KiraNatural von KiraNear ================================================================================ Kapitel 1: Und plötzlich war da Regen ------------------------------------- „Also dann, wir sehen uns dann übermorgen wegen dem Essen! Ich schreib dir noch wegen der Uhrzeit“, sagte uns sein Vater, als wir gerade das Haus verließen. Es war genau 1:30 nachts und obwohl es mitten im Winter war, war die Temperatur mehr als angenehm. Nicht einmal Schnee lag herum, was ich als sehr angenehm empfand. Wie immer hatten wir Silvester und dazugehörig auch Neujahr wieder bei der Familie meines Freunds verbracht, das Fondue war wie immer ein Genuss und das Ballern zur Jahreswende ein Riesenspaß. Buntes Feuerwerk hatten wir eins nach dem anderen hochgejagt, einzelne Raketen, komplette Batterien und kleine Handböller. Sogar seine Stiefschwester, wie auch sein Stiefbruder und deren jeweilige Partner hatten sich dieses Mal zu uns gesellt, was den Spaß nochmal verstärkt hat. Anschließend haben wir wie gewohnt den groben Müll zusammengesammelt, da wir keiner dieser Leute sein wollten, die einfach faul ihren Kram auf der Straße liegen lassen, weil die Müllabfuhr das ja schon holen würde. Ich wusste, die Heimfahrt würde wieder zum Slalom-Parcours werden, mit den ganzen Flaschen und leeren Raketenbatterien auf dem Boden, die zurückgelassen wurden. Da wir erst im November in eine gemeinsame, neue Wohnung gezogen waren, hatten wir nun auch einen weiteren Reiseweg als die Jahre zuvor, sprich, wir würden dieses Mal etwas länger wie betrunken auf den Straßen fahren müssen. Oder wie in Mario Kart, je nach Betrachtungsweise. Am Ende haben Sinni und ich uns entschieden, nach Hause zu fahren und die restliche Nacht zu zweit zu verbringen, vermutlich würden wir Far Cry 6 fertig spielen. Bereits mit dem Vorgänger, dem fünften Teil der Reihe, hatten wir viel Spaß und auch der hier machte richtig viel Laune, auch, wenn ich den Endgegner nicht mochte. So hatten wir uns verabschiedet und von seinem Vater erfahren, dass er uns in zwei Tagen zum Hendl-Essen einladen möchte. Allein schon bei dem Gedanken, wieder dieses sauleckere Knoblauchhuhn zu essen, lief mir das Wasser im Mund zusammen. Ich hatte schon mindestens ein halbes Jahr lang dort keins mehr, nicht mal als uns Merina letzte Woche besucht hatte, hatten wir uns ein Hendl geholt. „Gut, machen wir das“, bestätigte mein Freund das, wir winkten alle nochmal kräftig zum Abschied, dann drehten wir beide uns um und gingen zum Auto. Es gab keinen Grund zur Eile, aber da wir recht nah geparkt hatten, saßen wir recht schnell drin und fuhren los. Wie gewohnt nahm ich meine zwei Handys zur Hand und startete auf beiden Pokémon Go. Das Neujahrsevent war noch im vollen Gange und ich hoffe, noch auf ein Shiny Schmerbe mit Partyhut zu stoßen. „Hach, das war jetzt schön. Auch wenn sich Hannes beinahe seinen Pulli angezündet hätte“, sagte ich und meinte es auch. Ich konnte meinen Freund seufzen hören. „Ja, was für ein Depp. Was zündet der auch in der Nähe des Pullis nen Böller an? Gut, dass der nicht so leicht brannte, aber mein Vater hätte ihn bestimmt löschen können.“ „Das denke ich auch“, sagte ich, nur um etwas zu sagen, während ich so gut wie jedes interessante Pokémon, das ich auf meinen beiden Accounts finden konnte, shiny-checkte. Wie von mir und vermutlich auch von ihm erwartet, umfuhren wir großzügig immer wieder irgendwelchen Müll, den andere Leute mitten auf der Straße haben liegen lassen. „Uff, es ist echt jedes Jahr so. Jagen ihr Zeugs hoch und lassen es dann liegen. Faule Idioten“, sagte ich als Reaktion auf die Slalomfahrt und mein Freund stimmte mir zu. „Ja, echt ey, das ist so nervig. Naja, wenigstens sind wir bald zuhause … hey, sag mal, liegt da nicht jemand?“ Ich, die die ganze Zeit auf meine Handys und nicht rausgeguckt hatte, blickte nun auf und sah in die Richtung, in die mein Freund deutete. Da er recht langsam fuhr, und keiner unterwegs war, konnte er es sich erlauben, die Hand mal für eine längere Zeit nicht am Steuer zu haben. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich es erkannte, aber ja, dort lag eine Person. Ob verletzt oder tot oder besoffen, das konnte ich nicht sagen. Für einen kurzen Moment überlegte ich, ob wir weiterfahren sollen. Aber was, wenn es jemand ist, der verletzt ist oder in Not und noch gerettet werden kann? Das wäre unterlassene Hilfeleistung. Naja, vielleicht sollten wir lieber nachsehen, wenn’s dann am Ende  ein Penner ist oder ein Besoffener, können wir ja immer noch weiterfahren. „Sollten wir uns das nicht mal ansehen? Nur, um zu gucken, ob er ok ist.“ Da fuhr mein Freund sein Auto schon an den Straßenrand und stellte es dort ab. „Uns sieht zwar keiner, aber wer weiß. Unterlassene Hilfeleistung ist kein Spaß, da kann man schon richtig Ärger von der Polizei bekommen“, meinte Sinni und stieg aus. Ich steckte meine Handys in die Jackentasche, verschloss diese und verließ ebenfalls das Auto. Mein Freund näherte sich ihm und fing an, auf ihn einzureden. „Hey, alles in Ordnung bei Ihnen?“, fragte er und beugte sich über ihn herüber. Wenige Sekunden stand ich ebenfalls daneben. Es kam keine Antwort und nachdem wir ein paar Augenblicke lang gewartet hatten, sahen wir uns unsicher an. „Wen sollen wir rufen? Polizei? Krankenwagen?“, fragte ich Sinni unsicher und ich konnte erkennen, dass er selbst auch nicht so recht wusste, was er nun tun sollte. Schließlich schnappte er sich sein Handy, ging ein paar Schritte weg und begann zu telefonieren. „Hey Vater, du, ich hab da mal ‚ne Frage …“, konnte ich ihn reden hören, da widmete ich mich wieder der Person auf dem Boden. Es schien sich um einen Mann mittleren Alters zu handeln, welcher jetzt nicht gerade wie ein Penner aussah. Vorsichtig, mit der Paranoia im Hinterkopf, dass das hier eine Falle ist und der mich gleich überfallen würde, kniete ich mich zu ihm hinunter. Versuchte herauszufinden, ob der Mann noch lebte oder nicht. Doch so richtig traute ich mich nicht, ihn anzufassen, also guckte ich auf seine Brust, ob ich dort eine Bewegung sehen konnte oder nicht. Leicht hob sich seine Brust, ich konnte es an seinem Shirt erkennen, welches sich dabei bewegte. Na wenigstens lebt er noch. Immerhin. Dann werden wir wohl nur einen Notarzt brauchen. Ich sah kurz zu Sinni hinüber, er stand immer noch ein paar Meter weiter und telefonierte mit seinem Vater, hatte ihm wohl die Situation erklärt und holte sich eine dritte Meinung ein. Dann sah ich wieder hinunter zu dem Bewusstlosen … doch ich sah nichts. Verwirrt blickte ich auf den Boden vor mir, doch dieser war leer. Vor mir befand sich nichts. Kein bewusstloser Mann, aber auch keine Spur davon, dass hier gerade eben noch gelegen war. Hatte ich mir das etwa nur eingebildet? Das kann doch gar nicht sein, so viel Alkohol habe ich doch gar nicht getrunken. Außerdem hat Sinni ihn ja auch gesehen, sogar vor mir … also was soll das? War das doch eine Falle? Während ich noch verwirrt auf den Boden starrte, spürte ich, wie schlagartig Wasser auf mich prasselte. Noch verwirrte blickte ich mich um, erst zur Seite, dann nach oben. Mit einem Mal hatte es zu regnen angefangen, mit einem richtig starken Wolkenbruch. Blitz und Donner ließen ebenfalls nicht lange auf sich warten. Achja, richtig, der Wetterbericht meinte doch, dass die Regenwahrscheinlichkeit für die spätere Nacht bei 80% liegt. Ich hab doch extra nachgesehen… nur ich hab es wieder vergessen. Ich sah wieder zu der Stelle zurück, doch die Person blieb verschwunden. Erneut sah ich mich nach möglichen Richtungen um, in die die Person hätte verschwinden können, doch ich wurde nicht fündig. Das ist ja seltsam … egal, dann fahren wir mal heim. Meine Jacke ist zwar wasserdicht, aber naja, das wäre besser. Gerade, als ich mich aufrichtete und meinen Freund über das seltsame Verschwinden des fremden Mannes aufklären wollte, bemerkte ich, dass ich gar nichts mehr sah. Nicht nur der fremde Mann waren verschwunden, sondern auch Sinni. Weder konnte ich ihn, noch sein Auto sehen. Mit weit offenen Augen blickte ich mich um, versuchte mich daran zu erinnern, ob ich sein Auto gehört hätte, doch meine Erinnerung sagte nein. Außerdem würde er nie ohne mich wegfahren, da war ich mir sicher. Dennoch war es mehr als mysteriös. Glücklicherweise hatte ich noch alles bei mir: Handys, Geldbeutel, weil ich dachte, den würde ich für irgendwas brauchen und eben mein Schlüsselbund, weil ich mich ohne unsicher fühlte. Dazu noch meine zwei Mund-Nasen-Masken, die tief in meiner Jackentasche vergraben waren und ein Amulett in Form eines Zeichens, welches mir nichts sagte. Dennoch fühlte ich  mich sehr unsicher, so ganz alleine auf der Straße.   Da ich keine Lust hatte, noch weiter nass zu werden, sah ich mich nach einem Unterstand um, irgendwas, wo ich mich kurz unterstellen und meinen Freund anrufen konnte. Mich erkundigen, was jetzt genau passiert ist. War irgendwas mit seinem Vater, dass Sinni Hals über Kopf zu ihm gefahren ist? Nein, das würde nicht passen, immerhin hätte er was gesagt, dass ich schnell in den Wagen einsteigen soll, weil er schnell zu seinem Vater zurückfahren will. Ich ging die Straße ein paar Schritte, dann ein paar Meter weiter, auf der Suche nach einem geeigneten Ort, der mich vor dem Regen schützen würde. Schließlich wurde ich auch fündig: Eine Art Unterstand, welcher simpel, aber auch stabil aussah. Mit schnell Schritten lief in zu dem Unterstand und atmete erleichtert auf, damit würde ich zumindest nicht noch mehr Regen abgekommen als ich sowieso schon habe. Da es jedoch aufgrund der Uhrzeit und der schlechten Straßenbeleuchtung zu dunkel war, um irgendwas zu erkennen, schaltete ich bei Handy eins die Taschenlampe an. Nun konnte ich besser erkennen, was sich mir bereits bisher nur schemenhaft gezeigt hatte: An der Innenwand des Unterstands hing ein Rahmen. Ich ging auf die Wand zu und sah mir diesen merkwürdigen Rahmen an: Es war ein Busfahrplan! Folglich musste ich mich in einem kleinen Bushaltehäuschen befinden. Zwar hatte ich das bisher noch nie in meinem neuen Wohnort gesehen, aber so selten, wie ich beim Autofahren aus dem Fenster schaute, wenn ich nicht gerade selbst fuhr, ist es auch kein Wunder. Außerdem kannte ich mich noch nicht in allen Stadtteilen genau aus und schob es daher auf meine fehlenden Ortskenntnisse, dass ich das Häuschen nicht kannte. Neugierig versuchte ich den Busfahrplan zu lesen, um eine kleine Übersicht zu bekommen, wo ich mich befand und welche Linie hier halten würde, doch … es ging nicht. Der Busfahrplan war schon lange nicht mehr ausgetauscht worden, die komplette Schrift war mehr als unleserlich verblasst. Offenbar hielt man es bei der Busgesellschaft auch nicht für nötig, das Papier mal gegen ein neues auszutauschen, was ich noch seltsamer fand. Ich bin in meiner neuen Heimat des Öfteren mit dem Bus gefahren und habe auch oft genug auf den Busfahrplan geguckt, doch dieser war bisher immer in Ordnung gewesen, sah man mal von den Stickern ab, die von irgendwelchen Teenies mal dort angebracht worden war. Das muss ich Sinni erzählen, das ist ja echt schräg, dachte ich, obwohl ich mir nicht sicher war, ob so ein ausgebleichter Fahrplan wirklich so interessant zum Weitererzählen war. Dann fuhr es mir durch den Kopf. Ich hatte in der kurzen Zeit komplett vergessen, dass ich Sinni anrufen und ihn befragen wollte, was passiert war und warum er auf einmal nicht mehr da war. So nahm ich Handy zwei und während ich mir mit Handy eins das Bushaltehäuschen ein wenig erhellte, suchte ich auf dem anderen die Nummer von Sinni heraus und versuchte ihn anzurufen. Doch statt von ihm und seiner lieben Stimme begrüßt zu werden, antwortete mir nur die elektronische Stimme: „Diese Nummer ist leider nicht vergeben!“ Verwirrt nahm ich mein Handy vom Ohr weg, ja, ich hatte den richtigen Kontakt ausgewählt und seine Nummer auch nie bearbeitet. Gut, da ich seine Handynummer größtenteils nicht auswendig wusste, konnte ich es auch nicht zu 100% beurteilen, aber ich war mir sicher, dass ich daran nie etwas geändert hatte. Schaufend legte ich auf und versuchte es noch einmal. Und noch einmal. Und zum vierten Mal. Doch jedes Mal sagte mir mein Handy, dass die Nummer nicht vergeben sei. Genervt legte ich auf und überlegte mir, eine andere Nummer zu wählen, doch ich wusste nicht, wen ich anrufen könnte. Meine Tante wollte ich nicht anrufen, da ich sie nicht unnötig in Sorge bringen wollte. Meine beste Freundin wohnte zu weit weg, sie hätte mir nicht helfen können. Und sonst? Viel mehr Kontakte hatte ich nun auch wieder nicht. Ich schickte Handy zwei in den Standby-Modus und schob es zurück in die Jackentasche. Der Regen ließ nicht nach, überhaupt machte das Gewitter keine Anstalten dazu, in irgendeiner Form leichter zu werden. Na das konnte ja heiter werden. Hätte ich das noch beim Verlassen der Wohnung gewusst, hätte ich einen Schirm mitgenommen. Doch das hätte mir auch nicht viel gebracht, da ich diesen dann im Auto vergessen hätte, welches sich nun sonst wo befand.   Unsicher, was ich nun tun sollte, lief ich in dem kleinen Häuschen auf und ab. Normal, wenn man verloren gegangen war, sollte man an dem Ort bleiben, an dem man sich befand, damit man leichter gefunden werden konnte. Doch würde überhaupt jemand nach mir suchen? Oder wäre es nicht besser, nach Hause zu laufen, trockene Sachen anzuziehen und mir erst mal einen leckeren Tee zu machen? Immerhin war der Weg jetzt nicht so weit, über die Hälfte hatten wir jetzt geschafft und so könnte ich auch den Weg zu unserer neuen Wohnung besser kennenlernen. Seufzend sah ich mir das Wetter an. So richtig Lust hatte ich jetzt nicht wirklich, da wieder rauszugehen und noch mehr vom Regen abzubekommen. Zwar wollte ich auch eigentlich am liebsten auf der Couch sitzen, Tee trinken und irgendwas auf meiner Switch zocken, am besten Animal Crossing, aber der vernünftige Teil in mir hielt es für besser, erst mal abzuwarten, ob das Wetter nicht irgendwann nachlassen würde. Zumindest ein bisschen warten, sollte sich irgendwann später abzeichnen, dass es immer noch regnen würde, konnte ich ja immer noch heimgehen. Oder versuchen, ein Taxi zu rufen, davon gab es hier in diesem Ort Unternehmen wie Sand am Meer. Gerade, als ich mir selbst im Geiste zunickte, um meine Entscheidung irgendwie zu bestätigen, sah ich, wie jemand heran gesprintet kam. Schnell ging ich in eine Ecke des Häuschens, zwar hatte ich keine Bedenken, dass mir diese Person etwas tun würde, die wollte auch nur vor dem Regen flüchten, aber ich wollte dennoch so weit wie möglich von der Person wegstehen. Überhaupt mochte ich es, wenn zwischen mir und Fremden eine gewisse Distanz war und Corona hatte dies dann auch erst verstärkt. Unsicher überlegte ich mir, ob mir die Maske aufsetzen sollte oder nicht. Doch da ich mich im Freien befand, entschied ich mich dagegen, dazu war das Häuschen dann doch zu offen. Solange es dabei blieb und wir unseren Abstand einhielten, würde es gehen.   Nun hatte die Person das Häuschen erreicht, es stellte sich als ein junger Mann heraus, welcher in etwa in meinem Alter herum sein durfte. Möglicherweise war er jünger, aber sicher war ich mir nicht und fragen wollte ich es ihn auch nicht. Er stellte sich nun ebenfalls unter den Unterstand und sah sich den Regen an. Offenbar war er wie ich vom Regen überrascht worden und wartete nun, bis er wieder vorbei sein würde. Bis dahin waren wir Unterstands-Brüder. Im ersten Moment dachte ich, er hätte mich nicht gesehen oder würde mich ignorieren, doch mir wurde das Gegenteil bewiesen, als er sich zu mir umdrehte. „Hi! Auch vom Regen überrascht worden?“, sagte er als Versuch, ein Gespräch aufzubauen. Offensichtlich war ihm nach Gesellschaft oder er rechnete nicht damit, dass der Regen in den nächsten Minuten enden würde. „Ja, hat mich auch sehr überrascht“, sagte ich, obwohl ich mir von dem Gespräch keinen Mehrwert für uns sehen konnte. Ich war noch nie ein Freund von Smalltalk, besonders mit Fremden, aber ich hatte nur die Wahl zwischen Regen oder dem Gespräch. Also entschied ich mich fürs letztere. „Mein Name ist Andy, und wie heißt du?“ „Mein Name ist Kira“, antwortete ich ihm höflich. Danach wurde es still, unangenehm still. Doch wie immer wusste ich nicht, was ich sagen sollte oder ob ich überhaupt etwas sagen wollte. Überhaupt darüber wieder nachzudenken erschien mir bereits als sehr anstrengend. Und, was machst du noch so spät unterwegs?, fiel mir als Frage ein, doch ich verkniff es mir. Es war Neujahr, natürlich war noch jemand unterwegs, auf dem Rückweg von einer Party oder ähnlichem. Stattdessen fragte ich: „Auch auf dem Heimweg?“ Das zu fragen kam mir dann doch etwas weniger doof vor. „Ja, so in etwa“, wich mein Gesprächspartner aus. „Ich hab versucht zu trampen, aber leider dann doch kein Glück gehabt. Und, was bringt dich in diese Gegend?“ „Das Gleiche, bin auch auf dem Heimweg. Naja, bis der Regen kam“, sagte ich und guckte demonstrativ aus dem Unterstand hinaus. Das Ereignis mit dem verschwundenen Bewusstlosen und der Tatsache, dass sowohl mein Freund, als auch sein Auto verschwunden waren, behielt ich lieber für mich. „Der Wetterdienst hat den Regen zwar angekündigt, aber ich bin ziemlich vergesslich, sonst hätte ich mir einen Schirm genommen. Aber so muss ich nun warten, bis er wieder aufhört. Hoffe, er tut es bald“, sagte ich und kam mir dabei so sozial unbeholfen wie immer vor. Doch er schien es entweder nicht zu bemerken oder es schien ihn nicht zu stören. „Ja, das hoffe ich ebenfalls. Allzu lange wollte ich auch gar nicht in der Gegend bleiben“, sagte er und blickte sich unsicher um. Erst jetzt bemerkte ich, dass er ein wenig unruhig, gar nervös wirkte. Und ein paar Minuten Beobachtung zeigte mir, dass er immer wieder die Gegend observierte, sich immer wieder umsah. Überhaupt machte er den typischen Eindruck wie jemand, der sich von irgendwas oder irgendwem verfolgt fühlte. So standen wir nun, für mehrere Minuten, doch wie lange wir genau dort standen, konnte ich nicht sagen. Weder blickte ich auf meine Handys, noch hatte ich überhaupt irgendwo eine Uhr, wo ich die Zeit hätte ablesen können. „Sag mal, kann ich dich was fragen? Du musst mir nicht antworten, wenn du nicht möchtest, aber damit würdest du mir einen Gefallen tun“, sagte er in einem Ton, den ich als unsicher interpretieren würde. „Klar, frag mich ruhig“, sagte ich und ich hatte aus einem mir unbekannten Grund das Gefühl, dass was immer er von mir wissen möchte, solange es nicht zu intim war, ich könnte es ihm erzählen. „Hast du schon mal jemanden aus deiner Familie verloren, der dir wichtig war? Wie bist du damit umgegangen?“, fragte er und ich blickte zur Seite, unschlüssig, wie er gerade von allen Themen auf dieses gekommen war. Doch noch immer hatte ich dieses seltsame Gefühl, geradezu als müsste ich ihm darauf eine Antwort geben, einfach, weil ich es so wollte. „Ja, habe ich, mehrfach“, antwortete ich und starrte hinaus in den Regen. Der Tod von anderen Menschen war schon immer ein Teil meines Lebens. „Als ich geboren wurde, starb nach ein paar Monaten mein Opa, aber den kannte ich nicht. Zählt also eigentlich nicht. Zwei Jahre später habe ich meinen Vater verloren, das hat mich damals sehr mitgenommen. Vor sechs Jahren war es meine Oma und vor einem halben Jahr meine Mutter. Die beiden mussten nicht lange leiden, das hat mir damals etwas Trost gegeben. Außerdem konnte ich mich von meiner Mutter noch verabschieden, das hat es mir auch noch etwas leichter gemacht.“ Ich unterdrückte die feuchten Augen durch wiederholtes Blinzeln, bis sie sich wieder halbwegs normal waren und zwang mich dazu, meinen Gesprächspartner wieder anzusehen. Kaum hatte ich ausgesprochen, was ich ihm erzählen wollte, war das Gefühl weg. Doch ich bereute es nicht. Es tat gut, mal darüber zu reden, auch wenn ich es vermutlich ohne dieses seltsame Gefühl nicht bei einem vollkommen fremden Menschen getan hätte. „Das mit deiner Mutter tut mir leid“, sagte er und fuhr sich durch die Haare. „Was mit meiner Mutter passiert ist, weiß ich nicht so genau, hab sie auch nie kennengelernt. Ich wurde damals nämlich zur Adoption freigegeben, musst du wissen“, sagte er, blickte sich misstrauisch in alle Richtungen um, bevor er sich wieder mir zuwandte. „Naja, ich hatte zwar eine Adoptivmutter und sie soll sehr nett gewesen sein, aber sie habe ich auch verloren. Sieht so aus, als hätte ich da genauso wenig Glück wie du.“ Ich nickte nur. „Dir auch  mein herzliches Beileid wegen deiner Adoptivmutter. Ja, sieht so aus, als wir beide da nicht so viel Glück gehabt.“ Ich überlegte kurz, ob ich meinen nächsten Satz sagen sollte, ob es angemessen wäre oder nicht, und entschied mich dann dafür, ihn auszusprechen. „Aber dafür hat mein Freund eine sehr große Familie mit vielen Verwandten, das wird auch irgendwann meine Familie sein und das ist schön, denke ich.“ Ich konnte ihn seufzen hören. „Ja, das wäre bestimmt schön. Sowas hätte ich auch gerne, glaube ich. Sicher bin ich mir aber nicht. Man kann schlecht sagen, ob einem etwas liegt oder nicht, wenn man es nie hatte.“ Nun sah er sich wieder nervös um und inzwischen sah er auch mich so an, als wäre ich von irgendeinem Geheimdienst oder ein Alien, das ihm etwas tun wollte. „Alles in Ordnung? Keine Angst, ich hab kein Messer oder Pfefferspray in meinen Jackentaschen“, sagte ich und hob meine Handys, um irgendeine Art von Beweis zu liefern. Doch er schüttelte nur mit dem Kopf. „Sorry, das kann ich dir nicht erklären, das ist … zu kompliziert“, sagte er und machte den Eindruck, als würde er nicht mehr dazu sagen wollen. Das kam mir zwar mehr als seltsam vor, doch da er keinen gefährlichen Eindruck machte, wollte ich das erst mal so stehen lassen. Zwar war meine Menschenkenntnis jetzt nicht gerade die beste, aber ich wollte jetzt auch nicht unbedingt in jedem Mann eine Gefahr oder gar potenziellen Vergewaltiger sehen, den Schuh wollte ich mir erst gar nicht anziehen. Stattdessen machte ich mir Sorgen. Was, wenn er in Schwierigkeiten war? Oder wenn er irgendwas genommen hat, was ihm nicht gut tut, was er nicht verträgt und nun dafür sorgt, dass er sich nun verfolgt fühlte? Hatte er Halluzinationen? Doch ich kam nicht dazu, allzu lange darüber nachzudenken, denn mit einem Mal wurde es hell, sehr hell. Meine Augen, die sich bereits an die Dunkelheit und die geringe Beleuchtung durch meine Handy-Taschenlampe gewöhnt hatten, schmerzten für ein paar Sekunden durch das helle Licht. Sie waren lichtempfindlich wie immer, wenigstens etwas, was noch einen normalen Eindruck auf mich machte. Es dauerte ein paar Sekunden, dann konnte ich meine Augen wieder aufmachen und versuchen etwas zu erkennen. Auch Andy hatte seine Augen mit seinem Arm abgedeckt, ihm schien es ebenfalls zu hell zu sein. Dann blickte ich wieder in die Richtung, aus welcher das Licht kam und konnte ein paar Scheinwerfer erkennen. Zumindest vermutete ich es, denn um genauer etwas erkennen zu können, dazu war das Licht dann doch noch viel zu hell. Kapitel 2: Rettung am Straßenrand --------------------------------- Als sich das Licht uns näherte, versuchte ich mit zusammengekniffenen Augen zu erkennen, woher das Licht nun stammte. Ob meine Vermutung, dass es sich dabei um ein Auto handelte oder nicht, richtig war. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sich meine Augen geringfügig an die plötzliche Helligkeit gewöhnt hatten, und ich sah, dass ich mit meiner Vermutung richtig lag. Doch den Fahrer oder das Auto selbst konnte ich nicht erkennen. Sofort musste ich an die unzähligen Momente denken, als ich im Winter am Bahnhof darauf gewartet hatte, dass mein Freund mich abholt und ich in der Dunkelheit nichts außer dem Licht von einem Auto erkennen konnte, jedes von ihnen sah gleich aus für mich. Und so erging es mir nun auch. Da ist wohl noch jemand sehr spät unterwegs. Ob der Fahrer wohl von der Arbeit kommt? Für einen Moment erwartete ich, dass das Paar Scheinwerfer zu einer Person gehören würde, welche einfach zufällig gerade jetzt die Straße entlangfuhr. Dass sie an uns vorbeifahren würde und ich würde das Auto auch sofort wieder vergessen. Doch das Auto fuhr nicht an uns vorbei, sondern blieb kurz vor unserer Bushaltestelle stehen. Sekunden später hörte ich, wie die Tür geöffnet wurde und jemand aus dem Wagen stieg. Warum kommt da jemand? Hat sich die Person verfahren? Aber dann könnte er ja auch einfach aus dem Fenster raus fragen, Andy könnte ihm bestimmt weiterhelfen. Das ist doch unnötig, da wird der doch nur nass bei dem Regen … Gerade, als ich mir noch über das Verhalten des Fahrers Gedanken machte, sah ich aus dem Augenwinkel, wie sich etwas vor mich schob und somit den Blick auf das Auto verdeckte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich erkannte, dass sich mir Andy in den Weg gestellt hatte. Doch den Grund, den sah ich immer noch nicht. „Was ist denn los?“, fragte ich etwas zu leise, da ich mir nicht sicher war, ob es nicht doch an mir lag und ob ich die Antwort hören möchte oder nicht. Vielleicht ist es ja seine Freundin oder Frau und er will nicht mit mir gesehen werden, weil sie eifersüchtig werden könnte. Doch er antwortete mir nicht, stattdessen schien er die Person zu beobachten, die aus dem Auto gestiegen war. Dummerweise war er größer als ich und so konnte ich, wie ich es beispielsweise von diversen Flohmarktbesuchen gewohnt war, nicht über oder an dem menschlichen Körper vor mir sehen, was sich auf der anderen Seite befindet. Nur, dass ich im Gegensatz zum Flohmarkt nicht mögliche günstige Pokémon Karten sehen wollte, sondern die Person, die bei dem Regen aus dem Wagen gestiegen war. „Sam?“, konnte ich Andy fragen hören und ich begann mich zu fragen, ob mit Sam nun seine Partnerin oder ein Kumpel gemeint war. Oder eine Freundin oder sein Partner. Allerdings schien er wohl auch Probleme damit zu haben, den Fremden gut erkennen zu können, denn er klang mehr als unsicher beim Aussprechen des Namens. Neugierig trat ich so hinter seinem Rücken hervor, dass ich nun an ihm vorbeischauen konnte. Wieder blickte ich in das helle Licht, wieder brauchte ich ein paar Sekunden, bis ich mehr sehen konnte als die pure Helligkeit, die mich blendete. Dann fiel mein Blick auf die Person, die zu uns herübergekommen war, es handelte sich um eine Frau. Wie erwartet sagte mir der Anblick nichts, weder kam mir die Frisur, noch das Gesicht oder ihre Kleidung bekannt vor. Es war eine völlig fremde Frau für mich. Doch Andy schien sie was zu sagen, zumindest konnte ich einen leisen Fluch von ihm hören. Was ist denn nun los? Geht mich das überhaupt was an? Andy ist ja eigentlich noch ein Fremder für mich … Doch so richtig ernsthafte Gedanken über die Frau konnte ich nicht machen, denn Andy drehte sich zu mir um und der Ausdruck in seinem Gesicht war jetzt nicht gerade einer, den ich erwartet hätte. Ich dachte, er wäre genervt oder frustriert, aber stattdessen sah er mich mit großen Augen an. Er machte den Eindruck, als wollte er etwas sagen, aber wusste nicht genau was. An was auch immer es lag, die Situation schien sich für ihn verschlechtert zu haben. Seine Atmung hatte zugenommen und er wirkte auf mich, als würde er jederzeit wegrennen wollen. Was er wohl auch tatsächlich geplant hatte. Ehe ich irgendwie reagieren konnte, hatte er mich am Arm gepackt und zog mich mit sich auf die Straße, in den Regen hinein. „Hey, was wird das?“, konnte ich gerade noch herauspressen, da ich es nicht gerade nett fand, in den unangenehmen, nassen Regen rausgezogen zu werden. Doch Andy schien sich nicht die Zeit für lange Erklärungen nehmen zu wollen oder gar zu können. „Wir müssen hier weg“, war seine einzige Antwort und ich bekam das Gefühl, als wäre ich in einer Videospiel Cutszene von irgendeinem Resident Evil Spiel, in welcher der Endgegner gerade seine Aufmachung machte, damit der Spieler eine ungefähre Ahnung hatte, mit wem er es eigentlich zu tun hat, wer im Hintergrund die Fäden zieht und hinter allem steckt. War es das, bin ich in einer Horrorwelt gelandet? Verwundert und verwirrt sah ich erst Andy an, der immer noch meinen Arm festhielt und die Frau, die sich nun mittlerweile in dem Häuschen befand, genau an der Stelle, an welcher wir gerade eben noch gewesen waren. Sein Griff um meinen Arm verstärkte sich, fühlte sich aber auch leicht verschwitzt an. Sein Blick wirkte nun sehr verzweifelt. So sehe ich also aus, wenn ich mal wieder eine Impfung bekomme, fuhr es mir als erstes durch den Kopf, als ich die Angst in seinem Gesicht sah, in seinen Augen. Auch seine Körperhaltung sprach sehr dafür, er wirkte wie ein Reh, welches sofort weglaufen wollte. Die Frau dagegen machte einen sehr zufriedenen Eindruck, sie schien der Regen und die Tatsache, dass Andy vor ihr zurückwich, nicht zu stören. Schließlich begann sie zu lachen, ein sehr hässliches Lachen, was mich stark an die Krähen aus Japan erinnerten. Ein trockenes, hohes und merkwürdiges Lachen, das da aus ihrem Mund herauskam. Irgendwas stimmte an der Gesamtsituation nicht, aber ich wusste nicht genau, was. Nur, dass wir offenbar hier wegmüssen, warum auch immer. Schnell sah ich zwischen den beiden hin und her, eine Speicherfunktion wäre jetzt echt schön gewesen, damit ich beide Optionen testen und gucken kann, welche besser ist. Doch auf der anderen Seite, Andy war mein Unterstands-Bruder und ich kannte ihn so gesehen ein wenig besser als die Frau, die gerade eben erst jetzt in mein Leben getreten war. Außerdem machte sie keinen vertrauenserweckenden Eindruck. Die Aussicht, noch weiter im Regen zu bleiben, gefiel mir überhaupt nicht, aber ich war schon gefühlt klitschnass bis auf die Haut, da machte es nun auch keinen Unterschied mehr. Wenigstens fühlte sich der Regeln nicht ganz so kalt an, wie ich es für einen Winterregen vermutet hätte. „Gut, dann lass uns gehen“, sagte ich, weil ich meine Antwort so kurz und präzise wie möglich halten wollte. „O-ok“, konnte ich Andy hören, da zog er mich auch bereits mit sich. Dass er dabei rannte, war zwar etwas, was mir logisch erschien, angesichts seiner Reaktion und der Situation, dennoch hatte ich gehofft, dass es nicht dazu kommen würde. Vor allem wegen meiner sehr geringen Ausdauer. Doch das konnte ich Andy nicht mitteilen, er zog mich zwar mit sich mit, was vermutlich einen sehr großen Teil davon ausmachte, weshalb ich mit ihm Schritt halten konnte und trotzdem fing ich sehr kurzer Zeit stark zu schnaufen an. Eventuell wäre es doch besser gewesen, hätte ich mal auf Sinni gehört, als er meinte, ich sollte mal was für meine Ausdauer tun. Und so rannten wir, er mit mehr Energie als ich, die Straße entlang. Der Regen fiel mir in die Augen, aber ich kam nicht ran, um sie wegzuwischen, da er sich meinen rechten Arm geschnappt hatte. Außerdem versuchte ich mehr auf meine Atmung zu achten, damit war ich schon mehr als genug beschäftigt. „Tut mir leid, dass ich dich in diese Sache hineingezogen habe“, sagte er, kaum hatte er mich um eine Ecke gezogen und blickte kurz um diese, um zu schauen, ob wir verfolgt wurden. „Eigentlich wollte ich das nicht machen, aber wer weiß, zu was diese Frau alles im Stande ist. Möglicherweise denkt sie, dass wir uns kennen und dann wäre es auch für dich vielleicht gefährlich geworden. Das hört sich möglicherweise seltsam an, aber sie will mich umbringen … es tut mir wahnsinnig, ich bin mir sicher, du hast dir deinen Abend auch ganz anders vorgestellt.“ Besorgt sah ich Andy an, dann die Hand, mit welcher er mich immer noch festhielt. Andere Leute würden jetzt vermuten, dass er unter Drogen stand oder irgendwelchen anderen Substanzen, die ihn in eine Art Wahn gepackt hatten, weswegen er deshalb solche Dinge sagte. Gut, ich kannte so gut wie keinen, der unter Drogeneinfluss gestanden hatte und ich wusste nicht, wie sehr die Stereotypen aus dem Fernsehen der Wahrheit entsprechen. Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass Andy mich anlog, ob nun mit Absicht oder ohne; oder dass er auf irgendeinem schlechten Trip wäre. Auf mich diese Frau hatte irgendeinen einen seltsamen Eindruck gemacht. Ohne, dass sie was gesagt hat, wirkte ihre Erscheinung, ihr Auftreten sehr bösartig, fast schon dämonisch finster. Anders konnte ich es mir nicht erklären oder beschreiben. „Schon in Ordnung, ich denke, du bist ein feiner Kerl und hast es nicht mit Absicht gemacht. Die Frau war wirklich sehr seltsam, glaub nicht, dass ich gerne mit der alleine geblieben wäre“, sagte ich und merkte, wie mir die Luft ausging, kaum hatte ich den Satz beendet. Denn im Gegensatz zu Andy, der nur leicht schnaufte, atmete ich, als müsste ich eine Lunge in der Größe eines Fußballfeldes mit Sauerstoff versorgen. Meine roten Blutkörperchen taten mir auch leid, die mussten ja geradezu durch meinen Körper rasen. „Es tut mir trotzdem leid“, sagte er und ich konnte es verstehen. Auch konnte ich verstehen, dass wir hier nicht lange stehen bleiben, sondern wiederrennen mussten, auch wenn meine Lunge, mein Körper, meine gesamte Existenz nach einer Sitzgelegenheit schrien, damit ich mich draufsetzen und sie für Stunden nicht verlassen würde. Doch auf diese Gelegenheit würde ich erstmal warten müssen.   Bedauerlicherweise gelang es mir nun nicht mehr ganz so gut, mit ihm mitzuhalten. Nicht nur, dass meine Beine kürzer waren als seine, meine Energie war auch an ihre Grenzen gekommen. So hatte sich recht schnell ein großer Abstand zwischen uns gebildet und da Andy mich nicht zurücklassen wollte, hatte er mich wieder am Arm genommen und mit sich mitgezogen. Ob er dabei einem bestimmten Weg folgte oder einfach nur wegwollte, konnte ich nicht sagen. Wir rannten immer weiter in eine Richtung, doch um welche Himmelsrichtung es sich handelte, konnte ich nicht sagen. Wir liefen an diversen Gärten und Häusern vorbei, die ich alles andere als erwartet hätte. Ich sah viele einstöckige Häuser, merkwürdige Gehwegplatten und Vorgärten mit mal mehr, mal weniger Deko darin. Offenbar bin ich in den USA – erinnert mich an den einen Ort in Indiana, als wir dort Urlaub gemacht hatten. Wie hieß der nochmal? Mir fällt der Name nicht ein … Die meiste Zeit rannten wir, ich spürte, wie meine Lunge und meine Luftröhren brannten, wie sehr mein Körper nachließ und wie laut mein Atem sich anhörte. Auch erntete ich hin und wieder mitleidige Blicke von Andy, vermutlich versuchte er auch, mich dazu zu überreden, durchzuhalten. Und ich wollte auch durchhalten, auch wenn keiner von uns beiden wohl wusste, wie lange. Nur hin und wieder blieben wir stehen, versteckten uns hinter Ecken oder Hindernissen, um zu sehen, ob wir von der Frau verfolgt wurden, ob nun zu Fuß, oder, was wahrscheinlicher war, mit dem Auto. Doch es war ruhig, bis auf mich und mein angestrengtes Atmen war nichts zu hören. Und so rannten wir weiter, immer weiter, bis wir neben einem großen Paket-Postkasten zum Stehen kamen. Auch Andy war mittlerweile ausgepowert und ich vermutete, dass er nicht nur mir zuliebe stehen geblieben war, sondern auch, weil er selbst wohl keine Puste mehr hatte um weiterlaufen zu können. Noch immer konnten wir die Frau nicht sehen, worüber ich sehr froh war. Meine Beine fühlten sich weich an und ich wusste nicht, wie lange ich das mitmachen konnte. Vor allem, da sich der empfindliche Muskel in meinem rechten Bein meldete, jetzt weiter zu laufen könnte für mich nun noch schwieriger werden. Doch ich wollte nicht nachgeben, ich konnte es nicht, nicht, bis wir nicht mehr von der Frau verfolgt wurden. Nur für immer rennen könnte selbst Andy nicht. Während wir uns von der Flucht erholten und uns immer mal wieder umsahen, bemerkten wir ein Auto, was sich uns näherte. Oh nein, bitte nicht schon wieder, ich kann nicht mehr! Andy schien den gleichen Gedanken zu haben, er nahm die gleiche Körperhaltung wie zuvor ein und sein Hand griff nach meinem Arm, den ich ihm wie selbstverständlich hinhielt. Doch so recht machte er nicht den Eindruck, dass er gleich weglaufen würde. Als hoffte er darauf, nicht weglaufen zu müssen. Vermutlich war auch seine Ausdauer nicht die Beste und er fühlte sich müde, erschöpft, wie ich. „Komm, lass uns gehen“, sagte er kraftlos und wir gingen mehr, als dass wir rannten, von dem Auto weg. Wobei sich mein Gehen mehr wie ein Humpeln anfühlte, ich spürte, wie mein rechtes Bein protestierte und Schmerzen in den empfindlichen Muskeln schickte. Auch mein linkes Bein, welches wieder als Anschiebekraft diente, fing langsam zu schmerzen an. Doch es half alles nichts, der Wagen holte uns natürlich mit einer hohen Leichtigkeit ein. Zwei ausgepowerte Menschen waren für ein Auto keine Herausforderung. „Verdammt, wir müssen hier weg!“, sagte Andy recht widerwillig und ließ meinen Arm los. Wir standen vor einem Zaun, welcher weitaus höher als ich war, einer aus Metall. Da waren wir durch zaunlose Nachbarschaften gelaufen und ausgerechnet jetzt in einer gelandet, wo die Nachbarn es mit ihren Grundstücksgrenzen nun ganz genau nahmen. Ich wusste nicht, wohin Andy gehen wollte, sobald er den Zaun überwunden hatte, sah ihm aber dabei zu, wie er es versuchte. Dass ich ihm über den Zaun nicht folgen konnte, die Worte dafür steckten mir im Hals, und irgendwo schloss ich bereits mit meinem Leben ab. Irgendwo, ganz tief und klein in mir drin. Andy stellte sich bei seiner Kletterpartie alles andere als gut an und ich hatte meine Zweifel, ob er es überhaupt bis zur Spitze des Zauns schaffen würde. Erst, als hinter uns eine Männerstimme ertönte, hielt er inne. „Andy?“, konnte ich den Mann hören und für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, die Stimme zu kennen. Die kommt mir so bekannt vor, die klingt wie … ach, das ist doch Unsinn, dachte ich mir und sah dabei Andy zu, wie er dort oben an dem Zaun hing, innehielt und dann runter blickte, zu der Person, die sich wohl neben ihrem Auto befinden musste. Dann kletterte er herunter und ließ sich neben mir auf den Gehweg fallen, er wirkte sichtbar erleichtert und ich hatte das Gefühl, dass wir nun doch in Sicherheit waren.   „Jungs, ich bin so froh, euch zu sehen!“, konnte ich Andy hören und im Augenwinkel sehen, wie er auf die Stimme zuging, offenbar war dort mehr als eine Person. Andy klang mehr als erleichtert, das bedeutete, wir waren nicht nur in Sicherheit, sondern auch in Gesellschaft von Menschen, die er kannte. Uns konnte nun erstmal nichts passieren, oder? Neugierig drehte ich mich um, und wusste nicht, wohin ich zuerst gucken sollte. Wusste nicht, was ich zuerst verarbeiten sollte. Eigentlich wollte ich mich bedanken, meine Atmung normalisierte sich langsam, aber sicher, aber ich bekam kein Wort heraus. Während Andy neben den beiden Männern stand, bekam ich meine Beine nicht vom Fleck weg. Das kann doch nicht wahr sein, das … das ist doch nicht möglich, das ist doch ein Traum?! OMG, OMG, OMG! Vor mir stand ein langer, schwarzer, mir wohlbekannter Impala, einer der berühmtesten Autos der Welt. Eines, wie es als Spielzeug bei uns im Wohnzimmerschrank stand, mein Freund hatte es mir mal zum Geburtstag geschenkt. Und neben dem Impala standen die beiden Besitzer, zwei junge Männer, die das Auto nutzten, um tagein, tagaus durch die amerikanische Landschaft zu fahren, Menschen zu retten und das Böse zu jagen. Um dem Familienauftrag zu erfüllen. Oft genug hatte ich sie dabei beobachtet, entweder alleine oder mit meinem Freund, mit ihnen vor dem Bildschirm gelacht, gelitten, gefiebert und auch gelegentlich geshippt; aber nun standen sie vor mir. Vorsichtig sah ich mich um, konnte jedoch nichts erkennen, was wie ein Filmstudio aussah. Um mich herum normale Dunkelheit, aber der Himmel nahm kein Ende. Auch konnte ich nirgendwo ein Kamerateam sehen, welches uns gerade für irgendeine Szene filmte. Wieder blickte ich zu den beiden zurück und konnte es nicht glauben: Dean und Sam Winchester standen vor mir. Nicht ihre Darsteller, keine Pappfiguren, die echten, lebendigen Brüder. Ich zwang mich dazu, meine Augen wieder auf normale Größe zusammenzukneifen und sie nicht anzustarren, stattdessen guckte ich mir immer wieder das Auto an. Mein Kopf war wie leergefegt und ich war froh, dass Andy für uns das Sprechen übernahm. „Ich bin wirklich froh, dass es dir gut geht. Vor allem nach deiner letzten SMS haben wir uns Sorgen gemacht“, sagte Sam und die beiden umarmten sich brüderlich. Sam klopfte ihm dabei auf den Rücken und auch Dean machte, soweit ich es erkenne konnte, einen erleichterten Eindruck. Offenbar hatte Andy irgendwann zuvor den Brüdern geschrieben und diese waren nun auf der Suche nach ihm gewiesen. Vermutlich hatte Sam vom Beifahrersitz aus das Handy von Andy am Laptop geortet und Dean dann gesagt, wie er fahren muss. Dass wir durch so manche Gasse gegangen waren, hatte die beiden bestimmt auch zum Fluchen gebracht. „Gut, dass ihr da seid, es ist auch schön, euch zu sehen“, sagte Andy, kaum hatte er seine Umarmung mit Sam gelöst. „Wir müssen sofort weg von hier. Er ist in der Nähe und wir dürfen keine weitere Zeit verlieren.“ Sowohl sein Tonfall, als auch sein Blick waren ernst und dann sah er zu mir herüber. Er? Aber wir wurden von einer Frau verfolgt, ist da etwa noch jemand hinter ihm her? Ein Komplize? Oder der Boss der Frau? „Ja, gut, dann fahren wir lieber“, sagte Dean und ging sofort zur Fahrerseite. Sam dagegen sah erst Andy, dann mich an. „Hey, wenn du möchtest, dann können wir dich auch gerne ein Stück mitnehmen, zum nächsten Ort oder nach Hause, was dir lieber ist. Wegen Entfernungen musst du dir keine Gedanken machen, das ist nichts ungewöhnliches für uns“, sagte Sam freundlich. „Das wäre cool, Jungs, ich möchte sie hier ungern alleine lassen. Sie hat mich zusammen mit ihr gesehen und wer weiß, was die Frau mit ihr macht, wenn sie jetzt hier alleine auf der Straße stehen bleibt. Eine Chance hat sie auf jeden Fall keine.“ Sam nickte und ging auf den Impala zu, öffnete die Tür hinter seinem Sitz und machte eine einladende Geste. „Dann setz dich erstmal zu uns ins Auto und sag uns, wohin wir dich fahren können. Immerhin scheinst du eine Freundin von Andy zu sein und er macht sich um dich Sorgen, also wollen wir dir helfen.“ Dabei lächelte er mich freundlich an. Ich versuchte zurückzulächeln, aber wie gewohnt gelang es mir nur mäßig. Auch versuchte ich Worte zu finden, wollte sagen, dass wir keine Freunde sind, aber da Andy nichts dazu sagte, ließ ich es bleiben. Vermutlich sah er mich sogar schon als Freundin an, denn obwohl ich ihn als meinen Unterstands-Bruder bezeichnet hatte, war er für mich nach wie vor ein Fremder. Aber ich wollte nicht unhöflich sein. „Danke, das ist sehr nett, ich weiß auch gar nicht mehr den Weg zur Bushaltestelle zurück“, sagte ich, weil es das Einzige war, was mir einfiel. Dann folgte ich seiner Einladung und ließ mich auf die Rückbank des Impala fallen.   Wie ich es von geräumigen, amerikanischen Autos gewohnt waren, war der Impala sehr bequem und angenehm zu sitzen. Kaum waren Andy und Sam mit in den Wagen gestiegen, war Dean auch schon wieder losgefahren. Sie hatten sich kurz über die Frau unterhalten, doch Andy erzählte nur, was wir zusammen erlebt hatten. Offenbar wollte er in meiner Anwesenheit nicht über Dinge reden, die mich in seinen Augen nichts angingen; immerhin bereute er es jetzt schon, dass ich involviert war und ich hatte absolut keine Ahnung, was hier nun eigentlich los war. Ich verstand ja noch nicht einmal, warum ich überhaupt hier war oder wie es überhaupt alles möglich sein konnte. Unter mir spürte ich das sanfte Leder des Impalas, was meine Traumtheorie komplett ausschloss. Denn wäre es ein Traum, könnte ich das Leder nicht wirklich spüren. „Wie heißt du eigentlich?“, wollte Sam nun wissen und sah kurz zu mir hinter. Ich konnte es immer noch nicht glauben, und ich musste mich zusammenreißen, dass ich nicht in Tränen ausbrach vor Freude. „Ich heiße Kira; und du?“, fragte ich, obwohl die Frage für mich total überflüssig war. Aber ich wollte den Schein waren. „Ich bin Sam und das hier ist mein Bruder Dean. Wir sind Freunde von Andy“, sagte Sam und beließ es ebenfalls bei dem Nötigsten. Ich wusste schon, warum er es tat, anderen Leuten zu erzählen, dass sie Jäger sind, taten sie auch nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ. „Das ist schön, dass Andy so hilfsbereite Freunde hat, die hat nicht jeder!“, lobte ich die Brüder und es schien gut anzukommen. Zumindest begann Sam zu lächeln und auch Dean konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, soweit ich es im Rückspiegel erkennen konnte. „Sag mal, Kira, wo sollen wir dich hinfahren, was wäre dir lieber? Nach Hause oder zum nächsten Ort?“ Ich überlegte, doch da ich keine Ahnung hatte, was der nächste Ort wäre, sagte ich, leicht unüberlegt: „Nach Hause?“ Sam nickte, dann drehte er sich wieder nach vorne und begann, auf seinem Laptop einzutippen. „Gut, dann sag mir am besten deine Adresse, damit wir dich gleich hinfahren können.“ Wieder überlegte ich. Sollte ich ihnen meine Adresse wirklich nennen? Immerhin ist es eine deutsche Adresse, aber was werden sie sagen? Ob ich dann einfach sagen kann, dass ich deutsche Touristin bin? Ne, dann würden sie ja denken, ich habe irgendwo ein Hotel gebucht. Blöd, dass ich die ehemaligen Adressen von Sinnis Mutter nicht mehr weiß. Mit dem Wissen, dass es die Sache noch komplizierter machen würde, als nötig, nannte ich Sam meine Adresse. Als er es wiederholte, meinte er nur: „Ah, einer der vielen Orte, die nach Deutschland klingen“, und da fiel mir ein, dass die USA sich gerne mal an Städtenamen anderer Länder bediente, wenn es darum ging, ihre eigenen Orte zu benennen. Es dauerte jedoch nicht mehr lange, da schien Sam auf Probleme zu stoßen. „Oh, bist du dir sicher, was die Adresse angeht? Ich kann sie leider nicht finden, mein Navi hat Probleme damit“, sagte Sam und drehte sich wieder zu mir um. Dabei nahm er seinen Laptop mit, sodass ich ebenfalls mit draufschauen konnte. Adresse nicht gefunden; stand dort in einem kleinen, weißen Fenster. Ich sah mir die Adresse an und nickte. „Ja, doch, die Adresse stimmt, dort wohne ich.“ Merkwürdig, dass das Navi nicht mal die Adresse in Deutschland zeigt. Oder ist es auf die USA beschränkt? „Das ist merkwürdig, also du bist dir absolut sicher?“, fragte Sam und ich konnte im Rückspiegel Deans Blick sehen. Ich kannte ihn, so sah er immer aus, wenn er irgendeinen Verdacht gegen jemanden hegte. Die meiste Zeit hatte er auch noch Recht mit diesem Blick. Schnell sah ich wieder zu Sam. „Ja, ich bin mir sicher, aber ich weiß auch nicht, warum das Navi die Adresse nicht finden kann.“ Sam sah zu Dean hinüber, dieser erwiderte kurz seinen Blick. Erneut drehte sich Sam wieder nach vorne und klappte den Laptop hörbar zu. „Ok, dann nehmen wir dich erst einmal mit zu uns, dann versuchen wir herauszufinden, was da jetzt eigentlich los ist“, sagte er und dann herrschte für den Rest der Fahrt Schweigen.   Nach einer stummen Fahrt, in welcher das Tippen von Sam auf seiner Laptoptastatur das einzige Geräusch war, erreichten wir unser Ziel. „Blue Motel“, hieß das Gebäude, an dessen Parkplatz Dean den Impala parkte. Wie gewohnt sah das Motel sehr schäbig, sehr alt und sehr billig aus, aber dafür würde wohl die Zimmermiete nicht so viel kosten. Zum Glück hatte der Regen mittlerweile aufgehört oder war in dieser Gegend nicht aktiv, ich war jedoch froh, beim Aussteigen nicht noch nasser zu werden. Da die zwei Brüder ihr Zimmer direkt ansteuerten, musste es bedeuten, dass sie bereits länger als einen Tag lang hier waren. Als Andy und ich ihnen hineinfolgen wollten, blockierte Sam die Tür. „Hey, wartet mal, mein Bruder hat dort drin ein ziemliches Chaos hinterlassen, wir räumen das nur mal schnell weg, dauert auch nicht lange“, sagte Sam mit einem gezwungenen Lächeln, bevor er die Tür vor unserer Nase verschloss. Andy und ich sahen uns an, dann zuckte ich mit den Schultern, um eine kleine Reaktion zu zeigen. Ich konnte mir schon denken, was sie dort drin eigentlich machten. Mit Sicherheit waren sie wegen einem Fall in der Nähe und räumen nun alles weg, was nach Jäger aussah. Andy wusste es mit Sicherheit, aber sie taten es ja wegen mir, einer völlig Fremden. Sie taten mir leid, wenn die Karten auf dem Tisch liegen würden, dann hätten sie die Arbeit jetzt nicht. Doch ich konnte ihnen auch schlecht sagen: Hey, ich weiß, wer ihr seid und was ihr so macht. Also wartete ich mit Andy draußen, bis Sam wieder die Tür öffnete und uns mit einem nun viel aufrichtigerem Lächeln hineinbat. Kaum hatte Andy die Tür hinter uns geschlossen, drückten uns die Brüder je einen kleinen Stapel an Klamotten in die Hände. „Wenn ihr möchtet, könnt ihr euch umziehen, wir haben ein paar trockene Klamotten für euch finden können, die müssten euch beiden passen“, sagte her, hob eine Hose hoch und sah mich an. Ich war jetzt nicht gerade die Schlankste, aber als er die Hose weit dehnen konnte, war ich überzeugt. „Danke, das ist sehr nett von euch“, bedankte ich mich, doch Sam winkte nur ab. „Hey, das ist doch kein Thema. So durchnässt, wir ihr seid, könnt ihr euch noch was einfangen. Wir brauchen die Sachen sowieso gerade ja nicht, die …“ „Die haben wir mal geschenkt bekommen, aber wir haben uns beide erst vorhin umgezogen“, sagte Dean hastig, weil er wohl befürchtete, dass sich sein Bruder verplappern könnte. Dabei sah ich die Gefahr eher bei Dean, als bei Sam. „Ja, genau, unsere Anziehsachen sind noch alle frisch. Daher könnt ihr euch die Sachen ruhig ausborgen“, fügte Sam hinzu. Dann deutete er auf eine kleine Tür am anderen Ende des Flurs. „Kira, wenn du möchtest, kannst du gerne unser Bad zum Umziehen benutzen. Lass dir auch ruhig so viel Zeit wie du möchtest. Denke, da müsste auch ein Föhn sein, pass nur ein wenig auf, der kennt nicht viel zwischen kalt und heiß.“ „Ja, mit dem Mistding habe ich mir doch gestern fast die Kopfhaut geräuchert!“, beschwerte sich Dean und Sam sah ihn ungläubig an. Offenbar war es für ihn etwas Neues, dass sein Bruder überhaupt einen Föhn benutzte. Dankbar nickte ich den Brüdern zu. „Dann mache ich es gleich, fühlt sich auch nicht mehr so angenehm an, wenn alles an einem so klebt“, sagte ich und ging mit schnellen Schritten ins Bad, da ich die nassen Sachen wirklich so schnell wie möglich loswerden wollte. Im Bad angelangt verschloss ich die Tür, die drei Jungs wussten zwar, dass ich hier drin war, aber es war mir lieber so. Dann legte ich meinen Stapel auf den runtergeklappten Klodeckel, bevor ich mich stückchenweise aus meinen eigenen Sachen schälte. Ob ich für meine Klamotten eine Tüte bekomme? Oder ob ich die irgendwo trocknen kann, in ‚nem Trockner oder auf einer Wäscheleine? Aber ich habe dummerweise keine Dollars bei mir… Kaum war ich aus meinen Sachen draußen, sah ich mich nach einem Handtuch um. Es stört die Jungs bestimmt nicht, wenn ich mir eins davon nehme. Ich nahm eins der kleineren Handtücher, die ich finden konnte und rubbelte mich überall ab, zuletzt meine Haare. Sam hatte mir zwar vorgeschlagen, sie mit dem Föhn zu trocknen, aber ich entschied mich, sie an der Luft trocknen zu lassen, da sie kurz genug waren, dass es nicht lange dauern würde. Jetzt kommt der Moment der Wahrheit. Bitte, Hose, passe mir! Langsam stieg ich in die Hose und zog sie an mir herauf. Sie näherte sich meinem breitesten Punkt des Körpers; und ich konnte sie mühelos überstreifen. Ein Glück, dass Stoffhosen so viel flexibler sind als andere, mit ‚ner Jeans von den Jungs wäre es jetzt richtig peinlich geworden. Peinlich und unangenehm, besonders für mich. Gerade, als ich mir die Socken angezogen hatte, hörte ich ein Geräusch aus dem Nebenzimmer. Reden die gerade miteinander? Klar, warum sollten sie es nicht tun? Über was sie wohl gerade reden? Neugierig hielt ich mein Ohr an das Schlüsselloch, glücklicherweise waren die amerikanischen Türen so dünn, wie es das Klischee immer über die Wände sagt, so dass ich einigermaßen verstehen konnte, was dort drüben besprochen wurde. „Also ich weiß nicht, wirklich verdächtig kam sie mir jetzt nicht vor“, konnte ich Sam sagen hören. „Trotzdem“, reagierte Dean prompt. „Wir sollten sie trotzdem kurz testen, du weißt nicht, ob sie nicht vielleicht doch ein Dämon ist. Oder eine Hexe. Was, wenn sie gerade ihre Körperflüssigkeiten da drin verteilt? Oder einen Hexenbeutel versteckt?“ Ich konnte Sam vor meinem inneren Auge sehen, wie er verwundert, aber auch amüsiert den Kopf langsam schüttelte. „Ach was, ich denke nicht, dass sie irgendein Monster ist, dafür stellt sie sich dann doch zu menschlich an. Außerdem machte sie vorhin alles andere als einen fitten Eindruck, Dämonen suchen sich dann doch eher fitte Menschen für ihre Pläne aus.“ Nun mischte sich auch Andy ein. „Also ich denke auch nicht, dass sie ein böser Mensch ist, sie war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Sie tut mir auch total leid, dass ich sie da in die ganze Sache mit reingezogen habe, die Arme war total fertig nach unserer Flucht. Aber ich konnte sie auch nicht bei der Frau stehen lassen, das Risiko war mir dann doch zu groß. Sie scheint nett zu sein, aber sie hat nichts mit mir oder euch am Hut. Wir sollten sie so bald wie möglich gehen lassen, am besten in einer anderen Gegend, damit sie sicher ist vor … denen.“ Nun stellte ich mir vor, wie Sam und Dean sich ansahen und nickten. „Wir können verstehen, dass du so gehandelt hast, auch wenn es die Sache jetzt nicht gerade einfach macht. Was sagen wir ihr überhaupt? Jeder normale Mensch wird jetzt Fragen haben und ich bin mir sicher, dass sie da keine Ausnahme ist“, meinte Sam und klang dabei nachdenklich. „Aber gut, wie wir jetzt genau mit ihr umgehen, wie lange wir auf sie aufpassen und wie es dann mit ihr danach weitergeht, das können wir uns ja noch überlegen. Nun sag mal, kannst du uns irgendwas über die Frau sagen, die hinter euch her war?“ Ein Bett knarrte und knackte, offenbar hatte sich einer der drei auf eines der alten Betten hingesetzt. „Nun ja, viel kann ich euch leider nicht sagen, leider“, sagte Andy angestrengt. „Soweit ich weiß, ist sie jetzt schon seit Tagen hinter mir her. Ich habe natürlich versucht, falsche Spuren und Fährten zu legen, aber offenbar ist sie schlauer als ich. Was sie genau von mir möchte, hat sie mir nicht gesagt, aber es kann auf keinen Fall etwas Gutes sein, dass sagt mir schon alleine mein Bauchgefühl.“ „Oh Mann, Andy“, konnte ich nun Dean hören. „Wenn dieses gruselige Killerweib hinter dir her ist, warum hast du sie nicht einfach um die Ecke gebracht? Am Ende ist sie sowieso nur irgendein 08/15 Dämon, hättest du sie getötet, dann hättest du den ganzen Schlamassel nicht. Dann hättest du sie da jetzt auch nicht reinziehen müssen und dein Problem zu ihrem gemacht, genauso wie du sie jetzt zu unserem Problem gemacht hast.“ Doch Andy schien entweder davon nicht begeistert zu sein oder er war auf die Idee nicht gekommen. „Nein, ich meine, ich habe nichts bei mir, keine Waffe, nichts. Außerdem habe ich keine Ahnung, wie man einen Dämonen tötet. Und was, wenn sie keiner ist, sondern etwas ganz anderes?“ Er seufzte laut, offenbar machte ihm die Gesamtsituation sehr zu schaffen. „Das mit Kira tut mir ja wirklich leid, das ist sehr blöd gelaufen. Andererseits, ihr hättet sie doch auch nicht stehen gelassen?“ „Nein, natürlich nicht“, beschwichtigte Sam ihn. „Was passiert ist, ist nun mal passiert.“ Er pausierte ein paar Sekunden, bevor er schließlich sagte: „Aber dafür weiß ich nun, was wir mit ihr machen können.“ „Ach ja, und was? Mit uns im Impala herumschleppen, bis wir das Killerweib erledigt haben, weil Mr. Unbewaffnet hier sie nicht erledigen konnte?“, fragte Dean in seinem gewohnt sarkastischem Ton. „Nein, wir müssen sie nicht länger bei uns behalten als nötig“, sagte Sam nachdenklich. „Abgesehen davon mache ich mir auch ein wenig Sorgen um sie, daher würde ich vorschlagen, dass wir sie am besten ins nächste Krankenhaus bringen sollten. Zur Not drücken wir ihr ein wenig Geld in die Hand, für die Behandlung und für die Fahrkarte nach Hause. Sie wusste ihre Adresse nicht und wenn sie kein Dämon oder anderes Monster ist, dann hat sie vielleicht Probleme mit dem Gedächtnis.“ „Du meinst, sowas wie eine Amnesie?“, fragte Andy nach. „Ja, genau, das meine ich“, sagte Sam und ich hörte ein weiteres Knarzen, wer auch immer auf dem Bett gesessen war, war nun wieder aufgestanden. „Das klingt doch gut. Wir geben ihr ein wenig Geld mit, sie lässt sich ordentlich untersuchen und dann kann sie in ihr normales Leben zurückkehren. Am besten erklären wir ihr das noch so einfach wie möglich, natürlich ohne die Wahrheit zu sagen, aber sie soll nicht über die Sache nachdenken.“ „Das wäre am besten, immerhin habe ich ihr erzählt, dass die Frau mich umbringen will“, sagte Andy in einem Tonfall, der verriet, dass er es wohl mittlerweile bereute, es mir erzählt zu haben. „Da wird uns schon was einfallen“, meinte Sam. „Gut, dann machen wir es so? Wir geben ihr eine einfache, normale Erklärung für all das hier ab; und dann bringen wir sie mit ein wenig Taschengeld in einem nahen Krankenhaus unter. Danach wird man sich um sie kümmern und im Anschluss ist sie wieder ein ganz normaler Mensch mit ganz normalen Alltagsproblemen.“ Schweigen breitete sich im Raum aus, ich konnte mir nur vorstellen, dass die beiden Brüder ihm via Körpersprache zugestimmt hatten. Irgendwie machte mich die Vorstellung traurig, dass sich unsere Wege wieder so schnell trennen würden und ich sie dann vermutlich nie wieder sehen würde, aber ich konnte es verstehen. Aus ihrer Sicht machte es nur Sinn, eine random Zivilistin, die zufällig in die Sache gestolpert war, so schnell wie möglich wieder ins normale Leben entlassen zu können. Doch wohin sollte ich gehen? Egal, wie viel Geld sie mir mitgeben würden, wie sollte ich nach Europa kommen? Ob ich es wohl mal mit Beten versuchen sollte? Ob mir wohl ein Engel helfen würde? Ich schüttelte den Kopf. Zuerst einmal musste ich schauen, wie ich das mit dem Krankenhaus überstehen würde, zumal ich keine Papiere hatte. Oder reichte einfach nur das Geld, das ich dort zahlen müsste? Meine aufkommende Traurigkeit runterschluckend, nahm ich mir das Leihshirt und zog es mir über. Da die Jungs natürlich keine Frauenunterwäsche bei sich hatten, legte es sich deutlich an meinen Oberkörper heran. Da fiel mein Blick auf das Motiv des Shirts, es handelte sich dabei um schwarzes mit einem weißen „Rock’n’Roll“ Aufdruck und einem blau-weißen Bass darunter. Ich konnte mir vorstellen, wem das Shirt vorher gehört hatte und musste ein wenig schmunzeln. Vielleicht, wenn ich ganz lieb fragen würde, würde ich das Shirt behalten können und das würde mir gefallen, aus mehreren Gründen. Kapitel 3: Schlussfolgerungen ----------------------------- Kaum hatte ich mir das T-Shirt mit dem rockigen Motiv angezogen und damit das Umziehen in trockene Ersatzklamotten beendet, sah ich ein letztes Mal in den Spiegel. Mein gewohntes Spiegelbild blickte mir entgegen, und ich konnte auch sehen, dass ich langsam, aber sicher müde war. Wie in letzter Zeit üblich war ich viel zu lange auf den Beinen, die Verfolgungsjagd mit dem vielen Gerenne hat auch noch seinen guten Teil dazu beigetragen. Schnell raffte ich meine nassen Sachen zu einem Bündel zusammen, bevor ich mich eines Besseren besann. Bis mir einfiel, dass die Sachen so schlechter trocknen würden. Daher begann ich mich in dem kleinen Bad umzusehen. Es war auf das nötigste von der Leitung des billigen Motels eingerichtet worden, auch den Platz für das gesamte Bad hatte man vermutlich vorher ausgerechnet, die nötigste Minimalgröße. Es war zwar größer als mein altes Badezimmer, aber dennoch … sonderlich groß war es nicht. Ich sah die Ablage, von der ich mir eins der kleineren Handtücher genommen hatte, das Waschbecken mit Spiegel darüber, die Toilette und eine Dusche, die hier schon sicherlich mehrere Jahrzehnte erlebt hatte. Dazu den Föhn unter dem Waschbecken, wie auch das eine oder andere Körperpflegeprodukt, welches abgestellt worden war. Und ich konnte genau sagen, wem was gehörte. Dass das einsame, kleine Deo Dean gehören würde, wie auch das nach Männlichkeit schreiende Aftershave, darauf hätte ich meine wenigen Euros in meinem Geldbeutel sicher verwetten können. Dass dagegen die größere Ansammlung an Tuben, Dosen und Sprays zu seinem kleinen Bruder gehörte, war ebenfalls mehr als sicher. Doch das Einzige, was ich nicht fand, war ein Ort, an dem ich meinen Klamotten hätte aufhängen können. Vermutlich war nicht vorgesehen, dass man seine Kleidung hier drin waschen würde oder aus sonst welchen Gründen das Bedürfnis hatte, hier etwas trocknen zu lassen. Oder dass man sich überhaupt so lange in diesem Zimmer aufhalten würde, dass man in die Gelegenheit kam, mehr als ein oder zwei Tagesoutfits zu tragen. Schnell kontrollierte ich alles, das T-Shirt legte sich wie gewohnt um meinen Körper und ich spürte, dass ich keinen BH trug, doch da wir uns innen befanden, fühlte ich mich ein wenig wohler. Ich hoffe nur, dass es den anderen nicht auffällt. Aber selbst, wenn, ich denke nicht, dass sie etwas sagen werden. Oder etwa doch? Da auch die Hose passte, zumindest in der Breite, konnte ich mich nicht wirklich beschweren. Und da ich die drei nicht noch länger warten lassen wollte, kämmte ich mit meinen Fingern durch meine nassen Haare, klemmte sie hinter meine Ohren und schloss die Badezimmertür wieder auf.   „Ah, die Sachen passen dir, das ist gut. Auch wenn die Hose ein wenig zu lang ist“, meinte Sam und deutete auf meine Füße, die unter den Hosenbeinen verschwunden waren. Ich zuckte nur mit den Schultern. „Das ist schon in Ordnung, sie passt ansonsten ganz gut. Und ich bin es gewohnt, dass mir Hosen zu klein sind. Die meisten Menschen in meiner Gewichtsklasse sind auch mindestens zehn Zentimeter größer als ich…“, sagte ich und verschloss mit meiner freien Hand die Tür hinter mir. Dann sah ich Sam fragend an. „Sag mal, hast du eine Idee, wo ich meine Sachen trocknen lassen könnte? Ich habe im Bad leider nichts gefunden und das Klo wollte ich jetzt auch nicht blockieren…“, begann ich zu erklären, da schnappte er sich einen der zwei Stühle im Raum und stellte ihn zu einer der Ecken hin. „Leg sie einfach hier drauf, über Nacht über dann alles trocken sein“, schlug er vor und ich ging dem Angebot sofort nach. Sorgfältig breitete ich alles aus, achtete jedoch darauf, dass meine Unterwäsche nicht sichtbar für alle herumlag. Kaum hatte ich mein Werk beendet, wollte ich mich umdrehen und nach einer Tasche fragen, als ich in Sams freundliches Gesicht sah. Er und die beiden anderen waren mir offenbar durch den kleinen Raum gefolgt. „Wenn du möchtest, kannst du eine kleine Tasche für deine Sachen haben, falls sie bis morgen doch noch nicht trocken sein sollten, das ist kein Problem“, sagte er und lächelte mich dabei an. Sam war mehr als zuvorkommend. Ich war mir sicher, Dean hätte an seiner Stelle etwas anderes gesagt, aber irgendwo das Gleiche gemeint. Oder ich hätte erst nachgefragt, ob er die Sachen zurückhaben will. Dabei kam ich auf das Thema noch gar nicht, und schon hat sich Sam Gedanken gemacht. „Willst du denn nichts davon zurückhaben?“, frage ich vorsichtig nach und Sam schüttelte mit dem Kopf. „Nein, das ist schon in Ordnung. Das Shirt ist zwar von Dean, aber er meinte, er braucht es nicht mehr, wenn es dir also gefällt, kannst du es haben. Und die anderen Sachen habe ich selbst aussortiert, ich hätte mich also sowieso davon bald getrennt, war für mich ein Fehlkauf. Eigentlich wollte ich es in den nächsten Tagen der Heilsarmee bringen, aber wenn ich damit jemandem aus der Not helfen kann, dann mache ich es gerne.“ In der Not war ich jetzt nicht wirklich, aber ich glaube, ich weiß, was er meint. Und ob er die Sachen wirklich aus Versehen gekauft hat? Ich denke eher, er hats als Tarnung für eine Jagd gebraucht und kann sie jetzt nicht mehr gebrauchen … aber gut, ich sollte ja eigentlich nichts davon wissen, also sollte ich nichts dazu sagen. „Ja, das kenne ich, mir passiert das auch gerne mal, vor allem, wenn man die Sachen nicht vorher probieren kann“, sagte ich und kicherte, um locker rüberzukommen. „Einmal habe ich mir im Internet Chucks gekauft, weil ich das Motiv voll hübsch fand, aber als sie dann ankamen, waren sie viel zu dünn für meine Füße. Am Ende habe ich sie dann einfach meinem Freund geschenkt, der sich zufällig auch mal welche dann holen wollte.“ Dean kniff kurz seine Augen zusammen, doch was das bedeuten sollte, das konnte ich nicht so richtig interpretieren. Andy sah mich dagegen normal an und Sam lächelte immer noch. „Fehlkäufe gehören dazu, solange sie nicht die Norm werden“, sagte er und rang sich ein kurzes Lachen ab. Dann wurde seine Miene ein wenig ernster. „Du hast also einen Freund? Hast du schon versucht ihn zu erreichen? Könnte er dich abholen oder sollen wir dich zu ihm fahren?“, sagte er und ich bekam das Gefühl, als wollten sie mich so schnell wie möglich abschieben. Was mich ein wenig traurig machte, und ich hoffte, dass man mir das nicht anmerken würde. Der logische Teil meines Hirns jedoch meinte, dass es aus ihrer Sicht vollkommen normal wäre. Immerhin war eine Mörderin, wenn nicht sogar ein Monster in der Gestalt einer Frau hinter Andy her und ich war nur eine Zivilistin, die einfach hineingerutscht ist. Und diese wollten die Winchester Brüder immer so schnell wie möglich aus den Angelegenheiten heraushaben, damit sie bei den Jagden nicht stören konnten und ihnen auch nichts passierte. Zumal ich ihnen auch keine große Hilfe wäre. Dennoch wäre es mal cool, mit den Jungs einen oder zwei Tage im Impala zu verbringen. Ich beschloss, Dean zu fragen, ob ich mit meinem Smartphone ein paar Erinnerungsfotos von seinem geliebten Baby machen durfte. „Ja, ich habe einen Freund, aber ich kann ihn leider nicht kontaktieren. Ich habe es versucht, aber … es hat leider nicht funktioniert.“ Und hinfahren geht auch nicht, immerhin wohnen wir ja zusammen und es wäre ja die gleiche Adresse, die gestern nicht gefunden werden konnte, … Unsicher biss ich mir auf die Unterlippe und blickte auf Sams Shirt hinunter. Die Farbe konnte ich nicht so richtig bestimmen, es war irgendwo zwischen Rotbraun und Dunkelrot, aber es stand ihm sehr gut. Es betonte seinen Oberkörper und nach paar Sekunden fühlte ich Wärme im Gesicht. Im Augenwinkel konnte ich sehen, dass sich die drei ansehen und sich ihre Gedanken machten. Sie telepathisch untereinander teilten. Vor allem Dean sah alles andere als überzeugt aus. „Kein Problem, das wird sich schon irgendwie lösen lassen“, sagte Sam und legte mir eine Hand auf meine Schulter. Dabei klang er nicht sehr überzeugt, vermutlich glaubte er, ich wäre verwirrt und hätte mir meinen Freund nur eingebildet. „Mach dir deine Sorgen, morgen wird sich das bestimmt klären lassen. Aber zuerst einmal bringen wir dich morgen zu jemanden, der dir helfen kann“, sagte Sam zu mir und ich blickte fragend zu ihm auf. „Ja, zu einem alten Freund der Familie, der kann dir sicher helfen“, schritt Dean nun ein und kam näher zu uns heran. „Er kennt sich auch mit Technik aus und wird sich dann dein Telefon ansehen. Bestimmt ist nur dein Guthaben alle und dein Handy hat es dir nur nicht gesagt oder so“, sagte er und lächelte, es wirkte mehr als bemüht. Alter Freund der Familie? Meinen die damit nicht immer Bobby? Die wollen mich zu Bobby bringen? Also ich weiß nicht… normalerweise bringen sie ja nur Leute dorthin, die mehr Probleme haben als mit Adressen oder Handys … „Ja, das klingt doch gut“, sagte ich, weil mir nichts weiter einfiel, ich aber wusste, dass ich irgendwas dazu sagen sollte. „Aber ist das denn wirklich nötig, ich meine, wenn das einen großen Umweg für euch bedeuten sollte, das wäre doch nicht gut. Zumal ich euch auch gar nicht den Sprit bezahlen könnte …“, stammelte ich und dachte wieder an die Euros in meinem Geldbeutel. Doch wohin sollte ich stattdessen? Ich wusste es nicht. „Die Alternative wäre halt, dass wir uns morgen einfach hier von dir verabschieden und du dann irgendwo hingehst, aber dann läufst du sehr lange und weit“, sagte Dean und verschränkte seine Arme vor seinem Oberkörper. „Ja, das klingt wirklich nicht so großartig“, entgegnete ich und spürte, wie Sam den Druck leicht auf meiner Schulter erhöhte. „Nein, das klingt es wirklich nicht. Wir haben dich aus Versehen mitgenommen und jetzt ist es an uns, dafür zu sorgen, dass du auch gut weiterkommst“, sagte er, ließ meine Schulter los und begann, nach einer Plastiktüte zu suchen. Er wurde schnell fündig und reichte sie mir. Ich konnte den Aufdruck vom Seven-Eleven drauf erkennen, wenigstens eine bekannte Sache.   „Naja, es war ja auch nicht eure Absicht“, versuchte ich versöhnlich zu klingen, doch dabei hatte ich keine Ahnung, wie groß die Gefahr, in der wir uns befanden, wirklich war. „Ist diese Frau, die Andy verfolgt, wirklich so böse und gefährlich? Wer ist sie?“ Für wenige Sekunden begannen meine Gedanken zu rasen, zu diskutieren. Sollte ich wirklich weitergehen? Nicht einfach das komplett ahnungslose Dummchen spielen … ne, ich denke, das würde nicht passen. Sonst hätte ich mich die ganze Zeit so dumm aufführen müssen. Ich bin zwar naiv, aber nicht auf dem Level … „Ist sie von der Mafia? Hast du bei jemandem Wettschulden? Hast du deswegen Angst vor ihr, weil du die Leute, zu denen sie gehört, nicht auszahlen kannst?“, stellte ich als Vermutung in den Raum. Zwar konnte ich mir denken, dass es nicht so war, vor allem, wenn Sam und Dean involviert waren, doch ich konnte schlecht fragen, ob sie ein Vampir, ein Dämon oder irgendwas anderes aus der Übernatürlichen-Abteilung der Welt war. Andy sah die beiden unsicher an, vermutlich wollte er erstmal abchecken, was er mir sagen könnte und was nicht. Schließlich übernahm Sam das Reden wieder. „Nun, nein, von der Mafia ist sie nicht, aber …“ „Sie ist Kaufhausdetektivin von einem Walmart“, mischte sich Dean in Sams Erklärungsversuch ein, woraufhin dieser ihn mehr als verwundert ansah. Auch ich hob zweifelnd eine Augenbraue hoch. „Ja, das ist eine ganz komische Sache. Son Kerl, der aussieht wie unser Freund hier, hat in einem Walmart irgendwelche Sachen mitnehmen lassen. Fünf-Finger-Rabatt, hat sich bedient wie in einem Süßigkeitenladen“, erklärte er fast schon nostalgisch und für einen Moment dachte ich, er redete über sich selbst. „Naja, sie konnte ihn wohl nicht überführen und das nimmt sie persönlich. Und jetzt verfolgt sie Andy, egal, wie sehr er es bestreitet, dass er nicht dort war.“ Sams Mundwinkel bebten, und ich konnte sogar kurz sehen, wie sich seine Fäuste ballten. Er nahm seinen Blick nicht vom älteren Bruder und er tat mir leid. Er hatte sich sicherlich eine schöne Geschichte ausgedacht und jetzt kam Dean mit seinem Groschenroman um die Ecke. Ich wünschte, ich könnte ehrlich zu ihnen sein, dann müssten wir das hier nicht tun, aber das war leider nicht möglich. „Jedenfalls“ sagte Sam und versuchte, die Kontrolle irgendwie wieder zurückzubekommen. „Wie Dean sagte, die Frau ist ein wenig verrückt und versucht nun ihre Rache oder ihre Genugtuung zu bekommen. Allerdings sind wir an der Sache dran und helfen Andy, den richtigen Übeltäter zu finden. Darüber musst du dir keine Gedanken machen. Sobald wir fertig sind, werden wir die Frau anzeigen.“ Dazu kam nur ein selbstbewusstes Nicken von Dean, ihm gefiel die Richtung, in die das Gespräch gegangen war, während das Nicken von Andy ziemlich schwach und kurz war. Wäre die Situation ein wenig anders gewesen, hätte ich gesagt: „Wollt ihr mich auf den Arm nehmen?“, wenn ich den dafür nötigen Mut auch gehabt hätte, doch das konnte ich nicht sagen. In diesem Theater, das gerade lief, wurde von meiner Rolle erwartet, dass sie diese Lüge glauben würde. Also tanzte ich den Tanz, spielte ihr Spiel mit und nickte nun auch. „Ah, verstehe. Wird wohl so eine Karen sein, nur normalerweise sind die immer auf der anderen Seite des Schalters und wollen den Manager sprechen“, sagte ich und versuchte so verständnisvoll wie möglich zu klingen. „Ja, das könnte sein, ich glaub, die heißt sogar so“, meinte Dean, hörte jedoch zu sprechen auf, als er Sams strengen Gesichtsausdruck sah. Aber er hatte Recht, wir sollten diese Schmierenkomödie nicht zu sehr übertreiben.   „Nachdem wir das geklärt haben“, sagte Sam, obwohl wir eigentlich gerade überhaupt nichts geklärt hatten, und rieb sich die Hände ein wenig. „Ich würde dann vorschlagen, dass wir den Abend für heute sein lassen und uns ein wenig ausruhen. Vor allem ihr beiden seht mehr als müde aus“, damit sah er erst Andy, dann mich an. Ich dagegen sah aus dem einzigen Fenster aus dem Raum, er hatte Recht, irgendwann war es draußen dunkel geworden, außer Dunkelheit und einem schwachen Leuchten in der Ferne konnte ich nichts erkennen. Auch fühlte ich mich ein wenig müde. So ausgiebig wie heute hatte ich schon lange nicht mehr sportlich bewegt. Besonders, da ich sportlich alles andere als fit bin und die Ausdauer eines 80jährigen Kettenrauchers hatte, hatte es meinen Körper doch schon belastet. Hier und da konnte ich meine Beinmuskel spüren, wie sie sich mit Schmerz darüber beschwerten. „Ja, ich denke, das wäre eine gute Idee“, antwortete ich, rieb mir die Augen und fragte mich, was wohl der nächste Tag wirklich für mich bereithalten würde. Dass sie mich zu Bobby bringen würden, daran würde ich erst so richtig glauben, sobald ich seinen Autohof sehen würde. Auch Andy schien es für eine gute Idee zu halten, zumindest nahm ich es anhand seines Gesichtsausdrucks an. Was Dean darüber dachte, wusste ich nicht. Vermutlich würde er auf seine üblichen vier Stunden Schlaf bestehen, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Sam sah sich ein wenig um, ging dann zu Dean, woraufhin sich die beiden gegenseitig irgendwas ins Ohr flüsterten. Ich konnte nicht verstehen, über was sie redeten, aber sie nickten viel mit dem Kopf dabei und sahen abwechselnd zu Andy und mir herüber. Als sie fertig waren, klatschte Sam die Hände zusammen und ging wieder auf mich zu. „Gut, Kira, dann würde ich sagen, du schläfst auf dem linken Bett. Andy und Ich werden uns das andere Bett teilen, das haben wir schon mal gemacht“, erklärte er, obwohl er das meiner Meinung nach nicht hätte sein müssen. Auf der anderen Seite erschien es mir sofort logisch, dass sich nur Sam das Bett mit einem anderen Mann teilen würde, Dean hätte da keine Lust darauf. Und wo schläft Dean? Stehend in der Dusche? Auf dem Klo? Oder im Impala? Als hätte ich die Fragen laut ausgesprochen, deutete Sam auf den anderen Stuhl, der sich mit im Raum befand. „Dean meinte, ihm reicht für heute der Stuhl.“ „Passt schon“, sagte Dean, obwohl keiner Bedenken geäußert hatte. „Wenn ich meine vier Stunden bekommen kann, dann reicht mir das schon. Außerdem habe ich schon unbequemer geschlafen und zur Not kann ich auch auf Babys Rückbank pennen“, sagte er in einem Ton, der klarmachte, dass das Thema für ihn damit erledigt wäre. Ich blickte das Bett an. Es war bereit genug, dass Dean auch drauf hätte Platz gehabt, aber das Angebot, mit ihm unverbindlich das Bett zu teilen, kam mir nicht über meine Lippen. Ich traute mich nicht. Zwar teilte ich ungern mit anderen Leuten als meinem Freund das Bett, aber wenn sie mir vertraut waren, so wie die Brüder, dann würde es mir vermutlich ein wenig leichter fallen. Also versuchte ich nur ein wenig zu lächeln und drehte mich wieder zurück. „Danke, dann werde ich es ganz gemütlich haben“, sagte ich, obwohl ich mich nicht wohl dabei fühlte, so bevorzugt behandelt zu werden. Auf der anderen Seite war ich nicht sonderlich scharf darauf, den Boden oder irgendwas anderes hartes unter meinem Rücken zu spüren. Als ich die Jungs ansah, fiel mir auf, wie unbequem und billig der Stuhl aussah. Er war zwar aus Holz, dürfte aber trotzdem nicht mehr als zehn oder 15 Dollar im Walmart oder Baumarkt gekostet haben. Vermutlich wird Dean den Stuhl kaum zum Schlafen nutzen, sondern aufpassen, ob uns diese komische Frau entdeckt oder nicht. Ich hoffe, er kommt trotzdem zu ein wenig Schlaf, auch wenn vier Stunden eigentlich viel zu wenig sind. Aber Sam wird ihn bestimmt irgendwann ablösen … ich hoffe es jedenfalls. „Gut, dann machen wir uns doch schon mal bettfertig und ruhen uns ein wenig aus“, sagte Dean, drehte den Stuhl ein wenig und nahm darauf Platz. So hatte er sowohl die Tür mit dem Fenster daneben im Blick als auch die Betten, vor allem das der Jungs. Viel mehr an Worten war dafür nicht nötig, wir drei bewegten uns zu den Betten und legten uns hinein. Wie immer nahm ich meine Einschlafposition ein und bemerkte, dass das Motel viel zu wenig Kopfkissen hatte. Auch fehlte mir ein Plüschtier zum Kuscheln und die Zähne hatte ich mir auch noch nicht geputzt. Doch ich hatte nichts bei mir und ich wollte die Jungs auch nicht extra zur Tanke scheuchen, damit sie mir mit ihrem Geld Zahnpflegezeugs kaufen würden. Nein, das war ein Thema, um das ich mich auch am nächsten Tag kümmern konnte. Müde gähnte ich ein wenig und sah hinüber zum anderen Bett, ich konnte Sam sehen, wie er in meine Richtung blickte und zuversichtlich blinzelte. Andy musste sich demnach hinter seinem Rücken befinden. Sam sah selbst in dem Bett sehr groß aus, was mich beeindruckte. Überhaupt war Sam sehr groß, immer, wenn er mit mir geredet hat, musste ich weit zu ihm hinaufsehen, wie damals zu einem der Anwälte aus meiner Ausbildung. Doch da ich zu fast allen Menschen aufsehen musste beim Reden, war es nichts neues für mich. Dean konnte ich aus meiner Position heraus nicht sehen und ich wusste nicht, ob er mich nun beobachtete oder nicht. Rasch zog ich die Decke noch ein Stück weiter hoch. „Schlaf gut“, konnte ich Sam sanft reden hören, ich bedankte mich dafür und kuschelte mich tiefer in die Decke hinein. Und dann war ich auch schon weg.   Zuerst dachte ich, es wäre ein Teil meines Traums. Ich war mit meinem Freund auf der Animuc, auch meine beste Freundin war mit uns dabei und wir waren alle drei als die Diamonds verkleidet. Ich als die kleinste war als Pink unterwegs, mein Freund dagegen war Yellow und meine beste Freundin Blue. Wir hatten viel Spaß, wurden mit anderen Steven Universe Cosplayern fotografiert und machten auch von ihnen Fotos. Bis irgendwann eine Pearl-Cosplayerin an mein Ohr herantrat und mir etwas zuflüsterte. Ich konnte nicht verstehen, was sie sagte, aber ich nahm an, dass es nur für ein Foto sein sollte. Doch ich konnte niemanden sehen, der von uns ein Foto machen würde. Seltsamerweise konnte ich meinen Kopf nicht drehen, also fragte ich leise, was die Pearl von mir wollte. Sagte ihr, dass ich sie nicht verstehen konnte. Doch diese flüsterte immer weiter, bis es auf einmal schwarz wurde. Ich spürte, dass ich wach war, dass alles davor ein Traum war und weinte meinem Pink Diamond Cosplay hinterher, da es wirklich schön und bequem gewesen war. Auch war die Figur passend gewesen, was sie im echten Leben leider nicht wahr. Erst, als das Flüstern auf der linken Seite wieder zurückkam, wurde ich von meinen finsteren Gedanken abgelenkt. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich mich wieder auf meinen Rücken gedreht hatte. „Hey, Psst, Kira, hörst?“, konnte ich die Stimme direkt in mein Ohr flüstern hören, was mir ein leichtes Kribbeln im Nacken verpasste. Mit spontanem ASMR aus dem Nichts hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Gleichzeitig versuchte ich die Stimme einzuordnen, doch da sie weiblich war, konnte es keiner der Jungs sein. Ich erkannte sie nicht. Ob sie der Frau gehörte? Hatte sie Dean getötet und würde mir nun etwas antun? Das wollte ich nicht wissen, daher hielt ich die Augen geschlossen. „Hör mir zu, Kira, das ist wichtig. Etwas Dunkles ist auf dem Weg, etwas, was du unbedingt vermeiden solltest. Suche nicht danach, versuche dich davon unter allen Umständen fernzuhalten. Du bist nicht sicher“, flüsterte die Stimme und ich hatte das Gefühl, ein wenig von ihrem Atem an meinem Ohr zu spüren, doch genau konnte ich es nicht sagen, da mich das Geflüster wieder müde machte. „Wer bist du?“, fragte ich, drehte meinen Kopf zur Seite und öffnete herzklopfend die Augen, doch trotz der geringen Lichtverhältnisse im Raum konnte ich nichts erkennen. Ich sah niemanden neben meinem Bett stehen, sitzen oder was auch immer. Ich konnte nur Sam sehen, wie er vor sich hindöste. Und die Stimme blieb mir eine Antwort schuldig. „Ok, du musst mir nicht sagen, wer du bist. Aber sag mir wenigstens, vor welcher Gefahr muss ich mich hüten? Was meinst du damit? Wie kann ich sie erkennen?“, doch auch darauf wollte mir die unsichtbare Stimme wohl keine Antwort geben. „Halte dich einfach von ES fern“, sagte sie und ich bekam kurz das Gefühl, sie wollte mich vor dem Clownswesen warnen, doch das erschien mir dann doch zu absurd. „Was ist ES? Meinst du damit das Wesen in der Gestalt eines Clowns?“, fragte ich, doch anstatt eine Rückantwort von dem unbekannten Irgendwas, konnte ich nun Sam sprechen hören. „Clowns? Kira, ist alles in Ordnung?“, konnte ich ihn verschlafen fragen hören und sah, wie er sich über die Augen rieb. Na großartig, jetzt habe ich ihn auch noch geweckt. Vermutlich war ich mal wieder viel zu laut beim Flüstern, viel lauter, als ich dachte. Ich nickte ein wenig, flüsterte aber einen Ticken leiser als gerade eben: „Ja, alles in Ordnung, ich hatte nur einen schlechten Traum und hab wohl wieder im Schlaf geredet. Irgendwas mit Clowns, das hat mir doch ein wenig Angst gemacht. Davon bin ich auch aufgewacht“, sagte ich und hoffte auf Sams Verständnis. Gerade er sollte verstehen, was ihn mir vorging, mehr als jeder andere als ich. Zwar hatte ich keine Clownsphobie oder überhaupt Angst vor ihnen, aber einen Albtraum mit ihnen würde ich dennoch unschön finden. „Ach so, ich dachte nur, du sprichst mit mir“, sagte Sam und ich war mir nicht sicher, ob ich ihn überzeugt hatte oder nicht. „Gut, dann schlafen wir mal weiter, nicht wahr? Schlaf gut, Kira und träum was Schönes“, wünschte er mir, bevor er sich von mir wegdrehte. Ich dagegen legte mich wieder auf die linke Seite und versuchte es ebenfalls mit dem Einschlafen, was dieses Mal ein wenig länger dauerte als bei dem Versuch wenige Stunden zuvor.   „Wie, du hast sie im Schlaf reden hören? Und was ist daran so Besonderes? Jeder spricht mal im Schlaf, Sam, das ist doch ganz normal?“, konnte ich Andy hören, nachdem ich wach geworden war. Wieder lag ich auf dem Rücken, wieder hielt ich die Augen geschlossen. Sie versuchten zwar nicht zu flüstern, aber leise genug zu sprechen, um mich nicht zu wecken. Glücklicherweise konnte ich sie trotzdem gut genug verstehen und gleichzeitig fragte ich mich, warum sie nicht einfach draußen miteinander redeten, um sicher zu gehen, dass ich ja nichts mitbekam. In das kleine Bad konnten sie nicht gehen, das verstand ich, da hätten höchstens zwei Personen Platz und der dritte müsste dann draußen stehen. Auf der anderen Seite war ich froh, dass sie hier dringeblieben waren, denn meine Neugier wurde getriggert und ich war gespannt, was sie zu sagen hatten. Es war mir sofort klar, dass sie über mich sprachen. Offenbar hatte mir Sam meine spontane Notlüge nicht abgenommen. „Nein, sie hat eindeutig mit jemandem gesprochen oder es zumindest versucht. Sie hat die ganze Zeit Fragen gestellt, wie vor welcher Gefahr sie sich angeblich hüten soll, oder irgendwas mit Clowns“, und ich konnte mir Deans kritisches Gesicht nur zu gut vorstellen, mit welchem er seinen jüngeren Bruder wohl gerade ansehen musste. „Aha, und weil sie über Clowns und Gefahr redest, gehen bei dir gleich die Alarmglocken an?“, fragte Dean mehr als zweifelnd. „Es war nicht nur das!“, zischte Sam scharf, dann versuchte er wieder mehr auf seine Lautstärke zu achten. Er machte eine kurze Pause von wenigen Sekunden, offenbar überprüfte er, ob ich noch schlafen würde oder nicht. Und ich gab mir bei meinem kleinen Theater jede Mühe, wie eine Schlafende zu wirken. „Sie hat auch auf das reagiert, was ihr gesagt wurde, es wirkte wie ein Teil eines Gesprächs. Und sie hatte auch keine Kopfhörer oder anderes bei sich, als sie ins Bett ging. Telefonieren war es also auch nicht. Außerdem hat sie zu mir herübergesehen. Sie meinte zwar, dass sie nur im Schlaf gesprochen hat, aber ich glaube es ihr nicht.“ „Es könnte sein, dass es ihr nicht bewusst ist“, schlussfolgerte Andy laut. „Vielleicht hält sie es ja für normal, in der Nacht in die Luft zu sprechen.“ Wieder ein paar Sekunden Pause. „Oder sie hat jemanden gesehen und gehört, der nicht da war. Andy lag hinter mir, ich lag ebenfalls im Bett und Dean hat auf dem Stuhl Wache geschoben, bis ich ihn kurz danach abgelöst hatte. Dir müsste es doch eigentlich auch aufgefallen sein, oder?“, fragte er Dean, doch dieser verneinte nur. „Nein, das muss in der kurzen Zeit gewesen sein, als ich für einen Moment meine Augen ausgeruht hatte“, sagte er und der komplette Raum wusste Bescheid. Somit war Sam nicht nur der Einzige, der mich hatte flüstern hören, er hatte auch alles gehört, was ich von der Stimme wissen wollte. „Ich bin kein Mediziner“, fing Sam nachdenklich an. „Aber wenn ich es nicht besser wüsste, dann hört die Kleine wohl Stimmen in ihrem Kopf. Möglicherweise hat sie irgendeine Art von Schizophrenie und die hat sie dann heute Nacht wohl glauben lassen, dass jemand mit ihr spricht. Das wäre die logischste Erklärung“, sagte er und die beiden schienen keine Einwände oder andere Ideen zu haben. „Vielleicht sollten wir die Kleine dann in die Irrenanstalt bringen“, sagte Dean und nun konnte ich mir Sams vorwurfsvollen Blick vorstellen. „Du meinst in eine psychiatrische Klinik, Dean. Nur, weil sie Stimmen hört, denen sie Fragen in den nicht vorhandenen Bauch löchert, ist sie noch lange nicht irre. Aber es würde auch erklären, was das gestern mit der Adresse sollte, die hat doch vorne und hinten nicht gestimmt.“ Er schien kurz zu überlegen, bevor er weiterredete. „Aber sicher bin ich mir nicht, sie scheint doch eher mehr helle, normale Momente zu haben. Vielleicht ist es nur das Anfangsstadium, vielleicht braucht sie einfach nur eine kurze, medizinische oder medikamentöse Behandlung und dann ist alles wieder in Ordnung? Wir kennen sie nicht, wer weiß, was sie alles durchgemacht hat? Ich denke, wir sollten sie trotzdem wie geplant ins Krankenhaus fahren, dort können Sie sich um sie kümmern.“ „Ja, machen wir das“, meinte Dean, woraufhin Andy mitleidig sagte: „Das wäre das Beste für sie. Und ich habe sie dann auch noch in meine Probleme hineingezogen. Sie ist so nett und freundlich; und hat dabei ihre eigenen Dämonen zu bekämpfen, von denen sie am Ende womöglich gar nichts weiß. Vielleicht hat ihr bisher nie jemand erzählt, dass es problematisch ist …“ Das brachte sie alle drei wohl zum Nachdenken, denn erst nach eine Weile sagte Sam: „Gut, dann werden wir es auch nicht ansprechen. Wir sind im Grunde Fremde für sie und ich denke nicht, dass man solche Verdachtsdiagnosen von unbekannten Menschen hören möchte. Das muss nicht sein. Wir können ihr sagen, dass wir uns Sorgen um sie machen und sie deshalb ins Krankenhaus bringen, alles andere müssen die Ärzte dort machen. Wir dürfen nur nicht vergessen, ihr ein wenig Geld dazu lassen. Alles andere ist dann die Sache der Experten dort“, und alle schienen mit der Vorgangsweise einverstanden zu sein. Alle außer mir, aber ich wurde ja auch nicht gefragt. „Gut, dann sollten wir uns langsam auf dem Weg machen. Soll ich sie wecken?“, fragte Dean, doch Sam war wohl dagegen. „Nein, ich mache das schon“, sagte er und ich konnte hören, wie er an mein Bett herantrat, bis er neben mir stand. Dann spürte ich, wie er sachte an mir rüttelte, offenbar wollte er mich nicht erschrecken, sondern ganz sanft wecken. Ich war mir sicher, anderen Frauen und Mädchen an meiner Stelle wären weich wie Butter geworden. „Kira, du musst langsam aufwachen, wir müssen los“, sagte er so sanft er konnte und als ich meine Augen öffnete, lächelte er mich an.   Nachdem ich schnell meine mittlerweile getrockneten Sachen zusammen mit dem Inhalt meiner Jackentasche in der Plastiktüte verstaut und mich noch zuvor im Bad mit meiner Unterwäsche versorgt hatte, waren wir recht schnell mit dem Auto zum nächsten Diner gefahren. Selbstsicher parkte Dean das Auto in der nächstbesten Parklücke und wir wurden auch recht rasch an den nächsten freien Tisch hingewiesen. Da ich früher oft mit meinem Freund und seiner Mutter in einem Diner zu essen gewesen war, war nichts davon hier für mich neu. Weder die Getränke mit dem übertrieben vielen Eis, das sie uns sofort auf den Platz stellten (ich hatte mir eine Limo gewünscht und sie waren einer der wenigen Läden, die sofort verstanden, was ich wollte), während sich die Jungs mit einer Cola zufriedengaben. Noch die Strohhalme, die über den Gläsern zu schweben schienen, mit dem kleinen Papierdeckel obendrauf, damit das Hygiene-Bedürfnis des Durchschnitts-US-Amis gestillt war. Denn niemand außer mir fasst die Spitze meines Strohhalms an, war hier die Devise. Für mich als Europäerin war das schon fast paranoid, doch da ich keinen Ärger wollte, sagte ich nichts. Während sich die Brüder eine Bank teilten, saß ich innen und Andy neben mir am Flur. Freundlicherweise hatte mich Sam sofort wissen lassen, dass ich zum Essen eingeladen wäre und angesichts dessen, dass ich das Essen eh nicht hätte bezahlen können, nahm ich die Einladung aufrichtig und dankbar an. Wie immer blickte ich unentschlossen meine Karte an, und entschied mich dann für den Grand Slam, bestehend aus zwei Buttermilch Pancakes, zwei Bacon Streifen und zwei kleinen Würstchen, die ich für die Ami-Variante von Bratwürstchen hielt. Dazu noch zwei Eier, bei denen ich mich zwischen zig Varianten wählen konnte, wie sie mir serviert werden würden. Hier entschied ich mich für die Variante „sunny-side-up“, oder wie wir Deutsche es nennen würden: Spiegeleier. Auch die Jungs bestellten sich ihr Essen und die Bedienung brachte uns einen Korb mit Brot vorbei. Wobei man eher sagen musste, es war ein Korb mit Toast, aber ich wusste schon, was die Amis als Brot bezeichneten, deckte sich absolut nicht mit dem, was ich als Deutsche Brot nennen würde. Dennoch war das Essen sehr lecker und daher beschloss ich, einfach zu essen und meine Klappe zu halten. Da ich während des Essens nicht so asozial wirken wollte, wie ich es normalerweise während der Nahrungsaufnahme war, blickte ich in die Runde, überlegte mir, wem ich was sagen oder fragen könnte. Schließlich sah ich Andy und er sah schrecklich aus, viel schrecklicher noch als gestern. Seine Augenringe waren richtig dunkel, er wirkte mehr als müde und auch schien er über Nacht noch mehr Angst vor der Frau bekommen zu haben. Zumindest hatte ich das Gefühl. Er zitterte leichte und er schien auch etwas geistig abwesend zu sein, zumindest schnitt er seinen Pancake zum dritten Mal in mundgerechte Stücke. Doch die Brüder sprachen ihn nicht an, entweder fiel es ihnen nicht auf, was ich aber vor allem bei Sam nicht vermutete, oder sie wollten ihn lieber nicht darauf ansprechen, weil ich mit dabei war. Ja, das letztere klang dann doch logischer. Immer mal wieder einen mitleidigen Blick zur Seite werfend, aß ich schließlich selbst meine Pancakes, verzichtete aber auf den Ahornsirup dafür. Nach einer Weile, wir hatten fast alle unsere Mahlzeiten aufgegessen, stieß Dean seinen Bruder an und nickte an eine Stelle hinter uns, eine Stelle, zu der er immer mal hinübergesehen hatte. „Los, komm, das Telefon ist frei, wir können jetzt bei der Auskunft nach ‚du weißt schon, nachfragen“, deutete Dean irgendwas an und sein Bruder nickte. „Ihr entschuldigt uns, wir sind gleich wieder hier“, sagte er und schon kletterte er seinem Bruder hinterher aus der kleinen Bank heraus. Warum er als der größere nicht außen saß, wo er schneller aufstehen konnte als Dean, verstand ich ehrlich gesagt überhaupt nicht. Doch mit ein paar raschen Schritten hatten sie sich von uns entfernt. Ich war mir sicher, dass sie zu einem Telefon gingen und sich bei der nächsten Auskunft nach einem Krankenhaus in der Nähe erkundigten, zumindest hatten sie ja vorhin darüber diskutiert, wo sie mich am besten abladen könnten.   Ich wartete kurz, bis ich mir sicher, dass die beiden weg waren, und konnte sie beide an diesem kleinen Telefon sehen, mit dem Rücken zu uns. Dann wandte ich mich an Andy. „Hey, Andy, alles in Ordnung bei dir?“, fragte ich, obwohl offensichtlich nicht alles bei ihm in Ordnung war. Er überlegte kurz, schien die Frage wohl erst aussitzen zu wollen, doch dann schüttelte er den Kopf. Welchen Kampf er da auch immer führte, es zerrte wohl immer mehr an seinen Kräften und er schien an seine persönliche Grenze angekommen zu sein. „Es ist … nichts. Ich mache mir nur Sorgen wegen meiner Verfolgerin. Sie … sie ist einfach so hartnäckig, ich verstehe das nicht, dass sie nicht endlich aufgibt. Ich will doch nur meine Ruhe.“ Kaum hatte er das ausgesprochen, brach er endgültig in sich zusammen. Seine Gesicht vergrub er unter seinen Händen und ich konnte ihn leicht schluchzen hören. Ich fühlte mich überfordert und auch mir stiegen Tränen in die Augen, doch ich versuchte das Gefühl herunterzuschlucken. Gleichzeitig nahm ich meine saubere Serviette, welche ich ihm reichte. Welche er auch dankbar annahm, aber sein Gesicht immer noch unter den Händen verbarg. Nur, dass er gleichzeitig seine Tränen mit der Serviette trocknete. Unsicher, was ich tun sollte, legte ich eine Hand auf seinen Rücken, um ihn zu zeigen, dass er nicht allein war. Kurz zuckte er unter meiner Berührung zusammen, doch dann ließ er es zu. Offenbar hatte es eine beruhigende Wirkung auf ihn. „Warum muss das alles nur mir passieren?“, fragte er sich traurig und ich fühlte mit ihm. Auch ich hatte mich in schlechten Momenten gefragt, warum mir so viele schlechte Dinge passieren mussten, während es bei anderen gefühlt viel besser verlief. Doch ich sagte nichts, ich drückte ihn mit meiner Hand auf seinem Rücken ein wenig an mich und versuchte, einfach für ihn da zu sein. Jetzt ging es nicht um mich, sondern um ihn. „Ich habe doch niemanden etwas getan, niemanden verletzt, niemanden geärgert oder sonst was in der Richtung versucht. Und ich will auch niemanden etwas tun, ich will einfach ganz normal leben. Ich will ein normales Leben wie es auch alle anderen haben!“, sagte er leise, aber laut genug, dass ich es noch hören konnte, und ich streichelte ihm ein wenig den Rücken. Auch ich hatte mir gedacht, dass es schöner wäre, wenn mein Leben mehr normal verlaufen wäre, doch es ist so, wie es ist. Immer noch schwieg ich, schob meine Gedanken zurück in den Schrank und beobachtete Andy. „Es ist nicht fair, es ist nicht fair“, wiederholte er und ich konnte hören, dass seine Stimme immer brüchiger wurde. „Um meine Fähigkeiten habe ich ja schließlich nie gebeten, warum bin ich nur so gestraft worden? Was habe ich getan, um sowas zu verdienen?“, sagte er und weckte damit meine Neugierde. Welche Fähigkeiten, was meinte er damit? Ahnungslos sah ich Andy an, während ich ihm weiterhin den Rücken streichelte. „Andy, ich weiß nicht, worüber du sprichst, was meinst du damit? Womit bist du gestraft? Und wer hat dir das angetan?“, wollte ich von ihm wissen, doch auf die Antwort ließ er mich lange warten. Stattdessen konnte ich ihn erst noch mehrere Male schluchzen hören, bevor er von einer Sekunde auf die andere verstummte. Dann nahm er die Hände vom Gesicht und sah mich erst irritiert, dann erschrocken an. Offenbar war der Schock schneller gewesen als sein Gehirn, doch nun schaltete sich dieses wieder ein und teilte ihm mit: Du sprichst mit einer Außenstehenden über Dinge, die sie wohl nichts angingen. Sofort nahm ich meinen Arm von ihm und er rutschte auch ein Stück von mir weg, soweit es ihm die Bank jedenfalls ermöglichte. „Ich denke, wir sind hier fertig und sollten gehen“, konnte ich Dean reden hören und sah zu ihm hoch, ich hatte gar nicht mitbekommen, dass er an den Tisch zurückgekommen war. Er war sehr genervt und er klang auch so. Besonders Andy blickte er mit seinem genervten, fast schon wütenden Blick an und ich konnte mir vorstellen, sobald ich am Krankenhaus abgeladen werden würde, würden sie sich ihn vornehmen und ihm sagen, dass er geplaudert hatte. Zu viel über Dinge gesagt hatte, die nur die drei was angingen. Wüsste ich es nicht besser, hätte ich das Ganze unheimlicher gefunden. Aber so hatte ich wenigstens eine Ahnung, eine Vermutung, um was es gehen konnte. Da sah ich auch schon Sam, mit dem Rechnungsbüchlein, in welches er einen kleinen Stapel Geld hineintat, bevor er das Büchlein selbst auf dem Tisch ablegte. „Ja, lasst uns gehen, wir sollten hier nicht mehr so viel Zeit verbringen“, sagte er eindringlich und sowohl Andy als auch ihm folgten den Brüdern ohne irgendeinen Protest aus dem Diner heraus.   So schnell wie wir das Diner betreten hatten, so schnell hatten wir es auch wieder verlassen und saßen wieder im Impala. Das Wetter war gemischt, es schien zwar die Sonne, aber hier und da waren Wolken, hinter denen sie sich versteckte. Es wirkte, als wollte sie uns beobachten, hatte aber Angst vor dem möglichen Zorn der Brüder. Vor allem Dean wirkte immer noch angespannt, vermutlich weil Andy ein Thema angeschnitten hatte, was mich nichts anging. Zumindest hatte er beim Einsteigen den Eindruck auf mich gemacht. Auf wen genau er jedoch sauer war, konnte ich nicht einschätzen. Vermutlich war er auch auf sich selbst sauer, weil er nicht auf ihn aufgepasst hat, auf das, was Andy so von sich geben würde. Dieser hatte sich mittlerweile beruhigt, doch seit er im Diner seinen Zusammenbruch hatte, zog er es vor, schweigend aus dem Autofenster zu sehen, die vorbeiziehende Landschaft zu beobachten. Die Stille fühlte sich unangenehm an und ich wusste nicht, ob und wie ich sie durchbrechen könnte. Ich wünschte, die Jungs und ich könnten ehrlich zueinander sein, ich würde mir so gerne die eine oder andere Jagd aus deren Perspektive erzählen lassen, das wäre mehr als interessant. Doch das war nicht möglich. Oder irgendwas aus ihrer Kindheit … Da bekam ich eine Idee. Schnell versuchte ich zu überlegen, mit welcher meiner eigenen Kindheitsgeschichten ich am besten anfangen könnte, ohne, dass es zu random und damit zu verdächtig wirken würde. Ich wusste, dass man in den USA gerne mal weite Strecken hinter sich brachte, daher wollte ich wenigstens noch ein wenig mit den Jungs reden, bevor wir unser Ziel erreichen würden. Außerdem würde es auch Andy guttun, auf andere Gedanken zu kommen. Meine eigenen Gedanken rasten, versuchten einen Fetzen in den Wirren meiner Erinnerungen zu finden, der gut passen könnte. Doch ich wurde nicht fündig. Hm, ist schon schwierig, als Kind war ich nie in einem Diner, darauf könnte ich schon mal nicht aufbauen … obwohl. Während meiner Überlegungen hatte ich aus dem Fenster rausgesehen, doch jetzt nahm ich meinen Blick von der Außenwelt und konzentrierte mich wieder auf die Menschen im Wageninneren. „Vielen Dank noch für die Einladung zum Frühstück, das war wirklich sehr großzügig von euch“, bedankte ich mich aufrichtig. „Ja, gerne doch, hat es dir denn auch geschmeckt?“, konnte ich Sam schräg vor mir hören, wie gewohnt saß er auf dem Beifahrersitz. Dabei sah er zu mir hinter. „Es war wirklich sehr lecker, vor allem die Eier“, sagte ich und leckte mir bei dem Gedanken daran die Lippen. „Waren schön flüssig, so wie ich es mag“, fügte ich hinzu mit einem zufriedenem Lächeln. Sam erwiderte mein Lächeln und drehte sich wieder nach vorne um. „Dann passt es doch und mach dir um das Geld keine Sorgen, es war nicht so teuer, wie es vielleicht ausgesehen hatte.“ Zwar hatte ich auch einmal ein Frühstück in einem Diners bezahlt, jedoch war es zu lange her, als das ich mich an die Summe erinnern konnte. „Ja, das war richtig schön, ich habe das auch früher oft mit meiner Mutter gemacht“, sagte ich und begann an meinen Fingern zu spielen. „Sie hat mich auch oft zu einem Café eingeladen, das immer ein vielfältiges Angebot an Frühstücksmenus hatte, meistens am Wochenende oder an Feiertagen, wenn ich Zeit hatte und Zuhause war. Das war auch immer richtig lecker und mit ihrer Gesellschaft auch richtig angenehm.“ Schnell blickte ich auf meine Finger hinab, doch weil ich mir nichts anmerken wollte, blickte ich wieder nach oben. Direkt in Sams besorgte Augen, die meinen Blick erwiderten. „Du hast gesagt, es war schön, ist denn etwas passiert?“, fragte er und ich war mir sicher, dass er bereits eine Ahnung hatte, was meine nächste Antwort sein könnte. Oder es zumindest vermutete. „Sie ist dieses Jahr gestorben“, sagte ich und blickte aus dem Fenster. Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, wie Sams Lächeln kurz abstarb und da ich weder Dean noch Andy sehen konnte, wusste ich nicht, was sie nun gerade denken konnten. Auch erkannte er, dass ich nicht darüber reden wollte, weshalb er sich auf ein „Mein herzliches Beileid“ beschränkte, wofür ich mich kurz bedankte. Jetzt war die Stimmung noch mieser als davor. Der gleichen Meinung war Sam wohl auch, er fuhr sich kurz durchs Haar, wartete, bis ich wieder zu ihm hinübersah und begann zu lächeln. „Wir haben auch oft früher mit unserem Vater zusammen in einem Diner gegessen“, fing er an zu erzählen, Dean blickte kurz zu ihm hinüber, bevor er wieder anfing sich auf die Straße zu konzentrieren. „Da gibt’s viele lustige Geschichten dazu, aber ich denke mal, das hier ist die Beste. Mal sehen, an wie viel ich mich noch erinnern kann, ich war da wirklich noch sehr klein, musst du wissen.“ Ein weiteres Mal fuhr er sich durchs Haar, setzte sich ein wenig um, so dass er besser zu mir auf die Hinterbank gucken konnte. „Achja, jetzt habe ich es. Dean und ich waren gerade in einem Diner, und haben uns den Magen mit Spiegeleiern und Pancakes mit viel zu viel Sirup drauf vollgeschlagen. Unser Vater war auch mit dabei, und obwohl er mit uns geschimpft hat, hat er es durchgehen lassen. Damit wollte er uns wohl eine Lektion erteilen, denn danach sind wir in einem Freizeitpark gegangen und bei der Horrorachterbahn ist uns beiden dann so schlecht geworden, dass wir uns übergeben haben“, sagte er und begann zu kichern. „Ohje, das arme Frühstück, das war ja dann voll für die Katz“, sagte ich und zwang mich zu einem amüsierten Lächeln, dabei konnte ich mir nicht vorstellen, dass Papa Winchester die beiden mit auf den Jahrmarkt nehmen würde. Vermutlich haben sie ihn eher bei der Jagd beobachtet und irgendwas so Schreckliches gesehen, dass sie deshalb gekotzt hatten. Doch unser Theaterstück lief noch immer, unser Tanz wurde immer noch getanzt und so tanzte ich mit. „Oder weißt du noch, als wir das andere Mal in ein Diner gegangen sind, weil uns das empfohlen wurde, und dann sind wir wieder raus, weil Dad eine wütende Ex gesehen hat? Die hatte ihn doch auch gesehen und danach gabs erstmal einen sehr heftigen Streit. Weißt du noch?“, löcherte Sam seinen Bruder und wirkte nun wie ein typischer kleiner Bruder für mich. Zumindest wenn man nach den Klischees ging, mehr kannte ich als Einzelkind nicht. „Ja, ich erinnere mich, der Streit war wirklich … was Besonderes. Besonders, wie die Frau ihn angefangen hat. Aber am Ende hatte Dad die Hand oben …“, sagte er, doch an seiner Körperhaltung änderte sich nichts. Wieder konnte ich mir vorstellen, dass die Frau in Wirklichkeit ein Monster war, das ihn angefallen hatte, doch das war wieder etwas, was am besten nur in meinen Gedanken bleiben sollte. So erzählte mir Sam immer wieder irgendwelche seltsamen Anekdoten aus ihrer gemeinsamen Kindheit und obwohl sie nie wirklich der kompletten Wahrheit entsprechen konnte, wusste ich, dass sie ebenfalls nicht aussprechen konnten, was mit ihnen zu tun hatte. Sie waren in der gleichen Situation wie ich und doch munterte es mich recht schnell wieder auf. Dass sie mich so viel belogen, nahm ich ihnen dagegen alles andere als übel. Schade fand ich es trotzdem.   Schließlich, nach einer längeren Weile, erreichten wir eine Stadt und nachdem Dean durch mehrere Straßen, mal kurz, mal lang, gefahren war, erreichten wir auch schon unser Ziel. Und es sah wie ein typisches US-amerikanisches Krankenhaus aus, wie ich es aus meinen Urlauben von früher kannte. Irgendwie nach was und irgendwie auch nach nichts, da halfen auch die roten Backsteinmauern nichts. „Gut, wir sind da“, sagte Sam, als sein Bruder auf einer Zelle des Besucher-Parkplatzes das Auto zum Stehen brachte. Nun war die Zeit des Abschieds gekommen und ich hatte nicht das Gefühl, dass ich die Jungs wiedersehen würde. „Hast du alles bei dir?“, fragte er mich. Ich zog meine Tasche mit meinen Sachen näher an mich und nickte. „Und da drin sitzt euer alter Freund, in diesem … Krankenhaus?“, las ich von einem Schild in der Nähe ab und Sam bekam sofort ein schlechtes Gewissen, welches man ihm perfekt vom Gesicht ablesen konnte.“ „Verzeih mir die kleine Notlüge, aber wir machen uns einfach Sorgen um dich, dass irgendwas nicht stimmen kann. Wir denken nicht, dass du irre bist, aber lieber lässt du dich ansehen und es ist nichts, als wenn da etwas in dir heranreift und nicht behandelt wird“, sagte er und blickte mich eindringlich an. Vermutlich bat er auch mit seinen Blicken um Verzeihung. Zwar war ich nicht wirklich enttäuscht, aber dennoch fand ich es schade, dass sie mich wirklich zu einem Arzt bringen wollten. Doch ich konnte und wollte es den Jungs nicht übelnehmen. „Schon in Ordnung, ihr meint es doch nur gut“, sagte ich und zuckte mit den Schultern, mit einem Lächeln auf den Lippen. Zumindest versuche ich zu lächeln, doch der Versuch allein reichte Sam offenbar schon. „Gut, dann bringe ich dich kurz rein, helfe dir beim Anmelden und bezahle auch die Kosten im Voraus, damit du nicht so ganz allein da drin bist“, sagte er und ich war sehr dankbar, hatte jedoch Angst vor dem, was nun auf mich zukommen würde. Als wie wahnsinnig würden sich mich einstufen? So lange, bis das Geld alle war, dass Sam für mich ausgeben würde? Würden sie mich dann für immer einsperren? Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und man konnte es mir offenbar in meinem Gesicht ablesen, denn Sams Gesichtsausdruck wurde nun sanfter. „Keine Angst, ich habe mich extra nach einem guten Krankenhaus mit freundlichem Personal erkundigt, hier bist du wohl in guten Händen und hier kann dir auch geholfen werden“, sagte er und versuchte mir sein wärmstes Lächeln zu zeigen, dass er wohl draufhatte. Viel beruhigte es mich nicht, aber ein wenig und ich ließ ihn das mit einem leise „Danke“ auch wissen. „Siehst du, es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Wer weiß, vielleicht fühlst du dich dann auch viel besser und kannst dann auf deinen eigenen Beinen stehen“, sagte er und öffnete seine Tür. „Dann lass uns lieber gehen, den Parkplatz sollten wir auch nicht zu lange blockieren, bevor noch jemand kommt und uns abschleppen lässt“, sagte Sam amüsiert und auch ich begann, mich abzuschnallen und meine Tür zu öffnen. „Vielen Dank für alles, ihr Jungs seid echt die Wucht. Und viel Glück mit der Karen, dass die noch zu Vernunft kommt und euch in Ruhe lässt“, sagte ich in das Auto hinein. Doch kaum waren Sam und ich dabei, unseren ersten Fuß aus dem Auto zu setzen, als das Auto auf einmal anfing zu fahren. Dean trat wohl so heftig er konnte aufs Gaspedal, sowohl Sam als auch ich wurden in das Auto zurückgeworfen und zogen im gleichen Zug die Türen mit zu, da wir diese gerade in den Händen hatten. „Dean, was zum Henker, was sollte das?“, fragte Sam, während sein Bruder immer weiter aufs Gaspedal drückte und uns so in die Sitze schleuderte. So schnell es mir möglich war, schnallte ich mich wieder an und legte meine Tasche vorsichtshalber zu meinen Füßen herunter. Kaum sah ich wieder hoch, hatte sich Sam auch wieder angeschnallt und sah seinen Bruder immer noch fassungslos an. Dann sah er in den Rückspiegel und seine Miene verfinsterte sich, bevor er sich wieder um einen neutralen Gesichtsausdruck bemühte. Ich dagegen konnte nichts erkennen, wusste aber auch nicht, wohin ich gucken sollte. Selbst, als ich einen Blick aus der Heckscheibe war, konnte ich nicht erkennen, warum Dean auf einmal so schnell aus dem Parkplatzbereich und vom Krankenhaus weggefahren war. Dann fiel mein Blick zur Seite auf die Seite, zu Andy hinüber und jetzt tat er mir noch mehr leid als schon bisher. Andy schien keine Reaktion zu zeigen, noch immer starrte er aus dem Fenster heraus, doch seine Haltung wirkte alles andere als bequem. Verkrampft krallte er sich mit seinen Händen in seine Jeans hinein und überhaupt sah sein Körper unbeweglich und steif aus. „Sie ist dort, nicht wahr, die Frau ist dort“, sagte er tonlos und ich hatte das Gefühl, dass ein weiterer Zusammenbruch nicht mehr weit weg wäre. Doch Sam schüttelte nur energisch mit dem Kopf. „Nein, nein, das war nicht die Frau … das war … nur ein ‚alter‘ Freund von uns, das ist alles, und auf den haben wir gerade nicht so richtig Lust. Es ist kompliziert, das mit ihm, Dean und mir“, sagte er und drehte sich wieder nach vorne, während Dean noch immer schaute, dass wir die Stadt so schnell wie möglich hinter uns ließen, nahm dieses Mal jedoch eine andere Route und einen anderen Ortsausgang als den, den ich vorhin gesehen hatte. Schnell ging ich in Gedanken die „Freunde“ durch, auf die sie „keine Lust“ hätten. Crowley? Oder Castiel? Ne, vor dem würden sie ja nicht so schnell wegfahren, im Gegenteil, wie komme ich jetzt überhaupt auf den? …Luzifer? Oder eher einer der Leviathane, vielleicht sogar Dick Roman selbst? Doch ich kam zu keinem Ergebnis und hoffte, ich würde die Lösung zu all dem bald finden, ob sie es mir direkt sagen würde oder ob ich sie wieder belauschen musste. Und auch wenn mir die Situation langsam ein wenig Angst machte, so freute ich mich, mehr Zeit mit den Brüdern verbringen zu können. Kapitel 4: Ein Fluss mit vielen Abzweigungen -------------------------------------------- Es gibt viele Arten von Autofahrern auf dieser Welt und obwohl ich die meiste Zeit meines Lebens in einem autofreien Haushalt verbracht hatte, habe ich auch schon die eine oder andere Erfahrung als Beifahrer gemacht. Auf der Seite des Autos kann man eine Fahrt schon mal ganz anders wahrnehmen, als man es als Fahrer tut oder gar als jemand, der nur hinten sitzt. Man kann der Navigator sein, der Gesprächspartner oder einfach nur da, um mit dem Fahrer ein angenehmes Schweigen zu teilen. Und ich bin schon mit den unterschiedlichsten Leuten gefahren. Manche waren vorsichtig, manche hatten bereits Jahrzehnte an Erfahrung oder sie fahren Auto, weil sie es halt müssen. Unterschiedliche Menschen, mit unterschiedlichen Fahrstilen eben. Doch unter ihnen gibt es auch Menschen, die gerne auf die Tube drücken, die Gas geben, als gäbe es kein Morgen mehr. Auch unter ihnen gibt es zwei Unterkategorien, wie ich habe feststellen dürfen. Die einen, die fahren schneller, weil es der Inbegriff des Fahrgefühls für sie ist. Gib ihnen eine leere, unkomplizierte Landstraße mit wenig Kurven und Gegenverkehr und sie können Gas geben, so viel sie wollen. Dennoch verlieren sie nie die Kontrolle über den Wagen, wissen immer, wann es angebracht ist, zu überholen oder auf eine höhere Geschwindigkeit zu verzichten. Obwohl sie die Fahrt zu einer halben Achterbahn machen, so fühlte ich mich nie unsicher bei ihnen. Und dann gibt es Menschen, die das Tempo lieben, aber das Feingefühl nicht besitzen. Die nicht spüren, wann es an der Zeit ist, den Bleifuß ein wenig leichter zu machen, wann man Gas geben sollte und wann man einfach nur ein Verkehrsrambo ist. Ich kannte eine solche Person und jedes Mal, wenn ich auf ihrem Beifahrersitz saß, habe ich mich gefragt, warum ich überhaupt eingestiegen war. Warum ich mich freiwillig auf die eine oder andere Seite drücken lasse, während sie gerade auf eine abenteuerliche Art die Kurve nahm. Es war stets eine brisante, rasante Fahrt und ich war froh, dass mein Magen kein empfindliches Pflänzchen war. Es ging mir schon eher ans Nervenkostüm und ich war hinterher froh, wenn die Achterbahnfahrt vorbei war.   Daher kam mir die Situation, in der wir vier uns befanden, vertrauter vor, als meine drei Mitstreiter es wohl vermutet hätten. Seit die Brüder am Krankenhaus diesen ominösen „alten Freund“ sehen konnten, hatte Dean Fersengeld gegeben und fuhr nun unkontrollierter durch die Straßen. Wir alle flogen zur Seite, mal zur einen, mal zur anderen und die Kurven nahm er besonders scharf. Ein weiteres Mal war ich froh, dass mein Magen sowas wegstecken konnte. Sich jetzt zu übergeben, war das letzte, was wir alle gebrauchen konnten. Obwohl ich durch diese holprige und rasante Fahrt keine wirkliche Kontrolle über meine Bewegungen hatte, versuchte ich einen Blick durch die Heckscheibe zu erhaschen. Dazu drehte ich mich nach hinten um und hielt mich an der Rückbank fest, um wenigstens irgendeinen festen Halt zu haben. Es war jedoch mehr mein Gurt, der mich an Ort und Stelle festhielt. Als ich endlich aus dem Auto herausschauen konnte, sah ich zunächst nichts Verdächtiges. Spaziergänger, die wohl ihre Erledigungen machten. Kinder, die miteinander spielten. Andere Autos als weitere Verkehrsteilnehmer, die uns folgten und schließlich abbogen. Bis auf einen Wagen. Es war ein Auto, was wie das Kind eines alten Alltagsautos und dem eines Sportwagens aussah. Das Logo fiel mir zuerst nicht auf, aber ich bemerkte schnell, dass es kein Ford oder Toyota war, wie ich sie in den USA sehr häufig gesehen hatte. Das Logo, es sah aus wie ein H in einem Kasten, kam mir bekannt vor, aber ich konnte mal wieder nicht den Finger drauflegen, was für eine Marke das sein sollte. Dafür konnte ich mir aber eine eigene Meinung zur Optik des Autos bilden. Das Auto schien offensichtlich seine besten Jahre hinter sich gebracht zu haben und wurde wohl nur noch herumgefahren, weil sein Besitzer sich kein neues Auto mehr leisten konnte. Auch das war ein Anblick, den ich in den USA des Öfteren gesehen hatte. Autos, die hier und beschädigt waren, aber trotzdem noch benutzt wurden. Wo Teile fehlten, wie ein Fensterscheibe, die dann durch eine Plastikplane ersetzt worden waren. Oder das eine oder andere Auto ohne Stoßstange. Autos, bei denen der deutsche TÜV nein sagen würde. Doch bei dem Auto, das ich sah, würde der TÜV nicht nur nein sagen, sondern in seinem Sessel rotieren. Zwar fehlten dem Auto keine Teile, aber es sah alles andere als gut aus. Viele rostige und zerkratze Stellen, nur hier und da konnte man erkennen, dass das Auto einmal eine schöne, blutrote Lackierung besessen hatte. Eines der Lichter war eingeschlagen worden und wie es im Inneren aussah, konnte ich als Laie nicht sagen, aber hören. Zumindest gab das Auto Geräusche von sich, bei denen ich mir sicher war, dass es diese nicht erzeugen sollte. Und die Tatsache, dass das Auto mehr aus Entschlossenheit noch einigermaßen straßentauglich war als aufgrund seines Zustands, war nicht der einzige Grund, warum mir das Auto überhaupt auffiel. Denn das Auto schien uns zu folgen. Zuerst dachte ich mir nichts, es hätte ja auch sein können, dass das Auto einfach in die gleiche Richtung fuhr wie wir, rein zufällig. Doch Dean fuhr ohne Plan, zumindest glaube ich das und das Auto folgte uns, egal, wie oft wir abbogen. Das war einfach zu auffällig und ich begann mich zu fragen, ob das nicht vielleicht sogar Absicht war, dass wir das mitbekamen. Im Augenwinkel konnte ich sehen, wie Andy sich ebenfalls umgedreht hatte, um einen Blick aus dem Heckscheibe zu bekommen. Er sah jedoch nicht wie ich minutenlang heraus, sondern nur wenige Augenblicke und drehte sich wieder zurück. „Der rote Honda … es ist der rote Honda“, sagte er leise genug, dass ich ihn gerade noch verstehen konnte. Gleichzeitig schlug ich mir innerlich die Hand an die Stirn, weil ich nicht darauf gekommen war, dass es sich bei dem Auto um einen Honda handelte. „Andy, alles in Ordnung?“, flüsterte ich ihm zu, als ich ein verdächtiges Geräusch aus seiner Richtung hörte. Ein Geräusch, das ich hasste, obwohl ich wusste, dass die Person es nicht mit Absicht machte. Sofort aktivierte sich mein Ekelgefühl und ist ein Geräusch, von dem ich bei jedem Mal hoffte, es danach nie wieder hören zu müssen. Und obwohl ich wusste, dass er nichts dafürkann, hoffe ich, dass Andy aufhören würde. Dass es einfach weggehen würde. Doch Andy hielt sich die Hand vor dem Mund und es waren mehrere Würgegeräusche von ihm zu hören. Oh nein, bitte nicht, nicht jetzt, nicht hier! Ein Blick in sein Gesicht zeigte mir, dass Andy kreidebleich geworden, sogar ein wenig grünlich angelaufen war. Meine Gedanken stolperten nun panisch in meinem Kopf umher. Mist, wir haben nicht mal Spucktüten hier… Andy, halte durch, bitte, tu es für uns! Tu es für dich! Und werde auf keinen Fall ohnmächtig, das könnte ich jetzt absolut nicht gebrauchen. Bilder aus der Vergangenheit, die ich wieder loswerden wollte, fluteten meinen Kopf und es dauerte ein paar Herzschläge, bis ich sie wieder soweit verdrängt hatte, dass ich mich auf die Situation vor mir konzentrieren konnte. Mist, was würden Menschen mit normalen sozialen Skills jetzt machen? Ich habe nichts, mit dem ich es auffangen kann und an sein Shirt komme ich auch nicht ran, um es ihm als Ersatzeimer zu geben. Dean wäre auch nicht so begeistert, zumal er dann zwei Flecken mit Erbrochenem wegreinigen lassen müsste. Nein, ich muss erstmal überlegen … ihm ist schlecht, nicht, weil er was Schlechtes gegessen hat, wir alle hatten das Gleiche und uns geht es gut. Nein, es muss mit diesem Honda zu tun haben. Ist das jemand, der ihn verfolgt? Ich verfluchte mich ein wenig, dass ich nicht auf den Fahrer oder die Fahrerin geachtet hatte, sondern nur auf das Aussehen des Autos. Ob das Absicht war? Man war damit zwar in einem auffälligen Auto unterwegs, aber man selbst war damit irgendwie unsichtbar. Aber der Zusammenhang war mehr als deutlich zu erkennen. Zumal er auch von „dem roten Honda“ geredet hatte, das Auto und der Fahrer oder die Fahrerin waren also keine Unbekannten von ihm, zu Andys Leidwesen. Und das schien ihm ziemlich auf den Magen zu schlagen. Während er noch immer mit sich und seinem Mageninhalt zu kämpfen schien, überlegte ich, ob und wie ich ihm helfen könnte. Sofern es das Geschaukel durch Deans wirre Fahrkünste es zuließen, schnallte ich mich ab und robbte langsam, Stück für Stück zu Andy herüber. Legte ihm eine Hand auf den Rücken, vorsichtig, damit er sich nicht erschrecken würde. Doch Andy zuckte nur kurz zusammen, offenbar konnte er sich daran erinnern, dass nicht einer seiner Verfolger neben ihm saß, sondern ich. Eine fremde Person, die ihm bisher sehr wohlgesonnen war. „Beruhige dich, versuche so tief wie möglich durch die Nase zu atmen. Langsam, aber tief. Am besten versuche, in den Magen zu atmen“, sagte ich leise zu ihm und streichelte ihm über den Rücken. Für einen kurzen Moment musste ich an den Kapitän der MS Anne aus den ersten Pokémonspielen denken, ihm musste man auch den Rücken streicheln oder massieren, um ihm gegen die Seeübelkeit zu helfen. Zwar hatte Andy keine Seeübelkeit, aber diese nette und freundliche Geste sollte ihn beruhigen, ihm zeigen, dass er nicht allein ist und das da jemand ist, der sich um ihn sorgt. Zwar kam ich mir gleichzeitig ein bisschen egoistisch vor, da vor allem meine Hauptmotivation war, nicht seinen Mageninhalt halb verdaut zu Sicht zu bekommen, aber in diesem Fall war das möglichweise auch für andere verständlich. Es dauerte ein bisschen, bis er seine Hand wieder von seinem Mund nehmen konnte, er hatte sich an meinen Rat gehalten und intensiv, aber langsam durch die Nase geatmet. Offenbar hatte es ihm wirklich geholfen, sogar noch ein bisschen besser, als ich es mir ausgemalt hatte. Das Grün war aus seinem Gesicht verschwunden, nur blass war er nach wie vor noch. Ich streichelte ihm trotzdem weiterhin den Rücken, weil ich das Gefühl hatte, dass es ihm guttat. Er sagte zwar nichts, aber ich nahm es einfach mal an. Sonst hätte er längst was gesagt oder irgendwie meinen Arm weggeschoben, aber nichts davon war passiert. Stattdessen ließ er es über sich ergehen, blickte stur auf den Sitz vor ihm und bewegte keinen Muskel. Lediglich seinen Mund bewegte er und als ich mein Ohr ein wenig näher an ihn heranhielt, konnte ich sogar verstehen, was er sagte. „Sie wird mich umbringen“, murmelte er immer wieder und wieder leise vor sich hin; und mir war sofort klar: Ah, das muss also eine Fahrerin in diesem komischen roten Auto gewesen sein. Ich wusste nicht, ob ich etwas sagen sollte oder nicht. Mir rauschte der eine oder andere Satz durch den Kopf, den andere Menschen in meiner Lage wohl sagen würden, aber mir kamen sie nicht so leicht über die Lippen. Vor allem, da ich nicht sagen konnte, ob und wie Andy darauf reagieren würde. Würde er nichts dazu sagen? Oder noch mehr daran verzweifeln? Würde daraus dann eine Diskussion entstehen, bei der sich die beiden Brüder noch irgendwie einmischen würden? Dafür hatte ich gerade eher weniger die Nerven. Die Brüder würden, so wie bisher, das Gespräch zwar schnell unterbinden, aber dennoch war es etwas, was ich gerade nicht gebrauchen konnte. Andy tat mir auf jeden Fall leid. Was auch immer er erlebt hatte, warum auch immer diese Frau oder der „alte Freund“ hinter ihm her waren, er hatte es nicht verdient. War er bereits mal von ihnen gefangen genommen worden und konnte ihnen entkommen? Was war der Grund? Eine richtige Antwort fand ich nicht darauf und da ich keine Lust auf einen weiteren Ritt im Gedankenkarussel hatte, versuchte ich nicht länger darüber nachzudenken. Da meine Handfläche langsam taub wurde, und Dean auch immer zackiger in die Kurven raste, hörte ich mit dem Streicheln auf. Für einen kurzen Moment befürchtete ich, Andys Übelkeit würde zurückkehren, aber das war nicht der Fall. Stattdessen starrte er einfach nur auf den Sitz. Vermutlich wollte er nun lieber allein bleiben. Daher robbte ich wieder auf meinen Sitz zurück, schnallte mich an und hoffte, dass diese rabiate Fahrt bald ihr Ende haben würde.   Wie viel Zeit nun genau vergangen war, konnte ich nicht sagen. Zumindest nicht auf die Minute genau, aber wenn ich dem Radio richtig zugehört hatte, kamen bereits zum zweiten Mal die Nachrichten zur vollen Stunde. Wir waren also eine Stunde umhergeirrt, doch ein Blick aus dem Fenster heraus konnte mir zeigen, wo wir uns befanden. Die Straßen, die Häuser, nichts von dem, was ich zu sehen bekam, sagte mir etwas. Waren wir in der nächsten Stadt? Oder noch weiter weggefahren? Ich konnte es nicht sagen. Irgendwas in mir hinderte mich daran, die Jungs zu fragen. Erst vor wenigen Minuten hatte Dean sein Fahrtempo gesenkt und überhaupt hatte ich das Gefühl, dass die Atmosphäre hier in dem Auto besser geworden ist. In einer Stunde kommt man viel mit dem Auto herum, doch in welche Himmelsrichtung wir gefahren waren, ob wir nicht auch noch unterwegs hier und da in eine andere Richtung abgebogen waren, das wusste ich nicht. Die meiste Zeit hatte ich auf Andy geachtet, er hatte zwar recht schnell mit dem Murmeln aufgehört, aber nicht mit dem Starren. Irgendwann hatte er sich aber zurückgelehnt und war eingeschlafen. Seine Atemzüge waren ruhig und normal, dennoch wollte ich ihn erstmal nicht aus den Augen lassen. So hatte ich ihn für eine Weile beobachtet, bis ich mir sicher war, dass er sicher war, dass er nicht im Schlaf an seinem Erbrochenen ersticken würde, was mich selbst auch ein wenig beruhigte. Danach hatte ich mir den Kopf zerbrochen, wer alles hinter ihm her sein könnte und was der Grund dafür war. Doch mir fiel nichts ein. Egal, wie sehr ich es versuchte, ich hatte einfach zu wenig Hintergrundwissen und kannte die Situation zu wenig, um genug Puzzleteile zusammenfügen zu können. Schließlich, auch wenn es mir schwerfiel, gab ich es auf und achtete wieder mehr auf meine Umgebung. Mein Tunnelblick verschwand und so hatte ich aus dem Fenster gesehen.  Um einen Anblick zu sehen, der mir absolut nichts sagte. Die Jungs vorne sahen auch viel entspannter aus, vor allem Sam saß nun wieder viel lockerer in seinem Sitz. Offenbar waren wir die Verfolger losgeworden und ein kurzer Blick nach hinten zeigte, dass uns auch dieser altersschwache Karren nicht mehr verfolgte. Als ich wieder nach vorne sah, erkannte ich, dass Sam mittlerweile sein Handy gezückt hatte und mit irgendjemanden telefonierte. Ob er da gerade Bobby anrief? Zumindest war das für mich die logischste Wahl. Oder war er angerufen worden? Mit einem Blick aus dem Fenster, mit dem ich zeigen wollte, dass mich gerade nichts interessierte, was in der Welt passierte, blickte ich hinaus. Das machte ich oft, entweder um zu lauschen oder weil ich einfach wirklich nur ins Nichts schauen wollte. Weil es entspannend war. Doch dieses Mal tat ich es, um Sam zu belauschen. Ich wusste, es war nicht richtig, aber die neugierige Seite in mir wollte es unbedingt wissen. Selbst wenn Sam hier nur alte Kochrezepte austauschen würde, meiner Neugier wäre nichts zu langweilig gewesen im Moment. „Ach was, das ist kein Problem, du kannst mich doch immer anrufen, das weißt du doch, Ellen“, antwortete Sam freundlich und ich konnte es zwar nicht sehen, aber hören, dass er lächelte. Oh, er spricht also nicht mit Bobby, sondern mit Ellen. Moment, war das nicht diese Mutter aus der Bar, in der viele Jäger rumhängen? Die hatte doch auch was drauf … wow, die letzte Szene mit ihr, als sie sich mit ihrer Tochter in die Luft gejagt hat, das war echt dramatisch. „Natürlich habe ich mich um deinen letzten Gefallen gekümmert, der wilde Hund sollte deiner Tante nun keinen Ärger mehr machen. Ja, wir haben ihm einfach eine Lebendfalle gestellt und dann den Behörden übergeben. Sie wird jetzt wieder ruhiger leben können, ohne den ganzen Lärm in der Nachbarschaft“, sagte er und ich zog im Inneren eine Augenbraue hoch. Wilder Hund? Tante? Behörden? Das klingt ja so, als hätte er sich um einen kleinen Fall in der Nachbarschaft gekümmert. Aber was meint er mit Hund? Normal kümmern die sich doch nicht um solche Dinge. Und meint er mit Behörden die Polizei? Mit der haben die doch normal nichts am Hut… sehr seltsam. Wieder gesellte sich mit Sams Worten ein weiteres Rätsel zu den vielen, zu denen ich keine Antwort oder Lösung finden konnte. Dass er Ellen größtenteils nur noch mit „Ja“ oder „Nein“ antwortete, half mir ebenfalls nicht weiter. Zumindest gab er mir damit keine weiteren Indizien, mit denen ich hätte arbeiten können. Auch wurde es richtig uninteressant, Sam beim Telefonieren zuzuhören und schenkte ich ihm nur noch mit einem halben Ohr Beachtung. Mit den Augen versuchte ich, einen Anhaltspunkt zu finden, doch die Häuser sahen aus wie die, die ich bereits in der einen oder anderen amerikanischen Stadt gesehen hatte. Auch die Menschen sahen alle gleich aus. Müssen wir nicht irgendwann mal zum Tanken? Genau das fragte ich mich, als wir schließlich zum Stehen kamen. Doch nicht, weil der Tank leer war, sonst hätte Dean ja längst was dazu gesagt, sondern weil uns eine rote Ampel aufhielt. Selbst die Kreuzung sah aus wie die vielen Kreuzungen, die ich damals in Texas zur Genüge tagein, tagaus gesehen hatte. Die Ampeln, die nicht neben uns standen, sondern über den Fahrern hingen und damit auch aus der Ferne gut zu sehen waren. Ich fand es schade, dass wir nicht auch hängende Ampeln hatten, wenigstens zusätzlich zu denen, die bereits existierten. Wie oft hatte ich es verflucht, wenn ich mit meinem kleinen Ford hinter einem großen Auto stand und wegen dem die Ampel nicht mehr sehen konnte. Da der Aufenthalt an der Ampel wohl etwas länger dauern würde, blickte ich von der Frontscheibe weg zu meiner eigenen neben mir und beobachtete die Autos, die im Querverkehr herumfuhren. Bis sich ein kleines Moped, oder etwas in der Art, sich neben uns an die Standlinie stellte. Ein kleines, gelbes Moped, das mir bekannt vorkam. Nicht, dass ich das Moped selbst kannte, aber die generelle Art hatte ich schon öfters gesehen. Nur, wie diese Art von Moped hieß, konnte ich nicht sagen. Mein Gefühl sagte mir, dass es sich um einen italienischen Roller handelte. Klein, verspielt und romantisch. Also genau ein Drittel von dem, was man Italienern im Klischee nachsagte. So starrte ich das Moped an und fragte mich, wie es sich wohl anfühlte, mit sowas zu fahren. Daher fiel mir auch erst nach wenigen Sekunden auf, dass der Fahrer zu mir herübersah. Also erwiderte ich den Blick … und hätte ich in diesem Moment was gehalten, ich hätte mir Mühe geben müssen, diese Sache nicht fallen zu lassen. Meine Augen öffneten sich und ich war dankbar für die Tatsache, dass mich von den Jungs keiner sehen konnte. Dean und Sam saßen mit dem Rücken zu mir, Sam war ohnehin mit seinem Telefonat beschäftigt. Andy dagegen ruhte sich immer noch aus, er hatte es aber auch verdient, mal abzuschalten und sich zu erholen. Ich dagegen starrte mit offenen Augen und blankem Gehirn auf den Fahrer dieses kleinen, gelben Mopeds und fragte mich, ob das ein Traum war. Zwar hatte ich ein Problem mit den Gesichtern und Namen anderer Leute, aber das eine oder andere Gesicht hatte sich instant in mein Gehirn gebrannt, so fest, dass ich es sofort erkennen würde. Und das Gesicht meines Lieblingsengels Nummer zwei gehörte dazu. Dort, mit einem Helm, der so gelb wie sein Moped war, saß der Erzengel Gabriel und blickte zu mir herüber. Sofort musste ich an Deans Kommentar bezüglich Castiel und den Hells Angels auf Mopeds denken, aber ich glaubte nicht, dass er das damit gemeint hatte. Langsam wurde mir mein Starren unangenehm, aber ich wollte auch nicht wegsehen. Ich befürchtete, würde ich auch nur einmal blinzeln, dann würde Gabriel verschwinden oder dort jemand anderes auf dem Moped hocken. Das wollte ich vermeiden. Gabriel schien das dagegen überhaupt nichts auszumachen, stattdessen hob er seine linke Hand und winkte zu mir herüber, offenbar wollte er mich damit grüßen. Unsicher, wie ich reagieren sollte, hob ich ebenfalls die Hand und erwiderte seine Geste. Lächelnd sah er mich an und immer mehr verstand ich, warum die Fangirls so auf ihn abgingen. Naja, er sah ja auch nicht schlecht aus, und sein Charakter war auch sehr … interessant und amüsant. Erst, als er an seinem Schnurrbart zu zupfen begann, fiel mir dieser auf. Zwar wusste ich nicht, was er mir mit dieser Geste sagen wollte, aber ich wusste, dass der Bart nicht echt war. Gabriels Hülle hatte nie einen Schnurrbart besessen, außer in dem Casa Erotica Video, wenn mich meine Erinnerung nicht im Stich ließ. ´ Viel Zeit darüber nachzudenken ließ er mir allerdings nicht, denn er befand sich auf der Links-Abbieger-Spur und seine Ampel war wohl gerade grün geworden. Denn er zwinkerte mir kurz zu, bevor er Gas nahm und an der Kreuzung abbog. Aufgrund der vielen Autos, die inzwischen stehen geblieben waren, verlor ich ihn ziemlich schnell aus den Augen. Krass, ich hab einfach mal so Gabriel gesehen. DEN Gabriel. Krass. Das ist ja schon fast wie ein Sechser im Lotto. Dass der überhaupt mit nem Moped unterwegs ist … aber Gabriel war ja schon immer ein wenig anders als die meisten anderen Engel, so wie Cass oder Balthazar. Oder dass er einen Helm tragen würde! Offenbar ist selbst einem Erzengel die Sicherheit im Straßenverkehr sehr wichtig. Während ich noch aus dem Fenster sah und dümmlich herumgrinste, weil mich Gabriels Anblick mehr als glücklich gemacht hatte, lauschte ich weiterhin. Andy gab keinen Ton von sich, er war noch weiterhin am Schlafen. Aber weder Dean noch Sam kommentierten Gabriels Auftritt, offenbar hatten sie ihn entweder nicht gesehen oder erkannt. Ob sie ihm schon mal begegnet sind? Oder ob sie ihn überhaupt kennen? Wenn ja, als was? Noch als Trickster oder schon als Gabriel? Doch es kam nichts und ich hielt es für das Beste, ihnen auch erst einmal nichts davon zu erzählen. Denn das hätte sicherlich Fragen aufgeworfen. Irgendeine dumme Ausrede für mein dümmliches Grinsen würde mir schon einfallen, da war ich mir sicher. Denn dieses wollte und wollte partout nicht von meinen Lippen weichen.   „In Ordnung, Ellen, ich melde mich wieder bei dir“, konnte ich Sam hören, dann nahm er das Handy von seinem Ohr und legte auf. Ich sah kurz zu ihm hin, doch da ich ihm nicht zu offensichtlich meine Aufmerksamkeit schenken wollte, sah ich wieder aus dem Fenster heraus. Nur schwer konnte ich mein Lächeln unterdrücken, doch je länger ich mich um einen neutralen Gesichtsausdruck bemühte, desto leichter fiel es mir. Zu meinem Glück sah Sam gerade nicht nach hinten, wer weiß, ob ich das gut hätte begründen können. „Und, was wollte Ellen am Ende nun von dir?“, fragte Dean, ohne die Straße aus den Augen zu lassen. Offenbar hatte er deutlich besser aufgepasst und hingehört, als ich es getan hatte. Denn ich hatte keine Ahnung, was Dean damit meinte. Ich konnte erkennen, dass Sam sein Handy irgendwo hin verstaute, zumindest verriet es die Bewegung seiner Schultern. „Nichts Besonderes, sie hat nur gesagt, dass sie uns bei mehreren Kleinigkeiten unsere Hilfe brauchen würde“, sagte er und ich hatte das Gefühl, dass es alles andere als Kleinigkeiten sein konnte. Es war mit Sicherheit eher eine große Sache, denn mit Kleinigkeiten würde Ellen sicherlich allein fertig werden. Nein, hier ging es um größere Kaliber, wie Vampire, Werwölfe und derartiges. Doch das konnte er natürlich nicht in meiner Anwesenheit sagen. Also musste es als „Kleinigkeiten“ getarnt werden. Nur zu gerne wüsste ich, wobei die Brüder ihr helfen sollten, doch das konnte ich sie ja schlecht fragen. Oder wäre das möglich? Während ich noch darüber grübelte, wie ich die Jungs fragen könnte, dass es einfach nur nach purer Neugierde ohne Hintergedanken klang, sah ich, wie Sam sich nach hinten umdrehte. Er sah in Andys Richtung, während dieser noch immer selig vor sich hinschlummerte. Sam schien ein wenig erleichtert zu sein, doch auch Sorge stand ihm im Gesicht. Zumindest hielt ich es für Sorge. „Wir müssen uns auch noch um Andy kümmern. Er braucht ganz dringend unsere Hilfe, das kann so nicht weitergehen“, sagte Sam und Dean nickte nur. „Ich hab ihn, seit wir ihn auf dieser Straße angetroffen haben, noch nie so tief schlafen gesehen. Er muss völlig erschöpft sein. Aber hier, bei uns, ist er sicher. Dennoch, wir müssen eine Lösung finden und das am besten schnell.“ Dann, als ob es ihm wieder eingefallen war, drehte er sich wieder um, dieses Mal jedoch in meine Richtung. Er lächelte mich an und wollte mir wohl Mut machen oder mich trösten, diesen Gesichtsausdruck konnte ich noch schlechter deuten als den davor. „Keine Angst, dich hab ich nicht vergessen“, sagte er und ich blickte ihn an, versuchte ein Lächeln auf meine Lippen zu zaubern. Aber eigentlich hatte ich diese Angst nicht. Dennoch wollte ich ihm eine positive Rückmeldung geben. Ihm zeigen, dass mich seine Worte erreichten und dass er sich keine Sorgen machen müsste. „Wir werden so schnell wie möglich versuchen, dich in ein Krankenhaus zu bringen, damit du die Hilfe erhalten kannst, die du benötigst. Eventuell ist es auch nichts schlimmes, heutzutage kann man sehr viele körperliche und seelische Leiden behandeln als früher, du musst dir keine Gedanken machen. Entschuldigung, dass du all das hier mitmachen musst. Aber du bist sehr tapfer, dass du das bisher so mitmachen konntest, trotz deiner Umstände“, sagte Sam schon fast mitleidig. Ich dagegen fühlte mich einfach nur seltsam. Es war, als würde Sam mit einem Kind reden, aber vermutlich wollte er nur verhindern, dass ich mich aufregte oder dass sich meine „Symptome“ verschlimmern würden. Vielleicht dachte er, dass ich irgendein Trauma verarbeiten würde. Mir selbst war von einem Trauma nichts bekannt, oder von ähnlichen Dingen. Da hatte ich mich ja in eine schöne Sackgasse hineinmanövriert. Doch, bevor ich etwas erwidern konnte, kam Dean mir dazwischen. „Nein, Sammy, nicht jetzt“, meinte er und sein ernster Ton verriet mir, das er es auch so meinte, wie er es sagte. Verwirrt drehte sich Sam wieder nach vorne und sah seinen Bruder an. „Warum, nein? Kira braucht auf jeden Fall professionelle Hilfe, wenn nicht mindestens eine psychologische Beratung, die wir ihr beide nicht bieten können. Wir spielen damit auch mit ihrer Gesundheit.“ Dean schüttelte mit dem Kopf. „Wenn wir sie jetzt ins Krankenhaus bringen, dann spielen wir noch mehr mit ihrer Gesundheit, als dir lieb ist. Wir können sie gerne in professionelle Hände geben, aber erst, wenn wir sicher sind. Außerdem ist sie nicht aus Zucker, sie wird schon nicht zusammenbrechen. Bisher macht sie einen stabilen Eindruck auf mich“, sagte er und Sam sah sofort zu mir hinter, als würde er sich umgehend davon selbst überzeugen wollen. Als würde Dean etwas in mir sehen, was er nicht sah. Vielleicht fragte er sich, ob Sam mich zu sehr in Watte versuchte zu packen. „Und wann willst du sie dann hinbringen?“, fragte Sam ihn anschließend, kaum, war sein Blick von mir wieder weg. „Ganz einfach: Sobald wir genug Distanz zwischen diesem Ort und uns gebracht haben. Zur Not bringen wir sie in einem anderen Krankenhaus unter. Solange dieser Dreckssack hier herumlungert, ist es besser, wenn wir von hier verschwinden. Und damit meine ich uns alle, wir vier.“ Sam spielte mit seiner Lippe herum, vermutlich wollte er etwas darauf erwidern, doch entweder rang er mit sich oder ihm fehlten die passenden Worte. Oder er war der Meinung, dass sein Bruder recht hatte, konnte es sich aber nicht eingestehen. Es dauerte ein paar Minuten, bis er schließlich wieder zu Worten fand. „Wo möchtest du denn überhaupt hinfahren?“, wollte Sam von seinem älteren Bruder wissen. „Das wirst du schon sehen. Aber komm mir jetzt ja nicht mit Tipps, ich fahre, ich bestimme. Du kennst das Spiel“, sagte Dean entschlossen und ich musste an ein altes Zitat von ihm denken. Driver picks the music, Shotgun shuts his cakehole. Und offenbar wählt der Fahrer auch die Fahrtroute aus. Sam zuckte mit den Schultern, und drehte sich wieder zu mir um. „Tut mir leid, so wie es aussieht, wirst du noch ein wenig durchhalten müssen. Kannst du das? Wenn es dir zu viel wird, sag Bescheid, nicht, dass es mit … du weißt schon, den Stimmen schlimmer wird“, sagte er und ich konnte ihm ansehen, dass er sich wirklich Sorgen um mich machte. Das schlechte Gewissen nagte an mir und ich lächelte wieder ein bisschen, um ihm ein gutes Gefühl zu geben. „Danke, ja, es ist alles in Ordnung. Wenn es schlimmer werden sollte, werde ich mich melden“, sagte ich so ehrlich wie möglich und hoffte, dass mich diese Stimme in der Nacht nicht noch einmal einholen würde. Gleichzeitig war ich aber auch dankbar, weil ich dadurch mehr Zeit mit den Winchesters verbringen würde. Andy tat mir dagegen ziemlich leid und ich wünschte, ich wüsste, wie ich ihm helfen könnte. Doch ich fühlte mich so wie immer: Hilf- und ahnungslos.   Schließlich hatte ich eine Idee und überlegte, ob ich sie wirklich nennen sollte. Was hast du schon zu verlieren? Naja, käme es nicht ziemlich verdächtig herüber, wenn ich das Thema nun anschneide? Dann wüsste Sam ja, dass ich ihm zugehört habe. Ja, aber das war ja am Ende des Gesprächs. Wäre Andy wach gewesen, hätte er es sicherlich auch mitbekommen. Und dass man gar nichts mitbekommt, das ist ja nicht mal bei dir möglich. Nein, sag es ruhig, ich meine, was wäre deine Alternative? Dass die Jungs durch die Gegend fahren und dich dann irgendwo aussetzen? Das wäre eine Win-Win-Situation für alle, vielleicht sogar für Andy, weil er dann nicht mehr an die Frau oder den Mistkerl oder das Auto denken muss. Jetzt tu es einfach! Wie so oft, wenn ich mir über etwas uneinig war, redete ich mit mir selbst im Kopf, versuchte es abzuwägen und tat so, als ob eine Person mit mir darüber redete. Meistens war sie es, die mich dann dazu ermutigte oder dazu bewegte, irgendwas zu tun. Oder nicht zu tun. Je nach dem, um was es ging. In der Hoffnung, dass mein fiktiver Diskussionspartner recht hatte, atmete ich ein und versuchte so laut wie möglich zu reden, ohne aber den armen Andy aufzuwecken. „Ähm, ich hätte eine Idee, wie wir die ganze Situation lösen können. Und dann würde ich auch gerne noch etwas von euch wissen“, sagte ich und begann nervös mit meinen Fingern zu spielen. Auch spürte ich, wie sich meine Wangen aufwärmten. Das Rosa, dass sich nun in meinem Gesicht bildete, konnte ich mir nur zu gut vorstellen. „Oh? Ja klar, lass hören“, sagte Sam neugierig und ich glaubte, auch Dean spitzte ein wenig die Ohren. Doch ich wollte mich davon nicht irritieren lassen. „Naja, ich meine, ihr habt doch darüber geredet, dass ihr so weit wie möglich von diesem Ort wegwollt. Und du wurdest doch angerufen, dass jemand eure Hilfe braucht.“ Dass ich Ellens Name wegließ, war Absicht, denn ich wollte wie jemand wirken, der absolut keine Ahnung hat und dementsprechend nicht so viel aufgeschnappt hat. „Was hat sie denn für Probleme? Wenn sie weiter weg von hier sind, dann könnten wir doch hinfahren. Bis dahin hat der Mistkerl die Stadt sicherlich verlassen und wenn ihr mit dem Problem fertig seid, dann können wir ja wieder hierher zurückkommen.“ Da Sam nichts sagte, fasste ich meinen ganzen Mut zusammen und sprach weiter. „Naja, ich habe mir auch gedacht, wenn es wirklich nur eine Kleinigkeit ist, dann können wir euch vielleicht sogar ein bisschen dabei helfen? Ich kann zwar nicht so schwere Sachen tragen, also wäre bei einem Umzug oder so keine große Hilfe; aber, wenn ich helfen kann, dann helfe ich gerne. Und ich bin mir sicher, dass es Andy auf andere Gedanken bringen könnte. Vielleicht bekommt er ja seinen Kopf frei und weiß dann eventuell besser, wie er mit dieser ganzen Walmart-Kaufhausdetektiv-Sache umgehen soll. Das könnte ihm bestimmt helfen.“ Inzwischen waren meine Finger so warm wie meine Wangen, so fest, wie ich mit ihnen spielte und sie knetete. Für einen kurzen Moment bekam ich das Bedürfnis nach einem großen Tropfen Handcreme, damit es nicht ganz so seltsam aussah, was ich da gerade tat. „Außerdem hat mich das Ganze neugierig gemacht. Wie kommt es, dass ihr so vielen Leuten helfen wollt? Das ist in unserer Gesellschaft nicht so selbstverständlich. Ich bin nicht misstrauisch oder so, ich spüre einfach, dass ihr zwei gute Menschen seid. Also dass ihr uns nicht in der nächsten Ecke ausschlachten und unsere Organe dann auf dem Schwarzmarkt verkaufen wollt, denn sonst hättet ihr das sicherlich getan. Aber macht ihr das oft? Also Leuten helfen, die euch so über den Weg laufen? Wir mir und Andy? Was auch immer eure Beweggründe sind, die habt ihr sicherlich, naja, es ist auf jeden Fall eine sehr großartige Charaktereigenschaft. Bleibt ruhig so, damit seid ihr ein schöner Ausgleich zu dem allgemeinen Egoismus, der heutzutage so herrscht“, sagte ich, nahm mich aber selbst dabei nicht komplett heraus. „Ich möchte damit auch Danke sagen, nicht jeder hätte mich von dem Regen gerettet und mir trockene Kleidung gegeben. Oder mir Essen spendiert. Ohne euch wäre ich wohl entweder verhungert, verdurstet oder an einer Erkältung gestorben.“ Gleichzeitig brach ich mir gefühlt fast alle Finger und wünschte mir, ich würde aufhören zu reden. Doch die Worte sprudelten aus mir heraus. Sams Lächeln wurde dagegen noch einen Ticken wärmer und ich würde zu gerne Deans vollständigen Gesichtsausdruck sehen, auch, wenn dieser sich von der Mimik her wohl weniger deutlich ausdrücken würde. Daher spielte es keine große Rolle, dass ich nur seinen Hinterkopf und ein Stück seines Gesichts im Rückspiegel sehen konnte. Denn sagen tat mir beides nicht sehr viel. Dann begann Sam ein wenig zu lachen, ob es jedoch echt war oder nur gespielt, das wusste ich nicht. „Keine Angst, wir sind keine Verbrecher, die darauf auf sind, irgendwie mit euch beiden Geld zu machen. Wir sind einfach zwei nette Menschen, die wie du gerne helfen, wenn sie es können. Du hast ja auch festgestellt, dass die Welt eher egoistisch geprägt ist. Aber wenn man eine gute Tat gibt, gibt es eine sehr große Wahrscheinlichkeit, ebenfalls eine gute Tat zurückzubekommen. Das treibt uns an.“ Mittlerweile konnte ich Sams perfekte Zähne zwischen seinen Lippen herausblitzen sehen und spürte kurz ein bisschen Neid in mir. Vor allem, da meine Zähne ein weiterer Beweis für meine schlechten Gene waren. „Außerdem hattet ihr beide ja sonst niemanden und ihr scheint sehr viel Hilfe zu benötigen. Zwar werdet ihr am Ende professionelle Hilfe brauchen, besonders du, aber die ersten Schritte sind schon getan. Du bist uns auch nichts schuldig“, fügte Sam schnell hinzu, wobei ich ihnen diese ganzen Gefallen, die sie mir getan hatten, schon gerne irgendwie zurückzahlen würde. Wie war nochmal das Motto der Lennisters aus Game of Thrones? Ein Lennister begleicht stets seine Schuld – oder so? Ja, ich denke, ich werde es wie ein Lennister halten. Dennoch, um ihn ein wenig zu beruhigen, nickte ich ihm zu und sein Lächeln wirkte nun noch etwas glücklicher auf mich. Da auch seine Augen strahlten, wusste ich nun, dass es ernstgemeint war. Dass er nicht nur so tat, sondern wirklich lächelte. Sam hatte wohl, während er seine Erklärung von sich gegeben hatte, gleichzeitig über meinen Vorschlag nachgedacht und sich überlegt, wie viel er mir gegenüber preisgeben könnte. Er wusste, dass er nicht sehr viele Alternativen hatte, vor allem, da sein Bruder Andy und mich weiterhin in ihrer Nähe haben wollten. Vor allem, da Andys Verfolger nach wie vor hinter ihm her waren und vermutlich auch hinter mir nun. Einfach nur, weil wir beide miteinander zusammen in der Bushaltestelle waren und auch gemeinsam auf der Flucht. Noch einmal sah ich zu Dean, dieser blickte von der Straße zu seinem Bruder und wieder zurück. Und die Blicke, die er ihm zuwarf … sie wirkten, als wollte er sagen: Sam, pass auf deine Worte auf! Verrat nicht zu viel, am besten gar nicht. Gleichzeitig wusste er wohl nicht, wie er ihn dabei hindern könnte, immerhin war ich eine Außenstehende, für die alles so normal wirken sollte, wie es eben möglich war. Wie es die Umstände erlaubten. Daher blieben ihm nur seine Blicke, für den Moment. Ob Sam davon etwas mitbekam, konnte ich nicht sagen.   „Jedenfalls, dir danke für dein Angebot, ich denke, es ist wirklich eine gute Idee“, sagte Sam und Dean zog, wie ich im Rückspiegel erkennen konnte, eine Augenbraue hoch. Auf der anderen Seite war er es ja, der gesagt hatte, dass wir beide noch bleiben sollen. „Weißt du, es würde Andy wirklich guttun, wenn er auf andere Gedanken käme und auch mal eine andere Landschaft sehen würde. Ellen wohnt etwas weiter weg, bis wir hier wieder zurückkommen, ist vielleicht wirklich etwas mehr Gras über die Sache gewachsen. Außerdem sind wir beide ja noch da und können uns für ihn um dieses kleine Problem kümmern“, meinte Sam und ich hatte das Gefühl, wir alle wussten: Es war kein kleines Problem. Doch keiner der jetzt wachen Personen wollte sich das anmerken lassen. „Und wenn du uns schon als hilfsbereite Menschen loben willst, nun, der Titel sollte eigentlich an Ellen und ihre Tochter gehen“, sagte Sam und klang dabei mehr als bescheiden. Wieder ein Blick in den Rückspiegel, ich bekam langsam das Gefühl, dass ich Deans mahnende Blicke mit jedem Satz seines Bruders immer weiter verstärkten. Ob er wusste, dass ich seine Reflektion sehen konnte? Vermutlich nicht. Oder er dachte schlicht gerade nicht daran. Selbst Dean konnte nicht immer an alles denken. „Ellen ist eine sehr gute Freundin von unserer Familie, und wir verstehen uns auch gut mit ihrer Tochter. Du wirst die beiden sicherlich mögen, da bin ich mir sicher. Und sie dich auf jeden Fall. Andy kennen sie ja schon. Sie haben uns auch viel mehr geholfen, als wir es getan haben. Sie waren sehr oft für uns da und das rechnen wir ihnen ewig an. Wann immer Ellen uns braucht, sie muss uns nur anrufen und wir kommen. Wie gesagt, sie ist eine gute Freundin unserer Familie und vermutlich haben wir unsere Helferader von ihr geerbt, auch, wenn wir nicht verwandt sind“, sagte Sam und zwinkerte mir zu. Dann sagte er nichts mehr und offensichtlich reichte ihm das als Erklärung. Zwar hatte er nicht gesagt, um was für ein Problem es sich handelte oder hatte sich eine Lüge dafür überlegt, aber er ging davon aus, dass ich auch nicht weiter nachfragen würde. Er wusste, wie ich, dass wir im Moment keine Alternativen hatten und ich so oder so mit den Jungs mitkommen würde. Da Sam nicht weiter auf das Problem oder auf Ellen eingehen wollte, beschoss ich, es ihm gleichzutun. Zumindest nicht in der weiten Tiefe. „Dann freue ich mich darauf, sie kennenzulernen, wenn sie so eine nette Frau ist, wie du sie gerade beschrieben hast“, meinte ich, doch ein wenig wurde ich nervös. Zwar war Ellen für mich keine komplett fremde Person, dennoch ängstigte mich der Gedanke, mich mit einem Menschen zu treffen, mit dem ich noch nie zuvor zu tun hatte. Vor allem, da ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte. Was wohl ihr erster Eindruck von mir wäre, das konnte ich bei unbekannten Menschen nie einschätzen. Was sie denken, wenn sie mich das erste Mal sehen oder sprechen hörten. Und auch, welche Erwartungen sie an mich hätten. Sam, der einen viel höheren EQ als ich besitzen musste, sah mich mehr als freundlich an. „Du musst keine Angst haben, Ellen wird dich nicht beißen. Höchstens ein wenig zwicken“, sagte er und zwinkerte wieder. Doch dann schob er eilig nach: „Nein, im Ernst, du musst nicht nervös sein. Sei einfach freundlich zu ihr und sie wird es auf jeden Fall zu dir sein.“ Ich nickte ein wenig, um ihm zu zeigen, dass ich ihn gehört und verstanden habe, dennoch, das leichte nervöse Gefühl tief in meinem Bauch drin wollte trotzdem nicht weggehen. Dann versuchte ich an die Bar zu denken, an den Burger oder die Pommes, die ich dort essen würde und schon wurde das Gefühl eine Nuance kleiner.   Im Nachhinein könnte ich nicht sagen, wie viel er von unserem Gespräch mitbekommen hatte. Wann er aufgewacht war und wann sein Hirn noch schlaftrunken uns zugehört hatte, oder wann er schließlich richtig wach war. Vermutlich war er die ganze Zeit noch im Halbschlaf. Aber er hatte genug mitbekommen, um sich in das Gespräch einbringen zu wollen, auch, wenn es eigentlich bereits vorbei war. Sam hatte sich bereits wieder nach vorne umgedreht und ich sah wieder aus dem Fenster, als Andy etwas sagte. Oder genauer gesagt: eine Frage in den Raum stellte. „Hey, Sam, sag mal, was ist eigentlich aus dem letzten Fall geworden?“, fragte er ein wenig müde, aber laut und deutlich die Person auf dem Sitz vor ihm. Sofort bereitete sich eine seltsame Stimmung im Auto aus, ich blickte stur aus dem Fenster, da ich absolut keine Ahnung hatte, wie ich nun reagieren sollte. Den Brüdern ging es wohl nicht anders, Dean schwieg sich aus und Sam räusperte sich ein wenig, bevor er sagte: „Fall? Was genau meinst du damit, Andy?“ Er klang dabei viel weniger selbstsicher, als er es noch vor wenigen Augenblicken getan hatte. Immerhin hatte Andy hier tief ein Thema angeschnitten, welches eigentlich nicht für meine zarten, unschuldigen Ohren gedacht war. Doch offenbar war Andy zu müde oder hatte bereits vergessen, dass ich ebenfalls anwesend war. Vielleicht war es ja beides. „Ach Sam, du weißt doch genau, was ich meine, oder nicht?“, antwortete Andy nachdrücklich und sofort tat mir Sam leid. Er hatte sich so viel Mühe gegeben, mich aus der ganzen Sache herauszuhalten und mich so wenig wie möglich von ihrem Jägerleben herauszuhalten, nur, damit Andy mich mit einem Lasso ruckartig immer tiefer hineinzog. Das konnte ja was werden. „Ellen hat mir letztens am Telefon erzählt, dass sie euch beiden um irgendeine Hilfe bitten wollen würde. Hat sie euch erreicht?“ Da ich dachte, es wäre seltsam, wenn ich peinlich berührt aus dem Fenster blicken würde, sah ich nun zu Andy herüber, bemühte mich um einen neutralen, wie auch neugierigen Gesichtsausdruck. Dabei sah ich, dass dieser sich aufgerichtet hatte und Sam ansah. Dieser hatte sich nach wie vor nicht umgedreht und blickte wie sein Bruder nach vorne. Wenn auch aus anderen Gründen. „Ihr habt doch gerade über Ellen gesprochen und nun, sie ist wirklich eine sehr nette Frau, wisst ihr ja. Ich mache mir da schon ein wenig Sorgen, ich meine, wenn sie euch erreichen konnte, dann ist die Sache ja gut ausgegangen, oder? Aber ihr ist nichts passiert, sie ist nicht verletzt, oder? Sie war immer so nett zu mir, ich würde nicht wollen, dass ihr etwas passiert.“ Noch immer fühlte ich mich wie das fünfte Rad am Wagen, und ich kam mir vor, als würde Andy öffentlich seine Beziehungsprobleme mit Sam ansprechen. Dean räusperte sich mehr als auffällig laut, doch entweder war es Andy entgangen, oder es war im einfach egal. Denn er redete immer weiter und weiter, ganz so, als wäre ich nicht hier. „Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie dankbar ich Ellen bin. Nicht nur, dass sie mich mit Essen versorgt und sich um meine Wunden gekümmert hat. Nein, ich habe ihr noch so viel mehr zu verdanken! Wisst ihr, wenn sie nicht gewesen wäre, zur richtigen Zeit am richtigen Ort, diese Dämonen hätten mich schon vor Wochen erwischt und kalt gemacht! Sie ist wirklich eine Heldin!“, stieß er atemlos aus und stoppte dann sich selbst. So fühlt es sich also an, wenn man gegenüber dem Geburtstagskind spoilert, dass es eine Überraschungsparty zu erwarten hat. Unangenehme Stille breitete sich im Wagen aus, niemand traute sich etwas zu sagen. Nicht einmal mehr Andy. Offenbar war ihm sein Fehler aufgefallen oder er war nun wieder wach genug, um zu bemerken, dass ich auch noch existierte. Dass ich nicht taub war oder dumm. Tatsachen, die den beiden Brüdern auch mehr als schmerzlich bewusst war. Das war absolut keine gute Idee und mein Mitleid für die Winchester füllte mich nun von Kopf bis Fuß. Dazu musste ich nicht mal großartig in den Rückspiegel gucken, die besorgten, fast schon verzweifelten Blicke, die sie nun untereinander austauschten, sprachen Bände. Doch wer sprach den Elefanten im Raum nur an? Sollte ich es tun? Würde einer der drei anwesenden Männern es tun? Andere Menschen hätten das hier längst in Frage gestellt, doch da ich um die Existenz solcher Monster wusste, überraschte mich Andys Erwähnung von Dämonen nicht sonderlich. Jedoch, die Rolle, die ich hier die ganze Zeit spielte, kannte solche Dinge nicht. Sie wusste nicht, dass Wesen wie Dämonen außerhalb von fiktiven Werken existierten, zumindest in dieser Welt. Dass mir das alles seltsam vorkommen würde, als es ohnehin der Fall war, war jedem hier klar. Dean räusperte sich so laut und so hart, dass ich mir Sorgen um seine Stimmbänder machte. Doch während ich noch überlegte, ob und wie ich das ansprach, drehte sich Sam zum wiederholten Mal zu mir um und sah mir direkt ins Gesicht. „Das war natürlich nur eine Metapher, die Andy hier benutzt hat“, sagte er und ich konnte es geradezu spüren, wie falsch sein Lächeln war. Er wollte damit nur seine Unsicherheit überspielen, die Andy ihm gerade in den Körper gepumpt hatte. „Ja, genau, tut mir leid, ich hab nicht nachgedacht. Dabei wäre es in deinem Zustand nicht gut, wenn ich dich so erschrecken würde“, sagte Andy und rieb mir ein wenig mit der Hand über die Schulter. Vermutlich wollte er die Geste wiederholen, die ich vorhin bei ihm getan hatte. „Es ist wirklich nur eine Metapher, eine schreckliche Angewohnheit von mir. Dämonen gibt es doch gar nicht, die sind nur reine Erfindung.“ Sein Tonfall war nicht sonderlich überzeugend, doch ich nickte trotzdem langsam und höflich. „Ich weiß, dass es keine Dämonen gibt, das sind Fantasiewesen“, sagte ich genauso langsam und hoffte, ich käme überzeugend rüber. Andy nickte aufgeregt und überließ es nun Sam, weitere Erklärungen zu tätigen. Oder er war einfach schneller. „Nun, was Andy damit meinte, das waren keine echten Dämonen, sondern einfach nur sehr schlechte Menschen. Du musst wissen, Ellen besitzt eine Bar und als eine weibliche Unternehmerin hat sie oft einfach sehr schwer. Irgendwann vor kurzem haben sich Menschen Dämonenmasken angezogen und haben ihren Laden mehrfach beschädigt. Sie wusste nicht mehr weiter und hat uns dann gebeten, ihr beim Vertreiben dieser „Dämonen“ zu helfen. Aber es waren echte Menschen und die sind weit weg. Wenn wir also bei Ellen ankommen, musst du keine Angst haben. Wenn es dich beruhigt, kann ich neben deinem Bett sitzen bleiben, bis du eingeschlafen bist, damit du keine Albträume bekommst“, sagte Sam und ich wiederholte mein Nicken von vorher. Niemand hätte Andy seine komische Geschichte abgenommen, selbst, wenn ich keine Ahnung gehabt hätte, wäre sie mir seltsam vorkommen. Sam musste das auch bewusst sein, aber er musste nun mit dem arbeiten, was er hatte. „Danke, ich denke, das wäre sehr nett“, sagte ich und bemühte mich um ein Lächeln. Wie immer fiel es mir schwer, wenn es nicht von alleine passierte. Dennoch tat ich so, als wäre ich mit der Erklärung zufrieden und Sam schien es mir anzumerken. Nach einem sanften Zwinkern, das noch mir galt, drehte er sich nach vorne um. Doch so recht wusste keiner, ob und was er noch sagen sollte und hing seinen Gedanken nach. Was das wohl für Dämonen waren, die die beiden bedroht haben? Da mir nichts weiter übrigblieb, dachte ich während der weiteren Fahrt über sämtliche Dämonen nach, die ich kannte und überlegte mir, welche von ihnen es gewesen sein könnte. Gleichzeitig blickte ich aus dem Fenster, ohne etwas von dem, was ich draußen sah, wirklich wahrzunehmen. Alles, was ich bemerkte, war die leise Musik aus dem Kassettenspieler und die üblichen Fahrgeräusche des Impalas. Abgesehen davon herrschte eine merkwürdige Stille. Kapitel 5: Nichts als Ausreden und Lügen ---------------------------------------- Stille, leise Rockmusik, die Fahrgeräusche des Impalas und meine eigenen Gedanken, das war alles, was ich in den letzten Stunden zu hören bekommen hatte. Und es würde sich vermutlich in der nahen Zukunft auch nicht mehr ändern. Mittlerweile war viel Zeit vergangen und außerhalb unseres Autos wurde es immer dunkler. Weder Sam noch Dean hatten etwas von einer Übernachtung erwähnt, nicht gesagt, dass wir ins nächstbeste Motel oder überhaupt zu irgendeiner Absteige fahren würden. Andy hatte ebenfalls nichts dazu gesagt und da ich eher nur zufälliger Ballast war, hielt es nicht für richtig, nach derartigen Dingen zu fragen. Vermutlich würden wir dann auf irgendeinem menschenleeren Parkplatz oder in irgendeinem Wald übernachten. Irgendwo abseits, wo uns niemand so schnell finden würde, egal ob geplant oder zufällig. Langsam begann ich auch, mich ein wenig zu langweilen und wünschte mir, ich hätte irgendwas zu lesen. Oder etwas anderes, mit dem ich mich hätte beschäftigen können. Doch das war leider nicht gegeben, nur mich und meine Gedanken. Nur gingen diese langsam nicht mehr nur im Kreis, sondern in mehreren Kreisverkehren und das war mir dann doch zu öde. Zwar hatte ich versucht mir zu überlegen, welche Dämonen hinter Andy her sein könnten, doch auch auf diese Frage hatte ich keine Antwort gefunden. Es könnte ein Dämon sein, den ich kenne, aber auch ein unbekannter. Und ich kannte auch das Motiv nicht. Die größte Wahrscheinlichkeit, die ich für den Augenblick sah, dass Andy einen Deal mit einem Kreuzungsdämonen gemacht hatte und dieser nun Andys Seele weit vor dem eigentlichen Ablaufdatum in zehn Jahren holen wollte. Oder war der Deal bereits zehn Jahre alt? Innerlich seufzte ich. Überlegungen konnte ich zig anstellen, doch ohne weitere Infos blieben es am Ende nur Vermutungen, die mich nicht weiterbrachten. Daher beschloss ich, mich anderen Gedanken zu widmen, die ich in meinem Kopf noch nicht durchgekaut hatte. Doch ich kam nicht dazu, mich gedanklich in ein anderes Thema durchzukämpfen, da Sam sich wieder zu uns umdrehte. Als er sprach, sah er abwechselnd mich und Andy an. „Hey, hört mal, das hier ist ja alles gerade sehr spontan und wir wollen wirklich so schnell wie möglich bei Ellen ankommen… einfach, damit euch beiden auch so schnell wie möglich geholfen werden kann“, fügte Sam noch hastig hinzu, damit ich ja nicht auf die Idee kommen würde, Fragen zu stellen. Fragen, die Sam nur mit weiteren Lügen hätte beantworten können. „Was das nun konkret bedeutet, ist, dass wir die Nacht über durchfahren werden. Keine Angst, wir haben das schon öfters gemacht, Dean und ich werden uns dabei abwechseln, es wird also keiner übermüdet fahren und einen Unfall bauen“, versuchte Sam mich sofort zu beruhigen. Dabei wusste ich gar nicht, was ich dazu fühlen sollte. Mir kamen schon die acht Stunden, die mein Freund und ich nach Köln oder Leipzig fuhren, wie eine Ewigkeit vor. Jetzt waren wir schon seit Stunden in dem Impala unterwegs und jetzt wollten die Jungs auch noch die komplette Nacht hindurchfahren? Ich war mir bewusst, dass die Entfernungen hier in den USA viel größer waren als die bei uns in Europa. Auch, dass die Amis offener dafür waren, große Entfernungen hinter sich zu bringen, da es für sie einfach normaler war. Es fühlte sich für sie natürlicher an. Während wir schon jammerten, wenn etwas 100 Kilometer weit weg war. Mir taten die beiden Jungs leid. „Du und Andy, ihr müsst übrigens nicht die ganze Zeit über wach bleiben, ihr könnt ruhig schlafen. Dean oder ich, je nachdem, wer gerade am Fahren sein wird, wird vermutlich nicht so viel reden, um den Rest von uns nicht zu wecken, daher wird es vermutlich ziemlich öde sein. Und auch anstrengend, ich denke nicht, dass ihr beiden solch lange Fahrten gewohnt seid. Der Impala ist zwar kein Bett, aber ihr könnt mir ruhig glauben, wenn ich sage, dass wir in so manchem Motel viel unbequemer gelegen haben.“ Dean nickte nur ein wenig mit dem Kopf, und wenn ich mir so vorstellte, wie günstig und schäbig so manche Unterkunft von ihnen gewesen war, glaube ich es ihnen auch. Für einen kurzen Moment musste ich an die kleine, schäbige Absteige denken, in der mein Freund und ich vor mehreren Jahren übernächtigt hatten und musste sofort ebenfalls mit dem Kopf schütteln. „Ach, das macht nichts. Ich denke, ich kann es mir hier gemütlich machen. Ich habe es auch mehrmals hinbekommen, dass ich im… Bus eingeschlafen bin“, sagte ich und hoffte, dass Sam meine kurze Gesprächspause nicht weiter auffiel. Fast hätte ich erwähnt, dass ich oft im Zug eingeschlafen wäre, bis mir einfiel, dass Züge in den USA größtenteils nur für den Transport von Waren existierte. Extrem lange Transportzüge, dank denen man schon fast zehn Minuten an einem Bahnübergang warten durfte, bis er einmal komplett an einem vorbeigefahren war. Busse waren hier stärker verbreitet und da ich auch schon in Reisebussen geschlafen hatte, war es keine Lüge. Nur nicht das, was ich zuerst im Sinn hatte. „Und mir würde es auch nichts ausmachen, ich habe auch schon mal unbequemer geschlafen. Alles gut“, sagte Andy und ich war froh, dass er nun einen Teil von Sams Aufmerksamkeit auf sich zog. Dieser lächelte uns an, wohl erleichtert, dass wir ihm das mit der Nachtfahrt nicht übelnahmen. Immerhin hatten sie wohl keine andere Wahl, ich war mir sicher, wenn sie diese hätten, hätten sie ein Bett ebenfalls vorgezogen. „Achja, Dean und ich haben auch noch beschlossen, dass wir natürlich nachher nicht mit leerem Magen schlafen sollten“, fügte Sam noch schnell hinzu. Gut, daran hatte ich im Augenblick nicht gedacht, aber er hat schon recht. Spätestens, wenn mir mein Magen in den Kniekehlen gehangen wäre, hätte ich wieder ans Essen gedacht. „Was zum Trinken werden wir aber auch brauchen, es ist ewig her, dass mir was Kühles die Kehle hinuntergerutscht ist“, konnte ich Dean reden hören. Sam warf sofort einen strengen Blick zu seinem Bruder hinüber. „Kein Alkohol heute, du weißt genau warum. Wir müssen uns mit dem Fahren abwechseln und da brauche ich dich nüchtern“, sagte er genauso streng, wie er aussah, was Dean mit einer seltsamen Wischbewegung seiner rechten Hand beantwortete. „Ich weiß, ich weiß, ich dachte auch eher an ein kaltes Cola“, sagte er grummelnd und ich wurde das Gefühl nicht los, dass er eigentlich an Bier gedacht hatte. Aber Sam hatte recht, Alkohol wäre derzeit keine gute Idee. Die Gefahr, dass Dean betrunken fahren müsste oder so tief schlafen würde, dass Sam die ganze Zeit über das Autofahren müsste, war einfach zu groß. „Gut, dann ist es ja geklärt. Wir fahren einfach zu dem nächstbesten Drive-In und lassen uns dort etwas zu essen geben.“ Dabei sah er wieder zu uns hinüber. „Habt ihr irgendwelche Wünsche? Alles werden wir nicht erfüllen können, aber wenn, dann möchten wir versuchen, dem Wunsch nachzukommen. Normalerweise ist Fast Food nicht mein Ding, aber in der Not isst der Teufel auch Fliegen, nicht wahr?“ Irgendwie kam es mir merkwürdig vor, dass ausgerechnet Sam diesen Vergleich machte, aber er ließ sich nichts anmerken. Gleichzeitig sah ich zu Andy, welcher meinen Blick erwiderte. Dann schüttelte dieser mit dem Kopf. „Ich habe keinen besonderen Wunsch, ich will mir einfach nur was Kleines reinschieben, damit mein Magen wenigstens in der Hinsicht ein bisschen Ruhe gibt“, sagte er und gab damit mir das Blatt weiter. Energisch begann ich zu überlegen. Da ich schon lange nicht mehr in den USA unterwegs war, wollte ich unbedingt eine Kette nehmen, die es bei uns in Deutschland nicht gab. McDonald‘s und Burger King würden damit wegfallen. Gleichzeitig wollte ich auch etwas nehmen, wo es eine gesunder Alternative für Sam geben würde, damit er sich nicht in die gleiche Fast Food Hölle wie sein Bruder stürzen musste. Sofort musste ich an Taco Bell denken, doch der Gedanke, nicht an einem Tisch, sondern im Auto sitzend Nachos mit Käse zu essen, verschob die erste Idee wieder. Dann nannte ich einfach die zweite Idee, die mir in den Sinn kam. „Öhm, ich war schon lange nicht mehr bei Wendy’s, die haben eigentlich auch immer gutes Zeugs, also wenn ihr zu einem kommen würdet, das wäre cool. Also, wenn einer auf dem Weg liegen sollte“, fügte ich noch schnell hinzu. Deans Reaktion konnte ich dank des Rückspiegels nur so semi sehen, Sam dagegen war total in meiner Sichtweite. Und er schien mit der Idee einverstanden zu sein. „Wendy’s also…“, sagte er, als würde er bereits geistig das Menü der Kette durchgehen. „Soweit ich weiß, haben die bei Wendy’s auch den einen oder anderen Salat. Früher hatte ich hier und da mal einen, wenn Dean mich mal wieder zum Essen eingeladen hat“, sagte Sam und ich konnte seine Erleichterung quasi heraushören. „Gut, dann fahren wir zum nächstbesten Wendy’s und versorgen uns dort mit Essen und Trinken. Ihr müsst euch übrigens nicht zurückhalten, wir haben eine lange Nacht vor uns und werden jede Energiequelle brauchen, die wir bekommen können. Also wenn ihr Hunger habt, schlagt ruhig ordentlich zu.“ Ich, die gedanklich bereits überlegte, was sie sich alles bestellen könnte, aber so gut wie keine Erinnerung mehr an das Menu hatte, nickte eifrig. „Danke, das werde ich machen“, sagte ich zu Sam zurück, Andy murmelte nur etwas Unverständliches. Doch Sam war es wohl Antwort genug. So drehte er sich um und begann, sich ein wenig umzusehen, nach einer Filiale oder einem Schild, das uns zu einer Filiale führen würde. Damit war es wohl beschlossene Sache, was unser kurzer Versorgungsstopp sein würde.   Und er wurde auch recht schnell fündig, wie auch Dean selbst. Rasch folgte er den Schildern am Straßenrand, die den Weg zur nächstbesten Filiale zeigten und so hatten wir das Wendy’s recht schnell erreichen können. Neben einem großen Aufsteller, auf welchem man das gesamte Sortiment der Fastfoodkette sehen konnte, blieb Dean stehen. „Wir werden gleich durch den Drive-thru fahren, sucht euch am besten also hier aus, was ihr alles essen möchtet. Keine falsche Bescheidenheit, ihr könnt nehmen, was ihr möchtet“, sagte Sam, kaum, dass er sich zu uns umgedreht hatte. Andy und ich nickten ihm nur zu. Kaum hatten wir unsere Auswahl getroffen (wobei Sam und Andy dabei meine Hilfe brauchten, da sie nur die Hälfte der Karte hatten sehen können), fuhr Dean mit raschen Lenkbewegungen zu der kleinen Stelle, an welcher der Mitarbeiter unsere Bestellung aufnehmen würde. „Guten Tag bei Wendy’s, was möchten Sie bestellen?“, konnte ich es blechern aus dem kleinen Lautsprecher hören. Dass man noch heute auf diese vorsintflutartigen Dinger baute, bei denen sich beide Seiten nur schwer verstehen konnten, würde ich nie verstehen. Doch gleichzeitig konnte ich mir vorstellen, warum die Brüder lieber im Auto bleiben wollten. Es ging schneller und wir müssten dazu nicht aussteigen. Es war schnell und effizient. „Ja, hey, einmal einen Avocado Veggie Salat“, fing Dean mit der Bestellung an und ich konnte sein amüsiertes Augenrollen geradezu heraushören. Sam offenbar auch, denn er warf Dean einen kurzen, giftigen Blick zu, behielt aber jeglichen Kommentar für sich. „Dann noch einen Avocado Chicken Club, einen Baconator, nein, mach aus den Baconator lieber drei, eine Dave’s Triple Combo und 20 Chicken Nuggets. Ja, alles mit vier Cola und Eis“, gab Dean den Rest unserer Wünsche auf. Zu unserem Glück befand sich neben der kleinen Sprechbox ein Bildschirm und soweit ich es erkennen konnte, hatte der Mitarbeiter jeden einzelnen Punkt auf unserer Bestellliste richtig verstanden und aufgefasst. Doch als der Mitarbeiter dann schließlich den Preis mitteilte, den Dean nun zahlen musste, kam die Antwort so undeutlich, dass ich den Preis nur erraten konnte. „Fahren Sie vor zu Fenster Nummer Eins“, war das Einzige, was ich noch verstehen konnte, bevor Dean sein Fenster wieder schloss und zu dem erwähnten Punkt weiterfuhr. Wieder warf Sam einen Blick zu seinem Bruder herüber und dieses Mal war es wohl um seine Zurückhaltung geschehen. „Habe ich das richtig verstanden? Hast du dir gerade selbst zwei von diesen Bacon Burgern und noch ein Menü bestellt? Dean, ich weiß, du liebst Fast Food, aber ist das nicht ein bisschen zu viel?“ Dean erwiderte den Blick und sah nun zu seiner rechten Seite, doch wie sein Gesichtsausdruck aussah, konnte ich nur erahnen. Vermutlich grinste er ein wenig. „Ja, lass mich doch. Immer noch besser als das Kaninchenfutter, dass du dir bestellt hast. Denk daran, ich werde die meiste Zeit fahren, ich brauche also jede Energie, die ich brauchen kann. In Bacon steckt sehr viel Energie, das müsstest du wissen“, sagte Dean und drehte seinen Kopf wieder weg, so, als wäre damit alles bereits gesagt worden. Sam dagegen schüttelte den Kopf. Wir warteten etwa zehn Minuten, genau konnte ich es nicht sagen, bis schließlich das kleine Fenster geöffnet wurde und ein Mitarbeiter die ersten Tüten herausreichte. Dean gab ihm dafür seine Kreditkarte und nach wenigen Minuten waren wir bereits wieder auf der Straße, unterwegs zu einem Ziel, das ich als Einzige nicht kannte. Oder zumindest nicht genau wusste, wo sich dieses befand. Zumindest hatte es mich bisher noch nie wirklich interessiert, in welchem Bundesstaat Ellens Bar genau stand. Nachdem Sam mir meinen Baconator und Andy seinen Avocado Chicken Club zusammen mit zwei Getränkebechern gereicht hatte, aß er zufrieden seinen Salat. Dean dagegen grub seine Zähne in den ersten Baconator, den Sam ihm gegeben hatte. Sofort konnten wir zufriedene Geräusche von unserem Fahrer hören. Doch auch mir schmeckte die Kombination aus Hamburger und Bacon ziemlich gut. Während sich jeder auf sein eigenes Essen konzentrierte und seinen eigenen Gedanken nachging, sah ich wieder aus dem Fenster. Doch auch die Gegend, die ich sah, sagte mir nichts. Langsam verließen wir den Ort, den wir durchfahren hatten und es wurde etwas ländlicher. Ländlich, so wie ich die USA bereits kannte. Hier und da ein paar Wälder, die ich sehen konnte und ein paar Pferde, die in einem abgezäunten Bereich ihre Beine ausstrecken konnten. Doch neben irgendwelchen Leitungen, Telefon oder Strom, gab es nicht viel zu sehen. Das größte Highlight waren die einzelnen Häuser von Menschen, die es vorzogen, zum Einkaufen lieber eine Dreiviertelstunde zu fahren, als mal eben zum Supermarkt um die Ecke zu laufen.   Es verging ein wenig Zeit, die Landschaft zog an uns vorbei und irgendwann hatten wir unser Mahl beendet. Während Sam seinen Bruder weiterhin mit Essen versorgte, nicht ohne dabei auf seine wertenden Blicke zu verzichten, waren Andy und ich auf uns alleine gestellt. Die benutzten Tüten und Packungen hatten wir zusammengetan und als kleinen Müllhaufen zwischen uns abgelegt. Jetzt war ich zwar wohlgenährt und glücklich, aber gleichzeitig auch wieder ohne irgendeine Beschäftigung, die mich hätte ablenken können. Lange musste ich mich aber nicht langweilen, denn während ich versuchte einen Gedanken zu finden, den ich nicht schon bereits im Laufe des Tages zerdacht hatte, spürte ich ein Tippen auf meiner Schulter. Ich sah zu Andy herüber und er lächelte mich an. Es war ein aufrichtiges, kein aufgesetztes, verriet mir mein Gefühl. „Na, hat dir dein Burger geschmeckt?“, fragte er mich, während ich ihn mir näher ansah. Zwar sah er immer noch fertig aus, aber er hatte wieder mehr Farbe im Gesicht als noch vorhin. Und er machte auf mich den Eindruck, als würde er seinen Burger unten behalten können. „Danke, ja, er war sehr lecker. Ich war schon lange nicht mehr bei Wendy’s essen und ich konnte mich auch nicht mehr so genau an den Geschmack erinnern. Aber mein Burger war richtig lecker. Deiner auch?“, fragte ich ihn und er nickte zufrieden als Antwort. „Ja, meiner war auch richtig gut. Um ehrlich zu sein, ich habe noch nie dort gegessen, mich zieht es eher zu Burger King“, sagte er halblaut zu mir, als müsste er sich für seine Wahl des Fast Food Restaurants bei mir rechtfertigen. Was er eigentlich nicht müsste und ich kommentierte das auch nicht in irgendeiner Form. Stattdessen sagte ich ihm: „Ja, ich gehe auch hin und wieder zu Burger King. Oder zum McDonald‘s. Je nachdem, welches Spielzeug es derzeit im Happy Meal gibt“, sagte ich und konnte Andy damit kurz ein Grinsen entlocken. „Du weißt, dass es bei Burger King keine Happy Meals gibt, oder?“, sagte er leicht amüsiert, woraufhin ich nun ebenfalls zu grinsen anfing. „Ich weiß, ich weiß, aber ich kann mir nie merken, wie es bei Burger King heißt. Bei mir ist das alles einfach ein Happy Meal.“ Andy konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. „Bei Burger King heißt es King Jr. Meal, was du meinst“, klärte Andy mich auch und es war in meinen Augen eine liebe Geste, aber auch eine sinnlose. Denn ich wusste, spätestens in einer Stunde hatte ich den Namen wieder vergessen. Es entstand eine kurze Pause, eine kleine, die es uns beiden erlaubte, unsere Gedanken zu sammeln und uns ein neues Gesprächsthema zu überlegen. Doch während ich noch damit beschäftigt war zu überlegen, ob und worüber wir als nächstes reden könnten, war Andy erneut schneller als ich. „Weißt du, besonders als Teenager bin ich oft zu Burger King gegangen, das war immer ein beliebter Treffpunkt von mir und meinen Freunden damals“, begann Andy zu erzählen und ich sah zu ihm herüber. Zum einen, um ihm zu zeigen, dass ich aufmerksam zuhörte und zum anderen, weil es mich wirklich interessierte, was er mir sagen wollte. „Danach ist es weniger geworden, weil unsere Gruppe auseinandergebrochen ist. Teenagerdrama, du verstehst“, sagte er und ich nickte stumm, dabei verstand ich überhaupt nicht, was er damit meinte. Doch ich wollte ihn jetzt nicht durch eine dumme Frage unterbrechen. „Weißt du, ich hatte dann auch irgendwann die Nase voll von dem Drama und bin dann umgezogen. Habe mir einen Job gesucht, ging meinen Hobbys nach und habe mir hier und da ein bisschen angespart. Das übliche halt, verstehst du? Normales 08/15 Leben eben, nichts besonders Aufregendes. Naja, ich wollte aber mal wieder was anderes sehen und habe dann vor kurzem beschlossen, ein weiteres Mal umzuziehen, vielleicht in eine wärmere Gegend, ich hab‘s nicht so mit der Kälte, musst du wissen.“ Wieder nickte ich ihm zu. Zwar hatte ich keine Ahnung, wie viel von dem, was er mir da erzählt hatte, wahr war und was nur ein Produkt seiner Fantasie, aber das war mir für den Moment auch eigentlich egal. Er war offen zu mir und das war alles, was zählte. Dass weder er noch ich noch überhaupt hier jemand ehrlich sein würde, was die persönliche Biografie anging, war mir schon die ganze Zeit über bewusst. Ihn also für etwas verurteilen, was ich genauso machen würde, käme mir falsch vor. Dennoch brachte es mich zum Nachdenken. Vermutlich kennt er die beiden Brüder noch nicht so lange…. Immerhin meinte er, er hätte das mit dem Umzug vor kurzem beschlossen. Was, wenn es kein Umzug war und er eigentlich meinte, er hätte vor kurzem mit der Flucht beginnen müssen? Würde jedenfalls mehr Sinn ergeben… wow, wenn ich die Umstände hier nicht besser kennen würde, hätte ich es ihm viel eher abgenommen. Aber ich sollte mir nichts anmerken lassen. Besser wäre es. So beschloss ich zu tun, als würde ich ihm jedes Wort abkaufen und nickte nur hier und da, als er weitererzählte. „So bin ich auch auf die Jungs aufmerksam geworden, als ich nach Hilfe für Umzugshelfer gesucht habe. Denn ich hatte nicht viele Leute, die mir hätten helfen können und die beiden wollten nur einen Kasten Bier und ein bisschen Essen haben. Naja, es wäre zumindest alles glatt gelaufen, wenn diese eine blöde Sache nicht passiert wäre. In die ich dich auch noch verstrickt habe, was mir wirklich leidtut“, sagte er und das war das Einzige aus seiner Erzählung, das ich ihm sofort glaubte. Immerhin war ich in seinen Augen eine normale, junge Frau, die die dunkle Seiten der Welt nicht kannte. Nicht wusste, dass es sämtliche Monster wirklich gab. Dass es in Wirklichkeit ganz anders aussah, konnte er ja nicht ahnen. „Das kann ich mir vorstellen, dass du um jede Hilfe dankbar bist. Ich bin auch vor ein paar Jahren umgezogen und konnte auch jede helfende Hand gebrauchen, die ich bekommen konnte“, sagte ich und begann ein paar kleine, oberflächliche Einzelheiten von meinem letzten Umzug zu erzählen. Unverfängliche Dinge, mit denen er nichts hätte anfangen können. Und obwohl sie mehr oder weniger der Wahrheit entsprachen, konnte ich mir vorstellen, dass Andy meinen Worten genauso wenig Glauben schenkte, wie ich es zuvor mit den seinen getan hatte. Doch auch er versuchte sich dies so gut es ging nicht anzumerken und hörte nur geduldig zu. Schließlich wechselten wir immer mal wieder das Thema, bis wir zum Reden viel zu müde waren. „Lass uns ein bisschen schlafen, denke mal, das würde uns ganz guttun, immerhin haben wir einen langen Tag vor uns“, sagte Andy und streckte sich, soweit er es jedenfalls konnte. Müde rieb ich mir den Schlaf aus den Augen. „Ja, das ist eine gute Idee“, sagte ich und wünschte Andy eine gute Nacht. Der erwiderte es und so drehte ich mich wieder von ihm weg. Zwar hatte ich keinen Rucksack, den ich an mich kuscheln konnte, allerdings eine Plastiktasche mit all meinem derzeitigen Hab und Gut darin. Welche sich dummerweise im Kofferraum des Impala befand. Kurz über diesen Fehler schnaubend lehnte ich mich im Sitz zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte an nichts zu denken. Der Müdigkeit sei Dank war ich dann doch schneller eingeschlafen, als ich es überhaupt aktiv mitbekam.   Offenbar hatte mein Körper den Schlaf gebraucht und ihn sich auch genommen, denn als ich das nächste Mal die Augen öffnete, war draußen bereits der Morgen angebrochen. Irgendwo zog sich die Sonne über den Erdenrand und ich konnte einzelne Vögel sehen, die bereits auf der Suche nach dem sprichwörtlichen Wurm waren. Irritiert, da ich mich erst noch in der Welt zurechtfinden musste, blickte ich mich im Auto umher. Offenbar hatten irgendwann, nachdem ich eingeschlafen war, die Brüder ihre Positionen miteinander getauscht, denn jetzt war es Sam, der sich am Steuer des Impala befand. Auch konnte ich sehen, wie Dean sich regte und seine Augen rieb, bevor er einen herzhaften Gähner von sich gab. „Heb dir die Hand vor dem Mund, ich kann deine letzten Mahlzeiten noch sehen“, mahnte Sam ihn, ohne seinen Blick von der Straße zu nehmen. Doch Dean schien noch nicht richtig wach zu sein, denn er murmelte nur ein kurzes, müdes „Ja ja, Mama“ vor sich hin. Anscheinend war die Fahrablösung noch nicht so lange her. Vermutlich hatte Sam seinen Bruder mehrere Stunden lang bedrängt, bis Dean sich schließlich doch hatte überreden lassen. Es hatte Sam sicherlich viele Worte und Nerven gekostet, das zu tun. Da die beiden nicht weitersprachen, blickte ich zu Andy hinüber, doch dieser befand sich noch mitten im Tiefschlaf. Dort wollte ich ihn lieber noch ein bisschen schlafen lassen und sah dafür aus meinem eigenen Fenster hinaus. Sehr viel gab es nicht zu sehen, nur ein Gebäude, welches Sam mit einem ruhigen Tempo anfuhr. Es schien ein Holzhaus zu sein, doch mehr konnte ich von meiner Position nicht zu erkennen. Direkt vor der Tür des Hauses brachte Sam das Auto zum Stehen. Kaum hatte Sam das getan, sahen beide Brüder durch die Windschutzscheibe ins Freie und blickten sich beim Gebäude vor ihnen um. Auch ich versuchte irgendwas zu erkennen, auch wenn ich nicht wusste, was ich suchen sollte. Schließlich klärten mich die beiden unbewusst darüber auf. „Schau doch mal, Dean, da drüben, bei dem Fenster ganz links, brennt ein Licht. Offenbar ist doch jemand hier“, sagte Sam, was mich dazu brachte, seitlich in beide Richtungen aus dem Fenster zu sehen. Doch ja, unser Impala war das einzige Fahrzeug, welches sich hier auf dem Parkplatz befand. Was mir ein wenig merkwürdig vorkam, doch so richtig wollte und konnte ich nicht darüber nachdenken. Dazu war ich dann doch ein wenig zu müde. „Gut, dann rufe ich kurz Ellen an, damit sie keinen Schrecken bekommt, weil wir so früh schon hier bei ihr auf der Matte stehen“, sagte Sam und hatte auch schon sein Handy gezückt. Zwar würde Ellen uns erwarten, immerhin hatten die beiden schon am Vortag telefoniert, aber sie hatte bestimmt nicht so früh mit den beiden gerechnet. Zumindest erklärte sich mein halbmüder Verstand dies so. Und so viel wollte ich nun auch nicht darüber nachdenken. „Hey, Ellen? Überrascht? Wir haben es doch noch heute hierher geschafft… ja, wir stehen vor deiner Tür. Dean wollte unbedingt die Nacht über durchfahren, du weißt, wie dickköpfig er sein kann…“, konnte ich Sam hören, wie er locker mit Ellen am Telefon plauderte. Offenbar hatte sie nicht ganz so früh mit uns gerechnet, mit meiner Vermutung hatte ich also richtig gelegen. „Lässt du uns bitte rein? Das wäre wirklich sehr nett von dir, danke“, sagte Sam, hörte Ellen noch ein paar Sekunden lang zu, bevor er sich von ihr verabschiedete und das Handy wieder herunternahm. Dann drehte er sich zu uns um. „Kira, kannst du bitte Andy aufwecken?“, fragte er mich, nachdem er einen ersten Blick auf uns beide geworfen hatte. Mangels Worte, die ich wegen meiner verbliebenen Müdigkeit kaum über die Lippen brachte, nickte ihm nur zu, doch kaum lag meine Hand auf Andys Schulter, war dieser sofort wach. Kurz hatte ich den Gedanken, dass Andy eigentlich schon längst wach war und nur so getan hatte, als würde er noch schlafen, doch den Gedanken schob ich zur Seite. Wenn, dann war es allein seine Sache und ging mich auch nichts an. „Danke fürs Aufwecken“, murmelte er vor sich hin, während ich wieder auf meinen Sitzplatz zurückrutschte. „Sind wir mittlerweile angekommen? Hab gar nicht gemerkt, dass ich eingeschlafen war.“ „Doch, das sind wir beide. Und es hat dir wohl echt gutgetan“, sagte ich zu Andy, und sah ihm ins Gesicht. Dieses hatte im Gegensatz zum Vortag wieder viel mehr Farbe. Natürlich war es nur ein temporärer Zustand, doch immer noch besser, als würde er ständig nur in Angst und Schrecken leben. Zumal er das auf Dauer nicht aufrechterhalten könnte, ohne sich dabei selbst zu schaden. „Ja, das hat es wohl, da hast du recht“, entgegnete Andy und lächelte mich an. Im Gegensatz zu seinem Aufwachen wenige Augenblicke zuvor fühlte sich das hier real, echt an. So gut ich es konnte, erwiderte ich das Lächeln. „Nehmt am besten alles mit, auch eure Schmutzwäsche, ich bin mir sicher, Ellen ist so lieb und lässt uns ihre Waschküche benutzen“, sagte Sam mit einem Zwinkern, bevor sich wieder umdrehte und die Autotür aufmachte. Wir drei taten es ihm nach und wenige Sekunden später standen wir alle neben dem Impala. Während die drei Männer eine kleine Tasche oder Sporttasche mit sich trugen, hatte ich nur meine Plastiktüte in der Hand. Vielleicht konnte ich Ellen nach einer alten, leicht beschädigten Tasche oder was in der Richtung fragen. Eine, die sie sowieso weggeworfen hätte. Denn eine abkaufen könnte ich ihr nicht, das war mir bewusst.   Kaum hatten wir dem Impala den Rücken zugekehrt, hatte Ellen in der Zwischenzeit die Tür geöffnet und gewährte uns einen kleinen Einblick in das Innere des hölzernen Hauses. Welches ich auch mittlerweile besser erkennen konnte. Zwar hatte ich es lange nicht mehr gesehen, aber tief in meinem Gedächtnis konnte ich mich noch leicht an das Aussehen des Gebäudes erinnern. Ja, das vor mir war die Jägerbar, in der auch Sam und Dean hin und wieder abhingen. „Sam, Dean, dass ihr so schnell hier seid, hat mich wirklich überrascht. Gleichzeitig auch nicht. Schön, euch beide wieder zu sehen“, sagte sie, kaum hatten wir das Haus betreten. Kaum hatte Ellen die Tür hinter uns wieder abgesperrt, nahm sie erst Dean, dann Sam in eine kurze Umarmung. Nur um daraufhin gestenreich mit ihrer Hand vor der Nase zu wedeln. „Nun, offenbar habt ihr die Dusche auch schon länger nicht mehr gesehen. Ihr riecht beide nach totem Iltis“, sagte Ellen leicht amüsiert und ich wusste nicht, inwiefern sie das ernst meinte oder nicht. Sofort begannen die beiden Winchesters an sich zu schnuppern, um den Wahrheitsgehalt von Ellens Aussage zu überprüfen. Diese jedoch wandte sich sofort an den dritten Mann in der Runde. „Achja, Andy, wir haben uns auch schon länger nicht mehr gesehen. Lass dich drücken… wow, du musst wirklich auf deine Ernährung achten, ich kann deine Rippen deutlicher spüren, als mir lieb ist“, sagte sie, nachdem auch Andy in den Genuss einer Umarmung gekommen war. „Naja, du weißt schon, die Umstände“, versuchte Andy sich zu erklären, ohne gleichzeitig etwas zu verraten, was nicht für meine kleinen Ohren bestimmt war. Am Ende war nur noch ich übrig, ich wer die einzige, der Ellen noch nicht ihre Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Und obwohl ich sie aus der Serie kannte, kam sie mir doch wie eine Fremde vor. Ein merkwürdiges Gefühl, das ich nicht benennen konnte. Als Ellens Blick auf mich fiel, sah sie mich irritiert an. Logisch, immerhin kannte sie mich nicht und konnte mich auch nicht so recht einordnen. Fragend sah sie mich an, vermutlich versuchte sie herauszufinden, warum ich die beiden Brüder und Andy begleitete. Doch bevor sie etwas dazu sagen konnte, kam Sam ihr zuvor. „Das ist eine alte Schulkameradin von uns, sie ging mit mir früher in eine Klasse. Als wir mal für vier Wochen in Texas waren, in dieser komischen Grundschule. Wir haben sie getroffen und sie scheint wohl ein paar private Probleme zu haben, da konnte ich sie nicht einfach stehen lassen. Sobald sie alles geklärt hat, trennen sich unsere Wege wieder. Wir waren als Kinder sehr gut befreundet, aber der … Montagejob meines Vaters hatte dann wieder dafür gesorgt, dass wir umgezogen sind und so haben wir uns aus den Augen verloren. Sorry, ich hab leider irgendwann den Comic verloren, den du mir mal geborgt hast“, sagte Sam nun in meine Richtung hinüber und ich begann langsam mit dem Kopf zu schütteln. „Schon in Ordnung, ich habe den Comic eh irgendwann nicht mehr vermisst“, sagte ich, obwohl ich keine Ahnung hatte, was er damit meinte. Einfach mitspielen, nicken und mitspielen, lautete die Devise der aktuellen Stunde. Ellen sah uns mit hochgezogenen Augenbrauen an, und ich konnte nicht sagen, ob sie Sams Ausrede glaubte oder nicht. Vermutlich war es auch für sie noch zu früh am Tag, vermutlich hatte sie ihre erste Tasse Kaffee noch nicht intus, denn sie ging nicht näher darauf ein. Zwar war es möglich, dass Sam irgendwann mal für ein paar Wochen auf einer texanischen Schule war. Aber dass er eine Person, die er nur für eine kurze Zeit gesehen hatte, nach zig Jahren wiedererkannt hätte, das war in meinen Augen doch etwas unglaubwürdig. Doch eine andere Alternative wusste ich auch nicht. „Wie auch immer, wenn Sam dich kennt und das in einem positiven Kontext, dann bist du jederzeit unter meinem Dach willkommen. Folgt mir, ich habe zufällig ein paar Zimmer frei, derzeit ist mein Haus nicht so stark besucht“, sagte sie und lotste uns zu den Gästezimmern. Eins wurde mir allein zugewiesen, vermutlich, weil ich die einzige Frau in dem gemischten Quartett war. Andy bekam das Zimmer direkt neben mir, er hatte also eine Wandlung vom Unterstands-Bruder zum Zimmernachbar durchgemacht. Die dritte Tür, die wir passierten, gehörte zu einem Raum mit zwei Betten und es war mehr als offensichtlich, wem dieses Zimmer nun für eine mir unbekannte Zeit über gehören würde. „Jedes Zimmer hat ein eigenes Badezimmer und einen Fernseher mit Kabelanschluss, falls einem von euch mal langweilig werden sollte. WLAN-Passwörter stehen auf den Bierdeckeln und in den Nachtischkästchen findet ihr Akkukabel für eure Handys, falls das nötig sein sollte. Ihr glaubt nicht, wie viele Leute ihre Akkukabel hier liegen lassen“, sagte Ellen und ich glaubte es ihr aufs Wort. „Nachher mache ich dann mal ein ordentliches Frühstück, so wie ich Dean kenne, habt ihr in der letzten Zeit bestimmt nichts anderes als Fastfood und noch mehr Fastfood gesehen“, sagte Ellen, woraufhin sich Dean mehr als ertappt fühlte. Der bestätigende Blick auf Sams Gesicht war Ellen Antwort genug. „Aber vorher könnt ihr euch gerne eure Zimmer ansehen und dort noch ein wenig ausruhen. Eventuell auch ein wenig frischmachen, ohne euch nahetreten zu wollen“, sagte Ellen, eher an mich und Andy gerichtet. Vermutlich wollte sie uns nicht als stinkende Iltisse bezeichnen, wie sie es mit den Brüdern gemacht hatte, sondern es uns freundlich durch die Blume sagen. Wobei sie auch nicht ganz unrecht hatte. „Sag mal, können wir auch…“, fing Sam an, doch Ellen unterbrach ihn flott. „Natürlich steht euch meine Waschküche zur Verfügung, aber … nein, besser, ich stelle euch nachher einen Wäschekorb hier hin und ihr werft mir alles, was ich waschen soll, dort rein. Keine falsche Scheu, weder meine Waschmaschine noch mein Trockner sind kleine Geräte, da passt schon was rein“, sagte sie und klang so, als wären wir Heimkinder und sie unsere Erzieherin. „Danke, ja, genau das wollte ich dich fragen“, sagte Sam, erleichtert, dass er das Thema doch leichter hatte über die Bühne bringen können wie zuvor noch befürchtet. „Aber ich werde dich dann noch etwas anderes fragen müssen, Kira wird eventuell noch frische Wechselsachen brauchen“, sagte er und erst jetzt fiel mir auf, dass ich Ellen gegenüber noch nicht namentlich vorgestellt worden war. Doch man musste schon ziemlich gehirntot sein, um nicht zu erkennen, wen Sam mit dem Namen meinte. Ellen musterte mich kurz, dann nickte sie ein wenig. „Das lässt sich machen, darüber mach dir keine Sorgen. Wenn du möchtest, kann ich dir auch gerne die Haare machen, mit ein paar Strähnen …und du brauchst vielleicht ein anderes T-Shirt. Das sieht zu sehr nach Dean aus“, sagte sie und schien sich wohl bereits ein paar Gedanken zu machen. Zwar vermutete ich, dass Ellen mich weiblicher aussehen lassen wollte, als ich mich eigentlich fühlte, aber ich spürte dahinter nur eine nett gemeinte Absicht und beschloss, sie einfach mal machen zu lassen. Hinterher konnte ich es ja immer noch umändern. Auch war ich mir sicher, dass Ellen es sich nicht so zu Herzen nehmen würde, wenn ich mit der einen oder anderen Änderung nicht einverstanden wäre. „Gut, dann werde ich das Angebot annehmen, und mich ein wenig zurückziehen. Ich hab noch was zum Wechseln“, ließ Andy uns wissen, bevor er sein Zimmer betrat und die Tür hinter sich zumachte. Unsicher, aber auch mit dem Bedürfnis eine Dusche zu benutzen, drehte ich mich zu meinem eigenen Zimmer um. „Denke, ich werde mich auch noch ein wenig ausruhen und gleich duschen gehen. Wäre doch mal besser“, sagte ich, um nicht zu wortkarg zu verabschieden. „Mach das! Im Bad hängt noch ein Bademantel, den kannst du nutzen, bis ich dir ein wenig Wechselwäsche herausgesucht habe“, sagte Ellen freundlich, wofür ich mich bei ihr höflich bedankte. „Nichts zu danken, immerhin bist du bei mir Gast“, erwiderte Ellen wieder in einem mütterlichen Ton und damit schien wohl alles gesagt zu sein. Dann wand sie sich ihren letzten Gästen, den beiden Brüdern zu und irgendwie schienen sie meine Anwesenheit für einen kurzen Moment zu vergessen. Zumindest glaubte ich es, denn Ellen fing wieder mit ihrer belehrenden „Ihr riecht wie Iltis! Wascht euch!“ – Rede an. „Das können wir gerne machen, nur zu gerne“, sagte Sam, bevor sein Ton ernster wurde. Während ich mit der Türklinke in der Hand bereits in meinem Zimmer stand und eigentlich wissen wollte, wie die Iltis-Geschichte ausging, wurde es dort draußen wohl etwas weniger spaßig. „Aber vorher möchten wir noch etwas wichtiges mit dir besprechen. Am besten im Schankraum, ist das möglich? Weil das Andy und Kira jetzt nicht unbedingt mitbekommen müssen“, sagte Sam nicht leise genug, offenbar dachten sie, ich hätte meine Tür verschlossen. Doch dabei war sie nur angelehnt und ich stand dahinter, lauschte jedem Wort, das sie dort miteinander teilten. „Hm, ja, das sehe ich ein. Aber danach ab sofort unter die Dusche … will jemand von euch Kaffee? Dann koche ich schnell einen und ihr könnt euch schon mal in den Schankraum setzen“, schlug Ellen vor. Der Vorschlag schien wohl auf Begeisterung zu stoßen, denn das Einzige, was ich jetzt noch hören konnte, waren mehrere Schritte, die sich erst entfernten und dann gar nicht mehr aus meiner Position her zu hören waren. Ich nutzte die Gelegenheit, dass sie mich nun ebenfalls nicht mehr hören konnten, schloss aber dennoch die Tür so leise wie es mir möglich war. Kurz überlegte ich, ob ich ihnen folgen sollte, denn ein bisschen würde es mich schon interessieren, was die Jungs Ellen zu erzählen hatten. Doch auf der anderen Seite … ich war nie gut im Verstecken und Lauschen, die meiste Zeit hatte ich das eher in Fortnite gemacht. Mich irgendwo versteckt und gelauscht, während irgendwelche Gegner geräuschvoll im Haus herumgelaufen waren. Aber sonst, ich echten Leben traute ich es mir nicht zu. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob ich ein Versteck finden würde, in dem ich genug hören könnte. Es würde mich in ziemliche Erklärungsnot bringen, wenn sie mich dabei erwischen sollten. Daher beschloss ich, in meinem Zimmer zu bleiben und mich ein wenig frisch zu machen.   Während ich mir Gedanken machte, was für Klamotten mir Ellen wohl geben würde, sah ich mich in dem Zimmer um, welches ich soeben betreten hatte. Doch es gab nicht viel zu sehen, außer einem Bett mit Nachtkästchen, einem Tisch mit Stuhl, einem Fernseher und einer 08/15 Wanduhr. Lediglich die ganzen Dekorationen an den Wänden, die vielen kleinen Figuren und Pflanzen, die hier und da verteilt standen, füllten den Raum mit so etwas wie Leben. Offenbar war es ein Raum, in dem man sich nicht oft und lange aufhalten wollte. Oder gar sollte. So genau konnte ich es nicht beurteilen. Spontan setzte ich mich auf das Bett, legte meine Plastiktüte neben mir ab und ließ meine Hand über die Decke fahren. Sie fühlte sich fest, aber auch warm an. Vermutlich würde ich heute Nacht ziemlich gemütlich schlafen können, sobald ich mein Problem mit dem Einschlafen überwunden hatte. Die letzten Nächte war ich ziemlich erschöpft gewesen, doch wie es nach dem heutigen Tag aussehen würde, das konnte ich noch nicht sagen. Eine kurze Weile blieb ich darauf sitzen, dann beschloss ich, nicht länger auf Ellen zu warten. Zur Not würde ich mich mit dem Bademantel abdecken, bis ich neue Kleidung haben würde. So führte mich mein nächster Weg ins Bad, in welchem ich mehr als positiv überrascht wurde. Dort befand sich nicht nur sämtliche Duschausstattung, vieles, was man im Bad benötigte, sondern auch kleine Extras. Ich konnte einen Föhn sehen, mehrere Flaschen, bei welchen es sich wohl um verschiedene Arten von Shampoo, Duschgel und Konsorten handeln sollte. Und an der anderen Seite der Badtür hing ein Bademantel, in einem zarten Pastellorange. Er fühlte sich sehr weich an, als ich ihn mit meinen Fingern berührte. „Ja, das tut es auch“, sagte ich leise vor mich hin, während ich den Bademantel betrachtete. Dass man das Badezimmer verschließen konnte, nahm ich positiv zur Kenntnis und tat das dann auch gleich. Kaum hatte ich den Drehverschluss umgelegt, drehte ich mich um und begann, mich aus meinen Klamotten zu schälen. Obwohl sie alle gewaschen werden würden, versuchte ich alles so gut es ging zusammenzulegen. Immerhin war ich hier zu Gast und wollte mich von der besten Seite zeigen, so gut es mir jedenfalls gelingen würde. „Gut, mal sehen, was wir hier so alles haben“, sagte ich wieder leise vor mich hin und wollte gerade nach der ersten Duschgel Flasche greifen, die sich vor mir befand, als sich jemand aus dem Nichts einmischte. Eine weibliche Stimme, die ich bisher nur einmal in meinem Leben gehört hatte. Eine Stimme, die sich recht schnell in mein Gedächtnis hineingebrannt hatte. Und die nun wieder zu mir flüsterte. „Ich an deiner Stelle würde nicht zu diesem Duschgel greifen, es sei denn, du willst wie ein männlicher Trucker riechen“, gab mir die Stimme einen Tipp und ich konnte nicht anders, als verlegen zu grinsen. „Naja, das würde mich jetzt nicht stören, im Gegenteil, ich denke, dass Zedernholz und Eiche auch eine gute Geruchskombination sein kann. Selbst wenn ich dann wie ein männlicher Trucker rieche, ich glaube, da gibt es schlimmeres.“ So recht wusste ich nicht, wie ich über die spontane Situationsänderung denken sollte. Auf der einen Seite hatte ich das Gefühl, mich dafür verteidigen zu müssen, gleich mal aus Gewohnheit das Männerduschgel angepeilt zu haben; auf der anderen Seite fand ich die Stimme aus dem Nichts unheimlich. Doch nach ein paar Sekunden, die mein Hirn zum Registrieren brauchte, kam noch eine dritte Emotion hinzu. „Hey, warte mal! Wegen dir denken die Brüder jetzt, dass ich Schizophrenie habe oder sonst irgendein geistiges Leiden! Dabei bin ich physisch gesund oder zumindest nicht labil“, sagte ich und wartete ein paar Sekunden lang auf eine Rückantwort. Gleichzeitig sah ich mich langsam in alle Richtungen um, doch ich konnte niemanden sehen. „Wie auch immer, es ist echt nicht nett, dass du mich hier ausspannen kannst und ich nicht mal weiß, wer du bist. Zeig dich mir!“, sagte ich und bereute es sofort. Wer weiß, um welches Wesen es sich hier handelte. Zumindest war es kein Mensch, der sich unsichtbar machen konnte, zumindest wäre es komisch, dass er erst in dem Motel und dann zufällig auch hier wäre. Da hätte er vor mir das Bad betreten müssen und wir hatten das Haus erst vor einer gefühlten halben Stunde erreicht. Ich stellte mir vor, dass das seltsame Wesen ihren Kopf schüttelte, sollte sie überhaupt einen solchen besitzen. „Meine Gestalt tut hier nichts zur Sache. Und keine Angst, dein Erscheinungsbild spielt für mich keine Rolle, ob du nun in Kleidung vor mir stehst oder nicht, darauf achte ich nicht. Es ist absolut kein Schamgefühl nötig. Zumal du nicht der erste nackte Anblick bist, den ich habe.“ Mit leicht geröteten Wangen überlegte ich, ob ich mich wegdrehen sollte, doch da ich nicht wusste, ob das überhaupt was bringen würde, nahm ich nur den Bademantel vom Haken und zog ihn mir so schnell wie möglich an. „Gut, wenn du mich nicht ausspannen willst, was sich sowieso nicht so wirklich lohnen würde…“, sagte ich, wofür ich mich selbst kurz innerlich zurechtwies. „Nein, ich meine, es gibt noch schönere Frauen als mich, wo sich das noch mehr lohnt, aber egal. Was willst du von mir?“ Die Stimme schien sich zu sammeln und es dauerte ein paar Sekunden, bis sie mir ihre Antworten flüsterte. Offenbar brauchte sie dafür mehr Geduld, als sie anfangs vermutet hatte. Zumindest hörte sie sich für mich danach an. „Ich bin hier, um dich zu warnen. Erinnere dich an meine Worte. Etwas Dunkles ist auf dem Weg und du solltest diesen Weg auf keinen Fall kreuzen. Hüte dich davor, bringe dich in Sicherheit! Wie ich bereits sagte, du bist nicht sicher.“ Kurz überlegte ich, ob ich die Stimme dazu befragen sollte, doch ich kam nicht dazu, denn sie sprach nun weiter. Und sie klang nun noch ernster dabei als noch wenige Sekunden zuvor. „Dich bedroht eine starke, dunkle Gefahr.“ Wieder eine kurze Pause, in der meine Gedanken zu rasen begannen. Dennoch konnte ich mir noch immer keinen Reim darauf machen. „Hier bist du vorerst sicher, aber die Gefahr sitzt dir bereits im Nacken. Sie ist dir auf der Spur und sie wird dich jagen. Jagen, bis sie dich eingeholt hat. Verstehst du denn nicht? Du scheinst einen sehr aufgeweckten Eindruck zu machen, wie kannst du nicht sehen, was um dich herum passiert? So naiv kann man doch nicht sein, das kann ich mir nicht vorstellen. Verstehst du es nicht? Oder verschließt du mit Absicht deine Augen?“ Langsam kam mir die Stimme etwas emotional vor, doch aus Respekt starrte ich nur die Luft an. Ob ich mit der Gestalt gerade Blickkontakt hatte? Das konnte ich natürlich nicht sagen. Allein schon die Vorstellung, einem unsichtbaren Wesen in die Augen zu starren, fühlte sich unangenehm und schwer an. Auf der anderen Seite hatte ich das Gefühl, das wäre ich dem Wesen schuldig. Vor allem, da es mich zum zweiten Mal warnte. Wovor auch immer. „Was, wenn es hier geschehen ist?“, fragte die Stimme mich und ich wusste nicht, ob sie von mir eine Antwort drauf verlangte. Meine Neugierde hatte sie damit auf jeden Fall geweckt. „Was meinst du? Was ist hier geschehen. Was ist ES?“, wollte ich von der Stimme wissen. Doch sie wollte es mir wohl nicht sagen. „Na, es halt. Du weißt schon. Es!“ Kurz schnaubte ich durch meine Nase aus und knabberte an meiner Unterlippe. „Wow, das könnte ja alles sein … aber gut, wenn du mir schon nicht sagen willst, was ES ist und ich hoffe mal, dass damit nicht dieser unheimliche Clown aus dem Buch gemeint ist… willst du mir wenigstens verraten, wer du bist? Wenigstens einen Namen? Ich meine, ich werde den Jungs nicht von dir erzählen können, aber so habe ich was in der Hand. Naja, du verstehst vielleicht, was ich meine“, sagte ich und begann, meine Hände in den Taschen meines Bademantels zu vergraben. „Nein, das ist unmöglich, ich kann dir keinen Namen nennen“, sagte die Stimme freundlich, aber bestimmt. „Schade, aber ok, das kommt vielleicht noch“, sagte ich als spontane Reaktion darauf. „Aber kannst du mir wenigstens sagen, was du bist? Bist du ein Mensch? Oder ein Dämon? Oder irgendwas in der Richtung?... Ich hab gehört, dass es sowas geben soll, auch wenn ich nicht daran glaube“, fügte ich noch hinzu, da ich mir nicht sicher war, ob ich auch der Stimme gegenüber meine Rolle als die nichtsahnende Kira aufrechterhalten müsste. Doch auf der anderen Seite, die Stimme machte den Eindruck, als wüsste sie, dass ich Bescheid wusste. Es war nur noch nicht ausgesprochen und so zu einem Tanz geworden. Zu einem Tanz ums Feuer, bei dem es nur noch eine Frage der Zeit war, bis sich jemand die Füße verbrannte, weil sie sich dem Feuer zu sehr genähert hatte. „Nun, ich kann dich beruhigen, ich bin kein Mensch, aber ich habe dennoch einen festen Körper. Nein, ich lasse dich ihn nicht anfassen“, sagte die Stimme und ich fand es seltsam, dass sie angenommen hatte, ich würde das gerne tun. „Ich bin aber auch kein Dämon, solltest du das wirklich vermutet haben“, sagte die Stimme nun amüsierter, sie schien sich einen Spaß aus meiner Ahnungslosigkeit zu machen, die mir unweigerlich ins Gesicht gehuscht sein musste. „Es ist wirklich amüsant, dass du vermutet hast, dass ich ein Mensch wäre, oder ein Dämon. Aber nein, das bin ich wirklich nicht. Ich bin viel älter und mächtiger als es je ein Mensch oder Dämon war.“ Die Stimme kicherte ein wenig vor sich hin, doch mich machte sie mit dieser Aussage nur neugieriger. „Was… bist du dann? Ich meine, irgendwas musst du doch sein, wenn du so alt und mächtig bist. Und warum willst du dich mir nicht zeigen?“, wollte ich von der Stimme wissen. „Nun, meine Gestalt ist nach wie vor nichts, was für dich von Belang ist. Aber selbst, wenn ich es dir zeigen wollte, ich könnte es nicht. Als ich meine sterbliche Phase hinter mir gelassen habe, habe ich bezüglich meiner Macht eine Menge Einbußen machen müssen“, sagte die Stimme und ich brauchte ein paar Sekunden, bis der nächste Schalter in meinem Hirn umgeklappt worden war. „Deine sterbliche Phase? Heißt du, du bist mal gestorben? Bist du ein Geist?“, fragte ich die Stimme nun, mit immer mehr Neugier und Wissensdurst. Wieder stellte ich mir ein unsichtbares Kopfschütteln vor. „Nein, zumindest bin ich kein menschlicher Geist. Nein, als etwas derartiges könnte man mich nicht bezeichnen. Achja, auch wenn du mit dieser Information nichts anfangen kannst, ich stamme auch nicht aus dieser Gegend, meine Herkunft liegt eher in kühleren Gefilden.“ Damit gab mir die Stimme ein Rätsel auf, und ich hatte absolut keine Idee, was sie damit meinen könnte. Dass sie nicht von hier stammte, erschien mir logisch, immerhin hatte ich die Stimme ja bereits in dem Motel mehrere hunderte von Kilometern von hier getroffen. Ob sie damit meint, dass sie aus einer kälteren Region stammt, wie Alaska? Oder ist das eher symbolisch gemeint, wie dass sie aus der Hölle kommt oder sowas … echt seltsam. Ob sie mir das sagt, wenn ich sie frage?   Doch ich kam nicht dazu, die Stimme das zu fragen. Denn gerade, als ich nach ein paar Minuten Hin- und Herüberlegen meinen Mund öffnen wollte, konnte ich hören, wie jemand an die Badezimmertür klopfte. „Ja, wer ist da?“, fragte ich so laut ich konnte und war froh, dass ich die Tür abgesperrt hatte. Wer weiß, wer sich dort auf der anderen Seite der Tür befand? „Erschrick bitte nicht, ich bin es nur, Andy! Kann ich kurz mit dir sprechen, es dauert auch nicht lange, versprochen. Oder störe ich?“ Kurz blickte ich zur Dusche herüber, dann an mir herunter. Da ich bereits den Bademantel angezogen hatte und dieser alles an mir verdeckte, sprach nichts dagegen. Für einen kurzen Moment war ich mir unsicher, ob ich das wirklich tun sollte, doch den Gedanken schob ich fort. Schließlich öffnete ich die Badezimmertür und trat zu Andy heraus. Dieser bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck, wirkte aber trotzdem immer noch ziemlich bekümmert. Auch versuchte er nicht zu starren, denn es war mehr als offensichtlich, dass ich unter dem Bademantel keine weitere Kleidung trug. „Ich möchte dich auch nicht so lange stören, ich meine, du wolltest bestimmt unter die Dusche gehen“, sagte er und kratzte sich nervös am Arm, doch ich schüttelte nur mit dem Kopf. „Achwas, schon in Ordnung. Ich meine, ich hab mich erst ein wenig auf dem Bett ausgeruht und dann konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich nun das Duschgel mit Zedernholz oder das mit Vanille nehmen sollte.“ Andy schien kurz erleichtert zu sein, bevor sich seine Stirn wieder in Falten legte. „Wenn ich dir einen Tipp geben darf, ich denke, Zedernholz passt irgendwie besser zu dir. Du bist stark, weißt du“, sagte er und unterbrach sich selbst. „Jedenfalls, ich möchte mich für gestern entschuldigen. Für vorgestern. Für einfach alles, was passiert ist, seit wir uns an der Bushaltestelle begegnet sind. Ich habe dich da in eine sehr unangenehme Sache reingezogen und ich hoffe, ich kann es dir irgendwann wieder gut machen. Vor allem, mit deiner Kondition und alles … du bist wirklich stark, weißt du das?“ Ich bemühte mich um ein leichtes Lächeln, was mir schwerer fiel als ich gehofft hatte. „Schon in Ordnung, ich meine, es war ja nicht deine Absicht. Sowas macht niemand absichtlich, zumindest kein so guter Mensch wie du. Und ich bin mir sicher, dass du einer bist, das habe ich im Bauchgefühl“, sagte ich offen und ehrlich zu ihm. Das schien ihn wieder zu beruhigen, wenn auch nur ein ganz kleines bisschen. „Danke, dass du mir so vertraust. Auch wenn du es nicht müsstest oder solltest. Aber auch du bist ein guter Mensch. Du hast mir viel weitergeholfen, als ich es brauchte. Vor allem, da du ohne mich gar nicht erst in dieser Situation gelandet wärst. Nicht jeder Mensch reagiert da so nachsichtig wie du.“ Sein Blick fiel überall hin, nur nicht zu mir und mir war bewusst, warum er es tat. Doch es hätte mich nicht gestört, hätte er stattdessen auf den orangenen Bademantel geguckt, der mich umgab. „Naja, das wollte ich unbedingt loswerden, bevor ich mich aufs Ohr lege. Also dieses Mal wirklich. Ich hab zwar schon versucht zu schlafen, aber das hat mir dann doch keine Ruhe gelassen. Zuerst habe ich an deine Zimmertür geklopft, aber du hast nicht geantwortet, da habe ich mir Sorgen gemacht, dass dir etwas passiert sein könnte. Ich bin froh, dass das nicht der Fall ist. Werde dich dann auch jetzt wieder alleine lassen, immerhin willst du ja duschen und das wird dir sicherlich mehr als guttun“, sagte er, ließ aber offen, inwiefern er das gemeint hatte. Ich wollte es aber auch nicht wissen. Ob er irgendwas von dem Gespräch zwischen mir und der Stimme gehört hatte? Sicher konnte ich es nicht sagen. „Danke, ich werde die Dusche so gut wie möglich genießen. Und auch danke für die Entscheidungshilfe, Zedernholz klingt wirklich sehr ansprechend“, sagte ich und lächelte ihn an. Er erwiderte das Lächeln, auch, als er den Raum verließ und ich die Tür hinter ihm zumachte. Dann war ich wieder alleine. Oder zumindest wieder die einzige mit fester Substanz. „Ok, Andy ist wieder weg…bist du noch da? Kann ich dich noch was fragen?“ Doch ich erhielt keine Antwort. Selbst nach den rund zehn Minuten, die ich anstandshalber wartete. Die Stimme jedoch blieb stumm und das Wesen, was auch immer es für eines war, hatte sich wohl wieder in die Ecke verzogen, aus der es zuvor gekrochen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)