All these Feelings von Hypsilon ================================================================================ Kapitel 15: Angst ----------------- „Das ist unglaublich“, sagte Bakura mit gedrückter Bewunderung als er in den Himmel sah. Er und Marik betraten soeben das Dach des Hauses der Familie Ishtar. Sofort war er vom Anblick des Himmels gefesselt. Es war schon stockdunkle Nacht, nur ein paar Laternen brachten noch Licht, doch diese waren unter ihnen und so schwach, dass die Dunkelheit dort oben schon fast eine unheimliche Wirkung hatte. Die Sterne strahlten hier eindeutig heller als zuhause in Japan und man konnte viel mehr von ihnen sehen, weil das Licht der Stadt hier nicht gegeben war, denn das hier war alles andere als eine Stadt, ein kleines Dorf in der Nähe einer Stadt, doch die war fern genug. Dies sollte der erste Moment sein an dem Bakura etwas zur Ruhe kommen konnte. Sie waren den ganzen Tag unterwegs und er war auch noch nicht dazu gekommen, das Erlebnis vom Morgen zu verarbeiten. Isis sah es als einen Erfolg an, er selbst auch, aber ganz anders als die Ägypterin. Für Isis lag noch sehr viel Potential in der Ausführung, für Bakura brachte es genau das, was er nicht hatte. Abschied. Er spürte den Ringgeist ein allerletztes Mal, es fühlte sich so an, als wäre noch ein kleines bisschen der uralten Seele in ihm gewesen und diese kehrte an diesem Morgen zurück wo sie hingehörte. Für einen Moment fühlte er sich verlassen, im Stich gelassen und unendlich einsam. Aber dann spürte er wie etwas seinen Körper verließ, das ihn so versessen sein ließ, die Sehnsucht nach dieser einen Person schwand regelrecht, doch ließ ein großes Loch zurück, mit dem er noch nicht umgehen konnte. Er fühlte sich den ganzen restlichen Tag bis zu diesem Augenblick sehr gedrückt. Seine Ohren fühlten sich beschlagen an und irgendwie merkte er auch, wie teilnahmslos er war. Der Anblick des wolkenlosen von Sternen übersäten Himmels ließ ihn aber wieder einen Schritt zurück in die Realität machen. Marik stellte sich neben ihn, sah ebenfalls hoch und lächelte sanft. „Der Himmel in Japan ist ganz anders“, sagte er und erinnerte sich an die Zeit, die er mit den anderen dort verbrachte, wenn auch aus ganz anderen Gründen als sie nun hier in Ägypten waren. Im Moment waren die anderen bereits wieder im Hotel und genossen ein Abendessen am All-In-Buffet und hofften, dass Bakura und Marik gut miteinander auskamen. Der Weißhaarige hatte zu Mittag, als sie über den Markt spazierten, was sich Anzu so sehr wünschte, die Chance ein paar Worte mit dem Älteren zu wechseln. Er wirkte an diesem Tag nicht mehr so zerstreut und ablehnend wie am Vortag und eher ruhiger und sogar geselliger. Auch wenn Bakura an diesem Tag massive Schluchten unter den Augen des Ägypters auffielen, wenn er mal die Sonnenbrille abnahm. Aber Marik genoss den Tag so auch in vollen Zügen und kicherte gemeinsam mit Bakura, wenn Jonouchi sich wieder einmal unangebracht verhielt oder Anzu regelrecht von den Händlern hier in eine komplett neue Garderobe gesteckt wurde, obwohl sie sich eigentlich nur umsehen wollte. Tja, da war sie am falschen Markt, hier versuchte einfach jeder, etwas an den Mann und die Frau zu bringen. Yugi und Jonouchi hatten am Ende des Tages eine Vielzahl von exotischen Früchten erworben, Honda hatte ein kleines Souvenir und Otogi hatte sich für ein schwarzes Armband mit einem kleinen weißen Steinchen entschieden, welches er auch gleich anlegte. Anzu hatte die Meute an Händlern auch fast erfolgreich hinter sich gelassen, denn ein violetter weicher Cashmereschal für den Winter zuhause und ein Sonnenabweisender Umhang, ähnlich, wie Isis ihn oft trug, lagen nun am Tisch in ihrem Hotelzimmer. Eine Weile standen die beiden Jungs so am Dach und starrten regelrecht in den Himmel. Die Häuser hier hatten Flachdächer, was ein Betreten ganz einfach machte und somit eine Art Dachterrasse boten. Die Ränder waren mit Mauern soweit gesichert, dass man nicht einfach runterfallen konnte und sich sogar daran anlehnen konnte, was Marik seinem Gast gleich vormachte. Er trat an eine der Mauern, lehnte sich mit den Unterarmen darauf und deutete Bakura, zu ihm zu kommen. Der Ausblick auf die staubtrockene Wüste, die sich direkt vor ihnen bot, hatte etwas Beruhigendes. Daheim sah Bakura auf eine belebte Straße und andere Wohnhäuser, alles andere als ruhig oder entspannend, das hier war auf seine eigene Art und Weise erholend. „Wie geht es dir seit dem Ritual?“, fragte Marik und sah zu Bakura hinüber. Dieser wusste zwar, dass er demnächst darüber reden würde, doch, dass Marik ihn so direkt fragen würde, dachte er nicht. Aber er beschrieb ihm, wie er den Tag wahrgenommen hatte und, was das Ritual für ihn bedeutete. Es fühlte sich gut an, diese Erfahrung so mit ihm zu teilen, ihm davon zu erzählen und zu sagen, wie abwesend er sich fast den ganzen Tag fühlte. „So ähnlich habe ich mich gefühlt, als wir von Japan nach Hause kamen, ziemlich lange sogar, nicht traurig, aber abwesend und einsam“, ging Marik auf die Erzählungen ein. Auf die Frage, ob er auch schon in diesen Räumen gewesen war, schüttelte er den Kopf. „Ich habe nichts, womit ich Kontakt aufnehmen will oder… von dem ich mich verabschieden will“, bedachte er noch die Erfahrung, die ihm soeben nähergebracht wurde. Stille trat ein. Bakura wurde klar, dass er und Marik ganz anders zu ihren alten Situationen standen. „Sag… wie geht es dir eigentlich, seit dein… böses Ich nicht mehr da ist?“, fragte nach einer Weile, denn ein bisschen genoss er die Stille sogar. Mariks Miene zerfiel regelreicht, dass Bakura sich beinahe beim Anblick erschreckte, ihm war sofort bewusst, dass er etwas Falsches gesagt hatte, dass er ihm zu Nahe trat und das wollte er am liebsten umgehend wieder gut machen, doch Marik antwortete. „Ich… habe ständig Angst“, sagte er leise und sah dabei zur Seite. Er presste die Lippen fest aufeinander. Eigentlich wollte er gar nicht daran denken, geschweige denn darüber reden. Darüber reden machte es nur realer, echter und angsteinflößender. Er verbrachte so viel Zeit damit, zu verdrängen und wenn er es nicht schaffte, lag er zusammengekauert in seinem Bett und wehrte sich gegen die Traurigkeit, gegen die Angst, die ihn immer wieder überkam und in einen tiefen Abgrund zog. „Lange Zeit hatte ich Angst davor als Konsequenz, dass ich meinem Hass die Möglichkeit gegeben habe, sich selbstständig machen, selbst ins Reich der Schatten wandern würde, wenn…“, Marik begann zu erzählen, aber stockte. Er sah klamm in die Ferne, ballte seine Fäuste auf dem Mäuerchen und sprach dann abgebrochen weiter: * „… ich irgendwann sterbe… aber heute wünsche ich mir, dass es so wäre, weil ich dann zumindest noch ein Bewusstsein hätte. Weil ich… dann noch wäre…irgendwo… irgendwann“ Fragende braune Augen starrten den Älteren an. Wie meinte er das? Er hatte doch jetzt stets sein Bewusstsein und warum sollte das Reich der Schatten plötzlich so ein wünschenswerter Ort sein. Dieser Unklarheit machte er Platz und fragte Marik, was ihn verwirrte. „Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod. Was Isis da vehement versucht zu beweisen ist doch Schwachsinn, sonst hätte sie doch schon lange Erfolg…“, sagte er und ging dabei in die Knie. Bakura konnte ihm ansehen, wie schwer er mit sich kämpfte, die Worte auch nur auszusprechend. Er lehnte sich zu Marik hinunter und legte eine Hand auf seine Schulter. „Und was glaubst du, was dann passiert?“, fragte Bakura eine vielleicht naiv klingende Frage, aber er konnte sich nicht vorstellen, was Marik meinte. Er hatte sich selbst noch nie intensivere Gedanken darüber gemacht und dachte mehr an Dinge, die momentan auf ihn einwirkten. Ab und zu lebte er in der Vergangenheit, aber die Zukunft schien ihn noch nicht stark zu berühren. Bis zu diesem Augenblick. „Nichts“, sagte Marik knapp und kauerte sich immer mehr zusammen. Er hatte diese Angst noch nie jemandem mitgeteilt, aus Sorge, jemand Anderen mit in sein Loch zu ziehen, aus dem er sich schon viel zu lange holen wollte, aus dem ihn niemand ziehen konnte. „Aber… ich möchte nicht… dass du… ich will nicht, dass es dir geht wie mir“, stotterte er und merkte dabei gar nicht, dass sich Bakura direkt neben ihn setzte, ganz nah an ihn ran. Er spürte nur eine angenehme Wärme, die den Moment, so sehr diese aussichtslosen Gedanken gerade auf ihn einhagelten, etwas wohler fühlen ließen. „Du kannst mir davon erzählen, ich habe keine Angst davor“, sagte Bakura sachte und nahm Mariks Hände in seine. Der Ältere hob den Kopf vorsichtig und spürte eine gewisse Geborgenheit als sich ihre Blicke trafen. Bakura war so eine sanfte und ruhige Persönlichkeit, dass er seinen Schatten überspringen wollte. „Ich hab Angst davor, dass es ist wie schlafen ohne Träume, nichts, Dunkelheit, keine Gedanken, keine Erinnerungen, kein Bewusstsein, das Ende der Existenz, nicht einmal das Gefühl, jeden Moment aufwachen zu können, einfach nichts, es ist Schwarz und nichts passiert mehr, nichts wird gedacht, ich kann mich an nichts erinnern und weiß nicht einmal, dass nichts ist…“, Marik verstummte nachdem er sich ein paar Mal wiederholte, immer dunkler in ihrer Ausführung wurde und seine tiefste Angst im kleinsten Detail beschrieb. Dabei wurde er immer leiser. Bakura schluckte und lockerte fast automatisch den Druck auf Marik Händen, als würde ihn die Kraft verlassen. Diese Vorstellung, musste er gestehen, war nicht besonders schön und ließ seine Gedanken sofort rasen. Das Einzige, an das er dachte, was realistisch für ihn wirkte, waren Geister, die umherschwirrten, aber warum taten sie das? Und was passierte mit ihnen, wenn sie das erledigt hatten, was sie taten? Ihm wurde unwohl, aber in Panik zu verfallen war auch keine Lösung. Er atmete rief ein. „Ich glaube… das passiert nur… wenn du bereit dazu bist“, augenblicklich wunderte er sich selbst, wie schwach seine Stimme klang und so erhöhte er wieder den Druck auf Marik Hände um ihm zumindest damit zu zeigen, dass er da war, wenn seine Stimme es schon nicht schaffte. „Ich werde nie bereit sein, alles aufzugeben, aufzugeben zu denken und mich an Dinge erinnern, auch wenn die Mehrheit davon nicht erinnerungswürdig ist… was, wenn ich gezwungen werde, was wenn es einfach aus ist und dann kommt einfach nur nichts? Elende Leere ohne zu wissen, dass es nichts ist ohne weiter sehen oder denken zu können“, Marik biss sich auf die Lippen, seine Finger lockerten sich kurz, aber nur um die Position zu ändern, er krallte sich nun krampfhaft in seine Beine. „Ich will einfach, dass diese Gedanken aufhören, die mich immer weiter in dieses Loch ziehen“, sagte er. Bakuras Hände versuchten Mariks Finger davon abzuhalten, vielleicht auch noch Löcher in die Hose zu kratzen und sich dadurch zu verletzen. Er hob die Hände an und drückte sanft mit seinen Daumen auf die Handrücken des Anderen. „Du solltest das Hier und Jetzt genießen, sterben kommt von ganz alleine, wir sollten uns auf jetzt konzentrieren“, wollte er den Fokus zumindest in diesem Gespräch ändern. Er wusste, dass einfache Worte eine so tiefliegende Angst nicht beseitigen konnten, aber irgendetwas musste er doch sagen, nicht wahr? „Und was, wenn das alles morgen schon nicht mehr ist? Wenn im nächsten Augenblick alles vorbei ist? Wenn ich nicht einmal mehr an meine Schwester denken kann oder Rishid… oder… oder dich?“, fragte Marik unter Tränen, die er nicht mehr unterdrücken konnte. Bakura nahm den Ägypter sofort in den Arm und drückte ihn fest an sich. „Dann wird dein Bewusstsein nicht einfach weg sein, deine Seele wird sich erinnern und du wirst auf andere Art und Weise existieren.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)