Out of Body von KiraNear ================================================================================ Kapitel 1: Out of Body ---------------------- Jeder Mensch hat Erfahrungen, der er im Laufe seines Lebens nicht gemacht hat. Der eine hat nie etwas anderes gesehen als die Stadt, in der er geboren und aufgewachsen war. Der andere hat noch nie etwas gegessen, was er nicht aus seiner Kindheit kannte. Und ich? Ich war noch nie betrunken, kein einziges Mal in meinem ganzen Leben. Zwar hatte ich hin und wieder gerne mal Alkohol getrunken; ein Radler, eine Flasche Mischbier oder ein Glas mit Wodka und Orangensaft. Nichts Großes und nicht genug, um betrunken zu werden. Zumal ich auch mit viel, sehr viel Genuss und über mehrere Stunden verteilt trinke. Während ich also noch dabei bin, den Alkohol in mich hineinzuschütten, ist meine Leber bereits mit dem Abbau beschäftigt. Einmal hatte ich es geschafft, ein wenig angeheitert zu sein. Doch wie es ist, richtig betrunken zu sein, das ist ein mir unbekanntes Gefühl. Und es ist auch keines, das ich unbedingt mal spürten wollte. Doch das Gefühl, das ich jetzt in mir spürte, war etwas, was wohl dem Betrunkensein ähnlich sein dürfte. Oder dem Kater, den man am nächsten Morgen spürt, sollte man es mit dem Alkoholkonsum übertrieben haben. Doch wo keine Trunkenheit, da kein Kater. Auch ihn kannte ich nur aus dritter Hand und aus dem Fernsehen. Ich hatte ihn mir immer als sehr schlimme Migräne vorgestellt, gepaart mit einer Gedächtnislücke von mehreren Minuten bis Stunden. Auf jeden Fall ähnelte es das, was ich in diesem Augenblick spürte. Mein Kopf drückte, und ich hatte absolut keine Ahnung, wo ich war und was in den letzten Stunden passiert ist. Das war meine Trunkenheit. Und dabei ist es lange her, dass ich Alkohol angefasst hatte. Auch sagte mir der Ort nichts, an dem ich mich befand. Es war eine Art Wohnzimmer, aber es sagte mir nichts. Weder die Dekoration noch die Möbel oder gar das Zimmer selbst. Trotzdem sah ich mich um, versuchte herauszufinden, wo ich war. Ob ich nicht irgendeinen Hinweis finden konnte. Doch da war nichts. Und außer mir war hier niemand. Meinen schmerzenden Kopf reibend, versuchte ich die letzten Erinnerungen aus meinem Gedächtnis zu kramen. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich wieder einigermaßen etwas zusammenbekam. Soweit ich weiß, war ich mit Sam und Dean zusammen im Auto unterwegs. Genau, und dann war da noch Andy. Sie wollten mich zum Krankenhaus bringen, aber aus irgendeinem Grund hat Dean dann Gas gegeben. Wegen … einem alten Freund oder so? Hm, ich glaube nicht, dass er erklärt hat, was er damit gemeint hat. Danach sind wir gefahren, ich kann mich noch erinnern, wie schwer meine Augenlider wurden. Vermutlich bin ich dann eingeschlafen… aber wo bin ich jetzt und was mache ich hier?   Da ich von meinem jetzigen Standpunkt aus keine Antworten auf meine Frage finden konnte, beschloss ich, mich ein wenig im Raum zu bewegen und mehr umzusehen. Doch nichts hier kannte ich. Es erinnerte mich an das eine oder andere amerikanische Wohnzimmer, das ich gesehen hatte, aber das wars. Die Menschen auf den Bildern, die an den Wänden hingen, waren allesamt Fremde für mich. Das teure Besteck auf dem Kamin war nicht das meine, den einzigen Teller, den ich zu Dekorationszwecken aufstellen würde, hatte ich einst für nen Zwickel auf einem Flohmarkt erstanden. Nicht einmal der Teppich mit den interessanten Kuhflecken weckte nichts in meiner Erinnerung. Aber ich wollte nicht aufgeben, ich musste etwas herausfinden. Was das für ein Ort war, der Grund dafür und auch, warum ich im Stehen zu mir gekommen war. Mein Blick fiel schließlich auf eine kleine Keramikkuh, welche sich auf dem Wohnzimmertisch befand. Die sieht ja putzig aus, fuhr es mir durch den Kopf und gerade, als ich sie in die Hand nehmen wollte, hörte ich, wie sich hinter mir eine Tür öffnete. Eine so derartig laut knarzende Tür, dass ich das Bedürfnis bekam, dieses nervige Geräusch in WD-40 zu ertränken. Schnell drehte ich mich um, um zu sehen, wer da gerade den Raum betreten hatte und erkannte sofort, dass es sich um die Winchesterbrüder handelte. Voran ging Dean, mit einer Schürhaken in der Hand, gefolgt von Sam, mit einem EMF-Messgerät in seiner Hand. Welches, kaum dass er den Raum betreten hatte, sofort ausschlug. „Oh, hier muss wohl ein Geist sein“, sagte ich und sah mich um, doch ich konnte nichts erkennen. Als ich mich wieder zu den Brüdern umdrehte, konnte ich sehen, dass sie sich ebenfalls im Raum umsahen. Gleichzeitig passten sie auf, vermuteten wohl jede Sekunde, von dem Geist angegriffen zu werden. „Er ist wohl hier drin, zeigt sich uns aber nicht“, meinte Sam und ging zu dem Kamin herüber, guckte sich kurz die teuren Teller an, bevor er weiterging. Dean dagegen ging zum Fenster und kippte eine Linie aus Salz davor. Mich dagegen schienen die beiden komplett zu ignorieren. Verwirrt blickte ich zwischen den Brüdern hin und her, doch mich sprachen sie nicht an. Also musste ich das übernehmen. „Hey, Dean, wenn du noch nen Salzstreuer hast, kann ich dir gerne helfen und welches an der Tür verteilen“, schlug ich vor, doch von ihm kam keine Reaktion. Stattdessen ging er zum nächsten Fenster und machte dort weiter. Uff, vermutlich war ich wieder zu leise. Dass ich das nie einschätzen kann … Also ging ich näher auf ihn zu und versuchte es noch einmal. „Hey Dean, hast du noch Salz, damit ich dir helfen kann?“, versuchte ich es noch einmal, aber Dean schien mich immer noch nicht zu hören. „HALLO DEAN!“, schrie ich ihn nun fast an, obwohl es mir gleichzeitig unangenehm war. Doch entweder hatte Dean beschlossen, mich zu ignorieren oder er nahm mich einfach nicht wahr. Stattdessen machte er sich auf den Weg zum nächsten Fenster, welches wohl hinter mir lag, denn er ging wortlos an mir vorbei. „Warte mal, sag mir wenigstens, was los ist!“ Doch als ich ihm an die Schulter fassen wollte, ging meine Hand durch ihn hindurch. Als wäre er nichts. Oder anders gesagt, als wäre ich nichts.   Fassungslos starrte ich meine Hand an, als würde hier die Antwort stehen, die mir all das erklären könnte. Moment, was ist hier los? Könnte es etwa sein? Nein, das ist doch … uff, ich muss es herausfinden. Ich erinnerte mich daran, dass die Temperatur sank, wenn ein Geist anwesend war, doch so sehr ich versuchte etwas in der Richtung zu spüren, ich bemerkte keine Kälte. Aber auch keine Wärme. Gar nichts davon. Schnell hauchte ich in die Luft, wie ich es immer im Winter tat, um herauszufinden, ob es kalt oder sehr kalt war … aber nichts. Ich sah keinen Lufthauch, den ich hätte sehen müssen. Doch ich sah nichts. Kraftlos ließ ich meine Schultern sinken. Es war also kein Wunder, dass ich den Geist nicht sehen konnte. Es war kein Wunder, dass mir nicht kalt ist. Es war kein Wunder, dass ich meinen Atem nicht sehen konnte. Denn dieser Geist, den die Brüder jagten, der war ich. Und ich musste sie unbedingt stoppen, bevor sie mich in den Himmel schickten. Musste herausfinden, wo mein Körper war und warum ich jetzt ein Geist war. Doch dafür müsste ich mit den Brüdern reden und soweit ich es von Bobbys Erfahrungen als Geist noch wusste, war es wohl alles andere als einfach. Dennoch drehte ich mich zu Dean um. „Dean, bitte, du musst mich anhören!“, doch es brachte nichts. Auch als ich Sam ansprach, konnte er mich nicht hören. Was dagegen zu hören war, war das EMF-Gerät, mit welchem er mir näherkam. Bis er damit direkt neben mir stand, mit dem Gerät in meinem linken Oberarm. Aua. Wäre ich jetzt ein Mensch, wäre das eine ziemlich unangenehme Situation. „So wie es aussieht, ist der Geist hier, in der Nähe der Couch und dem Wohnzimmertisch“, ließ Sam seinen Bruder wissen und der kam nun ebenfalls zu unserer kleinen, gemütlichen Kuschelrunde dazu. „Scheint aber ein sehr schüchterner Geist zu sein!“, witzelte er, vermutlich aber auch irgendwo erleichtert, dass er bisher noch nicht durch die Gegend geflogen war. Ich wusste zwar, dass es Tradition war, dass bei einer Jagd mindestens einmal ein Winchester im hohen Bogen durch die Gegend flog. Aber selbst, wenn ich es hätte machen können, hätte ich es nicht getan. Nie würde ich den Jungs wehtun wollen, nicht einmal zum Spaß. Wie war das noch? Man muss sich konzentrieren! Ich versuchte, irgendwelche Kräfte oder Geister-Chakren in mir zu konzentrieren und zu bündeln, kniff mir dazu die Augen zu und ballte meine Hände zu Fäusten, bis es wehtat. „Sam, Dean, könnt ihr mich hören?“ Doch keine Antwort kam. „SAM?! DEAN?!“ Keine Reaktion, und als ich meine Augen wieder öffnete, meine Hände entspannte und tief einatmete, konnte ich sehen, dass die Jungs wieder weggegangen waren. Mist, wo sind sie denn hin? Ob sie den Raum verlassen haben? Suchen sie jetzt meine Überreste? Gerade, als ich ebenfalls aus dem Wohnzimmer gehen wollte, lief ich wie in einem Videospiel gegen eine unsichtbare Mauer. „Was zum? Oh nein!“ Mein Blick fiel auf den Boden, offenbar hielt Salz die Geister wirklich fern. Oder in einem Raum gefangen, wie es bei mir der Fall war. Mist, so schnell würden die Brüder nicht mehr ins Wohnzimmer zurückgehen, stattdessen überall im Rest des Hauses nach meiner Leiche suchen und dann ihr Ding durchziehen. Salz und Brandbeschleuniger benutzen, um meine sterblichen Überreste in einen kleinen Aschehaufen zu verwandeln. Oder zumindest in einen unansehnlichen. Doch wie sollte ich das verhindern, wenn ich hier nicht rauskonnte? Zwar wusste ich, dass es Geister gab, die Salz wegpusten konnten, doch das lag mit Sicherheit auch außerhalb meiner Fähigkeiten. Ok, Kira, ganz langsam, schön ein und ausatmen … ok, sobald ich einen der Brüder sehe, muss ich es versuchen! Irgendwann werden sie mich schon hören!“   Da mein Bewegungsradius auf diesen Raum beschränkt wurde, beschloss ich, mich noch ein wenig mehr umzusehen. Ging wieder auf diese niedliche Kuh auf dem Wohnzimmertisch zu, doch als ich versuchte sie aufzuheben, ging meine Hand durch sie hindurch. Was hatte ich eigentlich erwartet? Mein nächster Weg führte zu einem der Fenster, wie immer, wenn ich keine Ahnung hatte, was ich jetzt machen sollte. Blickte hinaus in eine schöne, aber mir unbekannte Natur. Bäume standen im Vorgarten, es sah sehr gemütlich aus mit der Wiese rund um die Bäume herum. Die vielen Blätter, die am Boden herumlagen, verrieten mir, dass es wohl bereits Herbst war. Ich glaubte kurz, für einen Augenblick in der Ferne einen Igel zu erkennen, doch sicher war ich mir nicht. Was ich dagegen sicher erkennen konnte, war Sam, wie er sich über etwas gekniet hatte. Irgendwas ansah, was auf dem Boden vor ihm lag. Leider konnte ich nichts hören, aber Dean schien etwas zu ihm zu sagen, denn er sah auf. Schließlich erhob er sich wieder und ging ein paar Schritte auf Dean zu, während dieser überhaupt in meinem Sichtfeld auftauchte. Dafür hatte Sam den Weg freigemacht für meine Augen, um zu sehen, was sich dort befand. Die wenigen Microsekunden, die die Informationen von meinen Augen zu meinem Hirn brauchten, waren nichts. Genauso schnell hatte mein Hirn diese Information dann auch verarbeitet. Sie in Worte gefasst. Überrascht legte ich meine Hand auf die Fensterscheibe und stutzte, als sie nicht hindurch ging, sondern dort festhing. Achja, das Salz. Das Salz hindert mich auch hier am Rausgehen. Dort hinten, bei den Bäumen, umgeben von unzähligen bunten Blättern, lag mein Körper. Das, was von mir noch übrig war. Die Arme und Beine von mir gestreckt, lag ich auf dem Rücken. Ich konnte nicht erkennen, was genau mit mir passiert war und auch in meinen Erinnerungen wurde ich nicht fündig. Aber vermutlich wollte ich mich auch nicht mehr daran erinnern. Offenbar war die Todesursache so schrecklich, dass mein Hirn diese Erinnerung tief, tief in sich selbst vergraben hatte. Sie haben mich also gefunden. Ob sie meinen Mörder kennen? Ob ich da wohl lange liege?... Naja, ist ja nicht von Bedeutung. Es würde nichts ändern. Und ich kenne die Serie gut genug, um zu wissen, was nun als nächstes kommen wird. Sie werden mich verbrennen, und ich werde in den Himmel kommen. Sie wissen, wenn sie jetzt nichts tun, wird irgendwann aus mir ein Rachegeist. Dann werde ich Menschen wehtun. Menschen, die mit der Sache nichts zu tun haben. Ich atmete tief ein und aus, versuchte von der Szene wegzublicken, doch nichts wäre mir in diesem Moment schwerer gefallen. Meine Augen brannten und füllten sich mit Tränen, doch ich wollte nicht weinen. Ich fühlte mich nicht bereit und das, obwohl sonst niemand hier mehr im Raum war. Stattdessen zwang ich mich, dabei zuzusehen, wie Dean eine Flüssigkeit aus einem Kanister über mich ausgoss, während Sam mich mit Salz bestreute. Etwas in mir schrie, etwas in mir wollte leben, wollte überleben, doch der logische Teil meines Ichs schüttelte nur den Kopf. Nein, es hat keinen Sinn. Selbst, wenn ich es wollte, könnte ich sie nicht aufhalten. Das hier ist kein Anime, in welchem ich in einer Situation wie dieser meine Kräfte erwecken kann. Nein, das hier ist das reale Leben und damit werde ich zurechtkommen müssen. Vielleicht habe ich Glück und treffe auf einen netten Engel … Meine Augen fühlten sich immer voller und voller an, und ich spürte, wie der Damm brach. Sofort fasste ich mir mit den Fingern ins Gesicht, wischte die einzelnen Tränen weg, die sich in meinen Augen bildeten und wischte sie mir an meinem T-Shirt ab. Dazwischen konnte ich erkennen, dass Sam und Dean über mir standen, über meiner Leiche und irgendwas zu ihr sagten. Vermutlich gaben sie mir liebe Worte mit auf den Weg, aber ich konnte sie nicht hören. Dann warf Dean sein Feuerzeug und ich sah, wie ich mich selbst in Flammen auflöste. Weinend schloss ich meine Augen – und hatte das Gefühl, als würde ich in ein tiefes Loch fallen. Tief, tief, immer weiter nach unten …   Erschrocken riss ich meine Augen auf, auch meine Atmung war ein wenig schneller und heftiger als normalerweise. Doch ich schrie nicht, ich schreie nach einem Albtraum nie und werde damit auch jetzt nicht damit anfangen. Schnell versuchte ich mich zu orientieren, meine Gedanken zu sammeln und zu verstehen, wo ich mich befand. Ich sah eine beige Decke über mir, eine, die mir erstmal nicht bekannt vorkam. Ich spürte Leder unter mir, welches nicht gerade das neueste war. Und ich hörte ein Auto, eins, das mir doch sehr vertraut war. Das letzte und neueste, das ich spürte, war eine Hand, die sich auf meine Schulter legte. Ich sah zur Seite und konnte Andy erkennen, der mich ansah. Seinen Blick konnte ich nicht deuten, aber ich glaubte, ein wenig Sorge darin zu erkennen. „Alles in Ordnung bei dir?“, konnte ich Andy hören und nickte schwach mit dem Kopf. „Ja, bei mir ist alles in Ordnung, ich hatte nur einen schlechten Traum. Ein Drache hat mich geröstet und dann bei lebendigem Leibe aufgefressen“, sagte ich und bemühte mich um ein Lächeln. „Aber es war nur ein Traum, immerhin gibt es ja keine Drachen.“ Andys Hand verließ meine Schulter wieder und ich wusste nicht, ob er mir nun glaubte oder nicht. Stattdessen drehte er sich wieder von mir weg und starrte aus seinem Fenster heraus. Was mir das sagen sollte und ob es überhaupt eine Bedeutung hatte, das war mir ein Rätsel. Gleichzeitig konnte und wollte ich ihm nicht die Wahrheit sagen, weder ihm noch den beiden Brüdern vor mir. Nein, es ging nicht. Doch das war ok. Was war schon eine kleine Lüge mehr, das würde den Braten auch nicht fett machen. Langsam tastete ich mich an meinem Körper entlang, versuchte den Sitz unter mir zu spüren. Es war nicht mein Hirn, dass mir vorgab, das ich etwas mit den Fingern berührte, nein, es war mein Tastsinn. Und das machte mich mehr als glücklich. Entspannt rutschte ich tiefer in meinen Sitz hinein, schloss die Augen und versuchte, nicht mehr an den Traum zu denken. Ich war am Leben. Ich war in Sicherheit. Aus den Lautsprechern des Autos lief Kansas. Und das war im Moment alles, was für mich zählte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)