Besser, ihr rennt! von ReptarCrane ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Das erste Mal, dass Robin den jungen Mann sah, der von nun an immer wieder sowohl in seinen Gedanken als auch in seinen Träumen präsent sein sollte, war auf der Herbstgala, die wie jedes Jahr von Mr. und Mrs. Ascani veranstaltet wurde. Die Herbstgala war eine dieser Feierlichkeiten, deren Sinn Robin nie wirklich verstand, die voll von Leuten waren die sich über ihre Arbeit, ihre Geschäfte und ihre Leistungen im Leben austauschten, und an deren Ende alle Anwesenden wieder einmal viel mehr Alkohol konsumiert hatten, als es eigentlich ihr Vorhaben gewesen war, was dafür sorgte, dass die Gespräche im Laufe des Abends noch inhaltsloser wurden als es ohnehin schon der Fall gewesen war. Es gab viele solcher Veranstaltungen in der High Society von Red Creek, und an fast allen davon nahm Robin teil. Nicht, weil es ihm auf irgendeine Weise Freude bereitete oder er es auch nur unterhaltend fand. Aber er war es einfach gewohnt, bei derartigen Feierlichkeiten anwesend zu sein; das war schon damals so gewesen als er noch bei seinen Eltern gewohnt hatte und von diesen dazu genötigt worden war, sich bei solchen Gelegenheiten zu zeigen, und zwar von seiner besten und vornehmsten Seite. Elegante Kleidung, die Haare ordentlich frisiert, stets ein Lächeln auf den Lippen. Das gut erzogene Kind, der Traum jeder Familie. Er hatte es über sich ergehen lassen, sich gesagt, dass es irgendwann vorbei sein würde. Dass es irgendwann nicht mehr das Wichtigste im Leben sein würde, sich vornehm und elegant zu geben. Dass es irgendwann ausreichen würde, wenn er einfach er selbst war, auch wenn die Augen der gehobenen Gesellschaft auf ihn gerichtet waren. Aber irgendwie war das nie passiert. Als die erwähnte Herbstgala stattfand war er 25 Jahre alt, und auch, wenn sich in seinem Leben sonst einiges geändert hatte, fühlte er sich, sobald er die Eingangstür des Anwesens der Ascanis passiert hatte, wieder wie das kleine Kind das brav seinen Eltern hinterherlief und nicht wusste, was es hier verloren hatte. Dabei waren es dieses Mal nicht seine Eltern, denen er folgte – seine Eltern waren nicht hier, und er hatte sie seit über fünf Jahren nicht mehr gesehen – sondern Sapphire, was die ganze Atmosphäre zumindest ein wenig erträglicher machte. Sapphire war nicht wie seine Eltern, nicht wirklich. Sie verlangte diese Dinge nicht von ihm; sich als etwas zu geben, was er nicht war, sich zu verstellen und sich anzupassen. Aber er tat es trotzdem. Weil er es so gewohnt war. Weil er es nicht anders kannte. Die ersten zwei, drei Stunden der Gala waren verlaufen wie immer. Robin hatte an der Bar Platz genommen, obwohl er sich vorgenommen hatte – wieder einmal - dieses Mal nicht mehr als zwei Drinks zu sich zu nehmen, ein Limit, das er reichlich schnell überschritten hatte ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Er war ein Wrack, das wurde ihm in Situationen wie diesen immer wieder bewusst. Und das, obwohl man doch meinen konnte, dass es in seinem Leben keinen Anlass für solch selbstschädigendes Verhalten gab. Gerade hatte er seinen dritten Drink geleert, schob das Glas von sich weg und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, als er den jungen Mann sah. Er lehnte an einem der Stehtische, die sich an der Wand im 90° Winkel zur Bar befanden, vor sich ein Glas mit einer türkisenen Flüssigkeit darin, die er ein wenig abwesend betrachtete. Seine schulterlangen, braunen Haare fielen ihm ins Gesicht, verbargen Augen und Mimik, lediglich die bleiche, fast weiße Haut stach kontrastreich hervor. Düster, irgendwie surreal. Er wirkte, als gehöre er nicht hier her, stach heraus aus der Masse elegant gekleideter Menschen mit ihren langen Kleidern und schwarzen Anzügen. Er wirkte so fremd an diesem Ort, wie Robin sich tief im Inneren fühlte. Bestimmt eine halbe Minute verstrich, bevor Robin überhaupt registrierte, dass er den Mann anstarrte. Die starke Faszination, die er empfand, ließ ihn gedanklich abdriften, die Zeit und alles um sich herum vergessen, und hätte der junge Mann in seine Richtung geblickt hätte er womöglich den Eindruck bekommen, einen aufdringlichen Stalker vor sich zu haben. So etwas war eigentlich überhaupt nicht Robins Art, Menschen interessierten ihn für gewöhnlich nicht besonders. Er wusste nicht, was es war, was ihn an dieser Person so sehr faszinierte. Er stach heraus, ja, aber es gab auch andere hier, die das taten, auf verschiedenste Art und Weise. Irgendetwas war da, eine Art von Aura, die ihn umgab, die Robins Aufmerksamkeit auf sich zog und es kaum möglich machte, sich wieder abzuwenden, als stünde er unter einem Bann, oder unter Hypnose, als wäre den Blick abzuwenden gefährlich und könnte dafür sorgen, dass irgendetwas zerbrach. Was für seltsame, irrationale Gedanken. Es gab dort nichts, was zerbrechen könnte. Der junge Mann wusste nicht einmal, dass Robin existierte, geschweige denn dass dieser derart fasziniert von ihm war, ohne, dass es dafür einen Grund geben würde, und hätte er dieses Interesse bemerkt, dann hätte er Robin vermutlich für einen ziemlichen Freak gehalten. Nicht, dass es ihm zu verübeln gewesen wäre. Schließlich verstand Robin sich in diesem Moment selber nicht. Der Gedanke, zu ihm zu gehen und ihn anzusprechen, kam ihm in den Sinn. Das wäre zumindest logisch; besser, als hier zu sitzen und vor sich hinzustarren wie ein Creep, wie jemand, der ein potenzielles Opfer auskundschaftete und sich überlegte, wie er es am besten zerstückeln und entsorgen konnte. Ja. Einfach aufstehen und durch den Raum gehen, scheinbar ohne besonderes Ziel, wie zufällig in der Nähe des Tisches innehalten und versuchen, ins Gespräch zu kommen… Wobei, wieso überhaupt so umständlich? Das hier war immerhin eine Feier, da war es nicht ungewöhnlich, sich mit Leuten zu unterhalten. Er könnte einfach zu ihm gehen, sich vorstellen und den jungen Mann nach seinem Namen fragen. Ihm sagen, dass er ihm aufgefallen war. Was war schon dabei? Neue Bekanntschaften zu machen war immerhin der Grund gewesen, weshalb seine Eltern ihn stets auf solche Veranstaltungen geschleppt hatten – Bekanntschaften, Kontakte. Einfluss. All das, was eben wichtig war, wenn man jemand sein wollte. Ja, es gab nichts, was dagegensprach, den jungen Mann einfach anzusprechen. Und dennoch tat Robin es nicht. Für gewöhnlich hatte er kein Problem mit so etwas, wenn er auch nicht wirklich sagen würde, dass er ein geselliger Mensch war, aber Schwierigkeiten damit, auf Leute zuzugehen, hatte er für gewöhnlich nicht. Dieses Mal allerdings war es anders. Da war irgendetwas, ein Gefühl, von dem Robin sich nicht sicher war ob es ein unbestimmter Instinkt oder bloße Nervosität seinerseits war, das ihn davon abhielt, den Mann anzusprechen. Irgendwie kam er sich in diesem Moment vor wie ein Teenager, der zum ersten Mal verliebt war und sich nicht dazu durchringen konnte, Kontakt zu seinem Schwarm aufzunehmen. Aber das war bescheuert, nicht wahr? Er war kein Teenager, und er war auch nicht verknallt. Das funktionierte auf derart spontane Weise schließlich überhaupt nicht. Oder? Aber was auch immer es war, was ihn zurückhielt, Tatsache war, dass Robin sich letztlich zwang, den Blick abzuwenden, den Barkeeper zu sich winkte und einen weiteren Mojito bestellte, wobei durchaus die ungesunde Hoffnung in ihm keimte, mehr Alkohol würde ihn ausreichend entspannen um doch noch ein Gespräch mit der Person zu beginnen, die ihn so sehr faszinierte. Und währenddessen fühlte er sich zunehmend wie ein Freak. Immer wieder warf er in der folgenden halben Stunde einen Blick in Richtung des Stehtisches, musterte den Mann - wie er hoffte - unauffällig, und hing wieder und wieder der Frage nach, ob er nicht doch einfach aufstehen und ihn ansprechen sollte. Was, verdammt, war daran eigentlich so schwierig? Als er schließlich seinen Drink geleert hatte und sich ein weiteres Mal umwandte, war der Mann weg. Unwillkürlich verspürte Robin einen Stich in der Brust, in einer Intensität, die vollkommen unverhältnismäßig war. Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, hoffte, dass er bloß seinen Platz aufgegeben und sich unter die Leute gemischt hatte, auch, wenn das doch reichlich überraschend gewesen wäre, so zurückhaltend, wie er die gesamte Zeit über am Rand des Geschehens verharrt und gewirkt hatte, als wäre er am liebsten irgendwo anders. Irgendwo, wo es keine riesige Menge von Menschen gab, keine Geräuschkulisse, die mit jeder verstreichenden Stunde lauter zu werden schien. So genau Robin die Leute auch musterte, er konnte den jungen Mann nicht mehr finden. Eine gehässige Stimme in seinem Kopf teilte ihm mit, dass das wahrscheinlich seine Schuld war, dass seine Form der Beobachtung bei weitem nicht so unauffällig gewesen war wie gedacht, und dass es absolut nicht verwunderlich war, dass das Ziel von Robins Faszination es bevorzugte, sich irgendwo hinzubegeben wo es nicht die ganze Zeit über angestarrt wurde. “Ach was”, murmelte Robin zu sich selbst, winkte dabei ein weiteres Mal den Barkeeper zu sich, ohne wirklich zu bemerken, was er tat. Jetzt, wo es zu spät war, bereute er es, dem Wunsch, ein Gespräch zu beginnen, nicht nachgekommen zu sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)