Nollaig Chridheil von Cocos ================================================================================ Kapitel 1: ~~**~~ ----------------- Aya schauderte, als der Wind an Geschwindigkeit aufnahm und ihm kalten Regen ins Gesicht peitschte. Und an die Beine. Und an den Rücken. Eigentlich kam er aus jeder Richtung, während er beim Großmarkt die Blumen für die kommenden, beiden Tage in ihren Transporter lud. Es war viel zu früh, auch wenn das nicht wirklich zutraf. Es war spät, denn er hatte die Nacht durchmachen müssen. Dank eines Auftrages und der Zielperson, die einfach nicht hatte sterben wollen. Weiß hatte den Mann durch halb Tokyo gejagt und ihn erst vor zwei Stunden erwischt. Für das Bett war es für Youji und ihn zu spät gewesen, also hatte Omi Kaffee für sie beide gekocht, bevor er zu Bett gegangen war um bis zur ersten Vorlesung wenigstens ein bisschen Schlaf zu bekommen. Ken war mehr in sein Zimmer gestrauchelt als gegangen und Aya war froh darum, dass er den kurzen Weg unbeschadet überstanden hatte. Dass er selbst sich übernächtigt und fahrig fühlte, stand auf einem anderen Blatt, aber das Weihnachtsgeschäft, das wie jedes Jahr explodierte, musste zumindest die nächsten beiden Tage noch durchgezogen werden, bevor sie ihren Laden auch dichtmachen und in den Kurzurlaub gehen konnten. Nach den turbulenten, letzten Monaten war das auch nur zu verdient und Aya freute sich schon auf seine Tage in Hokkaido, in dem kleinen, abgelegenen Onsen eingebettet in schneebedeckten Bergen. Er freute sich auf die kalte, klare Luft des Winters und die Laternen, die ihr warmes Licht auf die dampfenden Nebelschwaden warfen, die aus dem heißen Wasser emporstiegen. Er freute sich auf gutes Essen und auf die alten Besitzer des Onsen, die ihn seit Jahren kannten und wie einen Sohn empfingen, der einmal im Jahr nach Hause kam. Was sicherlich auch daran liegen mochte, dass er kleinere Reparaturen durchführte und sich um die Pflanzen kümmerte, wenn er schon einmal da war. Aya seufzte schwer und lud die letzte Kiste mit Pflanzen in das Auto. Er war komplett durchgeweicht und durchgefroren. Schaudernd zog er den Kopf ein und brachte den tiefen Einkaufswagen für die Transportkisten weg. Aufstöhnend ließ er sich auf den Fahrersitz fallen und schaltete die Heizung auf das Maximum. Er war urlaubsreif. Wirklich urlaubsreif. Kaum zu glauben, dass seit Bradleys Rückkehr schon mehr als ein Jahr vergangen war. Dass Kritiker und Rosenkreuz, Weiß und Schwarz tatsächlich zusammenarbeiteten und es allen Widrigkeiten zum Trotz funktionierte. Natürlich nicht reibungslos, das absolut nicht, aber sie zerfleischten sich nicht. Aya würde den Frieden, der zwischen ihnen herrschte, als dünnes, brüchiges Eis bezeichnen, in das sie hin und wieder einbrachen und sich umso öfter wieder hinauszogen. Omi und Nagi arbeiteten allen voran in einer Art und Weise zusammen, die auf den ersten Blick rein pragmatischer Natur war. Sie planten Missionen zusammen, sie werteten die entsprechenden Daten aus und versuchten sich gegenseitig mit ihren IT-Fähigkeiten zu beeindrucken. Vollkommen in Ordnung, wenn man Aya fragte, auch wenn er nicht glaubte, dass es das Einzige war, was die Beiden miteinander verband. Das mochte auch daran liegen, dass er den Fehler gemacht hatte, Omis Zimmer zu betreten, ohne auf die Stimmen, die hinter der geschlossenen Tür hervordrangen, geachtet zu haben. Im ersten Moment hatte es ihn überrascht, dass nebst Omi auch Nagi auf dem Boden vor dem großen Fernseher saß, einen Controller auf dem einen Oberschenkel und eine Tasse Tee auf dem anderen. Im Zweiten hatte er es mit einem stummen Nicken abgetan und war rückwärts wieder aus dem Zimmer gegangen. Omi hatte schließlich nicht so ausgesehen, als würde er dazu gezwungen. Ganz und gar nicht. Der Ire, Jei, hatte anscheinend Gefallen daran gefunden, Manx zu folgen, wenn sie aufeinandertrafen, und Aya war sich nicht sicher, woran das liegen mochte. Das Interesse, was er an ihrer Agentin zeigte, war jedoch friedlich bis neugierig und Manx schien es zuzulassen. Ganz im Gegensatz zu Youji, dem Schuldig eindeutig zu viele Touren in diversen Discos vermasselt hatte. Aya schnaubte amüsiert, als er an die wütenden Gespräche dachte, die er mit seinem Freund eben genau darüber geführt hatte. Youji, wie er sich bitter darüber beschwerte, dass plötzlich Schuldig aufgetaucht war, während er mit anderen Frauen und Männern flirtete und mehr als einmal mit unpassenden Kommentaren und Spott dafür gesorgt hatte, dass diese von Youji abließen und dass er niemanden für die Nacht fand. Entsprechend mies gelaunt und unausstehlich war Youji, bis er Schuldig laut eigener Aussage angeboten hatte, dass dieser ja auf die Knie gehen und seinen Schwanz lutschen könne, wenn er so heiß darauf war, Youji alleine zu sehen. Seitdem war es ein klein wenig besser geworden. Was Bradley und ihn anging, so waren die Schritte klein, die sie nach vorne machten. So wohl sich Aya auch damit fühlte, dass das Orakel wieder in Japan war und dass seine Organisation ihn nicht neutralisiert hatte, so sehr war das, was sie teilten, auch ein Tanz auf der Nadelspitze. Sie waren Feinde gewesen und hatten sich gegenseitig Dinge angetan, über die sie teilweise auch jetzt noch nicht sprechen konnten. Über einiges hatten sie bereits geredet, doch meistens umschifften sie all das, was in der Vergangenheit passiert war, zugunsten von etwas, das ihre Gegenwart verschönte und vielleicht auch irgendwann ihre Zukunft. Sie trafen sich, auch abseits von gemeinsamen Missionen. Zuerst waren es bewusst neutrale Fragen nach gemeinsamen Mittagessen gewesen, nebenbei gestellt, nicht wichtig. Dann war es ein Besuch in einer Jazzbar gewesen. Oder ein Kaffee am Nachmittag. Oder ein plötzliches Auftauchen des Orakels beim Einkaufen, am Krankenhaus oder am Grab. Selten beim Koneko und Aya vermutete, dass dies aus Respekt vor Omi geschah, dessen Verhältnis zu den beiden älteren Schwarz auf einer geschäftlichen Basis zwar funktionierte, auf einer privaten Basis aber immer noch durch traumatisch bedingte Angst geprägt war. Selbst mit den Therapiestunden, die er seitens Kritiker erhielt und die ihm helfen sollten, das Erlebte zu verarbeiten, war es immer noch schwierig für ihn und die Alpträume, die ihn wachhielten, nur zu deutlich hörbar. Mehr als einmal hatte Aya Omi aus seinen dunklen Träumen geholt, in denen er sich wand und nicht mehr aufhörte zu schreien und zu weinen. Es war fürchterlich und das waren auch die Nächte, nach denen er weder Schuldig noch Bradley sehen konnte und wollte. Beide respektierten das. Selbstverständlich war das nicht die einzige Regel, die zwischen Bradley und ihm stand. So traumatisiert, wie ihre beiden Jüngsten durch das, was Lasgo und Schwarz ihnen angetan hatten, waren, so traumatisiert war auch Bradley und da waren die zwei Monate, die er auf der Alm in Österreich verbracht hatte, nur der Beginn seiner Heilung gewesen. Einer Heilung, die immer noch andauerte und die noch Jahre benötigen würde. Bradley brauchte Regeln, um sich sicher zu fühlen und das war etwas, über das er und Aya nach einem desaströsen Abend sehr offen sprachen. Wenn sie das Bett teilten, zog Aya sich ohne Ausnahme immer als Erster aus, da Bradley es nicht ertrug, vor ihm nackt zu sein. Niemals nahm er Ayas Schwanz in den Mund und nur nach einer eindeutigen Formulierung seines Wunsches konnte Aya ihn oral befriedigen. Er schlief nicht mit dem Rücken zu Aya und es war keine gute Idee, ihn von hinten zu umarmen oder hinter ihm zu stehen. Es gab Tage, an denen konnte und wollte Bradley niemanden sehen, weil der Eindruck von Händen auf seinem Körper zu gewaltig war, als dass er ihn ignorieren konnte. Es gab viele Tage, da konnte er in Anwesenheit andere Personen kein Wasser trinken und musste dies in der Abgeschiedenheit seines Büros tun. Jean unterstützte ihn, als Frühwarnsystem und als versierter Empath. Aya konnte mit diesen Regeln gut leben und sah, wie sich der Mann hinter ihnen jeden Tag mehr zu jemand anderen veränderte, der durch seine Vergangenheit und die Geschehnisse geprägt worden war. Seine eigene Veränderung bekam er dadurch nicht mit, laut seinem Team war sie aber mehr als deutlich. Angeblich lächelte er mehr. Angeblich war er gelassener. Er hätte gesagt, dass es an Takatoris Tod lag und an der guten Perspektive für die Gesundheit seiner Schwester, aber das war seitens Youji mit einem nachsichtigen Lächeln, einer Packung Kondome und Gleitgel abgetan worden. Er nahm einen Schluck aus seinem Thermobecher und atmete tief durch. Bradley verbrachte die Weihnachtstage mit Nagi bei seiner Familie in Schottland. Er war gestern geflogen und vorgestern hatten Aya und er den Abend und die Nacht miteinander verbracht. Was Aya immer noch spürte. Bradley liebte so, wie er ihre Aufträge erfüllte: mit kühler Arroganz, in dem Wissen um das, was geschehen würde, mit der Zielstrebigkeit eines Auftragsmörders, der keine Gnade kannte. Er brachte sie beide ins Schwitzen und nicht selten kam Aya mehr als einmal, spürte danach jedoch noch tagelang, wie sie miteinander gekämpft und gerungen hatten. Denn nichts Anderes war ihre Beziehung in den Kissen: ein Krieg, eine Fortsetzung ihres Kampfes gegeneinander. Nur auf einer anderen, weniger tödlichen Ebene. Auch deswegen würde es eine sehr gute Idee sein, dass er in drei Tagen in Hokkaido ausspannte und seine Muskeln in dem heißen Wasser der Quellen lockerte und löste. Aya freute sich so sehr darauf, dass ein aufgeregter Schauer durch seinen Magen fuhr. Erst im zweiten Moment erkannte er, dass es zum großen Teil auch daran lag, dass er sein Handy in der Tasche seiner Jacke trug, das nun vibrierte. Aya zog es stirnrunzelnd hervor. „Manx?“, fragte er zögernd und sie brummte. „Abyssinian“, begann sie und ihm schwante nichts Gutes. Sie hatte die Angewohnheit, Auftragsinformationen mit ihren Codenamen einzuläuten. Das war keine gute Angewohnheit, ganz und gar nicht. „Oh nein“, entfuhr es ihm, ohne dass er es wirklich wollte und sie schnaubte. „Oh doch.“ „Heute oder morgen Abend?“, fragte er hoffnungsvoll. „Nein. In vier Tagen.“ Ein unwilliger Laut entfuhr Aya. Sehr unwillig, geradezu angewidert. „Onsen. Im Schnee. Manx. In drei Tagen. Ich habe da Urlaub. Du hast es mir versprochen.“ „Der Auftrag duldet keinen Aufschub und kann auch nicht vorverlegt werden“, kamen ihre Worte wie ein Damoklesschwert auf ihn nieder und Aya bettete den Kopf auf das Lenkrad. „Sag mir, dass der Auftrag in der Nähe von Hokkaido ist“, versuchte er sich an einem letzten Strohhalm zu klammern. „Im Ausland. In Europa. Du wirst dort Oracle und Prodigy treffen und mit ihnen die Zielperson erledigen.“ Aya stöhnte unwillig auf. „Nicht dein Ernst, auch das noch.“ Seit sie sich daran machten, das restliche Netzwerk von Lasgo und SZ zu zerstören, waren Weiß auch vermehrt in anderen Ländern tätig gewesen. China, allem voran, Taiwan, Korea, aber auch Spanien, Deutschland, Polen und Großbritannien. Das hatte zufolge gehabt, dass jeder von ihnen das gesamte Sprachwissen der Dame des Hauses eingepflanzt bekommen hatte und nun fließend Englisch und Chinesisch sowie etwas Deutsch und Polnisch sprach. Eine schmerzhafte und zugleich hochgradig interessante Erfahrung, auf die Aya jederzeit wieder verzichten würde. „Früher hast du mir besser gefallen, als du nur deine Arbeit und die Aufträge kanntest, Abyssinian“, übertrug sich die leise, ungesagte Warnung zwischen ihren Worten über die Leitung und Aya grollte. „Du mich auch, Manx. Das ist mein Urlaub.“ „Den du nun mit deinem hauseigenen Hellseher verbringen kannst.“ „Er ist nicht mein hauseigener Hellseher.“ Sie brummte alles andere als zustimmend. „Habe ich eine Wahl?“ „Nein.“ Natürlich nicht. Es gab Aufträge, da forderte Rosenkreuz explizit ihn an, eben weil er die Muse und der Katalysator des großen Orakels war. Natürlich wurden diese Aufträge exorbitant gut bezahlt, das machte es aber nicht besser. Schon gar nicht jetzt. „Natürlich, dann selbstverständlich gerne“, troff Ayas Stimme nur vor Spott. „Schick mir die Daten.“ „Kommen. Sieh zu, dass du zum Koneko kommst, du fliegst in vier Stunden.“ Unflätig fluchte Aya und legte einfach auf, warf das Handy auf den Beifahrersitz. Soviel zum Thema Urlaub, Onsen im Schnee und Entspannung. ~~**~~ Ein Gutes hatte der sechszehn Stunden Flug über Frankfurt nach Edinburgh schon. Aya konnte schlafen. Er konnte seinen gesamten Schlafmangel nachholen und sich damit auf den kommenden Jetlag einstellen, der ihn sicherlich befallen würde, schließlich war Edinburgh neun Stunden hinter Tokyoter Ortszeit. Mittlerweile konnte er gut damit umgehen, schön war es allerdings nicht wirklich. Die Daten hatte Aya sich vorher bereits eingeprägt und die Information, dass er vor Ort nochmals gebrieft werden würde, hatte ihn entsprechend ebenfalls erleichtert. Eine der vielen Rosenkreuzstandorte befand sich anscheinend in der schottischen Einöde, zu der er durch einen Agenten gebracht werden würde. An Weihnachten würden sie dann zuschlagen und die Zielperson erledigen. Dann, wenn sie vermutlich nicht damit rechnen würde. Aya schlief beide Flüge fast durch und stieg entsprechend desorientiert aus dem Flieger. Beinahe lief er an dem Rosenkreuzagenten vorbei, der ein Namensschild mit seinem Tarnnamen und der Firma hochhielt und erst im letzten Moment hielt ihn ein fragendes „Mr. Takahashi?“ zurück. Irritiert nahm Aya das zur Kenntnis, bevor es ihm dämmerte und er innerlich seufzte. Er war nicht umsonst urlaubsreif, wirklich nicht. „Es freut mich, Sie hier in Schottland willkommen heißen zu dürfen, Mr. Takahashi“, hielt zumindest der Agent ihre Tarnung als Geschäftsleute aufrecht und Aya nickte stumm. Er folgte ihm hinaus in die schneidende Kälte zum Wagen und ließ sich von ihm zu einem der Helikopterstartplätze bringen. Mit erhobener Augenbraue maß Aya den kleineren Hubschrauber. Er mochte das Fliegen nicht sonderlich und da half es gar nicht, in eine kleine Schüssel einzusteigen, die bei dem Wind sicherlich nicht ruhig fliegen würde. „Nicht Ihr Ernst“, murmelte er und der Agent zog es vor, nicht darauf zu reagieren. Anstelle dessen deutete er in den Hubschrauber und führte Aya durch die Prozedur des sich Anschnallens, Kopfhörer Aufsetzens und Instruierens. Angestrengt schloss Aya die Augen, als die Nussschale von einem Hubschrauber abhob und sich durch die Windböen nach oben kämpfte. Es war fürchterlich und zog sich schier unendlich in die Länge, auch wenn, das musste Aya nahtlos nach einem Blick auf die Landschaft zugeben, die Gegend eine der Schönsten war, die er jemals gesehen hatte. Rau war sie und wild, hier und da mal ein Haus. Er sah Berge, schneebedeckt, ohne einen einzigen Baum. Er sah große Seen, aus denen der Nebel emporstieg. Er sah Siedlungen mit alten Steinhäusern, die im Kampf gegen das Winterlicht erhellt waren und kleine Anhaltspunkte in dem weitläufigen Meer an Wiesen und Hügeln waren. Er konnte sich sehr gut vorstellen, warum Rosenkreuz hier einen ihrer Stützpunkte aufgebaut hatten. Hier gab es nichts, hier kam kilometerweit nichts. Niemand würde sie hier stören oder vermuten. Aya rief sich den Zeitplan ins Gedächtnis. Heute würde das Briefing von Nagi, Bradley und ihm stattfinden, morgen früh würden sie zuschlagen, Abreise wäre dann übermorgen nach dem Frühstück, um kein Aufsehen zu erregen. Die Zielperson war ein ehemaliger SZ-Kontaktmann, der eine Schlüsselfigur in Lasgos Menschenhändlerring gewesen war. Ein Stück Dreck, das es nicht verdient hatte zu leben. Wenigstens das. Der Helikopter landete auf einem Flugfeld und von dort aus wurde er in das bereitstehende Auto bugsiert, das sie auf engen, schlecht ausgebauten, holprigen Straßen gen Wildnis führte, zu einem großen Haus mit noch viel größerer Zufahrt. Ein steinerner Weg rankte sich von den beiden eisernen Figuren am Eingang bis tief in das Gelände hinein. Unvorstellbar viel Platz, selbst für abgelegene Gegenden in Japan. Hier war nichts außer Gras, dem Weg und dem Haus, das näher und näher kam. Aya war wider Willen beeindruckt, als er ausstieg und die Fassade empor sah. Hinter dem Haus erstreckte sich ein See, der von hohen Bergen eingeschlossen war. Mit dem Dämmerlicht und den Wolken war es ein beeindruckendes Schauspiel, insbesondere jetzt, da der Wind aufheulte und an seinem Mantel zerrte und riss als wäre er ein hungriges Monster. „Dort ist der Eingang. Hier treffen Sie Ihr Team“, sagte der Agent und deutete auf die massive Holztür, an der ein einzelner Kranz mit Kugeln hing. Die perfekte Weihnachtstarnung, wenn sich jemand doch hierher verirren würde. Natürlich. Aya nickte dem Mann zu und schulterte seine Tasche. Tief einatmend löste er sich von der beeindruckenden Landschaft und ging auf das Haus zu. Es gab keine Klingel, sondern nur einen riesigen Türklopfer, dessen dumpfes Dröhnen nach draußen hallte. Es dauerte, bis die Tür geöffnet wurde und Licht und Wärme sich über ihn ergossen. Licht, Wärme und viel Lärm von Menschen im Hintergrund der Dame des Hauses. Aya blinzelte, starrte sie an. Sie war die Agentin, die sie briefen würde? Das war in der Vergangenheit insbesondere am Anfang vorgekommen, aber Aya hatte gelernt, dass dies mit Sicherheit nicht ihre Aufgabe war. Er starrte noch mehr den buschigen, roten Kater an, der neugierig mit dem Schwanz zuckend zu ihr kam und um ihre Beine strich. „Fujimiya-san, kommen Sie herein“, sagte sie mit einem Lächeln, das ihm eiskalte Schauer über den Rücken trieb. Am Liebsten würde er diese Frau nicht mehr treffen, ihre Gabe nicht an seine geistigen Wände kratzen fühlen. Er fühlte sich transparent ihr gegenüber und da half es sicherlich nicht, dass er in diesem Moment wie auf dem Präsentierteller an alles dachte, was ihr Sohn und er in der letzten Zeit miteinander geteilt hatten. „Ich habe Schlimmeres gesehen, machen Sie sich keinen Kopf“, reagierte sie auf die schlimmstmögliche Art und Weise. Aya schüttelte resigniert den Kopf und leistete ihrer vermeintlichen Bitte Folge, schließlich war dies immer noch ein Auftrag. Auch wenn die Basis ein wenig zu heimelig war. Eine sehr gute Tarnung, vielleicht gab es ja doch irgendwo Nachbarn. Die Eingangshalle war stilvoll weihnachtlich eingerichtet mit dem großen Weihnachtsbaum voller Kugeln und riesigen Geschenkpackungen, die, so vermutete Aya, leer waren. Überall hingen große Bilder an den Wänden und wirkten doch klein und verschwindend. Blumen säumten den Weg in die anderen Räume und Teppiche, rot und voller Ornamente, schrien ihn an, dass er seine Schuhe auszuziehen hatte. Was nicht überall in Europa gerne gesehen wurde. Fragend richtete er seinen Blick auf die Rosenkreuzagentin. „Lassen Sie sie an. Kommen Sie“, winkte sie ihn hinein und er folgte ihr anscheinend in den Hauptraum. Das Wohnzimmer, zumindest würde er es so bezeichnen. Es war groß, mit bodentiefen Fenstern und einem Kamin, der so groß war wie seine Schlafzimmerwand. In ihm brannten knackend und knisternd Holzscheite und Aya stellte fest, dass er den Geruch von verbranntem Holz abseits von Aufträgen durchaus gerne mochte. Auch hier befand sich ein riesiger Weihnachtsbaum mit echten Kerzen, unter dem dieses Mal keine Geschenke lagen. „Hi!“ Eine weitere Agentin saß bereits auf einem der Sofas. Sie war noch jung und winkte ihm nun zu, in der typischen, offenen Art der Europäer. Anstalten, sich zu erheben und zu ihm zu kommen, machte sie nicht und Aya glaubte, dass es an dem Buch lag, das sich auf ihrem Schoß befand. Ein schwerer Wälzer über etwas, das er nicht erkannte. Aya nickte schweigend und bevor er weitere Fragen stellen konnte, betrat ein Mann den Raum, der Aya vage bekannt vorkam. Auch dieser lächelte ihn an, kam aber im Gegensatz zu der jungen Agentin auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. „Hallo Aya, mein Name ist William. Schön, Sie kennen zu lernen.“ Irritiert schüttelte Aya seine Hand. Das vollkommene Fehlen seines Codenamens verwunderte ihn, weil es eine Vertraulichkeit herstellte, die so nicht gewollt war, schließlich waren sie nur für einen Auftrag hier. Vielleicht würde ihm Bradley selbst etwas mehr sagen können, der nun ebenfalls den Raum betrat, mit Nagi zusammen in ein Gespräch vertieft und eine Tasse dampfenden Gebräus in der Hand. Beide blieben abrupt stehen, als sie ihn sahen und Aya begriff zwei Sekunden später, dass weder Bradley noch Nagi mit ihm gerechnet hatten. Sie waren mehr als überrascht über sein Hiersein. Hilfesuchend wandte sich Aya an die Dame des Hauses und erstarrte, als er ihrem viel zu unschuldigen, viel zu wissenden Blick begegnete. Es dämmerte ihm. Verspätet, aber es dämmerte ihm. Das hier war kein Safehouse, keine Basis, kein Rosenkreuzgebäude. Das hier war ihr Haus, ihr Familienanwesen. Deswegen war es so eingerichtet wie ein Wohnhaus. Deswegen begrüßte der Mann ihn mit Vornamen. Der Mann, der Bradleys…Vater war. „Was machst du hier?“, passte Bradleys viel zu ruhige, viel zu neutrale Frage zu seinen Gedanken und Aya befand, dass er sehr gut da mitgehen konnte. Er machte nicht das, wofür er eigentlich hergekommen war. Oder? Fast hoffte Aya auf einen Auftrag, eine Mission, von der das Orakel noch nichts wusste. Haha. Aber andererseits wusste dieser auch nichts von seinem Hiersein. Also… ~Ich habe seine Gabe in dem Punkt manipuliert~, kam die hilfreiche Erklärung der offen grinsenden Telepathin und Ayas Blick fuhr abrupt zu ihr und dann zurück zu Bradley, dessen Aufmerksamkeit sich auch voll und ganz auf seine Mutter gerichtet hatte. Anscheinend verfielen die beiden in eine stumme Diskussion, so wie sich Bradleys Mimik verdunkelte und deutliche Missbilligung zeigte. Aya konnte das nachvollziehen, zu hundert Prozent. Was sollte das hier? Wozu hatte sie ihn hierhergeholt und auch noch Bradleys Gabe unterdrückt? Eine Art pervertierter Überraschung? Für wen? „Das ist nicht dein Ernst“, schloss das Orakel die stumme Diskussion und rollte mit den Augen. Er war offener geworden in seiner Mimik, weniger verschlossen in Gegenwart seines Teams und seiner Familie, auch wenn er mit Schuldigs Gesichtskirmes immer noch nicht mithalten konnte. Aya runzelte die Stirn. „Dürfte ich auch erfahren, warum ich anscheinend nicht aus dem Grund hier bin, mit dem ich von meinem Urlaub in einem Ryokan samt Onsen im Schnee geholt worden bin?“, grollte er und Siobhan lächelte vielsagend. „Sie sind die Überraschung für meinen Sohn. Quasi sein Weihnachtsgeschenk.“ Aya blinzelte, sah zu langsam von ihr zu Bradley und zu Nagi, schulterte seine Tasche und drehte sich kommentarlos um. Er würde schon irgendein Taxi bekommen, schließlich hatte er sein Handy dabei. Das Geschenk für ihren Sohn, dass er nicht lachte. Was war er, ein Gegenstand? Er schnaubte innerlich. Telepathen. Wenn er sich heute noch um einen Rückflug bemühte, würde er zumindest einen Tag im Onsen verbringen können und sich danach Manx vorknöpfen. Jede Wette war sie eingeweiht gewesen. Natürlich war sie das. Niemand hielt ihn auf, als er aus dem Haus ging und draußen versuchte, Empfang für sein europäisches Telefon zu bekommen. Vergeblich, wohin er sich auch wandte. Aya fluchte stumm, tat ein paar Schritte in Richtung Einfahrt, fluchte wieder. Bei seinem Glück durfte er bis nach oben laufen, um dann Empfang zu bekommen. „Es wird kein Taxi kommen, selbst wenn du oben Empfang hättest“, sagte Bradley hinter ihm und Aya brauchte einen Moment, um die Worte überhaupt anzunehmen. Er war wütend. Nicht auf den Mann, der hinter ihm stand, sondern auf dessen Mutter und ihre Spielchen. Wenn Bradley gewollt hätte, dass er mitkäme, hätte er ihn gefragt. So waren sie beide von dem, was hier passierte, nicht überzeugt und Aya konnte sich nichts Schöneres an seinen mühsam erkämpften, freien Tagen vorstellen, als in einer Umgebung zu sein, die ihm nicht wohlgesonnen war. „Wunderbar.“ Mit ausdrucksloser Miene drehte er sich um und sah in aufmerksame, hellbraune Augen. „Zu laufen würde dich mindestens einen Tag kosten.“ Aya schnaubte. „Ich würde mich wiederholen, müsste ich das kommentieren.“ „Ist es dir so zuwider, hier zu bleiben?“ Er hob die Augenbraue. „Willst du denn, dass ich hier bleibe? Anscheinend in deinem Elternhaus?“ Bradley kam auf ihn zu und erst jetzt nahm sich Aya wirklich Zeit, die legere Kleidung des Anderen zu würdigen. Wie selbstverständlich es mittlerweile war, ihn darin zu sehen. Oder in banalen Socken. Einem Shirt. In dem Bradley jetzt deutlich sichtbar kalt war. „Ich wäre nicht abgeneigt“, sagte eben jener Mann mit seinem ganz eigenen Humor und seiner neutralen Zustimmung, die viel tiefere Gefühle hindeutete. „Soso.“ „Allerdings würdest du dann meine Familie in Kauf nehmen müssen.“ „Die Ganze?“ „Selbstverständlich.“ „Und das willst du?“ „Aileene hat dich schon gesehen. Sie wird nicht locker lassen.“ Die vermeintlich andere Agentin, begriff Aya. Er seufzte und warf einen letzten Blick auf sein nutzloses Handy ohne Empfang. „Ich muss mich bei Omi melden. Sonst denkt er, dass etwas passiert sei.“ „Hat Nagi bereits erledigt.“ Aya hob vielsagend die Augenbraue und Bradley zuckte mit den Schultern. „Wundert es dich?“ Nein, nicht wirklich. Die Beiden hatten irgendwie zueinander gefunden und nach dem ersten Wundern hatte Aya seine eigenen Gedanken gescholten. Schließlich war er derjenige mit einem ehemaligen Feind als… Nachdenklich betrachtete er Bradley. Ja, als was? Sie hatten es nicht definiert. Sie schliefen miteinander, sie gingen aus, sie waren sich nahe. „Meine Mutter?“, fragte das Orakel lakonisch und Aya schnaubte. Er schüttelte den Kopf. „Du.“ „Oh?“ „Ja.“ „Etwas unpräzise, Abyssinian.“ „Wer von uns beiden kennt die Zukunft?“ „Soll ich dir verraten, was sie für dich bereithält?“ „Kann ich dich davon abhalten?“ Bradley lächelte sein eiskaltes, überhebliches Lächeln, das Aya mittlerweile nur noch mit den Augen rollen ließ. Es provozierte ihn noch nicht einmal mehr – die meiste Zeit. Am Anfang ihres Zweiseins schon. Er kam näher und umfasste hauchzart Ayas Wange. Es war seine Art um Erlaubnis zu fragen und Aya gab sie ihm ebenso nonverbal. Er kam ihm schweigend entgegen und lehnte sich in den züchtigen Kuss. „Willkommen in Schottland“, murmelte Bradley schließlich und Aya schmunzelte. Er bettete seine Stirn an die des anderen Mannes. „Ganz passabel. Habe schon Schlimmeres gesehen. Und Besseres.“ Das Grollen, was kam, war aus vollem Herzen. Aya mochte es. ~~**~~ Aya kam sich vor wie in einem Löwenrudel. Leider war er keiner der Löwen, sondern die Beute, die aus acht aufmerksamen Augen gierig angestarrt wurde. Zehn, wenn er Bradleys Vater mit dazu zählte, der sich die Runde seiner Kinder und den Partner seiner jüngsten Tochter belustigt ansah, in dessen Augen aber Fragen stand, die sicherlich noch gestellt werden würden. Alle vier Crawford-Geschwister hatten alle eins gemeinsam: ihre durchdringende, unablässige Musterung von Menschen, die sie einzuschätzen versuchten. In diesem Fall war er es und Aya dachte nicht daran, sich davon eingeschüchtert zu fühlen, auch wenn er angespannt auf der Couch saß, umgeben von den Männern und Frauen, von deren Existenz er bis vor zwei Jahren noch nicht einmal etwas gewusst hatte. Der Einzige, der fehlte, war Bradley selbst und Aya verfluchte ihn stumm dafür, dass er ihn hier alleine ließ. Taktik? Selbstverständlich. Wo kam er her? Wie war es dort? Wie alt war er? Was waren seine Hobbies? Wie war es für ihn, mit einem Schwert zu töten? Ein Blumenladen als Tarnung, wie funktionierte das? Wie war sein Team? Aya beantwortete alle Fragen so ungenau, wie er konnte, was gar nicht so einfach war unter der Musterung der Crawfordschen Geschwister, die sich hin und wieder bedeutungsschwangere Blicke zuwarfen. Aya wusste nicht, was er daraus und ihrer Freundlichkeit machen sollte. Niemand von ihnen war so wie Bradley, kühl und zum Teil auch arrogant. Wenn er nicht gewusst hätte, dass sie verwandt waren, hätte er es niemals vermutet und Aya fragte sich unweigerlich, wie das Orakel in einem solchen Umfeld aufgewachsen war. Wie seine Geschwister mit ihm aufgewachsen waren. Er überlegte, das Frage- und Antwortspiel umzudrehen, nahm davon aber Abstand. Sie waren mehr und er wollte vermeiden, dass sie es zum Anlass nahmen, ihn weiter zu löchern. „Weiß also“, resümierte Henry, der Zweitälteste ihre ausgiebige Fragerunde. Auch er war ein PSI, soviel hatte er herausgehört, allerdings wusste Aya nicht, über welche Gabe er verfügte. Offensichtlich gehörte er zu Rosenkreuz, hatte genug von Weiß und Kritiker gehört, um zielgerichtet Fragen zu stellen, die Aya immer ausweichender beantwortet hatte. „Kam der Name vor oder nachdem Brad seine Gruppierung Schwarz genannt hat?“, hakte Keith ein, der weitaus weniger gesprächig war als sein Bruder, dessen Bissigkeit sich aber durchaus mit Bradley messen konnte. Er war Anwalt in London und Aya zweifelte keinen Moment daran, dass er Verbindungen zu Rosenkreuz hatte. „Darüber kann ich nichts sagen“, wiederholte Aya zum unzähligsten Mal. Diese Menschen irritierten ihn, schließlich wusste ihre Mutter doch alles. Sie hatten doch sicherlich darüber gesprochen, warum war es dann notwendig, ihn auch noch zu befragen? „Wie habt ihr euch kennengelernt?“, fragte Aileene, die Jüngste im Bunde. Der buschige, rote Kater – Sir Alfred – lag dösend auf ihrem Schoß und scherte sich kein Bisschen um das, was um ihn herum passierte. Ein bisschen erinnerte sie Aya an Ken, aber auch nur ein bisschen. Sie war ähnlich frei heraus und manchmal zu ehrlich, dafür lebhaft und aufgeweckt. Wenn er ihren Worten Glauben schenken durfte, so besaß sie keinerlei Gabe und war äußerst zufrieden damit. Das und mit ihrem – nach Bradleys Aussage – langweiligen Freund, der in der Familie wenig Gefallen fand. „Bei einem Auftrag.“ „Fandest du ihn damals schon attraktiv?“ Aya schwieg eisern und sah an Keith vorbei hinaus in die Dunkelheit, in der dicke Schneeflocken fielen und die Landschaft bedeckten. Wider Willen freute Aya sich auf den kommenden Morgen. Wie schön wäre es, das alles im Schnee zu sehen und sich zumindest ein bisschen so zu fühlen, als wäre er in Hokkaido. Im Onsen. Im Schnee. Er seufzte stumm. „Ich denke, es ist genug“, mischte sich nun auch noch der Mann ein, der nun das Wohnzimmer betrat. William, Bradleys Vater, Professor an der Universität zu Edinburgh, Amerikaner seines Zeichens. Er war eine ältere Ausgabe von Bradley und ebenso ruhig, wenngleich nicht annähernd so kühl. „Lasst den armen Mann atmen, er muss erst einmal verdauen, dass eure Mutter ihn hierhergeholt hat, hinein in das zweifelhafte Glück unserer Familie.“ Wie Recht der Mann hatte, wurde sich Aya erst bewusst, als er seine vollkommen verkrampften Glieder voneinander löste. Vorsichtig sortierte er sich neu, ganz in der Angst, dass jede neue Bewegung neue Fragen aufwerfen würde. Er hatte schon viel zu viel über sich erzählt und über die Anderen erfahren. Viel mehr, als er jemals über die Familie des Orakels hatte wissen wollen…auf einmal. Zumindest war das früher so gewesen. Nun? Er war immer noch damit beschäftigt, vorsichtig den Mann kennen zu lernen, der sein Feind gewesen war. Er hatte sich doch immer noch nicht in das fallen lassen, was Bradley und er teilten, wie konnte er da diese Heimeligkeit und Gemütlichkeit annehmen? Diese Offenheit der Anderen ihm gegenüber? „Los Kinder, lasst uns beide mal alleine und geht schon einmal vor. Der Tisch muss noch gedeckt werden und wie ich hörte, benötigt eure Mutter Hilfe.“ Aya erkannte, woher Bradley seine ruhige Dominanz hatte, denn die Crawford-Geschwister gehorchten murrend, aber beinahe aufs Wort. „So“, sagte er, als sie alleine waren und musterte Aya mit einem Lächeln, während er sich in einen der nun freien Ledersessel setzte. In seiner Hand hatte er ein Glas mit Whisky, das er ab und ab hin und herschwenkte. Das So klang wie eine Drohung und Aya war sich mit einem Mal nicht mehr so sicher, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, mit dem Mann alleine zu bleiben. „Sie sind also die Muse meines Sohnes.“ Eine Aufgabe, mit der sich Aya noch nicht recht identifizieren konnte, schon gar nicht, da er dadurch in engeren Kontakt zu Rosenkreuz gekommen war. Darauf hätte er gut verzichten können und könnte es immer noch. Bradley wie auch er wurden regelmäßig überprüft, sowohl von Jean, der momentan bei seiner eigenen Familie war, als auch durch Telepathen aus Österreich. Nichts von ihm war mehr geheim und Aya kämpfte immer wieder mit sich und dem, was es bedeutete. „Er hatte schon immer einen guten Geschmack. Den hat er von seiner Mutter geerbt.“ Überrascht blinzelte Aya über das selbstironische Eigenlob. Humor hatte der Mann, das musste er ihm lassen. „Die Entscheidung obliegt ihm, würde ich sagen“, erwiderte Aya schließlich und lehnte sich zurück. Jetzt, wo er nicht mehr von Bradleys Schwester und seinen Brüdern in die Mangel genommen wurde, fiel die Anspannung wie ein Mantel von ihm ab. „Er ist manchmal nicht ganz einfach.“ Aya hob eine Augenbraue. Das war die Untertreibung des Jahrhunderts. Das Orakel war alles Andere als einfach. Noch nie gewesen. „Und Ihre gemeinsame Geschichte ist sicherlich ebenso schwierig.“ „Ja, das ist sie“, bestätigte Aya. „Ich hoffe, dass Ihre Zukunft besser zu Ihnen sein wird.“ Würde sie das werden? Aya wusste es nicht. Er hatte sich über Jahre hinweg keine Gedanken mehr um die Zukunft gemacht, gefangen in dem ewigen Kreislauf des Tötens und für seine Schwester Sorgens. Und nun? Nun lebte er von Tag zu Tag und freute sich auf Dinge, die in der nächsten Zukunft kamen. Er plante immer noch nichts, aber er gestattete sich den Gedanken an die nächste Woche. Die nächste Jahreszeit. An etwas, das Bradley und er machen würden. „Vielleicht wird sie das“, erwiderte Aya ausweichend und der andere Mann lachte. „Als Muse eines Präkognitiven haben Sie gute Chancen auf eine eben solche.“ „Sind Sie die Muse Ihrer Frau?“, fragte Aya eher aus Neugier, denn aus Wissensdurst und William schüttelte den Kopf. „Nein, das ist jemand Anderes.“ Aya nickte, fragte jedoch nicht weiter nach. Er wusste intuitiv, dass er keine Antwort erhalten würde und war es wirklich wichtig? Auch hier scheute er die Nähe, die Vertrautheit, die mit dieser Familie einherging, hatte er doch nicht wirklich damit gerechnet, dass Familie Crawford... Er hielt inne. Ja, was? Dass sie menschlich waren? Neugierig? Dass sie ihn nicht mit der gleichen Verachtung betrachteten, wie es ihr ältester Bruder zunächst getan hatte, bis die Katastrophe sie zusammengeführt hatte? Nein, mit nichts davon hatte er gerechnet. Weder mit der Herzlichkeit, noch der Neugier, noch dem Wissen, was ihm so überraschend zuteil geworden war. Ein wenig erinnerten sie ihn an seine eigene Familie, an seinen Vater, seine Mutter, seine Schwester und das Wissen darum war für einen Moment zu erdrückend. Die Wunde ihres Verlustes war immer noch nicht verheilt und Aya war sich auch nicht sicher, ob sie jemals zuwachsen würde. „Sie sind traurig.“ Der einfache, ruhige Satz ließ Aya aufsehen. Er versuchte sich an einem schmalen Lächeln, doch auch das misslang. „Sie erinnern mich an meine Familie.“ Verständnisvoll nickte William. „Es tut mir leid um Ihren Verlust.“ „Danke“, erwiderte Aya vorsichtig. Er wusste immer noch nicht recht, wie er mit Beileid umgehen sollte, auch weil es über Jahre hinweg keine Rolle für Fremde gespielt hatte, dass er beinahe alles verloren hatte und dass die Menschen, die er liebte, tot waren oder im Koma lagen. „Umso mehr hoffe ich, dass Sie Ihr Glück gefunden haben.“ Aya stolperte im ersten Moment über die Formulierung. Das implizierte, dass sein Sohn zu seinem Glück gehörte. Vielleicht war es ja auch so. Wollte Aya das? Er wusste es nicht sicher, aber er ahnte, was die Antwort sein könnte. „Ich möchte Ihnen außerdem danken.“ Aya blinzelte und runzelte fragend die Stirn. Das warme Leder der Couch knarzte unter seinem Hintern und aus der lauten Küche drang ein verlockender Geruch nach fremdartigem Essen zu ihm. „Wofür?“ Das Lächeln des älteren Mannes fiel ruckartig von ihm ab und ein Ausdruck an Schmerz huschte über das durch die Jahre gezeichnete Gesicht, den Aya nur zu gut kannte. „Dafür, dass Sie meinen Jungen gerettet haben vor diesem Monster. Und dafür, dass Sie ihn stärken und für ihn da sind, auch jetzt noch.“ Aya schwieg. Er konnte gar nicht anders, denn der plötzliche Kloß in seinem Hals war viel zu groß, als dass er ihn einfach so schlucken konnte. Bradleys Vater wusste alles, was geschehen war. Insgeheim – so wurde es ihm nun bewusst - hatte er gehofft, dass dem nicht so war, dass dem Vater das Wissen um das Trauma seines Sohnes erspart geblieben war. Er nickte schlussendlich, aus Ermangelung einer anderen Reaktion. Wie gut war es da, als Nagi den Raum betrat und sich leise räusperte. „Es gibt Essen“, sagte er mit einer Art schüchternen Neutralität, die Aya gänzlich unbekannt vorkam, kannte er den Telekineten doch nur kühl und distanziert. Oder wie in ihrem Safehouse ängstlich und traumatisiert. „Ah! Mein erster Enkel! Danke!“, lachte William nun wieder, die Trauer in seinen Augen abrupt abschüttelnd. Er erhob sich schwungvoll und ging mit einem finalen, dankbaren Nicken in Ayas Richtung zu Nagi. Ohne zu zögern schloss er den Jungen in die Arme und Aya musste über die rot werdenden Ohren und Wangen des Schwarz schmunzeln, der sich dem nicht entzog und – wenn Aya sich nicht täuschte – sich sogar in die Umarmung fallen ließ. Aya erhob sich weitaus langsamer und folgte den Beiden in die vorweihnachtliche Höhle der Löwen. Seine Schritte in die Küche waren leichter und er fühlte sich nicht mehr ganz so unwohl wie vorher. ~~**~~ Familie Crawford schenkte sich nichts zu Weihnachten. Zumindest nichts Physisches. Sie saßen bei einem Wein zusammen auf der Couch und schenkten sich Geschichten über ihre Erlebnisse und ihre Leben, die sie der Reihe nach im Halbdunklen erzählten. Nur der Baum und ein paar wenige Kerzen erhellten den Raum. Im Hintergrund knackte das brennende Holz im Kamin und tauchte den ganzen Raum in eine wohlige Wärme, die Aya wie eine Decke umhüllte. Es war Weihnachten, Heiligabend, wie sie den Feiertag nannten. Den Tag über hatte es geschneit und Bradley und Aya hatte einen langen, ausgiebigen Spaziergang am Ufer des zugefrorenen Sees gemacht. Familienbesitz, wie er nun wusste. Es war vollkommen still und einsam gewesen. Wie so oft hatten sie die gemeinsame Stille genossen, nur unterbrochen von gelegentlichen Gesprächsfetzen. Schuldig bezeichnete das als langweilig und sie beide als Spießer. Weder Bradley noch ihn störte das. Es brachte ihm Frieden und diesen Frieden fand Aya in just diesem Moment wieder, in ihren Geschichten, ihrem Zusammensein, ihrem Verhalten zueinander. Er beobachtete, außerhalb ihrer Struktur und entspannte sich mit jeder Minute, die verstrich. Aya war fasziniert von der Ruhe und dem Frieden, den dieser Brauch ausstrahlte und den Geschichten, die sich hier entfalteten. Bradley saß neben ihm und sie berührten sich, ganz zur stummen Zustimmung seines Vaters. „Es war einmal eine junge Telepathin“, begann die Dame des Hauses und die Anwesenden stöhnten bis auf Aya und Nagi kollektiv auf. Selbst Bradley rollte mit den Augen, war dieses Mal aber anscheinend nicht der Einzige, der wusste, was nun kam. „Sie war im Auftrag ihrer Organisation auf Geschäftsreise in Tokyo, als durch ein Bombenattentat das Gebäude über ihr zusammenstürzte. Wie durch ein Wunder überlebten sie und das ungeborene Kind in ihrem Leib und ein junger Polizist fand sie, eingeschlossen in der Tasche des Gebäudes, in der Tasche, die sich über ihr gebildet hatte. Ihre Wehen hatten eingesetzt und sie gebar das Kind in Anwesenheit des Polizisten, der verzweifelt versuchte, ihr gut zuzureden, in stockendem, stark akzentuiertem Englisch. Das Kind kam unversehrt zu Welt. Ein Junge war er und er und schrie in die Welt hinein, als würde er jedem verkünden wollen, dass er nun da war. Die Frau gab dem kleinen, zerknautschen Schreihals seinen ersten Namen, der Mann hingegen durfte den zweiten Namen auswählen. Er entschied sich für einen, den der am Tag zuvor im Fernsehen gesehen hatte und den er schön fand. Rodrick, so lautete der zweite Name. Sein erster hingegen Bradley.“ Überrascht fuhr Ayas Blick zu eben jenem Namensträger, der ein Sinnbild an blanker Neutralität war. Es rief in Aya ein Lächeln hervor und er schnipste sacht gegen den Oberschenkel des Orakels. Auch das nahm dieser mit allem gebotenen Würde der vollkommenen Ignoranz hin. Bradley Rodrick also, geboren in Japan. Geboren unter widrigsten Umständen, auch damals schon ein Kämpfer. „Der Name des Polizisten, des jungen, schüchternen, aber doch tatkräftigen Mannes, lautete damals wie heute Takatori Shuiichi“, schloss sie und nun ruckte Ayas Blick zu ihr. Mit einem vielsagenden Lächeln erwiderte sie ihn und neigte ihren Kopf zur Seite. „Und so, wie er meinen Jungen damals gerettet hat und ihn heldenhaft vor dem möglichen Tod bewahrt hat, so hat er letztes Jahr vor dem Rat für ihn gesprochen. Er hat dem Rat die Wahrheit unterbreitet und somit den wahren Schuldigen überführt.“ Nun war es nicht nur Aya, der gebannt zuhörte. Sie alle waren anscheinend überrascht über die neue Wendung der Geschichte. Aya hingegen musste beides – den neuen und alten Teil – verdauen. Perser hatte geholfen, das Orakel zur Welt zu bringen. Schon damals hatten die Dame des Hauses und er sich kennengelernt. Sie hatten Bande geschmiedet, derer sich Aya noch nicht einmal in Ansätzen bewusst gewesen war. Bis heute nicht. Er blinzelte und dachte an die Worte des älteren Mannes in dieser Runde. Er war nicht die Muse seiner Frau. Aber Perser war es. Das mentale, sachte Lachen eben jener Telepathin hallte durch seine Gedanken und bestätigte Aya, was er wissen musste. Das war…überraschend. Das war…augenöffnend. Aileene drückte ihrem ältesten Bruder einen dicken Kuss auf die Wange und Ayas Mundwinkel zuckte verdächtig, als dieser zu einem perfekten Sinnbild an Ausdruckslosigkeit wurde. Ob es seine Anwesenheit war, die das auslöste, wusste Aya nicht, aber er vermutete es. „Es ist schön, dass unser großer Bruder bei uns ist“, setzte sie nach und Henry brummte. „Ja, was würden wir ohne sein einnehmendes, freundliches Wesen nur machen?“ Keith nickte. „Oder seine präzise Hilfe, was unsere Zukunft angeht?“ Der sachte Spott, der sich über Bradley ausgoss, war getränkt durch familiäre Liebe und Zuneigung, das hörte Aya und er musste nun sehr deutlich das Lächeln auf seinem Gesicht verstecken. Dass sich Bradleys Augen dabei in sein Gesicht brannten, als sie ihn wütend und dunkel musterten, war dabei nur umso mehr Grund für sein Amüsement. Betont unschuldig erwiderte Aya den Blick und trank einen Schluck des starken, schwarzen Tees, den Thomas für sie alle gekocht hatte und den man anscheinend mit Milch und Zucker trank. Bedeutungsschwanger hob er seine Augenbraue und lächelte in die Wut hinein, die ihm entgegenschwappte. Wieviel würde er doch darum geben, eben jenes mit seiner Familie auch noch zu erleben. Der Oberschenkel, der den Seinen berührte, war kein Zufall und das sah er in Bradleys hellen Augen. ~~**~~ „Komm mit.“ Es war still geworden in dem großen Anwesen, als der Rest der Familie zu Bett gegangen war und nur noch Bradley und er übrig geblieben waren. Wie so häufig waren sie in ihrer Mischung aus Schweigen und Gesprächen lange wach geblieben, ohne Rücksicht auf die Zeit. Ein Blick auf die Uhr verriet Aya nun, das es zwei Uhr war. Er folgte Bradley in einen Raum, der an die Sauna angrenzte. Holzbänke säumten die Wände und Aya sah sauber gestapelte Handtücher in einem Wandregal. Das Orakel deutete auf eine der Bänke. „Zieh dich aus“, sagte er und Aya hob die Augenbraue. Er verschränkte die Arme und musterte Bradley fragend. Natürlich hatte es zu Beginn Differenzen gegeben. Natürlich war die Dominanz des Schwarz auf seine eigene getroffen. „Romantisch geht anders“, sagte er mit einem subtilen Unterton der Warnung in seiner Stimme, doch das traf auf wenig Gegenliebe. „Es geht hier nicht um Romantik. Entledige dich deiner Kleidung“, präzisierte das Orakel und Aya sah immer noch keinen Grund dazu. Er war nicht in Stimmung, auf einen derart kühlen Befehl zu reagieren, nicht nach dem entspannenden Abend. „Versuch es noch einmal“, erwiderte er entsprechend ungnädig und Bradley schob nach Geduld suchend seine Brille nach oben, um sich die Nasenwurzel zu reiben. „Ich möchte dir etwas zeigen, das ohne Kleidung mehr Sinn macht als mit. Und ja, ich werde mich auch ausziehen“, erläuterte er mit lakonischem Unterton. Aya zögerte noch einen Moment, dann nickte er. Schweigend zog er sich den Pullover aus, danach seine Hose und sah aus dem Augenwinkel heraus, dass Bradley seinem Beispiel folgte. Als sie beide nackt waren, warf das Orakel ihm eines der großen Handtücher um und schlang sich ein zweites um die eigenen Hüften. Geübt öffnete er eine Tür, die, wie Aya jetzt erkannte, nach draußen führte, in die vom Vollmond beschienene, verschneite Schneelandschaft. Sein Blick richtete sich auf einen dampfenden, beleuchteten Pool, dessen Schwaden sich in die Nacht verloren. „Es ist kein Onsen, aber ebenso warm und es gibt Schnee“, erläuterte der Mann an Ayas Seite und er musterte Bradley schweigend wie auch überrascht. Er hätte nicht gedacht, dass es eine Rolle spielte und wieder einmal schaffte das Orakel es, ihn zu überraschen. Und wenn Aya sich es ehrlich eingestand, so war der Gedanke an ein heißes Bad mit Bradley zusammen ein sehr guter Gedanke. „Du meinst, dass mich das zufriedenstellt?“ „Auf einer Skala von eins bis zehn?“ Aya brummte zustimmend. „Elf.“ „Dein Selbstbewusstsein ist wie gewohnt exorbitant gesund.“ „Rein mit dir.“ „Warum? Hast du einen Anschlusstermin?“ „Mir ist kalt.“ „Oho? War das ein Eingeständnis der körperlichen Unzulänglichkeit?“ Bradley hob die Augenbraue und musterte ihn dunkel. „Wie wäre es mit „Rein mit dir oder ich ertränke dich.“ „Ich hörte, dass dies ein PSI am Besten nicht mit seiner Muse machen sollte, wenn er nicht dauerhaft einen Teil seiner Gabe einbüßen möchte.“ „Lästig, wo du deine Ohren überall hast.“ „Warte erst einmal, bis du meine Finger erlebt hast.“ Bradley rollte mit den Augen und löste das Handtuch um seine Hüften. Er warf es zielsicher über einen der Stühle und stieg in den Pool. Aya ließ sich einen Moment Zeit, den Anblick zu genießen, bevor er folgte. Er hatte es laut noch nie ausgesprochen, dass Bradley ein wunderschöner Mann war, doch die Tatsache als solche konnte er nicht verneinen. Sein muskulöser Körper war wunderbar proportioniert und Aya liebte es, mit seinen Fingern den Muskelsträngen unter der Haut zu folgen. Er liebte es, Bradley die kleinen, unbedachten Töne zu entlocken. Er mochte es, die Lust in den hellen Augen zu sehen, die ungeteilte Aufmerksamkeit, welche ihm zuteil wurde. Er liebte es, wie Bradley ihn berührte, mit der sicheren Gewissheit eines Hellsehers. Mit der Selbstverständlichkeit eines Mannes, der wusste, dass er begehrt wurde. „Man sollte meinen, dass du eigentlich gar nicht baden möchtest“, holte eben jener ihn aus seinen Gedanken und Aya stieg ebenso wortlos in den Pool. Das Wasser war angenehm warm und umhüllte ihn, als er sich bis zum Hals eintauchte. „Man sollte meinen, dass du einen besseren Sinn für die Zukunft hast, Hellseher.“ „Für dich reicht es, Ran-kun.“ „Aber Brad-chan, du weißt, wie anspruchsvoll ich bin.“ Bradley bewegte sich so schnell, dass Aya im ersten Moment gar nicht wusste, wie ihm geschah. Als seine Instinkte nachzogen, war es schon zu spät und Bradleys nackter Körper presste sich an seinen und hielt ihn gefangen, während das Wasser aufgewühlt um sie herum schwappte. Mit großen Augen sah Aya zu ihm hoch. „Du verdeckst den Mond“, war alles, was ihm dazu einfiel und Bradley lächelte sein dunkles, vielversprechendes Lächeln. „Könnte mir nicht gleichgültiger sein“, erwiderte er leise und raubte Aya mit seinen Lippen jedwede Möglichkeit ihm darauf eine Antwort zu geben. Schamlos ließ sich Aya in den Kuss fallen, wie er sich auch in die körperliche Nähe zu Bradley fallen ließ. In ihre Vertrautheit und Nähe, die sich Tag für Tag über einen monatelangen Zeitraum zwischen ihnen aufgebaut hatte. Bradley war ein aufmerksamer Liebhaber, der weniger herrisch war, als Aya es am Anfang vermutet hatte. Er brauchte Kontrolle, ja, aber keine absolute Dominanz. Er teilte und ließ sich fallen, wenn er sich wohl und sicher fühlte. Er achtete auf Zwischentöne, ebenso wie Aya auf die leisen Töne lauschte. So auch jetzt. Aus dem spielerisch bestrafenden Kuss wurde etwas Sanftes und Lockendes. Bradley fragte ihn und Aya antwortete. „Du bist wirklich zufrieden, hier zu sein?“, wisperte der Schotte und Aya nickte. „Ich genieße die Zeit mit dir.“ Nachdenklich musterte Bradley ihn und Aya erkannte den kurzen Funken an Zweifel. „Was ist mit der Erinnerung an deine Familie?“, fragte er schließlich neutral und Aya lächelte schwach. „Die ist da und schmerzt, wie immer an solchen Tagen. Aber ich gönne dir dein Familienglück.“ Bradley strich ihm eine der Strähnen aus dem Gesicht. „Sie mögen dich.“ „Sie schienen mich eher grillen zu wollen mit ihren Fragen.“ „Sie sind neugierig auf meine Muse.“ „Ich hoffe, ich erfülle ihre Erwartungen.“ „Mehr als Aileenes Freund.“ Aya dachte an den stillen, aschblonden Mann, der ganze zwei Sätze an diesem Abend gesagt hatte und die waren auch noch nicht einmal sonderlich interessant gewesen. „Wie heißt er eigentlich?“, fragte er in der Erkenntnis, dass er sich an seinen Namen nicht erinnern konnte und Bradley lachte. „Michael.“ „Auf einer Skala von Michael bis die ideale Muse…wo befinde ich mich da?“ „Auf der Stufe ‚ganz passabel‘.“ „Oha? Dann mal heraus mit den Verbesserungsvorschlägen.“ „Wenn du das selbst nicht weißt…“ „Wie unpräzise für einen Präkognitiven. Das muss ich gleich mal Rosenkreuz melden.“ „Soweit kommst du nicht.“ „Wie willst du mich davon abhalten?“ Das Lächeln des Orakels verhieß schon einiges Vielversprechendes. Die Hand, die sich zwischen sie schlich und sie beide umfasste, ebenfalls. Die so sinnlichen Lippen, die sich nun an sein Ohr legten, taten ihr Übriges. „Stell dir nur mal vor, wie es wäre, wenn diese geschickte Hand dich nie wieder anfassen würde“, raunte Bradley und Aya sog gespielt schockiert die Luft ein. „Ein Skandal“, erwiderte er und schauderte ob der elektrisierenden Empfindungen. Das war für eine lange Zeit auch das Letzte, was er antwortete. ~~**~~ Brad musterte den Mann, der ruhig schlafend neben ihm lag. Das sonst so ernste Gesicht war entspannt und gelöst, die Körpersprache die eines Mannes, der sich nicht um die Welt scherte, die dort draußen auf ihn wartete. Das war ein Trugschluss, wusste Brad. Aya Fujimiyas Instinkte waren hervorragend und bei dem kleinsten Anzeichen von Unregelmäßigkeiten würde er aufwachen. Nicht so heute, hier, in seiner Gegenwart. Es schien, als würde die Muse in ihm den PSI erkennen, der neben ihm lag und darauf vertrauen, dass sie sich gegenseitig schützten. Brad war es recht, denn so konnte er den anderen Mann in Ruhe betrachten, der sich die letzten Tage im Kreis seiner Familie so stur geschlagen hatte. Wie so oft in solchen ruhigen Momenten glitten seine Gedanken zurück in die Vergangenheit und zu der Frage, wie es möglich gewesen war, dass er dem Mann nähergekommen war, der ihn entwürdigt und gedemütigt gesehen hatte und dem er selbst soviel angetan hatte. Es war ihm ein Rätsel, immer noch, auch wenn ihm Schuldig ungefragt versichert hatte, dass keine Taktik hinter dem Verhalten des Weiß lag. Aus einem unerfindlichen Grund hatte Aya den Kontakt zu ihm gesucht und er selbst war seiner Prämisse, etwas Festes haben zu wollen, treu geblieben. Brad bereute es nicht, ganz im Gegenteil, und das hatte zu einer Verbindung geführt, die nicht zuletzt auch dank Rosenkreuz enger und verbindlicher war als alles, was er bisher gehabt hatte. Er schätzte die Zeit mit dem anderen Mann, schätzte die gemeinsamen Momente, die sie miteinander verbrachten. Aya reizte ihn, er forderte ihn heraus. Sein Anführerstatus bedeutete nichts für Aya, seine Gabe ebenso wenig. Der schlafende Mann respektierte ihn für die Person, die er war. Das zu begreifen, war ein ungewohnter, aber notwendiger Lernprozess für Brad gewesen. Aya wurde unruhig neben ihm. Sein Körper zuckte und die gerade noch glatte Stirn runzelte sich. Wie so oft glitt er in einen Alptraum ab. „N…ein…Schuldig nicht…nicht sie…ich…nimm mich…“ Die gerade noch entspannten Hände ballten sich zu Fäusten und Aya wurde verzweifelter. „Ich…gewähre dir Zutritt…ich…nein…ich gewähre dir Zutritt…“ Dieser Traum kam öfter vor und Brad wusste genau, worum es sich dabei handelte. Der von ihm in Auftrag gegebene Durchbruch, damit Schuldig Aya besser kontrollieren konnte. Trotzdem sein Telepath die Erinnerungen daran gedämpft hatte, hatten sie sich bereits derart ins Unterbewusstsein des anderen Mannes gebrannt, dass sein Verstand versuchte, das erlebte Trauma zu verarbeiten. Aya erwähnte es nicht, wenn er wach war und Brad hatte das Thema bislang auch nicht angesprochen. Es war eine ihrer Erinnerungen, die sie beide umgingen um nicht das zu gefährden, was sie jetzt hatten. „Wach auf, Ran Fujimiya“, sagte Brad streng und versichernd, wie immer, wenn er den anderen Mann aus einem seiner Alpträume holte. Ihn zu berühren, war keine gute Idee, Worte jedoch halfen. „Wach auf, du hast einen Alptraum, es ist nicht real, was du siehst“, fuhr Brad fort, auch wenn er genau wusste, dass dem nicht so war. Es war durchaus real gewesen und er hatte es in Auftrag gegeben. Mit einem Ruck kam Aya zu sich und setzte sich auf, sich desorientiert und panisch an den Kopf greifend. Erst ein paar Sekunden später begriff er, dass es nur eine Erinnerung war, eingebettet in einen bösen Traum, die ihn heimgesucht hatte. Genervt stöhnte er auf und strich sich die Haare aus der Stirn. Brad beobachtete ihn dabei und wartete geduldig, bis Aya sich ihm zuwandte. Er wusste aus vergangenen Alpträumen, dass er dem anderen Mann Zeit geben musste, um die Traumbilder abzuschütteln. So auch heute. „Bist du schon lange wach?“, fragte er ohne Brad anzusehen mit dem zielsicheren Instinkt eines Soldaten für seine Umgebung. „Lange genug um dir beim Aufwachen zuzusehen.“ Aya schnaubte und hob den Blick. Die letzten Reste des Schreckens wichen aus ihnen, während er die rechte Augenbraue hob. „Und, wie war der Anblick.“ „Unschön.“ Aya runzelte die Stirn ob seiner offenen Worte und Brad holte mit Bedacht Luft. Es war an der Zeit, befand Brad. An der Zeit, darüber zu sprechen, was in den Stunden passiert war. „Ich habe Schuldig damals befohlen, sich Zugang zu dir zu sichern mit dem Mittel, das du vermeintlich auch bei mir angewandt hast. Ich wollte es, ich habe es abgesegnet. Ich habe es dir gegönnt, dass er dich derart unter Druck setzt und dass er deine Barrieren niederreißt.“ Die Stille, die nach seinen Worten einsetzte, war schwer und belastend. Brad hatte jede einzelne Sekunde davon verdient, befand er. Aya maß ihn, jeden Millimeter seines Gesichtes. Er zweifelte an den Worten und an der Bedeutung dessen, das sah Brad und er nickte grimmig. „Ich habe dich für etwas gehasst, was du nicht zu verantworten hattest.“ „Die versuchte Vergewaltigung“, murmelte der andere Mann und Brad nickte. „Exakt.“ „Du wurdest beeinflusst und warst nicht Herr deiner Sinne in dem Moment. Wochen später ist das bereits klar geworden, doch ich habe mich nie dafür entschuldigt, dir einer derart schändlichen Rache unterzogen zu haben.“ „Das hast du nicht“, stimmte Aya nach ein paar Momenten des Schweigens langsam zu. Er wusste immer noch nicht, worauf Brad hinauswollte und für den ersten Augenblick war das gut. Es machte ihn undurchschaubar, es machte ihn nicht vorhersehbar. Dann jedoch rief sich Brad ins Gedächtnis, wer hier neben ihm lag. Der Mann, an dessen Seite er seit Monaten schlief. Der Mann, dessen Nähe er ertrug und mehr als das. Der Mann, dessen Wesen sein Wesen herausforderte und komplettierte. Der Mann, dessen Gegenwart er nicht missen wollte. „Es war ein Fehler, der mir leid tut“, sagte Brad und es war nicht so schlimm, wie befürchtet. Die Worte brannten in ihm ohne Zweifel, doch das Brennen war heilsam und notwendig. Viel wichtiger war jedoch die Bedeutung, die seine Worte für den Mann hatten, der neben ihm saß und dessen Adamsapfel nun deutlich sichtbar hüpfte. Aya wusste nicht, was er dazu sagen sollte und wie immer in solchen Situationen übernahm zunächst Abyssinians kalte Ausdruckslosigkeit. Erst, als es für den Mann, der hinter dem Auftragsmörder lag, klar und sicher wurde, was von ihm gewollt war, erlaubte Aya sich Mimik und Gestik, er erlaubte sich Emotionen. In diesem Fall war es emotionale Ruhe, wie Brad erkannte. Die Schließung einer Wunde, die immer noch geblutet hatte. Aya lächelte und seine Finger suchten Brads. Er erwiderte nichts, weil es keine passenden Worte dafür gab. Es reichte Brad um zu wissen, dass seine Entschuldigung angekommen war und angenommen wurde. „Wie wäre es mit einem erneuten Besuch im Crawford’schen Onsen im Schnee?“, fragte Aya schließlich und Brad schnaubte amüsiert mit einem Hauch von Zustimmung. ~~~~~ Ende. William – Vater Siobhan - Mutter Aya schauderte, als der Wind an Geschwindigkeit aufnahm und ihm kalten Regen ins Gesicht peitschte. Und an die Beine. Und an den Rücken. Eigentlich kam er aus jeder Richtung, während er beim Großmarkt die Blumen für die kommenden, beiden Tage in ihren Transporter lud. Es war viel zu früh, auch wenn das nicht wirklich zutraf. Es war spät, denn er hatte die Nacht durchmachen müssen. Dank eines Auftrages und der Zielperson, die einfach nicht hatte sterben wollen. Weiß hatte den Mann durch halb Tokyo gejagt und ihn erst vor zwei Stunden erwischt. Für das Bett war es für Youji und ihn zu spät gewesen, also hatte Omi Kaffee für sie beide gekocht, bevor er zu Bett gegangen war um bis zur ersten Vorlesung wenigstens ein bisschen Schlaf zu bekommen. Ken war mehr in sein Zimmer gestrauchelt als gegangen und Aya war froh darum, dass er den kurzen Weg unbeschadet überstanden hatte. Dass er selbst sich übernächtigt und fahrig fühlte, stand auf einem anderen Blatt, aber das Weihnachtsgeschäft, das wie jedes Jahr explodierte, musste zumindest die nächsten beiden Tage noch durchgezogen werden, bevor sie ihren Laden auch dichtmachen und in den Kurzurlaub gehen konnten. Nach den turbulenten, letzten Monaten war das auch nur zu verdient und Aya freute sich schon auf seine Tage in Hokkaido, in dem kleinen, abgelegenen Onsen eingebettet in schneebedeckten Bergen. Er freute sich auf die kalte, klare Luft des Winters und die Laternen, die ihr warmes Licht auf die dampfenden Nebelschwaden warfen, die aus dem heißen Wasser emporstiegen. Er freute sich auf gutes Essen und auf die alten Besitzer des Onsen, die ihn seit Jahren kannten und wie einen Sohn empfingen, der einmal im Jahr nach Hause kam. Was sicherlich auch daran liegen mochte, dass er kleinere Reparaturen durchführte und sich um die Pflanzen kümmerte, wenn er schon einmal da war. Aya seufzte schwer und lud die letzte Kiste mit Pflanzen in das Auto. Er war komplett durchgeweicht und durchgefroren. Schaudernd zog er den Kopf ein und brachte den tiefen Einkaufswagen für die Transportkisten weg. Aufstöhnend ließ er sich auf den Fahrersitz fallen und schaltete die Heizung auf das Maximum. Er war urlaubsreif. Wirklich urlaubsreif. Kaum zu glauben, dass seit Bradleys Rückkehr schon mehr als ein Jahr vergangen war. Dass Kritiker und Rosenkreuz, Weiß und Schwarz tatsächlich zusammenarbeiteten und es allen Widrigkeiten zum Trotz funktionierte. Natürlich nicht reibungslos, das absolut nicht, aber sie zerfleischten sich nicht. Aya würde den Frieden, der zwischen ihnen herrschte, als dünnes, brüchiges Eis bezeichnen, in das sie hin und wieder einbrachen und sich umso öfter wieder hinauszogen. Omi und Nagi arbeiteten allen voran in einer Art und Weise zusammen, die auf den ersten Blick rein pragmatischer Natur war. Sie planten Missionen zusammen, sie werteten die entsprechenden Daten aus und versuchten sich gegenseitig mit ihren IT-Fähigkeiten zu beeindrucken. Vollkommen in Ordnung, wenn man Aya fragte, auch wenn er nicht glaubte, dass es das Einzige war, was die Beiden miteinander verband. Das mochte auch daran liegen, dass er den Fehler gemacht hatte, Omis Zimmer zu betreten, ohne auf die Stimmen, die hinter der geschlossenen Tür hervordrangen, geachtet zu haben. Im ersten Moment hatte es ihn überrascht, dass nebst Omi auch Nagi auf dem Boden vor dem großen Fernseher saß, einen Controller auf dem einen Oberschenkel und eine Tasse Tee auf dem anderen. Im Zweiten hatte er es mit einem stummen Nicken abgetan und war rückwärts wieder aus dem Zimmer gegangen. Omi hatte schließlich nicht so ausgesehen, als würde er dazu gezwungen. Ganz und gar nicht. Der Ire, Jei, hatte anscheinend Gefallen daran gefunden, Manx zu folgen, wenn sie aufeinandertrafen, und Aya war sich nicht sicher, woran das liegen mochte. Das Interesse, was er an ihrer Agentin zeigte, war jedoch friedlich bis neugierig und Manx schien es zuzulassen. Ganz im Gegensatz zu Youji, dem Schuldig eindeutig zu viele Touren in diversen Discos vermasselt hatte. Aya schnaubte amüsiert, als er an die wütenden Gespräche dachte, die er mit seinem Freund eben genau darüber geführt hatte. Youji, wie er sich bitter darüber beschwerte, dass plötzlich Schuldig aufgetaucht war, während er mit anderen Frauen und Männern flirtete und mehr als einmal mit unpassenden Kommentaren und Spott dafür gesorgt hatte, dass diese von Youji abließen und dass er niemanden für die Nacht fand. Entsprechend mies gelaunt und unausstehlich war Youji, bis er Schuldig laut eigener Aussage angeboten hatte, dass dieser ja auf die Knie gehen und seinen Schwanz lutschen könne, wenn er so heiß darauf war, Youji alleine zu sehen. Seitdem war es ein klein wenig besser geworden. Was Bradley und ihn anging, so waren die Schritte klein, die sie nach vorne machten. So wohl sich Aya auch damit fühlte, dass das Orakel wieder in Japan war und dass seine Organisation ihn nicht neutralisiert hatte, so sehr war das, was sie teilten, auch ein Tanz auf der Nadelspitze. Sie waren Feinde gewesen und hatten sich gegenseitig Dinge angetan, über die sie teilweise auch jetzt noch nicht sprechen konnten. Über einiges hatten sie bereits geredet, doch meistens umschifften sie all das, was in der Vergangenheit passiert war, zugunsten von etwas, das ihre Gegenwart verschönte und vielleicht auch irgendwann ihre Zukunft. Sie trafen sich, auch abseits von gemeinsamen Missionen. Zuerst waren es bewusst neutrale Fragen nach gemeinsamen Mittagessen gewesen, nebenbei gestellt, nicht wichtig. Dann war es ein Besuch in einer Jazzbar gewesen. Oder ein Kaffee am Nachmittag. Oder ein plötzliches Auftauchen des Orakels beim Einkaufen, am Krankenhaus oder am Grab. Selten beim Koneko und Aya vermutete, dass dies aus Respekt vor Omi geschah, dessen Verhältnis zu den beiden älteren Schwarz auf einer geschäftlichen Basis zwar funktionierte, auf einer privaten Basis aber immer noch durch traumatisch bedingte Angst geprägt war. Selbst mit den Therapiestunden, die er seitens Kritiker erhielt und die ihm helfen sollten, das Erlebte zu verarbeiten, war es immer noch schwierig für ihn und die Alpträume, die ihn wachhielten, nur zu deutlich hörbar. Mehr als einmal hatte Aya Omi aus seinen dunklen Träumen geholt, in denen er sich wand und nicht mehr aufhörte zu schreien und zu weinen. Es war fürchterlich und das waren auch die Nächte, nach denen er weder Schuldig noch Bradley sehen konnte und wollte. Beide respektierten das. Selbstverständlich war das nicht die einzige Regel, die zwischen Bradley und ihm stand. So traumatisiert, wie ihre beiden Jüngsten durch das, was Lasgo und Schwarz ihnen angetan hatten, waren, so traumatisiert war auch Bradley und da waren die zwei Monate, die er auf der Alm in Österreich verbracht hatte, nur der Beginn seiner Heilung gewesen. Einer Heilung, die immer noch andauerte und die noch Jahre benötigen würde. Bradley brauchte Regeln, um sich sicher zu fühlen und das war etwas, über das er und Aya nach einem desaströsen Abend sehr offen sprachen. Wenn sie das Bett teilten, zog Aya sich ohne Ausnahme immer als Erster aus, da Bradley es nicht ertrug, vor ihm nackt zu sein. Niemals nahm er Ayas Schwanz in den Mund und nur nach einer eindeutigen Formulierung seines Wunsches konnte Aya ihn oral befriedigen. Er schlief nicht mit dem Rücken zu Aya und es war keine gute Idee, ihn von hinten zu umarmen oder hinter ihm zu stehen. Es gab Tage, an denen konnte und wollte Bradley niemanden sehen, weil der Eindruck von Händen auf seinem Körper zu gewaltig war, als dass er ihn ignorieren konnte. Es gab viele Tage, da konnte er in Anwesenheit andere Personen kein Wasser trinken und musste dies in der Abgeschiedenheit seines Büros tun. Jean unterstützte ihn, als Frühwarnsystem und als versierter Empath. Aya konnte mit diesen Regeln gut leben und sah, wie sich der Mann hinter ihnen jeden Tag mehr zu jemand anderen veränderte, der durch seine Vergangenheit und die Geschehnisse geprägt worden war. Seine eigene Veränderung bekam er dadurch nicht mit, laut seinem Team war sie aber mehr als deutlich. Angeblich lächelte er mehr. Angeblich war er gelassener. Er hätte gesagt, dass es an Takatoris Tod lag und an der guten Perspektive für die Gesundheit seiner Schwester, aber das war seitens Youji mit einem nachsichtigen Lächeln, einer Packung Kondome und Gleitgel abgetan worden. Er nahm einen Schluck aus seinem Thermobecher und atmete tief durch. Bradley verbrachte die Weihnachtstage mit Nagi bei seiner Familie in Schottland. Er war gestern geflogen und vorgestern hatten Aya und er den Abend und die Nacht miteinander verbracht. Was Aya immer noch spürte. Bradley liebte so, wie er ihre Aufträge erfüllte: mit kühler Arroganz, in dem Wissen um das, was geschehen würde, mit der Zielstrebigkeit eines Auftragsmörders, der keine Gnade kannte. Er brachte sie beide ins Schwitzen und nicht selten kam Aya mehr als einmal, spürte danach jedoch noch tagelang, wie sie miteinander gekämpft und gerungen hatten. Denn nichts Anderes war ihre Beziehung in den Kissen: ein Krieg, eine Fortsetzung ihres Kampfes gegeneinander. Nur auf einer anderen, weniger tödlichen Ebene. Auch deswegen würde es eine sehr gute Idee sein, dass er in drei Tagen in Hokkaido ausspannte und seine Muskeln in dem heißen Wasser der Quellen lockerte und löste. Aya freute sich so sehr darauf, dass ein aufgeregter Schauer durch seinen Magen fuhr. Erst im zweiten Moment erkannte er, dass es zum großen Teil auch daran lag, dass er sein Handy in der Tasche seiner Jacke trug, das nun vibrierte. Aya zog es stirnrunzelnd hervor. „Manx?“, fragte er zögernd und sie brummte. „Abyssinian“, begann sie und ihm schwante nichts Gutes. Sie hatte die Angewohnheit, Auftragsinformationen mit ihren Codenamen einzuläuten. Das war keine gute Angewohnheit, ganz und gar nicht. „Oh nein“, entfuhr es ihm, ohne dass er es wirklich wollte und sie schnaubte. „Oh doch.“ „Heute oder morgen Abend?“, fragte er hoffnungsvoll. „Nein. In vier Tagen.“ Ein unwilliger Laut entfuhr Aya. Sehr unwillig, geradezu angewidert. „Onsen. Im Schnee. Manx. In drei Tagen. Ich habe da Urlaub. Du hast es mir versprochen.“ „Der Auftrag duldet keinen Aufschub und kann auch nicht vorverlegt werden“, kamen ihre Worte wie ein Damoklesschwert auf ihn nieder und Aya bettete den Kopf auf das Lenkrad. „Sag mir, dass der Auftrag in der Nähe von Hokkaido ist“, versuchte er sich an einem letzten Strohhalm zu klammern. „Im Ausland. In Europa. Du wirst dort Oracle und Prodigy treffen und mit ihnen die Zielperson erledigen.“ Aya stöhnte unwillig auf. „Nicht dein Ernst, auch das noch.“ Seit sie sich daran machten, das restliche Netzwerk von Lasgo und SZ zu zerstören, waren Weiß auch vermehrt in anderen Ländern tätig gewesen. China, allem voran, Taiwan, Korea, aber auch Spanien, Deutschland, Polen und Großbritannien. Das hatte zufolge gehabt, dass jeder von ihnen das gesamte Sprachwissen der Dame des Hauses eingepflanzt bekommen hatte und nun fließend Englisch und Chinesisch sowie etwas Deutsch und Polnisch sprach. Eine schmerzhafte und zugleich hochgradig interessante Erfahrung, auf die Aya jederzeit wieder verzichten würde. „Früher hast du mir besser gefallen, als du nur deine Arbeit und die Aufträge kanntest, Abyssinian“, übertrug sich die leise, ungesagte Warnung zwischen ihren Worten über die Leitung und Aya grollte. „Du mich auch, Manx. Das ist mein Urlaub.“ „Den du nun mit deinem hauseigenen Hellseher verbringen kannst.“ „Er ist nicht mein hauseigener Hellseher.“ Sie brummte alles andere als zustimmend. „Habe ich eine Wahl?“ „Nein.“ Natürlich nicht. Es gab Aufträge, da forderte Rosenkreuz explizit ihn an, eben weil er die Muse und der Katalysator des großen Orakels war. Natürlich wurden diese Aufträge exorbitant gut bezahlt, das machte es aber nicht besser. Schon gar nicht jetzt. „Natürlich, dann selbstverständlich gerne“, troff Ayas Stimme nur vor Spott. „Schick mir die Daten.“ „Kommen. Sieh zu, dass du zum Koneko kommst, du fliegst in vier Stunden.“ Unflätig fluchte Aya und legte einfach auf, warf das Handy auf den Beifahrersitz. Soviel zum Thema Urlaub, Onsen im Schnee und Entspannung. ~~**~~ Ein Gutes hatte der sechszehn Stunden Flug über Frankfurt nach Edinburgh schon. Aya konnte schlafen. Er konnte seinen gesamten Schlafmangel nachholen und sich damit auf den kommenden Jetlag einstellen, der ihn sicherlich befallen würde, schließlich war Edinburgh neun Stunden hinter Tokyoter Ortszeit. Mittlerweile konnte er gut damit umgehen, schön war es allerdings nicht wirklich. Die Daten hatte Aya sich vorher bereits eingeprägt und die Information, dass er vor Ort nochmals gebrieft werden würde, hatte ihn entsprechend ebenfalls erleichtert. Eine der vielen Rosenkreuzstandorte befand sich anscheinend in der schottischen Einöde, zu der er durch einen Agenten gebracht werden würde. An Weihnachten würden sie dann zuschlagen und die Zielperson erledigen. Dann, wenn sie vermutlich nicht damit rechnen würde. Aya schlief beide Flüge fast durch und stieg entsprechend desorientiert aus dem Flieger. Beinahe lief er an dem Rosenkreuzagenten vorbei, der ein Namensschild mit seinem Tarnnamen und der Firma hochhielt und erst im letzten Moment hielt ihn ein fragendes „Mr. Takahashi?“ zurück. Irritiert nahm Aya das zur Kenntnis, bevor es ihm dämmerte und er innerlich seufzte. Er war nicht umsonst urlaubsreif, wirklich nicht. „Es freut mich, Sie hier in Schottland willkommen heißen zu dürfen, Mr. Takahashi“, hielt zumindest der Agent ihre Tarnung als Geschäftsleute aufrecht und Aya nickte stumm. Er folgte ihm hinaus in die schneidende Kälte zum Wagen und ließ sich von ihm zu einem der Helikopterstartplätze bringen. Mit erhobener Augenbraue maß Aya den kleineren Hubschrauber. Er mochte das Fliegen nicht sonderlich und da half es gar nicht, in eine kleine Schüssel einzusteigen, die bei dem Wind sicherlich nicht ruhig fliegen würde. „Nicht Ihr Ernst“, murmelte er und der Agent zog es vor, nicht darauf zu reagieren. Anstelle dessen deutete er in den Hubschrauber und führte Aya durch die Prozedur des sich Anschnallens, Kopfhörer Aufsetzens und Instruierens. Angestrengt schloss Aya die Augen, als die Nussschale von einem Hubschrauber abhob und sich durch die Windböen nach oben kämpfte. Es war fürchterlich und zog sich schier unendlich in die Länge, auch wenn, das musste Aya nahtlos nach einem Blick auf die Landschaft zugeben, die Gegend eine der Schönsten war, die er jemals gesehen hatte. Rau war sie und wild, hier und da mal ein Haus. Er sah Berge, schneebedeckt, ohne einen einzigen Baum. Er sah große Seen, aus denen der Nebel emporstieg. Er sah Siedlungen mit alten Steinhäusern, die im Kampf gegen das Winterlicht erhellt waren und kleine Anhaltspunkte in dem weitläufigen Meer an Wiesen und Hügeln waren. Er konnte sich sehr gut vorstellen, warum Rosenkreuz hier einen ihrer Stützpunkte aufgebaut hatten. Hier gab es nichts, hier kam kilometerweit nichts. Niemand würde sie hier stören oder vermuten. Aya rief sich den Zeitplan ins Gedächtnis. Heute würde das Briefing von Nagi, Bradley und ihm stattfinden, morgen früh würden sie zuschlagen, Abreise wäre dann übermorgen nach dem Frühstück, um kein Aufsehen zu erregen. Die Zielperson war ein ehemaliger SZ-Kontaktmann, der eine Schlüsselfigur in Lasgos Menschenhändlerring gewesen war. Ein Stück Dreck, das es nicht verdient hatte zu leben. Wenigstens das. Der Helikopter landete auf einem Flugfeld und von dort aus wurde er in das bereitstehende Auto bugsiert, das sie auf engen, schlecht ausgebauten, holprigen Straßen gen Wildnis führte, zu einem großen Haus mit noch viel größerer Zufahrt. Ein steinerner Weg rankte sich von den beiden eisernen Figuren am Eingang bis tief in das Gelände hinein. Unvorstellbar viel Platz, selbst für abgelegene Gegenden in Japan. Hier war nichts außer Gras, dem Weg und dem Haus, das näher und näher kam. Aya war wider Willen beeindruckt, als er ausstieg und die Fassade empor sah. Hinter dem Haus erstreckte sich ein See, der von hohen Bergen eingeschlossen war. Mit dem Dämmerlicht und den Wolken war es ein beeindruckendes Schauspiel, insbesondere jetzt, da der Wind aufheulte und an seinem Mantel zerrte und riss als wäre er ein hungriges Monster. „Dort ist der Eingang. Hier treffen Sie Ihr Team“, sagte der Agent und deutete auf die massive Holztür, an der ein einzelner Kranz mit Kugeln hing. Die perfekte Weihnachtstarnung, wenn sich jemand doch hierher verirren würde. Natürlich. Aya nickte dem Mann zu und schulterte seine Tasche. Tief einatmend löste er sich von der beeindruckenden Landschaft und ging auf das Haus zu. Es gab keine Klingel, sondern nur einen riesigen Türklopfer, dessen dumpfes Dröhnen nach draußen hallte. Es dauerte, bis die Tür geöffnet wurde und Licht und Wärme sich über ihn ergossen. Licht, Wärme und viel Lärm von Menschen im Hintergrund der Dame des Hauses. Aya blinzelte, starrte sie an. Sie war die Agentin, die sie briefen würde? Das war in der Vergangenheit insbesondere am Anfang vorgekommen, aber Aya hatte gelernt, dass dies mit Sicherheit nicht ihre Aufgabe war. Er starrte noch mehr den buschigen, roten Kater an, der neugierig mit dem Schwanz zuckend zu ihr kam und um ihre Beine strich. „Fujimiya-san, kommen Sie herein“, sagte sie mit einem Lächeln, das ihm eiskalte Schauer über den Rücken trieb. Am Liebsten würde er diese Frau nicht mehr treffen, ihre Gabe nicht an seine geistigen Wände kratzen fühlen. Er fühlte sich transparent ihr gegenüber und da half es sicherlich nicht, dass er in diesem Moment wie auf dem Präsentierteller an alles dachte, was ihr Sohn und er in der letzten Zeit miteinander geteilt hatten. „Ich habe Schlimmeres gesehen, machen Sie sich keinen Kopf“, reagierte sie auf die schlimmstmögliche Art und Weise. Aya schüttelte resigniert den Kopf und leistete ihrer vermeintlichen Bitte Folge, schließlich war dies immer noch ein Auftrag. Auch wenn die Basis ein wenig zu heimelig war. Eine sehr gute Tarnung, vielleicht gab es ja doch irgendwo Nachbarn. Die Eingangshalle war stilvoll weihnachtlich eingerichtet mit dem großen Weihnachtsbaum voller Kugeln und riesigen Geschenkpackungen, die, so vermutete Aya, leer waren. Überall hingen große Bilder an den Wänden und wirkten doch klein und verschwindend. Blumen säumten den Weg in die anderen Räume und Teppiche, rot und voller Ornamente, schrien ihn an, dass er seine Schuhe auszuziehen hatte. Was nicht überall in Europa gerne gesehen wurde. Fragend richtete er seinen Blick auf die Rosenkreuzagentin. „Lassen Sie sie an. Kommen Sie“, winkte sie ihn hinein und er folgte ihr anscheinend in den Hauptraum. Das Wohnzimmer, zumindest würde er es so bezeichnen. Es war groß, mit bodentiefen Fenstern und einem Kamin, der so groß war wie seine Schlafzimmerwand. In ihm brannten knackend und knisternd Holzscheite und Aya stellte fest, dass er den Geruch von verbranntem Holz abseits von Aufträgen durchaus gerne mochte. Auch hier befand sich ein riesiger Weihnachtsbaum mit echten Kerzen, unter dem dieses Mal keine Geschenke lagen. „Hi!“ Eine weitere Agentin saß bereits auf einem der Sofas. Sie war noch jung und winkte ihm nun zu, in der typischen, offenen Art der Europäer. Anstalten, sich zu erheben und zu ihm zu kommen, machte sie nicht und Aya glaubte, dass es an dem Buch lag, das sich auf ihrem Schoß befand. Ein schwerer Wälzer über etwas, das er nicht erkannte. Aya nickte schweigend und bevor er weitere Fragen stellen konnte, betrat ein Mann den Raum, der Aya vage bekannt vorkam. Auch dieser lächelte ihn an, kam aber im Gegensatz zu der jungen Agentin auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. „Hallo Aya, mein Name ist William. Schön, Sie kennen zu lernen.“ Irritiert schüttelte Aya seine Hand. Das vollkommene Fehlen seines Codenamens verwunderte ihn, weil es eine Vertraulichkeit herstellte, die so nicht gewollt war, schließlich waren sie nur für einen Auftrag hier. Vielleicht würde ihm Bradley selbst etwas mehr sagen können, der nun ebenfalls den Raum betrat, mit Nagi zusammen in ein Gespräch vertieft und eine Tasse dampfenden Gebräus in der Hand. Beide blieben abrupt stehen, als sie ihn sahen und Aya begriff zwei Sekunden später, dass weder Bradley noch Nagi mit ihm gerechnet hatten. Sie waren mehr als überrascht über sein Hiersein. Hilfesuchend wandte sich Aya an die Dame des Hauses und erstarrte, als er ihrem viel zu unschuldigen, viel zu wissenden Blick begegnete. Es dämmerte ihm. Verspätet, aber es dämmerte ihm. Das hier war kein Safehouse, keine Basis, kein Rosenkreuzgebäude. Das hier war ihr Haus, ihr Familienanwesen. Deswegen war es so eingerichtet wie ein Wohnhaus. Deswegen begrüßte der Mann ihn mit Vornamen. Der Mann, der Bradleys…Vater war. „Was machst du hier?“, passte Bradleys viel zu ruhige, viel zu neutrale Frage zu seinen Gedanken und Aya befand, dass er sehr gut da mitgehen konnte. Er machte nicht das, wofür er eigentlich hergekommen war. Oder? Fast hoffte Aya auf einen Auftrag, eine Mission, von der das Orakel noch nichts wusste. Haha. Aber andererseits wusste dieser auch nichts von seinem Hiersein. Also… ~Ich habe seine Gabe in dem Punkt manipuliert~, kam die hilfreiche Erklärung der offen grinsenden Telepathin und Ayas Blick fuhr abrupt zu ihr und dann zurück zu Bradley, dessen Aufmerksamkeit sich auch voll und ganz auf seine Mutter gerichtet hatte. Anscheinend verfielen die beiden in eine stumme Diskussion, so wie sich Bradleys Mimik verdunkelte und deutliche Missbilligung zeigte. Aya konnte das nachvollziehen, zu hundert Prozent. Was sollte das hier? Wozu hatte sie ihn hierhergeholt und auch noch Bradleys Gabe unterdrückt? Eine Art pervertierter Überraschung? Für wen? „Das ist nicht dein Ernst“, schloss das Orakel die stumme Diskussion und rollte mit den Augen. Er war offener geworden in seiner Mimik, weniger verschlossen in Gegenwart seines Teams und seiner Familie, auch wenn er mit Schuldigs Gesichtskirmes immer noch nicht mithalten konnte. Aya runzelte die Stirn. „Dürfte ich auch erfahren, warum ich anscheinend nicht aus dem Grund hier bin, mit dem ich von meinem Urlaub in einem Ryokan samt Onsen im Schnee geholt worden bin?“, grollte er und Siobhan lächelte vielsagend. „Sie sind die Überraschung für meinen Sohn. Quasi sein Weihnachtsgeschenk.“ Aya blinzelte, sah zu langsam von ihr zu Bradley und zu Nagi, schulterte seine Tasche und drehte sich kommentarlos um. Er würde schon irgendein Taxi bekommen, schließlich hatte er sein Handy dabei. Das Geschenk für ihren Sohn, dass er nicht lachte. Was war er, ein Gegenstand? Er schnaubte innerlich. Telepathen. Wenn er sich heute noch um einen Rückflug bemühte, würde er zumindest einen Tag im Onsen verbringen können und sich danach Manx vorknöpfen. Jede Wette war sie eingeweiht gewesen. Natürlich war sie das. Niemand hielt ihn auf, als er aus dem Haus ging und draußen versuchte, Empfang für sein europäisches Telefon zu bekommen. Vergeblich, wohin er sich auch wandte. Aya fluchte stumm, tat ein paar Schritte in Richtung Einfahrt, fluchte wieder. Bei seinem Glück durfte er bis nach oben laufen, um dann Empfang zu bekommen. „Es wird kein Taxi kommen, selbst wenn du oben Empfang hättest“, sagte Bradley hinter ihm und Aya brauchte einen Moment, um die Worte überhaupt anzunehmen. Er war wütend. Nicht auf den Mann, der hinter ihm stand, sondern auf dessen Mutter und ihre Spielchen. Wenn Bradley gewollt hätte, dass er mitkäme, hätte er ihn gefragt. So waren sie beide von dem, was hier passierte, nicht überzeugt und Aya konnte sich nichts Schöneres an seinen mühsam erkämpften, freien Tagen vorstellen, als in einer Umgebung zu sein, die ihm nicht wohlgesonnen war. „Wunderbar.“ Mit ausdrucksloser Miene drehte er sich um und sah in aufmerksame, hellbraune Augen. „Zu laufen würde dich mindestens einen Tag kosten.“ Aya schnaubte. „Ich würde mich wiederholen, müsste ich das kommentieren.“ „Ist es dir so zuwider, hier zu bleiben?“ Er hob die Augenbraue. „Willst du denn, dass ich hier bleibe? Anscheinend in deinem Elternhaus?“ Bradley kam auf ihn zu und erst jetzt nahm sich Aya wirklich Zeit, die legere Kleidung des Anderen zu würdigen. Wie selbstverständlich es mittlerweile war, ihn darin zu sehen. Oder in banalen Socken. Einem Shirt. In dem Bradley jetzt deutlich sichtbar kalt war. „Ich wäre nicht abgeneigt“, sagte eben jener Mann mit seinem ganz eigenen Humor und seiner neutralen Zustimmung, die viel tiefere Gefühle hindeutete. „Soso.“ „Allerdings würdest du dann meine Familie in Kauf nehmen müssen.“ „Die Ganze?“ „Selbstverständlich.“ „Und das willst du?“ „Aileene hat dich schon gesehen. Sie wird nicht locker lassen.“ Die vermeintlich andere Agentin, begriff Aya. Er seufzte und warf einen letzten Blick auf sein nutzloses Handy ohne Empfang. „Ich muss mich bei Omi melden. Sonst denkt er, dass etwas passiert sei.“ „Hat Nagi bereits erledigt.“ Aya hob vielsagend die Augenbraue und Bradley zuckte mit den Schultern. „Wundert es dich?“ Nein, nicht wirklich. Die Beiden hatten irgendwie zueinander gefunden und nach dem ersten Wundern hatte Aya seine eigenen Gedanken gescholten. Schließlich war er derjenige mit einem ehemaligen Feind als… Nachdenklich betrachtete er Bradley. Ja, als was? Sie hatten es nicht definiert. Sie schliefen miteinander, sie gingen aus, sie waren sich nahe. „Meine Mutter?“, fragte das Orakel lakonisch und Aya schnaubte. Er schüttelte den Kopf. „Du.“ „Oh?“ „Ja.“ „Etwas unpräzise, Abyssinian.“ „Wer von uns beiden kennt die Zukunft?“ „Soll ich dir verraten, was sie für dich bereithält?“ „Kann ich dich davon abhalten?“ Bradley lächelte sein eiskaltes, überhebliches Lächeln, das Aya mittlerweile nur noch mit den Augen rollen ließ. Es provozierte ihn noch nicht einmal mehr – die meiste Zeit. Am Anfang ihres Zweiseins schon. Er kam näher und umfasste hauchzart Ayas Wange. Es war seine Art um Erlaubnis zu fragen und Aya gab sie ihm ebenso nonverbal. Er kam ihm schweigend entgegen und lehnte sich in den züchtigen Kuss. „Willkommen in Schottland“, murmelte Bradley schließlich und Aya schmunzelte. Er bettete seine Stirn an die des anderen Mannes. „Ganz passabel. Habe schon Schlimmeres gesehen. Und Besseres.“ Das Grollen, was kam, war aus vollem Herzen. Aya mochte es. ~~**~~ Aya kam sich vor wie in einem Löwenrudel. Leider war er keiner der Löwen, sondern die Beute, die aus acht aufmerksamen Augen gierig angestarrt wurde. Zehn, wenn er Bradleys Vater mit dazu zählte, der sich die Runde seiner Kinder und den Partner seiner jüngsten Tochter belustigt ansah, in dessen Augen aber Fragen stand, die sicherlich noch gestellt werden würden. Alle vier Crawford-Geschwister hatten alle eins gemeinsam: ihre durchdringende, unablässige Musterung von Menschen, die sie einzuschätzen versuchten. In diesem Fall war er es und Aya dachte nicht daran, sich davon eingeschüchtert zu fühlen, auch wenn er angespannt auf der Couch saß, umgeben von den Männern und Frauen, von deren Existenz er bis vor zwei Jahren noch nicht einmal etwas gewusst hatte. Der Einzige, der fehlte, war Bradley selbst und Aya verfluchte ihn stumm dafür, dass er ihn hier alleine ließ. Taktik? Selbstverständlich. Wo kam er her? Wie war es dort? Wie alt war er? Was waren seine Hobbies? Wie war es für ihn, mit einem Schwert zu töten? Ein Blumenladen als Tarnung, wie funktionierte das? Wie war sein Team? Aya beantwortete alle Fragen so ungenau, wie er konnte, was gar nicht so einfach war unter der Musterung der Crawfordschen Geschwister, die sich hin und wieder bedeutungsschwangere Blicke zuwarfen. Aya wusste nicht, was er daraus und ihrer Freundlichkeit machen sollte. Niemand von ihnen war so wie Bradley, kühl und zum Teil auch arrogant. Wenn er nicht gewusst hätte, dass sie verwandt waren, hätte er es niemals vermutet und Aya fragte sich unweigerlich, wie das Orakel in einem solchen Umfeld aufgewachsen war. Wie seine Geschwister mit ihm aufgewachsen waren. Er überlegte, das Frage- und Antwortspiel umzudrehen, nahm davon aber Abstand. Sie waren mehr und er wollte vermeiden, dass sie es zum Anlass nahmen, ihn weiter zu löchern. „Weiß also“, resümierte Henry, der Zweitälteste ihre ausgiebige Fragerunde. Auch er war ein PSI, soviel hatte er herausgehört, allerdings wusste Aya nicht, über welche Gabe er verfügte. Offensichtlich gehörte er zu Rosenkreuz, hatte genug von Weiß und Kritiker gehört, um zielgerichtet Fragen zu stellen, die Aya immer ausweichender beantwortet hatte. „Kam der Name vor oder nachdem Brad seine Gruppierung Schwarz genannt hat?“, hakte Keith ein, der weitaus weniger gesprächig war als sein Bruder, dessen Bissigkeit sich aber durchaus mit Bradley messen konnte. Er war Anwalt in London und Aya zweifelte keinen Moment daran, dass er Verbindungen zu Rosenkreuz hatte. „Darüber kann ich nichts sagen“, wiederholte Aya zum unzähligsten Mal. Diese Menschen irritierten ihn, schließlich wusste ihre Mutter doch alles. Sie hatten doch sicherlich darüber gesprochen, warum war es dann notwendig, ihn auch noch zu befragen? „Wie habt ihr euch kennengelernt?“, fragte Aileene, die Jüngste im Bunde. Der buschige, rote Kater – Sir Alfred – lag dösend auf ihrem Schoß und scherte sich kein Bisschen um das, was um ihn herum passierte. Ein bisschen erinnerte sie Aya an Ken, aber auch nur ein bisschen. Sie war ähnlich frei heraus und manchmal zu ehrlich, dafür lebhaft und aufgeweckt. Wenn er ihren Worten Glauben schenken durfte, so besaß sie keinerlei Gabe und war äußerst zufrieden damit. Das und mit ihrem – nach Bradleys Aussage – langweiligen Freund, der in der Familie wenig Gefallen fand. „Bei einem Auftrag.“ „Fandest du ihn damals schon attraktiv?“ Aya schwieg eisern und sah an Keith vorbei hinaus in die Dunkelheit, in der dicke Schneeflocken fielen und die Landschaft bedeckten. Wider Willen freute Aya sich auf den kommenden Morgen. Wie schön wäre es, das alles im Schnee zu sehen und sich zumindest ein bisschen so zu fühlen, als wäre er in Hokkaido. Im Onsen. Im Schnee. Er seufzte stumm. „Ich denke, es ist genug“, mischte sich nun auch noch der Mann ein, der nun das Wohnzimmer betrat. William, Bradleys Vater, Professor an der Universität zu Edinburgh, Amerikaner seines Zeichens. Er war eine ältere Ausgabe von Bradley und ebenso ruhig, wenngleich nicht annähernd so kühl. „Lasst den armen Mann atmen, er muss erst einmal verdauen, dass eure Mutter ihn hierhergeholt hat, hinein in das zweifelhafte Glück unserer Familie.“ Wie Recht der Mann hatte, wurde sich Aya erst bewusst, als er seine vollkommen verkrampften Glieder voneinander löste. Vorsichtig sortierte er sich neu, ganz in der Angst, dass jede neue Bewegung neue Fragen aufwerfen würde. Er hatte schon viel zu viel über sich erzählt und über die Anderen erfahren. Viel mehr, als er jemals über die Familie des Orakels hatte wissen wollen…auf einmal. Zumindest war das früher so gewesen. Nun? Er war immer noch damit beschäftigt, vorsichtig den Mann kennen zu lernen, der sein Feind gewesen war. Er hatte sich doch immer noch nicht in das fallen lassen, was Bradley und er teilten, wie konnte er da diese Heimeligkeit und Gemütlichkeit annehmen? Diese Offenheit der Anderen ihm gegenüber? „Los Kinder, lasst uns beide mal alleine und geht schon einmal vor. Der Tisch muss noch gedeckt werden und wie ich hörte, benötigt eure Mutter Hilfe.“ Aya erkannte, woher Bradley seine ruhige Dominanz hatte, denn die Crawford-Geschwister gehorchten murrend, aber beinahe aufs Wort. „So“, sagte er, als sie alleine waren und musterte Aya mit einem Lächeln, während er sich in einen der nun freien Ledersessel setzte. In seiner Hand hatte er ein Glas mit Whisky, das er ab und ab hin und herschwenkte. Das So klang wie eine Drohung und Aya war sich mit einem Mal nicht mehr so sicher, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, mit dem Mann alleine zu bleiben. „Sie sind also die Muse meines Sohnes.“ Eine Aufgabe, mit der sich Aya noch nicht recht identifizieren konnte, schon gar nicht, da er dadurch in engeren Kontakt zu Rosenkreuz gekommen war. Darauf hätte er gut verzichten können und könnte es immer noch. Bradley wie auch er wurden regelmäßig überprüft, sowohl von Jean, der momentan bei seiner eigenen Familie war, als auch durch Telepathen aus Österreich. Nichts von ihm war mehr geheim und Aya kämpfte immer wieder mit sich und dem, was es bedeutete. „Er hatte schon immer einen guten Geschmack. Den hat er von seiner Mutter geerbt.“ Überrascht blinzelte Aya über das selbstironische Eigenlob. Humor hatte der Mann, das musste er ihm lassen. „Die Entscheidung obliegt ihm, würde ich sagen“, erwiderte Aya schließlich und lehnte sich zurück. Jetzt, wo er nicht mehr von Bradleys Schwester und seinen Brüdern in die Mangel genommen wurde, fiel die Anspannung wie ein Mantel von ihm ab. „Er ist manchmal nicht ganz einfach.“ Aya hob eine Augenbraue. Das war die Untertreibung des Jahrhunderts. Das Orakel war alles Andere als einfach. Noch nie gewesen. „Und Ihre gemeinsame Geschichte ist sicherlich ebenso schwierig.“ „Ja, das ist sie“, bestätigte Aya. „Ich hoffe, dass Ihre Zukunft besser zu Ihnen sein wird.“ Würde sie das werden? Aya wusste es nicht. Er hatte sich über Jahre hinweg keine Gedanken mehr um die Zukunft gemacht, gefangen in dem ewigen Kreislauf des Tötens und für seine Schwester Sorgens. Und nun? Nun lebte er von Tag zu Tag und freute sich auf Dinge, die in der nächsten Zukunft kamen. Er plante immer noch nichts, aber er gestattete sich den Gedanken an die nächste Woche. Die nächste Jahreszeit. An etwas, das Bradley und er machen würden. „Vielleicht wird sie das“, erwiderte Aya ausweichend und der andere Mann lachte. „Als Muse eines Präkognitiven haben Sie gute Chancen auf eine eben solche.“ „Sind Sie die Muse Ihrer Frau?“, fragte Aya eher aus Neugier, denn aus Wissensdurst und William schüttelte den Kopf. „Nein, das ist jemand Anderes.“ Aya nickte, fragte jedoch nicht weiter nach. Er wusste intuitiv, dass er keine Antwort erhalten würde und war es wirklich wichtig? Auch hier scheute er die Nähe, die Vertrautheit, die mit dieser Familie einherging, hatte er doch nicht wirklich damit gerechnet, dass Familie Crawford... Er hielt inne. Ja, was? Dass sie menschlich waren? Neugierig? Dass sie ihn nicht mit der gleichen Verachtung betrachteten, wie es ihr ältester Bruder zunächst getan hatte, bis die Katastrophe sie zusammengeführt hatte? Nein, mit nichts davon hatte er gerechnet. Weder mit der Herzlichkeit, noch der Neugier, noch dem Wissen, was ihm so überraschend zuteil geworden war. Ein wenig erinnerten sie ihn an seine eigene Familie, an seinen Vater, seine Mutter, seine Schwester und das Wissen darum war für einen Moment zu erdrückend. Die Wunde ihres Verlustes war immer noch nicht verheilt und Aya war sich auch nicht sicher, ob sie jemals zuwachsen würde. „Sie sind traurig.“ Der einfache, ruhige Satz ließ Aya aufsehen. Er versuchte sich an einem schmalen Lächeln, doch auch das misslang. „Sie erinnern mich an meine Familie.“ Verständnisvoll nickte William. „Es tut mir leid um Ihren Verlust.“ „Danke“, erwiderte Aya vorsichtig. Er wusste immer noch nicht recht, wie er mit Beileid umgehen sollte, auch weil es über Jahre hinweg keine Rolle für Fremde gespielt hatte, dass er beinahe alles verloren hatte und dass die Menschen, die er liebte, tot waren oder im Koma lagen. „Umso mehr hoffe ich, dass Sie Ihr Glück gefunden haben.“ Aya stolperte im ersten Moment über die Formulierung. Das implizierte, dass sein Sohn zu seinem Glück gehörte. Vielleicht war es ja auch so. Wollte Aya das? Er wusste es nicht sicher, aber er ahnte, was die Antwort sein könnte. „Ich möchte Ihnen außerdem danken.“ Aya blinzelte und runzelte fragend die Stirn. Das warme Leder der Couch knarzte unter seinem Hintern und aus der lauten Küche drang ein verlockender Geruch nach fremdartigem Essen zu ihm. „Wofür?“ Das Lächeln des älteren Mannes fiel ruckartig von ihm ab und ein Ausdruck an Schmerz huschte über das durch die Jahre gezeichnete Gesicht, den Aya nur zu gut kannte. „Dafür, dass Sie meinen Jungen gerettet haben vor diesem Monster. Und dafür, dass Sie ihn stärken und für ihn da sind, auch jetzt noch.“ Aya schwieg. Er konnte gar nicht anders, denn der plötzliche Kloß in seinem Hals war viel zu groß, als dass er ihn einfach so schlucken konnte. Bradleys Vater wusste alles, was geschehen war. Insgeheim – so wurde es ihm nun bewusst - hatte er gehofft, dass dem nicht so war, dass dem Vater das Wissen um das Trauma seines Sohnes erspart geblieben war. Er nickte schlussendlich, aus Ermangelung einer anderen Reaktion. Wie gut war es da, als Nagi den Raum betrat und sich leise räusperte. „Es gibt Essen“, sagte er mit einer Art schüchternen Neutralität, die Aya gänzlich unbekannt vorkam, kannte er den Telekineten doch nur kühl und distanziert. Oder wie in ihrem Safehouse ängstlich und traumatisiert. „Ah! Mein erster Enkel! Danke!“, lachte William nun wieder, die Trauer in seinen Augen abrupt abschüttelnd. Er erhob sich schwungvoll und ging mit einem finalen, dankbaren Nicken in Ayas Richtung zu Nagi. Ohne zu zögern schloss er den Jungen in die Arme und Aya musste über die rot werdenden Ohren und Wangen des Schwarz schmunzeln, der sich dem nicht entzog und – wenn Aya sich nicht täuschte – sich sogar in die Umarmung fallen ließ. Aya erhob sich weitaus langsamer und folgte den Beiden in die vorweihnachtliche Höhle der Löwen. Seine Schritte in die Küche waren leichter und er fühlte sich nicht mehr ganz so unwohl wie vorher. ~~**~~ Familie Crawford schenkte sich nichts zu Weihnachten. Zumindest nichts Physisches. Sie saßen bei einem Wein zusammen auf der Couch und schenkten sich Geschichten über ihre Erlebnisse und ihre Leben, die sie der Reihe nach im Halbdunklen erzählten. Nur der Baum und ein paar wenige Kerzen erhellten den Raum. Im Hintergrund knackte das brennende Holz im Kamin und tauchte den ganzen Raum in eine wohlige Wärme, die Aya wie eine Decke umhüllte. Es war Weihnachten, Heiligabend, wie sie den Feiertag nannten. Den Tag über hatte es geschneit und Bradley und Aya hatte einen langen, ausgiebigen Spaziergang am Ufer des zugefrorenen Sees gemacht. Familienbesitz, wie er nun wusste. Es war vollkommen still und einsam gewesen. Wie so oft hatten sie die gemeinsame Stille genossen, nur unterbrochen von gelegentlichen Gesprächsfetzen. Schuldig bezeichnete das als langweilig und sie beide als Spießer. Weder Bradley noch ihn störte das. Es brachte ihm Frieden und diesen Frieden fand Aya in just diesem Moment wieder, in ihren Geschichten, ihrem Zusammensein, ihrem Verhalten zueinander. Er beobachtete, außerhalb ihrer Struktur und entspannte sich mit jeder Minute, die verstrich. Aya war fasziniert von der Ruhe und dem Frieden, den dieser Brauch ausstrahlte und den Geschichten, die sich hier entfalteten. Bradley saß neben ihm und sie berührten sich, ganz zur stummen Zustimmung seines Vaters. „Es war einmal eine junge Telepathin“, begann die Dame des Hauses und die Anwesenden stöhnten bis auf Aya und Nagi kollektiv auf. Selbst Bradley rollte mit den Augen, war dieses Mal aber anscheinend nicht der Einzige, der wusste, was nun kam. „Sie war im Auftrag ihrer Organisation auf Geschäftsreise in Tokyo, als durch ein Bombenattentat das Gebäude über ihr zusammenstürzte. Wie durch ein Wunder überlebten sie und das ungeborene Kind in ihrem Leib und ein junger Polizist fand sie, eingeschlossen in der Tasche des Gebäudes, in der Tasche, die sich über ihr gebildet hatte. Ihre Wehen hatten eingesetzt und sie gebar das Kind in Anwesenheit des Polizisten, der verzweifelt versuchte, ihr gut zuzureden, in stockendem, stark akzentuiertem Englisch. Das Kind kam unversehrt zu Welt. Ein Junge war er und er und schrie in die Welt hinein, als würde er jedem verkünden wollen, dass er nun da war. Die Frau gab dem kleinen, zerknautschen Schreihals seinen ersten Namen, der Mann hingegen durfte den zweiten Namen auswählen. Er entschied sich für einen, den der am Tag zuvor im Fernsehen gesehen hatte und den er schön fand. Rodrick, so lautete der zweite Name. Sein erster hingegen Bradley.“ Überrascht fuhr Ayas Blick zu eben jenem Namensträger, der ein Sinnbild an blanker Neutralität war. Es rief in Aya ein Lächeln hervor und er schnipste sacht gegen den Oberschenkel des Orakels. Auch das nahm dieser mit allem gebotenen Würde der vollkommenen Ignoranz hin. Bradley Rodrick also, geboren in Japan. Geboren unter widrigsten Umständen, auch damals schon ein Kämpfer. „Der Name des Polizisten, des jungen, schüchternen, aber doch tatkräftigen Mannes, lautete damals wie heute Takatori Shuiichi“, schloss sie und nun ruckte Ayas Blick zu ihr. Mit einem vielsagenden Lächeln erwiderte sie ihn und neigte ihren Kopf zur Seite. „Und so, wie er meinen Jungen damals gerettet hat und ihn heldenhaft vor dem möglichen Tod bewahrt hat, so hat er letztes Jahr vor dem Rat für ihn gesprochen. Er hat dem Rat die Wahrheit unterbreitet und somit den wahren Schuldigen überführt.“ Nun war es nicht nur Aya, der gebannt zuhörte. Sie alle waren anscheinend überrascht über die neue Wendung der Geschichte. Aya hingegen musste beides – den neuen und alten Teil – verdauen. Perser hatte geholfen, das Orakel zur Welt zu bringen. Schon damals hatten die Dame des Hauses und er sich kennengelernt. Sie hatten Bande geschmiedet, derer sich Aya noch nicht einmal in Ansätzen bewusst gewesen war. Bis heute nicht. Er blinzelte und dachte an die Worte des älteren Mannes in dieser Runde. Er war nicht die Muse seiner Frau. Aber Perser war es. Das mentale, sachte Lachen eben jener Telepathin hallte durch seine Gedanken und bestätigte Aya, was er wissen musste. Das war…überraschend. Das war…augenöffnend. Aileene drückte ihrem ältesten Bruder einen dicken Kuss auf die Wange und Ayas Mundwinkel zuckte verdächtig, als dieser zu einem perfekten Sinnbild an Ausdruckslosigkeit wurde. Ob es seine Anwesenheit war, die das auslöste, wusste Aya nicht, aber er vermutete es. „Es ist schön, dass unser großer Bruder bei uns ist“, setzte sie nach und Henry brummte. „Ja, was würden wir ohne sein einnehmendes, freundliches Wesen nur machen?“ Keith nickte. „Oder seine präzise Hilfe, was unsere Zukunft angeht?“ Der sachte Spott, der sich über Bradley ausgoss, war getränkt durch familiäre Liebe und Zuneigung, das hörte Aya und er musste nun sehr deutlich das Lächeln auf seinem Gesicht verstecken. Dass sich Bradleys Augen dabei in sein Gesicht brannten, als sie ihn wütend und dunkel musterten, war dabei nur umso mehr Grund für sein Amüsement. Betont unschuldig erwiderte Aya den Blick und trank einen Schluck des starken, schwarzen Tees, den Thomas für sie alle gekocht hatte und den man anscheinend mit Milch und Zucker trank. Bedeutungsschwanger hob er seine Augenbraue und lächelte in die Wut hinein, die ihm entgegenschwappte. Wieviel würde er doch darum geben, eben jenes mit seiner Familie auch noch zu erleben. Der Oberschenkel, der den Seinen berührte, war kein Zufall und das sah er in Bradleys hellen Augen. ~~**~~ „Komm mit.“ Es war still geworden in dem großen Anwesen, als der Rest der Familie zu Bett gegangen war und nur noch Bradley und er übrig geblieben waren. Wie so häufig waren sie in ihrer Mischung aus Schweigen und Gesprächen lange wach geblieben, ohne Rücksicht auf die Zeit. Ein Blick auf die Uhr verriet Aya nun, das es zwei Uhr war. Er folgte Bradley in einen Raum, der an die Sauna angrenzte. Holzbänke säumten die Wände und Aya sah sauber gestapelte Handtücher in einem Wandregal. Das Orakel deutete auf eine der Bänke. „Zieh dich aus“, sagte er und Aya hob die Augenbraue. Er verschränkte die Arme und musterte Bradley fragend. Natürlich hatte es zu Beginn Differenzen gegeben. Natürlich war die Dominanz des Schwarz auf seine eigene getroffen. „Romantisch geht anders“, sagte er mit einem subtilen Unterton der Warnung in seiner Stimme, doch das traf auf wenig Gegenliebe. „Es geht hier nicht um Romantik. Entledige dich deiner Kleidung“, präzisierte das Orakel und Aya sah immer noch keinen Grund dazu. Er war nicht in Stimmung, auf einen derart kühlen Befehl zu reagieren, nicht nach dem entspannenden Abend. „Versuch es noch einmal“, erwiderte er entsprechend ungnädig und Bradley schob nach Geduld suchend seine Brille nach oben, um sich die Nasenwurzel zu reiben. „Ich möchte dir etwas zeigen, das ohne Kleidung mehr Sinn macht als mit. Und ja, ich werde mich auch ausziehen“, erläuterte er mit lakonischem Unterton. Aya zögerte noch einen Moment, dann nickte er. Schweigend zog er sich den Pullover aus, danach seine Hose und sah aus dem Augenwinkel heraus, dass Bradley seinem Beispiel folgte. Als sie beide nackt waren, warf das Orakel ihm eines der großen Handtücher um und schlang sich ein zweites um die eigenen Hüften. Geübt öffnete er eine Tür, die, wie Aya jetzt erkannte, nach draußen führte, in die vom Vollmond beschienene, verschneite Schneelandschaft. Sein Blick richtete sich auf einen dampfenden, beleuchteten Pool, dessen Schwaden sich in die Nacht verloren. „Es ist kein Onsen, aber ebenso warm und es gibt Schnee“, erläuterte der Mann an Ayas Seite und er musterte Bradley schweigend wie auch überrascht. Er hätte nicht gedacht, dass es eine Rolle spielte und wieder einmal schaffte das Orakel es, ihn zu überraschen. Und wenn Aya sich es ehrlich eingestand, so war der Gedanke an ein heißes Bad mit Bradley zusammen ein sehr guter Gedanke. „Du meinst, dass mich das zufriedenstellt?“ „Auf einer Skala von eins bis zehn?“ Aya brummte zustimmend. „Elf.“ „Dein Selbstbewusstsein ist wie gewohnt exorbitant gesund.“ „Rein mit dir.“ „Warum? Hast du einen Anschlusstermin?“ „Mir ist kalt.“ „Oho? War das ein Eingeständnis der körperlichen Unzulänglichkeit?“ Bradley hob die Augenbraue und musterte ihn dunkel. „Wie wäre es mit „Rein mit dir oder ich ertränke dich.“ „Ich hörte, dass dies ein PSI am Besten nicht mit seiner Muse machen sollte, wenn er nicht dauerhaft einen Teil seiner Gabe einbüßen möchte.“ „Lästig, wo du deine Ohren überall hast.“ „Warte erst einmal, bis du meine Finger erlebt hast.“ Bradley rollte mit den Augen und löste das Handtuch um seine Hüften. Er warf es zielsicher über einen der Stühle und stieg in den Pool. Aya ließ sich einen Moment Zeit, den Anblick zu genießen, bevor er folgte. Er hatte es laut noch nie ausgesprochen, dass Bradley ein wunderschöner Mann war, doch die Tatsache als solche konnte er nicht verneinen. Sein muskulöser Körper war wunderbar proportioniert und Aya liebte es, mit seinen Fingern den Muskelsträngen unter der Haut zu folgen. Er liebte es, Bradley die kleinen, unbedachten Töne zu entlocken. Er mochte es, die Lust in den hellen Augen zu sehen, die ungeteilte Aufmerksamkeit, welche ihm zuteil wurde. Er liebte es, wie Bradley ihn berührte, mit der sicheren Gewissheit eines Hellsehers. Mit der Selbstverständlichkeit eines Mannes, der wusste, dass er begehrt wurde. „Man sollte meinen, dass du eigentlich gar nicht baden möchtest“, holte eben jener ihn aus seinen Gedanken und Aya stieg ebenso wortlos in den Pool. Das Wasser war angenehm warm und umhüllte ihn, als er sich bis zum Hals eintauchte. „Man sollte meinen, dass du einen besseren Sinn für die Zukunft hast, Hellseher.“ „Für dich reicht es, Ran-kun.“ „Aber Brad-chan, du weißt, wie anspruchsvoll ich bin.“ Bradley bewegte sich so schnell, dass Aya im ersten Moment gar nicht wusste, wie ihm geschah. Als seine Instinkte nachzogen, war es schon zu spät und Bradleys nackter Körper presste sich an seinen und hielt ihn gefangen, während das Wasser aufgewühlt um sie herum schwappte. Mit großen Augen sah Aya zu ihm hoch. „Du verdeckst den Mond“, war alles, was ihm dazu einfiel und Bradley lächelte sein dunkles, vielversprechendes Lächeln. „Könnte mir nicht gleichgültiger sein“, erwiderte er leise und raubte Aya mit seinen Lippen jedwede Möglichkeit ihm darauf eine Antwort zu geben. Schamlos ließ sich Aya in den Kuss fallen, wie er sich auch in die körperliche Nähe zu Bradley fallen ließ. In ihre Vertrautheit und Nähe, die sich Tag für Tag über einen monatelangen Zeitraum zwischen ihnen aufgebaut hatte. Bradley war ein aufmerksamer Liebhaber, der weniger herrisch war, als Aya es am Anfang vermutet hatte. Er brauchte Kontrolle, ja, aber keine absolute Dominanz. Er teilte und ließ sich fallen, wenn er sich wohl und sicher fühlte. Er achtete auf Zwischentöne, ebenso wie Aya auf die leisen Töne lauschte. So auch jetzt. Aus dem spielerisch bestrafenden Kuss wurde etwas Sanftes und Lockendes. Bradley fragte ihn und Aya antwortete. „Du bist wirklich zufrieden, hier zu sein?“, wisperte der Schotte und Aya nickte. „Ich genieße die Zeit mit dir.“ Nachdenklich musterte Bradley ihn und Aya erkannte den kurzen Funken an Zweifel. „Was ist mit der Erinnerung an deine Familie?“, fragte er schließlich neutral und Aya lächelte schwach. „Die ist da und schmerzt, wie immer an solchen Tagen. Aber ich gönne dir dein Familienglück.“ Bradley strich ihm eine der Strähnen aus dem Gesicht. „Sie mögen dich.“ „Sie schienen mich eher grillen zu wollen mit ihren Fragen.“ „Sie sind neugierig auf meine Muse.“ „Ich hoffe, ich erfülle ihre Erwartungen.“ „Mehr als Aileenes Freund.“ Aya dachte an den stillen, aschblonden Mann, der ganze zwei Sätze an diesem Abend gesagt hatte und die waren auch noch nicht einmal sonderlich interessant gewesen. „Wie heißt er eigentlich?“, fragte er in der Erkenntnis, dass er sich an seinen Namen nicht erinnern konnte und Bradley lachte. „Michael.“ „Auf einer Skala von Michael bis die ideale Muse…wo befinde ich mich da?“ „Auf der Stufe ‚ganz passabel‘.“ „Oha? Dann mal heraus mit den Verbesserungsvorschlägen.“ „Wenn du das selbst nicht weißt…“ „Wie unpräzise für einen Präkognitiven. Das muss ich gleich mal Rosenkreuz melden.“ „Soweit kommst du nicht.“ „Wie willst du mich davon abhalten?“ Das Lächeln des Orakels verhieß schon einiges Vielversprechendes. Die Hand, die sich zwischen sie schlich und sie beide umfasste, ebenfalls. Die so sinnlichen Lippen, die sich nun an sein Ohr legten, taten ihr Übriges. „Stell dir nur mal vor, wie es wäre, wenn diese geschickte Hand dich nie wieder anfassen würde“, raunte Bradley und Aya sog gespielt schockiert die Luft ein. „Ein Skandal“, erwiderte er und schauderte ob der elektrisierenden Empfindungen. Das war für eine lange Zeit auch das Letzte, was er antwortete. ~~**~~ Brad musterte den Mann, der ruhig schlafend neben ihm lag. Das sonst so ernste Gesicht war entspannt und gelöst, die Körpersprache die eines Mannes, der sich nicht um die Welt scherte, die dort draußen auf ihn wartete. Das war ein Trugschluss, wusste Brad. Aya Fujimiyas Instinkte waren hervorragend und bei dem kleinsten Anzeichen von Unregelmäßigkeiten würde er aufwachen. Nicht so heute, hier, in seiner Gegenwart. Es schien, als würde die Muse in ihm den PSI erkennen, der neben ihm lag und darauf vertrauen, dass sie sich gegenseitig schützten. Brad war es recht, denn so konnte er den anderen Mann in Ruhe betrachten, der sich die letzten Tage im Kreis seiner Familie so stur geschlagen hatte. Wie so oft in solchen ruhigen Momenten glitten seine Gedanken zurück in die Vergangenheit und zu der Frage, wie es möglich gewesen war, dass er dem Mann nähergekommen war, der ihn entwürdigt und gedemütigt gesehen hatte und dem er selbst soviel angetan hatte. Es war ihm ein Rätsel, immer noch, auch wenn ihm Schuldig ungefragt versichert hatte, dass keine Taktik hinter dem Verhalten des Weiß lag. Aus einem unerfindlichen Grund hatte Aya den Kontakt zu ihm gesucht und er selbst war seiner Prämisse, etwas Festes haben zu wollen, treu geblieben. Brad bereute es nicht, ganz im Gegenteil, und das hatte zu einer Verbindung geführt, die nicht zuletzt auch dank Rosenkreuz enger und verbindlicher war als alles, was er bisher gehabt hatte. Er schätzte die Zeit mit dem anderen Mann, schätzte die gemeinsamen Momente, die sie miteinander verbrachten. Aya reizte ihn, er forderte ihn heraus. Sein Anführerstatus bedeutete nichts für Aya, seine Gabe ebenso wenig. Der schlafende Mann respektierte ihn für die Person, die er war. Das zu begreifen, war ein ungewohnter, aber notwendiger Lernprozess für Brad gewesen. Aya wurde unruhig neben ihm. Sein Körper zuckte und die gerade noch glatte Stirn runzelte sich. Wie so oft glitt er in einen Alptraum ab. „N…ein…Schuldig nicht…nicht sie…ich…nimm mich…“ Die gerade noch entspannten Hände ballten sich zu Fäusten und Aya wurde verzweifelter. „Ich…gewähre dir Zutritt…ich…nein…ich gewähre dir Zutritt…“ Dieser Traum kam öfter vor und Brad wusste genau, worum es sich dabei handelte. Der von ihm in Auftrag gegebene Durchbruch, damit Schuldig Aya besser kontrollieren konnte. Trotzdem sein Telepath die Erinnerungen daran gedämpft hatte, hatten sie sich bereits derart ins Unterbewusstsein des anderen Mannes gebrannt, dass sein Verstand versuchte, das erlebte Trauma zu verarbeiten. Aya erwähnte es nicht, wenn er wach war und Brad hatte das Thema bislang auch nicht angesprochen. Es war eine ihrer Erinnerungen, die sie beide umgingen um nicht das zu gefährden, was sie jetzt hatten. „Wach auf, Ran Fujimiya“, sagte Brad streng und versichernd, wie immer, wenn er den anderen Mann aus einem seiner Alpträume holte. Ihn zu berühren, war keine gute Idee, Worte jedoch halfen. „Wach auf, du hast einen Alptraum, es ist nicht real, was du siehst“, fuhr Brad fort, auch wenn er genau wusste, dass dem nicht so war. Es war durchaus real gewesen und er hatte es in Auftrag gegeben. Mit einem Ruck kam Aya zu sich und setzte sich auf, sich desorientiert und panisch an den Kopf greifend. Erst ein paar Sekunden später begriff er, dass es nur eine Erinnerung war, eingebettet in einen bösen Traum, die ihn heimgesucht hatte. Genervt stöhnte er auf und strich sich die Haare aus der Stirn. Brad beobachtete ihn dabei und wartete geduldig, bis Aya sich ihm zuwandte. Er wusste aus vergangenen Alpträumen, dass er dem anderen Mann Zeit geben musste, um die Traumbilder abzuschütteln. So auch heute. „Bist du schon lange wach?“, fragte er ohne Brad anzusehen mit dem zielsicheren Instinkt eines Soldaten für seine Umgebung. „Lange genug um dir beim Aufwachen zuzusehen.“ Aya schnaubte und hob den Blick. Die letzten Reste des Schreckens wichen aus ihnen, während er die rechte Augenbraue hob. „Und, wie war der Anblick.“ „Unschön.“ Aya runzelte die Stirn ob seiner offenen Worte und Brad holte mit Bedacht Luft. Es war an der Zeit, befand Brad. An der Zeit, darüber zu sprechen, was in den Stunden passiert war. „Ich habe Schuldig damals befohlen, sich Zugang zu dir zu sichern mit dem Mittel, das du vermeintlich auch bei mir angewandt hast. Ich wollte es, ich habe es abgesegnet. Ich habe es dir gegönnt, dass er dich derart unter Druck setzt und dass er deine Barrieren niederreißt.“ Die Stille, die nach seinen Worten einsetzte, war schwer und belastend. Brad hatte jede einzelne Sekunde davon verdient, befand er. Aya maß ihn, jeden Millimeter seines Gesichtes. Er zweifelte an den Worten und an der Bedeutung dessen, das sah Brad und er nickte grimmig. „Ich habe dich für etwas gehasst, was du nicht zu verantworten hattest.“ „Die versuchte Vergewaltigung“, murmelte der andere Mann und Brad nickte. „Exakt.“ „Du wurdest beeinflusst und warst nicht Herr deiner Sinne in dem Moment. Wochen später ist das bereits klar geworden, doch ich habe mich nie dafür entschuldigt, dir einer derart schändlichen Rache unterzogen zu haben.“ „Das hast du nicht“, stimmte Aya nach ein paar Momenten des Schweigens langsam zu. Er wusste immer noch nicht, worauf Brad hinauswollte und für den ersten Augenblick war das gut. Es machte ihn undurchschaubar, es machte ihn nicht vorhersehbar. Dann jedoch rief sich Brad ins Gedächtnis, wer hier neben ihm lag. Der Mann, an dessen Seite er seit Monaten schlief. Der Mann, dessen Nähe er ertrug und mehr als das. Der Mann, dessen Wesen sein Wesen herausforderte und komplettierte. Der Mann, dessen Gegenwart er nicht missen wollte. „Es war ein Fehler, der mir leid tut“, sagte Brad und es war nicht so schlimm, wie befürchtet. Die Worte brannten in ihm ohne Zweifel, doch das Brennen war heilsam und notwendig. Viel wichtiger war jedoch die Bedeutung, die seine Worte für den Mann hatten, der neben ihm saß und dessen Adamsapfel nun deutlich sichtbar hüpfte. Aya wusste nicht, was er dazu sagen sollte und wie immer in solchen Situationen übernahm zunächst Abyssinians kalte Ausdruckslosigkeit. Erst, als es für den Mann, der hinter dem Auftragsmörder lag, klar und sicher wurde, was von ihm gewollt war, erlaubte Aya sich Mimik und Gestik, er erlaubte sich Emotionen. In diesem Fall war es emotionale Ruhe, wie Brad erkannte. Die Schließung einer Wunde, die immer noch geblutet hatte. Aya lächelte und seine Finger suchten Brads. Er erwiderte nichts, weil es keine passenden Worte dafür gab. Es reichte Brad um zu wissen, dass seine Entschuldigung angekommen war und angenommen wurde. „Wie wäre es mit einem erneuten Besuch im Crawfordschen Onsen im Schnee?“, fragte Aya schließlich und Brad schnaubte amüsiert mit einem Hauch von Zustimmung. ~~~~~ Ende. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)