Beautiful Behavior von Varlet ================================================================================ Kapitel 14: Auf Abwegen ----------------------- „Hallo Roy, ich bins.“ Er hatte die Stimme sofort erkannt. Sie klang vertraut, aber auch gefährlich. „Hast du mich vermisst?“ Roy schluckte. Die Stimme gehörte zu seiner Vergangenheit – seiner bitteren Vergangenheit. Immer wenn er dachte, dass sie ihn endlich in Ruhe ließen, meldeten sie sich wieder. Es war nicht immer der gleiche Mann. Manchmal war es ein anderer. Manchmal riefen ihn auch mehrere Männer an und trieben ihn in die Ecke. Er hatte sogar seine Telefonnummer gewechselt – mehrfach – aber sie hatten es immer wieder geschafft, mit ihm in Kontakt zu treten. Gerne benutzten sie auch verschiedene Telefonnummern. Kaum dass er eine blockiert hatte, rief eine andere an. Und wenn sie nicht anriefen, kamen sie zu seiner Wohnung oder Arbeitsstelle. Nur mit Mühe und Not konnte der Agent seine Probleme seinen Kollegen verheimlich. Das gesamte Ausmaß hatte er noch nicht verstanden. Roy hatte den Mann noch vor seiner Ausbildung in Quantico kennen gelernt. Sie saßen gemeinsam an einer Bar, redeten und am Ende hatte der Alkohol dafür gesorgt, dass er mit seinen Fähigkeiten als Hacker angab. Natürlich wollte der Mann etwas sehen und Roy war noch so grün hinter den Ohren, dass er die Herausforderung nur allzu gern annahm. Nachdem der Kater am nächsten Tag endlich abgeklungen war, bereute er seine Eskapaden. Zum Glück war der Mann verschwunden und so hatte Roy diese Episode in seinem Leben für einige Wochen vergessen. Dann hatten sie einander wieder getroffen und nicht nur das. Er wurde erpresst. Obwohl er es hätte besser wissen müssen, hatte er das alles vor seinen Kollegen verschwiegen und sich auf die dubiosen Machenschaften des Mannes eingelassen. Sie hatten alles dokumentiert und zeigten ihm regelmäßig wer die Hosen an hatte. Mittlerweile kam er nicht mehr aus der Situation heraus. Jedes Mal hatte er sich über sich selbst geärgert. Als FBI Agent hätte er die Gefahr nicht unterschätzen dürfen und trotzdem war ihm dieser Fehler unterlaufen. „Was…was wollen Sie von mir?“, wollte der Agent wissen. Es war zwei Jahre her, seit er das letzte Mal mit dem Mann sprach. Er hatte sogar zu hoffen gewagt, dass es nun endgültig vorbei war. „Ach mein lieber, Roy“, begann Vermouth mit verstellter Stimme. Sie liebte es, mit ihren Opfern zu spielen und sie in die Irre zu führen. Aufgrund ihrer Fähigkeiten war es einfach. Sie konnte sogar so tun, als wären mehrere Männer am Hörer. Es brauchte nur eine gute Koordination. „Ich dachte, wir sind beim letzten Mal dabei verblieben, dass du mich informierst, wenn es was Neues zu deiner Freundin gibt.“ Roy wurde blass. Er hatte Jodie vor mehr als vier Jahren kennengelernt und ihr nur etwas Trost spenden wollen. Dann waren sie einander näher gekommen und er hatte sich verliebt. Und dann tauchte der Mann wieder in seinem Leben auf und empfand die junge Blonde als eine Gefahr. Er bedrohte ihr Leben. Würde Roy nicht weitere – kleinere – Aufträge übernehmen, würden sie sich an Jodie austoben. Mittlerweile war sich Roy sicher, dass sie auch bei Jodies Kommilitonen die Finger im Spiel hatten. Allerdings wusste er nicht, welchen Plan sie damals damit verfolgten. Ihre gemeinsame Flucht war der einzige Ausweg, den er noch hatte. Doch auch dieses Mal waren ihm der Fremde und seine Kumpane einen Schritt voraus. Schließlich hatte er sich entschieden, Jodie erst einmal allein ziehen zu lassen. Dennoch wollte er ihr folgen, wenn alle seine Probleme gelöst gewesen wären. Da Jodie vorher verschwand, kam es nie dazu. Selbstverständlich war Roy skeptisch und hatte jenen Mann in Verdacht, Schuld an Jodies Verschwinden zu sein. Aber er wurde überrascht, als er die Forderung des Mannes hörte. Er sollte sich melden, wenn Jodie wieder auf der Bildfläche auftauchte oder wenn es Neuigkeiten gab. Sofort wurde ihm bewusst, dass auch dieser nicht wusste, wo Jodie war. „Es…es gibt nichts Neues“, antwortete Roy. Wusste der Mann etwa, dass eine neue Suche nach Jodie gestartet wurde? Aber woher? „Sie ist weiterhin verschwunden.“ „Ach Roy, was soll ich nur mit dir machen?“ Die Schauspielerin lächelte. „Ich hab dir doch ganz gezielte Anweisungen gegeben. Oder möchtest du, dass ich mich mal mit deinem Chef unterhalte?“ „Ich weiß nicht, was Sie meinen“, warf der Agent ein. „Bist du dir sicher? Ich habe da was ganz anderes gehört.“ Vermouth lehnte sich nach hinten. „Soll ich dir davon erzählen? Mein kleines Vögelchen hat mir gezwitschert, dass nach der kleinen Jodie wieder gesucht wird. Oh, pardon, so klein ist sie ja nicht mehr. Sie ist ja eine erwachsene Frau…mit gewissen Vorzügen.“ Der FBI Agent rang nach Luft. Wie sollte er Jodie beschützen, wenn er nicht einmal wusste, wo sie war? „Ich habe da nur so ein Gerücht gehört“, begann Roy. Er versuchte seinen Atem wieder zu kontrollieren, damit die Person am anderen Ende seine Anspannung nicht mitbekam. „Es ist noch nicht verifiziert.“ „Was für ein Gerücht?“ Vermouth kannte bereits die Wahrheit, wollte sie aber aus seinem Mund hören. „Sie soll wieder gesucht werden“, antwortete er. „Bevor ich Ihnen davon erzähle, wollte ich das Gerücht erst einmal prüfen. Sie liegt einigen Agenten am Herzen und deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass diese nochmal alles dran setzen, sie zu finden. Aber wie gesagt, ich wollte…erst sichergehen. Es wäre auch möglich, dass das einfach nur so gesagt wurde.“ „Ist das so?“ Die Schauspielerin leckte sich über die Lippen. Es lief alles nach ihrem Plan. Vor 20 Jahren hatte es Probleme gegeben, aber diese hatte sie überwunden. Sie hatte alles für die Organisation getan, jeden Befehl befolgt und ihre eigenen Prinzipien schon lange über Bord geworfen. Anfangs hatte sie sogar Skrupel, wenn es um Kinder ging, aber dies war der Organisation egal. Und so hatte sie das kleine Mädchen von damals zu ihrer Feindin gemacht – zumindest während des Auftrages. Ihr Pokerface half ihr, aber sie hatte Pech. Jodie überlebte. Und ihr Boss hatte sie sofort zur Schnecke gemacht. Es war ihr Fehler. Auch wenn die Sache wasserdicht zu sein schien, hätte sie sich vergewissern müssen, dass Jodie tatsächlich noch im Haus war. Eigentlich sollte sie die Sache so schnell wie möglich bereinigen, aber das war viel zu gefährlich. Jodie würde vom FBI nicht mehr so einfach aus den Augen gelassen werden. Außerdem würde ihr früher Tod Fragen aufwerfen und auch die Öffentlichkeit hätte gewusst, dass der Brand kein Unfall war. Nichtsdestotrotz blieb die Organisation weiterhin auf der Hut. Sie beobachtete nicht nur das FBI, sondern auch Jodie. Sie hatten das Mädchen auf all ihren Lebenswegen begleitet, vielleicht sogar beschützt und viel über ihren Tagesablauf gelernt. Aber dennoch hatten sie den richtigen Zeitpunkt zum Handeln verpasst. Zumindest bis Jodie auf der Studentenfeier war und den kleinen Disput hatte. Eigentlich ging es ihm nach dem Sturz gut, doch dann hatte ihn die Organisation bearbeitet. Es war eine Kleinigkeit, denn sie hatten schon zuvor immer wieder dafür gesorgt, dass Jodie an die Vergangenheit erinnert wurde oder dass ihr Steine in den Weg gelegt worden sind. Manchmal war es eben besser, wenn man taktisch vorging und seinen Gegner langsam zermürbte. Und Jodie hatte ihnen ihr weiteres Vorgehen so leicht gemacht. Sie kam regelmäßig zum Büro und versuchte an die Akten ihres Vaters zu kommen. Es war beinahe ein Kinderspiel Roy auf sie anzusetzen, ohne dass dieser irgendwas bemerkt hatte. Vermouth war sich sogar sicher, dass der Agent immer noch nicht wusste, dass alles von Anfang so geplant war. Mittlerweile kannte sie Jodie und Roy. Beide konnten manipuliert werden und tanzten nach ihrer Pfeife. Selbst ihre Liebe war der Organisation zu verdanken. „Und? Was hast du rausgefunden?“ Sie tat, als hätte sie selbst keine Ahnung. Aber wenn es ging, würde sie die Bombe platzen lassen. „Die Suche ist nicht offiziell“, entgegnete Roy. „Eher ein Zufall, weil Agent Black nicht ganz auf der Höhe ist. Er will…ihm helfen und hat deswegen ein paar Nachforschungen angestellt. Aber…sie ist verschwunden. Ich konnte sie auch nicht finden.“ Vermouth lächelte. „Du liebst sie immer noch.“ Roy schluckte. „Das tut hier nichts zur Sache. Sie ist vor zwei Jahren verschwunden und…hat mich verlassen.“ „Hast du mit dem Agenten gesprochen?“ Roy spielte mit dem Gedanken aufzulegen. Aber so einfach würde es nicht werden. „Er hat mich überrumpelt. Ich habe ihm die Wahrheit über meine Beziehung zu ihr erzählt und…das ich sie nach London, Ohio schickte. Mehr weiß er nicht. Ich schwöre.“ „Mhm…“ „Bitte…ich hab…wirklich nicht mehr gesagt.“ „Mach dir nicht ins Hemd, Roy“, entgegnete die Schauspielerin. „Du kannst natürlich nichts sagen, wenn du selbst nichts weiß. Sie hat dich verlassen, du solltest sie vergessen.“ „Sie…“, wisperte er leise. „Lass gut sein, Roy“, sprach Vermouth. „Ich wollte dich nur daran erinnern, dass du uns lieber nicht verraten solltest. Du weißt, dass wir viel gegen dich in der Hand haben. Wer hätte das gedacht, ein Fehler und er zerstört dein Leben. Aber sieh es positiv: Du hattest doch auch schöne Tage.“ „Bitte…“, murmelte er leise. „Ich …ich will nicht mehr…“ Vermouth seufzte theatralisch. „Ich mach dir ein Angebot, weil ich dich so mag“, fing sie an. „Du hältst für mich weiter die Augen und Ohren offen und wenn deine Jodie auftaucht, sagst du mir Bescheid. In Ordnung?“ „Was habt ihr mit ihr vor?“, wollte der Agent wissen. Für einen Augenblick hatte Vermouth mit dem Gedanken gespielt, ihm einen Teil der Wahrheit zu erzählen und zu sehen, wie er daran zerbrach. Denn auch wenn er es nicht wollte, er hatte einer Mörderin geholfen – der Frau, die für Jodies Leid verantwortlich war. „Denkst du wirklich, ich würde dir jetzt alles erzählen?“ Er schwieg, aber die Schauspielerin konnte seinen schnellen Atem hören. „Weil du es bist, verrate ich dir noch eine Kleinigkeit.“ Sie schnalzte mit der Zunge. „Ich werde ihr die Wahrheit über den Tod ihrer Eltern sagen und danach wird sie die Wahrheit über dich erfahren.“ Roy runzelte die Stirn. „Du fragst dich sicher, welche Wahrheit ich meine. Sagen wir es mal so, es gibt da noch etwas, was sie nicht weiß. Etwas, das ihr den Boden unter den Füßen wegziehen wird. Und wenn sie am Boden liegt, wird sie erfahren, was du für uns getan hast und dass du nur mit ihr weggehen wolltest, um deine eigene Haut zu retten.“ Er wusste zwar nicht, was der Mann mit seiner ersten Aussage meinte, aber es war gefährlich. „Bitte nicht…das würde…das würde Jodie zerstören.“ „Keine Sorge, mein Lieber. Du kannst sie gern trösten. Falls sie es überlebt.“ „Falls sie…ihr wollt…“ „Sie umbringen? Vielleicht, aber vielleicht bringt sie sich auch selbst um. Wer weiß das schon“, gab sie von sich. „Sie hat ihr Ablaufdatum sowieso schon überschritten.“ „Was?“ „Weißt du, wir wollten sie schon aus dem Weg räumen, als sie New York verlassen hat, aber dann ist sie einfach so verschwunden.“ Jetzt sprudelte es nur so aus ihr heraus. Aber auch das war ein gezielter Schachzug. mit einem Mal war Roy erleichtert. Der Mann und seine Leute wussten nicht, wo Jodie war. Sie hatte eine Chance. „Aber damit sind wir klar gekommen. Es hat nicht lange gedauert, bis wir sie wiedergefunden haben und wir wissen ganz genau, wo sie sich befindet.“ Vermouth lachte. „Du armer, dummer Junge. Wir wussten all die Zeit, wo sie ist. Du wirst überrascht sein, wenn du die Wahrheit erfährst. Und wir haben bereits die ersten Schritte eingeleitet. Sei vorsichtig, bald machen wir unseren Zug.“ Roy wurde wieder blass. Er zitterte am ganzen Körper. „Bitte…tut…tut ihr nichts. Sie ist…sie…ich werde…ich…“ „Ach Roy“, fing sie an. „Ich spiel doch nur mit dir, damit du weißt, wer hier am längeren Hebel sitzt. Mach dir nicht in die Hose. Solange wir dich noch brauchen, wird euch nichts passieren. Ich dachte, du kennst mich mittlerweile.“ Er schluckte. Immer wenn er mit dem Mann sprach, wusste er nicht was Wahrheit und was Lüge war. Aber er wusste, was von ihm erwartet wurde. „Was…was soll ich tun?“ „So ist es brav. Wie vorhin erwähnt, beobachte einfach alles und melde dich bei uns, wenn sie wieder auftaucht. Wenn wir dich brauchen, melden wir uns bei dir.“ „Aber…“ Doch Vermouth hatte bereits aufgelegt. Sie lachte. Es machte Spaß ihren Worten einen Hauch von Wahrheit zu verleihen. Da der Agent keine Gefahr darstellte, hätte sie ihm sogar den ganzen Plan erzählen können. Die Schauspielerin lehnte sich nach hinten und schloss die Augen. Sie sah Jodie vor sich. Ihren geschockten Blick, als die bekannte Sharon Vineyard jenen Satz gesagt hatte. Sie hatte die junge Frau beobachtet und mit ihr gespielt. Manchmal war es so einfach, sich in eine andere Rolle hineinzuversetzen. Und es war wie eine Fügung des Schicksals, dass Milena am Tag der Ausstrahlung in der Mediathek einen Außeneinsatz hatte. So konnte sie ganz einfach den Platz der jungen Frau einnehmen. Trotzdem war die Gefahr noch nicht gebahnt. Das FBI war ihr immer noch auf den Fersen und sie musste auf der Hut sein. Sie durfte nicht wieder versagen und deswegen musste sie noch schneller agieren als ihr Feind... Hosted by Animexx e.V. 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