Reboot von MizunaStardust ================================================================================ Kapitel 7: A Virus Inside the System ------------------------------------ 7. A Virus inside the System „Das war mein härtestes und schwierigstes Duell, Kaiba“, sagte Atemu mit ruhiger Stimme, während er versöhnlich auf seinen Kontrahenten zutrat. Doch statt das Kompliment zurückzugeben zischte dieser ihm lediglich ein unwirsches „Spar dir das Gesülze!“ entgegen. Dieser kleine Wichtigtuer sollte endlich schweigen! Das Duell war vorbei, was wollte er also noch von ihm?? Sollte er doch seine leeren Floskeln für sich behalten und ihn in seiner Schmach alleinlassen! Stattdessen faselte er wie üblich etwas von Schicksal und Freundschaft, doch Setos Kehle war wie zugeschnürt und Übelkeit und lodernde Wut kämpften in seinem Inneren um die Oberhand. „Ich brauche keine tröstenden Worte!“, spie er ihm mit bebender Stimme entgegen. Nein, sie waren das Letzte, was er jetzt oder irgendwann sonst brauchte oder wollte. Und insbesondere nicht von ihm, der nun vor ihm stand und ihm so widerwärtig wohlwollend und gönnerhaft entgegenlächelte – in seinen großen Augen ein enttäuschter, ja, fast verletzter Ausdruck, als Seto ihn nun zurückwies. Die gesamte Art des 'anderen Yugi' widerte Seto an. Seine Person stand für alles, was er verabscheute, und doch hatte diese eine Sache, die er begehrte: den verdammten Titel, den dieser Gernegroß nicht einmal durch seine Fähigkeiten, sondern lediglich durch unverschämtes Glück nach wie vor führen durfte. Seto hasste seine durchdringenden Augen. Hasste ihn dafür, dass er immer als unüberwindbare Hürde vor ihm thronte. In Wirklichkeit hasste er sich selbst dafür, dass er wieder und wieder daran scheiterte, diesen Virus in seinen Gedanken endlich auszumerzen, ihn durch den befreienden Sieg endlich hinter sich zu lassen. Doch das war ihm in diesem Augenblick nicht bewusst. „Du warst getrieben von Wut, von Hass und von Neid“, sagte der andere Yugi jetzt. Damals hatte Seto es nicht verstanden. Damals waren es für ihn nichts als leere, altkluge Worte eines weltfremden Missionars. Sinnloses Gerede von Dingen, die angeblich sein Leben umkrempeln und besser machen würden, obwohl sie doch alle gar genau wussten, wie diese Welt in Wirklichkeit funktionierte. Wie der Hase eigentlich lief im Leben. Und heute? Ja, heute begriff er endlich, was Atemu ihm damals hatte sagen wollen. Heute machte es alles Sinn. Und seine damalige Haltung passte hervorragend in das Bild, das ihm alle von seinem früheren Ich malten. Dennoch – wenn er sich an sein letztes Duell in Battle City erinnerte, fühlte er noch immer den kalten Wind auf dem Dach des Duellturms, der ihm seine eigene Schmach ins Gesicht peitschte. Spürte die brennende Verachtung und den Hohn, als wäre es gestern gewesen. All diese negativen Gefühle, die wild um sich schlugen. Er konnte diese Emotionen nicht abschütteln, abstellen oder in etwas anderes umwandeln, so sehr er es auch wollte. In Wirklichkeit hatte er sich damals selbst gehasst, weil er die Welt auf seinen Schultern lasten spürte und nicht gut genug war, um seine Ziele zu erreichen. Weil er in sich selbst gefangen war und niemanden erreichen konnte, von niemandem gehört wurde. Angst hatte in Aggression und blinde Wut ausgeschlagen, hatte ihn um sich beißen lassen wie ein gepeinigtes Tier. All diese Emotionen hatte er damals auf Atemu projiziert. Er allein war das Objekt seiner Verachtung gewesen. Und wenn er jetzt an ihn dachte … dann kochte in ihm das unbändige Verlangen hoch, diese Manifestation seiner negativen Gefühle aus seinem Leben auszuschließen, auszuradieren, statt ihn weiter und weiter in seine intimsten Gedanken vordringen zu lassen. Auch wenn er das alles nicht wollte, er konnte sich nicht gegen diese mächtigen Gefühle wehren. ~*~ Auch Atemu verweilte in diesem Moment mit seinen Gedanken bei jener Erinnerung. Zwar konnte er nicht wissen, ob es genau diese Momente waren, die Seto heute Abend vor ihrer Verabredung noch einmal durchlebt hatte. Aber welche Rolle spielte das schon? Sicherlich handelte es sich bei der zurückgekehrten Erinnerung um eine ihrer zahlreichen Begegnungen, die jedes Mal auf dieselbe Art geendet waren. Auch Atemu konnte sich nur zu gut entsinnen, wie Seto ihn damals jedes Mal angesehen hatte. An die brennende, leidenschaftliche Verachtung in seinem Blick. Wenn er daran zurückdachte, ahnte er, mit welchen Gefühlen sein Freund im Augenblick zu kämpfen hatte. Genau davor hatte er die ganze Zeit über solche Angst gehabt. Nun war es also soweit. Der gefürchtete Augenblick war gekommen, der diese Themen auf den Tisch brachte und an die Oberfläche zerrte. Und Atemu wusste offengestanden nicht weiter. Er kam sich vor wie ein Hochstapler, der Seto über die eigentliche Natur ihrer Beziehung belogen und hinters Licht geführt hatte. Obwohl dem genaugenommen gar nicht so war. Dennoch war er noch nicht bereit, einfach so aufzugeben, was zwischen ihnen in denn letzten Wochen entstanden war. Noch betrachtete er dieses Spiel nicht als endgültig verloren. Und war das nicht seine Spezialität? Aus scheinbar ausweglosen Pattsituationen den einzigen Ausweg zu finden? In den nächsten Wochen versuchte er deshalb tapfer, seine Ängste und Bedenken in den hintersten Winkel seiner Gedanken zu drängen, stark zu aufzutreten und Seto mit seinen Gefühlen nicht alleinzulassen. Wieder und wieder nahm er Kontakt zu ihm auf und bat ihm darum, sich mit ihm zu treffen, versuchte vehement, ihre neugewonnenen Routinen aufrechtzuerhalten, damit der Firmenchef irgendwann sein verzerrtes Bild von ihm ablegen und durch ein neues ersetzen konnte. Anfangs spürte Atemu, dass Seto ihm dankbar für seine Initiative war und sich seinen Gefühlen ebenfalls stellen wollte, statt die Distanz zu wahren. Doch immer, wenn der Pharao ihn auf die Thematik ansprach und den offenen Dialog über das Geschehene suchte, konnte Seto schwer in Worte fassen, was seine zurückkehrenden Erinnerungen ihm zeigten. So wurde ihre offene Kommunikation zunehmend seltener. Atemu sah mit Sorge zu, wie Seto von Tag zu Tag abwesender, distanzierter und in seinem Inneren gefangen wirkte. Schließlich kam der Abend, den Atemu insgeheim vorhergesehen und lange gefürchtet hatte. Etwa eine Stunde vor ihrem wöchentlichen Tanzkurs rief Seto ihn auf dem Handy an und teilte ihm mit, dass er sich heute nicht wohlfühle und er es für das Beste halte, wenn er heute zu Hause bliebe. „Atemu, ich bin mir nicht sicher, ob ich den Termin in den nächsten Wochen noch einhalten kann. Ich habe aktuell einige zeitraubende Projekte auf der Arbeit, weißt du?“ „Augenblick mal, Seto“, intervenierte Atemu sofort, alarmiert über Setos Aussage, „ich kann dich nicht dazu zwingen, weiter mit mir diesen Kurs zu machen. Aber lass uns doch wenigstens darüber sprechen, was der eigentliche Grund dafür ist, okay? Wie wäre es, wenn ich in der Kaibavilla vorbeikomme und wir in Ruhe beratschlagen, wie es weitergeht.“ In der Leitung herrschte für einige Sekunden Schweigen. Dann hörte der ehemalige Pharao Seto resigniert aufatmen. „Atemu, ich denke ehrlichgesagt nicht, dass uns das weiterbringt. Im Augenblick weiß ich nicht, was ich dir sagen soll, verstehst du? Ich muss das alles erst sortiert kriegen.“ „Ja, ich verstehe dich ja, aber … versteh du auch, wie es mir dabei geht. Ich weiß rein gar nichts. Ich weiß nicht, wie wir zueinanderstehen, ob du mich noch magst, ob du wütend auf mich bist …“ „Ja, ich kann nachvollziehen, dass das für dich schwer ist. Aber … ich weiß es einfach nicht, okay? Ich kann dir nichts anderes sagen. Es tut mir leid.“ Stumme Tränen liefen Atemus Wangen hinab, als sie aufgelegt hatten und er gedankenverloren sein Smartphone sinken ließ. Sein gesamter Körper fühlte sich taub an und Verzweiflung breitete sich in ihm aus und senkte ihre tückischen Krallen in seine Brust. Es kam ihm vor, als wäre er aus einem Traum erwacht, von dem er sich gerade erst erlaubt hatte zu glauben, dass er Wirklichkeit werden konnte. Geblieben war nichts als ein Albtraum. Welchen Unterschied machte es jetzt noch, wie er sich verhielt? Hatte er denn überhaupt noch irgendwas zu verlieren? Nun konnte er auch genauso gut nach dem einzigen Strohhalm greifen, der ihm noch geblieben war. Mit einem Mal ging ein Ruck durch seinen Körper und es kehrte wieder Leben in ihn. Geschäftig schnappte er sich Mantel und Schlüssel und verließ sein Apartment mit einem klaren Ziel vor Augen. ~*~ Es war ein sonniger Abend im Juni, als Yugis Handy klingelte und Ryou sich mit besorgter Stimme bei ihm meldete. „Hey, Ryou, was gibt es? Falls es nichts Dringendes ist, kann ich dich zurückrufen?“, fragte Yugi, der gerade im Aufbrechen war. „Naja, mehr oder weniger“, ertönte Ryous Stimme in der Leitung mit einem bitteren Unterton, „ich wollte dich nur kurz über was informieren: Unsere Befürchtungen haben sich leider bewahrheitet. Eben habe ich zufällig gesehen, wie Atemu nochmal zu ihm gegangen ist. Ich war selbst gerade auf dem Weg dorthin und habe ihn ins Haus gehen sehen.“ Sofort zeichneten sich Sorgenfalten auf Yugis Stirn ab. „So ein Mist. Wo reitet er sich da nur rein? Aber was können wir jetzt noch tun?“ „So, wie es aussieht, wenig. Er wird sich schwer davon abbringen lassen, egal, was wir ihm sagen.“ „Ja, du hast sicher Recht“, nickte Yugi, „trotzdem danke, dass du mir Bescheid gegeben hast.“ „Klar doch.“ Zur selben Zeit stieg Atemu die lange Treppe in den sechsten Stock hinauf. Einen Lift gab es nicht in dem wenig einladenden Wohnahaus, das er soeben betreten hatte. Entschlossen hob er schließlich die Hand, um an eine Wohnungstür zu klopfen, als sie auch schon geöffnet wurde und ihm ein blasses, von weißem Haar umrahmtes Gesicht aus einem finsteren Wohnungsflur entgegensah. „Sieh an, sieh an. Es hat etwas gedauert, aber du bist wiedergekommen“, stellte Bakura mit einem belustigten Grinsen fest. „So ist es. Ich – brauche noch einmal deine Hilfe“, sagte Atemu abweisend und es kostete ihn einiges an Überwindung, die Worte auszusprechen, „du hast mir diese Suppe aufgetischt – jetzt wirst du mir auch helfen, sie auszulöffeln.“ Sein offensichtlicher Zwiespalt und seine Abneigung gegenüber seinem eigenen Handeln ließ das Grinsen im Gesicht seines Gegenübers noch größer werden. Der Pharao schluckte seinen Stolz hinunter und trat ein. Eigentlich hatte er sich gewünscht, er müsse nicht noch einmal hierher zurückkehren, als er diese Wohnung bei seinem letzten Besuch verlassen hatte. Dieser war nun bereits etwas über ein halbes Jahr her … ~*~ Ein schwerer Stein lag in Atemus Magen, als er die endlos scheinenden Treppen erklomm. Eigentlich sträubte sich jede Faser seines Körpers gegen diesen Gang. So lange hatte er mit sich gehadert, aber letztlich hatte diese kleine, garstige Stimme in ihm gesiegt, die ihm unentwegt ins Ohr flüsterte, dass sich ihm hier eine einmalige Gelegenheit böte. Seit er sich dazu entschieden hatte, nicht ins Totenreich überzuwechseln, hatte sich sein Leben stetig in die richtigen Bahnen gelenkt. Er konnte mit Recht von sich sagen, dass er angekommen war. Nur eine einzige Sache war da noch, ein einziger Wunsch war offengeblieben. Er gestand es sich nicht gerne ein, aber einer der Gründe, aus dem er das Leben der ewigen Ruhe vorgezogen hatte, war Seto Kaiba gewesen. Dass die uralte Seele von Priester Seth aus seiner Zeit als Herrscher Ägyptens wiedergeboren worden war und noch immer in dieser Zeit lebte, hatte in ihm die unverschämte Hoffnung geschürt, dass dies irgendwas zu bedeuten hatte. Dass er hier einen Menschen gefunden hatte, mit dem irgendeine Art von Verbindung bestand. Etwas, an das er anknüpfen konnte. Er spürte mehr, als dass er es durch Worte und Gesten hätte wahrnehmen können, dass da etwas zwischen ihnen existierte, das es zu ergründen galt. Dass diese Geschichte noch nicht zu Ende erzählt war. Leider sah Seto Kaiba das vollkommen anders und ließ ihn das ein ums andere Mal nur zu deutlich spüren. Jeder von Atemus Versuchen, sich ihm anzunähern, war zum Scheitern verurteilt. Für eine Weile hatte der ehemalige Pharao schließlich diese lächerliche Hoffnung fast begraben und sich den anderen Menschen in seinem Leben zugewandt, hatte neue Kontakte geknüpft und andere Männer getroffen. Doch niemals hatte er bei jemandem dieselbe Leidenschaft und Passion und dasselbe Knistern in der Luft gespürt wie mit Seto Kaiba. Niemals hatte er sich von jemandem so sehr angezogen gefühlt. Seto war für ihn wie ein starker Magnet. Und egal wie viele neue und nichtssagende Bekanntschaften er auch machte, so konnte er doch nie ganz von der fixen Idee lassen, dass er eines Tages den eiskalten Konzernchef für sich gewinnen würde. Sein Stolz ließ es nicht zu, diese Herausforderung am Ende als verloren zu betrachten. Doch je länger es dauerte, desto frustrierter wurde er und desto mehr wuchs seine Ungeduld und seine Sehnsucht. Ja, er musste es sich eingestehen, er sehnte sich nach dieser überwältigenden Intensität, die er nie bei einem anderen Menschen wahrgenommen hatte. Er wollte nicht irgendein lasches Abziehbild, sondern das echte, pure Erlebnis. Atemu war nicht irgendjemand und er verdiente und brauchte nicht irgendjemanden. So viel stand fest. Es war einige Tage, nachdem ihn die Einladung der KaibaCorporation erreicht hatte, die neue Duell-Arena für zu Hause zu testen. Natürlich hatte der werte Entwickler dieses technischen Wunderwerks nur ein Päckchen mit einem unpersönlichen geschäftlichen Schreiben und eine Einladung zum Produkt-Launch geschickt. Nicht einmal angerufen hatte er ihn, um ihn um seine Mithilfe bei der geplanten Kampagne zu bitten. Innerlich brodelte es in Atemu und Enttäuschung und Wut über diese unangemessene Behandlung kochten in ihm hoch. Er wusste nicht, wieso er sich so sehr erniedrigte und letztlich, nach langen und ermüdenden Überlegungen, dennoch zusagte. Ungefähr um die gleiche Zeit erzählte Ryou bei einem Treffen von Yugis Clique misstrauisch eine unerhörte Neuigkeit. „Leute, da ist was, was mich aktuell etwas beunruhigt“, sagte er und beugte sich verschwörerisch nach vorn, „es hat mit dem Geist des Milleniumsrings zu tun.“ „Ehrlich? Was treibt die alte Nachteule denn so?“, wollte Joey argwöhnisch wissen. „Naja“, erklärte Ryou nachdenklich, „seit Kurzen hat er wohl sowas wie – sagen wir ein neues, unangemeldetes Geschäftsmodell aus dem Boden gestampft.“ Da der antike Bakura zuvor nur Gelegenheitsjobs angenommen hatte und somit sein Konto meistens am Limit war, griff sein ehemaliger Wirt ihm ab und an finanziell etwas unter die Arme. Doch damit war es offenbar vorbei. „Seit ein paar Wochen scheint er nicht mehr so knapp bei Kasse zu sein und fährt richtig was auf, wenn ich ihn mal besuchen komme, um nach dem Rechten zu sehen“, erklärte der Weißhaarige. Tea, Tristan, Joey, Duke und Yugi machten große Augen. „Sag bloß.“ Auch Atemu legte neugierig den Kopf schief und lauschte Ryous Erzählung. „Ja, er will auch, wie er selbst sagt, ‚keine Almosen mehr von mir‘. Das hat mich natürlich gewundert. Erst wollte er nicht so richtig mit der Sprache rausrücken, wie er denn plötzlich so gut über die Runden kommt. Aber am Ende habe ich es doch aus ihm herausbekommen.“ Ryou schmunzelte geheimnisvoll und ein wenig stolz, während die anderen gebannt an seinen Lippen hingen, „er scheint unter der Hand mit allerhand Zaubern und ‚magischen Gefallen‘ zu handeln, die die ein oder andere Unannehmlichkeit in den Leben seiner Kunden galant ausbügelt.“ Atemu horchte interessiert auf, während seine Freunde besorgt dreinblickten. „Hoffentlich ist das keine Magie, über die wir uns Sorgen machen müssen. So langsam habe ich genug von diesem ganzen finsteren Hokus Pokus“, Duke verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich denke nicht“, beruhigte ihn Ryou schnell, „ich glaube, es sind lediglich kleine, harmlose Zauberkunststücke, für die die Leute trotzdem eine ganze Stange Geld bezahlen.“ Seit diesem verhängnisvollen Nachmittag wurde Atemu von einer wachsenden Unruhe ergriffen, wälzte sich nachts in seinem Bett hin und her und versuchte, den wahnwitzigen Einfall zu verdrängen, der ihm hartnäckig im Kopf herumspukte. Doch letztlich konnte er sich nicht mehr gegen seine Neugier und die aufkeimende Hoffnung erwehren. So fand er sich nur drei Tage nach Ryous Bericht am späten Abend unschlüssig in einem in die Jahre gekommenen Treppenhaus wieder und klopfe schließlich zaghaft an eine Wohnungstür. Der Moment, bis die Tür sich öffnete, zog sich schier endlos in die Länge und Atemus Herz hämmerte heftig gegen seine Brust. Schließlich blinzelten ihn zwei rehbraune Augen von der anderen Seite der Tür her überrascht an. „Sieh mal einer an. Welch königlicher Glanz beehrt mich in meiner bescheidenen Behausung“, ein gehässiges und zugleich amüsiertes Lächeln umspielte Bakuras schmale Lippen. „Ich bin lediglich hier weil …“, begann der ehemalige Pharao sofort, sich zu rechtfertigen. „Ich weiß, warum du hier bist. Du möchtest mich um einen Gefallen bitten, der den Weg deines Schicksals um ein paar Grad korrigieren soll.“ „Woher weißt du …?“, begann der Pharao, doch Bakura wandte sich um und schnitt ihm unhöflich das Wort ab. „Oh, bitte! Aus welchem Grund solltest du sonst hergekommen sein? Es gibt kein anderes Szenario, in dem du deinen royalen Hintern freiwillig auch nur in die Nähe meines unwürdigen Wohnsitzes bewegen würdest. Aber mir soll es Recht sein. Ich bin froh für alle Kunden, egal mit welchem Stammbaum. Bei mir sind sie ohnehin alle gleichermaßen Bittsteller und auf meine Fähigkeiten angewiesen. Hier drinnen sind alle sozialen Unterschiede passé. Denn wir alle sind gierig, haben unerfüllte Wünsche und Verlangen. Und was das betrifft ist auch der Hochwohlgeborene keinen Deut edler als die gemeine Taschendiebin. In diesem Sinne: Tritt ein in mein beschauliches Heim.“ Er machte eine vage einladende Geste mit dem Arm und bedeutete Atemu, ihm zu folgen. Dieser betrat misstrauisch eine fast stockfinstere Wohnung, die eigentlich nur aus einem einzigen Zimmer bestand. In einer Ecke stand ein schmales Bett. Eine zusammengestoffelte Küche schälte sich in sein Blickfeld, als seine Augen sich langsam an die Dunkelheit gewöhnten. „Hätte ich mir denken können, dass du lebst wie eine Fledermaus. Das passt zu deinem düsteren Gemüt.“ Bakura wandte sich grinsend zu ihm um. „Du glaubst allen Ernstes, ich hause freiwillig in dieser Finsternis? Du bist ja noch einfältiger, als ich dachte, Pharao. Nein, nein, das hat einen anderen Grund. Hab nämlich die Stromrechnung nicht bezahlt. War – sagen wir mal – kein so guter Monat fürs Geschäft. Pff. Leben in Dunkelheit, das sich nicht lache. Da kriegt man ja Depressionen.“ Die letzten Worte nuschelte er mehr in seinen Bart, als dass er sie zu Atemu sagte. Schließlich ließ der Geist des Ringes sich auf einem uralten Sofa aus rissigem Leder nieder, das unter seinem Gewicht tief einsank und aus dessen Armlehnen an mehreren Stellen das Polster quoll. Dann schlug er gewichtig die Beine übereinander und entzündete eine knisternde Kerze auf einer umgedrehten Getränkekiste. „Also dann, mit was kann ich Euch nun helfen, Eure Bedürftigkeit? Setzt euch doch.“ Mit der Hand wies er auf einen Ohrensessel, dessen ursprüngliche Farbe nur mehr schwer zu erahnen war. „Den hab ich vom Sperrmüll. Ist er nicht hübsch?“, kommentierte er das Möbelstück, als Atemus Blick seiner Geste folgte. „Danke … ich stehe lieber“, presste der Kleinere mit hochgezogener Braue hervor. „Oh, du willst also keine Zeit vergeuden und gleich zum Geschäftlichen kommen. Ganz wie du willst, Pharao. Also: Wo drückt denn das goldene Schühchen?“ Atemu holte tief Luft. Jetzt war der Moment gekommen, sein Anliegen vorzutragen. Und doch widerstrebte es ihm zutiefst, ausgerechnet dem Geist des Milleniumsrings derart tiefe Einblicke in sein Inneres zu gewähren. Alles, was von seiner strengen Erziehung hängengeblieben war, schrie ihm zu, seine Maske nicht abzulegen und sich für nichts auf der Welt auf diese Weise verwundbar und schwach zu machen. „Was ist nun?“, riss ihn der Ringgeist – nun seinerseits mit hochgezogener Braue – aus seinem inneren Zwiespalt. „Ich hab zwar wenig Kunden, aber trotzdem nicht ewig Zeit. In einer Stunde leite ich eine Runde Pen&Paper. Also, du musst mir schon sagen, was du von mir willst, wenn ich dir dienlich sein soll.“ „Das ist mir bewusst“, gab Atemu zähneknirschend zurück. Schließlich begann er, erst stockend und zum Ende hin immer gehetzter, aber vollkommen emotionslos und abgebrüht, sein Anliegen vorzubringen. Am Ende war ihm die Sache wohl doch zu wichtig, um steinern an seinen Prinzipien und seiner unantastbaren Fassade festzuhalten. Zuerst sagte Bakura nichts. Er blickte ihn lediglich an und aus seinen rotbraunen Augen blitzte der Schalk. Offenbar kostete er die seltenen Einblicke in das Privat- und Seelenleben des Pharaos unverhohlen aus. „Um es zusammenzufassen“, begann er schließlich, „du willst, dass ich dir helfe, das Herz dieses lächerlichen Priester-Verschnitts zu erobern.“ „Drück es aus, wie du es willst“, presste der Pharao zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, „jetzt sag schon: Liegt das in deiner Kompetenz oder vergeude ich hier nur meine Zeit mit einem Stümper?“ „Selbst in die Enge getrieben bist du noch auf Konfrontation aus, was?“, seufzte Bakura beinahe nachsichtig, „Pharao, mal im Ernst. Hast du nicht diesen Disneyfilm gesehen? Aladdin? Es gibt keinen Zauber, der bewirkt, dass sich ein anderer Mensch in dich verliebt. Das wäre – unnatürlich. Um nicht zu sagen gefährlich.“ Für einen Moment ließ Atemu die Information sacken. Dann schüttelte er gefasst den Kopf, musste sich innerlich jedoch zusammenreißen, damit seine Züge nicht entgleisten. „Also kannst du mir tatsächlich nicht helfen. Ich hätte es mir denken können. In diesem Fall: Danke für deine Zeit und auf Nimmerwiedersehen.“ Mit diesen Worten wandte er sich um und schritt in Richtung Wohnungstür. Alles was er wollte, war, hier zu verschwinden. Diese blamable Episode hinter sich zu lassen und aus seinem Gedächtnis zu streichen. Und die Enttäuschung abzuschütteln, die in diesem Moment unwillkürlich und schwer in seinen Magen sackte. „Moment, Moment, Moment!“, hielt ihn da die Stimme des Ringgeists zurück, „warum denn so eilig? Ich habe mit Nichten gesagt, dass ich dir nicht helfen kann. Lediglich, dass ich nicht dafür sorgen kann, dass sich Kaiba in dich verliebt.“ Atemu fuhr unwirsch herum. „Was macht das für einen Unterschied? Das ist exakt dasselbe!“, zischte er Bakura gereizt entgegen. „Ist es nicht. Und würdest du mir mal für einen Moment zuhören, würdest du verstehen, was ich dir sagen will.“ „Dann rede endlich! Ich höre.“ „Ich wüsste da eine Möglichkeit für dich, wie du zu deinem Ziel kommen kannst, ohne dass ich Kaibas Gefühle manipuliere. Und ganz nebenbei könnte diese Option, solltest du dich dafür entscheiden, eine erhebliche Verbesserung seiner Lebensqualität herbeiführen. Also hör zu. Eine meiner Spezialitäten sind Amnesiezauber jeglicher Art. Waren mir schon oft von immensem Nutzen, kann ich dir sagen. Ich denke mir also Folgendes ...“ Und so hatte Bakura ihm erläutert, was ihm vorschwebte. Zuerst hatte Atemu verneint. Natürlich kam ein solch massiver Eingriff in Kaibas Leben auf keinen Fall in Frage. Das war moralisch beinahe ambiger als der Liebeszauber, den er im Sinn gehabt hatte. Doch am Ende, es ging bereits auf Mitternacht zu, verließ er Bakuras Wohnung mit exakt dem Deal, den der Grabräuber ihm vorgeschlagen hatte. Ja, er war schwach gewesen, er hatte seinen eigenen Wünschen und Sehnsüchten stattgegeben und sich eingeredet, dass es auch für Seto das Beste sei. Dass es ihm auf diese Weise bessergehen würde. Dass er sein Leben ändern konnte, wenn er ihn erst einmal zu einem Teil davon machte. Und das ging nun mal nur, wenn er ihm gegenüber vollkommen unvoreingenommen war. „Du weißt, es gibt natürlich Konditionen“, hatte Bakura gesagt, „keine Leistung ohne Gegenleistung.“ „Schon klar. Rück raus damit. Was willst du?“, hatte der Pharao bitter gefragt, „meine Seele? Ist es das, was du von deinen Kunden verlangst?“ Daraufhin war der Geist des Milleniumsrings nur in schallendes Gelächter ausgebrochen. „Hahaha! Ich krieg mich nicht mehr ein. Was hast du nur für Vorstellungen, wie ich arbeite? Wir sind doch hier nicht in einem Horrorfilm oder bei Supernatural. Nein, du Trottel. Alles, was ich will, ist ein Einkaufsgutschein im Wert von 15.000 Yen. Ich habe Ausgaben, du verstehst. Ich muss leben.“ „Oh“, hatte Atemu nur gesagt, als Bakura ihm auch bereits einen vorbereiteten Vertrag vor die Nase knalle. „Hier“, sagte er, „ich brauche deine Unterschrift hier, hier und … hier.“ „Mit … meinem Blut?“, fragte der Pharao, nun bereits etwas zaghafter. Bakura verdrehte nur kopfschüttelnd die Augen. „Mit Kuli, du Leuchte. Ich glaube ernsthaft, du siehst du viele Hollywoodfilme.“ Von diesem Tag an wartete Atemu jeden Tag in einem Wechselbad der Gefühle – von Nervosität über Schuld und Gewissensbisse bis hin zu Verunsicherung – auf das, was laut Bakuras Aussage innerhalb kürzester Zeit passieren würde. Ab und an glaubte er bereits, der Grabräuber habe ihn übers Ohr gehauen, denn die Medien ließen nichts darüber verlauten, dass der Firmeninhaber eine schwerwiegende Veränderung durchlebte. Als er sich bereits fast damit abgefunden hatte, über den Tisch gezogen worden zu sein, geschah das Ersehnte und Gefürchtete am Abend der Pressekonferenz in der KaibaCorporation schließlich doch noch. Und so nahm alles seinen Lauf … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)