Abyss von lunalinn ================================================================================ Kapitel 1: Dance ---------------- Laute Musik mit schnellem Beat, die sein Herz zum Rasen bringt, tönt ihm entgegen, als er den Club betritt. Es ist die Art von Musik, die er nicht leiden kann und normalerweise auch nicht hört. Das bisschen, das er vom Text versteht, ist vulgär, ebenso wie die getönten Scheinwerfer, die den Raum in rotes Licht tauchen. Das Leder der Sitzecken ist in einem dunklen Bordeauxton gehalten, doch er scheut sich, in einer von ihnen Platz zu nehmen. Ein paar Männer haben sich dort bereits niedergelassen und einige von ihnen tragen Anzüge wie er selbst. Männer mit Geld, schließlich ist dieser Club exklusiv. Er bleibt im Eingang stehen, während er einer dunkelhäutigen Schönheit dabei zusieht, wie sie sich in einem knappen Tanga und oben ohne auf einer der kleinen, viereckigen Bühnen an einer Stange räkelt. Ihre langen, silbrig schimmernden Haare fallen ihr über die üppigen Brüste, die bei jeder Bewegung wippen und lediglich von zwei schwarzen Stickern in Form von Herzen bedeckt werden. Es kommt ihm so falsch vor, sich ihre Show anzusehen. Ihre roten Augen wandern durch den Raum, ein Grinsen ziert ihre vollen Lippen, so als würde sie die Aufmerksamkeit genießen. Dann stößt sie sich plötzlich vom Boden ab und hängt sich kopfüber an die Stange, woraufhin einige der Männer johlen und klatschen, mit ein paar Scheinen wedeln. Enji fragt sich, wie er hier gelandet ist. Er ist kein Mann, der sich in solchen Milieus herumtreibt. So etwas hat er nicht nötig. Er ist keiner von diesen Männern, die Frauen dafür bezahlen, sich auszuziehen. Aber er ist am Ende. Und betrunken. Und, so sehr es ihm missfällt, sich das einzugestehen…einsam. Deswegen steht er hier. In diesem Strip-Club. Ohne, dass er weiß, was er hier eigentlich will. Mehr Alkohol, möglicherweise. Ja, das erscheint ihm vernünftig, sodass er sich an die Bar setzt und dabei konsequent den Blick auf die Sammlung etlicher Flaschen in den Regalen lenkt. Es fühlt sich falsch an, die jungen Frauen, von denen die ein oder andere seine Tochter sein könnte, in ihren knappen Outfits zu beobachten. „Abend. Was darf’s sein?“, reißt ihn die dunkle Stimme des Barkeepers aus den Gedanken. Gut. Den Typ kann er ansehen, denn er ist weder halbnackt, noch sieht er aus, als hätte er eben erst die Volljährigkeit erreicht. Die lockigen, schwarzen Haare hat er im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden, die dunklen Augen wirken müde und der Dreitagebart lässt ihn älter wirken, als er es vermutlich ist. „Whiskey. Ohne Eis“, brummt Enji kurz angebunden und ist froh, dass er seine Zunge noch unter Kontrolle hat. Der Mann hebt eine Braue, nickt dann aber nur und macht ihm seinen Drink fertig. Enji lässt den Blick kurz schweifen, um ihn nicht weiter anzustarren, und bereut es sofort, als er einen recht großen, jungen Mann in Lederpants und Netzshirt sieht, der sich über den Tresen lehnt. Anscheinend tanzen hier nicht bloß Frauen. „Oi Aizawa, machst du mir ne Piña Colada?“, hört er ihn fragen. „Schichtende, Gale Force?“, erwidert der Barkeeper namens Aizawa und stellt ihm den Whiskey hin. „Glenfiddich, 18 Years, Single Malt.“ Kein schlechter Tropfen, aber bezahlbar, sodass er nicht weiß, ob er sich beleidigt fühlen soll. Er belässt es dabei und schiebt dem Barkeeper einen Schein zu, der mehr als genug sein sollte. Aizawa mustert ihn kurz, ehe er das Geld nimmt und ihm abermals zunickt. „Jep. Bin so gut wie weg. Mein Ersatz zieht sich gerade um.“ Der Typ grinst gut gelaunt, während er an der Bar lehnt und dabei seine furchtbare Ledermütze zurechtschiebt. Dann wendet er sich ungefragt ihm zu, wirkt dabei viel zu enthusiastisch. „Sie sollten sich die nächste Show unbedingt ansehen! Der Kerl ist verdammt gut!“, meint er und zwinkert ihm zu. „Kein Bedarf“, knurrt Enji abweisend, woraufhin Gale Force – was für ein bescheuerter Name – stutzt. „Eh…“ „Dein Cocktail“, unterbricht Aizawa ihr Gespräch und stellt den süßen Drink auf den Tresen. „Oh, cool! Danke dir!“ Er greift nach seinem Cocktail und nimmt einen großen Schluck. Kurz darauf gesellt sich ein junges Mädchen in einem knappen, lila-grünen Body zu ihm und schnappt ihm dreist den Drink aus der Hand. "Ah~ den hab ich jetzt nötig~", seufzt sie und streicht sich mit der freien Hand ein paar pinke Strähnen ihres zotteligen Haares aus der Stirn. „Pinky!“ „Ach komm, nur einen Schluck~“ „Hmpf. Na schön...“, gibt sich der junge Mann geschlagen und sie grinst triumphierend. „Mach langsam. Du hast noch ein paar Shows“, kommt es von Aizawa, woraufhin das Mädchen die Wangen aufbläst. „Jaaa...“, mault sie und saugt am Strohhalm. Sie wirkt athletisch und...jung. Gerade mal volljährig und Enji wird plötzlich bewusst, wie alt er geworden ist. Ein alter Mann, der in einem Stripclub voller viel zu junger Menschen sitzt. Es ist falsch. „Da ist er ja! Oi, da müssen Sie hinschauen! Er ist wirklich gut!“, quatscht ihn der Junge wieder von der Seite an und schlägt mit der Hand auf den Tresen. Enji ignoriert ihn, wendet sich aber der etwas größeren Bühne in der Mitte zu, als die Musik kurz leiser wird. Auch das Licht wird gedämmt, leitet den Auftritt des Typen ein, der als schwarzer Schatten das Podest erklimmt. Er ist nicht sonderlich groß, stellt Enji fest, als er da so steht, den Kopf gesenkt haltend und eine Hand locker um die Stange gelegt. Dann beginnt die Musik. Erst leise, sodass eine gewisse Spannung erzeugt wird, die sogar auf ihn wirkt. Er nippt am Whiskey, als das Licht mit einem Mal angeht, sich grell auf den Kerl richtet, der sich in dem Moment an die Mütze greift und mit einem Fuß im Takt der Musik wippt. Enji erkennt nun, dass er eine Polizeiuniform trägt. Blaues Hemd mit Weste und Krawatte, dunkle Hosen und auf seiner Nase sitzt eine Sonnenbrille. Er hat ziemlich viel an, wenn man ihn mit den anderen Angestellten vergleicht. Der Beat der Musik steigert sich, wird lauter und schneller, woraufhin der Kerl seine Hüften langsam bewegt. An einem der Tische hat sich mittlerweile ein Rudel Frauen in grellen pinken Röcken eingefunden und eine davon trägt ein Krönchen mit Schleier. Junggesellinnenabschied. Er bemerkt sie hauptsächlich, weil sie schrill durcheinander kreischen und jubeln. Anscheinend gefällt ihnen der Polizist, der soeben seine Mütze vom Kopf zieht und sie den Weibern zuwirft, welche erneut aufschreien. Zerzaustes, blondes Haar kommt zum Vorschein und sein Gesicht liegt nun nicht länger im Schatten. Die Sonnenbrille rutscht tiefer auf die Nase, als er sich mehr bewegt und dabei mit einer Hand seine Weste öffnet. Er wirft auch diese den Frauen zu und der Geräuschpegel nimmt zu, als er sich an die Stange schmiegt, dabei eine Drehung an dieser macht. Mit der freien Hand reißt er die Knöpfe seines Hemds auf, woraufhin eine schlanke, aber durchtrainierte Brust zum Vorschein kommt. Der junge Mann grinst breit, wackelt mit seinen buschigen Augenbrauen, während er tanzt – was er wirklich gut kann. Dürfen Männer solch einen Hüftschwung haben? Es wirkt viel zu verrucht. Anzüglich. Das, was es eben auch sein soll. Das Hemd landet an einem anderen Tisch und als er sich mit dem Rücken zu ihnen an der Stange reibt, kann man das riesige Tattoo nicht übersehen. Es zieht sich von den Schultern bis hin zum Bund der Hose. Tiefrote Flügel, die Federn so detailliert gestochen, dass sie wirklich wie das Gefieder eines Vogels wirken. Enji hält im Allgemeinen nichts von Tattoos, aber dennoch kann er nicht aufhören, es anzustarren. Generell kann er nicht aufhören, dem jungen Mann bei seiner Show zuzusehen. Dieser reißt sich mit einem Ruck die Hose von den Beinen und steht nur noch in Krawatte und einem schwarzen…Tanga da. Man kann viel zu viel sehen. Seinen kompletten Hintern, mit dem er nun provokant wackelt, ehe er sich an die Stange hängt. Kopfüber und mit einer Leichtigkeit, als würde das nicht voraussetzen, dass man seinen Körper vollständig unter Kontrolle hat. Die Sonnenbrille landet auf dem Boden. Enji schaudert unweigerlich, während er in die bernsteinfarbenen Augen sieht, die im Licht regelrecht leuchten. Er muss um die 20 Jahre alt sein oder jünger, da ist er sich nicht sicher, denn der gestutzte Bart am Kinn macht ihn etwas maskuliner. Hübsch ist er, daran besteht kein Zweifel. Und er weiß es. Enji wird heiß und kalt, als der Blick des Jungen, der ihn aus irgendeinem Grund an ein Raubtier erinnert, durch die Menge schweift – und dieser ihm zuzwinkert. Oder Gale Force der viel zu nahe bei ihm steht. Als er sich von der Stange löst, geht er jedoch zum Tisch der Frauen hinüber und schwingt sich auf diesen, woraufhin diese kreischen und mit ihren Scheinen wedeln. Sie können nicht genug von ihm bekommen, strecken ihre Hände nach ihm aus und er lässt zu, dass sie ihm Scheine in den knappen Tanga stecken. Er kniet auf dem Tisch und liefert ihnen eine Show, lässt die baldige Braut seine Brust berühren…und irgendwie findet Enji das ekelhaft. Und billig. „Noch einen“, knurrt er gegen die Lautstärke der Musik und Aizawa nickt. Enji hat sich abgewandt, weil er diese Fleischbeschau nicht mehr erträgt. Weder von dem jungen Kerl noch von den anderen Frauen hier, die scheinbar keine Würde besitzen. Wie tief muss man sinken, um hier zu arbeiten? Nicht so tief vermutlich, wie hier zu sitzen und Geld dafür zu bezahlen. Nein. Er hat kein Recht, über irgendjemanden zu urteilen. Nicht in seiner Situation. Im Hintergrund geht das Gekreische weiter, ebenso wie die Musik ihren Höhepunkt erreicht und dann langsam wieder abflaut. Anscheinend war es das und kaum, dass sich alles etwas beruhigt hat, stellt Pinky den nun leeren Drink ab und streckt sich etwas. „So, jetzt zeig ich ihm mal, wie man die Menge wild macht!“, meint sie grinsend und voller Enthusiasmus. „Bei den Damen da drüben kommst du bestimmt nicht so gut an wie er“, erwidert Gale Force schmunzelnd, woraufhin sie schnaubt. „Hier sitzen aber mehr Männer! Also habe ich automatisch gewonnen~!“ Sie streckt ihm die Zunge heraus und verschwindet, doch Enji sieht ihr nicht nach. Auf noch so eine Show kann er verzichten. Er nimmt seinen Drink und obwohl man das nicht tut, kippt er den Whiskey einfach herunter, ehe er noch einen ordert. Aizawa denkt sich seinen Teil, sagt aber nichts, sondern füllt ihm nach. Zum Glück ist er eher der schweigsame Kerl, im Gegensatz zu Gale Force, der sich lautstark verabschiedet und den Club verlässt. „Ich nehme dasselbe wie der Herr hier, Aizawa!“, hört er eine fremde Stimme und blickt auf. Direkt in die funkelnden Bernsteine des blonden Strippers, der jetzt wieder seine Hose trägt. Obenherum ist er immer noch nackt, was ihn jedoch nicht zu stören scheint. „Dachte, du stehst auf süße Drinks“, brummt Aizawa, greift aber zur Whiskeyflasche. „Ja, stimmt schon, aber öfter mal was Neues und so“, meint der junge Mann und setzt sich neben ihn an die Bar. „Hey, ich bin Hawks. Du bist zum ersten Mal hier, oder? Die meisten Männer, die allein herkommen, sind Stammkunden.“ Enji schießt ihm einen finsteren Blick zu, denn er hat kein Interesse an einem Gespräch mit diesem Grünschnabel. Hawks ist wohl kaum sein richtiger Name, aber gut, es gibt wohl genügend Gründe, sich ein Pseudonym zuzulegen. „Ui, hast du einen fiesen Blick drauf“, kommentiert Hawks seine Reaktion grinsend. „Dabei hast du mir vorhin so gebannt zugesehen, heh. Glaub nicht, dass mir das entgangen ist.“ Warum spricht der Junge ihn eigentlich so vertraulich an? Sie kennen sich nicht und er hat ihm nicht…na gut, doch, er hat zugesehen. Aizawa stellt Hawks den Whiskey hin und wendet sich dann einem anderen Kunden zu. Der Blonde greift nach seinem Glas und nippt daran, ehe er das Gesicht verzieht. „Urgh…Whiskey ist wirklich nicht mein Ding. Wenn du willst, kannst du meinen haben.“ „Nein danke.“ Als ob er aus dem Glas noch trinken will, immerhin sind sie keine alten Bekannten oder so. „Dann muss ich den guten Tropfen wohl runterschlucken. Verschwendung ist nicht sehr ehrenwert“, plappert Hawks weiter und trinkt noch einen Schluck. „So, wo waren wir? Du bist neu und dir gefiel meine Show. Wenn du Interesse hast, kann ich mal für dich allein tanzen. Wir haben hinten Kabinen, dann ist es ein bisschen privater. Kostet natürlich auch, aber ich denke, du hast genug Geld, hm?“ „Nein“, knurrt Enji zurück und sieht den jungen Mann nicht mehr an. Dieser hebt eine Braue, mustert ihn irritiert. „Soll ich dir dann Miruko vorstellen? Wenn du keinen Kerl willst…die Frau ist eine Wucht!“ „Ich will keinen von euch“, brummt Enji zurück und trinkt noch einen Schluck. „Okay…“, kommt es langsam von Hawks. „Zwar ist das dann ein bisschen widersprüchlich, dass du hier bist, aber gut. Der Kunde ist König und so. Urgh…wie kannst du das nur trinken?“ Er hat gerade wieder an seinem Whiskey genippt, der anscheinend richtig scheußlich für ihn schmeckt. Banause. „Du hast keine Ahnung“, meint er leise, woraufhin der Blonde schnaubt. „Geschmack hat doch nichts damit zu tun.“ „Bist eben noch ein Kind.“ „Ich bin 22. Also komm mir nicht mit ‚wenn du älter bist‘ blabla…damit kommst du bei mir nicht weit, Mister…wie war noch dein Name?“ Enji hat ihm seinen Namen nicht genannt. Er hat es auch nicht vor. Er will nicht mal mit dem Kerl reden, aber der plappert einfach drauf los. „Bist einer von der schweigsamen Sorte, hm? Der mysteriöse Kerl, auf den alle stehen…okay, du musst mir deinen Namen nicht verraten. Ich meine, ich versteh das. Dann such dir einfach einen aus. Denn, auch wenn du keinen Lapdance willst, bist du ja bestimmt nicht grundlos hier und ich hab gerade ein bisschen Zeit, also versuche ich mal etwas Licht in deine unterirdisch schlechte Laune zu bringen.“ Er wackelt dabei mit den Brauen und grinst ihn so frech an, dass es Enji die Sprache verschlägt. Die wenigsten trauen sich, in so einem Ton mit ihm zu reden. Selbst wer nicht um seinen Einfluss weiß, hat Respekt vor seiner Erscheinung. Dieser dreiste Stripper nicht. Enji ist zu betrunken für weitere Wortgefechte, also schließt er kurz beherrscht die Augen und knurrt dann seine Antwort. „Endeavor.“ Den Namen haben sich damals ein paar Spinner aus seiner Klasse einfallen lassen. Weil er immer so verbissen darum gekämpft hat, die Nummer 1 zu sein. Einige, so wie Toshinori, nennen ihn immer noch so. „Endeavor-san also? Fein! Das gefällt mir! Passt irgendwie zu dir…auch wenn ich ja kaum was über dich weiß, aber wie gesagt, ich hab Zeit. Was liegt dir denn auf der Seele, Endeavor-san? Jaja, wir Stripper haben den Ruf, dass wir uns und die Brieftaschen unserer Kunden nackig machen, aber ich kann auch einfach nur zuhören!“ Enji fällt wieder auf, wie viel der Kerl redet. Wie ein Wasserfall. Unaufhörlich. Anscheinend ist da jemand sehr von sich überzeugt und sicherlich kommt das bei den meisten Kunden sehr gut an. Muss schmeichelhaft sein, wenn ein hübscher, junger Mann einem das Gefühl gibt, er würde sich um ihn bemühen. Enji weiß, dass es nicht so ist. Dass die Stripper einem das Gefühl geben müssen, etwas Besonderes zu sein. Das hier ist ein Job. „Verschwinde“, knurrt er daher und nippt an seinem Glas. Hawks fixiert ihn aus seinen eindrucksvollen Augen einen Moment still. Dann zuckt er mit den Schultern und nimmt ebenfalls einen Schluck von seinem Drink. Er muss sich wohl zusammenreißen, ihn nicht auszuspucken. „Gott, ist das ekelhaft...“, murmelt er und zieht eine Grimasse. Enji weiß nicht, ob er ihn damit provozieren will, aber der Kloß in seinem Hals zieht sich zu. Generell fühlt er sich hier ebenso unwohl wie zuhause. Er will nicht zurück, wird sich vermutlich irgendein Hotelzimmer nehmen. Aber auch davor graust es ihm. Deswegen ist er hergekommen. Um nicht mit sich allein zu sein. In Gesellschaft geht es ihm jedoch auch nicht besser. Schon gar nicht in solcher Gesellschaft. „Ich mag süßen Wein. Und Sekt! Ohne Witz...oh, warte mal! Aizawa, gib mir mal die Cola!“ Enji stockt. „Das tust du nicht...“, entkommt es ihm entrüstet. „Wetten doch? Ich muss mich übergeben, wenn ich das Zeug noch weiter pur trinke...“ Enji funkelt den Blonden an, der herausfordernd zurücksieht. Dann schraubt er doch tatsächlich die Cola auf, die Aizawa ihm kommentarlos reicht, und greift zum Glas. Er sieht ihn dabei die ganze Zeit an, auch als er das süße Zeug mit dem Whiskey mischt und einen Schluck davon trinkt. „Hah...das ist viel besser. Übler Nachgeschmack, aber geht klar.“ Enji knirscht mit den Zähnen. „Du bist doch nicht mehr ganz dicht...“ Vielleicht ist seine Reaktion überzogen, nur weil der Kerl den Whiskey verhunzt, aber...es regt ihn auf. „Doch, doch, alles richtig da oben. Keine Sorge. So. Jetzt wo wir bei dem Whiskey-Problem auf keinen gemeinsamen Nenner kommen...über was diskutieren wir als nächstes?“ Er grinst ihn breit an, neigt dabei leicht den Kopf. Enji will nicht mit ihm reden. Hat er das nicht deutlich genug gemacht? Doch der junge Mann ignoriert seinen bösen Blick und redet einfach weiter. „Übrigens musst du kein schlechtes Gewissen haben, nur weil du dir hier ein paar schöne Stunden machst. Wir sind hier alle erwachsen. Wir tanzen. Ihr schaut zu. Nur gucken, nicht anfassen. Solange du dich daran hältst, ist alles im grünen Bereich.“ Enji sieht ihn gereizt an. „Und warum hast du dich dann von den Frauen anfassen lassen? Tse...tu nicht so, als wäre das hier ein seriöser Job...“ „Die haben für die Show extra bezahlt. Ich war einverstanden. Kann jederzeit nein sagen, also brauchst du dir nicht unseren Kopf zerbrechen, Endeavor-san.“ Und dabei lächelt er ihn so lieblich charmant an, dass Enji erneut die Wut packt. Er ist oft wütend. Das gehört zu seinem Charakter. Dieser Kerl jedoch, der provoziert ihn auf einer ganz anderen Ebene. Er hält ihn zum Narren. „Noch einen“, ranzt er den Barkeeper, der sich soeben von einem blonden Mann mit Dutt und Lederklamotten löst, an. Enji merkt, dass seine Stimme dabei vibriert. Er hat wirklich zu viel getrunken, aber wen kümmert es schon? Aizawa blickt ihn aus seinen dunklen Augen skeptisch an, dann macht er ihm kommentarlos einen weiteren Drink. Etwas an seiner Art ist wie eine stille Warnung, es nicht zu übertreiben. „Uff, du hast ja Mumm, so mit dem Typen zu sprechen, der dir ins Glas spucken könnte...“, meint Hawks freundlich und prostet ihm mit seinem vergewaltigten Getränk zu. Er hat auch noch den Nerv, einen Strohhalm hinein zu stecken. „Hast du dich nicht irgendwo auszuziehen?!“, zischt Enji ihn wütend an, woraufhin Hawks grinst. „Wieso? Willst du jetzt doch ne Privatshow?“ „Nein, verdammt!!“ „Schade. Mir würde es Spaß machen, aber na ja...wo drückt denn der Schuh, Großer? Komm schon, ich kann schweigen wie ein Grab. Miese Ehe? Job verloren? Spielsucht?“ Vermutlich kommen hier ständig irgendwelche Versager vorbei, die ihr Leben nicht auf die Reihe kriegen. Seit wann ist er einer von ihnen? „Also den Ehering trägst du zumindest noch...“ Kann der Kerl nicht einfach seinen Schnabel halten? Es macht ihn wütend und gleichzeitig fühlt er sich, als würde er ertrinken. Ihm ist übel. Der Ring brennt an seinem Finger. Er kippt den Whiskey herunter, als wäre er Wasser, und für kurze Zeit ist da nur das Brennen in seinem Hals. „Oi...mach langsam, hm? Nicht, dass du noch überm Klo hängst. Das wäre ja echt ein mieser Ausgang.“ „Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß!“, herrscht er den jungen Mann aggressiv an und haut die Faust auf den Tisch. Anscheinend ist er diesem dabei etwas zu nahe gekommen, hat sich zu weit vorgebeugt, denn dieser wirkt tatsächlich zum ersten Mal an diesem Abend erschrocken. Kein frecher Spruch mehr. „Soll ich Kan rufen, Hawks?“ Aizawa ist wieder aufgetaucht und obwohl seine Stimme ruhig ist, liegt da etwas Warnendes in seinem Blick. Hawks fasst sich bei der Frage, strafft die Schultern und winkt dann lässig ab. „Ach was, nein. Ist ja nichts passiert. Nicht wahr, Großer? Du wirst doch nicht mein hübsches Gesicht beschädigen? Das ist mein Kapital!“ Er lacht dabei und scheint die angespannte Stimmung damit auflockern zu wollen. Enji fragt sich, warum er das tut, doch es wirkt, denn Aizawa wendet sich daraufhin wieder ab. Nicht ohne ein gebrummtes "Das war der letzte Drink". „Dachte, dein Körper ist dein Kapital?“, überspielt Enji seinen Ausrutscher. „Nun, egal, wo du mit deinen Pranken drauf haust, es schädigt das Geschäft“, zwitschert Hawks und grinst nun wieder. Enji funkelt ihn an, dann blickt er in sein leeres Glas. „...hatte ich nicht vor.“ „Dann ist ja alles paletti~!“ Enji weiß nicht, warum der Bengel nicht einfach verschwindet. Spätestens jetzt sollte dieser doch begreifen, dass er keine sonderlich angenehme Gesellschaft ist. Im Hintergrund läuft die Musik weiter und vermutlich zieht dieses Mädchen von zuvor gerade ihre Show ab. Es ist ihm egal. Irgendwie ist alles egal. Seine Gedanken, so sehr er sie auch verdrängen will, zermartern ihm den pochenden Kopf. Der Druck, der auf seiner Brust lastet, nimmt zu. Egal, wie viel er noch trinkt, es wird nichts ändern. „Du siehst echt fertig aus, Großer. Hey Aizawa, gib mir mal bitte ne Flasche stilles Wasser.“ Hawks‘ Stimme klingt plötzlich weit entfernt und Enjis Sicht ist leicht verschwommen. Er fühlt sich nicht gut, was vielleicht an dem ganzen Whiskey liegt, den er heute schon getrunken hat. Viel gegessen hat er nicht und vermutlich haut das irgendwann sogar einen trinkfesten Kerl wie ihn um. Er fährt sich mit der Hand über das Gesicht, das sich heiß anfühlt – vor allem an der Stelle, an der sich die Narbe befindet. „Oi! Trink mal einen großen Schluck!“ Als er aufsieht, hält ihm der Blondschopf die geöffnete Wasserflasche unter die Nase. Er wirkt dabei nicht mehr so heiter wie vorher, sondern hat die Stirn in Falten gelegt. Ist er besorgt? Als ob. Immerhin kennen sie sich nicht. Vermutlich will er bloß verhindern, dass er sich über der Bar erbricht. Wird Enji nicht. So viel Selbstbeherrschung hat er noch. Dennoch nimmt er die Flasche und trinkt einen Schluck. „Soll ich dir was zum Kühlen holen?“ Enji versteht nicht, was er meint. „…hn?“ „Für dein Gesicht. Dachte, du hast vielleicht Schmerzen oder so“, erwidert Hawks ruhig und tippt sich an seine Wange. Ach. Er meint die Narbe. Er hat sich an die skeptischen Blicke schon so sehr gewöhnt, dass es ihm kaum noch auffällt. „…geht schon“, brummt er mit belegter Stimme und trinkt rasch noch einen Schluck. „Na gut. Wenn du’s sagst. Ich rufe dir aber vielleicht doch besser ein Taxi, hm? Schlaf dich mal ordentlich aus! Meistens sieht die Welt dann schon ganz anders aus. Also…nachdem du den Kater überlebt hast, der dich morgen wahrscheinlich halb killen wird“, plappert Hawks mit seinem fragwürdigen Humor los. Als Enji ihn nur finster ansieht, zückt er jedoch sein Handy und ordert ihm tatsächlich ein Taxi. Danach lächelt er ihn wieder so an, als könne er kein Wässerchen trüben. Als würde er nicht in einem fragwürdigen Outfit neben ihm sitzen. Halbnackt. In dem Stripclub, in dem er arbeitet. Und in dem Enji Kunde ist. „Deswegen gebe ich mir nie so die Kante. Ich meine, hab’s ein paar Mal versucht – glaub, jeder hat schon mal seinen Kummer zu ersäufen versucht. Aber die Biester können schwimmen, Endeavor-san.“ Als ob er das nicht selbst weiß. Es lässt sich manchmal trotzdem nicht anders ertragen. „Rede…nicht so klug daher…“, knurrt er ihn an, doch Hawks lächelt weiter. „Wie auch immer. Das Taxi müsste gleich da sein. Sollen wir mal ein bisschen frische Luft schnappen?“, schlägt er ihm vor und springt enthusiastisch auf. „Hier drin ist es so heiß, da kann ich mich auch ein bisschen runterkühlen!“ Enji fragt sich, ob er ihn hier gerade auf freundliche Art und Weise herausschmeißt. Andererseits…will er hier überhaupt bleiben? Nein. Daher erhebt er sich, wobei er jedoch merklich wankt, sodass er gegen den Tresen kippt. Scheiße. Anscheinend hat er doch etwas übertrieben. Bevor er sich dagegen wehren kann, ist Hawks schon an seiner Seite und legt sich seinen Arm einfach über die Schulter. Was zum…?! „Lass das“, knirscht Enji feindselig, doch er traut sich nicht, ihn wegzustoßen. Vermutlich fallen sie dann beide und er bricht ihm alle Knochen… „Ach, jetzt hab dich nicht so! Komm schon, ich beiße nicht!“, wiegelt Hawks ab und stützt ihn weiterhin. Es muss lächerlich aussehen. Definitiv. Enji ist ein Riese im Vergleich zu dem drahtigen Typen, doch dieser scheint mehr Kraft zu besitzen, als man meinen könnte. Kein Wunder. Wer sich so an eine Stange hängen kann, ohne auf dem Hintern zu landen… „Bin gleich wieder da“, wendet sich der Blonde kurz an Aizawa, der misstrauisch wirkt. „Kan ist draußen“, sagt er nur und Enji vermutet, dass das eher an ihn gerichtet ist. Ist Kan der grimmige Türsteher? Er erfährt es nicht, denn Hawks zwinkert bloß, ehe er ihn hinausbegleitet. Vorbei an von grellen Lichtern beleuchteten Stangen und halbnackten Körpern sowie geifernden Kerlen und kreischenden Weibern. Enji gehört nicht hierher. Tatsächlich tut ihm die kühle Nachtluft gut, auch wenn er sich an die Häuserwand lehnen muss, um sein Gleichgewicht zu behalten. Die Flasche hat er beinahe leer getrunken, doch ihm ist noch immer schwindelig. Wenigstens hat das Brennen etwas aufgehört. Hawks steht neben ihm, die Hände in den Hosentaschen vergraben und zu einem Punkt in der Ferne blickend. Er trägt jetzt eine braune Jacke mit Pelzbesatz, die Kan ihm vorhin nach draußen gebracht hat, damit er nicht friert. Offenbar kümmern sich die Angestellten hier umeinander. Er versteht nur nicht, warum Hawks sich um ihn kümmert. „Ich nehme an, du hast genug Geld dabei?“, hakt dieser nach. „Ich könnte dir sonst was leihen – aber irgendwie bekomme ich das Gefühl nicht los, dass dich das beleidigen würde. Nicht, dass du mich doch noch verkloppst, Großer.“ Enji fühlt sich schlecht bei den Worten. Vermutlich hat er diesen Eindruck zuvor wirklich erweckt. „Nein“, brummt er und sieht ihn nicht mehr an. „War nur ein Scherz. Mach dir keinen Kopf. Wir sind alle mal mies drauf, also kein Ding. Tu mir nur einen Gefallen und geh zuhause direkt schlafen. Wer weiß, wo du sonst noch landest, hm?“ „…bin alt genug“, grollt Enji, denn jetzt fühlt er sich beleidigt. Hawks lacht leise, wohl auch, weil er eine Spur zu trotzig dabei geklungen hat. „Schon gut. Schau mal, da kommt das Taxi!“, ruft er dann und hebt die Hand, um dem Fahrer zu bedeuten, bei ihnen zu halten. Enji löst sich von der Wand in seinem Rücken, während Hawks schon den Kopf durch die offene Scheibe gesteckt hat und den Fahrer vollplappert. „…und bringen Sie ihn hoch, ja? Er hat ein bisschen viel getrunken – aber keine Sorge, er muss nicht kotzen. Falls doch, wird er die Reinigung bezahlen, ich versprech‘s! Er ist ein Ehrenmann, haha.“ Kann der blöde Kerl nicht einfach mal seinen Mund halten? Da Enji jedoch übel ist und ins Bett will, äußert er sich nicht dazu, sondern steigt kommentarlos ins Taxi. „So, komm gut nach Hause und pass auf dich auf, Endeavor-san!“, quatscht Hawks ihn voll, ohne seinen Kopf aus dem Auto zu nehmen. „Das nächste Mal trinkst du vielleicht ein bisschen weniger und bist empfänglicher für einen Lapdance?“ Er grinst dabei breit, doch Enji verengt bloß die Augen. „Sicher nicht.“ „Wer weiß, wer weiß…“, erwidert Hawks verschmitzt, zwinkert ihm zu und zieht endlich den Kopf aus dem Taxi. „Man sieht sich! Gute Fahrt!“ Enji nennt dem Fahrer stur seine Adresse und ignoriert das Winken des blonden Strippers. Er wirft keinen Blick zurück, als sich der Wagen in Bewegung setzt, sondern legt den Kopf in den Nacken und schließt die Augen. Was für ein verrückter Abend. Und was für ein seltsamer Vogel… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)