Samhain von Daelis ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Ich finde, du solltest hingehen, Caster.“ Elisabeth sah mich streng an, fast wie eine Mutter, die ihr uneinsichtiges Kind zur Räson rief. Ergeben seufzte ich. „Es wäre nicht klug, dich allein zu lassen, Master“, widersprach ich halbherzig, wusste ich doch selbst, dass ich Eli damit nicht überzeugen würde. „Onkel Marlin und Diogenes passen auf mich auf“, meinte mein kleiner Master entspannt und lehnte sich auf dem Sofa zurück. „Aber wer wird dir dann heute Abend eine Gutenachtgeschichte vorlesen?“, versuchte ich in einem zweiten Anlauf, mich herauszureden. Nicht einmal in meinen eigenen Ohren klang ich überzeugend. Insgeheim war ich sogar wirklich neugierig, was die Einladung anging, aber so richtig wohl fühlte ich mich eben auch nicht damit, ihr Folge zu leisten. „Das macht Onkel Marlin. Er kennt viele tolle Geschichten über große Könige und Drachen und Feen!“, ereiferte sich Elisabeth fröhlich, meine beleidigte Miene ignorierend. Ich etwa nicht? Merlin erzählte ihr bestimmt nur von wahren Begebenheiten aus seinen Lebzeiten, die er für Elisabeth als Kindermärchen tarnte. So sicher sich Eli bei dem Magier der Blumen fühlte, so sehr misstraute ich dem Zauberer, der sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, einen weniger auffälligen Tarnnamen auszusuchen. Da konnte er auch gleich jedem ins Gesicht drücken, wer er wirklich war. „Der blaue Caster hat dich extra eingeladen“, beharrte Elisabeth und grinste plötzlich schelmisch. „Und vielleicht ist ja auch der König da.“ Wie gerne hätte ich mir einfach mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Selbst wenn – und das war ein verdammt großes wenn – Gilgamesh auch dort aufkreuzte, eingeladen oder nicht, wäre das eher nur noch ein Grund für mich, nicht hinzugehen. Der König der Helden genoss die Macht, die er über mich hatte, sowieso schon viel zu sehr. Könnte ich ihm das vermaledeite Buch wiedergeben, das mich erst zum Servant machte, ich täte es sofort, doch im Moment musste ich davon ausgehen, dass mich das Zauberbuch als einziges am Leben erhielt. Ich brauchte es also. „Er würde sich bestimmt total freuen, dich zu sehen. Es wäre ja sooo romantisch, wenn ihr euch dann von der Halloweenfeier schleicht, um allein zu sein. Ich würde es natürlich niemandem verraten“, versank Eli bereits in irgendwelchen kitschigen Vorstellungen, die der Realität nicht weniger entsprechen könnten. Wie sie ernsthaft glauben konnte, Gilgamesh und ich wären in der Vergangenheit ein Liebespaar gewesen, würde sich mir wohl für immer entziehen. Selbst wenn ich die Zauberin wäre, welche einst vom König der Helden das magische Buch erhalten hatte, das nun an meiner Hüfte hing, konnte von Zuneigung zwischen den beiden wirklich keine Rede sein. Hatte Eli bei dem Punkt, an dem die Magierin sich das Leben nahm, um Gilgameshs Herrschaft zu entkommen, weggehört? Nein, Gilgamesh war ganz bestimmt weder in diese Zauberin verliebt gewesen, über deren Hingabe zu ihrem Geliebten er sich sogar noch lustig gemacht hatte, noch sah er in mir mehr als ein amüsantes Spielzeug, mit dem er sich die Zeit vertreiben konnte, wenn ihm langweilig wurde. „Du darfst aber nicht mit dem blauen Caster knutschen“, riss mich Elisabeth aus meinen Gedanken. Entgeistert sah ich sie an. Wie kam sie denn nun wieder auf den Trichter? Cú flirtete einfach alles an, was weiblich war und lange genug stillhielt. „Wieso sollte ich?“, entfuhr es mir, bevor ich darüber nachdenken konnte. Hätte ich doch nur den Mund gehalten. „Er würde bestimmt!“, murrte Elisabeth und verschränkte nun die Arme. Dabei rutschte sie auf dem Sofa herab und sah dabei umso mehr aus wie das schmollende Kind, das sie war. Oh, da würde ich ihr nicht widersprechen. Cú Chulainn würde sogar ganz bestimmt, aber ich doch nicht! Bevor ich jedoch etwas sagen konnte, ergriff mein kleiner Master auch schon erneut das Wort. „Das würde dem König das Herz brechen! Das darfst du ihm nicht antun, Caster! Es ist nicht in Ordnung, wenn du mit mehreren Leuten zusammen bist. Das gehört sich nicht!“ Eli sah mich bei diesen Worten so ernst an, dass ich mir ein Lachen verkneifen musste. Manchmal war sie wirklich niedlich. „Keine Sorge, Master“, meinte ich beschwichtigend, „ich werde definitiv die Finger vom blauen Caster lassen. Außerdem“, fuhr ich fort, „würde ich doch niemals etwas tun, das die Gefühle des Königs verletzt.“ Würde ich wirklich nicht, denn dann müsste ich eindeutig um mein Leben fürchten. Das Thema Enkidu anzuschneiden hatte ich bisher nicht gewagt und würde es sicher auch so schnell nicht versuchen. Ohnehin glaubte ich nicht, dass der König der Helden auch zu dieser ominösen Halloween-Party eingeladen worden war. Falls ich mich irrte und Gilgamesh doch auflief, gab es zwei Varianten, wie diese Feier verlaufen konnte. Entweder Cú und Gil soffen sich zusammen ins Koma oder sie stichelten so lange gegeneinander bis der erste – und hier tippte ich auf Gil – die Geduld verlor und alles im wahrsten Sinne des Wortes sprengte. Da würde ich schon gerne mit Cola und Popcorn aus sicherer Entfernung zusehen. Lustlos schlenderte ich die Straße entlang, wobei ich mehrmals einen prüfenden Blick auf die kleine Karte warf, die ich mir gezeichnet hatte. Viel geholfen hatte die bisher nicht, denn ich hatte schon nach kurz nach Beginn meiner kleinen Odyssee jemanden nach dem Weg fragen müssen. Die junge Frau hatte ziemlich lachen müssen, mich dann aber auf eine schmale Einbahnstraße verwiesen, der ich nur zur Hauptstraße folgen müsste, welche wiederum aus der Stadt führte. Die Adresse, die auf der kleinen Einladungskarte von Cú Chulainn stand, hatte ich vorher mithilfe von Elis Laptop gesucht und dabei dank Google Earth herausgefunden, dass es sich um eine Art alten Bauernhof handelte. Besonders gut in Schuss hatte der Gebäudekomplex auf den schlechten Satellitenaufnahmen nicht ausgesehen. Dort lebte bestimmt niemand mehr, was den Hof wiederum zum idealen Ort für eine Servant-Halloween-Party machte, sofern es für so etwas denn überhaupt einen guten Ort und Zeitpunkt gab. So alltäglich wie das Leben in der Magierstadt trotz des Gralskrieges ablief, konnte man manchmal schon fast vergessen, dass eigentlich ein Battle Royale anstand, bei welchem viel Blut fließen würde, bedachte man die Menge der beschworenen Servants. Etwas mulmig war mir schon, als ich Chronos‘ Lichter hinter mir ließ. Die Straßenlaternen standen hier weiter auseinander und einen Gehweg gab es auch nicht, sodass mir nichts anderes übrig blieb, als einfach am Straßenrand weiterzugehen, immer der Leitplanke nach. Wenn mich meine kleine Karte nicht täuschte, müsste ich den Hof von der Straße aus bald sehen können. Ich hoffte nur, dass mich Cú dort nicht mit seinem Noble Phantasm erwartete, um Halloween damit zu begehen, dass er mich grillte. Hier draußen, weit weg von meinen Verbündeten und meinem Master, wäre es ihm ein Leichtes, mich auszuschalten. Welche Gegenwehr könnte ich dem irischen Pendant zu Herkules schon liefern? Der Gedanke war absurd. Suchend glitt mein Blick über den Horizont und doch hätte ich die Gebäudeansammlung beinahe übersehen. Nur schwach hoben sich ihre schattenhaften Umrisse vor dem Nachthimmel ab. Wäre nicht ein rötlicher Schimmer hinter dem niedrigsten Dach des Komplexes zu sehen gewesen, hätte ich der schmalen Einbiegung, die zu dem alten Bauernhof führte, vielleicht gar keine Beachtung geschenkt. Das ungute Gefühl, das mich schon die ganze Zeit begleitete, verstärkte sich jetzt nur noch. Trotzdem folgte ich dem Lichtschein und ignorierte das eisige Frösteln, das gleichermaßen der kalten Nachtluft geschuldet wie der Angst, die langsam durch meine Adern kroch. Cú Chulainn war gefährlich, das wusste ich. Ungezählte Krieger hatten sich ihm gestellt und waren gefallen. Leute, die viel stärker und mächtiger waren, als ich es jemals sein würde. Zu seiner Zeit mochte er damit als Held gegolten haben, aber heutzutage wäre er wohl eher für Mord angeklagt worden. Unwillkürlich musste ich an die zahlreichen Serienmörder-Dokus denken, die ich in den letzten Jahren gesehen hatte. Viele Opfer waren an Orten wie diesen gefunden worden. Leblose Körper im hohen Gras, teils übel zugerichtet, sogar zerstückelt. So würde ich natürlich nicht enden, denn ein Servant kehrte nach seinem Tod zurück zum Thron der Helden. In meinem Fall hieß das, dass das Buch dorthin zurückkehrte. Was mit mir geschähe, stand auf einem ganz anderen Blatt und ich wollte bestimmt nicht darauf wetten, dass ich wie durch ein Wunder wieder heil und unversehrt Zuhause auf meinem Sofa landete. Cú Chulainn genug zu vertrauen, um alleine hierher zu kommen, könnte mein größter und letzter Fehler gewesen sein. Hätte ich doch bloß nicht kleinbeigegeben oder Elisabeth einfach nichts von der Einladung erzählt. Ich schauderte. Alles Unfug! Meine Fantasie ging mit mir durch! Wollte Cú Chulainn mich töten, würde er das kaum unter dem Deckmantel einer Party tun, das war einfach nicht seine Art. Er hätte mich direkt konfrontiert und mir auf jeden Fall die Chance auf einen fairen Kampf gegeben, sofern es zwischen uns denn überhaupt so etwas geben konnte. Wenn man ehrlich war, gab es kein Szenario, in dem ich auch nur den Hauch einer Chance hätte, gegen Cú zu bestehen, sollte es zum Kampf kommen. Er müsste schon dumm sein, um nicht gemerkt zu haben, wie wenig ich von Zauberkunst verstand. Selbst ohne seine eigenen magischen Fähigkeiten könnte er mich spielend leicht überrumpeln und ausschalten. Im Grunde war ich eine Lachnummer. Ein Caster ohne die Fähigkeit, zu zaubern. Für den wahren Servant, das Zauberbuch, war ich nicht mehr als ein nötiges Anhängsel, um die Zauber auszuführen, die das Buch beherrschte und zu nutzen wünschte. Ich war nicht sicher, ob ich mein Leben darauf verwetten wollte, dass es mir die nötigen Informationen zukommen ließ, um mich zu schützen. Vielleicht entschied es auch einfach, dass ich unnütz war und es sich besser einen anderen Träger suchen sollte, der mehr auf dem Kasten hatte. Ein ziemlich frustrierender Gedanke, den ich missmutig beiseiteschob, als ich das Bauernhaus erreichte, das hoch vor mir aufragte. Mein Eindruck von den Internetbildern hatte nicht getäuscht. Sogar im Dunkeln sah alles hier verfallen, heruntergekommen und nicht unbedingt einladend aus. Alle Fenster waren dunkel, niemand war zu sehen. „Caster?“, rief ich halblaut aufs Geratewohl. Party am Arsch. Hier gab es keine Party! Wehe diesem Vogel, wenn er jetzt zuhause hockte und sich bekrümelte, weil er mich aus Spaß an der Freude in die Pampa geschickt hatte, nur um zu gucken, ob ich dumm genug war, so einer ominösen Einladung zu folgen. „Cú Chulainn?“, rief ich erneut, dieses Mal etwas lauter, denn bisher hatte ich keine Spur von dem blauhaarigen Iren finden können. Allerdings nahm ich eh an, dass er hinter den Gebäuden herumlungerte, dort, wo auch das Licht herkam, von dem ich inzwischen sicher war, dass es von einem Feuer stammte. Rot und Gelb flackerte es zwischen den Bauten hindurch und über ihre Dächer hinweg. Mir kam es so vor, als könnte ich sogar schon die Hitze der Flammen spüren, ehe ich sie überhaupt sah. Bitte sei kein Scheiterhaufen, bitte sei kein Scheiterhaufen! Stumm schickte ich mein Stoßgebet zum Himmel, ehe ich mich daran machte, das Hauptgebäude zu umrunden, dessen eingeworfene Fensterscheiben mir erschienen wie ein paar Augen, die mich mahnenden Blickes daran erinnerten, dass es eine wirklich, wirklich blöde Idee gewesen war, herzukommen. Mit einem mulmigen Gefühl riss ich meinen Blick von der Hausruine. Die Feier fand wohl ohnehin eher im Garten statt. Am liebsten hätte ich sofort kehrtgemacht, um an die Seite meines Masters zurückzukehren. Eli saß jetzt bestimmt gemütlich auf dem Sofa, gönnte sich die Reste vom Nudelauflauf, ihrem Lieblingsessen, und sah sich irgendein Halloween-Special im Fernsehen an, obwohl ich sie gemahnt hatte, früh zu Bett zu gehen. Bei aller Liebe zu Horrorfilmen waren die meisten davon doch für ein so junges Mädchen wirklich nicht geeignet. Mich hatte das früher zwar auch nicht aufgehalten, aber das hieß ja nicht, dass Elisabeth meinem schlechten Beispiel folgen musste. Unsicher folgte ich dem Lichtschein, der tatsächlich von einem meterhohen Feuer herrührte, vor dem ich die Silhouette einer Person ausmachen konnte. Das war dann wohl Cú, wenn mich nicht alles täuschte. Dabei lag die Betonung jedoch auf dem Umstand, dass nur Cú Chulainn anwesend und niemand sonst weit und breit zu entdecken war. Ein paar Leute mehr hätte ich bei der Beschreibung einer „kleinen Feier“ dann doch erwartet. So wie es aussah, war ich jedoch der einzige Gast. Wäre das Feuer nicht so gewaltig, hätte ich vielleicht geraten, dass mich hier ein Date erwartete, doch die hoch in den Himmel züngelnden Flammen waren nicht unbedingt etwas, das ich als romantisch bezeichnen würde. Zu meiner Erleichterung konnte ich wenigstens nirgendwo Cú Chulainns Noble Phantasm „Wicker Man“ entdecken, sonst hätte ich das wohl als Zeichen für eine Neuauflage der Hexenverbrennungen gewertet und Reißaus genommen. So aber trat ich näher. Das Geräusch meiner Schritte auf dem trockenen Gras wurde vom Knistern des Feuers verschluckt. Für die Kelten, zu denen Cú gehörte, hatte ein Feuer an diesem Tag sicher eine besondere Bedeutung. Für sie hatte das Fest auch noch Samhain geheißen, erinnerte ich mich. Die Details bekam ich nicht mehr zusammen, aber ich war mir sicher, mal gelesen zu haben, dass man damals geglaubt hatte, die Geister der Toten stiegen in dieser Nacht empor, um unter den Lebenden zu wandeln. Dazu zählten natürlich auch solche Geister, die voller Zorn auf die Lebenden waren und ihnen Böses wollten. Dieser Gedanke hatte dann auch später in Halloween und dem Brauch, sich zu kostümieren, um Geister abzuschrecken, seine Manifestation gefunden, lange bevor Kommerz und geschickt platzierte Werbung triumphierten und aus Halloween eine Entschuldigung dafür wurde, dass Kinder um Süßigkeiten bettelten. Ursprünglich jedoch hatte das Fest der Ernte gegolten und stand in starker Verbindung zum Tod. Wenn für die Kelten ein großes Feuer dazugehört hatte, würde es mich wirklich nicht weiter wundern, immerhin spielte es auch bei anderen Festlichkeiten wie Beltane keine kleine Rolle. Das wäre eindeutig ein Fest, bei dem ich die Einladung des Iren nicht angenommen hätte. Sogar ich wusste, wie die Kelten dabei eskaliert waren, und ich hatte nicht vor, mich unter Einfluss irgendwelcher Kräutermischungen als Teilnehmerin einer Orgie wiederzufinden. Vielleicht sollte ich doch froh sein, dass nur Cú Chulainn mich hier erwartete. Schatten tanzten im Gleichtakt mit den Flammen und erinnerten dabei an geisterhafte Gestalten. Der blauhaarige Caster schien mich noch nicht bemerkt zu haben, denn weder sprach er mich an, noch wandte er sich zu mir herum. Wer war ich, diese Chance sausen zu lassen? Noch ein paar Schritte und ich könnte dem Iren den Schreck seines Lebens verpassen. Oder seines Todes. Je nachdem, wie man das nun sehen wollte. In gewisser Weise hatte es schon einen ziemlich ironischen Beigeschmack, wenn man bedachte, dass Samhain wie auch Halloween auf dem Glauben beruhten, die Toten würden umgehen. Wir Servants taten das ja wirklich, nur lag das nicht an der Tagundnachtgleiche, sondern am Gralskrieg. Nicht unbedingt ein feierlicher Anlass. Grinsend schlich ich näher, die Hände bereits ausgestreckt, um sie im nächsten Moment mit einem lauten Aufschrei auf Cús Schultern zu legen. Der Erfolg meiner kleinen Attacke hielt sich jedoch ziemlich in Grenzen. Anstatt erschrocken zusammenzuzucken, lachte der blauhaarige Caster einfach nur auf und drehte sich entspannt zu mir herum. „Da bist du ja endlich“, meinte er grinsend, während mein schockierter Blick erst über sein Gesicht glitt und schließlich auf das, was ich hinter ihm mehr erahnen als genau sehen konnte. „Hab mich schon gefragt, ob du es dir überlegt hast und doch nicht kommst. Dann hätte ich dich holen müssen“, fuhr Cú gut gelaunt fort. Instinktiv wich ich vor ihm zurück, die Hände noch halb erhoben, die Augen vor Schreck geweitet. Dann entfuhr mir ein ersticktes Japsen, das eigentlich ein Schrei hatte werden wollen. Dass mich hier nicht unbedingt Tee und Kekse erwarten würden, hatte ich geahnt, auch schon bevor mir klar geworden war, dass Cú Chulainn es offenbar nicht für nötig befunden hatte, noch jemanden einzuladen oder mich über diesen Umstand in Kenntnis zu setzen. Allerdings hatte ich nicht erwartet, das vorzufinden, worauf mein Blick gefallen war und noch immer verkrampft heftete. Hinter dem Iren, auf dessen hellblauer Kleidung mehrere verräterische rote Flecken zu sehen waren, lag auf einer Art steinernen Altar ein Lamm. Vielleicht war es auch eine Ziege. Ich war zu fixiert auf den aufgeschlitzten Bauch des armen Tieres, aus dem die Eingeweide hervorquollen, um mir sicher zu sein. Dunkles Blut tröpfelte durch eine Kerbe im Altarstein nach unten in eine Schale, doch jeder Laut wurde vom Knistern der Flammen verschluckt. Darum hatte sich Cú mir nicht direkt zugewendet, obwohl er mich bemerkt hatte; er hatte sich darauf konzentriert, dieses arme Tier auszuweiden. Mir wurde schlagartig speiübel und kalt, trotz der Hitze, die das Feuer ausstrahlte. Eine zynische Stimme in mir flüsterte noch, ich solle mich nicht so anstellen, immerhin aß ich auch Fleisch, aber sie verstummte, als ich den Kloß in meinem Hals herunterschluckte und tief durchatmete, um die aufsteigende Panik zurückzudrängen. Eigentlich hatte ich kein Problem mit Blut und auch nicht mit dem Anblick schlimmer Verletzungen. Nur hatte ich hier und heute einfach nicht damit gerechnet. Ebenso wenig wie damit, dass der blauhaarige Caster hier ein Tier opferte. Er hielt sogar noch das blutige Messer in der Hand, auf dessen glänzender Klinge sich die Flammen widerspiegelten. Verkrampft atmete ich aus und wieder ein, dann riss ich mich von dem schaurigen Anblick los und lenkte meine Aufmerksamkeit auf Cú, dessen rote Augen mich unwillkürlich direkt wieder an das Blut an dem Messer in seiner Hand erinnerten. „Hey Süße, alles in Ordnung? Du schaust ja aus, als hättest du einen Geist gesehen“, feixte der Blauhaarige und streckte die freie Hand aus, um mir über die Wange zu streicheln. Sein Ernst? Wir waren Geister! Also ja, ja schon! Genau genommen sah ich gerade einen Geist! Blödmann! Entgeistert starrte ich Cú Chulainn an, dessen Grinsen nun doch ins Wanken geriet. „He, was ist denn los? Sag bloß, du kannst kein Blut sehen?“, wollte er wissen und klang dabei beinahe fürsorglich. Am liebsten hätte ich ihm ins Gesicht geschrien, ob ihm denn nicht auch von allein die Idee kam, dass der Anblick eines halb ausgeweideten Opfertiers nicht unbedingt jedem behagte. Stattdessen blieb ich einfach stumm und schüttelte nach einigen Sekunden nur mit dem Kopf. Ich zwang mich, nicht zu dem toten Tier zu sehen. „Nein. Nein, es ist... Blut stört mich nicht. Ich hatte nur das da nicht erwartet“, begann ich stockend und endete in einer knappen Geste in Richtung des blutigen Rituals. Cús Blick folgte meinem, dann grinste er wieder. „So empfindlich? Überraschend für einen Heldengeist“, meinte er leichthin, wandte sich dann aber um und damit erneut dem Tier zu, neben dem er sein Messer ablegte. „Das ist das Erstgeborene einer Erstgeborenen“, erklärte Cú Chulainn mir nun mit hörbarem Stolz in der Stimme und blickte dabei auf das tote Tier, das ich jetzt als Zicklein erkannte. Hoffentlich hatte das arme Geschöpf nicht leiden müssen. „In meinem Volk war es Brauch, ein Erstgeborenes darzubringen, um die Götter wohlwollend zu stimmen. Ich bin sicher, sie nehmen diese Opfergabe mit Freuden an und werden uns heute Nacht unter ihren Schutz stellen.“ Ich zwang mich zu einem Nicken. Ob Cú dabei an seinen Vater dachte, der ebenfalls zu den Tuatha De Danann gehörte? Glaubte man den Legenden, war Lugh ein sehr mächtiger und einflussreicher Gott, der sich in etwa so enthusiastisch durch die Weltgeschichte gevögelt hatte wie Zeus bei den Griechen. Das Ergebnis einer solchen Geschichte stand nun erhobenen Hauptes neben mir und suchte meinen Blick. „Welchem Gott gilt dein Opfer denn im besonderen?“, hakte ich leise nach. So ganz traute ich meiner Stimme noch nicht. Der Anblick der ausgeweideten Ziege war eine Sache, doch der intensive Geruch von Blut, der hier überall seltsam penetrant in der Luft hing, war fast noch schlimmer. „Pomona natürlich. Aber meine Gedanken gelten stets auch der Krähe der Schlachten.“ „Du schleimst also bei Morrigan“, bemerkte ich nun ebenfalls grinsend. Der Blauhaarige stutzte merklich, sah mich dann überrascht an und lachte schließlich laut. „Nicht schlecht, Süße. Du kennst dich also aus. Dann kann der Abend ja doch noch wie geplant weitergehen.“ Cú Chulainns Augen blitzten vor Vorfreude. Wollte ich wirklich wissen, was er vorhatte? Ich hatte da so meine Zweifel. Zu sagen, dass es sich befremdlich anfühlte, mit einer Schale voller Blut vor einem Feuer zu stehen, das weit über meinen Kopf hinauf in den Himmel züngelte, war eine Untertreibung. „Pomona, höre uns an, die wir dir unser Opfer bringen. Lass die Toten Ruhe finden und alle bösen Geister an uns vorüberziehen.“ Oh, die Bitte unterschrieb ich sofort, auch wenn ich fürchtete, mich hatte bereits mehr als ein „böser Geist“ gefunden. Zugegebenermaßen war es vermutlich nicht ganz fair, dass ich dabei an Gilgamesh und Merlin denken musste. So übel waren die beiden nicht, auch wenn ich ihnen nicht vertraute. Allerdings galt das auch für Cú Chulainn. Wenn der Moment käme, an dem ich zwischen ihm und dem Gral stand, würde er sicher nicht zögern, alles Nötige zu tun, um mich aus dem Weg zu räumen und seinem Master das magische Relikt zu bringen. Einen echten Vorwurf konnte ich ihm daraus nicht einmal machen. Jeder Servant würde so handeln. Nun gut, jeder außer Gilgamesh. Ich zweifelte nicht daran, dass der sich an unseren Deal halten und den mit dem Sieg verknüpften Wunsch an Elisabeth und mich abtreten würde. Wie er selbst sagte, ging es ihm ums Prinzip, weil er den Gral als sein Eigentum ansah. Man konnte Gil ja einiges nachsagen, aber sicher nicht, unehrlich zu sein. In seiner Arroganz war er vielmehr erschreckend ehrlich und wenn er sagte, dass er keinen Wunsch an den Gral hatte, glaubte ich ihm. Insgeheim war ich überzeugt, dass er sehr wohl einige Wünsche mit sich herumtrug, auch wenn er sich dessen vielleicht selbst nicht klar war. Vielleicht war er auch einfach zu stolz, sich einzugestehen, dass er selbst einen Herzenswunsch an den Gral hatte. Aus irgendeinem Grund musste er ja zum Servant geworden sein. Cú Chulainns Stimme riss mich aus meinen Gedanken und lenkte meine Aufmerksamkeit zurück auf das Ritual. „Nimm unser Opfer als Dank für reiche Ernte und segne die Saat, damit sie prächtig gedeiht und niemanden Hunger leiden muss“, skandierte Cú neben mir feierlich und hob eine zweite Schale mit Blut hoch über seinen Kopf, deren Inhalt er schließlich in die Flammen goss. Wortlos folgte ich seinem Beispiel. Ein paar kleine Blutstropfen zischten, als sie in der Hitze des Feuers verdampften und einen Moment lang wunderte ich mich, ob ich das als normaler Mensch überhaupt gehört hätte, so laut wie die brennenden Holzscheite knisterten und knackten. „Nicht träumen, Caster. Wir sind noch nicht fertig.“ „Nicht?“ Verwundert sah ich zu Cú Chulainn auf, der mir die leere Schale abnahm. „Wir müssen unseren Teil dafür tun, um nicht von bösen Geistern erkannt zu werden“, erklärte er breit grinsend. Irritiert sah ich ihn an. Also verkleideten wir uns jetzt doch? Ich hatte absolut keine Ahnung, was Cú Chulainn von mir erwartete. Sollte ich uns bunte Kostüme herzaubern? Wenn das sein Plan war, fiele der sowas von ins Wasser. „Was genau tun wir also?“, fragte ich vorsichtig nach, während ich mir im Inneren eine ganz andere Frage stellte. Wieso machte ich all das überhaupt mit? Ich glaubte nicht an Pomona, Nuada, Morrigan, Lugh oder irgendeine andere keltische Gottheit, obwohl genau genommen ein Halbgott vor mir stand und mich so voller Vorfreude angrinste, dass ich ahnte, etwas sehr, sehr Dummes gefragt zu haben. Cús Antwort bestätigte mir das. „Zieh dich aus.“ „Bitte?“, entfuhr es mir empört, doch Cú lachte nur. Ich würde mich hier ganz bestimmt nicht vor ihm ausziehen. Wen wollte der blauhaarige Caster mit einem Striptease verjagen – die bösen Geister oder mich? Ich würde hier sicher nicht blankziehen. Sollten die bösen Geister, an die ich sowieso nicht glaubte, doch kommen. Die könnten dann mit Cú Chulainn ausdiskutieren, was dieser Mist hier sollte. Gerade, als ich den Mund öffnen wollte, um eine spitze Bemerkung darüber zu machen, dass er doch nur einen Vorwand dafür suchte, sich selbst auszuziehen, ergriff der Ire erneut das Wort. „Wir werden weiße Kleidung anlegen. Das verwirrt die Geister und lockt sie auf eine falsche Fährte. Ich habe alles für uns beide vorbereitet.“ Cú Chulainns Grinsen war so breit, dass ich nicht den geringsten Zweifel daran hatte, dass er diesen Teil absichtlich erst einmal verschwiegen hatte, wohl wissend, wie ich reagieren würde. Missmutig brummte ich, nahm dann aber den weißen Stoff entgegen, welchen mir Cú im nächsten Augenblick bereits reichte. Erwartungsvoll sah er mich an. „Na los, worauf wartest du?“, wollte er schmunzelnd wissen. Cú selbst wartete jedenfalls auf gar nichts, denn ohne jede Vorwarnung begann er einfach, seinen Umhang und sein Hemd zugleich über den Kopf zu ziehen. Wen wollte er mit der Show bitte verarschen? Wir wussten doch wohl beide, dass er seine Klamotten auch einfach dematerialisieren könnte. Dieser billige Striptease diente allein dem Ziel, mich zu provozieren. Wüsste er doch bloß nicht, dass er attraktiv war. Dann wäre mir diese Nummer bestimmt erspart geblieben. Demonstrativ wandte ich mich von Cú Chulainn ab. „Ich gehe ins Haus“, meinte ich und schritt dabei eilig an Cú vorbei, was diesen jedoch nicht davon abhielt, mir noch hinterherzurufen: „Soll ich mitkommen und dir helfen, Süße?“ Lustmolch. Das könnte ihm so passen. Man sollte meinen, er würde schon irgendwo irgendwen zum Flachlegen finden. So verzweifelt konnte er doch gar nicht sein. Ich rollte mit den Augen. „Wag es ja nicht, Cú Chulainn!“, erwiderte ich noch, blickte dabei aber nicht noch einmal zu ihm zurück. Ich ließ mir Zeit. Nicht, weil ich Probleme damit gehabt hätte, einen Stein zu finden, mit dem ich das nächstbeste Fenster einwerfen konnte, um dadurch ins Bauernhaus zu klettern. Auch nicht, weil es mich viel Zeit gekostet hätte, meine eigenen Kleider gegen das weiße Kleidchen zu tauschen, das mir lose bis zu den Knien fiel. Nein, ich ließ mir Zeit wegen Cú Chulainn. Ich wollte auf gar keinen Fall auf einen splitterfasernackten Iren treffen, wenn ich zum Feuer zurückkehrte. Für einen Moment zog ich sogar in Erwägung, mich nicht umzuziehen, sondern stattdessen höflich, aber bestimmt zu verabschieden, um nach Hause zu gehen. Dass mich Cú allerdings so unvoreingenommen zu einem für ihn wichtigen Fest eingeladen hatte und seine Traditionen mit mir teilte, hielt mich schließlich davon ab. Außerdem war es bestimmt schon nach Mitternacht und mein kleiner Master schlief eh längst tief und fest, sodass die Alternative wäre, wie so oft allein im Dunkeln zu hocken und Löcher in die Luft zu starren. Wäre ich noch ein Mensch, läge ich vermutlich im Halbschlaf auf dem Sofa, während irgendein Horrorstreifen über den Fernsehbildschirm flimmerte. Als Servant kannte ich das Bedürfnis nach Schlaf allerdings nicht länger. Ebenso gut hätte es Mittag sein können. Ich war überhaupt nicht erschöpft oder müde, auch wenn mein Kopf da immer noch sehr wie ein lebender Mensch dachte und mich daran erinnerte, dass es ja längst Zeit war, um sich ins Bett zu rollen. Wenn es mir gelang, in mein altes Leben zurückzukehren, müsste ich mich vermutlich erst wieder daran gewöhnen, dass mein Körper die Erholung und die Ruhe brauchte. Schluss mit durchwachten Nächten, in denen ich darüber grübelte, mit wem ich mich am besten verbündete und worauf ich dabei achten musste, um nicht irgendwann hinterrücks gemeuchelt zu werden. Ich freute mich schon darauf! Immerhin würde das bedeuten, dass ich diesen Gralskrieg überlebt und einen Weg nach Hause gefunden hatte. Seufzend strich ich das weiße Kleid glatt. Jetzt, wo ich es näher in Augenschein nahm, soweit die Dunkelheit das erlaubte, war ich mir fast sicher, dass Cú mir ein Nachthemd gegeben hatte. Warum wunderte mich das eigentlich schon nicht einmal mehr? Wenigstens fror man als Heldengeist nicht mehr so einfach, sonst hätte ich wohl inzwischen längst geschlottert. Jetzt aber nahm ich zwar wahr, dass es kühl war, aber hatte nicht einmal eine Gänsehaut. Gewisse Vorzüge hatte das Servant-Dasein eben doch. Blöderweise überwogen die Nachteile, wenn man mich fragte. Allein, dass dieses Dasein nur temporär und an die Bedingung, auf Leben und Tod zu kämpfen, gekoppelt war, wog die Vorteile nicht auf. Dazu kamen natürlich noch die Befehlszauber, gegen die sich ein Heldengeist nicht wehren konnte. Wo ich so darüber nachdachte: Zählten Elisabeth Befehlszauber eigentlich für das Buch anstatt für mich? Immerhin war nicht ich, sondern das Zauberbuch der Servant. Ich hoffte, dass ich die Antwort auf diese Frage nicht herausfände, indem Eli einen ihrer drei Befehlszauber einsetzte. Die meisten Heldengeister schien es allerdings auch nicht weiter zu stören, dass ihre Master solche Macht über sie besaßen. Was immer sie alle sich wünschten, musste es ihnen wert sein, immer wieder in den Kampf zu ziehen. Bei einigen wenigen, wie Alexander dem Großen, wusste man ja, was sie antrieb, bei anderen hingegen war es mir absolut schleierhaft. Einer davon war Cú Chulainn. Was brachte ihn dazu, in einen Gralskrieg zu ziehen? Welcher Wunsch in ihm war so groß, dass er dazu bereit war? Dass er sogar ganz gerne kämpfte, zweifelte ich nicht an, aber dennoch musste es ein höheres Ziel dahinter geben. Wie von selbst wanderten meine Gedanken ob dieser Überlegung zum König der Helden. Nur, weil der den Gral als sein Eigentum betrachtete, war er wohl kaum als Servant geendet. War sich Gilgamesh vielleicht selbst nicht im Klaren darüber, dass er sich etwas wünschte, obgleich erst dieser Wunsch ihn als Servant qualifizierte? Ich schüttelte den Kopf und ließ meinen Blick durch die Dunkelheit wandern. An Möbeln fehlte es hier drinnen völlig, sah man von einem hohen Schrank ab, dessen Türen aus den Angeln gerissen worden waren. Die Luft roch modrig und ließ ahnen, dass das Dach genauso undicht war, wie das Fenster, durch das ich mich selbst reingelassen hatte. Früher einmal war es hier vielleicht ganz schön gewesen, aber das musste schon an die 100 Jahre her sein. Ein bisschen erfüllte mich der Gedanke mit Nostalgie, denn meine Oma hatte auf einem Hof wie diesem gelebt. Leider hatte ich den auch nur in verfallenem Zustand kennengelernt. Über die Jahre war alles immer weiter verkommen und heute stand das Gebäude leer, genau wie dieses hier. Eine weitere Ruine, um die sich niemand mehr kümmerte und die irgendwann einfach abgerissen wurde, um Platz für Neues zu schaffen. Ich seufzte und wandte mich dem Fenster zu, aus dem ich zurück nach draußen kletterte. Inzwischen dürfte Cú Chulainn genug Zeit gehabt haben, um sich aus- und wieder anzuziehen. Meine eigene Kleidung hatte ich aufgelöst, wie es nur Servants vermochten. Zwar hatte das nicht im ersten Anlauf funktioniert, aber schließlich war mir auch diese kleine Herausforderung gelungen. Zeit, mich der nächsten zu stellen und herauszufinden, wie diese Samhain-Feier weiterging. Cú Chulainn erwartete mich bereits. Seine blauen Roben hatte er gegen eine weiße Hose ausgetauscht, die aussah, als habe er sie aus einem Krankenhaus mitgehen lassen. Wenn ich so darüber nachdachte, hatte er das vielleicht sogar wirklich. Da hätte er auch noch einen weißen Arztkittel mitnehmen können, murrte ich in Gedanken und tat demonstrativ so, als bemerke ich nicht, dass der Ire verhältnismäßig unbekleidet war. Da sah man eigentlich gerne zweimal hin, aber ich gönnte Cú die Genugtuung einfach nicht. „Also, was nun?“, fragte ich ihn ganz direkt, den Blick demonstrativ auf seine Augen gerichtet, in deren sattem Rot der Widerschein der Flammen fast mystisch anmutete. Auffordernd hielt Cú Chulainn mir eine Hand hin, die ich nach kurzem Zögern ergriff. „Sorgen wir dafür, dass dein erstes Samhain dir in guter Erinnerung bleibt“, meinte der Ire gut gelaunt, während er mich näher an das Feuer geleitete, neben dem zwei Stöcke in die Erde gebohrt waren, deren Enden in die Flammen ragten. Neugierig beäugte ich, was Cú da röstete. Sah aus wie Fische. Ob er die wohl selbst geangelt hatte? Vermutlich, wenn man bedachte, wie gerne er in seiner Lancer-Inkarnation angelte. Ein seltsames Hobby, Fische zu töten. Oder Ziegen. Mein Blick glitt zu dem armen Tier, das noch immer auf dem kleinen Altar lag, auf dessen steinerner Oberfläche jetzt rote Runen glühten. Ich hatte gehofft, wir würden uns jetzt einfach gemütlich ans Feuer setzen und ein bisschen quatschen, doch offenbar hatte Cú Chulainn andere Pläne. Er griff nach einer kleinen Schüssel, die neben dem Feuer stand. „Wir malen einander jetzt noch Schutzrunen auf, damit wir die Nacht genießen und die Götter ehren können, ohne dass uns ein rachsüchtiger Geist heimsucht.“ Na, wenn man das früher so gemacht hatte, sollte mir das recht sein. „Alles klar. Wie sehen diese Runen aus?“, wollte ich wissen. Zur Antwort hob der Caster vor mir die Hand und malte mit dem Zeigefinger zwei Symbole in die Luft, welche dort einige Sekunden lang blau aufleuchteten, ehe sie verblassten. In Gedanken zog ich die einfachen Formen nach. Ich bildete mir ein, sie schonmal irgendwo gesehen zu haben, aber die genaue Bedeutung entzog sich mir. Soweit es mich betraf, konnten die Runen für alles mögliche stehen. Kekse. Backfisch. Wer das liest, ist doof. Vielleicht war es naiv, aber ich baute darauf, dass Cú Chulainn mich nicht vereimerte. „Soll ich anfangen oder möchtest du, Süße?“, raunte mir der Blauhaarige schmunzelnd entgegen, wobei er verheißungsvoll mit der kleinen Schüssel wedelte. Entschlossen griff ich danach. „Ich fange an“, entschied ich kurzerhand. Dass sich darin Blut befand, erschreckte mich jetzt auch nicht mehr. Ohne zu zögern, tippte ich mit dem Zeigefinger hinein und sah dann abwartend zu dem Iren. „Wohin malt man die Rune? Auf die Stirn?“, riet ich aufs Geratewohl, bereit loszulegen. „Auch. Auf die Stirn, übers Herz, auf den Bauch und die Handrücken“, verriet der Ire mit einem Lächeln, das fast arglos hätte wirken können, wenn man außer acht ließ, wer er war und dass er die ganze Zeit wenig subtil versuchte, zu flirten. „Okay, das kriege ich hin.“ Ein bisschen machte mir die Sache so langsam doch Spaß. Leute zu bemalen fand ich auf jeden Fall verlockender, als ein Tier zu opfern. Cú grinste, dann neigte er den Kopf zu mir herunter, damit ich mit meinem Werk anfangen konnte. Was einfach geklungen hatte, war es in der Praxis jedoch nicht. Zwar waren die Runen nicht komplex, aber Blut eignete sich eben nicht unbedingt ideal als Farbe, zumal immer mehr davon an meiner Fingerkuppe trocknete. Dennoch brachte ich es zustande, nicht nur auf Cú Chulainns Stirn, sondern auch auf seinem Brustkorb und seinen Handrücken Runen zu hinterlassen, um mich dann seinem Bauch zuzuwenden. „Das kitzelt“, amüsierte der Ire sich, während ich vor ihm in der Hocke saß, um die letzte Rune zu platzieren. „Halt still, sonst vermale ich mich“, maulte ich, als er lachte und dadurch seine Haut unter meinem Finger zuckte. „Dann waschen wir es halt ab und du versuchst es nochmal“, erwiderte der blauhaarige Caster gelassen. Ich schnaubte. „Halt jetzt still!“, schimpfte ich halbherzig und zog die letzte Linie noch einmal ordentlich nach. Skeptisch musterte ich mein Werk und den Mann, der es auf der Haut trug, als dieser die Schale mit dem restlichen Blut an sich nahm. Ja, war doch ganz gut gelungen. Ich zumindest war zufrieden. Allerdings warf der Gedanke, dass er mir auch die Runen aufmalen wollte, ein paar Fragen auf. „Du willst mir doch nicht allen Ernstes auch eine Rune auf den Bauch malen, oder?“, wollte ich misstrauisch wissen. Ich trug ein Nachthemd und darunter nur eine Unterhose. Er glaubte doch nicht wirklich, dass ich mir diese Blöße vor ihm gäbe? Cú lachte. „Nein. Das wird nur bei Männern gemacht. Der Bauch einer Frau ist zentral für Entstehung des Lebens und selbst den grimmigsten Geistern heilig.“ Sein Wort in deren Ohr. „Wenn du jedoch darauf bestehst“, säuselte Cú feixend und griff mit einer Hand nach dem Saum meines Nachthemds. Reflexartig schlug ich nach den vorschnellen Fingern des Iren, der nur wieder lachte, dann aber seine Hand wegzog. „Fängst du jetzt an? Sonst mache ich es selbst“, murrte ich leise und verschränkte die Arme. „Nicht so ungeduldig, Caster“, entgegnete Cú gelassen, tippte dann aber die Finger ins Blut, sodass ich wenige Minuten später nicht nur rote Male auf den Handrücken und der Stirn hatte, sondern auch skeptisch beäugte, wie sich Cú mit einem demonstrativ zufriedenen Grinsen am Ausschnitt meines Nachthemds zu schaffen machte, um auch über meinem Herzen eine Schutzrune zu platzieren. „Vielleicht sollten wir den Rest der Nacht nutzen, die Götter mit einer Geste der Fruchtbarkeit zu ehren“, flüsterte der Blauhaarige mir ins Ohr, als er die letzte Linie zog. Finster sah ich zu ihm hoch und entließ Cú auch dann nicht aus meinem Blick, als er schließlich von mir zurücktrat. „Lass uns erst einmal essen“, wechselte er gelassen das Thema. „Und vielleicht erzählst du mir dann ja mal, wie man zu deinen Zeiten Samhain oder Halloween gefeiert hat.“ Abwartend sah der Ire mich an und ließ sich einfach im Schneidersitz am Feuer nieder. Mit einem Seufzen auf den Lippen folgte ich seinem Beispiel. „Nicht anders, als man es heutzutage auch tut, wenn überhaupt. In meiner Heimat ist Halloween nicht unbedingt heimisch“, erklärte ich und zuckte mit den Schultern. „Aber dir ist Samhain wichtig, oder?“ Cú Chulainns Stirn legte sich in Falten, dann nickte er. „Erzähl mir mehr darüber“, bat ich kurzerhand, allein schon um nicht über langweilige, christliche Bräuche zu Allerheiligen sprechen zu müssen. Da waren die Rituale der Kelten eindeutig spannender und Cú Chulainn enttäuschte mich nicht, sondern begann ohne Umschweife zu berichten. Fasziniert lauschte ich gleichermaßen ihm wie dem Knistern des Feuers, welches die Nacht erhellte und erst verlosch, als der erste Silberstreif am Horizont bereits zu sehen war und den Morgen ankündigte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)