An Even Madder Word von Hypsilon ================================================================================ Kapitel 3: Sex -------------- “Hallo, mein Name ist Layla und ich gehöre hier eigentlich nicht her. Ich mach das nur, dass die anderen eine Ruhe geben. Haben was von Sexsucht gelabert, absoluter Schwachsinn. Keine Frage, ich hab gerne Sex, auch mit multiplen Partnern. Sie sagen mir auch alle, dass das kein Problem ist… Wenn sich einer verliebt und es mir nicht sagt, ist er selbst schuld, da kann ich nichts für. Ich mein… ich war ja auch schonmal in der Lage, ich war auch mal verliebt, so richtig… Irgendwie… ich wollte mich von ihm ablenken und da gab‘s wirklich nette Typen, die es wirklich gut mit mir gemeint haben und damals dachte ich, dass Monogamie noch was ist für mich, ich bin auch immer wieder bei dem einem gelandet… Hab sie alle betrogen… mit ihm und er hat nur gespielt mit mir, er hat mich benutzt und irgendwie fand ich das toll, es hat mir eine ganz schöne Zeit lang gereicht, aber irgendwann… mein bescheuertes Herz… Da konnte ich auch nicht aus, aber er hat sich für mich entschieden, irgendwann und da, ja da wusste ich, dass ich endlich treu sein konnte. Wir waren perfekt… solange, bis wir es dann irgendwann nicht mehr waren. Er hat mir nicht mehr gereicht, er hat mich irgendwann gar nicht mehr interessiert, obwohl er einmal diese unerreichbare Hauptpreis war, den ich endlich doch gewonnen hatte, wurde er mir langweilig und ich hab mir andere gesucht, nicht nur einen. Er hat mich fallen gelassen, nun ja, ich ihn ja auch. Seit dem… seit dem benutze ich Männer wohl… hmm… vielleicht habe ich ja wirklich ein Problem… aber bin ich deswegen sexsüchtig? Erbarmungslos prasselte der Regen gegen die Scheiben der Fenster. Schweißgebadet riss es Otogi aus dem schlechten Schlaf. Er hatte Albträume, konnte aber im Augenblick des Erwachens nicht mehr nennen, wovon sie handelten. Einzig die beklommene, ängstliche und erschütternde Stimmung blieb. Die Tür ging auf und die freundliche blonde Schwester kam herein. Dieses Mal fragte sie ihm nach seinem Wohlergehen, wie die Nacht war und ob er mitkommen wollte zum Frühstück. Otogi verneinte. Alles. Er wollte nicht auf die Nacht eingehen, sein Wohlergehen war einfach… Nein.. wohl gab es aktuell nicht und frühstücken wollte er sowieso nicht. Der Blick in ihre Augen stimmte ihn traurig. Sie war nicht Tanya, Tanya war nicht da, immerhin war es nun Tag. Mehr wie durch einen Reflex, als dass es ihn aktuell wirklich störte, fuhr er sich über die Stirn und wischte sich den kalten Schweiß weg. „Dusche“, sagte er nun das zweite Wort an diesem Tag und die junge Frau nickte ihm freundlich zu. Otogi entkam ein gequältes Seufzen. Er vermisste Tanya, sie war viel trockener und im Vergleich zu diesem Lächeln so viel ehrlicher und direkter. Aber er wusste ja auch nicht, ob die Schwester nicht tatsächlich eine Frohnatur war und er ihr unrecht tat, indem er ihr unterstellte, sie würde ihr Lächeln vortäuschen. Allerdings, wäre sie wirklich so fröhlich, hätte ihn das auch zur Weißglut gebracht. Die Prozedur der Dusche verlief an diesem Tag ähnlich wie am Tag davor. Schwester und Pfleger beaufsichtigten ihn, Otogi wusch sich mit dem qualitativ minderwertigem Zeug, auch sein Haar musste ran, der kalte Nachtschweiß ließ ihm keine andere Wahl. Doch im Vergleich zum gestrigen Tag, ging alles noch so viel langsamer. Immer wieder begann er zu zittern, wehrte sich aber dagegen, weil er dem Pfleger keine Chance geben wollte, sich aufspielen zu können. Auch wenn ihn der genervte nervöse Fuß, der immer wieder fordernd und drängend am Boden aufschlug eine gewisse Grundanspannung bereitete. Ein paar Stunden später saß er bei seinem Psychiater. Dieses Mal gab er sich sogar die Mühe, den Mann auch anzusehen. „Ich brauche keinen Entzug“, sagte er stur aber mit zittriger Stimme. Seine Arme hatte er abwehrend vor der Brust verschränkt, der Blick direkt in das Gesicht seines Gegenübers gerichtet. „Ich weiß, Sie brauchen den nächsten Schuss, nicht wahr?“, überraschte ihn der Mann mit sanfter aber tiefer Stimme. Otogi hob die Augenbrauen an. Dann konnten sie das etwa einfach so lösen? Die Hoffnung flammte in ihm auf und für einen Moment wirkte der Studierte vor ihm wie sein Lebensretter. Ein Held mit schütterem braunem Haar, das im Ansatz bereits ergraute. Ähnlich wie Superman versteckte der Mann sein wahres Ich hinter einer dicken Hornbrille, die seine grauen Augen durch die Gläser etwas größer wirken ließ und den Kittel ließ er abends wohl auch fallen um heimlich für Recht und Ordnung zu sorgen. „Aber weil Sie diesen Schuss brauchen, bleibt Ihnen nichts anderes als ein Entzug übrig“, sagte der Held, der augenblicklich zum fiesen Superschurken wurde. Otogis Leben war dahin. Er lachte kurz auf. „Muss ich dann auch täglich zu AA?“, fragte er amüsiert, doch Dr. Carter – so ließen das Schild am Tisch und der Name an den Diploma an den Wänden zumindest vermuten, denn auch, wenn er sich Otogi gestern eben als Dr. Carter vorgestellt hatte, so war der junge Mann nicht aufmerksam genug, welch generischer Name, dachte Otogi nun bei sich – doch Dr. Carter verneinte. „Sie sind ja kein Alkoholiker”, argumentierte er. Otogi wunderte sich, dass es wohl kein Äquivalent für seine Sucht gab. Halt! Da war es wieder. Das Eingeständnis. „Keine Sorge, es gibt schon etwas für Sie, aber alles zu seiner Zeit. Erst einmal würde mich interessieren: Wie geht es Ihnen?“, fragte der Doc. „Beschissen“ – „Das sieht man Ihnen an“ Otogi empörte sich. Wie konnte ihm dieser dahergelaufene Klinikarzt so rotzfrech kommen und ihn beschimpfen? Tatsächlich schien es aber etwas in Otogi auszulösen. Ein Wildfremder sagte ihm, er sähe beschissen aus. Auf andere Leute hatte er normalerweise genau die gegenteilige Wirkung. Man machte ihm Komplimente, lud ihn auf den ein oder anderen Drink ein und schmierte ihm Honig ums Maul, um ihn ins Bett zu kriegen, aber dieser Mann schien wahrlich angewidert von ihm zu sein. Eine ungewohnte Übelkeit stieg in Otogi auf. „Was macht meine Feststellung mit Ihnen?“, fragte Dr. Carter. Otogi zog die Arme vor seiner Brust fester zu. „Es macht mich wütend. Sie lügen“, sagte er überzeugt. Sein Gesprächspartner wollte wissen, auf wen er wütend war. Natürlich auf ihn. „Oder sind Sie es vielleicht auf sich selbst? Weil Sie es so weit haben kommen lassen?“, fragte der Arzt weiter, dass es Otogi zu bunt wurde. Er schwieg lieber wieder. Sie beide schwiegen. Otogi fühlte sich nun im Vorteil, weil er seinem Gegenüber nicht die Antwort gab, die er sich erwartete, dass er dies aber bereits machte, indem er nicht antwortete, war für Dr. Carter bereits das, womit er gerechnet hatte. Sie ließen die Zeit vergehen. Bis eben hatte Otogi es doch tatsächlich geschafft, ein paar Minuten nicht an den Drang, eine Line zu ziehen, sich einen Schuss zu genehmigen oder sich anderweitig auf die Welle zu bringen, gedacht. Er war für einen Moment frei von seiner Sucht. Wahrscheinlich hätte ihm ein anderer Psychiater gesagt, dass es genau so sein sollte und, dass er sich gut fühlen sollte, aber der Zeit, in der er nicht an die Drogen dachte, verbrachte er damit, sich beleidigen zu lassen. Das war doch viel schlimmer. Als die Stille eintrat wurde das Verlangen wieder präsenter. Weg war es nie. Sein Körper gab auch wieder nach und zitterte unkontrolliert. „Wenn wir Sie durch die ersten Tage und die schlimmste Zeit sind, kommen Sie auf ein normales Zimmer“, sagte Dr. Carter. Otogi blickte auf. Er wollte wissen, was an dem Zimmer, in dem er gerade war, nicht normal war, abgesehen vom Standard, der Qualität, der Wandfarbe und eigentlich einfach allem. Dr. Carter erklärte ihm, dass er aktuell in einem Entgiftungszimmer einquartiert war, einem Beobachtungszimmer, wenn man es so wollte. Es war üblich, dass Neuankömmlinge erst ein paar Tage in einem solchen Zimmer verbrachten um das Schlimmste hinter sich zu bringen und keine anderen Patienten damit zu belasten, außerdem war der Raum videoüberwacht – Otogi hatte sich bei der Ausführung gewaltig aufgeregt, es spräche gegen seine Privatsphäre und sei eine bodenlose Frechheit, bis man ihm eines Besseren belehrte und ihm die Zeilen seiner Einweisung unter die Nase hielt – er hatte eingewilligt. „Toll… wie lange dauert das?“, fragte er dann. Die Aussicht, ein normales Zimmer beziehen zu dürfen, freien Zugang zur Dusche und den anderen Teilen der Anlage zu haben und auch die Möglichkeit, sich Pflegeprodukte, die seinem Standard entsprachen, besorgen zu lassen, motivierte ihn für einen Moment. Inwiefern er diese Motivation umsetzen konnte, wusste er nicht, denn sie änderte nichts daran, wie stark sein Körper bereits jetzt auf den Entzug reagierte. Natürlich war mit der Antwort des Arztes nicht zu arbeiten. Es käme auf die Person an, hatte er gesagt, auf das Konsummuster, es gab keine Zeitspanne, nicht einmal so etwas wie „In drei Tagen sieht alles anders aus“, konnte er aus ihm rausbringen. Am Weg zurück in dieses Entgiftungszimmer – natürlich in Begleitung – dachte er darüber nach, ob er vielleicht tatsächlich ein Suchtproblem hatte. Das dritte Mal in den vergangenen 24 Stunden hatte er nun zumindest gedanklich seine Sucht thematisiert. Vielleicht hatten sie doch recht. „Sie schaffen das schon“, sagte die blonde Schwester, Otogi konnte sogar Mary auf ihrem Namensschild lesen. Sie schenkte ihm ein zuversichtliches Lächeln. „Aber wie?“, fragte Otogi als er sich im Zimmer auf das Bett setzte. Mary nahm einen Stuhl vom Tisch und stellte ihn Otogi gegenüber hin, ehe sie sich setzte. Sie erzählte ihm von anderen Patienten und tatsächlich schien es ihnen allen ähnlich zu gehen, zumindest denen, die sein Muster teilten. „Deswegen müssen Sie essen, sie brauchen Vitamine und Energie und Sie müssen Ihren Körper stärken, sonst erschlägt Sie der Entzug“, sagte sie und griff zügig in die Tasche ihres Kittels. Liebwollend reichte sie Otogi eine Mandarine. „Vitamine“, wiederholte sie und erklärte ihm dann den üblichen Tagesablauf. Solange er hier war, wurde er um 7:00 geweckt, dann konnte er unter Aufsicht duschen und sich zurecht machen. Um 8:00 gab es Frühstück, wer um halb neun kam, war zu spät. Um 9:00 hatten sie eine Stunde „Dankbarkeit“. Wie Otogi erklärt wurde, würden sich die Gruppenteilnehmer austauschen, wofür sie heute dankbar waren und das jeden verfickten Tag, bis er hier rauskam, die anderen machten weiter. Allein die Vorstellung kam ihm lächerlich vor. Dann folgte so etwas wie Unterricht, zumindest deutete Otogi das so. Es sollte um Konsequenzen, Folgen und alles gehen, was mit dem missbräuchlichen Konsum von Drogen, Alkohol und anderen Dingen zu tun hatte. Er fragte sich augenblicklich, was diese anderen Dinge waren, doch das sollte er noch früh genug erfahren. Den restlichen Vormittag stopfte man mit unterschiedlichen seminarähnlichen Stunden, bis es pünktlich um zwölf Mittag gab. Eine Stunde war dafür eingeplant. Dann kam der Nachmittag, wo sie teilen sollten. Gemeinsam in Gruppen wurden Konsummuster besprochen und es sollte analysiert werden, wie es soweit kam, wann aus einem gelegentlichen Rausch eine Angewohnheit, ein Drang, der Alltag wurde. Und Gefühle, es sollte immer über beschissene Gefühle gehen. Mary erzählte ihm noch allerhand Details, aber irgendwann war es mit seiner Aufmerksamkeit dahin, er konnte sich glücklich schätzen, zumindest den Tagesablauf halbwegs mitbekommen zu haben. Er vermutete, er würde sich hilflos aufgeschmissen in einem normalen Zimmer wiederfinden und nicht wissen, wo man ihn erwartete, auch wenn er sonst so verlässlich war, sein Kopf war dazu gerade einfach nicht in der Lage. Das Detail, dass er dieses nämlich mit jemand anderen teilte, entging ihm gekonnt. Das würde früher oder später den nächsten Protest mit dem jungen Spieleentwickler mit sich ziehen. „Heute steht für Sie nur noch die Gruppe an, wenn es Ihnen besser geht, werden Sie Schritt für Schritt an den anderen Einheiten teilnehmen“, erklärte sie. Wäre Otogi Alkoholiker, ginge das alles schneller, er wäre vom ersten Tag an bei allen Veranstaltungen dabei und hätte sich direkt den ganzen Nonesense – wie er es später noch beschreiben würde – zu Gemüte ziehen dürfen. Für den Moment war das bereits hart genug für ihn. Aufstehen, duschen, die Sitzung mit Dr. Carter und die Gruppentherapiesitzung am Nachmittag… und essen. An diesem Tag wollte er Marys Rat folgen und mittagessen. Bis es soweit war, lag er eine ganze Weile in seinem Bett, wandte sich hin und her, verfiel einem regelrechten drogenverlangenden Tobsuchtsanfall nach dem anderen und wechselte diese mit unüberwindbar scheinenden Schüttelfrostepisoden ab. Mary sprach gut auf ihn ein, wenn und dann sie an dem Entgiftungszimmer vorbei kam und Otogi ihre Gesellschaft anbot. Er wollte allein schon, dass es besser wurde, nur um diese grässliche bemutternde Stimme nicht mehr hören zu müssen. Immer wieder sagte sie Sachen wie „Alles wird gut“, „Das ist der erste Schritt“ und „Bald ist es geschafft, ein bisschen noch durchhalten“ und Otogi konnte es nicht mehr hören. Sie verhöhnte ihn, das spürte er genau. Als es zum Mittagessen ging, sah sich Otogi bei den anderen Patienten um. Die waren doch alle verrückt. Er war nicht etwa in einer Entzugsklinik, er musste in einer Psychiatrie sein, das war für ihn die einzige Erklärung dafür, dass die hier alle so gute Laune hatten, lachten und schwatzten und so eigenartige Rituale abfeierten. Einer von ihnen, er versuchte sich aus der Gruppentherapie zu erinnern. Tiem? Genau, sein Name war Tiem. Er lief mit einem bekloppten weißen Kuscheltierhasen herum und erklärte diesem, was er zu sich nahm. Später würde Otogi lernen, dass Tiem damit lernte, dem Kuscheltier genau zu sagen, was er tat, warum er das tat und auch, was er dabei empfand. Es sollte ihm helfen, über seine Gefühle zu sprechen, die er oftmals runterschluckte, auch schien es die Grundanspannung des Kiffers zu senken. Otogi setzte sich mit einem Teller Pasta und Soße weit von den anderen weg. Er wollte ichts mit ihnen zu tun haben. Direkt neben ihm war eine große Glasscheibe und gewahr ihm den Ausblick nach draußen. Es war ein schöner Anblick, auch wenn er nicht wusste, ob er ihm glauben durfte. Erbarmungslos prasselte der Regen gegen die Scheiben der Fenster. “Hallo, mein Name ist Layla und ich bin wohl sexsüchtig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)