Die Werwölfe vom Weihnachtswald von KiraNear ================================================================================ Kapitel 3: Die Wölfe aus der Wandallee -------------------------------------- Die Tage vergingen, einer nach dem anderen, bis es endlich Samstag war. Ungeduldig hatten TKKG darauf gewartet. Sie wollten den Fall so schnell wie möglich lösen, um die restliche Vorweihnachtszeit genießen zu können. Tim hatte sich zwar Nacht für Nacht aus dem Adlernest geschlichen und in der Nähe des Weihnachtsstands auf die Lauer gelegt. Doch er hatte dabei leider keinen Erfolg vermelden können. Nur einmal war der Täter zurückgekehrt, um erneut zu randalieren. Da Tim unmöglich die komplette Nacht außerhalb des Internats verbringen konnte, musste die Tat in den frühen Morgenstunden passiert sein. Da das Internat derzeit keine Übernachtungen außerhalb erlaubte, hatte tim zu seinem Unmut nicht darauf zurückgreifen können. Drei lange Tage später hatte das Warten ein Ende, worüber die Vier mehr als glücklich waren. Jetzt würden sie nicht mehr auf einer Stelle treten. Dazu hatten die Vier den Bus genommen und waren damit durch die Millionenstadt gefahren, eine längere Weile, bis sie ihr Ziel erreicht haben. Ein weiterer Moment, in welchem Tim dankbar für die kostenlosen Fahrkarten war, zumal sie auch im gesamten Gebiet der Stadt wie auch dem näheren Umland gültig waren. Kaum hatten sie die Zielhaltestelle erreicht und an dieser den Bus verlassen, sahen sie sich nach Thomas um. Dieser hatte mit ihnen ausgemacht, sich dort mit ihnen zu treffen und sie in den Weihnachtswald zu führen. Auch hatte er versprochen, sich um die Tierohren zu kümmern und für TKKG zu organisieren. Doch an der Bushaltestelle befand sich niemand. Darum stellten sich die vier in das leere Bushaltehäuschen und warteten. „Willi, musst du denn jetzt wirklich eine Tafel Schokolade essen?“, fragte Tim leicht genervt, als er sah, dass sein bester Freund etwas aus seiner Jackentasche herausholte. Sich keiner Schuld bewusst, blickte Willi ihn an. „Natürlich, das Mittagessen ist ja auch schon fast zwei Stunden her, ich habe ein Loch im Magen, das gefüllt werden muss“, sagte Willi voller Überzeugung, öffnete die Tafel und nahm einen großen Bissen davon. Kopfschüttelnd wandte Tim sich ab und sah sich weiter um, er wollte Thomas nicht verpassen, falls dieser sich ihnen nähern sollte. Doch alles, war er zu sehen bekam, war ein türkisfarbener Wolf, der sich ihnen auf seinen Hinterläufen mit großen Schritten näherte. Tim dachte sich zuerst nichts dabei, es dauerte ein paar Sekunden, bis er realisierte, was er gesehen hatte. „Hey, Thomas, bist du das?“, rief er in die Richtung des sich nähernden Wolfes und dieser nickte ein wenig mit seinem großen Kopf. Gabi, Karl und Willi folgten Tims Blick und brauchten ebenfalls ein paar Sekunden, um den ungewohnten Anblick zu verarbeiten. Als es ihnen gelungen war, war Thomas bereits bei ihnen angekommen und nahm seinen Tierkopf wie einen Helm ab. „Schön, dass es funktioniert hat. Wie findet ihr meinen Fursuit?“, fragte er neugierig und TKKG sahen ihn sich genauer an. Es war ein türkisfarbenes Fell, hier und da ein paar dunklere oder hellere Stellen, dazu ein paar blau-grüne Streifen am Kopf und dunkelblaue Wolfsaugen. Zwar kannte Gabi sich damit nicht aus, aber ihr erster Blick verriet ihr, dass das Fell hier gut verarbeitet wurde. Auch sah es hochwertiger aus als das, was sie am Weihnachtsstand gefunden hatten. „Es sieht sehr schön aus, ungewohnt, aber gut verarbeitet. Das war garantiert ziemlich viel Arbeit“, lobte Gabi ihn schließlich und Thomas wurde ein wenig rosa im Gesicht. „Sieht man das? Danke schön. Besonders mit der Auswahl des Stoffs habe ich mir damals viel Mühe gegeben“, sagte er und blickte auf den restlichen Körper seines Fursuits herunter. „Du hast uns doch letztens erzählt, dass es nicht sehr günstig ist, sich so einen Anzug zu bauen? War das hier auch der Fall?“, wollte Karl von ihm wissen und Thomas begann nervös zu lächeln. „Ja, allein der Stoff hat sehr viel Geld gekostet. Qualität gibt es nun mal nicht in Billig. Wenn man nicht gerade als Anfänger seinen ersten Anzug zusammenbaut, dann achtet man schon auf die wichtigen Details. Man achtet auf die Verarbeitung und den Schnitt des Materials, wie man es pflegen kann und vieles mehr. Immerhin baut man sich einen Fursuit, damit er möglichst lange hält und nicht, damit er nach dem ersten Tragen schon auseinanderfliegt. Wäre auch nicht sonderlich umweltschonend. Dadurch kann es unter Umständen Jahre dauern, bis man einen kompletten Anzug hat, aber es lohnt sich.“ Staunend betrachtete Willi den Anzug, die Schokolade in seiner Hand hatte er längst wieder vergessen. Auch Tim musste zugeben, dass der Fursuit nicht schlecht aussah. Es war zwar nicht sein Interessensgebiet, dennoch gefiel ihm der Anzug. Sein Blick wanderte an Thomas‘ Wolfskörper auf und ab, bis ihm die kleine Plastiktüte auffiel, die dieser in seiner rechten Pfote hielt. „Oh, sind da drin unsere Ohren?“, wollte er von Thomas wissen und dieser blickte auf die Tüte, als hätte er sie für einen Moment vergessen. „Ja, natürlich, danke, dass du mich daran erinnerst“, sagte Thomas und reichte Tim die erwähnte Tüte. Darin befanden sich vier Tierohren zum Aufsetzen, solche, wie er sie zum Fasching kannte. Mit dem kleinen Unterschied, dass auch diese einen hochwertigeren Eindruck machten. Sofort holte Tim sie heraus und reichte drei davon seinen Freunden. Gabi bekam die rosa Hundeohren, Karl die blauen Hasenohren und Willi kleine grüne Bärchenohren. Er selbst setzte sich rote Katzenohren auf. Thomas musterte sie und blickte sie zufrieden an. „Sie stehen euch echt sehr gut. Meine Schwester hat sie mir geliehen, sie hat mir auch damals mit meinem Anzug geholfen. Wenn ihr möchtet, könnt ihr die Ohren gerne behalten. Wobei meine Schwester sich sicherlich über eine kleine Spende freuen würde, immerhin hat sie die Materialien und ihre Arbeitszeit zur Verfügung gestellt.“ TKKG, die sich bisher noch keinerlei Gedanken in die Richtung gemacht hatten, sahen sich an und behielten das Angebot im Hinterkopf. „Das wissen wir noch nicht, aber es ist schon mal gut zu wissen. Danke dir und natürlich sollte deine Schwester ein wenig finanziell entschädigt werden. Vorher wollen wir erstmal bei dir und deinen Freunden umsehen. Hinterher können wir uns immer noch dafür entscheiden, ob wir die Tierohren behalten wollen oder nicht“, schlug Tim vor und Thomas schien damit einverstanden zu sein. Sofort setzte er sich wieder seinen Kopf auf, das Kostüm war wieder vollständig.   Da sie nun bereit waren, sich mit dem Rest der Wölfe zu treffen, führte Thomas TKKG über die Straße und in den Wald hinein. Wirkten die Bäume auf den ersten Blick alle gleich und monoton, änderte sich das Bild innerhalb weniger Minuten. Während am Anfang ein Baum dem anderen glich, konnte man nun unterschiedliche Tannen in diversen Höhen und Grüntönen sehen. Zumindest, soweit der Schnee es zuließ. Es dauerte ein paar Minuten, bis sie schließlich durch den Wald hindurchgelaufen und an ihrem Ziel angekommen waren. Vor ihnen öffnete sich ein kleiner, aber feiner Marktplatz und TKKG konnten erkennen, warum er von dem anderen Weihnachtsmarkt abgelöst worden war: Dieser hier war viel kleiner, gerade einmal die Hälfte der Besucher hätte hier Platz gehabt. Doch dafür, dass die Häuser in dem Sinne seit Jahren nicht mehr benutzt worden waren, war ihr Zustand immer noch mehr als gut. Man sah ihnen zwar das Alter an, besonders dank der Bauweisen und der Muster, dennoch wirkten sie wie gerade erst frisch errichtet. Nicht nur die kleinen Hütten fielen in den Blick von TKKG, sondern auch die vielen bunten Fursuits, die sich hier und dort miteinander unterhielten. Beeindruckt sahen sie sich ein Kostüm nach dem anderen an, wussten gar nicht so recht, welches sie zuerst anschauen sollten. Weshalb Karl auch von jedem Kostüm, jeder Hütte und jeder anderen Besonderheit mehrere Fotos mit seinem Handy schoss. Thomas dagegen wusste ganz genau, was er suchte, er wurde auch schnell fündig. „Los, kommt mit, unser Anführer möchte euch natürlich auch einmal kennenlernen“, sagte Thomas und ging mit ihnen weiter über den Platz. Zwar blickte der eine oder andere Anzugträger zu ihnen hinüber, doch die meisten ignorierten sie und gingen ihren Tätigkeiten nach. Als sie schließlich vor der größten Hütte zum Stehen kamen, ließ Thomas sie an der Tür zurück und betrat das Häuschen als Einziger. Es dauerte ein paar Minuten, bis er wieder herauskam, doch er war nicht allein: Ein weißer Wolf mit mehreren farbigen Schwänzen kam mit ihm aus der Hütte heraus. Es wirkte, als würde er einen kleinen Regenbogen mit sich herumtragen. „Das sind also deine Freunde, die du zu uns gebracht hast, Bisbee Blue?“, fragte der Wolf und Thomas nickte ein wenig, auch wenn der Wolf es nicht sehen konnte. „Ja, wir alle gehen auf das gleiche Internat und wir sind eben auf das Thema zu sprechen gekommen, da dachte ich mir, ich nehme sie doch mal mit und zeige ihnen, was wir hier so machen, Buntschweif“, antwortete Thomas ihm. Sowohl sein Kostüm als auch das von Buntschweif lächelten, doch die Körpermimik des letzteren zeigte TKKG, dass er wohl über etwas nachzudenken schien. Dann ließ dieser seine Arme fallen und öffnete sie freundlich in die Richtung der Detektive. „Freut mich, euch in unseren kleinen Runde begrüßen zu dürfen. Mein Name ist Buntschweif. Wir haben nicht sehr oft Gäste in unseren Reihen, aber ihr seid bei uns stets willkommen. Wenn jemand von euch irgendwelche Fragen haben solltet, dann stellt sie mir, ich beantworte sie gerne. Das gilt auch für den Rest von uns“, sagte er freundlich und stemmte die Pfoten in die Gegend seiner Taille. Sie konnten zwar sein wahres Aussehen nicht erkennen, doch seine Stimme klang wie die eines Herren mittleren Alters. Etwas, was besonders Tim auffiel. „Ich habe tatsächlich eine Frage an Sie…“ „Du kannst mich duzen, hier spielen Alter und Rang keine Rolle. Hier sind wir alle nur ein paar Menschen, die ihrem Hobby nachgehen und sich darüber austauschen“, unterbrach ihn Buntschweif freundlich, aber auch bestimmt. Tim lächelte ein wenig, der Fremde war ihm jetzt schon sympathisch. „Gut, dann würde ich dich gerne etwas fragen, Buntschweif“, sagte Tim und legte sich seine nächsten Worte gut zurecht. „Ich bin ehrlich gesagt überrascht, ich dachte immer, dieses Hobby betreiben nur Menschen in meinem Alter. Aber sie klingen, ohne dass ich es jetzt böse meine, doch ein wenig älter.“ Buntschweif begann zu lachen und es dauerte ein paar Augenblicke, bis er sich wieder soweit gefangen hatte, dass er darauf etwas entgegen konnte. „Das überrascht mich nicht, viele Menschen vermuten das, aber ich nehme es ihnen nie böse. Wenn sie sich damit noch nie beschäftigt haben, dann liegt die Vermutung recht nahe. Zumal das Hobby erst in den letzten Jahren richtig bekannt geworden ist.“ Buntschweif nahm seine Pfoten von der Hüfte und ließ sie locker neben sich herunterhängen. „Um ein Furry zu sein, dafür gibt es kein Endalter oder ein Ablaufdatum. Es ist wie mit allen Interessen, solange sie einem nicht schaden, kann man sie ruhig bis in hohe Alter verfolgen. Man hat sonst nicht so viele Freuden im Leben…“ Er drehte sich ein Stück zur Seite und TKKG taten es ihm nach. Augenblicklich hatten sie den Großteil des Marktes im Überblick und damit auch die meisten der Kostümierten. „Aber ihr müsst wissen, dass das Hobby erst so richtig Sinn macht, sobald man sein erstes Geld verdient. Zumindest, wenn man als Furry auch einen Fursuit besitzen möchte. Da kommen gerne mal mehrere tausend Euro zusammen, die man in einen ordentlichen Anzug investiert, die kann man als Schüler nun einmal nicht aufbringen. Es ist auch kein Muss, es gibt auch viele Furrys, die ihre Fursonas lieber nur zeichnen oder von berühmten Künstlern in der Szene zeichnen lassen. Nur, weil man ein Furry ist, muss das nicht automatisch bedeuten, dass man auch einen Fursuit besitzt. Nicht jeder kann sich einen leisten und es gibt auch welche, die kein großer Fan davon sind. Doch das ist alles in Ordnung, am Ende teilen wir uns ein Hobby und da ist die Hauptsache. Alle machen das hier in ihrer Freizeit.“ Er witschte mit seiner rechten Pfote über den Platz und klang bei seinen Erzählungen ziemlich zufrieden. „Im normalen Leben sind die meisten von ihnen Studenten oder Arbeitnehmer, vom Teenager bis zum Erwachsenen wie mir sind hier unterschiedliche Altersgruppen und Stufen vertreten. Aber ich gebe es offen zu, ab einem gewissen Alter spricht man nicht mehr so offen darüber. Nicht, dass ich mich für mein Hobby schäme, ganz und gar nicht. Irgendwann definiert man sich nicht mehr rein über seine Hobbys und reibt es anderen nicht mehr zu sehr unter die Nase. Dafür sind die Menschen überrascht, wenn sie sehen, wer so alles unter einem Fursuit steckt.“ Die Vier sahen sich die Kostüme näher an, sie konnten zwar nicht alle Details sehen, dazu fehlten ihnen auch das nötige Hintergrundwissen. Dennoch waren sie in der Lage zu erkennen, dass derartige Kostüme nicht mal eben ein Werk von wenigen Stunden waren.   Sie wussten nicht so recht, wie sie das Thema anschneiden sollte, doch Willi schien dagegen etwas anderes zu beschäftigen. „Was ich aber nicht so ganz verstehe: Warum nennt ihr euch die Wölfe vom Weihnachtswald, wenn ich hier doch ganz eindeutig andere Tiere noch sehen kann? Ich meine, dort vorne läuft eine Katze herum. Und ein Panda! Vielleicht sogar ein Adler, wenn ich das richtig erkennen kann“, fügte Willi unsicher hinzu und Buntschweif begann erneut ein wenig zu lachen. „Nun, das liegt daran, dass wir zu den damaligen Gründungszeiten tatsächlich nur Wölfe waren. Fünf Freunde, und wir alle mochten Wölfe am liebsten. Leider sind nicht mehr alle von damals dabei, aber dafür haben sich andere Leute unserer Gruppe angeschlossen und hier ist jeder willkommen. Ob nun Wolf oder nicht, das macht keinen Unterschied. Schließlich hat sich der Name auch so fest in die Szene integriert. Wir könnten ihn auch gar nicht mehr ändern, selbst, wenn wir es wollten. Klärt das deine Frage?“, wollte er von Willi wissen und dieser nickte beeindruckt. Nun fand Tim wieder zu Wort, offenbar hatte er die Richtung gefunden, die er nun verbal ablaufen wollte. „Was genau macht ihr hier, wenn ihr euch trefft? Thom… ähm, ich meine, Bisbee Blue hat das bereits erwähnt, aber er ist dabei nicht sehr ins Detail gegangen“, fragte Tim ein wenig direkter nach. Doch das schien Buntschweif entweder nicht zu stören oder es war ihm nicht aufgefallen. „Die meiste Zeit verbringen wir hier und spielen die Rollen unserer Fursonas. Manchmal üben wir auch für das nächste LARP, sollte mal wieder eins anstehen. Entweder in unsern Fursuits oder, was häufiger der Fall ist, in unseren LARP-Kostümen. Hin und wieder müssen auch ein paar organisatorische Dinge erledigt werden. Bis dann alles geklärt und jede Meinung gehört wurde, vergehen oft mehrere Stunden, doch das ist wichtig. Jedes Mitglied hat die gleiche Wichtigkeit und jede Meinung sollte gehört werden. Heute werden wir noch ein paar Dinge klären, aber vorher wollten wir euch einen guten, ersten Eindruck vermitteln“, sagte Buntschweif freundlich und Tim hatte das Gefühl, dass dieser unter seinem Wolfskopf freundlich lächelte. Da tat es ihm fast schon ein wenig weh, als er aus seiner Jackentasche das kleine Stück Kunstfell herausholte und es Buntschweif präsentierte. „Um ehrlich zu sein, wir sind nicht nur hier, weil wir uns für Furrys interessieren. Wir hoffen, dass Sie… du uns dazu etwas sagen könntest“, sagte er und Buntschweif nahm die kleinen Tüte entgegen. Er betrachtete den Inhalt des Tütchens genauer, dann ließ er einen lauten Seufzer heraus. „Ich hätte mir denken können, dass ihr auf das Thema zu sprechen kommen werdet. Ihr habt doch sicherlich auch von den vielen Überfällen gehört, die irgendwelche Menschen in Fursuits auf die Besucher des Weihnachtsfest getan hatten, nicht wahr?“, fragte er und ließ seinen Wolfskopf sinken. Dann gab er Tim das kleine Stück Kunstfell zurück und schwieg. Starrte mit seinen falschen Augen auf den Boden und sagte nichts. „Es ist eine Schande. Fandoms, wie das unsere, haben lange, sehr lange gebraucht, um von der Mehrheit der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Dass wir nicht als merkwürdige Freaks mit fragwürdigen Absichten abgestempelt werden. Und nun das.“ Mit hängenden Schultern schüttelte Buntschweif sehr langsam seinen Wolfskopf. „Anscheinend sollen irgendwelche Menschen in Fursuits erst die Stände ruiniert haben, nun greifen sie seit mehreren Tagen hilflose Besucher an und rauben sie aus. Das ist nicht richtig. Wir haben uns dieses Ansehen hart erkämpft und mit derartigen Aktionen wird es in Stück gerissen. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass man uns merkwürdige bis verachtende Blicke zugeworfen hat, sobald jemand von unserem Hobby erfahren hat.“ TKKG sahen sich an, die verletzten Worte von Buntschweif hatten sie nicht erwartet. Sie hatten erwartet, dass er sich abfällig über ein abtrünniges, ehemaliges Mitglied aufregen würde, das dazu in der Lage gewesen wäre. Oder dass er alles abstreiten würde. Doch nichts davon war passiert. Stattdessen nahm es ihm sehr mit, dass jemand die Verkleidung mancher Furrys für sich nutzte, um die Polizei und die Bevölkerung auf eine falsche Spur zu locken. Dass es ihnen auch mit TKKG gelungen war, beschämte sie zutiefst. „Jetzt verstehe ich auch, warum das Fell abgeschnitten worden war. Es war dort nicht durch einen Unfall verloren gegangen, sondern dort absichtlich platziert worden. Möglicherweise war es nicht das einzige Mal, dass das passiert ist. Ich kann dein Gesicht zwar nicht sehen, aber ich höre es heraus, dass deine Worte mehr als ehrlich gemeint sind. Menschen können sich verstellen, aber derartige Emotionen vorspielen, nein, das gelingt den meisten nicht. Wir wollen nicht nur den Fall lösen, sondern euch auch helfen, wieder ein besseres Bild in der Gesellschaft zu bekommen. Können wir auf eure Mithilfe zählen?“, fragte Tim und versuchte so versöhnlich zu klingen, wie es ihm möglich war. Buntschweif hob seinen Blick wieder. „Fall? Seit ihr denn etwa diese Detektiv-Teenagergruppe, von der ich schon mal in der Zeitung gelesen habe? Die, die schon so viele Fälle gelöst haben?“, wollte er nun von den Vieren wissen. Diese grinsten ihn stolz an. „Ja, doch, es waren bisher ziemlich viele Fälle, 220, um genau zu sein. Und auch ohne angeben zu wollen“, sagte Willi und erntete dafür ein paar scharfe Blicke seiner Freunde. Sie hielten es nicht für den richtigen Moment, um mit irgendwelchen Zahlen herumzuprahlen. Von Buntschweif kam ein beindrucktes, kurzes Pfeifen. „Wow, dann seid ihr ja schon richtige Kriminalexperten. Natürlich werden wir euch helfen, immerhin hängen wir in der ganzen Sache drin, obwohl wir an sich überhaupt nichts damit zu tun haben.“ Tim sah zuerst seine Freunde an, dann wieder die beiden Wölfe vor sich. „Gut, dann werden wir unser Bestes geben und den Fall lösen, damit der gute Ruf der Furrys wiederhergestellt werden kann. Es wäre für den Anfang schon mal hilfreich, wenn du uns etwas zu dem Fell sagen könntest“, meinte Tim und reichte ihm es ein weiteres Mal. Doch Buntschweif nahm es nicht an. „Gerne doch, gerne. Nun, ich kann dir sagen, dass keiner unserer Mitglieder ein derartiges billiges Kunstfell benutzen würde. Wir alle haben mehr oder weniger die gleichen Quellen, und wir achten alle darauf, dass ein Mindestmaß an guter Qualität in den Produkten steckt. Doch das hier, das ist nicht sonderlich hochwertig. Das sieht man schon an der ungleichen Färbung des Fells und auch, wie glatt es abgeschnitten worden ist. Nein, niemand, der tausende von Euros in sein Hobby investiert, würde auf ein solches Fell zurückgreifen oder es gar so behandeln. Daher kann ich sicher sagen, dass es niemand aus unserer Gruppe ist. Weder von den aktiven Mitgliedern noch von den ehemaligen.“ Willi sah ihn nun fragend an. „Es könnte doch sein, dass sich jemand einen zweiten Anzug besorgt hat, beziehungsweise mehrere, und diese damit dann ihr Unwesen treiben“, sagte Willi, doch das brachte Buntschweif nur dazu, heftig den Kopf zu schütteln. „Um Himmelswillen, allein ein Fursuit ist schon sehr teuer. Wie bereits erwähnt, kostet ein kompletter Anzug mehrere tausend Euro. So gut wie alle hier finanzieren ihr Hobby über das Gehalt, dass sie in ihrer Arbeit verdienen. Dazu noch die ganzen Veranstaltungen, die wir gemeinsam besuchen. Nein, da hätten wir definitiv nicht das Geld für einen zweiten Anzug, wozu auch, wir haben doch bereits einen, den wir immer tragen. Viele von uns haben auch ein Larp-Outfit, das deckt ebenfalls genug an Kosten. Und mit den ehemaligen Mitgliedern haben wir nach wie vor ein gutes Verhältnis.“ Wieder schüttelte Buntschweif seinen Kopf, dieses Mal jedoch deutlich hektischer. „Ich würde meine Pfote für jeden einzelnen hier ins Feuer legen, das kannst du mir glauben.“ Er lachte ein wenig höhnisch auf und Tim war sich sicher, dass sein Blick kurzzeitig dem Kunstfell galt. „Außerdem würde es unser Hobby verhöhnen, sollten wir auf solche billigen Arbeitsmaterialien zurückgreifen. Lieber verzichten wir dann, einen zweiten Anzug zu besitzen, als derartig schlechte Qualität zu verarbeiten.“   Beeindruckt hatten TKKG zugehört, auch wenn sie nun mit ihren Ermittlungen nicht weitergekommen waren. Sie hatten keine Verdächtigen mehr und jemanden ohne Beweise unter Generalverdacht zu stellen, das wollten sie nicht mehr tun. Dazu hatten sie viel zu sehr von ihren vergangenen Fällen dazugelernt, aus Fehlern in der Vergangenheit. Dennoch gaben sie nicht auf und dachten darüber nach, insbesondere Tim. Dann kam ihm eine Idee. Wenn er hier, bei den Wölfen selbst, nicht fündig werden würde, dann musste es wohl jemanden geben, der ihnen absichtlich schaden würde. Doch wer konnte das sein? Und warum? Das galt es nun für Tim herauszufinden. „Sag mal, Buntschweif … gibt es irgendwelche Feinde oder Menschen, die euch etwas Böses wollen? Wenn es schon keine ehemaligen Mitglieder sind, wie du vermutest, gibt es dann vielleicht jemand anderen, der dafür in Frage kommen würde?“ Buntschweif sah zu Thomas hinüber, dann wieder zu Boden. Erneut seufzte Buntschweif laut vor sich hin. Offenbar hatte Tim, ohne es zu wissen, mit seiner Frage in ein Wespennest gestochen. „Es gibt jemanden, den wir im Verdacht haben, aber wir haben keine Beweise dafür und ohne das können wir keine Anschuldigungen machen. Es wäre nur heiße Luft“, sagte er entmutigt, doch davon ließ sich Tim nicht aufhalten. „Wer ist es denn? Und was sind die Beweggründe der Person?“, hakte tim nun nach. Buntschweif seufzte ein weiteres Mal. „Wie gesagt, wir haben keine Beweise dafür, aber diese Leute sind die ersten, die mir dazu einfallen würden“, sagte er und hob seine Pfote. Tim stellte sich vor, dass Buntschweif seine echte Faust darunter ballte. „Wir halten die Immobilienhaie der Firma Häuserglück und Wohnfreude für die wahren Täter. So freundlich, wie der Name klingt, sind die drei Herren die dort arbeiten, absolut nicht. Sie kamen oft hier her, auch, wenn wir unser Treffen hier hatten und eigentlich nicht gestört werden wollten. Doch das war ihnen egal. Sie wurden dann auch gerne mal ausfallen oder gar beleidigend, obwohl wir ihnen nichts getan haben. Wir vermuten, sie haben Interesse an diesem Grundstück hier. Sie haben sich hier oft umgesehen und irgendwelche Dinge gemurmelt, was man hier alles bauen könnte, was hier gut laufen würde – solche Dinge eben.“ Buntschweif trat auf der Stelle und überlegte ein wenig, bevor er weiterredete. „Aber noch gehört das Gebiet der Stadt und ich denke nicht, dass sie so schnell vorhaben, das Grundstück und den Wald zu verkaufen. Zumal wir auch erst vor kurzem den Nutzungsvertrag mit der Stadt verlängert haben… allerdings, wenn das mit den Überfällen und dem Vandalismus so weitergeht, wer weiß, ob die Stadt den Vertrag dann nicht doch noch zurückziehen wird. Wir sind diejenigen, die das Gebiet mit Abstand am meisten nutzen. Wenn wir nicht mehr hier sind, das würde den Immobilienhaien nur entgegenkommen“, murmelte Buntschweif und ließ die Schultern hängen. Tim sah nun wieder seine Freunde an, was sie nun als nächstes tun würden, war für jeden von ihnen sonnenklar. „Vielen Dank, Buntschweif, das war für uns mehr als hilfreich. Ich denke, meine Freunde und ich werden uns in den nächsten Tagen ermittlungstechnisch bei dieser Immobilienfirma umsehen“, sagte er. Was er eigentlich damit meinte, war, dass er und seine Freunde sich so schnell wie möglich zu der Firma aufmachen würden, um so viele Informationen wie möglich zu erhalten. Doch das sollte Buntschweif nicht wissen, zumindest jetzt noch nicht. „Sehr gerne, damit würdet ihr uns helfen. Sie haben ihren Sitz in der Wandallee, das ist gar nicht so weit weg von hier.“ Mit der linken Pfote deutete Buntschweif in die Ferne. „Wir können uns dort allerdings nicht blicken lassen, da uns die Kerle sowohl im Fursuit, also auch unsere zivilen Gesichter mehrmals gesehen haben. Wer weiß, was die sich alles einfallen lassen würden, würden sie auch nur einen von uns dort sehen. Das können wir nicht riskieren.“ Er streckte Tim seine Pfote entgegen und dieser nahm sie an. Sie schüttelten sie ein wenig, bevor sie wieder voneinander ließen. „Das machen wir doch gerne. Und jetzt möchten wir euch gar nicht mehr so lange aufhalten. Vielen Dank für die Gastfreundschaft. Wenn wir noch irgendwelche Fragen haben, werden wir uns wieder an Thomas wenden, wenn das in Ordnung ist“, sagte Tim und Buntschweif nickte ein wenig. „Sehr gerne doch und viel Erfolg, meine Freunde, die vier schlauen Detektive“, sagte er und winkte zum Abschied. Er wollte sich bereits von ihnen abwenden, als Karl einen Schritt auf ihn zuging. Nervös hatte er seine Brille in die Hand genommen und sah den bunten Wolf mehr als neugierig an. „Eine Frage hätte ich allerdings noch. Du hast vorhin erwähnt, dass ihr auch auf Veranstaltungen geht, sowohl welche für Furrys, aber auch für welche für Larper. Welche genau sind das, wenn ich fragen darf?“, sagte Karl und klang auch so nervös, wie er seine Brille putzte. Buntschweif drehte sich zu ihm um und auch wenn man weiterhin seinen Gesichtsausdruck nicht sehen konnte, so war er wohl erfreut, dass sich jemand dafür interessierte. Zumindest verriet es die aufgeregte Tonlage, in welcher er antwortete. „Nun, wir waren 2019 auf dem Furvester in Reutlingen, 2020 auf dem Fursang in Budapest und im gleichen Jahr noch auf der NordicFuzzCon in Malmö“, beantwortete er Karls Frage, während dieser eilig etwas in seinem Handy notierte. „Das sind jetzt alles Furry Cons, oder? Das ist teilweise ziemlich weit weg“, sagte er erstaunt und Buntschweif nickte. „Ja, das ist auch ein weiterer Grund, weshalb ich nicht vermute, dass jemand von uns sein Geld für einen billigen Fursuit rauswirft. Immerhin kosten die Reisen zu den Conventions und das alles drumherum auch ziemlich viel Geld. Die meisten LARPS, die wir dagegen besuchen, sind viel günstiger und auch näher. Da hätten wir, um mal ein paar Namen zu nennen, die Mythodea in Nienburg, das Drachenfest in Diemelstadt oder auch das Wallenstein-Lagerleben in Memmingen.“ „Zumindest ist das natürlich nur ein Teil davon, wir gehen auch noch auf viele andere Veranstaltungen“, meldete Thomas sich wieder zu Wort. „Doch das sind die Veranstaltungen, die wir jedes Jahr besuchen und es ist immer wieder eine Freude.“ Karl, der sich die ganze Zeit über Notizen gemacht hatte, steckte nun sein Handy wieder weg. „Vielen Dank, das war wirklich sehr hilf- und ausschlussreich. Dann werde ich mich nun ebenfalls von euch verabschieden und wünsche euch noch einen schönen Abend.“ „Einen schönen Abend“, schlossen seine Freunde sich Karl an und nachdem alle sich gegenseitig zum Abschied zugewunken hatten, verließen TKKG die Wölfe und den Weihnachtswald. Kaum waren sie wieder am Waldesrand angekommen und hatten die Tierohren in Karls Rucksack verstaut, sah Tim den Computer fragend an. „Warum wolltest du das mit den Veranstaltungen wissen, hast du etwa eine Spur, von der wir nichts wissen?“, fragte Tim, doch Karl blockte die Frage ab. „Nicht jetzt, Häuptling“, sagte dieser lediglich und blickte stattdessen zur Bushaltestelle hinüber. „Lass uns lieber erstmal zu den Immobilienhaien in der Wandallee fahren, und versuchen, dort etwas herauszufinden. Es ist noch nicht so spät, vielleicht können wir ja noch etwas erfahren. Soweit ich weiß, gehört die gleichnamige Haltestelle zur gleichen Linie, mit der wir vorhin gefahren sind“, sagte Karl und erhöhte sein Tempo, an welches sich die anderen anschlossen. „Ich werde es dir später erklären, wenn wir mehr Zeit haben“, meinte Karl abschließend dazu. Ehe Tim etwas darauf erwidern konnte, sah er, dass der nächste Bus bereits auf dem Weg zu ihnen war. Dass Karl die ganze Zeit ein wenig rot im Gesicht war, fiel zu seinem Glück keinem der drei Freunde auf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)