What if... von Amalia-chan (Wenn die innere Welt mit der äußeren kollidiert, sind Parallelwelten nicht mehr fern.) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Wenn die innere Welt mit der äußeren kollidiert, sind Parallelwelten nicht mehr fern.(F. F. Kovacs) Der Regen trommelte gegen das Glas der Ladenzeilentür, ehe er in dicken Tropfen schwermütig daran hinabrann. Zäh – als hielte er an seiner perlenförmigen Erscheinungsform fest und verweigerte den natürlichen Lauf der Dinge. Etwas, das er auch von ihrer Art gut kannte. Nicht, dass er sich damit je viel aufgehalten hätte. Er war nicht sein Vater. Dennoch erinnerte er sich, dass es sich übertrug. Auf Mischwesen. Wie seinen Bastard. Auch etwas, womit er sich nicht weiter aufgehalten hatte, bis… Das aufgeregte Klimpern ihres Schlüssels vertrieb die Erinnerung aus längst vergangenen Tagen, als sie in ihrer übergroßen Handtasche danach kramte. Der charakteristische Laut, sobald ihre feingliedrigen Finger zielsicher das Schloss fanden, drang über die mit Feuchtigkeit geschwängerte Luft sogar bis hinauf auf das gegenüberliegende Flachdach der ehemaligen Lagerhalle. Keine Kunst für seine Art, den Laut aus den unzähligen Klangfarben des Regens herauszuhören. Einzig seine feine Nase hatte den Kampf gegen die Naturgewalt bereits vor einer geraumen Weile verloren. Sie war gewohnt spät dran, sodass die übliche Aufregung aus dem hinteren Bereich rasch erstarb. Als glaubten ihre vierbeinigen Schützlinge den nächsten Morgen rascher herannahend, wenn sie sich nur rasch schlafen legten. Ihresgleichen war schon immer befremdlich zweigespalten mit so manchen Geschöpfen Mutter Naturs umgegangen – etwas, das er nie bemüht gewesen war, auch nur im Ansatz verstehen zu wollen. Sie hatten es nie abgelegt. Es hatte sich lediglich mit der Zeit verändert, wie so ziemlich alles in ihrer vergänglichen Welt. Nichts, was ihn zu kümmern hatte. Sein funkelndes Gold erhaschte den abklingenden Zug in der Spiegelung des Mondlichts, als sie sich gen Hauptstraße wendete. Der dicke Schlüsselbund mit dem selbst gefertigten Stoffband verschwand beiläufig in ihre Manteltasche, sodass einzig seine Endfäden von seiner kunterbunten Farbenpracht kündeten. Sie trug generell leuchtende Farben. Etwas, das Menschen zuweilen taten. Solche, die viel lachten, meinte er. Nicht, dass er es sicher wusste. Doch seine Tätigkeit brachte eine gewisse Routine mit sich, welche Rückschlüsse nahelegte. Zwangsläufig. Sie lachte viel – auch mit Interessenten. Auch jetzt wirkten ihre zierlichen Schritte beschwingt, als sie den vertrauten Weg einschlug. Weil ihre Schritte kaum Geräusche verursachten über die Klangfarben der dumpf auf den Asphalt aufschlagenden Regentropfen. Er erhob sich mit dem aufkommenden Wind – im Einklang mit den Schatten der Nacht. Der Regen wie ein Schleier um seine hünenhafte Gestalt. Instinktiv mummelte sie sich in den pastellfarbenen Wollmantel, während sich ihre zierliche Gestalt geschickt ihren Weg durch das geschäftige Treiben bahnte. Sie hielt dabei eine Grunddistanz zu ihresgleichen – ähnlich wie es seinesgleichen tat. Nun, die meisten davon. Es war nicht das erste Mal, dass es ihm auffiel. Eine Sonderheit, die ihm zuweilen schon begegnet war. Nicht viele ihrer Art zeigten sie. Es erlaubte ihr die Anonymität, in die sich seine Art vor so langer Zeit begeben hatte, dass selbst er nicht mehr wagte, den genauen Zeitpunkt zu benennen. Er war lange schon ohne Bedeutung. Für die meisten seiner Art. Als sie in die weniger belebte Seitengasse einbog, setzte er zu seinem ersten lautlosen Schritt an. Es war nicht mehr weit – und dennoch blieb ihm ausreichend Zeit. Die nächste Windböe verwischte die Spuren seines übermenschlichen Sprunges über die Dächer. Das ein oder andere raubtierhafte Leuchten, welches doch den Blick hinauf wagte, blieb verhalten in seiner ererbten Finsternis. Niemand hatte sich in seine Angelegenheiten einzumischen. Ein ungeschriebenes Naturgesetz in seiner Welt. Alle folgten ihm, ganz wie die Regentropfen ihrem immerwährenden Kreislauf. Alles hatte seine Ordnung – in ihrer wie in seiner Welt. Auch sie befolgte sie. Jetzt gerade. Auf dem Weg zu den Kollegen, mit denen sie sich einen jeden Freitag traf. Eine Routine. Ein Angriffspunkt. Der einzige Abend, an dem sie sich nicht abholen ließ. Nicht, dass sie tatsächlich jemals arbeiten müsste. Ihre Eltern hatten ihr bei Weitem genug Geld hinterlassen. Etwas, das Menschen einst erfunden hatten, um scheinbar niemals damit umgehen zu können. Vielleicht auch etwas, das nie für ihre kurze Lebensspanne und die damit einhergehende begrenzte Sicht auf die Welt geeignet gewesen war. Dass sie also dennoch tagtäglich ihrer Arbeit nachging, war irrelevant für ihn. Relevant war nur, dass sie den schmalen Pfad durch die dunkle Gasse routiniert einschlug – auch an diesem Freitag. Doch heute Abend blieb sie abrupt stehen – im grellen Schein eines automatischen Lichtes, welches zwar klein, jedoch unnatürlich steril den kleinen Spot um sie herum taghell erleuchtete. Es zwang auch seine raubtierhaften Bewegungen, sich einzugliedern in die Schatten seiner Nacht. Tatsächlich wagte er den Schritt an ihre Seite – hoch über den Schatten der Dächer, welche sich aneinander zu schmiegen schienen. Erst das erlaubte ihm den ungetrübten Blick auf die Nichtigkeit, in seiner Welt, welche ihren Gang so überraschend gestoppt hatte. Ein Blumentopf. Er stand einsam und verlassen am Hintereingang zu einem der mehrstöckigen Gebäude mit den viel zu kleinen Zimmern für mindestens drei ihrer viel zu kurzen Generationen, ging es nach ihm. In Ihm reckte sich eine einzige Blume, karg und klein, gen viel zu eng beieinander stehende Hausfluchten in den fernen Himmel empor. Tatsächlich gestattete er sich den merklichen Zug, welcher seine Augenlider nur knapp, kaum bemerkbar, aber doch über sein leuchtendes Gold schob. Er verstand nicht, was ihren Blick gefangennahm. Sah die Einzigartigkeit nicht, welche sie in der Unmöglichkeit erkannte, dass etwas so Schönes an einem so widrigen Ort, ohne Licht und mit viel zu hoher Feuchtigkeit, dennoch hervorgebracht werden konnte. Aber er erkannte seine Chance, diesen Abend auch für sich in einen zumindest unterhaltsamen zu verwandeln. Schönheit barg stets etwas Gefährliches in sich. Nicht nur in seiner Welt. Etwas, das Ihresgleichen wohl auf ewig zu ignorieren bereit bleiben würde. Noch mochte er die Gänsehaut nicht sehen können. Die Feuchtigkeit nahm ihm den Triumph, ihre naturgegebene Angst riechen zu können. Trotzdem war er unverkennbar da. Wach und klar – wie seit jeher. Ihr naturgegebener Urinstinkt, der die Beute vom Jäger trennte. Mochte Ihresgleichen auch irgendwann beschlossen haben, ihn geflissentlich zu ignorieren. Er hatte längst damit begonnen, auch ihr kleines Menschenherz in seinen erbarmungslosen Griff zu schließen. Er konnte es hören. Einen jeden ihrer Schläge. Wie sie sich immer stärker aufdrängten. Sie zum Aufbruch bewegen wollten. Und wie all die Ihren hatte sie längst verlernt, sie anzuhören. Stattdessen starrte sie wie gebannt auf das wenige Pflänzchen. Nur für den Bruchteil einer Sekunde durchzuckte ihn die bittere Erkenntnis. Ein Triumph zu leicht verdient für ihn, den Sohn seiner Eltern. Ein Gedanke aus einer anderen Welt zu einer anderen Zeit. Heute lagen die Dinge anders. Warum also nicht das nutzen, was sich ihm bot? Der Wind nahm den verspielten Zug von seinen schmalen Lippen, als er den unnatürlichen Sprung lautlos in die Tiefe tat. Nicht einmal der Sand, welchen der Wind von der Küste verbrachte, knirschte unter seinen Schuhen. Seine Statur streckte sich alsbald schattenhaft nach ihrer grazilen Kehrseite, während er die Magie der Vorfahren seiner Art erinnerte. Einer Schöpfung seinen Willen aufzuzwingen bedurfte zweierlei, mochte sie auch noch so unbedeutend sein: eines gewissen Know-hows und der Konzentration. Der Grund, warum es dauerte, ehe sich ihm die mächtige Präsens erschloss. Sie war alt. Nicht älter als er, aber in ihrem Vermögen um so vieles weiter. Näher an dem, was er suchte. Viel näher. So nahe und machtvoll, dass sie in seinen angespannten Sinnen aufglomm wie ein Feuerwerk. So präsent, dass sie selbst die zierliche Mädchengestalt wieder aufrichtete, ohne dass die genau benennen hätte können, warum. Er wusste um seinen fatalen Fehler, noch ehe er die Augen schlagartig öffnen hatte können. Sie hatte längst ihren zierlichen Schritt zurück in das Dunkel seiner Welt getan. Ihr braunes Haar traf seine Schleimhaut wie ein Hieb aus blumiger Frühlingsfrische, noch ehe die Klinge in ihrer fatalen Präzision schmerzhaft durch sein Sinnesnetz surrte. Im Augenwinkel erkannte er das feinsträhnige Silber, während ihre Silhouette immer weiter in die Schatten entglitt. Es war nicht seines – und doch das Seine – und kam einem Peitschenhieb gleich, als er ihre Weichheit wiedererkannte, lange bevor sich die beiden violetten Male in seine Netzhaut brannten. Auch sie ganz die Seinen. „Du wirst niemals so weit sein“, beantwortete noch seine stumme Frage, ehe das Leben in seinem Gold vor seinem raubtiergoldenen Augenhintergrund erlosch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)