Abyss von lunalinn ================================================================================ Kapitel 12: Family ------------------ Es ist die schlimmste Situation, die sich Enji hätte vorstellen können. Seit Monaten wünscht er sich, seine Kinder würden den Kontakt zu ihm suchen. Wenigstens mal eine Nachricht schreiben, anstatt ihn bei Whatsapp zu blockieren. Lediglich von Fuyumi hat er hin und wieder die ein oder andere knappe Nachricht erhalten. Er versteht, dass sie unter dem, was passiert ist, leiden und dass sie ihm die Schuld dafür geben. Es ist in Ordnung, weil sie damit Recht haben. Dennoch sind sie seine Kinder und auch, wenn es zwischen ihnen nie wirklich einfach gewesen ist, will Enji wieder eine Beziehung zu ihnen aufbauen. Er hat schon ein Kind für immer verloren. Die anderen Drei sind noch am Leben – und ausgerechnet jetzt stehen sie in der Tür. Wenigstens hat er selbst sich etwas übergezogen, doch Hawks…verdammt, warum ausgerechnet jetzt?! Warum kein anderer, gottverdammter Morgen?! Für ein paar Sekunden fühlt er sich wie gelähmt, ihm wird heiß und kalt und anhand der Gesichter seiner Kinder erkennt er, dass sich diese ähnlich fühlen müssen. Wie soll Enji ihnen das hier erklären? Es ist nicht das, wonach es aussieht? Dabei ist es genau das…und Enji schämt sich in diesem Moment so unglaublich, dass es ihm die Stimme raubt. „Ich…geh mir mal was…eh…anziehen“, kommt es zögernd von Hawks, ehe er sich verlegen lächelnd den Nacken reibt. „Ihr kommt am besten erstmal rein, oder?“ Enji möchte ihn am liebsten anbrüllen, dass er verschwinden soll. Warum hat er überhaupt die Tür geöffnet? Vielleicht hätte er sich noch herausreden können, wenn er das nicht getan hätte. Möglicherweise hätte es dann eine Chance gegeben, dass das hier keine völlige Katastrophe wird. Dafür ist es nun zu spät. Er würdigt Hawks keines Blickes, als dieser an ihm vorbei in Richtung Schlafzimmer geht, sie im Flur allein lässt. Drei Augenpaare starren ihn immer noch mit so unterschiedlichen Emotionen an, dass er keine Ahnung hat, wie er reagieren soll. Was er sagen soll. Natürlich ist es Natsuo, der sich zuerst aus der Starre löst und ihn mit unverhohlener Wut anfunkelt. „Ich habe Nee-san gleich gesagt, dass das hier eine beschissene Idee ist“, zischt dieser und ballt die Fäuste an seinen Seiten. „Ich wusste, dass es ein Fehler sein würde, hierher zu kommen und…zu glauben, dass du dich auch nur ein bisschen für jemand anderen außer dir selbst interessierst!“ „Natsu…“ „Nein! Verteidige ihn nicht! Okaa-san ist immer noch in Therapie, weil sie es nicht verarbeiten kann. Und ich höre dich nachts weinen, Nee-san. Uns allen geht es beschissen und er…er…ich kann’s nicht mal aussprechen! Hast du überhaupt keinen Anstand, verdammt?!“ Enji spürt, wie ihm heiß und kalt wird. Wie seine Hände zu zittern beginnen, weshalb er sie ebenfalls zu Fäusten ballt, um nicht die Kontrolle zu verlieren. Da ist sie wieder, die verhasste Machtlosigkeit, gegen die er nicht ankommt. Weil nichts, was er sagen könnte, seinen Kindern begreiflich machen kann, wieso Hawks und er… „Es…“, entkommt es ihm gepresst. „Es ist nicht…“ Gerade das ist es doch, was er nicht sagen wollte. Er will ihnen nur sagen, dass er nicht aufgehört hat, an seine Familie zu denken. Dass er nicht einfach weitermacht, als wäre nichts gewesen. Dass es ihm nicht egal ist…doch er weiß, dass sie ihm nicht glauben werden. „Was ist es nicht?! Hast du keine Affäre mit einem Kerl, der dein Sohn sein könnte?! Wer ist der Kerl überhaupt?! Wieso stehst du plötzlich auf…ich meine…was…was stimmt nicht mit dir?! Das ist einfach nur…“ Enji merkt, wie seine Sicht zu flimmern beginnt, wie immer, wenn sich eine Panikattacke bemerkbar macht. Nein. Diesmal nicht. Er darf jetzt nicht die Kontrolle verlieren. Er muss sich beruhigen. Einatmen, ausatmen. „…du machst dir hier ein schönes Leben mit deinem jungen Lover und scherst dich einen Dreck um uns, du-“ „Das ist nicht wahr!!“, entfährt es ihm ungewollt aggressiv und er schlägt mit der Faust gegen die Wand des Flurs. Fuyumi zuckt merklich zusammen, während Shouto zur Seite blickt und Natsuo die Augen verengt. „Wirst du jetzt wieder laut? Ist ja mal was ganz Neues…“ Enji will den Anschuldigungen etwas entgegenbringen, aber sie entsprechen der Wahrheit. Er wird laut, wenn er nicht mehr weiter weiß. Die Erkenntnis, dass es ein Zeichen von Schwäche ist, kann daran nicht viel ändern. „Wir sind eigentlich hergekommen, um uns…auszusprechen“, hört er Fuyumi leise sagen. „Was passiert ist, ist schrecklich genug. Ich dachte, es würde uns allen gut tun, darüber zu reden. Wir…dachten nicht, dass du…Besuch haben könntest. Nicht…solchen Besuch.“ Solchen Besuch. Was sie denken, ist nicht richtig. Oder es ist genau richtig. Er ist nicht sicher, aber sie sorgen dafür, dass er sich wieder wie ein mieses Arschloch fühlt. Hawks hat gemeint, dass seine Selbstgeißelung nichts bringt – gerade wünscht er sich, er hätte niemals auf ihn gehört. Ihn niemals in sein Leben gelassen, wenn das dabei herauskommt. „Lass gut sein, Nee-san. Es ist ihm scheißegal, dass wir hier s-“ „Hör auf, das zu behaupten, Natsuo“, knurrt Enji, weil er die Anschuldigungen nicht länger erträgt. Sie stehen immer noch im Flur, scheinen nicht sicher zu sein, ob sie nicht doch direkt wieder gehen sollen. Shouto hat wenigstens die Tür geschlossen, sodass die Nachbarn hoffentlich nichts mitbekommen haben. „Es ist mir nicht egal. Ihr seid mir nicht egal und…eure Mutter oder…Touya sind mir auch nicht egal.“ „Ja. Klar. Merkt man richtig“, ätzt Natuso und Enji packt erneut die Wut. „Was erwartest du von mir?!“, fährt er ihn an. „Ich bin gegangen, um es für euch alle einfacher zu machen! Ich…habe euch in Ruhe gelassen und mich isoliert, um euch Zeit zu geben. Uns allen…aber ewig geht das nicht. Nicht, ohne verrückt zu werden.“ Es ist mehr, als er preisgeben wollte, denn er will sich nicht in den Vordergrund stellen. Er will nur, dass sie es verstehen, was sie aber wohl nicht tun. Vermutlich kann er das auch nicht verlangen. „Ach, jetzt bist du das Opfer in der Geschichte, ja? Wenn du dich einmal im Leben nicht nur um dich gekümmert hättest, dann wäre es mit Touya nie so weit gekommen! Aber das ist typisch für dich! Du hast dich nicht um ihn geschert und auch jetzt…bist du dir selbst am wichtigsten. Ich meine, hast du auch nur einmal an Okaa-san gedacht?!“ „…oft“, würgt er hervor und es ist die Wahrheit. „An euch alle. Ständig.“ Er sieht, wie befangen Fuyumi und auch Shouto sind. Sie können ihn kaum ansehen. Er weiß, wie das hier wirkt. Doch so ist es nicht. „Ich weiß nicht, wie du einfach so weitermachen kannst“, bricht Shouto diesmal die Stille und auch wenn er ruhig klingt, muss er aufgewühlt sein. „Nimmt es dich nicht mit, was geschehen ist? Ich sehe ständig sein Gesicht vor mir…höre seine Schreie…“ Enji spürt, wie sich ihm der Hals zuschnürt, und die Narbe in seinem Gesicht beginnt zu pochen. Shoutos Narbe, die der seinen so ähnlich ist, macht es noch schlimmer. Die Erinnerung. Auch Enji sieht es. Hört es. So oft hat er sich in den Alkohol geflüchtet, um es erträglicher zu machen. Viel zu oft hat er sich gefragt, wie er damit weiterleben soll. „Okaa-san musste eingewiesen werden, weil sie es nicht ertragen hat…und du…es ist, als würde es dich gar nicht…beeinflussen.“ Es ist das, was sie sehen. Was sie meinen zu wissen. Sie haben keine Ahnung, wie oft er daran gedacht hat, seinem Leben ein Ende zu setzen. Doch das würde nur noch mehr von seiner Schwäche zeugen. Er will Verantwortung tragen, obwohl er es ebenfalls noch nicht überwunden hat. Er weiß nicht, wie er es jemals überwinden soll. Wie soll er ihnen das begreiflich machen? „Wundert dich das wirklich, Shouto? Touya-nii hatte Probleme. Wir alle wussten, dass er Probleme hatte. Und du als sein Vater hast ihn einfach aufgegeben. Du hast ihm das Gefühl gegeben, dass er nichts wert ist, und ihn dahingetrieben! Weil dir deine beschissene Firma und dein Ansehen so viel mehr wert waren als unser Bruder!“ „Natsu! Hör auf! Es…es bringt doch nichts, sich zu beschuldigen!“, kommt es von Fuyumi, doch Enji hört es kaum. Da ist ein Rauschen in seinen Ohren, das ihn nahezu lähmt. Die Schuldgefühle in seinem Inneren sind so stark, dass er kaum noch Luft bekommt. Er sieht Touyas wahnsinnigen Blick vor sich, das irre Grinsen in seinem Gesicht. Der Geruch nach Verbranntem scheint überall zu sein…und er wünscht sich, er könnte sich wie sonst immer betäuben. „Also, ich will ja wirklich in nichts reinplatzen oder mich einmischen, aber…vielleicht setzt ihr euch alle mal ins Wohnzimmer und atmet tief durch?“ Sie alle wenden sich Hawks zu, der dort steht und sich mittlerweile etwas angezogen hat. Kann er nicht den Anstand haben, einfach zu verschwinden? Er macht es nur schlimmer. Und ja, er weiß, wie schäbig seine Gedanken sind, doch er muss sich auf irgendetwas fokussieren. Hawks blickt ungewohnt ernst drein, auch wenn sein Ton locker und unbeschwert klingt. Ist er sich nicht bewusst, dass seine bloße Anwesenheit das Feuer noch mehr schürt? „Weiß dein neuer Freund eigentlich, dass du verheiratet bist?“, knurrt Natsuo und sieht dabei Hawks an. „Oder was für ein beschissener Vater du bist?!“ „Das Erste haben wir schon geklärt und was das Zweite angeht, das kann ich mir denken, wenn ich euch so höre. Ihr seid ganz schön laut“, kommt es ruhig von dem Blonden zurück. „Wie gesagt, ich will mich gar nicht einmischen – steht mir gar nicht zu –, aber euer alter Herr hier denkt ziemlich oft an euch. Und was immer bei euch auch passiert ist, es geht ihm richtig mies desw-“ „Hawks. Es reicht“, knirscht Enji, woraufhin der Jüngere verstummt. Er sieht ihn mit einem undefinierbaren Blick an, ehe er mit den Schultern zuckt. „Ja genau, schnauz ihn auch noch an!“, kommt es wieder von Natsuo. „Du nutzt ihn doch sowieso nur für deine-“ „Oi! Ich werde hier für gar nichts ausgenutzt! Ich bin erwachsen und ich-“ Weiter kommt er nicht, weil Enji ein paar Schritte auf ihn zumacht und ihn grob am Arm packt. „Das diskutieren wir hier nicht weiter. Geh jetzt.“ „Ich…“ „Hawks.“ Er sieht den Unwillen in den bernsteinfarbenen Augen, doch immerhin widerspricht er nicht. Enji fällt erst auf, wie fest er zugepackt hat, als Hawks seinen Arm ruppig wegzieht und ihn dabei anfunkelt. Er macht jedoch keine Anstalten zu gehen. „Du machst es nur schlimmer“, zischt Enji, woraufhin der Jüngere schnaubt. „Schon gut“, erwidert er schließlich. „Aber du rufst mich nachher an.“ Enji begreift erst in diesem Moment, dass sich Hawks um ihn sorgt und sich deswegen so stur verhält. Er kommt sich direkt noch mehr wie ein Stück Scheiße vor, doch er kann sich jetzt nicht dafür entschuldigen. Erstmal muss er das hier irgendwie geradebiegen. „Geh“, wiederholt er sich und Hawks wendet sich mit einem letzten eindringlichen Blick ab. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fällt, ist es erneut still. „Ich kann das hier einfach nicht!“, entkommt es Natuso dann und er schüttelt den Kopf. „Ich…wollte es wirklich versuchen, Nee-san, aber das…ist einfach zu viel! Tut mir leid, aber ich bin fertig mit dem da!“ Es überrascht Enji nicht, auch wenn es nicht dafür sorgt, dass es weniger schmerzhaft ist. Er sieht wie betäubt zu, als Natuso herumfährt und aus der Tür verschwindet, während seine anderen beiden Kinder immer noch im Flur stehen. Er will sie bitten, ihm zuzuhören. Sich zu erklären. Er bringt es nicht über sich. Als er die Tränen in Fuyumis Augen sieht, fühlt er sich noch viel furchtbarer. Nichts, was er sagen könnte, wäre tröstlich für sie; und Shouto…blickt ihn immer noch nicht an. Er weiß nicht, ob es Befangenheit oder Verachtung ist. Vielleicht auch beides. „Es ist…für uns alle sehr schwer“, hört er Fuyumi mit erstickter Stimme sagen. „Zu wissen, dass er nicht…nicht wieder…dass er uns beinahe…“ Enji weiß, was sie sagen will. Auch sie muss Groll gegen ihn fühlen und dennoch ist sie mit den anderen beiden hergekommen. Ein Funken Hoffnung für ihre Familie…und Enji hat ihn zerstört. „Natsu leidet sehr darunter, dass er selbst ihn nicht aufgehalten hat, und ich…ich mache mir dieselben Vorwürfe“, spricht sie zittrig weiter. „Okaa-san ebenso und…Shouto…“ Sie sieht kurz zu ihrem jüngsten Bruder, der dabei merklich schluckt. Nein, es ist ihm nicht egal. Er versucht nur, sich zu beherrschen. Jene Nacht, in der Touya…es hängt ihnen allen nach. „Ich verstehe es nicht. Ich verstehe nicht, warum du mit diesem jungen Mann…ich denke, wir brauchen vielleicht noch mehr Zeit. Um zu verarbeiten, was passiert ist und…ich…ich denke, wir sollten jetzt auch gehen…“ Enji weiß, dass er etwas sagen muss. Er kann sie nicht einfach so gehen lassen wie Natsuo. „Jeden Tag…es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an euren Bruder oder euch denke“, würgt er hervor. „Es…ist auch für mich schwer. Ich…wollte einfach nur…ich wollte…“ „Wir haben verstanden, was du willst“, unterbricht Shouto ihn zwar ruhig, doch sein Ausdruck ist nicht so monoton wie sonst. „Wie Nee-san sagt, es ist…besser, wenn wir jetzt gehen und…vielleicht muss mehr Zeit vergehen.“ Enji wird heiß und kalt, doch er kann sie nicht aufhalten. Er will etwas sagen, doch es kommt kein Ton heraus. Nein, das darf nicht so stehen bleiben, wenn sie ihn schon von sich aus besucht haben. Wie gelähmt sieht er ihnen nach, hört Fuyumis leise Worte des Abschieds…und dann fällt die Tür ein drittes Mal zu und Enji ist wieder allein. Diesmal ganz allein. Das Blut rauscht in seinen Ohren, während er dort steht und die Welt sich zu drehen beginnt. Er taumelt, versucht, sich an der Wand festzuhalten. Es ist falsch gewesen. Das mit Hawks. Er hat es von Anfang an gewusst und nur, weil er sich darauf eingelassen hat, ist es nun endgültig vorbei. Seine Kinder werden ihn nicht wiedersehen wollen. Sie haben sich abgewandt. Diesmal für immer. Zu früh? Nein. Er hätte eine Chance gehabt, wenn er nur etwas länger durchgehalten hätte…aber er hat sich für sich entschieden. Wie er sich immer nur für sich entschieden hat. Zornige Verzweiflung steigt in ihm auf und er fegt eine der Vasen vom Schrank. Es klirrt laut, doch die Scherben kümmern ihn nicht. Sein ganzes verdammtes Leben besteht aus Scherben. Sein Herz rast wieder, das Piepen in seinen Ohren kehrt zurück und er weiß nicht, wohin mit seinen Gefühlen. Er ist allein damit. Wie so oft. Schwer atmend geht er zum Küchenschrank, reißt die Whiskeyflasche heraus und setzt diese an. Es brennt in Hals und Magen, doch es ist nicht genug. Egal, wie viel er davon trinkt, es ist nicht genug. Selbsthass steigt in ihm auf und bringt ihn dazu, die Flasche gegen die Wand zu schmettern. Gelbbraune Flecken zeichnen sich an der Tapete ab, doch es ist ihm egal. Alles ist egal. Er drückt sich die Handfläche ins Gesicht, atmet heftig und sinkt nach hinten gegen die Küchenzeile. Seine Augen brennen und das Zittern übernimmt seinen ganzen Körper, sodass er keinen klaren Gedanken fassen kann. Obwohl es unheimlich laut ist, nimmt er das schrille Klingeln der Schelle zunächst gar nicht wahr. Es dringt nur sehr langsam durch das Rauschen in seinen Ohren, bis er es nicht mehr überhören kann. Jemand steht an der Tür. Er hört es zusätzlich klopfen. Immer wieder. Was zum…? Durch das Poltern vermutet er, dass es Natsuo ist, der vielleicht wegen Fuyumi zurückgekommen ist. Um ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen, dass er sie zum Weinen gebracht hat. Um ihm noch einmal zu sagen, dass er fertig mit ihm ist. Oder jemand aus der Nachbarschaft hat den Krach gehört und will sich darüber beschweren. Enji bewegt sich für ein paar Sekunden nicht von der Stelle, lauscht dem Klingeln und Klopfen, während sein Puls noch immer rast. Als er doch noch zur Tür geht, weil es nicht aufhört, hat er die Scherben im Flur vergessen – und tritt in eine von ihnen. Er zischt, als er den Schmerz wahrnimmt, doch er bleibt nicht stehen. Es ist nur eine kleine Scherbe und daher auszuhalten. Er wird das später wegmachen, wenn er- Als er die Tür öffnet und in Hawks‘ Gesicht sieht, überkommen ihn mehrere Emotionen. Die Erste, die greifbar ist, ist die Wut. „Was hast du an geh nicht verstanden?!“, faucht er ihn an und baut sich vor ihm auf. Hawks mustert ihn einmal von oben bis unten, wobei er keine Miene verzieht, ehe er seinen Blick erwidert. „Jaah“, meint er dann gedehnt. „Ich wollte erst gehen, aber ehrlich? Du machst nicht den Eindruck, als könntest du jetzt allein sein.“ Und mit diesen Worten taucht er unter seinem Arm hindurch und geht einfach hinein, wobei er offenbar die Scherben bemerkt und diese umgeht. „Ich hab gewartet und gesehen, dass deine Kinder gegangen sind. Lief wohl nicht g-“ Enji spürt, wie der Zorn in ihm hochlodert und da er kein Ventil hat, packt er Hawks grob am Oberarm und drückt ihn gegen die Wand. „Und wessen Schuld ist das?!“, blafft er ihn an und rüttelt an seinem Arm. „Du! Ich hab dir von Anfang an gesagt, dass das nicht geht! Dass das mit uns nicht…du hast…wenn du nicht gewesen wärst, dann wären sie jetzt nicht…warum hast du überhaupt die Tür geöffnet?! Warum musstest du hier sein?! Warum…warum…verdammt!“ Der Jüngere sieht ihn kurz erschrocken an, da Enji immer lauter wird, doch schließlich glättet sich seine Mimik wieder. Ein paar lange Sekunden lang sieht Hawks ihn nur ruhig an, während Enji hektisch atmet und die Finger in seinen Arm krallt. Ihm ist furchtbar schlecht und die Panik umklammert ihn weiter, nimmt ihm die Luft zum Atmen. „Endeavor-san“, sagt Hawks monoton. „Du tust mir weh.“ Enji braucht einen Moment, um es zu realisieren, ehe er ihn loslässt. Er sieht die roten Druckstellen auf seiner Haut und plötzlich kommt noch ein anderes Gefühl dazu. Scham. Was tut er hier eigentlich? Seine Wut an demjenigen auslassen, der für ihn da gewesen ist. Einfach weil er nicht noch mehr Schuld erträgt. „Hawks, ich…es tut-“ „Ich will keine Entschuldigung hören“, fährt ihm der Jüngere über den Mund. „Aber ich will, dass du dich jetzt zusammenreißt. Rutscht dir die Hand mir gegenüber aus, war’s das.“ Und das ist so resolut, dass Enji nichts sagen kann. Kraftlos fallen seine Arme zur Seite und er will nur eines; sich betrinken, bis er nichts mehr fühlt, und dann schlafen. Die eine Flasche, die er zerstört hat, ist nicht die letzte im Schrank gewesen. Nach der Ansage eben hat Enji mit vielem gerechnet, nicht aber damit, dass Hawks ihre Distanz überbrückt und ihn einfach umarmt. Fest schlingt er die Arme um ihn, wobei seine Wange an seiner Brust ruhen bleibt. Enji atmet hörbar aus, vollkommen überfordert mit der ganzen Situation, sodass er es nicht mal erwidert. Der Kloß in seinem Hals ist noch da und er kann ihn nicht herunterschlucken. „Es ist in Ordnung“, hört er Hawks murmeln. „Lass es einfach raus...und wenn du dich gefangen hast, dann reden wir darüber. Ich glaube nämlich, dass das jetzt mal sein muss…“ Enji weiß nicht, was er darauf erwidern soll. Hawks ist halb so alt wie er und reicht ihm gerade mal bis zur Brust und dennoch…ist er gerade seine einzige Stütze. Er versucht, sich zu beherrschen, doch es geht einfach nicht. Die Tränen steigen ihm in die Augen, auch wenn er sie herunterschlucken will. Es bringt nichts. Er kann nur dastehen, sich in Hawks‘ Umarmung lehnen und das tun, was dieser sagt. Es herauslassen. Da sind so viele aufgestaute Emotionen in ihm, dass er das Gefühl hat, sich übergeben zu müssen. Er bebt am ganzen Körper. Hawks lässt ihn nicht los, umarmt ihn nur noch fester und murmelt leise Worte. Trotzdem sich Enji erbärmlich fühlt, hat es etwas Tröstliches an sich. Viel mehr, als der Alkohol es jemals könnte…und diese Erkenntnis wiegt ebenso schwer wie sein Gewissen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)