Der Wächter von Drachenlords ================================================================================ Kapitel 85: Die Schatten ------------------------ Kamden An der Seite seines Gefährten sprintete Kamden über die Hauptstraße von Forks. Seine Wolfsgestalt so offen zu zeigen war ihm unangenehm. Sowas gehörte sich doch nicht. Doch war das nichts im Vergleich zu dem, was Embry und die anderen Wölfe durchstehen mussten. Sam, dieser Stümper, hatte allen mit einem Alphabefehl verboten sich zu zeigen, nachdem sie das erste Mal zu Wölfen geworden waren. Dieser alte Befehl stand nun im Gegensatz zu dem, was Jake angeordnet hatte. Kamden konnte spüren, wie sehr es Embry anstrengte sich gegen Sams immer noch aktiven Befehl zur Wehr zu setzen. Auch den anderen Wölfen erging es so, aber das war für Kamden nur eine Nebensächlichkeit. Sein Augenmerk lag auf seinem Freund. “Sam, du Spast, heb endlich deinen Befehl auf, bevor ich dir den Arsch aufreisse”, schrie Kamden in die Verbindung der Wölfe hinein. Er bekam keine Antwort. Wütend bleckte er die Zähne. “Lass gut sein, du Glucke. Ich komme schon klar”, meldete sich Embry. Seine Stimme war vor Anstrengung verzerrt. Das machte Kamden nur noch wütender. Seinem Bruder gab er keine Schuld, der hatte genug zu tun. Aber warum antwortete Sam nicht? Ein Glück, dass sie Tiffany bereits mit der ersten Teleportation in Sicherheit gebracht hatten. Somit musste er sich um die Mutter seines Gefährten keine Gedanken mehr machen. Die Evakuierung ging nur noch schleppend voran. Alle rannten vor ihnen weg. Daher mussten sie die Menschen einzeln zusammentreiben. Eine zeitraubende und zermürbende Aufgabe. Wären sie in Menschengestalt nur so schnell, wie die stinkenden Untoten, dann wäre das ganze wesentlich einfacher. Unvermittelt blieb Embry stehen. Automatisch, ohne nachzudenken, hielt auch Kamden an. “Was ist?” “Sag mal, siehst du, was ich sehe?” Kamden blinzelte und sah sich um. Jetzt, wo sein Kleiner es ansprach, fiel ihm schon etwas auf. Die Menschen rannten nicht mehr vor ihnen weg. Ganz im Gegenteil. Aus allen Ecken und Winkeln strömten sie auf die Straße. Er konzentrierte sich auf den vordersten Sprinter. Dessen Augen waren seltsam leer, als ob er in einer Art Trance wäre. Was ging hier vor sich? Ruckartig sah er die Straße zurück. In der Ferne befand sich die Plattform. Sofort fiel ihm auf, dass Isaak nicht mehr mit Lichtstrahlen um sich schoss. Isaak! Natürlich. Bestimmt war es dessen Magie, die hier am Werk war. Mal wieder musste Kamden einsehen, wie außerordentlich praktisch es war, diesen Mann im Team zu haben. “Könnte sein, dass du Recht hast. Es muss an Isaaks Macht liegen”, kommentierte Embry seine Gedanken. “Und was machen wir jetzt?”, fragte Kamden ratlos. “Jake? Isaak? Könnt ihr mich hören?”, fragte Embry mental und versuchte Abhilfe zu schaffen. Jedoch antwortete keiner der beiden. Ein ungutes Gefühl beschlich sie. Da stimmte doch etwas nicht. Synchron drehten sie um und sprinteten zurück zum Sammelpunkt. Ihre Aufregung steckte das ganze Rudel an. Nun waren alle auf dem Rückweg, denn keiner konnte Sam, Jake oder Isaak erreichen. Neben der Aufstiegsplattform befand sich ein seltsamer undefinierbarer Klumpen. Das musste ein Feind sein. Kamden, wie auch Embry beschleunigten mit aufgestellten Haaren. Dieses Ding würden sie in Fetzen reißen. Plötzlich sprang Emily zwischen sie und den Klumpen. “Stopp”, schrie sie, mit ausgebreiteten Armen. Die beiden Wölfe mussten scharf abbremsen, um die Frau nicht umzurennen. “Das ist Sam!”, offenbarte sie, bevor die Jungs vollkommen zum Stillstand gekommen waren. Kamden riss den Kopf hoch. Dieses Teil sollte Sam sein? Was ging hier vor sich? Embry neben ihm war schneller als er und hatte schon die Form gewechselt. “Was ist passiert? Warum ist Sam, nun ja, ich weiß nicht, so ein Ding?” “Eine seltsame Frau ist hier aufgetaucht. Sie war sehr altmodisch gekleidet. Ich glaube, es war Morgan le Fay. Sie hat Isaak angegriffen und Sam mitten in der Verwandlung erstarren lassen. Anschließend hat sie sich Jake geschnappt und ist verschwunden.” Kamden, der ebenfalls wieder zum Menschen geworden war, schlussfolgerte laut: “Deshalb antworten sie nicht. Diese durchgedrehte Magierin ist bestimmt schuld daran.” Nachdenklich nickte er. “Teile und herrsche. Eine alte, aber wirkungsvolle Strategie. Spalte deine Gegner in kleine Gruppen und erledige sie dann, wenn sie geschwächt sind. Eine Art Zermürbungstaktik.” Nach und nach trafen auch die anderen Wölfe ein. Ratlos beschnupperten sie Sam, doch keiner wusste, was sie tun sollten. Etwas abseits sammelten sich die Vampire. Edward trat vor und fragte: “Verzeiht, wenn ich mich einmische, aber weiß einer, was mit den Menschen los ist? Aus allen Richtungen fange ich ein und denselben monotonen Gedanken auf: Ich muss zur Plattform. Sie denken an nichts anderes mehr. Sie wiederholen nur immer wieder diesen Satz, wie ein Mantra oder einen Befehl.” Emily wandte sich an den stinkenden Untoten: “Ich habe keine Ahnung, was los ist. Isaak kam zu uns runtergesprungen. Er sah sehr beunruhigt aus. Dann hat er sich vor der Plattform auf den Boden gesetzt und meditiert. Als nächstes kam dann auch schon Morgan le Fay. Wenn er etwas gesagt hatte, dann habe ich es nicht gehört.” “Ich wusste es doch”, meinte Kamden triumphierend. Diese Information bestätigte seine Theorie. “Was meinst du?”, fragte ihn Edward, doch war es sein Kleiner, der an seiner statt antwortete: “Kamden glaubt, Isaak hat alle Menschen mit seiner Magie verzaubert. Ihre Gedanken und Emilys Aussage bestätigen das auf jeden Fall.” “Da könnte was dran sein”, stimmte Edward ausdruckslos zu. “Das würde ihr Verhalten erklären. Wobei es nett gewesen wäre, wenn er zumindest jemandem Bescheid gegeben hätte.” Ratlos sah er in die Runde. “Wie geht es nun weiter? Wenn die Menschen alle freiwillig hierher kommen, müssen wir sie nicht mehr einsammeln. Warum hat er das nicht gleich gemacht, wenn er die Macht dazu hat? Das hätte uns eine Menge Zeit erspart.” “Wenn ich das richtig verstanden habe, ist Isaak sehr geschwächt. Daher muss er aufpassen, was er mit seiner Magie anstellt”, fachsimpelte Embry leise vor sich hin. “Ich bin sicher, dass er einen guten Grund dafür hatte.” Gelangweilt legte Kamden die Hände in den Nacken. “Ich würde sagen, wir haben uns eine Pause verdient.” Überheblich sah er zu Edward und bestimmte: “Gib Bescheid, wenn du eine Änderung in den Gedanken aufschnappst.” “Wer hat dich denn zum Chef ernannt”, fauchte Leah ihn an. Vor Wut schnaubend, kam sie in Menschengestalt auf ihn zu. Unbeeindruckt plusterte sich Kamden auf und verkündete: “Einer muss doch den Ton angeben. Da Jake und Isaak verschollen sind und Sam das gerade nicht kann, werde ich das übernehmen. Immerhin bin ich Jakes älterer Bruder.” Gedanklich sprach Embry ihn an: “Kamden, so läuft das bei uns Wölfen nicht. Mach bitte keinen Ärger, indem du den Pfau raushängen lässt.” Während Edward sich still und heimlich zurückzog, kreisten Jared, Paul und Leah den selbsternannten neuen Alpha ein. “Du spuckst ganz schön große Töne, Frischling. Ich bin Sams Beta, damit stehe ich in der Rangordnung über dir.” “Von dir lasse ich mir gar nichts sagen. Den letzten Kampf gegen mich hast du verloren.” “Ich bin die Beta des “wahren Alphas”. Nach Sam übernehme ich die Leitung.” Kamden hob abwehrend die Hände und ging langsam rückwärts. Mit so viel Gegenwind hatte er nicht gerechnet. Vor allem sahen seine Konkurrenten so aus, als ob sie ihre Ansprüche auch mit Gewalt durchsetzen würden. “Ich habe es dir doch gesagt. Das hast du nun davon, du sturer Bock”, schimpfte Embry in Gedanken mit ihm. Entgegen seiner Worte stellte sich sein Kleiner neben ihm auf, um ihn moralisch zu unterstützen. “In Kamden fließt das Blut des vorherigen "wahren Alphas" und er hat gelernt zu kämpfen. Ich würde ihn an deiner Stelle nicht herausfordern, Paul.” Die laut ausgesprochenen Worte seines Gefährten zu hören, ließen sein Herz schneller schlagen. Jedoch hatte Kamden sich in eine Zwickmühle hineinmanövriert. Jetzt da sein Kleiner für ihn gesprochen hatte, konnte er keinen Rückzieher mehr machen, ohne sein Gesicht zu verlieren. Das ging ja mal gar nicht. Vor Embry würde er sich nicht lächerlich machen. “Komm doch her, Paul. Mit dir habe ich eh noch eine Rechnung offen, du Penner. Einer nach dem anderen. Ich werde euch allen zeigen, was ich drauf habe.” Stolz warf sich Kamden in die Brust. Das mentale "Pfau” von seinem Freund ignorierte er geflissentlich. Von Embry ließ er sich so einiges gefallen. Die Stimmung war angespannt. Weder Paul, Leah noch Jared wollten den Schwanz einziehen. Alle Wölfe begannen zu knurren. Die Frage, wer das Sagen hatte, musste schnellstmöglich geklärt werden. Ein Rudel brauchte einen Anführer, um zu funktionieren. Mit seinen guten Ohren konnte Kamden hören, wie Rachel sich an Emily wandte: “Die gehen sich gleich an die Kehle. Wir müssen uns einmischen. Du bist doch Sams Frau und die Rudelmutter. Auf dich hören sie bestimmt. Mach endlich was.” Aus den Augenwinkeln sah Kamden wie Emily den Kopf schüttelte. “Reden bringt da nichts. Ohne einen Alpha drehen ihre Wolfsinstinkte durch. Da können wir gar nichts machen. Das müssen sie unter sich klären und eine neue Hierarchie herstellen. Sonst wird das immer schlimmer.” Paul drängelte sich vor und warf sich in die Brust. “Ich mache den Anfang. Der Frischling hat doch keine Chance gegen mich.” Während Jared, Leah und auch Embry zurücktraten, fixierten sich Kamden und Paul. Sie beide bebten am ganzen Körper. Ein Kampf schien unausweichlich. Endlich würde Kamden seine Rache bekommen. Nichts würde ihn gerade mehr freuen als Paul zu unterwerfen. Der hässliche Bettvorleger sollte sich warm anziehn. “Leute?”, rief Rosalie laut und machte auf sich aufmerksam. “Was ist das da?” Kamden ließ sich ablenken und sah dorthin, wo die Steinfrau hindeutete. Erst sah er nichts Auffälliges, dann erschien ein dunkler Umriss in der offenen Tür eines der Häuser zu seiner Rechten. Etwas kam aus dem Haus heraus. Wo das Ding den hölzernen Türrahmen berührte zischte und dampfte es. Der Lack wurde erst dunkler und warf Blasen, dann änderte sich seine Farbe zu schwarz und blätterte ab. Eine Sekunde später war das auch das Holz darunter rabenschwarz und fiel als Staub zu Boden. Kamden schüttelte den Kopf. Aus der zerfallenen Tür schwebte eine Art unförmiger Schatten heraus. Weder Augen noch ein Kopf waren auszumachen. Glieder hatte es auch keine. Das Ding sah aus, wie eine Wolke aus dunklem Rauch oder ein Gespenst, immerhin schwebte es in der Luft. Während ein leichter Nieselregen einsetzte, frischte der Wind auf. Kamden erwartete, dass sich das Ding auflösen, weggepustet oder zumindest wie Rauch vom Regen niedergeschlagen werden würde. Nichts davon geschah. Unbeirrt schwebte der Schatten in gerader Linie auf den nächsten Menschen in seiner Reichweite zu. “Wass’n das für ein Ding?”, fragte Paul laut. Geistesgegenwärtig hob Edward einen kleinen Stein vom Boden auf und warf ihn nach dem Schatten. Ohne die Spur einer Verletzung verschluckte die nebelhafte Gestalt das Geschoß. Einen Herzschlag lang geschah nichts, dann rieselte feiner Staub zu Boden. Emmett trat vor und ließ die Knöchel knacken. “Das wird lustig.” In Vampirgeschwindigkeit schoss der Hüne auf den Schatten zu. Mit seiner leisen Singsangstimme, die Kamden die Nackenhaare aufrichten ließ, sagte Jasper: “Sei vorsichtig. Du solltest es besser nicht berühren.” Ob Emmett auf seinen Bruder hörte oder es von Anfang an sein Plan gewesen war …? Jedenfalls riss er im vorbeigehen ein Stoppschild aus dem Boden. Mit dieser provisorischen Waffe schlug er nach dem Schatten. Den Wind, den dieser Angriff verursachte, konnte Kamden aus gut zweihundert Meter Entfernung noch spüren. Das Schild glitt unverrichteter Dinge durch den Schatten hindurch. Kurz strauchelte Emmett, dann sprang er rückwärts, weg von diesem unheimlichen Wesen. Langsam und träge folgte der Schatten ihm. “Komm zurück”, flüstert Jasper. Emmett warf dem Schatten einen bösen Blick zu, dann wandte er sich um und war keine Sekunde später wieder am Sammelpunkt. In seiner Rechten hielt er noch immer seine Waffe. “Seht euch das mal an”, brummte Emmett und hob das Stoppschild, oder zumindest das, was mal ein Stoppschild gewesen war. Alles Metall, dass das Wesen berührt hatte, war bis zur Unkenntlichkeit verrostet und an den Rändern ausgefranst. Alle, Wölfe wie auch Vampire, sammelten sich zu einem großen Kreis. Anschließend begannen sie die Informationen aufzuarbeiten. Den Anfang machte Carlisle. “Das Holz ist verwittert und das Metall verrostet. Entweder dieser Schatten besitzt eine Art Verwesungseffekt, oder er beschleunigt den Lauf der Zeit.” “Ich glaube nicht, dass es ein Lebewesen ist. Ich kann keinerlei Gedanken von ihm empfangen”, meinte Edward besorgt. Alice zupfte nervös an ihrem Kleid herum: “Seitdem Isaak in unser Haus geplatzt ist, sehe ich gar nichts mehr. So als hätte jemand die Zukunft ausgeknipst.” “Der Schatten scheint nicht körperlich zu sein. Ich habe bei meinem Hieb keinerlei Widerstand gespürt”, meldete sich Emmett zu Wort. “Weder Wind noch Regen beeinflussen es”, murmelte Esme und schüttelte leicht den Kopf. Als nächster war Jasper an der Reihe: “Ich stimme allen zu. Jedes Lebewesen hat Gefühle. Bei diesem Ding spüre ich jedoch gar nichts. Es muss sich um eine Art immaterielle Waffe handeln. In Anbetracht dessen, wer unser Feind ist, äußere ich die Vermutung, dass Morgan le Fay diesen Schatten erschaffen hat. Es beeinflusst organische, wie auch anorganische Materie. Die Frage ist nur, was würde mit einem Lebewesen passieren?” Kamden stand still da und versuchte angestrengt nicht den Faden zu verlieren. Die Vampire redeten so schnell, dass er Mühe hatte alles zu verstehen. “Ich kläre das mal schnell”, sagte Rosalie und schoss davon. Sie rannte auf einen nahen Baum zu und sprang in die Krone. Einen Augenblick später stand sie schon wieder auf dem Boden, ein Eichhörnchen in den Händen haltend. Bevor sie einer aufhalten konnte, holte sie aus und warf das wehrlose Tier gegen den Schatten. Das Eichhörnchen verschwand in seinem Inneren. Alle hielten gespannt die Luft an. Plötzlich fiel ein qualmendes schwarzes Skelett aus dem Schatten. Als dieses den Boden berührte zerfielen die Knochen zu schwarzem Staub. “Damit wäre dieser Punkt geklärt”, meinte Rosalie, nachdem sie ihren Platz im Kreis wieder eingenommen hatte. “Ich habe etwas Interessantes beobachten können. Offenbar verfolgt der Schatten immer das ihm am Nächsten befindliche Lebewesen. Als Emmett neben dem Ding stand, hielt es auf ihn zu. Das gleiche geschah eben bei dem Eichhörnchen. Ich habe genau gesehen, wie das Schatten kurz seine Richtung änderte. Nun steuert er wieder diesen Menschen dort an.” Kamdens Auge zuckte. Wie konnte diese Untote so herzlos sein. Zugegeben sie mussten das testen, aber einfach ein wehrloses Tier opfern? Das war nicht richtig. Zum Glück war es kein Hund, eine Katze oder gar ein Mensch gewesen. Das wäre ja noch schlimmer. Die war doch nicht ganz richtig im Kopf. Was ihn aber noch mehr aufregte war die Tatsache, dass es keinen der Vampire zu stören schien, was Rosalie getan hatte. Kurz sah er in die Runde. Die anderen Gestaltwander schienen ebenso geschockt wie er zu sein. Immerhin tickte eine Fraktion noch richtig. “Der Qualm lässt darauf schließen, dass es sich um einen Verwesungseffekt handelt.” Mit diesen Worten verfeinerte Carlisle seine zuvor aufgestellte These. Langsamer als zuvor sagte Jasper: “Bisher haben wir noch keine Waffe gegen diesen Schatten. Vermutlich benötigen wir Isaak dafür. Aber der Schatten bewegt sich sehr langsam. Es sollte daher kein Problem darstellen, ihn mit der Lockvogeltaktik von den Menschen wegzulocken.” Emmett warf sich in die Brust und rannte zu dem Schatten. Kaum hatte er sich dem Ding genähert, schon ändere es seine Flugbahn und hielt auf den Vampir zu. “Das funktioniert!”, rief Emmett zurück. “Komm, put put put.” Ratlos kratzten sich einige der Gestaltwandler am Kopf. Sie hatten nichts beigetragen. Daher fühlten sie sich nutzlos. Es musste doch etwas geben, dass auch sie beisteuern konnten. Wie auf Kommando dachten alle angestrengt nach. Kamden verschloss sich vor den anderen und ließ nur noch Embry in seinen Kopf. Ohne die nervigen Stimmen des Rudel konnte er sich besser konzentrieren. Dieser Schatten hatte die Macht der Verwesung. Was war das Gegenteil davon? Leben vielleicht? Sollten sie das Ding so lange mit Gras oder Tieren bewerfen, bis es sich auflöste? “Fang ruhig damit an. Ich sehe dir dabei zu, Esel”, mischte sich Embry in seine Gedanken ein. Sein Kleiner hatte Recht. Gras lebte, war aber nicht das Leben an sich. Aber was könnte es sonst sein. Der Quell des Lebens. Den heiligen Gral oder einen Stein der Weisen hatten sie nicht zur Hand. Ob es so etwas überhaupt gab? Rasch schüttelte Kamden den Kopf. Konzentration, maßregelte er sich selbst. Der Quell des Lebens. Waren Keimzellen nicht eine Art Quell des Lebens? Für diesen Gedanken bekam er einen Klaps auf den Hinterkopf. “Ich werde ganz bestimmt nicht den Schatten mit meinem Sperma angreifen. Sag mal, tickst du noch ganz richtig?” Betreten zog Kamden die Schultern ein. Zugegeben, das war eine saudumme Idee. Um auf andere Gedanken zu kommen, sah er dem Schatten dabei zu, wie er im Schneckentempo Emmett jagte. “Ich glaube, da ist noch einer”, rief Rosalie laut. Sie deutete auf eine Hauswand in der Nähe. Die Steine verfärbten sich von grau zu weiß. Dann bröckelten sie zu Boden. Durch das entstandene Loch schwebte ein weiterer Schatten heraus. “Verdammt”, schimpfte Kamden laut. “Wo zwei sind, da sind bestimmt noch mehr. Ausschwärmen Leute. Sichert die Menschen.” Die Vampire stoben davon, während Alice den zweiten Schatten beschäftigte. Allerdings blieben die Gestaldwandler stehen. Leah und Jared hoben die Köpfe und taxierten einander. “Waffenstillstand”, begann Leah. “Jeder Beta nimmt sein Rudel. Wir haben gerade keine Zeit für Streitigkeiten.” “Einverstanden”, brummte Jared. Dann gaben sie sich die Hand. Kamden stand da wie vom Donner gerührt. Nicht nur, dass sie ihn vollkommen ignorierten, nun teilten sie auch noch die Rudel untereinander auf, ohne ihn mit einzubeziehen. Was sollte das? Kamden sah rot. Er hasste es, ignoriert und außen vor gelassen zu werden. “Bitte, lass gut sein”, flehte Embry mental und packte ihn am Arm, damit er sich nicht auf die beiden stürzen konnte. Mit einem Ruck wollte Kamden sich losreißen, aber Embry griff noch fester zu. “Wir haben keine Zeit dafür. Bitte, tu es für mich. Wenn die Gefahr gebannt ist, dann stehe ich dir auch nicht mehr im Weg. Ganz im Gegenteil, ich werde dich mit Leib und Seele anfeuern.” Kamden knirsche mit den Zähnen. “Na gut. Aber ich werde mich keinem der beiden unterordnen.” “Einverstanden”, sagte Embry mental und wandte sich ihren Kameraden zu: “Kamden und ich bilden unser eigenes Rudel. Die Frage, wer der Alpha ist, verschieben wir auf später.” “Gut, dann haben wir ein Rudel und zwei Pärchen”, stichelte Jared grinsend. Leah kochte innerlich, nickte aber. Nun da sich die beiden abgespalten hatten, bestand ihr Rudel aus ihr und Seth. Damit war Jared klar im Vorteil. So zumindest dachte sie. Schnell verschloss Kamden die Verbindung zum Rudel wieder. Leah würde nicht so schnell aufhören zu schimpfen. In drei verschieden Richtungen stoben die Wölfe davon, während Emily nur den Kopf schüttelte. “Bei den Ahnen, wie konnte es nur soweit kommen.” * Kamden und Embry übernahmen die Westseite von Forks. Schnell wurde ihnen klar, wie ernst die Lage war. Es gab wirklich mehr als zwei Schatten. Sehr viele mehr. Wie es aussah kamen sie aus den Häusern oder aus Schuppen. Aber warum? Wo war der Zusammenhang? Von überallher schwebten die Wesen auf die Menschen zu, die gefangen in Isaaks Befehl wie Zombies auf die Plattform zusteuerten. Dabei beachteten sie die Bedrohung für ihr Leben überhaupt nicht. Während er mit Embry die Schatten von den Menschen weg lockte, dabei mussten sie sich voneinander trennen, dachte er angestrengt nach. Es wurden immer mehr Feinde. Wenn sie nur wüssten, wo diese Dinger ihr Nest hatten. Im Augenblick waren keine Menschen in Gefahr, somit wurde es Zeit, diesem Rätsel auf den Grund zu gehen. Kamden fasste einen Entschluss: “Aus diesem Haus hier sind schon fünf Schatten gekommen. Ich gehe rein und schaue nach, wo sie herkommen.” “Du willst was? Kommt gar nicht in Frage. Du gehst da nicht allein rein.” In der Stimme seines Kleinen schwang Angst mit. Es zerriss Kamden fast das Herz. Er wollte Embry keine Angst machen. Aber er musste handeln. “Es tut mir leid, aber es muss sein”, mit diesen Worten sprang Kamden durch die Haustür. Schnell sah er sich um. Sämtliche Kommoden, Schränke und viele andere Möbelstücke hatten Löcher. Von wenigen Zentimetern, bis hin zu einem Meter bei einem besonders großen Schrank. Doch das half ihm nicht weiter. Vor ihm auf dem Boden befand sich ein besonders großes Loch. Er spähte in den Keller hinab. Dort unten war es dunkel. Sehr dunkel. Klar, war ja auch ein Keller. Die Dunkelheit verdichtete sich und drängte aus dem Loch heraus. Direkt vor ihm war ein weiterer Schatten erschienen. Wo kam der den auf einmal her? Zu seinem Entsetzen war dieser Schatten schneller als die anderen. Wesentlich schneller. Gerade noch so schaffte er es aus der Haustür zu springen. Dort wurde er von Embry umgerannt. “Geht es dir gut?”, fragte sein Kleiner und leckte ihm über die Schnauze. Kamden strampelte und kämpfte sich unter seinem Freund hervor. “Wir müssen weg. Da ist ein Schatten, der ist unglaublich schnell.” “Wo?” Hastig hob Embry den Kopf und sah sich um. “Der da?” Kamden sah zum Haus zurück. Aus dem Loch der Eingangstür quoll ein Schatten hervor. “Na ja, so viel schneller ist der aber nicht”, meinte sein Kleiner und es stimmte. Je weiter der Schatten sich aus dem Haus drängte, desto langsamer wurde er, bis er dieselbe Geschwindigkeit hatte, wie all die anderen. “Das verstehe ich nicht.” Ratlos versuchte Kamden sich einen Reim darauf zu machen. Der Schatten kam aus dem Keller, dort war er so schnell wie ein Vampir. Doch nun war er ein Schnecke. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Im Keller war es dunkel. Die Schatten wurden aus der Dunkelheit geboren. Je heller es um sie her werde, desto langsam wurden sie. “Das Gegenteil von Schatten ist Licht. Das ist ihre Schwäche.” Stolz präsentierte er Embry seine Theorie. “Da könnte was dran sein.” Hastig sah Kamden sich um. Licht, Licht, woher sollte er Licht bekommen. Auf den Stufen der Veranda eines der Nachbarhäuser lag eine Taschenlampe. So schnell er konnte sprintete er auf diese zu. Als Mensch griff er danach und zielte auf den nächsten Schatten in seiner Umgebung. Besonders hell war die Lampe nicht, aber es zeigte Wirkung. Die Schattenmasse waberte, als ob sie Schmerzen erleiden würde und schrumpfte ganz langsam in sich zusammen. “Bei der Geschwindigkeit sind wir in einem Jahrzehnt noch nicht fertig”, kommentierte Embry diese Experiment. Kamden warf die Lampe weg und drehte sich freudestrahlend um. “Verstehst du es den nicht? Ja, dieses Ding war nutzlos, aber wir haben eine Waffe. Wir benötigen nur Lampen mit mehr Power.” Embry wiegte den Wolfkopf hin und her. “Hey Leute”, rief Kamden in das Rudel. “Halt die Klappe”, konterte Paul sogleich. “Von dir will keiner etwas hören.” “Da hat er recht, du Verräter”, schloss sich Leah direkt mit an. Auch Jared gab seinen Senf dazu: “Lass es einfach. Niemand will dir folgen.” “Hey, hört doch mal zu”, rief Kamden gegen eine Reihe von Beschimpfungen an. “Seid doch mal kurz ruhig und hört zu. Kamden hat etwas Wichtiges entdeckt.” Sein Herz machte einen Luftsprung. Schon wieder hatte sich Embry für ihn stark gemacht. So gefiel ihm das. “Was soll er schon entdeckt haben?”, fragte Paul gehässig. “Das er ein schlechter Alpha wäre und sich besser nicht mit Stärkeren anlegen sollte?” “Nein, es geht um die Schatten, du Spast.” Jedes Wort seines Kleinen war wie Musik in seinen Ohren. Wie lange hatte er schon auf den Richtigen gewartet und hier war er. Embry, ein Traum von einem Mann. “Dieses Geschwule höre ich mir nicht länger an. Ihr beide bekommt einen Dauermute von mir.” “Hey, warte Paul”, warf Kamden ein und riss sich zusammen. Er hätte sich besser nicht komplett öffnen sollen. “Die Schatten, ihre Schwachstelle ist Licht.” “Und weiter?”, fragte Jared. “Wen scherts, was deren Schwachstelle ist. Bis die uns gefährlich werden sind wir längst fertig und weg. Soll Isaak sich mit denen rumschlagen. Das ist sein Job.” Ohne auf Jareds Worte einzugehen befahl Kamden: “Geht und sucht alle nach starken Lampen, damit können wir sie in Schach halten.” Nun war es Leah, die antwortete: “Du bist nicht unser Alpha. Du hast uns gar nichts zu sagen. Ich sehe das wie Jared. Mach besser deine Arbeit und belästige nicht alle mit deinem Geschwafel.” “Hört mir doch zu.” Verzweifelt versuchte Kamden sie zu überzeugen. “Die Schatten werden schneller, wenn es dunkel wird.” “Ich bin raus. Das wird mir zu blöd. An alle in meinem Rudel: Stellt Kamden und Embry auf stumm”, mit diesen Worten von Jared wurde es schlagartig still in der Verbindung. Sie hatten sich tatsächlich abgekapselt. “Leah, bitte”, flehte Embry. Jedoch kam keine Antwort mehr. Sie alle waren weg, selbst Seth. Bestimmt hatte Leah ihn dazu gezwungen. Wie konnte man nur so stur sein? Oder waren es ihre durchgedrehten Wolfsinstinkte? Vollkommen verdattert sahen sich Kamden und Embry an. “Was machen wir jetzt? Eine Idee, mein Kleiner?” “Nicht wirklich. So zerstritten habe ich das Rudel noch nie erlebt. Aber bisher hatten wir auch immer Sam oder Jake, die alle zur Räson gebracht haben. Ohne einen richtigen Alpha ist das Rudel nur noch ein Haufen störrischer Eigenbrötler. Es wird nicht mehr lange dauern und es werden sich noch mehr Wölfe abspalten.” Kamden hob den Blick. Hatte er das verursacht? Seine Art zu reden ohne zu denken, hatte ihm schon so einige Probleme beschert. Er wollte doch nur, dass sein Kleiner stolz auf ihn war. Zugegebenermaßen viel es ihm auch schwer sich einem anderen unterzuordnen. Bei Jake hatte er damit weniger Probleme. Wäre Sam jetzt bei ihnen, so wüsste er nicht, ob er sich diesem einfach fügen würde. So war Kamden eben. Immer mit dem Kopf durch die Wand. “Du brauchst dich von mir nicht zu profilieren, mein Pfau.” Embry hatte “mein Pfau” gesagt. Das war neu und eine willkommene Abwechslung. Es gefiel Kamden, wohin sich das entwickelte. Ja, Embry war sein und er wollte Embry gehören. So war das richtig. “Konzentration.” Nach diesem Wort der Ermahnung fokussierte sich Kamden wieder auf ihre aktuelle Lage. Jared hatte schon recht. So wie es gerade lief, würden die Schatten, wenn auch zahlenmäßig überlegen, aufgrund ihrer Geschwindigkeit kein Problem darstellen. Kamden hob den Blick und erschauderte. Der Tag neigte sich dem Ende. Bevor die Evakuierung abgeschlossen sein würde, wäre es Nacht. Dann hätten sie ein mächtiges Problem. Wie ein Zwang sah er zu Embry hin. Sein Kleiner war in Gefahr. Er musste handeln. Sie mussten ihm zuhören. Aber wie, was konnte er tun? “Du musst zu einem Alpha werden”, riet Embry. “Und wie genau mache ich das?” “Wenn ich das richtig verstanden habe, ist es eine Entscheidung. Man benötigt eine gehörige Portion Willensstärke und den Mut diesen Weg zu gehen. Aber sei gewarnt. Einmal ein Alpha, immer ein Alpha. Es gibt keinen Weg mehr zurück.” Ratlos kratzte sich Kamden am Hinterkopf und ging ein paar Schritte, um die Schatten auf Distanz zu halten. “Willst du diesen Weg gehen?” “Ja, es muss sein.” “Dann stell dir mal vor, was passieren würde, wenn du es nicht schaffst.” Kamden blinzelte und dachte nach. Wenn er es nicht schaffen sollte, dann würden die Schatten bei Sonnenuntergang einen Geschwindigkeitsboost bekommen. Alle verbleibenden Menschen würden sterben. Alle würden sterben. Die Vampire, die Wölfe, er und … Embry. Nein. Das war unvorstellbar. Das durfte nicht geschehen. Nicht sein Embry. Alle anderen, wenn es sein musste, aber nicht Embry. In seinem Kopf begann eine sich abwärts windende Spirale aus negativen Gedanken. Immer tiefer stürzte er in den Abgrund der Verzweiflung. Nein. Nein. Er ging auf die Knie und donnerte seine Faust auf den Boden. Dabei schrie er so laut er konnte: “Nein.” Erschreckt von seiner eigenen Stimme, die einen seltsamen Doppelklang entwickelt hatte, bemerkte er nicht, dass die Verbindung zu allen anderen wieder aufgebrochen war. Erst als er ihre Stimmen hörte, wurde er sich dieser Tatsache bewusst. “War das Kamden?” “Wie kann das sein?” “Was soll das?” “Ob mit Jake alles in Ordnung ist?” “Ich habe den doch auf Stumm gestellt.” Sie alle redeten wild durcheinander. Kamden konnte nicht einmal zuordnen, wer was dachte. Das war ja nicht auszuhalten. “Ruhe”, brüllte er in die Verbindung hinein. Augenblicklich erstarb das Stimmengewirr in seinem Kopf. Kamden blinzelte. War er das gewesen? Hatte er wirklich die Macht eines Alphas? Er hob den Blick. Embry sah mit einem schaurigen Wolfsgrinsen zu ihm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)