Letzte Wiederkehr von MizunaStardust ================================================================================ IXX --- IXX Seto starrte nachdenklich auf sein Telefon. Dass er nicht wusste, was sich bei Atem gerade abspielte, machte ihn schier wahnsinnig. Die Angst um ihn lähmte all seine Gedanken. Was konnte so dringend gewesen sein, dass der Pharao das Telefonat hatte abwürgen müssen? Schwebte er etwa in Gefahr? Von hier aus konnte er absolut nichts tun, um ihm beizustehen! Zwar war er sich darüber bewusst, dass Atem durchaus selbst in der Lage war, einen Ausweg zu finden, das hatte er bisher schließlich immer getan. Aber dennoch … Er fühlte sich so nutzlos wie noch nie. Und nicht nur das: Er bereute es jetzt mehr und mehr, Atem zurückgelassen zu haben. Keiner von ihnen konnte wissen, wie das alles endete, und wenn er sich nicht täuschte, würde Atem bei alldem eine Rolle spielen. Aber was würde sein, wenn all das hier vorüber war? Würde Atem dann einfach sang- und klanglos verschwinden? Würde diese Anomalie in der Zeit dann einfach stillschweigend bereinigt werden und er musste das akzeptieren? Und wollte er denn überhaupt, dass sich diese Sache hier so schnell erledigt hatte? Er wünschte sich noch ein wenig mehr Zeit, nur eine Woche, nur einen Tag, an dem er den Pharao besser kennenlernen konnte und sie sich keine Sorgen um schattenhafte Wesen oder Rituale machen mussten. Nun, da der Pharao all das hier in Bewegung gesetzt hatte, wie würde er weitermachen, nachdem er wieder zurück in seiner Zeit war? Wie sollte er vergessen, was hätte sein können? Und wieso hatten sie sich ihrer gemeinsamen Zeit nun selbst beraubt, indem sie sich getrennt hatten? Seto zuckte zusammen, als er etwas Kaltes an seinen Knöcheln spürte. Er blickte an sich herab und sah, wie sich fast unsichtbare Ranken um seine Fußgelenke schlängelten und ihn daran hinderten, sich zu bewegen. Seine Beine fühlten sich bleischwer an und sein Gemüt war gedrückt. Verdammt, er war in die Falle getappt, ohne es zu merken! Das durfte er nicht. Er durfte sich jetzt nicht mit solchen Zweifeln befassen! Er musste für seinen Bruder da sein und zusehen, dass er diese Sache hier so schnell wie möglich in den Griff bekam, um zu Atem zurückkehren zu können! Mit aller Kraft mobilisierte er seine Beine und schüttelte gleichzeitig den Kopf, um die düsteren Gedanken abzustreifen. Dann setzte er sich in Bewegung und kehrte zu den anderen zurück. Langsam trat er wieder an das kleine Sofa heran, wo Yugi gerade leise mit Mokuba sprach. „Hör mal zu“, sagte der König der Spiele ruhig, „dein Bruder hat all das für euch beide aufgebaut und ist dabei über sich hinausgewachsen, weil er es musste. Er hatte keine Wahl. Aber statt dich deshalb schlecht zu fühlen, solltest du diese Chance, die er für dich geschaffen hat, lieber nutzen. Du bist sicher aufgewachsen und kannst jetzt die beste Ausbildung genießen. Dir stehen alle Türen offen.“ „Und trotzdem schaffe ich es nicht mal, so gute Noten zu schreiben wie Seto“, murmelte Mokuba bedrückt. Wenigstens hier konnte Seto vielleicht etwas ausrichten, das wurde ihm jetzt klar. Er setzte sich ebenfalls zu seinem kleinen Bruder. „Mokuba, hör mal: Ich glaube, dir ist das nicht klar, aber ich habe dich immer um so viele Dinge beneidet, die du hast und ich nicht.“ Mokuba lachte schnaubend auf. „Das sagst du nur so daher.“ „Nein, überhaupt nicht!“, protestierte Seto, „deine Offenheit. Deine Empathie und dein Feingefühl im Umgang mit Menschen. Das sind alles Dinge, die mir fehlen und die dich zu ganz anderen Positionen in der Firma befähigen als mich.“ Mokuba schwieg verunsichert. „Glaubst du wirklich?“, fragte er schließlich. „Das glaube ich nicht nur, das weiß ich. Ich will, dass du das Gesicht der KaibaCorp wirst, wenn du alt genug bist. Derjenige, der uns in der Öffentlichkeit vertritt. Und der dafür sorgt, dass es allen Mitarbeitenden gutgeht. Denn nur zufriedene Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen führen ein Unternehmen zum Erfolg.“ „Dein Bruder hat Recht!“, mischte sich Joey ein, „er ist echt’n ziemlicher Eisklotz und gehört nicht ins Fernsehn! Kein Mensch will das sehn!“ „Ja, vielleicht bringt ihm unser guter Pharao künftig mal etwas Einfühlungsvermögen bei, das wäre doch was“, kicherte auch Tristan. Jetzt kam etwas Regung in Mokubas Körper. „Vielleicht … könnte ich mich wirklich darauf konzentrieren“, sagte er zaghaft, „okay, ich versuch's. Ich gebe alles, damit du mit mir zufrieden bist, großer Bruder!“ Und wie bei den anderen zuvor löste sich ein Schatten von ihm wie ein sich lichtender Nebel. Mokuba erhob sich und streckte seine Glieder. Erleichtert schloss Seto ihn in die Arme. „Bin ich froh!“ „Tut mir leid, dass ich dir noch zusätzlich zu allem anderen Sorgen mache“, murmelte Mokuba kleinlaut. „Mach dir keinen Kopf. Aber wenn du wieder solche Gedanken haben solltest, rede bitte offen mit mir darüber, okay?“, bat Seto und sah ihn ernst an. „Okay … versprochen. Dann hoffe ich mal, dass Atem dich nicht ganz so sozial kompetent macht, damit ich am Ende nicht doch noch überflüssig werde“, grinste Mokuba, „auch wenn ich mich ehrlich für dich freue, Seto!“ Ehrlich lächelnd sah er schließlich zu seinem Bruder auf. „Du kannst ja schon wieder frech sein, dann scheint ja alles in Ordnung zu sein“, kommentierte der ältere Kaiba. „Da wir nun alle wieder bei klarem Verstand sind, sollten wir beratschlagen, wie wir in dieser Sache vorgehen wollen“, sagte Ryou. Sie standen vor dem großen Panoramafenster in Setos Vorzimmer, das im obersten Stock der KaibaCorporation lag, und blickten bedrückt auf ihre Heimatstadt hinab. Von diesem höchsten Punkt Dominos aus wirkte alles gespenstig und ausgestorben, als habe jemand die Zeit angehalten. Eine dunkle Wolkendecke hing über der Stadt und erweckte den Eindruck, sie seien vom Rest der Welt abgeschnitten. Joey ballte frustriert seine Hände zu Fäusten. „Verdammt, es macht mich wahnsinnig, dass wir hier nur rumstehen und nichts tun können!“ Téa blickte ihn verständnisvoll an. „Ja, man kommt sich einfach machtlos vor. Wenn wir doch den Menschen da unten nur irgendwie mitteilen könnten, was wir wissen!“ „Das Problem daran ist“, überlegte Tristan, „wer würde uns das schon glauben? Eine finstre Macht, die sich von der Dunkelheit in unserem Inneren ernährt? Die würden uns für Spinner halten, die an Verschwörungsideologien glauben!“ „Das stimmt wohl … aber vielleicht nicht, wenn wir ihnen eine Geschichte erzählen, die sie hören wollen“, sprach Mokuba seine Gedanken laut aus. „Wie meinst du das?“, fragte Seto überrascht. „Naja, ich dachte … wir könnten ihnen doch etwas erzählen, das sie glauben können … war nur so’n Gedanke.“ „Ja, das ist keine schlechte Idee“, sagte nun auch Ryou, „Wir müssen den Menschen da draußen nur einen guten Grund geben, negative Gedanken bewusst zu vermeiden. Mein Onkel arbeitet beim Sitz der japanischen Presseagentur in Domino. Ich könnte zu ihm gehen und ihn bitten, eine Pressemitteilung zu veröffentlichen.“ „Das klingt so hirnrissig, dass es glatt klappen könnte“, sagte Joey und legte den Kopf schief. „immerhin wollen die Leute doch verstehen, was hier abgeht, oder? Sie wollen, dass man ihnen eine Erklärung für all das auf dem Silbertablet liefert.“ „Ich hab’s!“, rief Tristan, „warum sagen wir nicht, dass Wissenschaftler der KaibaCorp ein neuartiges Virus entdeckt haben, das für die Lethargie der Menschen verantwortlich ist. Ja, und psychisch labile Menschen mit viel Stress und Ängsten sind besonders gefährdet, deshalb sollte jede Art von Stress und negativen Gedanken vermieden werden!“ „Ich weiß nicht“, zweifelte Yugi an seinem Einfall, „würde das die Ängste der Menschen nicht nur schüren, wenn man ihnen einbläut, dass genau diese sie jetzt auch noch krank machen? Außerdem: Wie sollten Forschende innerhalb eines Tages die Ursache einer neuartigen Krankheit entdeckt haben ohne längere Studien? Die Leute wollen zwar eine Erklärung, aber blöd sind sie schließlich nicht. Ganz zu schweigen davon, dass Kaibas Forschungsteam nicht aus Virologen, sondern aus Informatikern und Mechatronikerinnen besteht.“ „Dann weiß ich auch nicht weiter“, sagte Tristan geknickt und mit hängenden Schultern. „Ich bin trotzdem dafür, dass wir es auf nen Versuch ankommen lassen!“, sagte Joey, „oder hast du ne bessere Idee, Alter?“ „Ich habe eine“, meldete sich nun Seto zu Wort. „Na das war ja wieder klar“, murrte Joey. „Ich werde sicher nicht meine Firma dazu anleiten, Falschinformationen rauszugeben und mich dadurch selbst diskreditieren“, fuhr der KaibaCorporation-Chef fort, „das könnt ihr also knicken. Ich plädiere eher dafür, dass wir den Leuten da draußen gar nicht erst die Wahl lassen, was sie glauben wollen.“ „Wie meinst du das?“, Téa zog die Augenbrauen zusammen. „Hört zu: Ich stelle mir das so vor: Ich verschaffe mir Zugriff auf alle lokalen Fernsehsendestationen und alle Monitore in Geschäften und in der Innenstadt sowie auf alle Kinoleinwände. Wir werden ab jetzt 24 Stunden jede Minute nur noch ein einziges Programm auf allen Bildschirmen der Stadt senden: Hypnose.“ Alle brauchten einen Augenblick, bis sie begriffen. „Du meinst, ein Hypnoseprogramm, das die Menschen dazu bringt, sich wohlzufühlen und positive Gedanken zu haben?“, hakte Yugi schließlich nach. „Genau das“, bestätigte Seto. „Na toll, Lügen erzählen willst du nicht, aber dich in alle Systeme der Stadt hacken, das geht voll in Ordnung!“, schmolle Tristan. Seto grinste. „Niemand wird das zur mir nachverfolgen können, dafür sorge ich.“ *** „Also schön”, sagte Bakura, während er im Zimmer einige Kerzen anzündete, „dann lass uns beginnen.“ „Jetzt machst du es aber spannend“, lachte Atem nervös, „ist diese Schaueratmosphäre denn wirklich nötig?“ „Ja, ist sie“, beteuerte Bakura ernst, „das richtige Setting, den richtigen Ton zu kreieren wird oft unterschätzt. Es wird uns dabei helfen, unsere Gedanken und Emotionen in die richtigen Bahnen zu lenken.“ Er setzte sich im Schneidersitz dem Pharao gegenüber auf den Boden. „Woher hast du die überhaupt?“, wollte Atem wissen und deutete auf die flackernden Kerzen. „Hab sie in Ryous Haus in einer Schublade gefunden und eingesackt“, gab Bakura genervt zurück, „also, jetzt hör zu. Dir muss klar sein, auf was du dich hier einlässt, wenn wir das tun. Deshalb ein paar Warnungen vorweg.“ Atem rutschte nervös hin und her. Bakura war mit einem Mal so anders, so ernst und fokussiert. „Unsere Gedanken werden sich während des Zaubers sehr nahe sein, darauf musst du gefasst sein. Es wird ein intensives Erlebnis. Und wir müssen uns füreinander öffnen, keine inneren Blockaden errichten. Das ist unbedingt notwendig, wenn wir den Text gemeinsam rekonstruieren wollen. Unsere Erinnerungen werden sich miteinander verschlingen und dadurch gegenseitig verstärken. Aus zwei Erinnerungen wird eine werden. Alles in allem: Du wirst gleich mit mehreren Dingen gleichzeitig konfrontiert sein, die für dich neu sind. Stell dich darauf ein, dass es kein Spaziergang wird.“ Der Pharao schluckte. „In Ordnung. Ist vermerkt“, sagte er dann. „Willst du es trotzdem durchziehen?“, fragte der zukünftige Geist des Ringes. Der Pharao nickte entschlossen. „Auf jeden Fall!“ „Gut, dann lass uns …“ In diesem Moment klingelte schrill Atems Smartphone. Bakura sah ihn anklagend an und verdrehte die Augen. „Tut mir leid, das ist sicher Seto. Ich geh kurz ran, ja?“ Überfordert blickte er auf das Display und stocherte wild mit dem Finger darauf herum, bis schließlich tatsächlich Setos Stimme daraus ertönte. „Atem? Bist du dran?“ „Hallo? Hallo? Ist das jetzt richtig so?“, rief Atem lautstark in den Hörer. „Ich glaube, du hältst es falschrum“, kommentierte Bakura trocken. „Oh … das kann sein.“ Der Pharao drehte das Gerät um 180 Grad und hielt es erneut ans Ohr. „Seto? … Ja, alles in Ordnung. Wie ist die Lage in Domino?“ Während Seto Kaibas Stimme nun wieder leise aus dem Hörer ertönte, nahm Bakura noch etwas anderes wahr. Eine leichte Vibration des Bodens unter ihnen und einen brummenden Ton, der weiter und weiter anschwoll. Er erhob sich und lief zum Fenster. Was er dort sah, ließ ihn die Augen weit aufreißen, „Pharao, das solltest du dir dringend ansehen!“, sagte er schließlich alarmiert und delegierte Atem zum Fenster. Dieser ließ den Hörer sinken und spähte ebenfalls hinaus. „Das gibt es doch nicht! … Seto, es ist grade ziemlich schlecht. Ich ruf dich zurück, ja?“ Blass um die Nase legte er auf und blickte Bakura an. Gemeinsam beobachteten sie, wie das fliederfarbene, elegante Fluggerät von Zigfried von Schroeder vom Burgdach abhob und am Horizont kleiner und kleiner wurde. „Was denkst du, hat das zu bedeuten?“, wollte Atem von Bakura wissen. „Ich denke, es bedeutet entweder, dass unser Freund mit dem Haarfetisch es sich anders überlegt hat … oder dass er gefunden hat, was er gesucht hat – und sich einen Dreck um unsere Abmachung schert.“ „Bei der Schnauze von Anubis, wir müssen das herausfinden! Aber wie?“ „Lass uns die Kellertür überprüfen! Wenn Brunhild sich dort Zutritt verschafft hat, werden wir dort vielleicht Spuren finden!“ Sie stürzten zur Zimmertür und auf den Gang hinaus, doch Bakura hielt den Pharao am Arm fest. „Verhalt dich unauffällig!“, ermahnte er ihn, „wir dürfen nicht panisch wirken!“ Betont gemächlich schlenderten sie also die Treppe nach unten in die Eingangshalle. Bakura steuerte auf die geheime Tür zu, als ihnen plötzlich jemand entgegenschritt. „Pegasus“, sagte Atem so ruhig wie möglich, „wir … haben gerade mitbekommen, dass Zigfried abgereist ist. Weißt du etwas darüber, warum er es sich so plötzlich anders überlegt hat?“ Der Burgherr zuckte mit den Schultern und schüttelte bedrückt den Kopf. „Nein, ich habe nicht die geringste Ahnung. Ich habe mich selbst mehr als gewundert, als er mich eben aufgesucht hat und überstürzt aufbrechen wollte. Ich konnte ihn auch nicht dazu überreden, wenigstens noch zum Abendessen oder auf einen Abschiedstrunk zu bleiben – zu meinem großen Bedauern. Es war alles äußerst merkwürdig.“ Bakura und Atem wechselten einen vielsagenden Blick. „Wie schade“, sagte Atem schließlich beiläufig, „tja, da kann man nichts machen.“ „Nein, das kann man nicht. Euch beide sehe ich doch aber beim Abendessen, nicht wahr?“ Sie nickten synchron, während Pegasus sich empfahl und nach oben verschwand. „Denkst du, Pegasus sagt die Wahrheit?“, fragte Bakura, „hat uns der Paradiesvogel tatsächlich ein Schnippchen geschlagen?“ Atem sah den Grabräuber von der Seite an und legte den Kopf schief. „Ärgerst du dich etwa? Dass er dir beim Diebstahl der Schrift zuvorgekommen ist?“ „Ach, hör schon auf!“, fauchte Bakura unwirsch, „es kratzt nun mal an meinem Stolz und an meinem Ruf!“ „Noch wissen wir immerhin nicht, ob er tatsächlich was gefunden hat. Vielleicht hat ihn auch ein dringender Anruf in einer anderen Sache erreicht oder so“, beschwichtigte ihn der Pharao halbherzig. „Wer’s glaubt“, knurrte Bakura. „Atem?“, fragte plötzlich eine Stimme hinter ihnen. Sie wandten sich um und sahen sich Uyeda gegenüber. Bakura verdrehte genervt die Augen. „Wie viele nutzlose Typen rennen hier eigentlich noch rum und sabotieren unsere Mission?“, murmelte er. „Hallo Uyeda“, sagte Atem inzwischen. „Atem, hör mal … tut mir leid, dass ich vorhin so kurz angebunden war. Ich war etwas in Gedanken. Was ich dich eigentlich fragen wollte: Wieso bist du denn nicht mit diesem miesepetrigen Freund abgereist? Das wundert mich doch etwas.“ Der Pharao schmunzelte. „Stimmt. Das wollte ich auch zuerst. Aber …“, er stockte, unsicher, welche Informationen er Uyeda ohne Bedenken anvertrauen konnte. „Hör mal zu“, sagte der Sanitäter jetzt ernst, „ich merke, dass du mir gegenüber zurückhaltend bist. Aber ich denke, wenn du mir etwas mehr darüber sagst, was ihr hier vorhabt, könnte ich euch helfen. Ich habe eine exzellente Kenntnis der Burg.“ „Uyeda, das ist wirklich sehr zuvorkommend, aber …“ „Ich finde dich wirklich nett, Atem“, unterbrach ihn der Angestellte schnell, „sag mir einfach, was du brauchst, und ich schaue, was ich tun kann. Ehrlich.“ Atem warf Bakura einen fragenden Blick zu. „Bitte entschuldige mich einen Augenblick“, sagte er dann an Uyeda gewandt. Anschließend trat er zu Bakura und sie steckten die Köpfe zusammen. „Was denkst du? Sollten wir sein Angebot annehmen?“, fragte der Pharao unentschlossen. „Also ich traue ihm so wenig über den Weg wie mir selbst“, wisperte der Grabräuber, „nicht nach diesem Scheck, den du mir gezeigt hast.“ „Ich ja auch nicht. Trotzdem denke ich, dass er kein schlechter Mensch ist.“ „Ich sage es ist eine Falle“, Bakura verschränkte die Arme vor der Brust. „Und selbst wenn – vielleicht sollten wir es trotzdem riskieren.“ „Du bist der weise Pharao“, sagte Bakura schulterzuckend. „Uyeda, also gut. Vielleicht kannst du uns wirklich bei etwas helfen“, sagte Atem nun wieder laut, „es ist nämlich so: Wir suchen etwas, von dem wir glauben, dass es vielleicht in dem Keller ist, der hinter dieser Wandtür hier liegt. Dazu brauchen wir allerdings den Schlüssel. Hast du eine Idee, wo er sein könnte?“ Uyeda trat verwundert an die Tür heran und betastete mit den Fingern die feinen Rillen ihrer fast unsichtbaren Umrandung. „Tatsache“, wunderte er sich, „da ist tatsächlich eine Tür. Wie habt ihr das rausgefunden?“ „Spielt keine Rolle“, sagte der Grabräuber schnell, „weißt du, wo Pegasus den Schlüssel aufbewahren könnte?“ Uyeda überlegte kurz und fuhr mit seiner Hand an der Wand weiter nach unten bis zu dem kleinen , fast nicht sichtbaren Schlüsselloch. „Ein paar Ideen hätte ich dazu schon“, antwortete er, „die wahrscheinlichste davon ist wohl auch die, die euch am wenigsten gefallen wird.“ „Und die wäre?“, fragte Bakura und pustete sich gelangweilt eine weiße Strähne aus der Stirn. „Ich kenne Pegasus nun schon einige Jahre und ehrlichgesagt kann ich mir nicht vorstellen, dass er einen solch wichtigen Schlüssel unbewacht lassen würde, wenn alle möglichen Leute hier herumschnüffeln. Also tippe ich darauf, dass er ihn bei sich am Körper trägt.“ Atem wirkte mit einem Mal bedrückt. „So ein Mist. Darauf hätten wir auch selbst kommen können. Aber wenn es stimmt, was du sagst, dann ist es nahezu unmöglich, da ranzukommen.“ „Unmöglich ist gar nichts“, warf Bakura unwirsch ein. „Ich stimme deinem blassen Freund zu“, sagte Uyeda, „es ist nicht vollkommen unmöglich. Zumindest nicht für mich.“ „Was meinst du damit?“, Atem blinzelte ihn verständnislos an. „Zufällig ist in nicht ganz einer Stunde Pegasus wöchentlicher medizinischer Check-Up, den ein Kumpel von mir aus dem medizinischen Team durchführt. Dieser Kollege schuldet mir ohnehin noch einen Gefallen. Ich wette, Pegasus wird keinen Verdacht schöpfen, wenn jemand, der sowieso so nah an seinem Körper arbeitet, die Augen nach einem Schlüssel offenhält. Und während Yujiro, mein Kollege, Pegasus untersucht, kann ich unbemerkt in seinen Kleidern suchen.“ „Ich weiß nicht so recht“, sagte Atem, „riskierst du da nicht ziemlich viel? Wenn du auffliegst, bist du deine Anstellung sicher los.“ „Lass das nur meine Sorge sein“, zwinkerte Uyeda unbesorgt, „gebt mir ein paar Stunden, um die Sache abzuwickeln. Und sollte ich nicht erfolgreich sein, können wir immer noch weitersehen, welche Möglichkeiten und noch bleiben.“ Atem sah nicht glücklich aus, aber nickte widerstrebend. „Hey, nun sei doch nicht so skeptisch. Kopf hoch!“, versuchte Uyeda ihn zu beruhigen, „wenn du lächelst, gefällst du mir viel besser. Jetzt grade siehst du aus wie dein unterkühlter Liebhaber. Also dann, ihr hört von mir:“ Damit zog er voller Tatendrang wieder ab. Bakura zog eine Augenbraue hoch. „Wer hätte gedacht, dass in unserer Zeit deine Gefühle nicht erwidert werden und du dich hier vor Verehrern nicht retten kannst. Trotzdem: Mir behagt die Sache nicht.“ Atem nickte. „Mir auch nicht. Aber welche Option haben wir? Und eins muss man Uyeda schließlich lassen: Er riskiert hier ziemlich viel für uns." Bakura knurrte. „Schön. Es ist besser, wenn wir die Durchführung des Zaubers auf später verschieben. Für diese Sache benötigen wir Ruhe und Zeit, das geht nicht so einfach zwischen Tür und Angel." Atem stimmte ihm zu: „Und womöglich hat sich diese Sache ohnehin erledigt, falls wir die Schrift doch finden sollen. Und in der Zwischenzeit sollte ich wirklich Seto zurückrufen. Er macht sich sicher bereits Sorgen.“ *** Es donnerte bereits wieder von ferne, als Zigfried seinem Flugzeug Stunden später endlich entstieg und langsam die letzten Meter zu seiner Villa zurücklegte. Zum ersten Mal seit seiner Ankunft in Pegasus Burg nahm er seine Umgebung bewusst wahr: Alles schien entrückt, geisterhaft, als wäre er nicht nach Hause geflogen, sondern aus Zeit und Raum gefallen. Fast erwartete er, das Haus leer vorzufinden. Doch im Flur kam ihm bereits sein Bruder Leon entgegen, die Augen erwartungsvoll auf ihn geheftet. „Und?“, wollte er ungeduldig wissen. „Hallo auch“, sagte Zigfried. „Nun erzähl schon, hattest du Erfolg?“, bohrte Leon gleich weiter nach, ohne sich mit Begrüßungen aufzuhalten. Zigfried nickte ernst. „Ja, das könnte man so sagen. Ich habe beides: Die Schriftrolle und ein Investment von Industrial Illusions.“ Leon legte den Kopf schief und blickte ihn nachdenklich an. „Und warum wirkst du dann so, als ob dich das alles gar nicht zufriedenstellt?“, wollte er wissen. „Tue ich das?“, fragte Zigfried ertappt, „das ist nicht so! Im Gegenteil: Ich bin mehr als zufrieden! Der Weg ist jetzt geebnet für eine bessere Zeit. Glaub mir, das hier ist der Neuanfang, den ich brauche – den wir brauchen.“ „Wenn du meinst“, Leon zuckte mit den Schultern, „ich dachte nur, so ein Neuanfang würde dich irgendwie … mehr motivieren.“ „Wahrscheinlich bin ich einfach nur erschöpft vom Flug“, seufzte Zigfried, hängte seinen Mantel auf und lockerte die Schleife an seinem Hemd. Eine heiße Dusche würde ihm jetzt guttun. Als er unter dem wohltuenden Wasserstrahl stand, schloss er erschöpft die Augen. Leon hatte Recht. Ganz wohl fühlte er sich mit seinem gewinnbringenden Deal nicht. Obwohl das hier doch der Strohhalm war, nach dem er sich schon so lange streckte. Er begriff nicht, wieso er sich so schuldig fühlte, als hätte er diesen Vertrag nicht auf rechtschaffenem Weg erlangt. Einen vagen Verdacht konnte er einfach nicht aus dem Weg räumen: War Pegasus Investition in sein Produkt vielleicht nichts als Schweigegeld? Hatte er ihn manipuliert wie eine Marionette? Statt nach einem Schritt in die Freiheit fühlte es sich an wie eine neue Abhängigkeit. Er war es so satt, nach der Pfeife anderer zu tanzen. Verdammt, das war nicht das, was er gewollt hatte! Er stellte das Wasser ab und trat aus der Dusche. Als er sich einen fliederfarbenen Morgenmantel überstreifte und zuband, hielt er inne. Von seinen Fingerspitzen aufwärts kroch etwas Kaltes, Dunkles, das sich schnell einen Weg seine Arme hinaufsuchte. In seinem Inneren wurde es mit einem Mal eiskalt. Seine Gedanken waren wie eingefroren und hatten sich festgehängt, wie das leiernde Band einer Tonkassette. Als die Badezimmertür sich öffnete und Leon seinen Bruder erblickte, trat Verunsicherung in seine Augen. „Zigfried? Was ist mit dir?“, fragte er leise, „geht es dir nicht gut?“ Zigfried wandte ihm leicht den Kopf zu, die Augen glasig, doch eine Reaktion blieb aus. „Zigfried?“ wiederholte Leon verwundert, trat auf seinen Bruder zu und berührte ihn sachte am Arm. Wieder keine Reaktion. „Zigfried, so rede doch mit mir!“, nun packte der jüngere von Schroeder den älteren panisch an beiden Armen und rüttelte ihn hilflos. Wieder ohne Erfolg. Leon machte zwei Schritte rückwärts. Tränen traten in seine Augen vor Aufregung und Angst. Was wurde hier gespielt? Eben war sein Bruder doch noch normal gewesen und jetzt war er nicht mehr ansprechbar! Was sollte er denn jetzt tun? Er musste versuchen, einen klaren Kopf zu bewahren. Er musste Hilfe für seinen Bruder holen. Aber wo? Einen Krankenwagen! Aber war Zigfried denn krank? Er wirkte jedenfalls nicht so, als habe er einen Herzinfarkt oder Schlaganfall oder etwas in der Art erlitten. Er schien vielmehr … wie in Trance. Vielleicht standen die Dinge auch ganz anders und er hatte es hier mit etwas zu tun, das sich seiner Kenntnis entzog. In seiner Verzweiflung wählte er die einzige Nummer, die ihm für einen solchen Fall in den Sinn kam: Die von Yugi Muto. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)