Through Space and Time von Sweet_Sakura0307 (God's Fallen Angel / Satoru X Yashiro) ================================================================================ Kapitel 1: Sonntag ------------------ Eines der unzähligen Wiedergeburten des schwarzen Engel war, die des Gaku Yashiro im Japan des 20. Jahrhundert. Er lebte in einer kleinen Stadt der Insel Hokkaido, die so weit im Norden Japans lag, dass die kälteste Jahreszeit dort früh begann und spät aufhörte. Ähnlich seiner auferlegten Strafe dauerte der Winter dort eine Ewigkeit, denn es hörte nie auf zu schneien. Da er aber in seinem letzten Leben ein in Sibirien lebender Russe war, störte ihn diese Tatsache wenig. Genau wie seine Engelsgestalt hatte er ebenholzschwarze Haare und wahlnussbraune Augen, war schlank, groß gewachsen und punktete bei Menschen egal welchen Geschlechts und Alters mit seinem charmanten Auftreten. Er wartete und wartete darauf, dass er seinem Liebsten begegnen würde. Seine ganzen Zwanziger verbrachte er mit Warten. Rastlos ging er durch die verschneiten Straßen und ließ seinen scharfen Blick über die Köpfe der Kinder suchend gleiten, wissend, dass er seinen Geliebten an einem Merkmal erkennen würde - der seidene Spinnfaden über seinem Haupt, das Zeichen dafür, dass er mit Gott verbunden war. Auch er war mit einem roten Spinnfaden mit Gott verbunden, den nur er sehen konnte, wenn er sich im Spiegel musterte. Einerseits war es ein sicheres Mittel für ihn die Wiedergeburt seines Geliebten mit hundertprozentiger Treffsicherheit auszumachen. Andererseits wusste er, dass, solange der Faden weiterhin in den Himmel führte, Gott unweigerlich ihr Schicksal beeinflussen würde. Um die Wahrscheinlichkeit der Begegnung zu erhöhen, entschloß er sich dazu Lehrer zu werden. Besonders zu den Kleinen hatte er einen guten Draht. Die Kinder liebten und vertrauten ihm und fühlten sich sicher in seiner Nähe. Schließlich sollte er an der Mikoto Grundschule eine 5. Klasse mit zehn- und elfjährigen Jungen und Mädchen übernehmen. Er würde ihr neuer Klassenlehrer werden und überflog im Lehrerzimmer schon einmal die Namensliste. Natürlich würde er in seinen Fächern noch andere Klassen unterrichten, allerdings lag sein Schwerpunkt auf der Betreuung der Klasse 5-4. Es war Frühling, der offizielle Beginn des neuen Schuljahres in Japan. Auch, wenn viele in südlicheren Teilen den Schulbeginn mit blühenden rosa Kirschblüten und einer angenehmen Frühlingsbrise in Verbindung bringen, war es auf Hokkaido noch grau und kalt. Das höchste der Gefühle waren etwas mehr Sonnenschein und nass glänzende Straßen vom tauenden Schnee, wenn das Wetter es gut mit ihnen meinte. Doch heute war es - wie schon in den ganzen vergangenen letzten Wochen - bewölkt und trist. Die Schüler und Schülerinnen wurden zusammen mit den Eltern in der Empfangshalle durch ein paar warme Worte des Schulleiters begrüßt und nach der kurzen Ansprache in den Klassenraum geschickt. Auch, wenn die 5. Klassen nicht neu an der Grundschule, sondern mittlerweile zu den Alteingesessenen gehörten, würden die nächsten zwei Jahre sie auf die Aufnahmeprüfungen der Mittelschulen vorbereiten. Eigentlich wollte er der erste im Klassenraum sein und auf die Ankunft der Kinder warten, doch die Tatsache, dass der Schulleiter mit seiner Rede früher fertig war als erwartet und er mit einem Kopierproblem zu kämpfen hatte führten dazu, dass alles so gar nicht nach Plan liefen. Anscheinend gab es im Leben eines erfahrenen Lehrers von 33 Jahren doch noch Momente, in denen er sich so hilflos und überfordert fühlte wie ein Kind. Er war der Klassenlehrer und würde trotzdem zu seinem ersten Schultag zu spät kommen. Aus dieser Erfahrung heraus nahm er sich allerdings für die Zukunft vor das Zuspätkommen seiner Schülerinnen und Schüler immer milde zu bewerten - schließlich gab es Tage, da schien das Schicksal trotz jeglicher sorgfältiger Vorbereitung einfach gegen einen zu sein. Ein kurzes Gespräch mit einem älteren Kollegen, der ihm mit seiner ersten Klasse alles Gute wünschte, hielt ihn noch weitere Minuten vor dem Klassenzimmer auf dem Gang auf und sorgte dafür, dass er nun viel zu spät kam. Durch die Tür hörte er bereits die quirligen Mädchen- und Jungenstimmen, die wild durcheinander redeten. Als er in das Klassenzimmer kam verstummten die Stimmen mit einem Mal und alle Blicke richteten sich auf ihn. Die rund vierzig Schüler und Schülerinnen saßen alle bereits brav und diszipliniert auf ihren Plätzen. Seine Aufregung und Vorfreude ließ er sich nicht anmerken und betrat ruhig und gelassen den Raum, während er mit pochendem Herzen seinen Blick durch den Raum schweifen ließ. „Liebe Schülerinnen und Schüler der 5-4, ich begrüße euch zum neuen Schuljahr.“, begann er nun auch seine Ansprache, nachdem er sich auf den erhöhten Lehrerpodest zwischen Tafel und Pult gestellt und mit der weißen Kreide seinen Namen an die schwarze Tafel geschrieben hatte. Zunächst entschuldigte er sich verlegen für sein Zuspätkommen, was er auch als Erwachsener gegenüber Kinder ein Zeichen des Respekts erachtete, und ging Namen der anwesenden Kinder durch. Er sprach jeden Namen laut aus und für gewöhnlich meldeten sich auch die Anwesenden mit ausgestreckter Hand und einem lauten hörbaren „Hier!“ oder „Anwesend!“. Nur Zwei fehlten - ein Junge, Satoru Fujinuma, und ein Mädchen, Kayo Hinazuki - und fragte die Klasse, ob sie irgendetwas wüssten. „Satoru mal wieder. Der kommt häufig zu spät.“ „Ja, aber zumindest am ersten Schultag hätte er pünktlich kommen können.“ „Der hat gestern bestimmt wieder zu viel Wonder Guy angesehen.“ Ein Junge, Kenya Kobayashi, schien ein guter Freund Satorus zu sein und erklärte, dass es manchmal eine dumme Angewohnheit von ihm wäre und man sich bei ihm keine Sorgen machen müsse. Kayo hingegen schien keiner so richtig zu kennen oder mit ihr befreundet zu sein. Zwar berichteten einige aus der Klasse, dass auch sie häufig zu spät kommen würde, keiner wüsste aber mehr über sie und ihre Familienverhältnisse. Das ließ ihn aufhorchen. Das Mädchen - sobald er sie kennenlernen würde - würde er auf jeden Fall weiter beobachten und der Sache nachgehen. Nachdem der Punkt Anwesenheit auf seiner Liste nun erledigt war, gab er an die Kinder der ersten Reihe einige Kopien und Informationsschreiben aus, die weiter nach hinten gereicht wurden. Das stand nämlich als nächstes an. Während die Blätter ausgeteilt wurde, hatte er angeordnet kurz die hinteren Fenster zum Lüften zu öffnen. Keine fünf Minuten später hatte es draußen wieder angefangen zu schneien und windiger zu werden. Der Wind wirbelte nun auch die Vorhänge hin und her und trieb die Schneeflocken sogar bis in den Klassenraum hinein. Als gerade ein Schüler aufstand um das Fenster wieder zu schließen, fiel plötzlich die Tür laut auf. Auch im Flur vor dem Klassenzimmer stand das Fenster offen und so gab es einen gewaltigen Durchzug. Doch gerade in diesem Moment stolperte ein von weißen Flocken umwirbelter kleiner Junge mit schwarzblauen Haaren und blauen Augen wie ein Schneesturm in den Raum hinein. Yashiros riss die Augen weit auf und sein Herz setzte mit einem Mal aus. Er - er war es! Über seinem Kopf sah er unverkennbar einen eisblauen Faden, der zur Decke führte. Seine Aufregung stieg als er diesen unwirklichen Moment begriff, dass sie sich endlich begegnet waren. Dieser Junge war die Reinkarnation seines Geliebten! Nach dem ersten Aussetzer fing sein Herz wieder an schnell und aufgeregt gegen seinen Brustkorb zu schlagen. So lange hatte er gewartet und die Hoffnung, als er alle Namen und Gesichter in der Klasse durchgegangen war, schon fast aufgegeben. Doch der Junge, nach dem er so lange gesucht hatte, ging tatsächlich in seine Klasse! „Sa-Satoru?“, vergewisserte sich Yashiro von seinem Pult aus, dass hier auch keine Verwechslung vorlag. Während das Fenster schnell geschlossen wurde, waren alle Augen auf den Neuankömmling gerichtet. „Ja, Sensei?“, stammelte der Junge dem die ganze Aufmerksamkeit extrem unangenehm war. „Du…bist zu spät.“, es war weniger eine Feststellung als viel mehr eine Erinnerung für den Jungen, welche Konsequenz aus seiner Handlung folgte - nämlich eine Entschuldigung. Den Wink mit dem Zaunpfahl begriff Satoru von einer Sekunde auf die andere und entschuldigte sich ordnungsgemäß: „Ah…ja, natürlich! Tut mir wirklich Leid, Sensei.“ „Guten Morgen, entschuldigen Sie die Verspätung“, plötzlich stand auch der nächste Zuspätkommer in der Tür. Es war ein kleines zierliches Mädchen mit hellbraunen kurzen Haaren, einem auffälligen roten Mantel und einem dazu passenden roten Schulranzen. Das musste dann ja wohl Kayo Hinazuki sein. So waren nun alle vierzig Schülerinnen und Schüler der Klasse 5-4 am ersten Schultag versammelt. Während sich beide an ihre Plätze setzten, wollte Yashiro sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen sich Satoru unauffällig zu nähern. Er hob einige der herunter gefallenen Kopien vom Boden auf und brachte sie ihm, die Blicke aller Schülerinnen und Schüler auf ihn gerichtet. Verlegen blickte der Junge von seinem Sitz aus nach oben. Sein dunkelbraunhaariger, junger, attraktiver Lehrer, der im Stehen schon groß war, wirkte aus dieser Perspektive noch viel größer, fast wie ein Riese. Auch Yashiro musterte den Knaben und musste das Verlangen unterdrückten diese zerzausten blauschimmernden Haare zu berühren, die er an seinem früheren Ebenbild schon so anziehend fand. Trotzdem musste er jetzt den Grundstein für ihr weiteres Verhältnis legen. Er rollte die Kopien zu einer Röhre zusammen und schlug Satoru damit leicht auf den Kopf. Satoru zuckte dabei unweigerlich zusammen - nicht vor Schmerz, sondern vor Schreck. Er hätte gedacht, dass es mehr wehtun würde, doch es war eine ganz leichte, sanfte Berührung gewesen. Als er seine Augen wieder öffnete und verunsichert nach oben blickte, sah er, wie sein Lehrer ihn anlächelte und ihm mit einem Auge zublinzelte: „Lass das aber nicht zur Gewohnheit werden, in Ordnung?“ Das war sein erster Kontakt mit seinem neuen Klassenlehrer, Yashiro-Sensei. Ein Mann, in dessen Gegenwart er irgendwie Herzklopfen bekam und nervös wurde, sich aber gleichzeitig auch geborgen fühlte. Seine Gefühle ergründend blickte er ihm nach. Ihm den Rücken zugewandt gab er sein Sensei natürlich auch Kayo einen Satz Kopien und ging dann wieder zum Pult. Auch für Yashiro war es ein besonderer Moment gewesen. Jedes Leben, jede Wiedergeburt war anders, sowohl für ihn als auch für seinen Geliebten. Wenngleich ihre Wesenszüge sich eigentlich nie veränderten, unterschieden sich die Lebensumstände allerdings von Mal zu Mal. Es war wie die Biologie eines Menschen - die DNA blieb gleich, die Erziehung aber anders. Satoru konnte sich zwar an ihre Vergangenheit nicht erinnern, dennoch wollte Yashiro nicht gleich auf Eroberungsjagd gehen. Ja, er wollte nichts überstürzen, sich Zeit nehmen und diesen Jungen näher kennen lernen. Einerseits war er neugierig, weil es schließlich um seinen Geliebten ging, andererseits wollte er auch mehr über Gott erfahren. Wieso hatte er ausgerechnet den Körper dieses Jungen ausgesucht und wieso hatte er seine neue Identität die Wege eines Lehrer beschreiten lassen? Wieso sollten sie sich in den vier Wänden dieser Schule wieder begegnen? Was hielt Gott dieses Mal für sie bereit? All diesen Fragen wollte er nachgehen. Vielleicht schaffte er es dieses Mal so ihr Schicksal zu ändern. Je mehr April und Mai voran schritten und auch langsam aber stetig der kalte Winter dem aufkommenden Frühling weichen musste, wurden auch die Tage länger und warmer. Viele Bäume, Büsche und Blumenbeete standen in voller Blüte. Das Wetter war herrlich, nicht zu warm aber auch nicht mehr kalt. Es war Mittagspause und Satoru war draußen und spielte mit seinen Freunden Hiromi, Kazu, Kenya und Osamu Fußball, während die Mädchen Misato, Kayo und Aya unter einem Kirschbaum ihre Bentos auspackten. Yashiro beobachtete die Gruppe vom Fenster des Lehrerzimmers aus mit einem amüsierten Lächeln. Nachdem sich die Jungs etwas ausgepowert hatten, saßen sie sich auch zu den Mädchen. Die Jungs gesellten sich zu ihren Freundinnen, während die Sitzordnung bei den anderen nicht festgeschrieben waren. Aya hatte ein Bento für Kazu vorbereitet und bei Satoru war es so, dass seine Mutter eines für Kayo zusammengestellt hatte. Yashiro beschloß ebenfalls der Gruppe Gesellschaft zu leisten und verließ das Lehrerzimmer. „Sensei! Hallo!“, begrüßte ihn die Schüler und Schülerinnen schreiend und mit winkenden Armen ganz aufgeregt, während sie ihn auf sie zukommen sahen. „Na, genießt ihr die Pause und das schöne Wetter? Eure Bentos sehen ja fantastisch aus!“, stellt er fest und packte ein Milchbrötchen aus. Obwohl er einen Anzug trug, saß er sich zu den Kindern ins Gras unter den Kirschbaum. Die Kinder allerdings blickten abwechselnd in ihre reichlich gefüllten Boxen und dem einsamen Milchbrötchen hin und her. „Sie haben ja nur ein Brötchen, Sensei.“, es war Satoru, der sich als Erster traute die Gedanken aller laut zu äußern. „Ja, als Lehrer hat man nicht so viel Zeit zum Essen.“, antwortete Yashiro verlegen und biss von seinem Brötchen ab. Die Hälfte war schon weg. Mit einem weiteren Bissen wäre sein gesamtes Mittagessen für den Tag dahin gewesen. „Aber Sie müssen mehr essen, sonst kippen Sie noch um. Hier Sie können einen Onigiri von mir haben.“ Satoru sagte das fast väterlich. Fest entschlossen nahm er eines der Onigiri aus seiner Box und drückte es seinem Lehrer in die Hand mit einem Blick als duldete er keine Widerrede. „Und von mir ein Fleischbällchen.“ „Und von mir ein Stück Apfel.“ „Ich habe noch ein frittieren Krabbenschwanz übrig.“ „Und von mir können Sie ein Stück gerolltes Omelette haben.“ Wie aus heiterem Himmel wurde er mit Essen zugeschüttet. Teilweise wedelten die Jungen und Mädchen ihm damit sogar vor der Nase herum und warteten darauf, dass er seinen Mund öffnete. Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete er die neidischen Blicke der anderen Kolleginnen und Kollegen aus dem Lehrerzimmer und entschied sich wieder mit einem „Also, ich muss dann mal weiter arbeiten!“ sich wieder zu Seinesgleichen zu gesellen. Danach begann der Nachmittagsunterricht für die Schülerinnen und Schüler der Mikoto Grundschule. Yashiro allerdings hatte keinen Fachunterricht, erledigte einigen Papierkram an seinem Arbeitsplatz und wartete auf die letzte Stunde - die Homeroom Stunde - nach der er die Klasse entlassen würde. Dabei schleiften seine Gedanken aber immer öfter in Richtung des schwarzhaarigen Jungen ab. Anfangs war er eher schüchtern und introvertiert gewesen und scheute den Kontakt zu Klassenkameraden und -kameradinnen, mit denen er nicht befreundet war. Besonders mit Kayo wechselte er kein Wort - wahrscheinlich auch weil sie ein Mädchen war. Er hatte oft das Gefühl, dass er über nicht besonders gute Kommunikationsfähigkeiten verfügte und deshalb mit Leuten, die er nicht kannte, weniger ins Gespräch kam. Dann gab es einen Moment da hatte sich sein Charakter um gefühlt hundertachtzig Grad geändert. Plötzlich war Satoru darum bemüht - und hatte seinen Klassenlehrer aus Sorge auch öfters im Lehrerzimmer in einem Einzelgespräch konsultiert - sich mit Kayo anzufreunden. Da er im Grunde genommen ein freundlicher und entschlossener Knabe war, gelang ihm das auch. Nach und nach scharrten sich so immer mehr von den Kindern um ihn herum. Mittlerweile waren alle seinem Freundeskreis beigetreten. Irgendwie unglaublich. Ob das die Folgen einen Rerun waren? Er wusste, dass sein Geliebter von Gott die gleiche Gabe erhalten hatte. Auch er konnte sich mit Hilfe eines Runs in eine andere Zeit springen. Allerdings wäre es das erste Mal gewesen. Davor hatte nur er sich in die Zukunft oder Vergangenheit begeben. Sein Geliebter jedoch hatte diese Fähigkeit noch nie genutzt. Den anderen Kindern war es vielleicht nicht aufgefallen, der Braunhaarige war aber hellhörig geworden. Seiner scharfen Auffassungsgabe war es nicht entgangen, dass sich der kleine Satoru manchmal so gar nicht wie ein Kind verhielt. Ja, manchmal hörte er sich wie ein kleiner Erwachsener an. Das Verhalten des kleinen Satoru wurde immer merkwürdiger und so bestellte er ihn nach dem Unterricht zu sich ins Lehrerzimmer. Außer ihm war keiner mehr da. Draußen dämmerte es und die untergehende Frühlingssonne ließ den sternenklaren Himmel in dunklen rot und orange Tönen ein letztes Mal erstrahlen, bevor sie der lilablassblauen Nacht immer mehr wich. „Sie wollten mich sprechen, Sensei?“, begrüßte die Jungenstimme ihn verlegen und trat vor ihn. Es wäre nichts Schlimmes, also müsse sich Satoru keine Sorgen machen. Jedoch… „Du hast in letzter Zeit viele Freunde gefunden, nicht wahr Saturo?“, gratulierte ihm sein Klassenlehrer. „Na ja.“, kratzte sich der Junge mit einer Hand verlegen am Kopf, „Stimmt schon.“ Seine eisblauen Augen wichen nervös dem scharfen Blick des Älteren aus. In wenigen Wochen hatte sich sein Freundeskreis verdoppelt. Doch es war viel mehr die Beobachtung, dass der Junge von einem Tag wie auf den anderen wie ausgewechselt war. „Wie hast du das denn angestellt? Hast du einen Zauberspruch oder sowas angewendet?“, fragte Yashiro nach und stellte sich dabei etwas naiv aber auch interessiert. Wieder fing Satorus Herz schneller an zu klopfen ohne, dass er es wollte. Er konnte seinem gut aussehenden, charmanten Klassenlehrer einfach nicht in die Augen sehen ohne die Fassung zu verlieren. Oh man, wieso drehte sein Körper nur so ab? Einerseits wollte er in seiner Nähe sein, andererseits bekam er bei ihren Einzelgesprächen immer so Muffensausen, dass er nach kurzer Zeit nervös die Flucht ergriff, obwohl er gerne länger geblieben wäre. „Nein, gezaubert hab ich nicht.“, Gott wie sollte er diese Frage nur beantworten? Doch sein Klassenlehrer schien nicht locker zu lassen. „Wie hast du es dann geschafft? Du wirkst plötzlich viel mutiger als vorher. Sonst warst du doch so schüchtern.“ „Also, den Mut hab ich mir von meinem Lieblingssuperhelden, Wonder Guy, abgeschaut. Außerdem wollte ich meine Kindheit eben in vollen Zügen genießen und mit meinen Freunden so viel Spaß wie möglich haben.“ - Treffer! Das waren unmöglich die Worte eines Kindes, dachte sich Yashiro. Solche sentimentalen Sätze hörte man meistens nur von unzufriedenen Erwachsenen, die meinten, das Leben ziehe an ihnen vorbei. Yashiro stützte seine Ellbogen auf seine Knie, legte sein Kinn in seine Hände und beugte sich zu dem Kleineren runter damit er auf dessen Augenhöhe war, während er ihm aufmerksam zuhörte. Es war das erste Mal, dass sie so ein langes Gespräch miteinander führten und plötzlich bemerkte Yashiro in sich ein Verlangen nach mehr aufkommen. Er wollte ihm noch viel länger zuhören. Woher kam dieses Gefühl? In seinem Körper vereinte er mittlerweile so viele Identitäten, dass er deren Gefühle nicht mehr zuordnen konnte. Waren es die Gefühle eines Lehrers, der mehr über seinen Schüler in Erfahrung bringen wollte? Waren es die Gefühle seiner wahren Identität - die, des schwarzen Engels - der mehr über Satoru Fujinuma - die Wiedergeburt seines Geliebten - erfahren wollte? Oder konnte er doch nicht anders als letztendlich immer noch in den Worten des Jungen die versteckten Gefühle seines Geliebten herausfiltern zu wollen? Egal was es war, er wollte, dass die Zeit stehen blieb und das Gespräch nie endete. „Sensei, haben Sie eigentlich auch manchmal das Gefühl als würden Sie neben sich stehen. Als wären Sie eigentlich jemand anderer? Als wären die Worte in ihrem Mund nicht Ihre eigenen?“ Ja, wer sprach da gerade zu ihm? War es der kleine Satoru, ein erwachsener Satoru, oder womöglich sein in Satorus Unterbewusstsein schlummernder Geliebter? „Mir passiert es nämlich total oft, dass ich Dinge laut ausspreche, die ich gar nicht sagen wollte.“, lachte Satotru nun verlegen. „Ja, das Gefühl kenne ich.“, Satoru war froh von dem Älteren verstanden worden zu sein. Es fiel ihm häufig schwer seine Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen, deshalb war er erleichtert von dem Älteren ohne große Mühe verstanden worden zu sein ohne sich großartig erklären zu müssen. Yashiro konnte ihn nur zu gut verstehen, immerhin spielte er schon die ganze Zeit jemanden, der er nicht war. „Ich habe letztens einen Anime gesehen, in dem der Hauptcharakter versucht hat die Vergangenheit zu ändern. Da habe ich mir überlegt, dass jeder Mensch schon mit seinem Handeln in der Gegenwart die Zukunft beeinflusst. Kayo sah immer so traurig aus, deshalb wollte ich nicht, dass sie weiterhin so alleine ist. Die Zukunft verändern zu können, hat mir Mut gemacht.“, erzählte Satoru immer und immer weiter. Ihm war nicht klar, dass alles nur inszeniert und er geradewegs in die Falle seines Lehrers getappt war. Yashiro war längst bewusst, dass der Hauptcharakter des Anime Satoru selbst war. Der Geist des erwachsenen Satoru aus der Zukunft war in die Vergangenheit gereist und befand sich jetzt im Körper des kleinen Jungen. Wieso? Mit welcher Absicht? Satoru konnte sich nicht an ihre Vergangenheit erinnern, es war also unmöglich, dass er seinetwegen gekommen war. Er hatte erwähnt, dass Kayos Schicksal ihm wichtig war. War etwas in der Zukunft mit ihr passiert? „Sensei, wenn Sie durch die Zeit reisen könnten, würden Sie es dann tun?“ Aufgeregt schreckte der Braunhaarige hoch. Nachdem Satoru in eine Art Monolog verfallen war, hatte er nicht erwartet, dass das Wort irgendwann wieder an ihn fallen würde. „Ja, absolut.“, antwortete der Ältere nun etwas ernster und stellte daraufhin gleich die Gegenfrage, „Wie sieht es mit dir aus, Satoru? Wenn du die Möglichkeit hättest einen geliebten Menschen in einer anderen Zeit wiederzusehen, würdest du diese nutzen?“ Das Gespräch hatte sich tatsächlich in eine komische Richtung entwickelt. Der kleine Junge musste nicht lange überlegen und antwortete: „Ja, ich denke schon. Das würde doch jeder machen.“ Zeitreisen gehörten dem Science Fiction Genre an, hatten aber auch philosophische Aspekte, immerhin konnte man den Lauf der Geschichte ändern. Wenn Gott ihnen diese Gabe gegeben hatte, dann war es durchaus von ihm gewollt, dass sie auch Gebrauch davon machten. Die Frage nach Schuld und Verantwortung war also hinfällig. Sein Handeln war also nachvollziehbar, er brauchte sich keine Vorwürfe zu machen, denn absolut jeder würde diese Gabe nutzen. Satoru, der davon vor ein paar Wochen Gebrauch gemacht zu haben schien, war der lebende Beweis dafür. „Ach, mir ist da noch etwas aufgefallen, Satoru.“ „Was denn, Sensei?“ „In letzter Zeit wirkst du ziemlich erwachsen.“ Geschockt riss der schwarzhaarige Junge die eisblauen Augen weit auf. Das hatte er ja mal gar nicht kommen sehen. War er am Ende deshalb in der Gegenwart seines Lehrers so nervös gewesen, weil er ihn durchschaut hatte? War er hinter sein Geheimnis gekommen? Wusste er es schon die ganze Zeit oder hatte er es doch nur so dahin gesagt? Doch sein durchbohrender Blick und seine dunkle, bedrohliche Stimme waren so einschüchternd. Was sollte er ihm drauf nur antworten? „Liebe Schülerinnen und Schüler, die Schule schließt jetzt. Bitte verlasst das Gebäude und passt auf dem Heimweg gut auf euch auf.“ - ertönte die Frauenstimme aus dem Lautsprecher und rettete ihn. „Oh, schon so spät. Ich muss dann mal los, Sensei.“, meinte Satoru als er auf die Uhr sah. Schon halb fünf. Draußen war es schon dunkel. Er zog hastig seine Winterjacke, da die Abende und der Morgen noch sehr frisch waren, und seinen Schulranzen an und verabschiedete sich von seinem Klassenlehrer. „Ja, da hast du Recht.“, der Klassenlehrer stand ebenfalls auf um seinen Schüler noch zur Tür zu begleiten. Mittlerweile hatte er sich wieder gefasst, doch kurze Zeit zuvor hatte er noch zähneknirschend die Finger so fest zur Faust geballt, sodass die Nägel sich schon in die Haut seiner Handfläche gebohrt hatten. Als er den Lautsprecher gehört hatte, konnte er seine Verbitterung und Frustration kaum verbergen. Es hätte nur noch ein bisschen gefehlt und er wäre tatsächlich dahinter gekommen, ob Satoru den Rerun genutzt hatte. Im Nachhinein war er allerdings selbst erstaunt darüber, wie sehr er sich in die Situation reingesteigert hatte. Wie ein Jäger, der seine Beute in die Enge getrieben hatte, konnte er nichts anderes mehr sehen. „Schade, ich hätte gerne mehr mit dir geredet.“ Nun war er tatsächlich etwas traurig darüber, dass ihr Gespräch beendet war, denn tief in seinem Inneren wusste er, dass es das letzte Gespräch war, das er mit diesem Jungen geführt hatte. Er wäre gerne länger in dieser Zeit mit diesen Kindern geblieben. „Mir hat’s auch Spaß gemacht, Sensei. Also dann bis morgen!“, drehte sich Satoru zu ihm lächelnd und winkend um als er schon an der Treppe stand. „Ja, bis morgen.“, winkte auch Yashiro ihm hinterher, obwohl es kein Morgen geben würde. Denn er würde sofort einen Zeitsprung in die Zukunft machen, um diesen erwachsenen Satoru persönlich kennenzulernen. Am Ende des Ganges sah er ein Fenster, das noch offen stand. Ohne zurück zu blicken, sprintete er mit großen, schnellen auf das Fenster zu, um dann im Nichts zu verschwinden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)