Letzte Wiederkehr von MizunaStardust ================================================================================ XI -- XI Erneut saßen Seto und Atem wenige Minuten später in dem kleinen Zimmer im Krankenflügel, in dem der Hausherr untergebracht war. Über dem Bett des Patienten brannte nun schummrig eine Leseleuchte, die Dunkelheit hatte sich erneut über die Ländereien gelegt und die Welt erschien klein und gedrungen. In diesem Augenblick fiel es ihnen beiden schwer, sich vorzustellen, dass dort draußen etwas Bedrohliches lauern sollte. Und selbst wenn dies der Fall war, schienen sie hier in ihrem fernen Asyl davon unberührt zu sein. Pegasus richtete sich im Bett auf, als die beiden eintraten. „Ah, vortrefflich“, sagte er, „gut, dass ihr umgehend hergekommen seid. Setzt euch doch.“ Seto blieb jedoch stehen und seine Augen funkelten argwöhnisch und bedrohlich auf Pegasus herab. „Pegasus, deine Schonfrist ist vorbei. Wir wollen auf der Stelle Antworten! Was ist da gestern Nacht passiert? Wieso hast du uns so unverschämt hintergangen?!“ Atem ließ sich auf einem Stuhl neben dem Bett nieder und zog Seto auf einen weiteren. Er warf ihm einen warnenden Blick zu. Pegasus jedoch fasste sich mit der rechten Hand an die Stirn und seufzte bedrückt. „Bevor ich euch diese Frage beantworte, wäre es hilfreich, wenn ihr beiden mir erst mal erzählen könntet, was ich denn eigentlich genau getan haben soll?“ Atem und Seto sahen sich verwirrt an. „Das … weißt du nicht?“, fragte Atem vorsichtig. „Ehrlichgesagt nein. Von dem Moment, an dem wir uns verabschiedet haben, ist alles in meinem Verstand vernebelt. Ich erinnere mich an einzelne Momente. Ein grelles Licht, einen Schmerz … dass ich irgendwas gesprochen habe. Und dass ihr beiden da wart. Aber das üble Gefühl, dass ich in der Magengegend habe, seit ich wieder klar im Kopf bin, sagt mir, dass es etwas mit diesen Karten zu tun hat.“ „Korrekt“, bestätigte Seto, „als wir dazustießen, hattest du die Karten – die du mir übrigens gestohlen haben musst – und die Schriftrolle, die angeblich aus dem Museum entwendet wurde. Und du hast etwas … beschworen.“ Atem und Seto konnten zusehen, wie Pegasus Gesicht aschfahl wurde. „Beschworen? Wollt ihr etwa damit sagen, ich habe das Ritual durchgeführt? Das echte?“ „Ich fürchte ja“, sagte Atem ernst. Dann holte er die Schriftrolle hervor und zeigte sie Pegasus, „Das hier haben wir an uns genommen. Die Beschwörungsformel für das Ritual steht drauf.“ Pegasus Augen wurden groß. „Aber wie kommt diese Schrift hierher?! Ich verstehe nicht.“ „Das frage ich mich auch“, sagte Atem nachdenklich, „und vor allem: Wieso hat nur das eine von beiden Blättern seinen Weg hierhergefunden?“ Seto zog die Brauen zusammen und sah Atem stirnrunzelnd an. „Was meinst du damit, ‚nur ein Blatt‘?“ „Ich meine, dass diese Schrift aus zwei Papyrusrollen bestanden hat. Da bin ich mir ganz sicher. Gestern Abend, als ich mich daran erinnert habe, wie wir sie aus dem Grab geholt haben, wurde es mir klar. Deshalb bin ich vorhin nochmal zum Turmzimmer gegangen und habe alles abgesucht. Aber es scheint nur dieses eine Blatt hier zu geben.“ „Verstehe“, nickte Pegasus, „und was ist es denn nun genau, das da fehlt? Was stand darin?“ Atem seufzte matt. „Ich kann es nicht ganz genau sagen. Ich hatte nie die Zeit, mir den Inhalt ausführlich zu Gemüte zu führen. Aber soweit ich mich erinnere war es eine Art Anleitung, wie man die Beschwörung wieder rückgängig macht.“ Pegasus lächelte bitter. „Da hat jemand also ganze Arbeit geleistet, um sicherzugehen, dass das Ritual zwar durchgeführt wird, aber auf keinen Fall wieder umgekehrt werden kann.“ „Was uns zurück zu der wichtigsten Frage führt“, sagte Seto kühl, „Warum du? Warum hast du das Ritual durchgeführt?“ „Naja“, überlegte Atem, „Pegasus hat das jahrtausendealte Ritual wiederentdeckt und die Karten geschaffen, denen er offenbar eine gewisse Magie verliehen hat – vielleicht durch das Milenniumsauge, das er damals noch besaß. Immerhin hat sogar die Prophezeiung vorhergesagt, dass er es sein würde, der die Beschwörung spricht“ Seto zeigte sich unbeeindruckt. „Du hast uns diesen ganzen Schlamassel eingebrockt, Pegasus! Nun kümmer dich auch gefälligst darum, dass das wieder in Ordnung kommt!“ Pegasus blickte auf seine Hände, die auf der Bettdecke ruhten. „Ich fürchte, du hast ganz Recht, kleiner Kaiba. Auch wenn ich nicht die geringste Ahnung habe, wie ich die Karten aus deinem Mantel entwenden und das Ritual durchführen konnte und warum ich es getan habe, muss ich wohl einiges an Wiedergutmachung leisten.“ „Das hast du gut erfasst!“, knurrte Seto. „Was schlagt ihr also vor?“, ihr Gastgeber sah wieder zu den beiden auf. Atem erhob sich. „Ich weiß es nicht. Wir können schlecht einschätzen, was du da freigesetzt hast. Aber ich mache mir Gedanken um unsere Freunde in Domino“, sagte er nachdrücklich, „ich finde, wir haben uns lange genug hier aufgehalten. Wir sollten morgen früh gleich zurückkehren und sehen, ob es allen gutgeht.“ Seto nickte und dachte an Mokuba. Und er wusste, auch wenn Atem Yugi und die anderen kaum kannte, fühlte er sich verantwortlich für sie. „Warum lassen wir nicht eure kleinen Freunde und deinen Bruder hierher einfliegen?“, schlug Pegasus vor, „ich möchte wirklich helfen und wenn ihr morgen früh in aller Eile von hier verschwindet, können wir nur schwerlich beraten, was unsere nächsten Schritte sein könnten. Warum bringen wir nicht alle hier zusammen und in Sicherheit und überlegen dann in Ruhe gemeinsam, welche die beste Strategie ist?“ Atem sah Seto fragend an. „Ich weiß nicht“, sagte der Firmenchef abweisend, „ich denke, es wird das Beste sein, wenn wir uns in Domino aufhalten.“ „Komm schon, Kaiba-Boy!“, blieb Pegasus hartnäckig, „Gib dir nen Ruck! Es wird euch hier an nichts fehlen und die anderen werden sich freuen, so vorbildlich bewirtet zu werden! Alle, die dir etwas bedeuten, werden hier versammelt sein! Und sobald sich in Domino etwas tut, könnt ihr umgehend zurückkehren.“ Atem musterte Pegasus lange und eindringlich. „In Ordnung“, sagte er dann, „ja, ich denke, die Idee ist nicht die schlechteste. Aber nur, wenn du auch einverstanden bist, Seto?“ Seto knurrte widerwillig. „Na, schön. Von mir aus.“ *** „Denkst du, da sind vielleicht noch anderer Dinge, die Pegasus in dieser Geschichte in die Wege geleitet hat, ohne dass er sich daran erinnert?“, fragte Atem, als Seto und er nebeneinander durch die leeren Flure der Burg liefen. „Wie was zum Beispiel?“ „Naja, zum Beispiel die Hieroglyphen auf der Karte, die er angeblich nicht in Auftrag gegeben hat. Oder vielleicht sogar der Diebstahl der Schrift aus dem Museum?“ „Unmöglich ist es nicht“, gab Seto zu, „Mir ist da auch eine Sache nach wie vor unklar“, fügte er dann hinzu. „Was meinst du?“, fragte Atem. „Wenn die eine Rolle der Schrift das Ritual enthält und die andere beschreibt, wie man es umkehren kann – wo ist dann der Teil über die Milleniumsgegenstände, mit dem Bakura dich seinerzeit für seine Aktion geködert hat?“ Atem blieb stehen und blickte zu Seto auf. „Dieser Gedanke ist mir gestern Nacht auch gekommen, nachdem ich die Seite hier ausführlich gelesen habe. Ich fürchte, ich bin gleich doppelt in Bakuras Falle getappt.“ Beschämt sah er auf seine Fußspitzen, „tja, blöd gelaufen.“ Überrascht blickte er auf und zuckte sogar ein wenig zusammen, als Seto plötzlich lauthals begann zu lachen. „Was? Was ist? Machst du dich lustig?!“, entrüstete sich Atem, konnte jedoch selbst ein Lächeln nicht verkneifen. „Entschuldige“, sagte Seto, „es ist nur: Diese ganze Geschichte hat schon etwas ungemein Komisches, das musst du zugeben.“ „Ja … schätze, du hast Recht“, sagte Atem nachsichtig. Am Ende lachten sie beide laut und herzlich. Als sie sich beruhigt hatten, herrschte wieder Stille. „Wie … geht das mit uns nun weiter?“, fragte Seto etwas unbeholfen. Atem lächelte ihn ermunternd an. „Ich weiß nicht … ich schätze, wir lassen uns überraschen, wo es hinführt.“ „Das klingt gut“, damit konnte Seto leben. Es sagte ihm zu, dass Atem ihn nicht zu etwas drängte, wo er selbst kaum begriff, was zwischen ihnen passierte. „Tut mir leid, dass ich so viel Durcheinander in dein Leben gebraucht habe“, sagte Atem und senkte den Kopf. „Ach … mach dir keinen Kopf“, wiegelte Seto ab, „ich wollte ja, dass du zurückkommst. Ich hätte einkalkulieren müssen, dass man in deiner Nähe immer in Schwierigkeiten gerät.“ Schließlich machte er ein paar Schritte auf Atem zu und zog ihn in eine Umarmung. Der Pharao legte langsam seine Arme um Setos Taille und vergrub seinen Kopf in dessen Hemd. So standen sie einfach nur da und die Zeit glitt ihnen aus den Fingern. Sie wollten den Moment festhalten und sich darin verkriechen. Als Atem sich schließlich von Seto löste, fühlte er sich wehmütig und glücklich zugleich. „Oh, hallo!“ hörten sie plötzlich eine freundliche Stimme und wandten sich ihrem Ursprung zu. Vor ihnen stand der junge Sanitäter vom Vortag. „Na, so ein Zufall“, murmelte Seto wenig begeistert über das Zusammentreffen. „Hat er ein Problem mit mir?“, fragte der junge Mann mit den schwarzen Haaren über Setos Kopf hinweg an Atem gewandt. „Nein, nein, er steht nur nicht besonders auf den Austausch von Belanglosigkeiten“, versicherte der Pharao. „Aha …“, machte der Sanitäter verunsichert, „und Sie auch nicht?“ „Ich nehme doch einfach mal an, dass es keine Belanglosigkeiten sind, die Sie uns zu sagen haben“, entgegnete Atem diplomatisch. „Gut gekontert. Also, ich finde wir könnten uns ruhig duzen. Wir sind ja etwa gleichalt. Ich bin Uyeda.“ „Atem“, stellte der Pharao sich vor, „und das ist Seto.“ „Atem? Ein außergewöhnlicher Name. Kommt er aus Ägypten?“, Uyeda zeigte sich interessiert. „Ja, woher weißt du das?“, fragte Atem überrascht. „Ich bin dort geboren“, erklärte der Sanitäter, „meine Mutter ist Japanerin.“ Erst jetzt fiel auch Seto seine leicht gebräunte Haut auf, deren Ton dem von Atem glich. „Ehrlich?“, die Augen des Pharao leuchteten. Scheinbar löste die Erwähnung seiner Heimat etwas in ihm aus. „Kommt ihr heute nochmal auf den Punkt? Andernfalls gehe ich schon mal vor“, knurrte Seto abweisend. „Mein Punkt ist eigentlich“, Uyeda wandte sich nun vollkommen Atem zu, „du hast gestern bei mir echt Eindruck hinterlassen. Seid ihr denn noch länger hier auf der Burg? Ich hatte gehofft, du hast vielleicht Lust, mal nen Kaffee mit mir zu trinken.“ „Oh“, erst jetzt begriff Atem, worauf das Ganze hinauszulaufen schien. „Alles klar, ich bin weg“, Seto setzte sich in Bewegung, doch Atem griff nach seiner Hand und hielt ihn zurück. „Uyeda, das ist wirklich schmeichelhaft. Aber ich muss leider ablehnen. Tut mir leid, es hat nichts mit dir zu tun.“ Der junge Sanitäter blickte auf Atems Hand, die Setos noch immer festhielt. „Schade, aber schon gut. Es war immerhin einen Versuch wert.“ „Was machst du überhaupt noch hier?“, platzte es aus Seto heraus, „Pegasus ist doch wieder auf dem Damm.“ „Oh, aber ich gehöre zum medizinischen Personal von Industrial Illusions. Ich wohne also hier“, erklärte Uyeda verwundert. „Hier auf der Burg? Wer hätte gedacht, dass hier noch andere Leute leben außer Pegasus und Croquet“, Setos Mundwinkel zuckten amüsiert. „Wie es aussieht, werden wir uns wohl noch öfter begegnen", sagte Atem lächelnd, „wir bleiben noch eine Zeit lang hier." „Wie erfreulich", murmelte Seto zynisch, während sie schließlich zum Hauptflügel zurückkehrten. *** „Ja … ja, sicher ist es problematisch, aber hierlassen ohne Beaufsichtigung kann ich ihn wohl auch schlecht. Das steht außer Frage!“, flüsterte Ryou eindringlich in den Telefonhörer. Nachdem er eine Weile nickend lauschte, legte er mit einem „Okay … verstehe. Wir sehn uns dann in ein paar Stunden" auf. Mit einem tiefen Seufzer stellte er das Telefon zurück auf die Station. „Was ist los? Was wisperst du so geheimniskrämerisch?“, fragte Bakura argwöhnisch und legte den Kopf schief. Ryou wandte sich zu dem Geist des Ringes um, der auf dem Bett neben einem Monsterworld-Spielbrett saß, das er selbst stümperhaft aus Ryous bunter Bastelpappe hergestellt hatte. „Wir müssen unser Spiel leider abbrechen“, verkündete Ryou, „wir werden heute noch verreisen!“ „Was?!“, Bakura machte ein langes Gesicht, „du willst dich nur drücken, weil du am Verlieren bist!“ „So ein Blödsinn!“, entrüstete sich Ryou, „und abgesehen davon ist es ein wirklich ödes Spiel. Hast du dir das etwa selbst ausgedacht? Schon allein der Name ist lächerlich: Monsterworld. Mehr als ein reguläres Tabletop RPG ist es ja wohl nicht und die gibt’s wie Sand am Meer.“ Bakura schmollte. „Glaubst du etwa, in alten Ägypten wäre sowas schon am Fließband produziert worden? Unverschämtheit! Und was ist an dem Namen so schlimm? Es ist eine Welt, in der es Monster gibt. Also: Monsterworld.“ Während er sich noch echauffierte, bekam er von Ryou bereits einen roten Koffer vor die Füße geworfen. „Ach, und was soll ich bitte einpacken? Ich habe nicht viel, womit ich arbeiten kann“, kommentierte der Grabräuber patzig. „Pack deine Zahnbürste ein und ein paar von den Klamotten, die mir zu groß sind“, entgegnete Ryou leicht genervt, während er einen zweiten Koffer unter dem Bett hervorzog. „Wo geht es überhaupt hin?“, erkundigte sich sein zukünftiges Alter Ego. „Auf eine Insel.“ „Oh, machen wir Urlaub?“ „So ähnlich. Wir besuchen dort Kaiba und den Pharao. Offenbar gibt es ein kleines Problem, das wir klären müssen.“ „Was für ein Problem ist das denn?“, Bakura horchte auf. „Das erfahren wir schon noch, wenn wir dort sind“, Ryou eilte gehetzt von Schrank zu Schrank und zog Klamotten daraus hervor. Der Ringgeist verzog das Gesicht. „Na toll. Ferien mit dem Pharao, das kann ja heiter werden.“ Ryou runzelte die Stirn. „Was hast du ihm nur getan, dass er vor ein paar Tagen so fuchsteufelswild auf dich reagiert hat? Du musst ihm ja mächtig die Ernte verhagelt haben“, stellte er fest, die Arme in die Hüften gestemmt. „So ähnlich“, murrte Bakura, „ich habe eine Abmachung gebrochen, die wir hatten, und ihn damit vor seinem Hofstaat und vor seinem Schwarm, diesem Seth, blamiert.“ Ryou horchte interessiert auf, verwundert darüber, dass der Grabräuber so offenherzig drauflosplauderte. „Eine Abmachung? Also eine Art Vertrag?“, hakte er nach. „Es gab keinen schriftlichen Vertrag!“, stellte Bakura defensiv klar, „trotzdem … war es nicht gerade ehrbar, ein solches Abkommen zu brechen. Tja, was soll ich sagen. Ich kann eben nicht anders. Ich bin nun mal kein rechtschaffener Mensch. Hab’s einfach nicht im Blut.“ „Also, in dem Fall verstehe ich, wieso dir Atem spinnefeind ist“, Ryou wandte sich kopfschüttelnd ab und begann, Hemden in seinen Koffer zu legen, „selbst ich hätte mehr von dir erwartet.“ „Ich sage dir doch, es gab nicht mal einen schriftlichen Vertrag!!!“, begann Bakura wild gestikulierend zu zetern. In diesem Moment jedoch traf ihn ein gestreiftes T-Shirt direkt ins Gesicht. „Ich sehe dich nicht packen!“ mahnte ihn Ryou streng. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)