasitzen. Die Situation mit Jodie war noch immer heikel. James konnte seine Sorge nicht abschütteln, dass sie wieder ging und schien ihr daher jeden Wunsch erfüllen zu wollen. Außerdem war sie immer noch ein wichtiger Bestandteil des Deals mit Chris Vineyard. Allerdings war sich Akai immer noch nicht ganz sicher, was Jodie mit ihrem Gespräch mit der Schauspielerin bezweckte. Wollte sie sich tatsächlich nur entschuldigen und ihr Beileid ausdrücken oder steckte noch mehr dahinter? Erhoffte sie sich Absolution, auch wenn sie das Opfer jenes Abends sein sollte? Und dann war da noch James Black. Shu konnte seine Gedankengänge sehr gut nachvollziehen. Keiner wusste, wie Chris reagieren würde, wenn sie Jodie sah oder ob die Organisation noch etwas mit ihr vorhatte. Egal was an dem Tag passieren würde, er wäre zur Stelle. Shuichi stand vor dem Haus des älteren Agenten. Er wusste nichts über das Privatleben seines Vorgesetzten, aber das Haus ließ darauf schließen, dass er Familie hatte. Es konnte ein Vorteil sein, damit Jodie nicht allein blieb. Akai betätigte die Klingel und wartete. Einen Augenblick später öffnete James die Tür. „Guten Morgen, Agent Akai.“ „Guten Morgen“, erwiderte Shuichi und trat ein. Er zog sich seine Schuhe und die Jacke aus. „Wie geht es ihr?“ Er hing seine Jacke an den Kleiderständer. „Den Umständen entsprechend“, antwortete Black. „Sie gewöhnt sich langsam daran, nun hier zu sein. Ich habe gestern Abend mit ihr über das Thema Therapie gesprochen. Das fand sie zwar nicht so gut, aber sie hat verstanden, warum sie wichtig ist. Jodie muss ihr Trauma verarbeiten. Nur dann kann sie nach vorne sehen und mit der Vergangenheit abschließen. Es wird vermutlich dauern, aber…irgendwann wird es ihr wieder besser gehen.“ „Verstehe“, murmelte Shuichi. Bevor das Gespräch in die falsche Richtung driftete, musste er zurück zum eigentlichen Grund seines Besuchs kommen – was er eigentlich mit der Frage ausdrücken wollte. Scheinbar hatte James nicht verstanden. „Weiß Jodie, dass ich heute komme?“ „Ja“, antwortete James. „Machen Sie sich keine Sorgen, sie hat damit kein Problem. Hier entlang, bitte.“ James ging ins Wohnzimmer. Jodie saß bereits auf dem Sofa. Vor ihr lagen ein Stift und ein Notizblock. Außerdem standen drei leere Tassen sowie eine Kanne mit Kaffee auf dem Tisch. Akai runzelte die Stirn. Es würde wohl doch noch ein langer Tag werden. Insgeheim hatte er sich darauf vorbereitet. Er beobachtete die junge Frau. Sie wirkte noch immer eingeschüchtert und hatte ihren Blick nach unten gesenkt. Man erkannte, dass sie sich mit seiner Anwesenheit schwer tat und sich unwohl fühlte. „Jodie? Agent Akai ist hier“, sagte James. Die Angesprochene sah auf. „Konnichiwa, Agent Akai“, gab sie leise von sich. „Hallo Jodie.“ Er nahm auf dem Sofa Platz. „Ist es in Ordnung, wenn wir nicht so förmlich miteinander umgehen?“ Vielleicht konnte er damit die Distanz zwischen ihnen überbrücken und dafür sorgen, dass sie sich etwas wohler in seiner Gegenwart fühlte. „Ja, das…das ist in Ordnung.“ „Wir haben uns schon mehrfach gesehen, aber bisher noch nicht viel miteinander geredet. Erinnerst du dich noch daran?“ Jodies Wangen begannen zu glühen. Wie konnte sie ihn überhaupt vergessen? „Ja, im Krankenhaus…da haben meistens die anderen Agenten…mit mir gesprochen. Aber du warst auch immer da und…hast aufgepasst.“ „Und auf dem Friedhof war ich auch“, gab Akai von sich. „Erinnerst du dich noch daran?“ Sie nickte zaghaft. „Das…weiß ich. Ich habe…dich gesehen und…bin weggelaufen, weil ich…Angst vor dir hatte.“ Möglicherweise wäre an jenem Abend alles anders gewesen, wenn sie nicht vor dem Agenten geflüchtet wäre. Vielleicht würde Sharon Vineyard sogar noch Leben. „Ich…bin weggelaufen…“, wiederholte Jodie leise. „Das war dein gutes Recht“, sprach Shuichi. „Ich weiß, dass du das Interview mit Sharon gesehen hast. Es war nur natürlich, dass du mich für einen Feind gehalten hast. Ich hätte ahnen sollen, dass du die Sendung gesehen hast und behutsamer Vorgehen müssen. Kein Wunder, dass du vor mir weggelaufen bist. Du bist ganz schön schnell und hast eine gute Kondition.“ Vielleicht konnte er damit die Situation auflockern. Jodie fühlte sich trotzdem wieder unwohler. Er nahm die Schuld auf sich, dabei war sie es, die damals keinen klaren Gedanken fassen konnte. „Wir haben einen kleinen Hobbyraum in der Detektei, dort steht auch…ein Laufband und...ich arbeite an meiner Kondition. Wenn ich nicht weiter weiß, nutze ich auch das Laufband oder…,wenn ich abschalten will.“ Er nickte verstehend. „Sport kann den Stress senken.“ „Tut…tut mir leid, dass ich angenommen habe, dass du mir etwas Tun wolltest.“ „Schon gut“, entgegnete er. „Lass uns einfach von vorne anfangen, okay?“ Jodie lächelte. Sie taute auf. Dieses Mal hatte sie kein Problem, ihm in die Augen zu schauen. „Äh…ich bin Jodie…“ „Shuichi. Du kannst mich Shuichi nennen.“ Er beobachtete sie. „Ich habe gehört, dass du gern ein paar Wörter auf Japanisch lernen willst.“ „Das war mein Stichwort“, kam es von James. „Ich lass euch mal allein“, fügte er hinzu und verließ das Wohnzimmer. Jodie sah ihm nach und blickte dann wieder zu Shuichi. „Ich möchte mich bei Chris Vineyard entschuldigen und…ihr mein Beileid zum Verlust aussprechen. Wegen mir ist…ihre Mutter tot.“ „Du musst keine Schuldgefühle haben“, sagte er. „Mehr möchtest du ihr nicht sagen?“, wollte der Agent wissen. „Ich…ähm…ich weiß es nicht. Ich wollte ihr nicht sagen, was an dem Abend wirklich passiert ist. Sie würde mir vermutlich nicht glauben. Die Beweise sind ja auch sehr…uneindeutig. Und wenn sie erfährt, dass nicht gegen mich ermittelt wird, könnte sie…das nicht verstehen. Andererseits weiß ich nicht, was ich antworten soll, falls sie danach fragt.“ Shuichi dachte nach. „Am besten du erzählst ihr nicht zu viel. Du schuldest ihr keine Rechenschaft. Wenn du dir unsicher bist, schau zu mir und ich übernehme das Gespräch.“ „Du…du bist dabei?“ „Agent Black hält es für eine gute Idee. Wenn sie mit dir auf Japanisch sprechen sollte, kann ich übersetzen. Außerdem kann ich dir helfen, das Gespräch in die richtige Richtung zu lenken.“ „Ach so…ja…das macht Sinn“, nickte sie. „Danke.“ „Gut. Bevor wir anfangen, möchte ich dir erst einmal einen guten Rat geben. Ich habe gesehen, dass du dich zu Hause bereits mit der japanischen Sprache auseinander gesetzt hast.“ Jodie nickte. „Ja, nachdem ich gehört habe, dass Sharon die ganze Zeit in Japan war, dachte ich, dass es eine gute Idee wäre, wenn ich mich mit der Sprache vertraut mache. Sollte ich auf einen Japaner treffen, der mit ihr arbeitet, wollte ich verstehen was gesagt wird…falls sie mich umbringen wollen. Vermutlich war das eine dumme Idee, denn wenn man jemanden wirklich umbringen will, wird man vorher nicht mit ihm reden. Aber soweit habe ich nicht gedacht. Ich habe mir daher im Internet ein Lehrbuch und ein Übungsbuch bestellt. Außerdem habe ich eine App auf dem Handy.“ Shuichi seufzte leise. „Das solltest du gleich alles vergessen. Deine Ambitionen in allen Ehren, aber eine Sprache im Selbststudium zu lernen und dann noch zu beherrschen ist utopisch. Gerade bei einer Sprache wie japanisch kommt es ganz besonders auf die Aussprache an. Diese lernst du nicht auf dem Papier, selbst dann nicht, wenn alles in Lautschrift geschrieben steht. Eine App kann keinen Lehrer ersetzen. Du kannst dich mit niemanden austauschen, keine Fragen stellen und keine Sprachübungen machen. Wenn du etwas falsch machst, korrigiert dich in der Regel keiner.“ „Das weiß ich“, kam es sofort von Jodie. „Ich hätte auch gerne in einem Kurs gelernt, aber das kam damals für mich nicht in Frage. Ich wollte nicht, dass sie…mich über einen Kurs findet. Nur deswegen entschied ich mich für das Selbststudium…aber ich bin nicht weit gekommen. Ich habe nur ein paar Wörter gelernt…Begrüßungen und wie ich Sushi bestellen kann.“ Shuichi lachte über ihren letzten Kommentar. „Können wir…jetzt mit den Wörtern beginnen, die ich lernen will?“ „Natürlich“, entgegnete der Agent. „Fangen wir mit der Entschuldigung an. Du hast in der japanischen Sprache mehrere Möglichkeiten, um dich bei anderen zu entschuldigen. Die häufigste und die am meisten gebrauchten Formen sind Sumimasen und Gomennasai. Wenn du etwas höflicher klingen möchtest, kannst du auch das Wort deshita an Sumimasen dranhängen. Das heißt dann so etwas wie Ich entschuldige mich für das, was ich getan habe. Bei Gomennasai könntest du kudasai anhängen. Diese Form wird allerdings eher im Familien- und Bekanntenkreis verwendet. Mit Gomennasai implizierst du auch ein Eingeständnis von Schuld. Willst du beide Wörter mal ausprobieren?“ Jodie nickte. „Sunima…“ „Sumimasen“, korrigierte er augenblicklich. „Sunim…“ „Fangen wir einfacher an. Sumi.“ „Sumi“, wiederholte Jodie. „Und jetzt masen.“ „Masen.“ „Sumimasen.“ „Sumimasen“, wiederholte die junge Frau. Sofort freute sie sich, weil sie das Wort richtig aussprach. „Und jetzt das andere.“ „Das ist einfach. Das kenn ich schon. Gomennasai.“ „Gut“, entgegnete der Agent. „Die weiteren Formen bringe ich dir nicht bei. Das würde dich nur viel zu sehr verwirren.“ „Okay, danke“, lächelte Jodie. „Dann kommen wir jetzt zu dem Schwereren, der Beileidsbekundung. Auch hier gibt es in der japanischen Sprache verschiedene Möglichkeiten und Phrasen, die du verwenden könntest. Ich denke, für dich ist es einfacher, wenn du folgendes sagst: Kokoro kara okuyami moushiagemasu. Übersetzen kannst du es mit Mein herzlichstes Beileid zu Ihrem Verlust.“ „Das klingt schwer. Kokoro kara ist noch einfach, aber den Rest habe ich bereits vergessen. Gomennasai.“ Er schmunzelte. „Sprich mir einfach nach. Okuyami moushiagemasu.“ „Okuyami moushig…“ „Das erste war korrekt. Dann sprich jetzt die ersten drei Worte aus.“ „Kokoro kara okuyami.“ „Sehr gut“, sprach Akai. „Moushiagemasu.“ „Mochi…Moshi…Moushi…“ „Moushiagemasu“, wiederholte er. „Moushiagemasu.“ „Und jetzt alles zusammen“, gab der Agent von sich. Jodie überlegte. „Kokoro kara okuyami mochi….“ „Moushiagemasu“, korrigierte er. „Moushiagemasu.“ „Nochmal, bitte.“ „Moushiagemasu.“ „Und jetzt den Satz“, sagte Shuichi. „Kokoro kara okuyami moushiagemasu. Ich kanns.“ „Noch einmal.“ „Kokoro kara okuyami moushiagemasu.“ „Und noch einmal.“ „Kokoro kara okuyami moushiagemasu.“ „Verstehst du jetzt, warum es wichtig ist, dass du dich mit der Sprache nicht nur im Selbststudium auseinandersetzt?“ Jodie nickte. „Die Aussprache ist wichtig, aber auch die Korrektur und das Üben mit einem Lehrer.“ „Genau. Am besten du übst den Satz jede Stunde einmal. Wenn du willst, gebe ich dir meine Nummer und du schickst mir eine Sprachnachricht oder rufst mich an, wenn du übst.“ „Das wäre großartig“, entgegnete sie. „Das Angebot würde ich sehr gerne annehmen.“ James kam wieder zurück ins Wohnzimmer. „Und? Wie läuft es bei euch?“ „Kokoro kara okuyami moushiagemasu.“ Der ältere Agent sah sie irritiert an. „Entschuldigung angenommen.“ Jodie kicherte. „Ich habe dir gerade mein herzlichstes Beileid zu deinem Verlust ausgesprochen.“ „Oh…ah…“ „Sie hatten eine 50%-ige Chance. Nächstes Mal funktioniert es besser“, gab Akai von sich. „Bestimmt“, nickte James. „Dann kann ich davon ausgehen, dass es gut bei euch läuft.“ „Ja“, antwortete Jodie. „Ich krieg das hin. Ich kann mich entschuldigen und ich kann mein Beileid ausdrücken. Das war genau das, was ich wollte.“ „Das freut mich sehr“, sprach er und blickte zu Akai. „Vielleicht könnten Sie ab und an mit Jodie üben…also japanisch…“ „Entschuldigung, Agent Black, aber ich hatte vorhin bereits erwähnt, dass es am besten ist, wenn sie einen Kurs besucht. Zumindest, wenn sie die Sprache weiterhin lernen will. Ich eigne mich nicht als Lehrer.“ „So war das auch nicht gemein“, gab der Ältere von sich. „Ich dachte eher daran, dass Sie ein guter Übungspartner wären, auch wenn der Kurs vorbei ist.“ Das wollte er nicht. Ganz und gar nicht, aber wie sollte er das seinem Vorgesetzten klar machen, ohne ihn gänzlich zu verprellen? „Agent Black…“, begann er. „James, jetzt lass das doch“, fiel ihm Jodie ins Wort. „Ich habe noch gar nicht entschieden, dass ich weiter japanisch lernen will. Ich habe doch erst angefangen und die paar Wörter, die ich kann, sind doch nichts. Ich muss mir das gut überlegen, denn ich habe noch mein Studium. Und darauf möchte ich mich jetzt am meisten konzentrieren. Meine Abschlussarbeit wird bald fällig und ich muss mir auch überlegen, wie es beruflich bei mir weitergeht. Und solange ich nicht in Gefahr bin, muss ich mich nicht zwingen, eine Sprache zu lernen, die so schwer ist.“ Der Ältere runzelte die Stirn. Er konnte seine Lüge mit der Gefahr nur schlecht revidieren, denn er wusste nicht, wie Jodie darauf reagieren würde. Also würde er sie erst einmal durchziehen. Und vielleicht war Jodie tatsächlich nicht mehr in Gefahr. „Ja, du hast Recht“, sagte er. „Erst einmal das Studium, der Rest kommt dann von selbst.“ „Wann soll es eigentlich zu Chris Vineyard gehen?“, unterbrach Akai die angespannte Situation. „Ach, genau, deswegen bin ich zurück gekommen. Ich habe vorhin mit Agent Decker gesprochen. Er hat mit dem Management von Sharon Vineyard telefoniert. Sie möchte morgen Mittag abreisen.“ „Sie will morgen Mittag abreisen?“, fragte Jodie ungläubig. „Die Beerdigung ist bereits gewesen, sie hat sich um den Nachlass ihrer Mutter gekümmert und Beileidsbekundungen entgegen genommen. Außerdem hat sie alles mit dem Filmteam ihrer Mutter geklärt. Den Rest regelt sie über einen Anwalt, weswegen sie nichts mehr in New York hält“, erklärte James. „So wurde es Agent Decker gesagt.“ Jodie schluckte. „Und…wann kann ich…mit ihr reden, falls das überhaupt noch geht.“ James atmete tief durch. „Es wäre möglich, sich heute Abend mit ihr zu treffen. Sie ist in ihrem Hotelzimmer und würde dich…ich meine euch, erwarten. Aber nur, wenn du dazu bereit bist. Wenn es nicht geht, solltest du dich nicht dazu zwingen.“ Jodie schluckte abermals. „Ich…ehrlich gesagt, habe ich gedacht, dass ich noch ein paar Tage hätte, deswegen…bin ich eigentlich noch nicht bereit. Aber…ich möchte es tun. Ich möchte die Chance nutzen und mit ihr reden. Auch wenn es schwer sein wird.“ Jodie spürte, wie ihr Stresslevel anstieg. „Das wird schon…irgendwie.“ „Agent Akai?“ „Natürlich“, antwortete er. „Ich werde dabei sein.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)