Beautiful Behavior von Varlet ================================================================================ Kapitel 4: Beginn ----------------- Shuichi Akai und Andre Camel betraten ihr gemeinsames Büro. Camel ließ sich auf seinen Platz fallen und seufzte. „Ich beneide dich. Du darfst dich bei diesem Fall eigenständig auf die Suche machen und ich führe nur Recherche durch oder unterstütze die anderen Teams.“ Das hatte allerdings auch einen Grund. Während Shuichi sehr gut darin war, eine Situation detailliert zu bewerten und auch spontan die besten Entscheidungen zu treffen, kreative Ideen hatte und sich auch bei den älteren Kollegen einen Namen machte, war Camel das komplette Gegenteil. Er brauchte länger um eine Entscheidung zu treffen, zweifelte oftmals an sich und wurde eher übersehen. Deswegen hielt er sich bei den Fällen häufig im Hintergrund und sah zu, wie immer alle anderen die Lorbeeren einheimsten. Aber das war in Ordnung. Irgendwann würde seine Zeit kommen. Irgendwann würde er nicht mehr im Schatten seiner Kollegen stehen. Und auch wenn er jetzt enttäuscht war, er würde sein Bestes geben. Der Fall war groß und ein Teil von ihm hoffte, dass er an anderer Stelle gebraucht werden würde. Shuichi setzte sich ebenfalls und entsperrte seinen Computer. „Mach dir nicht so viele Gedanken. Du bist dabei und das zählt. Wenn die anderen Teams Unterstützung brauchen, wirst du geholt. Sei dafür bereit und vernachlässige dein Training nicht. Zeig ihnen, dass du es kannst, dann werden sie dir auch alleine Fälle oder Aufgaben mit höherer Gefahrenstufe anvertrauen.“ Camel nickte. Es war beinahe so, als hätte sein Kollege seine Gedanken gelesen. „Weißt du schon wie du bei der Suche vorgehen willst?“ „Ich hab mir ein paar Gedanken gemacht“, entgegnete Shuichi. Er würde zuerst die gängigsten Wege versuchen: soziale Medien, Befragung von Freunden, Nachbarn, Kommilitonen, Lehrern, Professoren, Arbeitskollegen, Ärzte und der Familie. Dann würde er Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Gefängnisse, das Leichenschauhaus und die Friedhöfe abklappern. Unter Umständen käme auch noch die Gesichtserkennung in Frage. Danach konnte er eine Stufe höher gehen und versuchen Auskunft bei Banken, Versicherungen und Ämtern zu erhalten. Kannte er ihre Hobbys, konnte er noch gezielter vorgehen. Konzerte oder andere Veranstaltungen würden dann auch auf seiner Liste stehen. Erst wenn er New York ausschließen konnte, würde er die Suche auf Flughäfen, Bahnhöfe, Häfen, andere Städte und Länder ausweiten. Allerdings war sich Akai sicher, dass Jodie immer noch irgendwo in New York und Umgebung war. Wie er aus der Besprechung wusste, wollte Jodie den Mörder ihrer Familie finden und es war ein Klischee, dass der Täter früher oder später zurück an den Tatort kam. Nur wenn sie den Täter kannte und wusste, wo sich dieser aufhielt, war ihre Abwesenheit erklärbar. Zudem musste er in Erfahrung bringen, wie es Jodie schaffte, keine Spuren zu hinterlassen und von James nicht gefunden zu werden. Um einen FBI Agenten auszutricksen, musste man einiges auf dem Kasten haben. Und wenn es nicht anders ging, würde er sowohl auf einige Kontakte zurückgreifen, als auch versuchen Jodie in die Enge zu treiben. Das ging am einfachsten, wenn er sie von mehreren Privatermittlern suchen lassen würde. „Aber zuerst muss ich mich in ihren gesamten Fall einarbeiten und die alten Akten lesen. Dann brauche ich alle Unterlagen die Black hat. Mindestens ein Gespräch mit ihm lässt sich nicht vermeiden. Aber ich bin mir sicher, dass ich sie früher oder später finden werde.“ Camel war fasziniert von so viel Selbstbewusstsein. „Glaubst du wirklich, du schaffst das, was andere nicht geschafft haben?“ Akai öffnete die interne Datenbank und tippte Jodies Namen in das Suchfeld. Augenblicklich erschienen mehrere Verweise zu Dokumenten, die sich alle im Archiv befanden. Akai schrieb die Aktencodierung auf einen Zettel und rief das elektronische Archiv auf. „Ich weiß zwar nicht, warum sie ausgerechnet mich mit der Suche beauftragt haben, aber Decker wird sich dabei etwas gedacht haben.“ Als er versuchte die Archivakten zu öffnen, erschien eine Fehlermeldung. Sie wies ihn darauf hin, dass er nicht die notwendigen Berechtigungen besaß. Shuichi prägte sich die Aktencodierung ein und stand auf. „Viel Erfolg“, gab Camel von sich. Wie gern würde er ihm nun seine Hilfe anbieten. Doch er kannte Shuichi und wusste, dass es dafür noch zu früh war. Akai nickte und verließ das Büro. Er ging den langen Gang entlang, beobachtete das hektische Treiben einiger Kollegen und lief die Treppe nach oben. Als er vor dem Büro von Agent Decker stand, klopfte er an. Einen Augenblick später betrat er die Räumlichkeiten. „Agent Decker?“ Decker blickte ihn an. „Agent Akai, was kann ich für Sie tun?“ „Warum ich?“ Er hatte mit dieser Frage bereits im Besprechungsraum gerechnet. „Ich weiß, Sie erwarten andere Aufgaben, aber ich bin mir sicher, dass Sie sich am besten für die Suche nach Jodie Starling eignen. Als Ihr Vater verschwunden ist, haben Sie nichts unversucht gelassen, um ihn zu finden. Damals haben Sie einiges vom MI6 gelernt. Nicht zu vergessen, dass Sie zu jener Zeit erst Student waren.“ „Ich verstehe, es war meine familiäre Vorgeschichte die Sie dazu bewegt hat.“ „Nicht nur. Sie haben gewisse…Kontakte und solange es dem FBI nicht schadet, können Sie frei handeln.“ Shuichi steckte die Hände in die Jackentasche. „Um alles in meiner Macht stehende tun zu können, brauche ich die Berechtigungen für alle Akten der Familie Starling.“ „Sehen Sie die Freigabe als getätigt an.“ „Danke, Sir“, entgegnete Shuichi. „Was passiert, wenn ich sie gefunden habe?“ „Agent Akai, Sie sind von sich überzeugt, was gut ist, aber gehen Sie nicht davon aus, dass es einfach werden würde. Die Suche nach Jodie erfordert Ihre volle Aufmerksamkeit. Fehler oder Ablenkungen werden nicht toleriert.“ Das hatte sich der Agent bereits gedacht. „Wenn Sie Jodie gefunden haben, werden Sie ihr nicht von der Seite weichen und sie beschützen. Haben Sie noch weitere Fragen?“ „Nein.“ Shuichi drehte sich um. „Sie können sich auf mich verlassen“, fügte er hinzu und ging raus. Insgeheim konnte sich der Agent in Camel hineinversetzen. Auch sein Mitwirken bestand nur aus einer Suche und Babysitten. Doch er schluckte seinen Ärger herunter und suchte das Büro von James Black auf. Bei seiner ersten Befragung musste er unvoreingenommen sein. Stellte er dann beim Lesen der Akten Ungereimtheiten fest, konnte er das nächste Gespräch suchen. Shuichi klopfte an die Tür und trat einen kurzen Moment später ein. „Agent Black?“ James blickte auf. „Agent Akai, was führt Sie zu mir?“ Er wies auf den freien Platz vor seinem Schreibtisch. „Setzen Sie sich doch.“ „Danke.“ Shuichi schloss die Tür hinter sich und kam vor. Er setzte sich und beobachtete seinen älteren Kollegen. „Bevor ich mich mit den Akten von damals vertraut mache, möchte ich die ganze Geschichte von Ihnen hören. Außerdem brauche ich ein Foto von Jodie.“ Black runzelte die Stirn. Es wäre eine Lüge zu sagen, dass er nicht damit gerechnet hatte. „Natürlich“, nickte er und holte seine Geldbörse heraus. Er öffnete ein Fach und schob ein Foto über den Tisch. „Das ist sie. Weitere Bilder sind in der offiziellen Akte zu ihrem Verschwinden.“ Shuichi nahm das Bild und betrachtete die junge Frau. Black atmete tief durch. Jedes Mal wenn er die Geschichte erzählen musste, fiel es ihm unglaublich schwer. „Es ist schon so lange her, aber ich erinnere mich, als wäre es erst gestern. Wir haben uns in Quantico während der Ausbildung kennengelernt und wurden sehr schnell Freunde. Wir teilten uns nicht nur ein Zimmer im Wohnheim, wir wurden auch immer in die gleiche Gruppe eingeteilt und dann kamen wir auch noch in die gleiche Niederlassung in New York. Am Anfang arbeiteten wir getrennt, aber irgendwann wurden wir Partner. Dann fand er eine Frau und gründete eine Familie. So oft wie es ging, war ich bei ihnen und kümmerte mich um Jodie. Sie war ein so süßes Kind. Ich hatte Starling nahe gelegt, den aktiven Dienst zu beenden, aber er wollte nicht. Er hatte immer den Traum, eine Welt zu schaffen in der seine Familie sicher war.“ James seufzte. „Als wir den Auftrag bekamen, mussten wir sogar eine Münze werfen, um zu entscheiden wer verdeckt ermittelt und wer als Kontaktperson fungiert. Ich hab verloren…mittlerweile mehr als nur meinen besten Freund. Ich mache mir immer noch Vorwürfe, dass ich nicht darauf bestanden habe, dass ich Undercover gehe. Wir waren an jenem Abend verabredet und wollten Informationen austauschen…als ich zum Haus fuhr, sah ich Jodie auf der Straße. Sie trug ein…blutdurchtränktes Nachthemd und keine Schuhe. Das arme Mädchen fror und ich wollte sie nach Hause bringen. Sie erzählte mir, dass ihre Eltern schliefen und dass…eine Frau bei ihnen zu Hause war. Ich hatte sofort gewusst, dass etwas fürchterlich schief gelaufen war. Als ich beim Haus ankam, evakuierte die Polizei schon das Gebiet und die Feuerwehr löschte den Brand. Es wurden zwei Leichen geborgen, die eindeutig als Starling und seine Frau identifiziert werden konnten. Bei der darauffolgenden Befragung hat Jodie von der Frau erzählt, wie sie mit ihr sprach und dann bei ihrem Vater – der zu diesem Zeitpunkt bereits tot war – gelassen wurde. Da ihr irgendwann langweilig war, wollte sie ihrem Vater etwas zu trinken holen. Weil es keinen Saft mehr gab, war sie rausgegangen und hatte dadurch nur knapp überlebt. Jodie fühlte sich so schuldig überlebt zu haben…und wir konnten sie einfach nicht trösten“, entgegnete der Ältere. Er brauchte einen Moment um sich zu fangen. „Wir haben den Brand als Unfall in den Medien getarnt und da von zwei Leichen berichtet wurde, mussten wir Jodie in Sicherheit bringen. Am Anfang kam sie zu mir, aber Sie können sich vorstellen, dass das keine optimale Lösung war. Ein paar Wochen später kam sie zu Pflegeeltern, die sich liebevoll um sie kümmerten. Und so wurde Jodie langsam erwachsen. Wir haben ihr nie die Wahrheit gesagt, da es zu gefährlich gewesen wäre, auch wenn sich die Organisation im Hintergrund hielt und wir ihre Spur verloren.“ „Ich verstehe“, murmelte Shuichi nachdenklich. „Ist sonst noch was im Leben des Mädchens passiert, was für meine Recherche hilfreich wäre?“ Black wandte den Blick ab, sah dann aber wieder zu Akai. „Sie erzählte oft, dass sie sich beobachtet fühlte. Wir sind dem nachgegangen, aber am Ende stellte sich heraus, dass die Mitschüler und Eltern erfuhren, dass sie Waise war. Manchmal war sie für einige Stunden verschwunden und wir fanden sie vor dem alten Haus der Familie. Vor drei Jahren gab es dann einen Zwischenfall. Während einer Studienfeier wollte sie einem anderen Mädchen helfen. Ihr Streitpartner stürzte und verletzte sich schwer. Jodie wurde angezeigt und musste Schmerzensgeld zahlen. Ich dachte, es ginge ihr gut, aber kurz darauf erhielt ich einen Abschiedsbrief von ihr. Erst während meiner eigenen Recherchen fand ich heraus, dass sie wegen dem Streit gemobbt wurde. Vielleicht war das der Auslöser…ich weiß es nicht…“ „Haben Sie noch den Abschiedsbrief?“ „Ja. Eine Kopie finden Sie in der Akte zu ihrem Verschwinden. Sie bedankte sich für alles, was ich für sie getan hab und entschuldigte sich dafür, dass sie zu schwach war, um ihr Leben so weiterzuleben. Sie wolle endlich auf eigenen Füßen stehen und nicht nur als Tochter eines Agenten oder Opfer gesehen werden. Und dafür war New York nicht der richtige Ort. Außerdem wollte sie…den Täter suchen. Weil…kein Verbrechen vorlag, konnten wir nicht viel machen. Es wurde eine Suche gestartet, aber weder das FBI noch ich, haben Jodie gefunden.“ „Kann es nicht sein, dass sie zu anderen Familienmitgliedern geflüchtet ist?“ James schüttelte den Kopf. „Ihre Eltern waren beide Einzelkinder und ihre Großeltern sind noch vor ihrer Geburt gestorben.“ „Verstehe“, meinte Akai nachdenklich. „Haben Sie die Suche wiederholt?“ „Natürlich“, nickte Black. „Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass ich sie finde. Ich habe alles in meiner Macht stehende getan, Nachbarn, Mitschüler und Freunde befragt. Ich war sogar an der Uni, hab es bei ihren Ärzten versucht, der Bank…aber sie hat niemanden eingeweiht und alle Verbindungen gekappt“, entgegnete er. „Ich fahre regelmäßig zum Friedhof und zum ehemaligen Haus der Starlings, weil ich hoffe, dass sie irgendwann dort auftaucht, aber…nichts… Die einzige Erklärung warum wir sie nicht finden konnten, kann nur die sein, dass Jodie New York verlassen hat, vielleicht sogar das Land. Wir haben die Suche selbstverständlich ausgeweitet…ohne Erfolg.“ Shuichi dachte nach. „Eine Entführung durch die Organisation ist ausgeschlossen?“ James seufzte. „Nein, aber ich hoffe, dass sie nichts damit zu tun haben. Andernfalls würde ich wohl durchdrehen“, murmelte der Agent. „Ich habe die Hoffnung, dass Jodie alles aus eigenem Antrieb geplant und umgesetzt hat. Aber auch das macht mir Angst, weil…das hieße, dass sie diesen Plan schon länger verfolgt hat. Am Tag des Mordes ist mit Jodie etwas passiert, es hat sie zerstört und diese Zerstörung zieht sich durch ihr weiteres Leben.“ „Können Sie mir was zu Jodies Hobbys sagen? Oder zu anderen Aktivitäten, die sie gern gemacht hat?“ Black runzelte die Stirn. „Sie mochte Videospiele. Manchmal spielte sie die Nächte durch. Ich glaube aber, dass sie immer noch Albträume hatte. Unter Stress ist es besonders schlimm. Als Kind musste Jodie eine Therapie machen um alles zu verarbeiten. Ansonsten war sie früher oft in der Bibliothek und hat gelesen. Durch meine Arbeit habe ich nicht mehr so viel von ihr mitbekommen und irgendwann hat sie mir nicht mehr alles erzählt.“ „Ich werde mir von den Akten ein genaues Bild machen, damit ich Jodie besser einschätzen kann. Es wäre möglich, dass ich danach erneut mit Ihnen reden muss. Ansonsten werde ich mit dem gleichen Ansatz beginnen, wie Sie auch. Befragung und Recherche. Wenn ich ehrlich bin, glaube ich, dass Jodie in New York ist.“ „Was? Aber…?“ „Sie sagten es selbst. Für eine spontane Handlung war alles zu gut durchgeplant. Das heißt, sie muss hier irgendwo eine Person haben, der sie vertraut. Vermutlich wusste sie auch, dass man sie hier schnell finden würde und hat die Stadt eine Zeitlang verlassen. Vermutlich in einem Auto. Flughäfen und Bahnhöfe hätten nur dazu geführt, dass sie gefunden worden wäre. Also bleibt das als einzige Option übrig. Ich gehe davon aus, dass sie ein oder zwei Jahre in einer anderen Stadt gelebt hat, möglicherweise unter einem falschen Namen. Wenn sie davon ausgeht, dass die erste Suche nach ihr nichts gebracht hat, wartet sie, bis eine zweite Suche gestartet wird. Dann kann sie wieder zurück kehren. Und wissen Sie was das heißen kann?“ James blickte ihn irritiert an. An eine solche Möglichkeit hatte er selbst nicht gedacht. Akai lächelte. „Es könnte sehr gut sein, dass ihre Hilfe hier beim FBI arbeitet. Das würde erklären, warum sie spontan verschwinden konnte. Momentan ist das aber nur meine Spekulation. Ich möchte trotzdem die Suche nach Jodie unter Verschluss halten und werde bei Fragen immer angeben, dass ich keine Hinweise habe und nicht weiter kommen. Falls sie noch Kontakt hätten, soll Jodie nicht vorgewarnt sein. Ich war bereits bei Agent Decker und erhalte die Freigabe für die damaligen Fälle. Falls Sie eigene Akten angelegt haben, die dem FBI nicht zugänglich sind, übergeben Sie sie mir, bitte.“ „Ich stelle Ihnen alles zusammen“, wisperte James leise. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)