Reboot von MizunaStardust ================================================================================ Kapitel 1: Harddrive Crash -------------------------- 1. Harddrive Crash   „Ja, in der Tat. Unsere brandneue Mi-Duellarena fürs heimische Wohnzimmer ist die Innovation, die die DuelMonsters-Branche dringend gebraucht hat. Mit ihrer zusammenfaltbaren Oberfläche für die praktische Verstauung und ihren neuen Funktionen, wie einer digitalen Anzeige der Kartentexte auf dem Monitor und der Anpassung der Hologrammgröße, schafft sie ein ganz neues Spielerlebnis für das eigene Zuhause. Aber bevor ich selbst weiter von den Vorzügen unseres Produkts berichte, hören wir es uns doch von jemandem an, der das Spielerlebnis besser beurteilen kann als jeder andere es kann: von König der Spiele höchstpersönlich.“ Obgleich man Seto Kaiba ansah, dass er die Bühne nur unwillig für eine weitere Person räumte, trat er einen Schritt hinter den Tisch mit dem präsentierten neusten Marketing-Wunder der Kaiba-Corp. zurück und gab dem jungen Mann mit den tiefgründigen violetten Augen und der bunten Sternfrisur Raum, wahrgenommen zu werden.   „Ja, vielen Dank für die Einladung, Seto“, lächelte dieser höflich und gefasst. Setos Augen funkelten gefährlich ob der vertrauten Anrede, die er als ganz und gar unpassend empfand. „Tatsächlich hatte ich viel Freude mit dem DuelDome Mini 2001, das mir die KaibaCorporation freundlicherweise zum Test zur Verfügung gestellt hat“, berichtete der kleinere Duellant, „die praktischen Anpassungen für zu Hause machen es absolut lohnenswert, sich die Arena als Ergänzung zur mobilen DuelDisk anzuschaffen. Außerdem kann man die Duell-Arena auch problemlos mit zu Freunden nehmen und überall nutzen. Der Akku hält wortwörtlich ewig und man kann das Gerät gut und gerne zehn Stunden am Stück verwenden.“ Seto nickte zufrieden. Genauso hatte er sich das vorgestellt. Sein Plan ging voll und ganz auf und er war sich fast sicher, dass zum morgigen Verkaufsstart bereits vormittags alle lokalen Läden bereits ausverkauft sein würden.   „Einzig die kleinen Ruckler bei der Hologrammdarstellung zwischendurch mindern das Spielvergnügen ein wenig“, schloss der Gast schließlich seine mündliche Produktrezension und Setos Blick, der bisher starr auf die Vertreter von Presse und Einzelhandel gerichtet gewesen waren, die er zum Launch des neuen Produktes geladen hatte, flog ärgerlich zum König der Spiele hinüber.   Es war jetzt vollkommen still im Foyer der Kaiba Corporation. Heiße Wut kochte wie schäumende Lava in Seto hoch und er musste sich zusammenreißen, den kleineren Duellanten nicht am Kragen zu packen und aggressiv zu schütteln. Wie konnte dieser neunmalkluge Trottel es überhaupt wagen, sein Produkt öffentlich schlechtzureden, wo er ihm doch eigentlich nur dankbar sein konnte, dass er hier eine Plattform fand, seine eigene Person zu profilieren?! Dieser kleine Wichtigtuer wusste wohl nicht, mit wem er sich hier anlegte! Aber diese Anwandlungen würde er ihm schon austreiben! Na warte!   „Ja … vielen Dank, Atemu, für deine ehrliche Meinung und die Zeit, die du in den Test unseres Produkts gesteckt hast!“ Bevor Seto zu einer Erwiderung ansetzen konnte, war ihm sein jüngerer Bruder, zu Hilfe geeilt, um eine Eskalation zu verhindern und die Situation diplomatisch zu entschärfen, „und mit deinem letzten Punkt sprichst du auch schon das einzige Manko an, das unsere Arena bislang aufweist und an dem wir natürlich bereits mit Hochdruck arbeiten.“   Der 16-Jährige Kaibabruder hatte bei der Entwicklung dieses Produkts zum ersten Mal eine federführende Rolle eingenommen und seine Sache dabei sehr gut gemacht. Und im Augenblick war Seto tatsächlich dankbar für seine überragenden kommunikativen Fähigkeiten, denn seine eigene Reaktion auf Atemus Kritik wäre wohl sehr zum Nachteil des Rufs seiner Firma ausgefallen. „Allen, die unser DuelDome Mini 2001 schon jetzt erwerben, wird selbstverständlich zeitnah ein kostenloses Softwareupdate zur Verfügung stehen, das diese Kinderkrankheit behebt. Auch alle künftigen Updates sind im Übrigen vollkommen kostenfrei verfügbar.“   Als alle Fragen der Presseleute beantwortet und die Champagnergläser geleert waren, trat Mokuba zu Atemu, der sich die ganze Zeit über dezent, aber nicht unbehaglich am Rande des Geschehens aufgehalten hatte. „Danke, dass du uns heute für den Launch unterstützt hast“, begann er in seiner üblichen offenen Manier, „das war echt unschlagbar. Wir …“ Weiter kam er jedoch nicht, denn in diesem Augenblick näherte sich der ältere Kaiba den beiden wie eine bedrohliche Gewitterwolke und Mokuba verstummte augenblicklich.   „Für was bedankst du dich hier eigentlich, Mokuba?“, presste Seto schnarrend hervor, wobei er seinen geladenen Gast mit seinem herablassendsten Blick in Augenschein nahm, „etwa dafür, dass unser sogenannter Pharao unsere Produkte sabotiert, statt sie, wie vereinbart, zu bewerben?!“ Die stechend blauen Augen des Firmenchefs sprühten vor Abneigung und Angriffslust, als er die Arme vor der Brust verschränkte und buchstäblich auf den ehemaligen ägyptischen Herrscher herabblickte.   Doch dieser hielt seinem Blick tapfer stand, ohne sich in die Ecke drängen zu lassen. Schließlich stellte er ruhig sein halbvolles Glas auf einem kleinen Tisch ab und strich sich eine der blonden Strähnen seiner dreifarbigen Frisur aus dem Gesicht, bevor er sich seinem Gastgeber seelenruhig wieder zuwandte und zu einer Antwort ansetzte. „Ich hatte unsere Abmachung so verstanden, dass ich euer Produkt testen und ehrlich bewerten soll. Ich denke nicht, dass du es mir vorwerfen kannst, dass ich diesen Anlass nicht als Aufforderung gedeutet habe, für dich zu lügen. Denn dann hätte ich die Einladung gewiss ausgeschlagen.“   Ein giftiges Brennen wie von ätzender Säure breitete sich in Setos Brust aus, wenn er diese widerlich selbstgerechten Worte aus dem Mund seines ewigen Kontrahenten hörte. Er trat einen Schritt näher auf den Kleineren zu, bevor er seine Stimme zu einem bedrohlichen Wispern senkte. „Du hörst mir jetzt mal gut zu, mein Lieber: Ganz egal, was du in deinem vorherigen Leben warst oder dir einbildest gewesen zu sein“ – Bei den letzten Worten verdrehte Atemu entnervt die Augen, denn er wusste ganz genau, dass Seto sich der Wahrheit über ihre gemeinsamen Ursprünge nur zu genau bewusst war und sich trotzdem immer wieder hartnäckig als Zweifler gab. – „all diese Privilegien sind hier und heute verwirkt. Du solltest also besser so schnell wie möglich begreifen, wer diese Stadt hier wirklich regiert und mit wem man es sich besser nicht verscherzen sollte. Und sobald ich deinen Titel von dir zurückgeholt habe, wirst du über Kurz oder lang ohnehin irgendwo in den Z-Promi-Schlagzeilen verlorengehen! Also gewöhn dir deinen unangebrachten Stolz besser früher als später ab!“   Mit diesen Worten knallte er ebenfalls sein Glas auf das Tablett einer vorbeihuschenden Bedienung und ließ seinen Gast stehen, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen. Dieser fing Mokubas entschuldigenden Gesichtsausdruck auf und begegnete ihm seinerseits mit einem mitleidigen Blick. „Atemu, tut mir leid, ehrlich. Seto meint es nicht so und kriegt sich schon wieder ein“, entschuldigte sich der Schwarzhaarige peinlich berührt für seinen Bruder. „Ist schon gut, Mokuba“, winkte der ehemalige Pharao ab, „es ist bedauerlich, dass Seto nach wie vor diesen Sturm nicht kontrollieren kann, der so unaufhörlich in ihm tobt. Aber ich mache ihm deshalb keine Vorwürfe. Wir alle sind von unserer Vergangenheit zu denen gemacht worden, die wir heute sind. Ich wünsche mir sehr für Seto, dass er es schafft, seinen Frieden mit seiner Vergangenheit zu schließen und endlich loszulassen. Andernfalls befürchte ich, dass er in einer Sackgasse landet und auf unangenehme Art und Weise lernen muss, dass sich etwas in seinem Leben verändern muss.“   Mokuba sah ihn nachdenklich an und Sorgenfalten bildeten sich auf seiner Stirn. Atemu hatte ausgesprochen, was er selbst nicht selten gedacht und befürchtet, aber sich nie getraut hatte auszusprechen. Und doch war er ratlos und überfordert, wie er seinem Bruder helfen konnte, den Zorn und dieses unbändige, ziellose Streben – nach was, das wusste wohl nicht einmal Seto selbst – unter Kontrolle zu bringen oder zu zerstreuen. „Ehrlichgesagt“, gestand er dem Älteren leise, „ich mache mir auch Sorgen um Seto. Ich finde es ja toll, dass er seinen Beruf liebt und dass es ihm Spaß macht, neue Produkte zu kreieren, aber das hier … das ist etwas anderes. In den letzten Monaten wirkt er gar nicht mehr glücklich und erfüllt, sondern wie getrieben. Als wäre er alleine in einem Tunnel, von dem er nicht einmal weiß, wohin er überhaupt führt. Ich weiß nicht, wohin ihn dieses Leben noch bringen soll und ob er jemals irgendwo ankommt. Es geht nicht immer noch weiter, noch höher. Ich meine … das kann doch nicht alles für ihn sein, oder doch?“ Atemus Blick wurde warm und verständnisvoll. „Nein, ich denke nicht“, entgegnete er sanft.   ~*~   Derjenige, dessen seelische Verfassung hier so ausführlich diskutiert wurde, war derweil mit dem Aufzug in sein Büro gefahren und hatte die wichtigsten Dinge zusammengepackt: Unterlagen, Laptop, Headset und einen Prototyp des neuen Produkts. Noch heute würde er für eine Marketing-Reise in die USA fliegen und war sich sicher, dort einige größere Ketten als Kunden zu gewinnen. Als er alles in seinem Koffer verstaut hatte, wies er Roland an, den Wagen vorzufahren, und wandte sich geschäftig zum Gehen.   Als er das Licht im Büro ausschaltete, wanderte sein Blick zu den unzähligen, winzigen Lichtern des nächtlichen Domino City, die er aus seinem Panoramafenster sehen konnte. Woher es so urplötzlich kam, konnte er nicht sagen, aber ein überwältigendes Gefühl der Beklemmung überkam ihn in diesem Augenblick und er brauchte einige Sekunden, bis er es niedergekämpft hatte. Kurz schloss er die Augen und all die Geräusche um ihn herum – die Gespräche der Mitarbeitenden, das Piepen und Summen der Scanner und Drucker, das Hupen von Autos draußen – all das kam ihm seltsam entrückt vor.   „Seto, alles klar?“, vernahm er plötzlich die Stimme seines Bruders an seiner Seite. Er nahm eine gerade Haltung ein und festigte den Griff um seinen Aktenkoffer. „Selbstverständlich. Was auch sonst. Gute Arbeit heute, Moki. Ich verlasse mich darauf, dass hier alles glattläuft, solange ich weg bin“, sagte er und berührte seinen jüngeren Bruder kurz und vertrauensvoll am Arm. „Klar Seto, so wie immer. Und du pass auf dich auf, ja?“   Schließlich ließ der Chef der KaibaCorporation die unerwünschten Emotionen des heutigen Tages hinter sich und trat aus der großen automatischen Fronttür des Firmengebäudes in die kühle, wohltuende Nachtluft. Er atmete einmal tief ein- und aus, bevor er sich auf den Weg zum Wagen machte, den Roland auf der anderen Straßenseite geparkt hatte.   Doch er hatte kaum einen Fuß vor den anderen gesetzt, als sein Kopf sich von einem auf den anderen Moment fühlte, als würde er implodieren. Ein gewaltiger Schmerz überwältigte ihn binnen weniger Sekundenbruchteile und löschte alles andere um ihn herum aus. Alle Kraft wich aus seinem Körper und er sank auf die Knie, die Hände an seinen Kopf gepresst, wie ein Spielball einer höheren Macht, mit der er den Kampf nicht einmal aufnehmen konnte.   Dann ein Piepen in seinem Ohr. Alle anderen Geräusche wie unter Wasser. Die Klarheit in seinen Gedanken zerschlagen, begraben.   Dann nur noch Bruchstücke von Ereignissen, Eindrücken. Sirenen, aufgeregte Stimmen, sein Name.   Jemand kniete neben ihm. Jemand, den er kannte. Es war nicht Mokuba. Dieser Jemand sprach auf ihn ein, sagte etwas zu ihm. Scheinbar etwas von Bedeutung. Dann wieder Dunkel. Hell, wieder dunkel. Wieder hell. Und dann nichts mehr.   ~*~   Jemand erwachte in einem Krankenhaus. Steriler Geruch, bedrückendes Weiß. Zeit schien aus dem Raum gesaugt. Personal wuselte unaufhörlich ins und aus dem Zimmer. Immerzu dieser pochende Kopfschmerz.   „Können Sie uns Ihren Namen sagen?“ Natürlich konnte er. Was für eine Frage. „Können Sie uns Ihr Geburtsdatum nennen?“ Wollen sie ihn für dumm verkaufen?   „Können Sie uns sagen, was Sie in den letzten Stunden getan haben?“ – Natürlich konnte er. – Oder etwa nicht? Er wollte. Er sollte. Er müsste doch. Aber da war nichts. Leere. Schmerzende Leere. Und immer dieser hämmernde Schmerz in seinem Kopf.   „Können Sie uns sagen, was sie beruflich machen?“ – Darüber hatte er sich noch keine Gedanken gemacht. Sollte er etwa? Hatte das eine Relevanz in seinem Leben? Seine Mutter hatte oft gesagt, er würde sicher mal was mit Zahlen machen. Weil er so gut im Mathematikunterricht war. Aber so sehr er auch in seinem Kopf kramte, etwas anderes trat nicht zum Vorschein.   „Psychogene Amnesie“ hörte er es mehrmals aus dem Mund der Ärztin. Aber er wusste nicht, was es bedeutete. Hatte es etwa mit ihm zu tun? Und wann ließen sie ihn endlich in Frieden. Wann würden sie ihn endlich nach Hause gehen lassen? Aber zu Hause … wo war das überhaupt?       Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)