Der letzte Tag im Leben des tyrannischen Feldwebels Simon Conrad, der den Tod fand, weil niemand genug Sympathie für ihn übrig hatte, um ihn zu retten! von Dollface-Quinn (Eine Erzählung) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Deutschland, 1934. Eine Kaserne. Der Hauptmann trat aus seinem Zimmer. Nur mit seiner vom Militär gestellten Unterwäsche und Socken bekleidet, ein Handtuch lässig über die rechte Schulter geworfen, den Beutel mit Dentalhygieneartikeln in der linken Hand, schritt er respekteinflößend in seiner ganzen Gestalt über den Flur in Richtung der Waschräume für die Offiziere. Das frühmorgendliche Sonnenlicht glühte warm auf seiner hellen Haut, unter der sich die schön gewachsenen Muskeln wölbten. Feldwebel Simon Conrad wich in seinem Zimmer an den Schrank zurück, lehnte den breiten Rücken und den kurz geschorenen blonden Hinterkopf dagegen und brachte seine gespannte Atmung unter Kontrolle. Nur die reine, qualvoll antrainierte Disziplin ließ ihn widerstehen, sich bei diesem Anblick gleich hier im Stehen Erleichterung zu verschaffen. Das wäre ihm zu respektlos vorgekommen. Dennoch gab es viel zu viele Morgen, an denen er, wie jetzt, die Tür zu seinem Zimmer einen Spalt breit öffnete und darauf wartete, das sein Hauptmann den Gang hinunter schritt; kraftvoll, beherrscht, würdevoll und unantastbar, trotz der gierigen Blicke, die Simon sich heimlich in der Stille seines Zimmers erlaubte. Er brauchte diesen winzigen Moment der Respektlosigkeit. Andernfalls wäre es ihm unmöglich gewesen, seine Abartigkeit den Rest der Zeit über zu verbergen. Der Hauptmann passierte Simons Zimmertür, ohne zu bemerken, dass die Tür einen Spalt breit offen stand und dahinter die kornblumenblauen Augen des Feldwebels jede seiner Bewegungen verfolgten. Der unzüchtige Blick fraß sich in den Rücken des Höherrangigen, glitt über den dunkelblonden Haaransatz, streifte die muskulösen Schultern, die aussahen, wie die eines Berserkers, floss, wie ein verspielter Bach, zwischen den kräftigen Schulterblättern hindurch und streichelte die runden, durchtrainierten Hinterbacken seines Vorgesetzten, nur um schließlich demütig die Muskel bepackten Oberschenkel hinunterzutröpfeln und an der standhaften Ferse zu verenden, die als letztes durch die Tür zu den Waschräumen verschwand. Simon fuhr sich schwer atmend mit der Zunge über die trockenen Lippen. Die morgendliche Steifheit zwischen seinen Schenkeln pulsierte drängend. Etwa dreißig Sekunden lang quälte er sich in diesem Zustand, dann schloss er die Tür, setzte sich mit heftigem Puls auf sein Bett und legte Hand an sich. Es musste schnell gehen, denn er wollte nicht länger als unbedingt nötig damit warten, dem Hauptmann zu folgen. Simon hielt es für höflich, seinem Vorgesetzten das Gefühl zu lassen, er sei der Erste auf den Beinen. Aber er wollte auch nicht den Anschein eines Langschläfers erwecken! Mit einem unterdrückten Laut überschritt er den Punkt, von dem aus es kein Zurück gab, und das Objekt der Begierde noch vor dem geistigen Auge, kam er sich selbst in die schwielige Hand. Die Spuren seines Vergehens beseitigte er mithilfe seines viel benutzen Stofftaschentuchs. Dann stand er auf, nahm sein Etui vom Nachttisch und schritt zackig aus, um die verlorene Zeit wieder wett zu machen. Frisch geduscht fielen auch alle unreinen Gedanken von dem Feldwebel ab. Jetzt war er nicht mehr Simon, der heimliche Geschlechtsverräter. Er war Feldwebel Conrad, der Schleifer! Schon beim Frühstück trieb er die Rekruten an. „Fünf Minuten!“, bellte er durch den Essraum. Länger hatten die Jungen nicht, ihren Haferbrei hinunterzuschlingen. Wer zu spät kam, verursachte für alle gepfefferte Frühsporteinheiten. Conrad selbst frühstückte nie. Gewohnheit und Kondition ließen ihn bequem bis mittags durchhalten. Natürlich trafen die Rekruten Müller und Heinrichs zwei Minuten nach der Zeit auf dem Exerzierplatz ein. Grüne Jungs waren es, die sich das erste Haar auf der Brust noch nicht verdient hatten und für die Frauen noch lange außerhalb ihrer Möglichkeiten liegen würden. Mit roten Köpfen kamen sie angerannt, keuchend und hustend. Der Brei klebte ihnen noch in den Mundwinkeln. „Heinrichs und Müller!“, dröhnte des Feldwebels Stimme zackig über den Platz. Sofort standen die beiden Delinquenten stramm, auch wenn sie dabei halb erstickt wirkten und Heinrichs unübersehbar ein verschlucktes Husten unterdrückte. „Ich gratuliere Ihnen, meine Herren. Sie verletzen nun zum zehnten Mal in Folge das Gebot der Pünktlichkeit.“, feixte Conrad mit dreckigem Grinsen. Er hatte gehofft, sie würde auch heute die Letzten sein. Ob pünktlich oder nicht, er hätte sie dafür gepiesakt. Müller kämpfte verzweifelt ein Aufstoßen nieder. Offenbar hatte er beim Frühstück er so geschlungen, dass er jetzt Mühe hatte, es bei sich zu behalten. Conrad ignorierte seine Pein und fuhr fort. „Daher muss ich doch annehmen, dass Sie gerne Schnecken wären und das Kriechen bevorzugen. Ich gönne Ihnen also zwei Wochen, in denen Sie sich von Ihrem Schneckentum erholen können, indem Sie auf dem Boden liegend den Latrinendienst übernehmen!“ Heinrichs bemühte sich um Haltung, um es für sich und Müller nicht noch schlimmer zu machen, aber in seinen rehbraunen Augen starb etwas. Conrad bemerkte es mit Befriedigung. Er begann die erste Reihe der Rekruten abzuschreiten. Seine durchtrainierte, breitschultrige Gestalt maß allerdings nur 173 cm und brachte es auch mit Einlagen in den Schuhen nur auf 175 cm. Das bedeutete zu seinem Leidwesen, dass er im Durchschnitt einen halben Kopf kleiner war, als seine Mannschaft. Seine cholerische Ader glich die fehlenden Zentimeter aber allemal wieder aus. Nun bezog er in seine Rede an die beiden Unglücklichen auch alle anderen mit ein, als er in herrischem Befehlston fortfuhr. „Ihren Kameraden rate ich, es in dieser Zeit mit dem Zielen auf dem Abort nicht allzu genau zu nehmen, wenn sie ihre Schwänze wert sind!“, artikulierte er laut und deutlich. Er kam bei Heinrichs und Müller an, blieb dicht vor ihnen stehen sah ihnen direkt in die rotfleckigen Gesichter. Müller kämpfte immer noch tapfer mit seinem Magen, doch Conrad würde diesen Kampf jeden Augenblick mit Freuden entscheiden. Seine Stimme war nun ein gefährlich raues Knurren: „Und wenn Ihnen beiden anschließend die von Pisse aufgeweichten Finger bluten und Sie den Geruch von Scheiße gänzlich in sich aufgenommen haben, werden Sie ihre Ärsche gefälligst endlich aus dem Dreck ziehen und GUTE, PÜNKTLICHE DEUTSCHE SOLDATEN SEIN! HAB ICH MICH KLAR AUSGEDRÜCKT?!“ Die bildliche Sprache des Feldwebels und der emotionale Druck, gepaart mit dem zu hastig verschlungenen Frühstück waren zu viel für Müller. Seine Gesichtsfarbe wechselte von rot zu grünlich-bleich. Hilflos krümmte er sich und übergab sich auf den Boden vor seine Füße. Unverdauter Haferbrei und Galle spritzte den Umstehenden auf die Schuhe. Conrad, der das hatte kommen sehen, war einen Schritt zurückgetreten, hatte sich aber absichtlich nicht weit genug von Müller entfernt, um dem Malheur gänzlich zu entgehen. Auch seine blank gewichsten Schuhe bekamen Spritzer ab. Dies nahm der Feldwebel zum Anlass, mit einem wütenden Laut seinen Schlagstock vom Gürtel zu lösen und auf den Rücken des nach vorn gekrümmten Müller einzuprügeln, bis der gerade mal achtzehnjährige Junge jaulend und keuchend in seinem eigenen Erbrochenen am Boden lag. Nur eben so gelang es dem Knaben sein Schluchzen zu verbergen, aber sein Gesicht glänzte vor Tränen. „WAS FÄLLT DIR EIN, HIER SO EINE SAUEREI ZU VERANSTALTEN? DU BIST NICHT MEHR BEI MUTTI, VERSTANDEN?!! WER SOLL DAS JETZT AUFWISCHEN, HÄ?!!“, brüllte der Feldwebel auf ihn ein und verpasste dem Geprügelten mit seinem Knüppel einen Schlag auf den Hintern, dass Müller sicher drei Tage nicht mehr schmerzfrei würde sitzen können, „ LASS DIR ENDLICH EIER WACHSEN, DU SCHLAPPSCHWANZ! NICHT MAL DEN EIGENEN KÖRPER KANNST DU BEHERRSCHEN! GLAUBST DU DENN, SO BESTEHST DU GEGEN DEN FEIND? HÄ?! DER WIRD DIR GENÜSSLICH DIE FLINTE IN DEN ARSCH SCHIEBEN UND ABDRÜCKEN! HIER IST KEIN PLATZ FÜR ZITZENNUCKLER!“, demütigte er den armen Jungen weiter, der verzweifelt versuchte, das Gesicht aus seinem Erbrochenen zu heben, ohne gleich wieder zu spucken. Conrad setzte ihm die dicke Sohle seines Kampfstiefels in den Nacken und drückte ihn gewaltsam wieder runter, bis er Blut sah. Dann trat er zurück und gönnte sich drei Atemzüge lang Zeit, um wieder zur Ruhe zu kommen. „Du wischt das auf, Müller, und stößt dann wieder zu uns! Verstanden?!“ Müller kam zitternd erst auf alle Viere hoch und kämpfte sich dann auf die Knie. „Jawoll, Feldwebel!“, presste er hervor durch seine blutende Nase und den Schotter, der ihm im Gesicht klebte, allerdings ein wenig unverständlich. „Und mach dich gefälligst sauber! Wir sind hier kein Schweinetrupp!“, verlangte Conrad mitleidlos. „Alle anderen folgen mir! Dank Ihren guten Kameraden Heinrichs und Müller laufen Sie heute fünf Extrarunden um den Platz und nach jeder Runde will ich dreißig Liegestütze sehen!“ Die Quälerei nahm ihren Anfang. Aber der Zug war die Schinderei durch Conrad zu sehr gewöhnt, um zu murren. Man sparte sich die Kraft, um nicht zusammenzubrechen und dann unweigerlich verprügelt und vorgeführt zu werden. Als die angekündigten Runden gelaufen waren und Müller gewaschen und nicht mehr so blass im Gesicht wieder bei ihnen war, ließ der Feldwebel den Zug erneut Aufstellung nehmen. „So, ihr Luschen!“, sprach er sie an, „Da unser werter Kamerad Müller hier heute Morgen meinte, er müsse vieren von uns die Schuhe mit seinem Mageninhalt ruinieren, wird er heute Abend zusätzlich zum Latrinendienst allen Anwesenden gründlich die Schuhe putzen. Und damit sich das auch richtig lohnt, machen wir nach dem Mittag einen ausgedehnten Geländelauf!“, kündigte er an. Der Hass und die Furcht standen allen Rekruten in die stummen Gesichter geschrieben. Conrads Miene verfinsterte sich. „WAS ZUM TEUFEL IST LOS MIT IHNEN?! ANTWORTEN SIE GEFÄLLIGST, WENN IHR VORGESETZTER MIT IHNEN SPRICHT, ODER ICH BENUTZE SIE ALLESAMT ALS TONTAUBEN FÜR MEINE SCHIEßÜBUNGEN!“, drohte er brüllend. Da in der Kaserne seit Jahren das Gerücht kursierte, Conrad hätte schon mehrere Rekruten, die er für zu schwach hielt, gewaltsam ausgesondert, es aber so glaubhaft als Unfall dargestellt, dass er immer straflos davongekommen sei, glaubten ihm die Jungen diese Drohung sogar. Sofort erscholl ein gemeinsames, lautes: „Jawoll, Feldwebel!“ „Feldwebel Conrad!“ Conrad wandte den Kopf und sah den Obergefreiten Schmidt auf sich zu eilen. „Was gibt‘s, Schmidt? Wieso stören Sie?“, bellte er zurück. „Herr Feldwebel, der Hauptmann will Sie sprechen. Sofort, sagt er. Ist wohl dringend.“, erklärte Obergefreiter Schmidt, als er bei Conrad ankam. Unfreundlich blaffte der Feldwebel ihn an. „Natürlich ist es dringend, Sie Idiot! Sonst würde er nicht mitten in meinem Training nach mir schicken! Übernehmen Sie diesen wertlosen Haufen für mich.“ Damit schritt er zackig vom Platz in Richtung des Verwaltungsgebäudes. Vollkommen professionell stand Feldwebel Simon Conrad wenig später im Büro des Hauptmanns und salutierte. Der mächtige Bär von einem Mann saß hinter seinem Schreibtisch und grüßte höflich zurück. Einige Papiere ordnend teilte er Conrad mit, dass sich der General für einen Besuch angekündigt habe. Er werde zum Mittag hier in der Kaserne erwartet. „Will er die Rekruten sehen?“, fragte Conrad und feilte in seinem bösen Gehirn schon an einer Strategie, wie er seinen Haufen gebrochener Schwanzlutscher als die strahlenden Helden von Morgen präsentieren könnte und was er den Rekruten alles androhen würde, um sie für diesen Auftritt über ihre Grenzen zu treiben. „Nein, Feldwebel. Er kommt, um sich ein Bild über den allgemeinen Zustand der Kaserne zu machen und die Offiziere zu mustern. Den Standard zu wahren. Sie verstehen.“ Conrad verstand. „Die Offiziere, Hauptmann?“, fragte er dennoch nach. Der Hauptmann seufzte leise durch die Nase, sodass es fast nur ein leichtes Aufatmen zu sein schien. Dabei wölbte sich seine breite, muskulöse Brust unter der ordentlich zugeknöpften Uniformjacke. „Ganz recht, Conrad. Um ehrlich zu sein, ist er dafür bekannt, sich die Offiziere einzeln in ein Sprechzimmer zu rufen und sie dann zu befragen. Sie sind heute schon der Sechste, den ich bitten muss, sich der Kaserne gegenüber loyal zu verhalten und ein möglichst gutes Licht auf uns zu werfen.“ „Selbstverständlich!“, erwiderte der Feldwebel sofort. „Soll ich mich auch am Nachmittag zur Verfügung halten? Ich hatte mit dem zweiten Zug für heute einen Geländemarsch geplant.“ „Nein, so lange wird es sicher nicht dauern. Gehen Sie ruhig mit dem Zweiten. Der kann das Training gebrauchen. Die Jungs sehen größtenteils ein wenig … kränklich aus.“, bemerkte der Hauptmann trocken. Conrad verbiss sich ein dreckiges Grinsen, war er doch der Grund für den schlechten Gesundheitszustand seines Zuges. „Ich werde schon noch anständige Kerle aus der Brut machen, Hauptmann.“, versprach er fröhlich und verabschiedete sich dann ordentlich grüßend von seinem Vorgesetzten. Der General traf kurz vor zwölf Uhr am Haupttor der Kaserne ein und wurde gebührend empfangen. Feldwebel Conrad nahm an der Begrüßung Teil und beobachtete dann, wie der Hauptmann den General in sein Büro bat. Wenig später wurden aus der Küche Platten mit Speisen hinausgetragen und in das Büro gebracht. Die beiden aßen dort wohl zusammen. Conrad war ein wenig nervös, was sich darin zeigte, dass er beim Essen wahllos Soldaten zur Schnecke machte. Ihm war sehr nach einem Schnaps zumute, aber er konnte nicht nach Alkohol riechen, wenn er zum General gerufen wurde. Der Hauptmann trank jetzt bestimmt ein Schnäpschen mit dem Vorgesetzten. Doch endlich kam der Hauptmann höchstpersönlich in den Essraum, um Conrad zu holen. Der Feldwebel wunderte sich darüber, aber noch mehr verwunderte ihn der Gesichtsausdruck, mit dem der Hauptmann das tat. Kraftvoll und beherrscht trat jener an ihn heran und Conrad sprang sofort auf. Er war einen ganzen Kopf kleiner als der Ranghöhere und im Vergleich auch viel schmaler. In der Tat war Conrad bei den Frauen aber beliebter, was allerdings nur zum kleineren Teil seinem hübschen Gesicht geschuldet war; zum größeren Teil lag es an Conrads bösem Charakter, den die Mädchen fälschlicherweise für Selbstsicherheit hielten. „Herr Hauptmann, Sie kommen selbst?“, wagte es Conrad zu fragen. Der Hauptmann schwieg einen Augenblick, dann antwortete er, dass der General wie erwartet Einzelgespräche mit den Offizieren wünsche und er ihm zu diesem Zweck sein Büro überlassen habe. Der Feldwebel nickte, doch der Ausdruck auf dem Gesicht des Höherrangigen blieb unverändert düster. „Ist etwas nicht in Ordnung, Hauptmann?“, fragte Conrad gedämpft. Der Hauptmann sah ihn wieder eine Weile schweigend an, bis dem Feldwebel der Verdacht kam, dass es vielleicht um seine Methoden bei der Zucht der Rekruten gehen könnte. Bei diesem Gedanken begann Conrad zu fürchten, man würde ihn möglicherweise degradieren oder versetzen wollen. Der Schweiß brach ihm aus. Für einen kurzen Augenblick schien es, als wolle der Hauptmann vertraulicher zu ihm sprechen. Doch dann entschied er sich anders und meinte, Conrad solle jetzt gehen, der General erwarte ihn. Mit mulmigem Gefühl im Magen und schwitzenden Händen schritt der Feldwebel eilig aus. Schon nach den ersten Metern vertrieb jedoch die Wut auf seine kleinliche Nervosität alle Bedenken. Was hatte er schon zu befürchten? Wenn er sich ängstlich zeigte, ja dann würde er Verdacht erregen. So etwas kam einem Geständnis gleich. Es brachte ihm also nicht das Geringste, jetzt nervös zu sein! Stattdessen steigerte er sich in das vertraute und tröstliche Wutgefühl hinein, das ihm schon immer ein wertvoller Begleiter gewesen war. Wütend arbeitete er am besten. Seine Wut gab ihm Kraft und Sicherheit. So kam es, dass er schließlich vollkommen gefasst vor der Tür des Büros stand und selbstsicher anklopfte. Es war ein gutes Klopfen, laut und scharf, wie das Bellen eines Kettenhundes. Die Stimme des Generals klang befehlsgewohnt, aber abgenutzt, als er ihn herein rief. Er war vielleicht Mitte fünfzig, vielleicht etwas älter. Vielleicht hatte ihn aber auch der Dienst, sowie Alkohol- und Tabakkonsum schneller altern lassen, denn er saß vor einem leeren Teller, auf den er ab und an die Asche seiner Zigarette fallen ließ und ein gefülltes Schnapsglas stand direkt neben einer halbvollen Flasche in Griffweite. Der Feldwebel salutierte und grüßte den General noch einmal respektvoll. Der Ranghöhere behielt Platz und begann zunächst anhand eines Papiers Conrads Personalien und Vita durchzugehen. Conrad bestätigte alles, wunderte sich aber, dass sein ganzes Leben auf die Vorderseite eines einzigen Briefbogens passen sollte. Als das abgehandelt war, fragte der General nach Conrads Aufgaben und Tagesablauf, was er über die allgemeine Stimmung in der Kaserne sagen könne und über einzelne Personen von Rang. Der Feldwebel hielt sich standhaft und loyal, ließ sich zu nichts hinreißen. Schließlich lächelte der General und bot Conrad endlich an, Platz zu nehmen und einen Schnaps mit ihm zu trinken. Den konnte der Feldwebel jetzt auch gut gebrauchen. Er nahm beide Angebote dankend an. „Sie sind loyal, Conrad, das gefällt mir.“, kommentierte der General das bisherige Gespräch. Es hatte keine zehn Minuten gedauert. „Danke, Herr General. Ich lebe, um zu dienen, wie man so schön sagt.“, erwiderte Conrad. Mit Worten hatte er schon immer gut umgehen können, hatte dieses Talent aber nie für wichtig genug erachtet, um es zu fördern. Der General lächelte unter seinem buschigen, angegrauten Bart und schenkte dem Feldwebel noch einmal nach. Dann prosteten sie einander zu. „Trinken Sie oft, Feldwebel?“, fragte der General, als Conrad auch den zweiten Schnaps gekippt hatte. „Nur in Gesellschaft, Herr General.“, log Conrad auf‘s Stichwort. Der General schenkte ihm einen forschenden Blick. Auch er hatte blaue Augen, allerdings ein verwaschenes, helles Blau. „Was halten Sie von Ihrem Hauptmann?“, fragte er eindringlicher. „Ein guter Mann. Hat sich nie etwas zu schulden kommen lassen. Immer ein offenes Ohr für die Belange der Kaserne, aber auch nicht zu offen, wenn Sie verstehen. Ist immer auf den Fortschritt und das Ideal konzentriert. Uns allen ein strahlendes Vorbild, will man fast sagen.“, lobte Conrad und kippte den dritten Schnaps. Langsam wurde ihm warm und er begann zu ahnen, dass der General versuchte, ihn gesprächig zu machen. Der hochrangige Offizier nickte. Offenbar sah er ein, dass er auch mit Alkohol kein negatives Wort über irgendwen oder irgendwas in der Kaserne aus Conrad herauslocken konnte. „Gut. Sehr schön. Feldwebel Conrad, ich darf Ihnen unter diesen Gesichtspunkten eine Beförderung in Aussicht stellen.“, eröffnete der General plötzlich und lehnte sich zurück. Conrads Augen weiteten sich, erst vor Überraschung und dann vor Gier. Er hatte schon vor Monaten einen Antrag auf eine Beförderung gestellt, aber nie eine Antwort erhalten. Er wollte schon aufstehen und sich bedanken, da hob der General die Hand und gebot ihm sitzen zu bleiben. „Natürlich reichen Ihre Referenzen noch nicht ganz aus, um die Beförderung abzuschließen. Sie brauchen noch ein paar positive Bewertungen Ihrer Vorgesetzten.“, lenkte der General ein. Der Feldwebel war wie vor den Kopf geschlagen. Schon spürte er seinen alten Vertrauten in sich hochkochen, weil er ahnte, dass er hier veräppelt wurde. Wer offerierte denn eine Beförderung und ruderte dann dergestalt zurück. Andererseits beschlichen ihn auch Zweifel. Er kannte sich mit Bürokratie nicht wirklich gut aus. Vielleicht brauchte es tatsächlich solcherlei Schriftstücke. Es klang irgendwo logisch. Conrad hatte zwar immer seinen Dienst versehen, sich aber auch den ein oder anderen toten Rekruten geleistet. Es schien zweckdienlich zu sein, dass er eine moralische Bewertung durch einen Vorgesetzten benötigte. Die Wut in seiner Brust flachte wieder ab. Dafür breitete sich dort die Nervosität wieder aus und Conrads Hände begannen erneut zu schwitzen. „Bewertungen? Würde die Referenz des Hauptmanns …?“, fing er unsicher an, doch der General unterbrach ihn, bevor Conrad den Satz zu Ende sprechen konnte. „Nein, nein, nein. Wo denken Sie hin? Der Hauptmann ist nicht hochrangig genug. Was glauben Sie denn, weswegen ich Ihnen alle diese Fragen gestellt habe, Conrad?“ Jetzt war der Feldwebel erst recht verunsichert. Nur langsam setzten sich gewisse Puzzleteile in seinem Kopf zusammen. Dann fragte er, um einen höflichen Tonfall bemüht: „Sie würden, mir die fehlende Referenz ausstellen, Herr General?“ „Ich würde, Feldwebel. Natürlich kenne ich Sie nicht so gut oder so lange, wie ihr viel gerühmter Hauptmann. Darum käme es hierbei jetzt auf Ihre Kooperationsbereitschaft an. Sie können mir bei einer Sache helfen, die äußerste Diskretion verlangt. Aber so loyal, wie ich Sie bisher erleben durfte, habe ich Grund zur der Annahme, dass man Ihnen vertrauen kann.“ Conrad war gewillt, sofort zuzusagen. Für eine Beförderung würde er ohne zu zögern einen Mord begehen. Seine teuflische Ader machte ihn sogar ganz heiß darauf. „Natürlich, Herr General. Sie machen sich keine Vorstellung, wie sehr ich diese Beförderung will. Und auch der Kaserne würde es nur nützen.“, bejahte er. Der General lachte jovial und tippte sich vielsagend an die große Knollennase. „Ich sehe, wir verstehen uns. Nun lassen Sie Ihren Worten gleich Taten folgen und lutschen Sie mir den Schwanz.“ Die blonden Augenbrauen des Feldwebels schossen die glatte Stirn hinauf und seine Mundwinkel kräuselten sich zu einem verlegenen Lächeln. „Sie scherzen.“, erwiderte er, doch seine Hände griffen unwillkürlich nach den Armlehnen seines Sitzes und die Fingerknöchel wurden weiß. „Sehe ich aus, als würde ich scherzen, Conrad?“, lächelte der General zurück. Die kornblumenblauen Augen des unverdient hübschen Feldwebels sprangen unstet umher, als wollten sie fliehen. Er dachte an das Verlangen, das ihn jeden Morgen quälte, und das er sich weder erlauben noch eingestehen konnte. Diese Sucht, die dieser eine Mann in ihm auslöste und ansonsten nie von ihm Besitz ergriffen hatte. War er nicht umsichtig genug gewesen? Hatte der Hauptmann doch bemerkt, dass jeden Morgen die Tür einen Spalt breit offen stand, wenn er an Simons Zimmer vorbei lief. Hatte er ihn beim General denunziert? „Wenn das ein Test ist, dann schwöre ich, ich würde nie! Ich spüre keinerlei Verlangen! Diese Abart betrifft mich nicht! Denken Sie nicht, dass ich auf so ein Angebot eingehen würde! Das ist beleidigend und unnötig, dass Sie mich in eine solche Lage bringen.“, verteidigte er sich atemlos und erhob sich bereits halb vom Stuhl. „Bleiben Sie sitzen!“, befahl der General streng. Die gute Laune war aus seinem Gesicht gewichen und nun funkelte etwas bösartiges in seinen verwaschenen Augen. Sein Schnauzbart bebte. „Sie haben von hier aus zwei Richtungen, in die sie gehen können, Conrad. Entweder auf mich zu, dann besorge ich Ihnen die Beförderung, für die Sie eben noch bereit waren, alles zu tun. Oder sie machen mir Schwierigkeiten, dann werde ich Sie, ihren Hauptmann und diese Kaserne im ganzen Reich zu Schandflecken erklären. Es ist mir gleichgültig, wie Sie zu der Sache stehen. Ich will nur, dass Sie sie ausführen!“ Simon zitterte vor Wut. Er wog seine Chancen ab. Doch er ahnte bereits, dass er sich mit einer Anklage nur selbst ins Bein schießen würde. So etwas gab es einfach nicht. Man würde ihn der Verleumdung und der Abartigkeit beschuldigen, noch bevor der General auch nur einen Finger in der Sache gerührt hätte. Seine Gedanken mussten ihm wohl von der Stirn abzulesen sein, denn der General entspannte sich wieder. „Nun?“, fragte er von oben herab. In Simons Eingeweiden rumorte die Wut. Eine unbändige, aber hilflose Wut. Es gelang ihm, die Fassung zu bewahren und ein wenig Haltung zurückzugewinnen. „Verlangen Sie das von allen Offizieren, die sich eine Beförderung wünschen, oder nur von mir?“, fragte er düster. Der Ausdruck auf dem Gesicht des Generals wurde wieder streng. „Jetzt werd‘ bloß nicht witzig, Bursche, oder ich vergesse deine Beförderung, sobald wir hier fertig sind.“, drohte er. Simon biss schmerzhaft die Kiefer aufeinander. In ihm kochte der Wunsch, diesen alten Sack zu erschießen. Aber er beherrschte seinen Atem, beherrschte seine Wut, erinnerte sich an die kalte Disziplin, die ihn so weit gebracht hatte. Jetzt musste er eben an diesem alten Wichser vorbei, um an die höhere Stellung zu kommen. Und wenn schon! Im Krieg geschahen schlimmere Dinge und dann war es besser, nicht mit den anderen niederrangigen Soldaten im Graben zu liegen, sondern sicher und warm im Offizierszelt, mit einer Waffe, die man sich selbst wählen durfte. Conrad stand auf. „Bitte um Entschuldigung, Herr General. Ich brauchte einen Moment, mich auf den Befehl einzustellen. Natürlich ...“, er sprach durch die Zähne und musste jedes Wort hervor pressen, aber die Wut half ihm, in dieser ausweglosen Situation zu bestehen, „… stehe ich zu Ihrer Verfügung.“ Er hätte spucken mögen, aber er hielt sich tapfer. Der General erhob sich ebenfalls und öffnete den Gürtel seiner Uniform. „Schließen Sie die Tür ab.“, befahl er trocken. Die Gardinen an dem kleinen Fenster waren bereits zugezogen. Simon tat wie ihm geheißen und kehrte anschließend zum Schreibtisch zurück, dann umrundete er ihn, bis er vor dem Höherrangigen stand. Der General hatte sicher mehr Jahre im Dienst verbracht, als Simon auf dieser Erde weilte, und nun stand er da, der feine Herr, mit seinem runden Bierbauch und dem ausgepackten, schlaffen Schwengel darunter. Sogar seine buschige Intimbehaarung war angegraut. Simon sah dem General ins Gesicht und musste feststellen, dass der Alte einen Kopf größer war als er. „Wie?“, fragte er, seinen ganzen Mumm zusammenkratzend. Der General blickte unwillig zurück, dann begriff er und seufzte genervt. „Ach Gottchen, du hast das wirklich noch nie gemacht, was? Stell dich nicht so an, Junge. Mach es einfach, wie die Frauen.“ In Simon brodelten heiße Scham und ohnmächtige Wut. Seine Hände verkrampften sich und bogen die Finger zu Klauen. Umständlich ging er vor dem General auf die Knie und begann es so zu machen, wie die Frauen. Als es vorbei war, blieb nichts zurück, als ein merkwürdig schaler Geschmack im Hals und weiß glühender, verdichteter Zorn, der die Demütigung auffraß und sich davon nährte. Endlich ließen die alten, fetten Finger seinen blonden Schopf los und Simon spuckte verächtlich in den Papierkorb aus. Dann stand er auf. Ohne zu fragen, goss er sich einen weiteren Schnaps ein und spülte sich damit die Kehle durch. Der General saß inzwischen wieder und ordnete seine Kleidung. Simon blickte auf den Alten herab, der ihm jetzt nur noch erbärmlich vorkam, weil er es nötig hatte, sich von jungen Männern auf Erpressung einen blasen zu lassen. Und das im Büro seines Hauptmanns! Ein Stich fuhr Simon durch die Brust. Der Ausdruck auf dem Gesicht des Hauptmanns, als er ihn zum General schickte, war ihm wieder eingefallen und jetzt quälte ihn ein Gedanke, den er nicht auf sich beruhen lassen konnte. „Herr General. Erlauben Sie mir eine Frage. Hat der Hauptmann auch …“, fing er an, doch er zögerte, den Rest des Satzes auszusprechen. Hatte dieser alte, erbärmliche, fette Wurm dasselbe mit dem Hauptmann gemacht? Dann würde er ihn umbringen! Egal wie. Er würde es tun! „Ihr Hauptmann ist ein ganzer Mann, Conrad. Ihm würde ich eine Beförderung jederzeit ohne wenn und aber gewähren.“, antwortete der General gelassen, „Und jetzt verschwinden Sie! Sie widern mich an!“, gab er Befehl. Simon tat nichts lieber als das. Er fuhr sich im Laufen noch einmal vorsichtshalber mit dem Ringfingerknöchel über die Mundwinkel und trat im nächsten Moment aus dem Raum. Der Geländemarsch wurde für die Rekruten zur reinen Hölle. Feldwebel Conrad prügelte mit dem Schlagstock auf jeden ein, der hinten lief, hetzte sie, brachte sie absichtlich zu Fall und ließ sie durchs dichteste Unterholz sowie den tiefsten Matsch laufen. Als sie in die Kaserne zurück kamen, bluteten den Rekruten die Füße, Hände und die zerkratzten Gesichter. Nicht wenige hatte aufgeschlagene Knie und Ellbogen, aber alle waren mit Hämatomen von den Knüppelschlägen des Feldwebels übersät. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte noch auf sie geschossen, raunte man sich hinterher in der Gemeinschaftsdusche zu, als man sich gegenseitig verarztete. „Kommt mir auch nur ein Wort zu Ohren, dass sich einer von euch Jungfern über mich ausweint, reiße ich euch die Ärsche bis zum Zäpfchen auf, ist das klar?! Ihr denkt, das heute war hart? Dann habt ihr mich noch nie wütend erlebt, ihr Milchgesichter!“, brüllte Conrad die Bagage an, bevor er sie alle auf ihre Stuben jagte. „Heinrichs! Latinendienst! Müller! Stiefel putzen! Morgen ist das alles blitzblank sauber, sonst gnade euch Gott!“ Es hatte nicht geholfen den ganzen zweiten Zug zu schikanieren. Seine Wut war nur noch gewachsen. Conrad warf Müller seine Stiefel in die Stube, duschte und warf sich aufs Bett. Er konnte nicht schlafen. Die Wut brannte sich durch seine Brust, zerkochte seine Eingeweide und vernebelte ihm das Gehirn. Er warf sich herum, doch es half nicht. Da stand er wieder auf, zog sich wieder an, nahm seine zivilen Schuhe und verließ das Zimmer. Als er an den Waschräumen der Rekruten vorbei kam, hörte er das Geräusch mehrerer Bürsten über Leder. Offenbar bekam Müller Hilfe. Er hatte nicht übel Lust hineinzuplatzen und die Helfer zurechtzustutzen. Aber in seiner derzeitigen Stimmung, hätte er vielleicht noch wen umgebracht. Das wollte er lieber nicht riskieren. Sollten sie ihm doch helfen. Dann würden sie Morgen alle übernächtigt sein und er konnte ihnen dafür im Nahkampftraining das Fell gerben. Er ging weiter und kam an den Latrinen vorbei. Leises, verzweifeltes Schluchzen drang daraus hervor. Sicher Heinrichs, dachte Conrad. Morgen beim ersten Antritt würde er die Latrinen vor aller Augen unterm Rand mit einem weißen Taschentuch prüfen und wenn auch nur ein Staubkorn den weißen Stoff verdunkelte, würde er Müller und Heinrichs die Köpfe im Klo durchspülen, bis sie halb ersoffen! Mit diesen grimmigen Vorhaben im Kopf verließ er die Baracke. Am Wachhäuschen grüßte er den Wachhabenden knapp und meldete sich für ca. zwei Stunden ab. Sein Ziel lag nicht weit von der Kaserne entfernt, nur zwanzig Minuten zu Fuß. Aber während er lief, fing es an zu schneien und Simon hatte nur seine Uniformjacke an. Verrücktes Märzwetter! Wenigstens kühlten die rapide absinkenden Temperaturen seinen brüllenden Zorn ein wenig. Am gesuchten Wohnhaus angekommen, leuchtete wie üblich das rote Herz in ihrem Fenster. Inzwischen war es stockdunkel. Er trat sich auf der Treppe zum Hauseingang den Schnee von den Schuhen, klingelte bei Meyer und trat dann wieder ein paar Schritte zurück. Im zweiten Stock öffnete sich das Fenster mit dem roten Herz und eine dunkle Silhouette beugte sich heraus. „Ja?“, fragte eine sinnliche, dunkle Frauenstimme gedehnt. „Kundschaft, Johanna, lass mich rein.“, rief Conrad unwirsch zu ihr hinauf. „Wie viele, Schatz?“, fragte das dumme Frauenzimmer und ließ ihn weiterhin im Schnee stehen. „Nur ich friere mir hier den Arsch weg, Mädchen! Wird‘s bald?“, presste er zwischen zusammengebissenen Kiefern hervor. Sie beugte den Oberkörper zurück und warf ihm dann etwas zu, was im Licht, das aus dem Fenster fiel, kurz aufblitzte. Es war der Hausschlüssel. Conrad fing ihn geübt auf, trotz dessen, dass er kaum etwas erkennen konnte und verschaffte sich gleich darauf Zutritt, erst zum Haus und dann zu ihrer Wohnung. Achtlos warf er den Schlüssel in die Schale hinter der Tür und trat dieselbe mit der Ferse ins Schloss. „Nicht so laut! Die Nachbarn!“, bat Johanna und kam in den engen Flur geeilt, um ihm die Jacke abzunehmen. Er ließ sich daraus befreien und schlüpfte aus den Schuhen. Dabei knurrte er, dass die anderen im Haus doch wohl wüssten, welchem Gewerbe sie nachginge und was für Besuch sie bekäme. Johanna antwortete nicht. Sie war hübsch, gut erzogen und redete nicht viel. Die ideale Frau. Simon konnte sie gut leiden und wäre sie keine Hure gewesen, er hätte sie gerne geheiratet. Aber so liebte er sie ausschließlich auf geschäftlicher Basis. Er kam oft zu ihr. Manchmal auch tagsüber. „Wie war dein Tag?“, fragte sie, sicher nur um die Stimmung aufzulockern, aber Conrad traf die Frage an einer empfindlichen Stelle. Gleich befürchtete er, man könne ihm seine unrühmliche Begegnung mit dem General irgendwie ansehen und er wurde ärgerlich. „Sei still.“, fuhr er sie an, setzte dann aber etwas freundlicher hinzu, „Das braucht dich nicht zu kümmern.“ Er schenkte ihr ein Lächeln, das seinem hübschen Gesicht unheimlich gut stand, und sie erwiderte sein Lächeln. Zärtlich fasste sie ihn bei der Hand und führte ihn in ihr Schlafzimmer. Sie trug nur ein Nachthemdchen für die Arbeit und darunter vielleicht noch ein Höschen, das er aber nicht sehen konnte. Im Schlafzimmer machte sie sich daran, sein Hemd aufzuknöpfen, weil sie wusste, dass er das mochte. Aber er zog sie an sich und küsste sie. Er brauchte sie jetzt! Zarte kleine Hände, weiche Lippen und ein betörender weiblicher Duft. Er sog ihren Geruch gierig ein und drang mit der Zunge tief in ihren Mund, um sie zu schmecken. Er bemerkte nicht, dass er sie zu fest hielt und ihr weh tat, nur, dass sie anfing, sich in seiner Umarmung zu winden. Wieder wurde er ärgerlich. Er löste den Kuss und sah ihr ins Gesicht. „Was ist denn?“, fragte er ruppig. Eingeschüchtert von dem rüden Ton, wisperte sie: „Nichts. Entschuldige. Du bist heute, nur ein wenig zu stark für mich.“ Sie versuchte ein süßes, unschuldiges, kleines Lächeln und blinzelte aufgesetzt schüchtern. So falsch diese Chose auch war, Simon gefiel es. Er lächelte zurück und sein Griff lockerte sich. „Ich musste den Rekruten heute mal zeigen, was eine Harke ist, weißt du? Die brauchen eine starke Hand, sonst fallen sie später vor dem Feind wie die Fliegen.“, erklärte er dem hübschen Mädchen, das jetzt mit den Händchen unter sein Hemd fuhr und seinen strammen Oberkörper streichelte. „Du bist der Größte, Simon. Nur Mädchen muss man anders anfassen, als Rekruten.“, säuselte sie mit ihrer verführerisch dunklen Stimme, die mehr Reife vermuten ließ, als man dem zierlichen Körper ansah. Simon gefiel besonders ihr langes dunkles Haar und dass sie mehr als einen Kopf kleiner war als er. Vorsichtig streichelte er ihr ein paar Strähnen aus dem Gesicht und ließ dann zu, dass sie ihm den Gürtel und die Hose öffnete. „Johanna.“, kam es ihm über die Lippen, als wolle er die Silben auf der Zunge schmecken. „Ja? Hast du heute einen besonderen Wunsch?“, fragte sie mit professioneller Hingabe. Er hätte sie gern gefragt, was sie empfand, wenn sie einem Mann den Schwanz lutschte. Ob es für sie widerlich war. Aber er schwieg und schüttelte nur den Koof. Sie streifte ihm die Hose herunter und ging dabei in die Knie. Er legte unwillkürlich seine Hand auf ihren Kopf, um ihr Haar zu fühlen. Sein Blick fiel hinunter auf sie. Sie sah so klein aus, so demütig. Hatte er auch so ausgesehen, als er vor dem General kniete? Ihm kam die Galle hoch und Wut stieg in ihm auf, weil er wegen dieses alten Arschlochs nun Probleme hatte, seinen Abend zu genießen. Den Abend, für den er zahlte! Und das Geld würde ihm am Ende des Monats fehlen, weshalb er ja so scharf auf die Beförderung war! Weibliche Gesellschaft war nun mal teuer! Aber was hatte er tun müssen, um zukünftig an das zusätzliche Geld für weibliche Gesellschaft zu kommen? Einen alten, fetten, haarigen Schwanz hatte er in den Mund nehmen müssen. Nur weil diese Schlampe, die da vor ihm kniete so teuer war! Wieso waren alle Menschen, die er begehrte, so unerreichbar für ihn?! Johanna konnte er bezahlen und ficken, aber nicht heiraten. Nie konnte er sie für sich allein haben! Den Hauptmann konnte er sich morgens heimlich in Unterwäsche ansehen, durfte ihm aber niemals zeigen, dass er ihn wollte! „Simon, bitte.“, drang Johannas wimmerndes Stimmchen zu ihm hoch. Er blinzelte den roten Schleier vor seinen Augen weg und jetzt bemerkte er, dass er die Finger in ihren dunklen Schopf gekrallt hatte, so fest, dass er ihr fast die Haare ausriss. Ihr standen schon Tränen in den dunklen Augen. Er ließ sie los und sie stand rasch vom Boden auf. „Was ist denn heute nur mit dir los, Liebling?“, fragte sie betont sanft, um ihn nicht aufzuregen, aber er sah ihr an, dass sie Angst vor ihm hatte. Er wollte nicht, dass sie ihn fürchtete, nicht jetzt, nicht so. Er ging auf sie zu, doch sie zuckte zurück. Sofort riss sie erschrocken die Augen auf und streckte ihm ihre zierlichen Ärmchen entgegen, um sich zu entschuldigen. Er sah ihr an, dass sie sich vor ihrer eigenen Reaktion erschrocken hatte, weil sie nun fürchtete, ihn damit noch mehr verärgert zu haben. Sie hatte ihn damit noch mehr verärgert! „Johanna.“, sagte er drohend, packte sie beim Arm und zerrte sie zu sich her, „Glaubst du, ich bezahle dich, um mit dir Fangen zu spielen?!“, zischte er gedämpft in ihr Ohr, die Nase in die Strähnen an ihrer Schläfe versenkt. Dann vergrub er die freie Hand in ihrem Haar und führte sie so, wie ein Pferd am Halfter, zum Bett. Grob zwang er sie darauf nieder, schob ihr Hemdchen hoch und versenkte den Kopf zwischen ihren Beinen. Sie fiepte und winselte leise, traute sich aber nicht zu schreien oder sich zu sehr zu wehren. Wahrscheinlich traute sie ihm zu, dass er sie noch erwürgte. Solche Gerüchte kursierten über ihn auch in der Kaserne. Vielleicht waren einige seiner Rekruten hier gewesen. Hatten seine geliebte Johanna bezahlt und waren zwischen ihre gespreizten Beine gesunken. Und dann hatten sie ihr diese Gerüchte über ihn erzählt, dass er Rekruten und Nutten ermordete! Diese wertlosen, dreckigen, unreifen Bengel! Er nahm die Zunge von ihren Lippen und baute sich über ihr auf. Sein Glied stand hart und stramm. Es fand seinen Weg ohne Führung. Ob er nun seine Macht über andere ausübte, oder einen schönen Körper betrachtete, es machte ihn beides geil. Und bei Johanna konnte er beides auf einmal haben. - Aber es befriedigte ihn nicht so wie sonst. Als er in ihr kam, sah er ihr verheultes Gesicht und als er sie küsste, schmeckte er nur Salz und das Blut von ihren zerbissenen Lippen. Er begriff, dass er sie gerade benutzt hatte, wie er selbst am Mittag benutzt worden war. Das hatte er nicht gewollt, aber wieso musste sie heute auch so schwierig sein? Immer noch wütend zog er sich aus ihr heraus, stieg vom Bett und zog sich an. Als er in Schuhen und mit seiner Jacke über dem Arm noch einmal zurück ins Schlafzimmer trat, um ihr das Geld zu geben, wich sie auf der Matratze kauernd vor ihm zurück. Ihr verheultes Gesicht klagte ihn an, ebenso wie die roten Striemen auf ihren Armen und Schenkeln, die er ihr beigebracht hatte, als er sie beim Akt festhielt. Sie bewies wirklich nicht halb so viel Haltung, wie er es heute vor dem General getan hatte. Sie war eben nur eine schwächliche, kleine, wertlose Dirne. Er würde sein Geld zukünftig jedenfalls nicht mehr bei ihr vergeuden! Einfach erbärmlich das Luder! Er ließ das Geld achtlos fallen und verließ die Wohnung. Draußen war es jetzt bitterkalt. Feldwebel Simon Conrad schlug den Kragen seiner Jacke hoch und schob die Hände unter die Achseln. Der Schnee lag jetzt tatsächlich schon fast wadenhoch auf den Straßen. Der nächtliche Himmel war so bewölkt, dass der einsame Wanderer kaum etwas sah. Außerdem schneite es nach wie vor. So ein Dreckwetter!, dachte er sich und stapfte mies gelaunt voran. Seine Füße würden ihn schon zurück zur Kaserne führen. Schließlich war er diesen Weg schon unzählige Male gelaufen und das nicht immer nüchtern. Nach der Hälfte des Weges plagte ihn ein natürliches Bedürfnis, das jetzt einfach nicht mehr warten konnte. Also stellte er sich am Rand der Straße an eine Böschung und pinkelte in hohem Strahl den Abhang hinab. Es war so kalt, dass der eisige Wind drohte, ihm den Schwengel abzufrieren, sodass er ihn hastig wieder einpackte und dem Geräusch, das sich von rechts auf der Straße näherte, keine Beachtung schenkte. Scheinwerfer erfassten ihn. Ein Auto näherte sich mit maximal 25 km/h. Conrad nestelte noch mit klammen Fingern an seiner Hose herum. Der Fahrer musste ihn trotz des Schnees sehen und er stand ja auch ein gutes Stück vom Asphalt entfernt, darum machte er sich keine Sorgen. Doch das Auto brauste heran, beschrieb im letzten Moment einen Schlenker und erwischte Simon am Bein. Der streifende Stoß reichte aus, um ihn die Böschung hinunter zu werfen. In der Dunkelheit plötzlich halt- und orientierungslos stürzte der Feldwebel die zugeschneite Senke hinab. Er brüllte noch kurz auf, dann presste ihm der Aufprall die Luft aus den Lungen. Doch er blieb nicht im Schnee liegen, sondern rutschte ab und weiter den steilen Hang hinunter. Mit den Armen rudernd, suchte er nach etwas, woran er sich festhalten könnte, aber er fand nichts als losen Schnee. Schließlich traf er schmerzhaft auf etwas Hartem auf und sein vom Auto bereits angeknackster Oberschenkelknochen - durch den Schock hatte er die Verletzung noch gar nicht realisiert - brach nun vollends. Er schrie schmerzerfüllt auf, während er unkontrolliert über den glatten Untergrund schlitterte. Wie ein Blitz fuhr ihm die Erkenntnis durch den Kopf, dass er an der Uferböschung des Sees gestanden haben musste. Bei dieser Kälte war der See zugefroren und er schlitterte, angetrieben durch den Schwung seines Falls, nun hilflos auf das Eis hinaus. Kaum hatte er das gedacht, begann es unter ihm bedrohlich zu grollen und zu knacken. Dann brach er ein. Die Kälte war unbeschreiblich. Sie brannte, wie Millionen weiß glühender Nadeln. Seine Kleidung sog sich sofort voll und zog ihn hinunter. Aber Simon war immer noch Soldat, ein Ausbilder und bei guter Kondition! Er kämpfte sich gegen alle Widrigkeiten an die Wasseroberfläche zurück, warf die Arme auf das Eis und brach wieder hindurch. Seine gefluteten Stiefel glichen nun eher Betonklötzen und die Kälte lähmte allmählich seine Glieder. Es wurde immer anstrengender sich überhaupt zu bewegen, aber Simon gab nicht auf. Wieder schleuderte er seine Arme auf die eisige Oberfläche, wieder brach er ein. Das gebrochene Bein hing nutzlos und unablässig schmerzend im Wasser. Noch einmal warf er in einem Akt roher Willenskraft die Arme nach vorn und wieder umfing ihn nur das dunkle, stechende Wasser. Er prustete und brüllte vor Wut. Er konnte nicht mehr! Doch endlich! Beim vierten Mal war er dem Ufer offenbar nahe genug, sodass ihn das Eis hielt. Keuchend und prustend hielt er einen Moment einfach nur seinen Oberkörper über Wasser und rang nach Atem. Aber das eisige Nass fühlte sich an, als verbrenne es ihm die Eingeweide. Er musste hier raus, unter allen Umständen! Durch die Mobilisierung ungeahnter Kraftreserven zog sich der Feldwebel auf das harte Eis hinauf und robbte in die Sicherheit der Uferböschung. Hier war er vor dem Wasser sicher. Nicht aber vor der Kälte. Die Nässe in seiner Kleidung biss ihn am ganzen Körper. Er zitterte heftig und ihm fehlte die Kraft, mit dem gebrochenen Bein die Böschung zu erklimmen. So laut er konnte rief er nach Hilfe. Er rief und es schien als hätte Gott ihn verlassen, denn niemand kam. Doch dann hörte er das Knarzen von Schritten im Schnee. Leise Stimmen näherten sich. Er rief erneut und plötzlich verstummten die Stimmen. Dann zeichneten sich oberhalb der Böschung gegen den heller werdenden Himmel ein paar Gestalten ab. Sie riefen zu ihm hinunter und er erkannte in ihnen einige seiner Rekruten vom Vorjahr. Erleichtert atmete er auf. Er gab sich zu erkennen und erklärte, er sei angefahren worden. Sie sollten ihn schnell heraufholen und in die Kaserne bringen. Doch die Silhouetten steckten die Köpfe zusammen und berieten sich. Der Feldwebel bekam es mit der Angst und wurde ungehalten. Er schimpfte zu den Zögernden hinauf und befahl ihnen, ihn zu retten. Aber ihn verließ allmählich auch die Kraft zu rufen. Zu kalt. Zu Erschöpft. Schließlich antwortete ihm ein einzelner Soldat auf seinen letzten Befehl mit den grauenhaften Worten: „Gott sei ihrer Seele gnädig, Herr Feldwebel! Denn Sie waren es nie mit uns!“, woraufhin die Silhouetten von der Uferböschung verschwanden. Knarzende Schritte im Schnee entfernten sich leiser werdend. Conrad holte noch einige Male in der eisigen Luft zitternd Atem, dann schloss er vor Erschöpfung die Augen und schlief für immer ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)