Das letzte Puzzlestück von Kerstin-san ================================================================================ Kapitel 1: Das letzte Puzzlestück --------------------------------- Sam ist überraschend glücklich, obwohl er tot ist. Dieser neue Himmel ist so viel schöner, als er es sich je vorzustellen gewagt hätte. Es ist so friedlich hier, er hat Dean an seiner Seite und was am besten ist: Sie erleben ihre eigenen Erinnerungen nicht immer wieder in einer Art Endlosschleife, sondern haben die Freiheit, noch mehr zu sehen und noch mehr Neues erleben zu können. Dieses Leben nach dem Tod kommt ihm nicht wie das Ende, sondern wie eine weitere Chance vor. Er ist so stolz auf Jacks und Cas' Werk. Sam bedauert, dass er ihnen das nicht persönlich sagen kann, aber er ist sich sicher, dass die beiden wissen, wie dankbar er ist - er geht davon aus, dass seine Gebete an der richtigen Stelle angekommen sind. Ja, Sam ist glücklich, aber manchmal gibt es Momente, in denen er von einer gewissen Rastlosigkeit ergriffen wird, weil er das Gefühl hat, dass ihm irgendetwas fehlt. Früher oder später führt das dazu, dass er jemanden aus seiner Vergangenheit besuchen geht. Meistens mit Dean im Schlepptau, der sich immer freut, wenn er mit Baby durch die Gegend fahren kann, manchmal aber auch alleine. Mittlerweile haben sie beide einen Haufen ihrer alten Bekannten wieder getroffen. Aber es gibt noch eine ganz bestimmte Person, die Sam sehen möchte. Eine Person, bei der er sich bisher gescheut hat, im Himmel nach ihr zu suchen. Er ist Bobby wieder begegnet und hat Mum und Dad besucht. Eileen natürlich. Gott, er hofft, dass es noch lange dauern wird, bis er seinen Sohn hier wiedersieht. Er hat sich auf die Suche nach Ellen, Ash und Jo gemacht. Auch Charlie hat er getroffen. Jody und Donna. Pamela hat er einen Besuch abgestattet und sogar bei Sarah vorbeigeschaut, aber bisher hat er sich nicht getraut, die eine Person aufzusuchen, mit der er einerseits unbedingt reden will, bei der er aber nur bei dem Gedanken daran, ihr wiederzubegegnen, auch eine große Unsicherheit verspürt. Jess. Es ist so viele Jahre her, aber er hat ihren Tod nie wirklich verwunden. Die Zeit mit ihr kommt ihm fast wie etwas aus einem früheren Leben vor und in gewisser Weise stimmt das ja auch. Die vier Jahre als Student in Stanford erscheinen ihm rückblickend betrachtet, beinahe unwirklich zu sein. Sein Versuch, das normale Leben zu führen, das er immer wollte und seinem Dasein als Jäger zu entfliehen. Vier kurze Jahre, in denen er dachte, dass er es geschafft hat, nur um brutal aus diesem Traum gerissen zu werden, als Jess starb und er hilflos mitansehen musste, wie sie an der Decke ihres gemeinsamen Apartments in Flammen aufging. Sam hat sich oft gefragt, ob er sie wirklich aufsuchen und alte Wunden wieder aufreißen soll oder ob es nicht besser wäre, sich von ihr fernzuhalten und ihr ihren Frieden zu lassen. Wer weiß schon, ob sie ihn nach all der Zeit überhaupt wiedersehen möchte? Er geht davon aus, dass sie hier auch ohne ihn glücklich ist. Und was soll er ihr überhaupt sagen? Dass es ihm leid tut? Dass er sie heiraten wollte? Dass er in all den Jahren, die seit ihrem viel zu frühen Tod vergangen sind, immer wieder an sie gedacht hat? Dass er sie vermisst hat? Soll er ihr von dem Übernatürlichen erzählen und dass er sie während ihrer Beziehung quasi die ganze Zeit belogen hat? Er hat lange mit sich debattiert, aber schließlich hat sich seine innere Unruhe durchgesetzt und er hat sich dazu entschieden, nach Jess zu suchen und sie noch einmal zu sehen. Und wenn es nur aus der Ferne ist, sagt er sich. Es langt ja schon, wenn er sie nur kurz sieht und sich davon überzeugen kann, dass sie es in den Himmel geschafft hat und dass es ihr hier gut geht. Bestimmt hat sie hier ihre Eltern und alten Freunde wieder getroffen. Etwas unsicher hat er sich von Dean die Schlüssel des Impalas geborgt, während dieser etwas Zeit bei Bobby verbringt und die beiden gemeinsam an einigen Autos herumschrauben wollen. Falls sein Bruder geahnt hat, warum er auf einmal alleine eine Spritztour in Baby machen will, hat er es sich jedenfalls nicht anmerken lassen. Außer der obligatorischen Warnung, dass Sam ja gut aufpassen und bloß nicht auf die Idee kommen soll, wieder einen iPod anzuschließen, hat er das Ganze nicht weiter kommentiert. Sam hat darauf verzichtet, seinem Bruder zu sagen, dass iPods schon seit Jahren aus der Mode sind und hat stattdessen dankbar den Schlüssel aufgefangen, den Dean ihm lässig zugeworfen hat. Und dann ist er losgefahren, ohne klares Ziel, weil das so ist, wie der Himmel funktioniert. Irgendwie kommt man immer da an, wo man hin möchte, auch wenn man das Gefühl hat, nur unkoordiniert umherzustreifen. Und tatsächlich: Nachdem er an Hügeln, mehreren verstreuten Siedlungen und Flüssen vorbeigefahren ist und einem Impuls folgend einfach nach links abgebogen ist, sieht er sie auf einmal. Jess, die in einem luftigen Sommerkleid auf einer Bank an einer Bushaltestelle sitzt und bei dem Geräusch des sich nähernden Autos neugierig aufblickt, während Sam Baby ruckelnd ausrollen lässt und eilig das Fenster herunterkurbelt. Sie sieht noch genauso jung aus, wie vor all den Jahren und er kann den Blick nicht von ihrem Gesicht und den vertrauten honigfarbenen Locken abwenden, als sie sich erhebt und langsam auf ihn zukommt. Kurz schießt ihm die Frage durch den Kopf, ob sie ihn überhaupt erkennen kann oder ob er für sie nur ein merkwürdiger alter Mann ist, der sie verblüfft anstarrt, aber fast gleichzeitig feuern die Synapsen seines Gehirns die einzig logische Antwort darauf ab: Wenn sie für ihn so aussieht, wie zu der Zeit, als er sie das letzte Mal gesehen hat, wird es umgekehrt wohl genauso sein. Wie gebannt blickt er Jessica an, während sie sich langsam zu dem geöffneten Fenster des Impalas hinunterbeugt und ihn mit leicht schräg gelegtem Kopf mustert. „Jess!“, stößt er mit seltsam belegter Stimme hervor. „Du... Ich... Willst du... Kann ich dich... Willst du einsteigen?“, stammelt er schließlich und angesichts seiner Unbeholfenheit lacht sie hell auf, bevor sie ohne zu zögern die quietschende Tür öffnet und sich so selbstverständlich neben ihn in den Sitz fallen lässt, als wäre das seit Jahren ihr angestammter Platz. „Hey, Sam“, sagt sie beinahe andächtig, während ihr Blick über sein Gesicht tanzt und was immer sie dort sieht, bringt sie dazu, vorsichtig ihre Hand zu heben und mit ihrem Fingerknöchel ganz sachte, so als hätte sie es mit einem verschreckten Tier zu tun, über seinen Wangenknochen zu streichen. Der federleichte Kontakt fühlt sich viel intensiver an, als es möglich sein sollte und Sam schließt überwältigt die Augen, ehe er sich ihrer Hand entgegen schmiegt. Seine Aufregung und Unruhe rücken schlagartig in den Hintergrund, während er spürt, wie Jessicas Präsenz ihn erdet und er sich entspannt. Mit einem Mal fühlt sich alles richtig an. Er ist genau da, wo er sein will. Im Hier und Jetzt, zusammen mit Jess. Sams Lippen verziehen sich zu einem verschmitzten Lächeln. „Lust auf eine kleine Spritztour?“, fragt er, während er seine Augen wieder aufklappt und ihren Blick sucht. „Dachte schon, du fragst nie“, entgegnet sie spitzbübisch und lehnt sich entspannt im Beifahrersitz zurück, als er das Gaspedal durchdrückt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)