An Even Madder Word von Hypsilon ================================================================================ Kapitel 2: Cannabis ------------------- “Hi, mein Name ist Tiem und ich bin obsessiver Cannabis-User. Ich benutze diese Substanz um meine Grundanspannung zu senken, das Problem ist, ich brauche immer mehr, bis es zur täglichen ja fast stündlichen Gewohnheit wird, ich konsumiere nicht viel, immer wenig, aber ich will immer leiser drehen, das Volume runter schrauben, aber irgendwann krieg ich es nicht mehr gebacken… ich mache einen Entzug. Kalten Entzug, den Konsum zu verringern bringt nichts, binnen weniger Tage bin ich gleich wieder auf einem neuen Höchstpunkt. Der Entzug ist die Hölle, ich habs bis jetzt immer allein gemacht, mit meiner Partnerin, aber… ja, der Entzug ist die Hölle, ich rauche erst alles weg oder verschenke es an Leute, von denen ich weiß, dass sie es brauchen können… und dann, dann habe ich gar nichts, keinen Ausweg mehr, ich hab nichts mehr worauf ich zurückgreifen kann und dann geht’s los. Am ersten Tag bin ich sehr stolz auf mich und fühle mich wie neu geboren, der zweite wird schon interessanter und dann geht das mit dem Schlafstörungen los, ich kann nicht mehr schlafen, ich werde unruhig und mein ganzer Körper verlangt nach der Substanz. Zwei Wochen geht das mindestens so, dann ist das schlimmste überstanden. Ich bin unausstehlich in dieser Zeit, sehr reizbar, jähzornig, nichts will mir gelingen und das ärgert mich immer mehr. Ich bin binnen Sekunden auf 180. Probleme von Anderen wirken wie weitere Bürden auf mir, sie zerfressen mich zu meinem schon so angekratzten Nervengerüst, alles was mich dabei am Aufgeben hindert, ist meine Partnerin… war meine Partnerin. Irgendwann war es ihr auch zu viel… sie hat mich verlassen, konnte nicht mehr zusehen… ja, deswegen bin ich jetzt hier und möchte professionelle Hilfe, ich weiß nicht mehr wie ich mein Leben auf die Reihe bekommen soll“ Erbarmungslos prasselte der Regen gegen das Fenster. Minute um Minute, Stunde um Stunde. Otogi schaffte es die ganze Nacht nicht, einzuschlafen. Mal lag er am Rücken und starrte an die Decke, dass drehte er sich zur Seite und fixierte den sanften Lichtstrahl, der unter der Tür wissen ließ, dass draußen Licht brannte. Immer wieder zogen Schatten vorbei, draußen passierte wohl jemand Otogis Zimmer. Und dann drehte er sich auf die andere Seite und sah die kalte weiße Wand an. Er vermutete zumindest, dass sie weiß war, in Wirklichkeit war sie bereits vergilbt, die Einrichtung war alt, weiß war hier gar nichts mehr außer vielleicht den langen Fingern dieser einen Frau, der Otogi am Weg zurück ins Zimmer über den Weg gelaufen war. Sie saß vor dem Gemeinschaftsraum auf seinem Stuhl und knabberte an ihren Fingernägeln. Ihr musste kalt sein, denn in ihren Fingern konnte kaum Blut sein, so blass wie sie waren, doch die Frau war nur auf ihre Nägel konzentriert, biss sogar soweit, bis sie zu bluten begann. Otogi dachte für einen Moment an sie und fragte sich, warum sie hier war. Des Nägelbeißens würden sie sie hier wohl nicht behandeln wollen. Er lachte kurz auf, dann kamen ihm die Tränen und er wusste nicht warum. Der Gedanke an diese Frau, die so neben sich zu stehen schien, viel mehr zu sitzen machte ihm Angst, er hatte Angst. Vermutlich, weil er nicht wie sie enden wollte? Vielleicht aber auch, wenn er befürchtete, man steckte ihn mit ihr in eine Schublade. Er war nicht so, er hatte sich im Griff. Das sagte er sich immer wieder während er erst merkte, dass er sich kratzte, als er etwas Feuchtes spürte. Er musste nichtsehen um die wissen, dass er sich blutig geschunden hatte, zumal er sowieso nichts gesehen hätte. Das Brennen an der Haut vergewisserte ihm, dass seine Annahme korrekt war, also schmunzelte er, die Tränen versiegten. Immer wieder drangen Geräusche von Draußen an seine Ohren – seien es die Schritte am Gang oder der Regen am Fenster, mehr aber war es auch schon nicht mehr. Kein Straßenlärm, keine Autos, keine feiernden Leute auch keine wilden Sirenen oder Feuerwerk. Die Nacht war lang, unendlich lang, Otogi wäre ja vor Langeweile eingeschlafen, hätte er welche empfunden. Dafür hatte er keine Zeit. Er fühlte sich hin und hergerissen zwischen der Aufregung des untragbaren Kraches, den die weichen Schuhe der Schwestern am Gang machten und dem Drang aufzuspringen und nach einem Schuss zu betteln. Wenn er keinen bekam, würde er auch einen doppelten Scotch nehmen oder eine Line, er würde sich sogar einen ordentlichen Schluck Mundwasser oder einen Zug hochentflammbaren Kleber durch die Nase einreden lassen, aber er brauchte etwas, er brauchte etwas, das ihn auf andere Gedanken brachte, etwas, das ihn aus seinem Elend der unendlichen Einsamkeit rausholen konnte. Nach gefühlten Stunden richtete er sich auf. Er war schweißgebadet und vollkommen außer Atem. Bestimmt würde in ein paar Stunden die Sonne aufgehen und er hätte die erste Nacht geschafft. Am nächsten Tag war es bestimmt besser, versuchte sich einzureden und ließ sich wieder zurückfallen. Er zitterte und ihm war heiß. Die Gedanken rasten. Er dachte an das letzte Mal, als er sich die Spritze angelegt hatte, wie routiniert er sich mit dem Gürtel den Arm abgeschnürt hatte und mit welcher Leichtigkeit er den Stöpsel von der Spritze gezogen hatte, mit den Zähnen, er hatte ihn irgendwohin gespuckt, es war ja egal. Dann war das Nervengift so schnell in seiner Vene verschwunden und er wartete sehnsüchtig auf die Wirkung. Die Wirkung war schon lange nicht mehr, was sie anfangs war. Dann dachte er an Chris, wie er die ersten Male bei ihm war und ihn interessiert dabei beobachtete und sich daran ergötzte, wie er dem Rauschgibt nachgab und sich schließlich dem Broker hingab. Es waren unbeschreibliche Nächte, die er mit ihm verbrachte und nach genau so einer sehnte er sich nun. Otogi schlug die Arme um sich, hielt sich fest, drückte seine Finger in seine Oberarme und mühte sich ab, nicht mehr zu weinen. Er vermisste Chris, verschwendete keinen Gedanken mehr an Seto Kaiba, verfluchte ihn nicht einmal mehr dafür, dass er wegen ihm nun hier fest saß. „Herr Otogi, Sie sollten sich beruhigen“, sagte eine leise Stimme neben ihm. Er war nicht eingeschlafen, schreckte aber auch nicht hoch. Unterbewusst hatte er wahrgenommen, dass jemand in das Zimmer kam. Es war immer noch dunkel draußen, aber in den Raum trat nun das Licht vom Gang herein. Otogi kannte die Frau, der diese liebliche Stimme gehörte nicht, also starrte er sie kalt an. „Ich bin Tanya, eine der Nachtschwestern, bei meinem Kontrollgang habe ich bemerkt, dass Sie zittern, kann ich Ihnen etwas bringen?“, fragte die junge wohl unerfahrene Schwester. Sie war schlank, hatte eine gute Figur, einen braunen Bob und so stechend blaue Augen, dass Otogi diese sogar im halbdunklen Raum sehen konnte. „Kokain… Heroin… LSD… Speed, irgendwas“, antwortete Otogi, dabei blieb er in diesen tiefen blauen Augen hängen. Fast als wäre der reine Anblick dieser unbeschreiblichen Seelenspiegeln eine minimale Dosis einer harten Droge gewesen, wurde er augenblicklich ruhig und grinste. „Selbst, wenn ich etwas bei mir hätte, würde ich es Ihnen nicht geben“, sagte Tanya und zwinkerte Otogi frech zu, dann deutete sie ihm, sich aufzusetzen. Otogi schüttelte den Kopf. Hatte er gerade wirklich richtig gehört? Hier schien, soweit er das bereits beobachten konnte, alles so korrekt, aber diese Frau da, sie schien hier so Fehl am Platz zu sein wie er. Vielleicht konnte sie eine Verbündete werden? Hilfesuchend starrte er in ihre Augen. „Wie wäre es mit einem Spaziergang?“, fragte sie und wich von seiner Seite, Otogi stand sofort auf und ging ihr nach. Ihm war sogar egal, dass er nur Boxershorts und ein T-Shirt trug. Wann er sich zum Schlafen umgezogen hatte, wusste er nicht mehr, vielleicht hatte etwas ihm auch jemand Anderes abgenommen, vermutlich dieser Mitdreißiger von einem Pfleger, der ihm beim Duschen schon so begafft hatte. Tanya führte Otogi durch die Gänge und blieb schließlich mit ihm vor einer großen Terrassentür stehen. Davor standen Hausschuhe, von denen sie ihm ein Paar zuschob. Ein Blick auf die Uhr verriet dem Patienten, dass er sich sage und schreibe zweieinhalb Stunden plagte und die ganze Nacht vermutet hatte. „Die Zeit vergeht hier viel zu langsam“, sagte er schwach, während er in die Hausschuhe schlüpfte und Tanya die Terrassentür öffnete. Sie schüttelte den Kopf. „Es wird nicht lange dauern, da vergeht sie wie im Flug, sie sind wohl nicht einmal 24 Stunden nüchtern, haben Sie etwas Geduld“, sagte sie und ging mit ihm nach draußen. Es war eisig kalt, aber auch dagegen hatte die junge Frau etwas. Otogi hatte es nicht bemerkt, aber von irgendwo hatte sie einen dicken Morgenrock. Sie selbst trug seit wenigen Minuten einen dunkelroten Wintermantel, der ihrer Figur unheimlich schmeichelte. Sie war zum Verlieben, dachte Otogi, wäre sie nicht der Wärter und somit der Feind. Die beiden gingen langsam in den Garten, drehten ein paar Runden in der Anlage und obwohl es stockfinster war, vermutete Otogi die Umgebung als schön. Plötzlich blieb er stehen. „Wann hat es aufgehört zu regnen?“, fragte er überrascht, dass Tanya auch stehen blieb und ihn eingehend musterte. Sie schüttelte den Kopf. „Es hat schon Wochen nicht mehr geregnet, vorgestern hat es geschneit, aber das wars, es liegt auch gar nichts mehr hier“, sagte sie und sah an Otogi vorbei in den Garten. Otogi seufzte. Spielten ihm seine Gedanken solch einfältige Streiche? „Wann kann ich hier weg?“, fragte er nach einer Ewigkeit des Schweigens. Tanya kicherte. Sie erklärte ihm, dass sie das alle fragten, vor allem die, die von einem geliebten Menschen gebracht wurden. Daraufhin schnaubte Otogi. Geliebter Mensch. Dass er nicht lachte. Er behielt den antworteinfordernden Blick bei und wartete ab. „Schauen Sie“, begann sie, doch Otogi unterbracht sie, indem er sie bat, ihn zu duzen und ihm beim Vornamen zu nennen. „Ok, Ryuji, schau, du hast dich hier selbst eingeschrieben, deine Unterschrift sitzt unter einem Antrag, der mindestens ein Monat gilt“, begann sie und Otogi stieß einen entsetzte Schrei aus. Er protestierte. Erinnerte Tanya daran – obwohl sie nicht dabei war – dass Kaiba gesagt hatte, es ginge nur um ein paar Tage, oder war es eine Woche? Oder gar zwei? Nein, es konnte kein Monat gewesen sein, über das sie gesprochen hatten. Das war lächerlich. Und Tanya nickte. „Es ist lächerlich, dass man Menschen zu ihrem Glück zwingen muss“, sagte sie und sah traurig zur Seite. Otogi begann wieder zu zittern, er merkte gar nicht, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte, er fühlte sich beleidigt und drehte sich um. „Ich muss also einen Monat hier sitzen, bis ich wieder raus kann?“, fragte er und Tanya bestätigte ihm das. Sie sagte ihm auch, dass er sich kooperativ geben musste, worauf hin er seufzte und eiligst den Weg zurück einschlug. Er hatte genug von dieser Unterhaltung, er wollte zurück, wollte beim Empfang, wo auch immer der war, auf der Stelle einen Antrag stellen, hier wieder rauszukommen. Sie sollte ihm ein Taxi rufen und ihn zurück in seine Wohnung bringen. Diesem Wunsch machte er lauthals Platz, bis ihn einer der Pfleger an den Handgelenken packte, ihm diese hinter dem Rücken zusammendrückte und ihn in sein aktuelles Zimmer abführte. Das war ein anderer Pfleger, nicht der notgeile Mitdreißiger, den Otogi in diesem Moment viel lieber an seiner Seite gewusst hätte, mit dem hätte er vielleicht noch Spaß haben können, aber dieser Kerl hier, sicher nicht älter als seine Präferenz, dafür groß, breit, kantig und grob. „Tanya, was fällt dir ein?“, keifte er die Brünette Schwester an, die Otogi nur noch nachlaufen konnte und nun versuchte, den Pfleger zu besänftigen. Tja, die Nachtschicht war eindeutig anders drauf, das wurde Otogi nun klar. Ein breites Grinsen aber unterstrich seinen inneren Entschluss, der Nachtschicht öfter beizuwohnen. „Du kannst mich gerne etwas an den Haaren ziehen“, sagte er keck, doch Oliver, wie sich später herausstellte, ging nicht darauf ein. Er drückte Otogi zurück sein Einzelhaftzimmer stieß ihn zum Bett und knallte die Tür zu. Für einen Moment konnte Otogi die wütenden Schritte draußen hören, dann wurde es still. Otogi begann zu lachen, dann ging er zitternd auf die Knie. Dieser Augenblick war so intensiv, dass er kurzweilig seinen Suchttrieb vergessen hatte, zumindest den der Drogen. Er umschloss seinen Oberkörper wieder mit seinen eigenen Armen und kippte nach vornüber. Seine Gedanken wanderten in die Arme des kalten Geschäftsmann, dem er das alles hier zu verdanken hatte. Im wurde schwindelig und der kalte Schweiß trat an die Oberfläche. Wie sollte er das nur alleine bewältigen? Wie sollte er sich einen ganzen Monat hier durchschummeln um? Otogi dachte daran, wie er sich nach der Zeit hier bei seinem Dealer des Vertrauens ein Tütchen Kokain holen würde, wie er das weiße Pulver auf seinem Beistelltisch ausstreute und mit seiner Kreditkarte eine schöne perfekte Line herrichtete. Er dachte daran, wie er sich seinen kurzen Strohhalm aus Aluminium aus der Lade eben dieses Beistelltisches holte und das Rauschgift nasal in sich aufnahm und dann Kaibas Nummer wählen würde. Er würde ihm erklären, dass es ihm gut ging, dass er nur mal kurz etwas Koks genommen hatte und nun bereit für jegliche Schandtat war, die er mit ihm anstellen würde. Aber die Möglichkeit blieb ihm verwehrt. Er steckte hier fest. Dreißig verfluchte Tage. Nein… Neunundzwanzig, einen hatte er geschafft und er würde noch diese neunundzwanzig weiteres schaffen, er würde seine Vorfreude auf diese erste neue fast schon jungfräuliche Line fast einen Monat ankurbeln und sich schlussendlich seiner Sucht weiter hingeben. Seiner Sucht? Hatte er es in Gedanken tatsächlich als Sucht anerkannt? War das nicht das, was er an diesem Tag bereits in der Gruppe gehört hatte? Einsicht? War Einsicht wirklich der erste Schritt zur Besserung? Sie redeten ihm ein, dass Besserung der Entzug war, dass Besserung die Abstinenz war und dass er Clean werden musste. Otogi drückte sich fester und schlug seitwärts am kalten Boden auf. Welch ein Glück, dass er diesem bereits so nah war. Sich selbst haltend zitterte er sich in den Schlaf und merkte dabei nicht einmal, dass Tanya später noch einmal kam, nach ihm zu sehen und dass sie Oliver gerufen hatten, ihr zu helfen, Otogi in das gefühlt genauso kalte Bett zu hieven. Erbarmungslos prasselte der Regen gegen die Scheiben der Fenster. “Hi, mein Name ist Tiem und ich bin obsessiver Cannabis-User. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)