Beautiful Behavior von Varlet ================================================================================ Kapitel 21: Alles auf Anfang ---------------------------- Shuichi seufzte. Er wusste, dass das Gespräch mit Agent Black nicht einfach werden würde. Allerdings hatte sich James ganz anders verhalten, als erwartet. Er blieb ruhig. Zu ruhig. Aber wenigstens würde er Jodie nicht allein lassen. Außerdem war Ed auf den Weg ins Krankenhaus. Sie hatte den bestmöglichen Schutz. Aber nicht von ihm, denn er musste sich um etwas Anderes kümmern. Shuichi wählte die Nummer von Agent Decker. „Decker?“ „Hier Akai“, begann Shuichi. „Ich habe Jodie gefunden. Sie war die letzten beiden Jahre bei einem Privatermittler angestellt und bezog in der Nähe seiner Detektei eine Wohnung. Sharon Vineyard hat das ebenfalls herausgefunden, war uns aber einen Schritt voraus. Sie hat Jodie heute abgefangen… Es tut mir leid, ich kam zu spät. Jodie wurde angeschossen und wird gerade ins Presbyterian Hospital gebracht.“ Agent Decker runzelte die Stirn. „Wie ist ihr Zustand?“ „Es sah nicht so gut aus“, antwortete Shuichi. „Ich war so frei und habe Agent Black informiert. Er ist auf dem Weg. Egal wie es ausgeht, er sollte bei ihr sein.“ Shuichi wurde ernster. „Als ich in der Wohnung ankam, war ein Sanitäter bereits bei ihr. Er gehörte zum ersten Rettungsteam. Das andere Opfer wurde ebenfalls ins Krankenhaus gebracht.“ „Ebenfalls das Presbyterian?“ „Vermutlich. Es ist in der Nähe und als Schauspielerin bekäme sie die beste Versorgung. Allerdings…war sie scheinbar als Milena Sherman verkleidet.“ „Ich werde Fallon und Jackson darauf ansetzen. Sie bleiben in der Wohnung und sichern die Beweise. Wurde das NYPD schon informiert?“ Shuichi blickte zu den beiden Männern. „Ja, es wurde ein Notruf abgesetzt, aber ich weiß noch nicht von wem. Ich habe den beiden Männern bereits mitgeteilt, dass das FBI den Fall übernimmt. Sie werden mir sämtliche Beweise, die sie sichergestellt haben, übergeben. Außerdem habe ich alles angefordert, was mit dem Notruf in Verbindung steht. Der Sanitäter kam mir auch ein wenig komisch vor. Ich möchte ihn auch überprüfen.“ „Wie heißt er?“, wollte Decker wissen. „Matt Browning.“ „Sehen Sie die Überprüfung als erledigt an“, entgegnete der Ältere. „Danke.“ Shuichi sah sich dann wieder in der Wohnung um. „Momentan bin ich hier allein. Das beeinträchtigt mich in den weiteren Ermittlungen.“ „Ich schicke Ihnen Agent Camel und Montgomery“, sagte Decker. „Senden Sie mir eine Nachricht mit der Adresse und ich leite alles weiter.“ „Danke, Sir. Wenn es sich tatsächlich um Sharon Vineyard gehandelt hat, sollten wir auf der Hut sein. Vielleicht war alles auch nur ein Ablenkungsmanöver.“ „Die Wahrscheinlichkeit ist groß“, antwortete der Ältere. „Seien Sie vorsichtig, Agent Akai.“ „Natürlich. Machen Sie sich um mich keine Sorgen.“ „Gut. Ich zähl auf Sie.“ Decker legte auf und seufzte. Die Katastrophe war auf sie hereingebrochen, wie eine Flut. Shuichi zog nun ein Paar Handschuhe aus seiner Jacke und streifte sich diese über. Er öffnete die Tüte mit dem Notizbuch und holte dieses heraus. Shuichi überflog die Einträge und dachte nach. Sie hörten sich nicht gut an und sie zeigten, dass Jodie ernsthafte Probleme mit der Schauspielerin hatte. „Agent Akai?“ Der Agent sah zu Pearson. „Ja?“ „Können wir Ihnen helfen? Wir haben bereits angefangen die Wohnung zu sichern. Wir könnten weitermachen und Ihnen zuarbeiten.“ „Gut“, entgegnete Shuichi ruhig. „Einer von Ihnen stellt mir jetzt die Daten zusammen, die ich gefordert hab und ein anderer von Ihnen dokumentiert alles, was hier am Tatort zu sehen ist.“ Der Polizist nickte und ging zur Seite. Shuichi sah sich wiederholt in der Wohnung um. Er brauchte einen anderen Blickwinkel, weswegen er zur Tür ging. Für einen kurzen Augenblick schloss er seine Augen und atmete tief durch. Mit frischer Energie drehte er sich wieder um und schaute sich den Raum an. Er stellte sich die Situation vor. Jodie war durch den Wind, als sie mit der vermeintlichen Milena nach Hause kam. Auf dem Tisch standen keine Getränke und die Zeit reichte nicht, um in der Küche gemütlich etwas zu trinken. Der Sanitäter hatte zwar Sharon Vineyard mit keinem Wort erwähnt, was nicht hieß, dass sie eine Maske trug. Wenn er die Schauspielerin nicht kannte, konnte er sie unmöglich identifizieren. So gab es zwei Möglichkeiten. Entweder Sharon offenbarte sich oder sie ließ Jodie in dem Glauben, dass eine ihrer Freundinnen sie umbringen wollte. Shuichi kniete sich auf den Boden und schaltete die Taschenlampe an seinem Handy ein. Hatte Sharon die Maske abgenommen, bestand die Wahrscheinlichkeit, dass sie den Boden berührte. Dadurch konnte er vielleicht Partikel finden und sichern. Akai suchte den Boden bis zu der Stelle, wo die Opfer lagen, ab, fand aber nichts Verdächtiges. Zusätzlich überprüfte er die Stellen, an denen die Patronenhülsen gefunden wurden. Auch diese waren nicht auffällig. Shuichi ging alle möglichen Schusswinkel durch und glich diese mit den Blutspuren ab. Es passte - schon fast zu gut. Aber eines konnte er sich nicht erklären. Woher hatte Jodie die Waffe? Ihre Handtasche lag im Flur, kein Schrank war geöffnet und es sah nicht so aus, als hätte Jodie ein Holster getragen. Shuichi stand wieder auf. Er ging zur Tatwaffe und sah sie sich an. Er brauchte unbedingt Jodies Fingerabdrücke und eine Untersuchung auf Schmauchspuren an ihren Händen. Er griff nach dem Lauf der Waffe. Die Waffe wurde definitiv abgefeuert. Shuichi fotografierte die Seriennummer ab. Diese würde er auch noch überprüfen. Der Agent runzelte die Stirn. Er ging wieder zum Fenster und sah sich die Balkontür an. Es war gut möglich, dass Jodie frische Luft brauchte. Allerdings war es windig und keiner konnte sagen, wie weit die Tür geöffnet gewesen war. Dennoch leuchtete der Agent mit der Taschenlampe seines Handys auf die Tür. Auf und ab. Ab und auf. Er erkannte eine kleine Schramme und die Absplitterung von weißem Kunststoff. Die Stelle war klein. Akai kniete sich wieder hin und leuchtete mit dem Handy auf den Boden. Er fand das Stück. „Pearson?“, sprach er. „Ich brauch eine Beweismitteltüte und eine Pinzette.“ „Agent?“ „Tüte und eine Pinzette, sofort!“ „Ich hole eine“, gab der Polizist von sich und verließ den Tatort. Er kam nach wenigen Minuten zurück und reichte Shuichi die Utensilien. Akai öffnete die Tüte und nahm den weißen Partikel mit der Pinzette auf. Er betrachtete ihn und schob ihn dann in die Tüte, die er verschloss. Shuichi legte die Tüte auf den Tisch und ging wieder zu den Fenstern. Er trat auf den Balkon und sah nach draußen. „Durchschuss…“, murmelte Shuichi. Er tippte eine Nachricht und schickte sie an James. Lassen Sie im Krankenhaus die Wundränder der Schussverletzung untersuchen. Wir brauchen eine Einschätzung darüber, was die Eintrittswunde ist. Akai Shuichi ging wieder rein. Camel und Montgomery betraten die Wohnung. „Wir sind so schnell wie möglich gekommen“, entgegnete Camel. „Wie können wir helfen?“ „Das NYPD hat den Tatort gesichert“, erklärte er. „Ich habe mich auch ein wenig umgesehen. Sammelt alle Beweise ein und lasst euch von den Polizisten alle Daten geben, besonders die vom Notruf.“ Camel nickte. „Und was machst du?“ „Ich geh nach nebenan. Ich muss was überprüfen“, sprach Shuichi und lief an den beiden Agenten raus. „Was war denn das?“, wollte Montgomery wissen. „Shuichi Akai.“ Weiß. Nur Weiß. Ein unendlicher Raum. Und es war kalt. Eiskalt. Jodie überkam ein beklommenes Gefühl. Sie trug ein weißes Nachthemd und war barfuß. Bei jedem Schritt, den sie nach vorne machte, wollte sie zwei Schritte zurück gehen. „Ich habe deinen Vater nicht erschossen.“ Jodie sank auf die Knie. Sie legte ihre Hände auf ihre Ohren, wollte nichts mehr hören, aber die Stimme wurde immer lauter. Und sie wiederholte es. „Ich habe deinen Vater nicht erschossen.“ Jodie schüttelte den Kopf. „Wer war sonst noch da?“ Erneut schüttelte die junge Frau den Kopf. „Sei still, sei still…“ Es fiel ein Schuss. Jodie zuckte zusammen. Der Raum veränderte sich. Jodie erkannte den Boden und sah auf. Sie war in ihrem alten zu Hause. Langsam nahm sie die Hände von ihren Ohren und stand auf. Ihre Beine zitterten. Sie erkannte sich selbst. Sie war noch ein kleines Mädchen und lauschte an der Wohnzimmertür. Ihren Teddy hatte sie eng an sich gedrückt. „Hast du das gehört, Teddy? Mama und Papa kommen gleich nach oben.“ Das kleine Mädchen lief nach oben und versteckte sich hinter dem Treppengelände. Ihre Mutter kam zusammen mit Sharon Vineyard aus dem Wohnzimmer. Sharon war in schwarz gekleidet und jung. Ihre schwarze Kappe sollte den Großteil ihres Gesichtes verdecken. Die erwachsene Jodie schluckte. „Mom“, wisperte sie leise. Ihre Mutter stolperte und fiel auf den Boden. „Was soll das?“ Schockiert schaute Jodie zu der Schauspielerin. Es war die Stimme ihres Vaters. „Ich bin gestolpert“, log Angela. „Dann steh wieder auf.“ „Hören Sie auf mit der Stimme meines Mannes zu sprechen.“ „Mom…“, kam es wieder von der erwachsenen Jodie. Ihre Mutter setzte sich langsam auf und öffnete dabei ihre Handtasche. Sie zog ihre Waffe heraus, aber es war bereits zu spät. Der erste Schuss fiel. „Mom“, schrie die erwachsene Jodie und kniete sich zu ihrer Mutter. Sie wollte ihr helfen, griff aber durch ihren Körper hindurch. „Mom, bitte…“ „Es tut...mir so leid...Jodie...“ Sie hatte das Gefühl, dass ihre Mutter sie ansah, mit ihr sprach. Die erwachsene Frau schluckte. Tränen rannten ihr über die Wange. „Mom…Mama…“ Ihre Mutter lud die Waffe. „Tu das nicht…bitte…tu…das nicht…“ Dann fiel der zweite Schuss und es war vorbei. Die Schauspielerin lächelte nur und ging nach oben. „Mom…“ Jodie weinte. Dann kam die kleine Jodie nach unten. Sie ging zu ihrer Mutter, rüttelte diese und flehte sie an, die Augen wieder zu öffnen. „Ich hab Angst.“ Die erwachsene Jodie erinnerte sich noch gut an das Gefühl von damals. Allerdings hatte sie diesen Teil des Abends nicht mehr in Erinnerung. „Es wird bald passieren“, sagte das kleine Mädchen. Jodie sah sie an. Sprach sie etwa mit ihr? „Was…was meinst du?“ „Es wird bald passieren“, wisperte sie erneut. „Du kannst es nicht verhindern. Du kannst es nicht für immer verdrängen.“ Die Erwachsene schluckte. „Das…ich versteh nicht…“ „Du wirst schon bald verstehen. Sehr bald. Es wird bald passieren.“ „Jodie?“ Sie hörte die Stimme ihres Vater. Die erwachsene Jodie sah nach oben und hörte Schritte. Das kleine Mädchen hingegen nahm die Waffe ihrer Mutter und lief ins Wohnzimmer. „Warte…was hast du…vor?“ Jodie folgte ihr. Sie blickte sich im Wohnzimmer um. Ihr Vater war nicht dort. Die Täterin war nicht dort. „So war das nicht. So war das nicht“, wiederholte sie. Das kleine Mädchen versteckte sich hinter dem Sofa. Sie hatte Angst. „Jodie?“ Die erwachsene Jodie sah nach hinten. Sie erinnerte sich an die Angst, die sie damals verspürte. Daran, dass die fremde Frau mit der Stimme ihres Vaters gesprochen hatte und…, dass sie glaubte, dass diese nun nach ihr suchte. „Jodie?“ „Jodie? Wo bist du?“ „Dad“, murmelte die erwachsene Jodie, als sie ihren Vater sah. Ihr rollten Tränen über die Wangen. Er war noch am Leben. „Daddy…du musst…aufpassen. Sie…sie kommt gleich…du musst…dich umdrehen…bitte…Daddy…“ Aber der Agent hörte sie nicht. „Jodie, ich bins, Daddy. Hab keine Angst. Es wird alles gut. „Dad, ich bin…hier…“ Jodie lief zum Sofa und sah ihr kleineres Ich an. „Hier bin ich, Dad. Bitte…du darfst nicht…“ „Es wird bald passieren.“ Das Mädchen sprach wieder zu ihr. Die Augen der Erwachsenen weiteten sich. Ihr jüngeres Ich hielt die Waffe vor sich und ihre Zeigefinger lagen auf dem Lauf. Ihre Augen waren nun geschlossen, sie zitterte. Die Schritte ihres Vaters kamen näher. Als das kleine Mädchen ihre Augen öffnete, zuckte sie zusammen und ein Schuss löste sich. „Jo…die…“ Ihr Vater sackte zusammen. Er war augenblicklich tot. Die erwachsene Jodie machte einige Schritte nach hinten. Sie spürte Blut an ihren nackten Füßen. „Nein…nein…nein…“ „Papa...bitte...Papa...sag doch was...Papa...“ Das kleine Mädchen rüttelte an ihrem Vater. „Papa...bitte...es tut mir leid. Es tut mir leid. Es tut mir leid. Es tut mir leid. Es tut mir leid.“ Jodie schluchzte. „Es…tut…mir…leid…“ Sie machte wieder ein paar Schritte zurück. „So..so war das nicht…“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein!“ Das junge Mädchen blickte zu ihr hoch. „Du hast es verdrängt. “ Jodie schluckte. „Aber…sie war…hier…sie hat…Daddy…“ Und dann stand Sharon Vineyard im Wohnzimmer. Sie kam immer näher und schließlich sah sie zu dem kleinen Mädchen. „Wer…wer sind Sie?“ „Das ist ein großes Geheimnis. Ich kann es dir leider nicht verraten, aber merke dir eines: A secret makes a woman woman.“ „Das ist die Brille von meinem Daddy.“ „Oh, Entschuldige“, entgegnete die Schauspielerin und reichte ihr die Brille. „Nimm sie.“ „Was ist mit meinem Papa?“, fragte das Mädchen. „Ist er eingeschlafen?“ Mit einem Mal wurde ihre Stimme traurig. „Dabei hat er mir doch eine Gute-Nacht-Geschichte versprochen.“ „Wenn du möchtest, kannst du an seiner Seite warten.“ „Ja.“ Die Schauspielerin verließ den Raum. „Warte…nein…warte. Was hast du getan? Was hast du getan?“ Jodie wollte ihr nachlaufen, aber sie stieß gegen eine Art unsichtbarer Wand an der Wohnzimmertür. „Nein…so…so war das nicht…das…das war ganz anders.“ Jodie schluchzte. „Bitte…nicht…“ Das kleine Mädchen sah zu ihr. „Das ist die Wahrheit. Wir haben unseren Vater getötet. Wir haben das nicht gewollt. Wir hatten Angst. Wir standen unter Schock und deswegen haben wir das alles verdrängt. Wir haben uns nur noch daran erinnert, dass wir im Wohnzimmer waren und die Frau mit uns gesprochen hat. Wir sind schuld an seinem Tod.“ Jodie drehte sich um. „Das kann…nicht sein“, murmelte sie. „Ich habe…“ Sie sank auf die Knie. In ihrem Kopf herrschte Leere. „Ich habe…meinen Vater umgebracht.“ Ihre Umgebung wurde wieder weiß. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)