Der Wächter von Drachenlords ================================================================================ Kapitel 16: Das Ritual ---------------------- Anstatt sich zu setzen, ging Isaak im Raum auf und ab, und dachte angestrengt nach. Wie sollte er alle Zusammenhänge erklären? Die Komplexität dieser Aufgabe überstieg den menschlichen Verstand um ein Vielfaches. Er benötigte eine einfache Möglichkeit, sodass alle es auch nachvollziehen konnten. Zudem gab es nahezu unendlich viele Kombinationen. Allerdings schlossen sich aber auch manche gegenseitig aus. Er musste eine Vorauswahl treffen und die Möglichkeiten eingrenzen. Mit was konnte er leben? Das half ihm leider auch nicht weiter. Entsetzt stellte er fest, dass er sehr viel über sich ergehen lassen würde, für so eine solche bewusste Bindung. Dann dachte er an seine Aufgabe als Wächter und musste einiges streichen, nämlich das, was ihn zu stark behindern würde. Anschließend begann er alles so aufzuarbeiten, dass die anderen es verstehen konnten. Mit einer Handbewegung von ihm ließ er einen Stapel Papier aus dem Büro zu dem großen Wohnzimmertisch fliegen und räumt alles darauf einfach mit einem weiteren Wink seiner Hand ab. Anschließend konzentrierte er sich und die Papiere stoben auseinander. Akribisch, in verschnörkelter Schrift, erschienen Worte auf den leeren Seiten. Mit einer schneidenden Bewegung wurden aus den Seiten exakt gleich große Stücke, welche nun in einem Wirbel umherflogen. Als Nächstes gab er den einzelnen Karten verschiedene Farben und fügte Zahlen an den Rändern hinzu. Mit einer Handbewegung ließ er zwei blau leuchtende Sphären über dem Blättersturm erscheinen. Einige Zettel flogen in die Kugeln und schwebten dort sanft umher. Die Sphären wechselten die Farben zu grün. Dann ordnete er die übrigen Eigenschaften nach Farben und Kategorien. Es entstanden fein säuberlich gestapelte Haufen. Erschöpft ließ er sich aufs Sofa sinken und atmete tief durch. Er sollte seine Kräfte besser nicht so verschwenden, aber sie hatten keine Zeit mehr und, was machte es jetzt noch für einen Unterschied? Durch seinen Verbrauch hatte er einen Tag verloren, aber immer noch mehr Zeit, als Jake blieb. Mit brüchiger Stimme erklärte er: „Auf den Zetteln stehen unterschiedliche Eigenschaften. Gegliedert nach Farben und mit Zahlen von minus bis plus zwanzig versehen. Die Summe der Zahlen muss am Ende null ergeben. Auch muss immer ein Zettel von jeder Farbe vorhanden sein. Sie können aber gegen andere derselben Farbe ausgetauscht werden. Nur die Weißen sind nicht in ihrer Anzahl begrenzt. Es können auch keine hinzugefügt werden. Jedoch ist die maximale Anzahl von Eigenschaften von meiner restlichen Magie abhängig. Die goldenen Zettel sind zwingend und können weder ausgetauscht, noch entfernt werden.“ Er schnippte mit den Fingern und ließ zwei grüne Nullen über der rechten Sphäre erscheinen. Über der anderen erschien ebenfalls eine grüne Null, sowie eine grüne Einundzwanzig. Diese flackerte kurz und reduzierte sich auf Zwanzig. Sprachlos starrten alle zu dem Tisch und trauten ihren Augen nicht. Jede Sekunde zählte und Isaak fuhr fort: „Solange ihr diese Grundregeln einhaltet, könnt ihr alles, wie ihr wollt, in der linken Kugel, von mir aus gesehen, kombinieren und verändern. Die andere stellt die Prägung als Vergleich dar. Beide sind als Basis mit den Eigenschaften der Prägung gefüllt.“ Mit einem zitternden Arm griff Isaak in die linke Kugel und zog den roten Zettel heraus. Sofort wurde die Sphäre rot und die Zahlen über ihr änderten sich. Die grüne Null wurde zu einer roten minus Zehn, wobei die Zwanzig zu einer Einundzwanzig wurde, aber ihre Farbe nicht änderte. „Das hier ist die körperliche Abhängigkeit. Ich werde mich allem unterwerfen was Jake zusammenpuzzelt, aber diese Eigenschaft muss ich entfernen. Das ist meine einzige Bedingung. Ich kann meine Aufgabe als Wächter nicht erfüllen, wenn ich in meinem Bewegungsradius eingeschränkt bin.“ Er ließ die rote Karte in Flammen aufgehen. Die Botschaft war eindeutig. In dieser Angelegenheit gab es für ihn keine Diskussion. Dann ließ er sich zurücksinken und schloss müde die Augen. „Viel Spaß“, brabbelte er und sackte in sich zusammen. Er war eingeschlafen. Mit offenen Mündern starrten Bella und Jake auf diese Darstellung und konnten nicht glauben, was geschehen war. Die Vampire hatten sich besser im Griff und blieben einfach starr stehen. Edward erwachte als Erster aus seiner Starre und ging vor. Dann griff er nach einer der goldenen Karten in der linken Kugel. Er zog sie heraus. Die Zahlen änderten sich nicht, aber ein goldener Faden spannte sich von der Oberfläche der Kugel zu der Karte. Er bewegte die Karte, der Faden blieb straff und folgte der Bewegung. Dann sah er auf den Schriftzug und las vor: „Seelenbindung.“ Er runzelte die Stirn und drehte die Karte um; dort stand eine Erklärung und er las laut vor: „Eine Seelenbindung macht beide Leben voneinander abhängig und verbindet ihre Lebenskraft zu einer. Stirbt der eine, stirbt auch der andere im selben Augenblick.“ Entsetzt ließ er die Karte los und diese schoss, wie an einem Gummiband, in die Sphäre zurück. Dann schnappte er sich die blaue Karte und entzifferte: „Vollständige Sexuelle Bindung. Die Verbundenen können keinerlei sexuellen Interessen oder Praktiken außerhalb der Bindung entwickeln oder vollziehen. Selbst Hand anlegen ist ausgeschlossen.“ „Die kommt schon mal raus“, bestimmte Jake feuerrot im Gesicht und schnappte sich die Karte. Tobend macht er Anstalten den Zettel zu zerreißen, da mischte sich Bella ein: „Warte, sieh mal auf die Zahlen. Die rote minus Zehn ist zu einer roten minus Dreißig geworden. Diese Karte ist also plus zwanzig Punkte wert.“ Schnell griff sie nach dem kleinen blauen Stapel und überflog die Werte. „Keine der anderen hat eine so hohe Zahl. Außer die hier.“ Sie zog eine Karte raus und offenbarte: „Keine sexuelle Bindung. Vollständige und freie sexuelle Partnerwahl. Aber…“ „Die nehmen wir“, bluffte Jake und riss ihr die Karte sofort aus der Hand. Dann schob er sie in die rote Sphäre und sah zu den Zahlen darüber. Dort leuchtete nun ein strahlendrote minus Fünfzig. „… sie hat minus Zwanzig“, beendete Bela ihren angefangenen Satz. Jetzt gab es kein Halten mehr und alle stürmten an den Tisch und griffen wahllos nach den Karten. Emmet und Alice verzogen die Gesichter und legten ihre Karten schnell zurück. Rosalie allerdings lachte auf und meinte: „Die solltest du nehmen, Hund. Hörigkeit. Der devote Bindungspartner unterwirft sich vollständig und in allen Belangen dem Dominaten. Immerhin plus achtzehn Punkte.“ Jake erbleichte und stammelte: „Auf keinen Fall.“ Doch die Vampirfrau grinste heimtückisch und schob die Karte in die Kugel. Entsetzt las nun Carlisle vor: „Emotionaler Schmerz. Jeglicher zugefügter emotionaler Schaden am Bindungspartner wird als körperlicher Schmerz zurückgeworfen. Kann tödlich enden. Plus Zwanzig.“ Die Beine des Gestaltwandlers gaben nach und er sackte wimmernd zusammen. Dann schrie Bella: „Stopp. Alle legen die Karten wieder dahin, wo sie sie herhaben. Ihr bringt alles durcheinander. Und dann alle raus hier. Das ist nicht eure Angelegenheit. Jake entscheidet, nicht ihr.“ Rosalie fauchte, schnappte sich ihre Karte aus der Kugel und legte sie zurück zu den Weißen. Die anderen taten es ihr gleich und alle verließen den Raum. Außer Edward, der stellte sich hinter sie und sah wachsam zu Isaak. Bella funkelte ihren Freund an, aber dieser blieb stur. Dann gab sie klein bei und bat: „Kannst du uns was zu essen besorgen? Das wird eine Weile dauern und wir könnten eine Stärkung gebrauchen.“ Dann klopfte sie Jake mitfühlend auf die Schulter und fragte: „Soll ich auch gehen?“ „Bitte nicht“, wimmerte er brüchig. „Ich brauche dich.“ „Gut. Ich würde vorschlagen, wir schauen uns die einzelnen Stapel nacheinander an und sortieren das aus, was für dich ganz und gar nicht akzeptabel ist. Dann müssen wir alles zusammensetzen und schauen, ob wir es schaffen auf Null zu kommen. Am besten wir fangen mal mit den Blauen an. Ich glaube, das ist wohl eines deiner größten Probleme.“ Jake nickte ergeben und sie drückte ihm die Karten in die Hand. „Ich helfe dir, aber du musst entscheiden. Es geht um deine Bindung und deine Zukunft.“ Dann machte sie sich an die Arbeit und begann zu sortieren. Edward ließ sie nicht allein mit Isaak und schickte Alice, um Nahrung für die Zwei zu besorgen. Nach nur wenigen Minuten starrte Bella zu Jake und sah, dass der Stapel der Karten, welche er nicht wollte, immer größer wurde und er meist nur eine Möglichkeit zurückbehielt. Sie seufzte innerlich und wusste, dass er das so niemals hinbekommen würde, sagte aber nichts und ließ ihn einfach mal machen. Er musste selbst einsehen, dass auch er Abstriche hinnehmen musste. Dann, nach knapp zehn Minuten, sprang Jake auf und fütterte die Kugel mit der Auswahl seiner Karten. Er sah auf und ihn glühte eine rote minus 230 bösartig an. Daraufhin bekam er einen Wutausbruch und hätte fast den Tisch umgeworfen, wenn Edward ihn nicht daran gehindert hätte. Von dem Radau wachte Isaak auf und sah sich das Ganze an. Er stand auf und besah sich Jakes Auswahl. Mit jeder Karte, die er durchlas, wurde er bleicher, sagte aber kein Wort. Als er fertig war, schluckte er schwer und setzte sich wieder hin. Er lächelte gezwungen, aber Bella ließ sich nicht täuschen: Isaak war bestürzt und zutiefst traurig über Jakes Auswahl. In diesem Augenblick erkannte sie, dass er es wirklich ernst meinte. Er würde sich allem beugen, um es Jake leichter zu machen. Ihre Augen trafen sich und sein Lächeln verschwand. Er wandte sich ab und sah in seinen Schoß. Nach dem dritten Versuch hatten sie immerhin schon mal -147 erreicht. Nun platzte Jake erneut der Kragen und er stürzte sich auf Isaak. Dieser wich ihm aus und stand urplötzlich auf der anderen Seite des Raums. „Bleib gefälligst hier, du verdammtes Monster“, knurrte Jake und funkelte ihn an. „Wenn du mich schlägst, könntest du dich verletzten. Ich will dir keine Schmerzen zufügen“, erklärte Isaak gequält. „Hm…“, Bella beachtete die beiden nicht wirklich und fragte. „Sag mal, warum sind das so viele Bedingungen? Muss das so sein? Kannst du das nicht etwas einfacher gestalten und weniger Farben zum Beispiel benutzen?“ „Im Eigentlichen kann eine Bindung nahezu ohne Begrenzungen konstruiert werden. Die einzige Grenze ist die eigene Vorstellungskraft. Das geht in unserem Fall leider nicht. Die neue Bildung muss äquivalent oder sogar stärker sein als die Prägung. Sonst kann ich diese nicht aufheben. Das ist ein Grundsatz in der Magie. Ebenso müssen bestimmte Elemente vorhanden sein. Sonst kann man nicht von einer Beziehung sprechen. Eine Verbindung ist ein Geben und Nehmen.“ Sie sah auf. „Und du wärst mit all diesen Dingen einverstanden?“ „Ich lasse Jake absolut freie Wahl. Ich muss aber gestehen, dass ich alle Elemente, welche in meinen Augen zu gravierende Einschnitte darstellen, aussortiert habe. Auch, um die Möglichkeiten zu begrenzen.“ „Zum Beispiel?“, fuhr Jake ihn an. „Jegliche Blutrituale, sowie Verstümmelungen körperlicher oder geistiger Natur. Kurz gesagt: Alles was meine Aufgabe zu stark behindern oder dir direkten Schaden zufügen würden.“ Jake erbleichte und ging frische Luft schnappen. Er brauchte jetzt einen Moment für sich. Bella wartete, bis ihr bester Freund weg war und seufzte schwer. Dann begann sie erneut zu sortieren. Diesmal ging sie strukturierter vor und schloss alles aus, was in ihren Augen zu gefährlich war. Als Jake wenig später zurückkehrte stand etwas zu Essen für ihn bereit. Auch hatte Alice bei Edward geplündert und für Jake ein elegantes Outfit zusammengestellt. Anschließend arbeiteten sie etliche Stunden durch. Nach jedem gescheiterten Versuch musste Isaak Jakes Schimpftiraden über sich ergehen lassen. Dieser wehrte sich aber nie. Er mischte sich auch nicht ein oder drängte Jake das Eine oder Andere zu überdenken. Als die Sonne erneut unterging, schlief Bella ein und auch Jake sah sehr müde aus. Isaak, der ahnte, dass Jake sich in seiner Gegenwart nicht entspannen würde, verließ schweren Herzens das Haus. Es regnete, aber das machte ihm nichts aus. Er stand einfach nur da und sah zum dunklen Himmel hinauf. Durch ihre Verbindung spürte er, dass Jake eingeschlafen war und Isaak seufzte schwer. Er wurde vom gesamten Vampirzirkel beobachtet und alle machten sich ihre eigenen Gedanken. Nach einem ausgiebigen Frühstück kehrten Jake und Bella zu den Sphären zurück und machten sich erneut an die Aufgabe, etwas Brauchbares zu Stande zu bringen. Jake ließ sich einfach nicht überreden, Abstriche zu machen und dokterte verbissen an der Verbindung rum. Seine Ideen wurden immer waghalsiger und Bella fragte sich so langsam, wo das enden würde. Auch am darauffolgenden Tag schafften sie es nicht, die Kugel grün erstrahlen zu lassen und alle Bedingungen zu erfüllen. Die Zeit wurde langsam knapp. Isaak hatte berechnet, dass der Anhänger in 23 Stunden und 48 Minuten seine Kraft verlieren würde. Jake wurde immer miesepetriger und schrie auch Bella immer öfters an, da diese versuchte, einige Bausteine zu ersetzen, die er unbedingt wollte. Bisher hatte sich Edward nicht eingemischt, aber so langsam reichte es ihm. Weitere Stunden verstrichen. Nach einem besonders schweren Streit platzte ihm der Kragen und er fragte: „Isaak, wie würdest du die Verbindung bauen?“ Dieser blinzelte und sah irritiert drein. „Ich mische mich nicht ein. Jake muss entscheiden was er will.“ Bella, die den Faden aufgenommen hatte, sagte: „Das würde mich auch mal interessieren. Was würdest du wollen?“ „Das ist nicht von Interesse“, versuchte Isaak auszuweichen, aber Bella drängte so lange auf ihn ein, bis er völlig entnervt sagte: „Ok, ist ja gut.“ Er warf Jake einen Seitenblick zu, aber dieser lag auf dem Rücken und war immer noch angefressen, von seinem letzten Misserfolg. Er beachtete das Gespräch zwischen ihnen gar nicht. „Wenn ich die Wahl hätte und mein Bindungspartner der gleichen Meinung wäre wie ich, dann würde ich die Bindung so aufbauen.“ Bei diesen Worten flogen alle Karten aus der Kugel und wurden durch andere ersetzt. Einige davon stammten sogar von Jakes „niemals im Leben“ Stapel. Die Kugel erstrahlte in einem satten Grün. Die Zahlen darüber waren zwei grüne Nullen. Bella stand auf und begann sich das Ganze genauer anzusehen. Auch Jake erhob sich, aufgeschreckt durch die fliegenden Karten und dem Farbwechsel der Sphäre. Jake lief rot an und begann zu toben, einem wilden Stier gleichend. Er griff eine Karte nach der anderen und schleuderte sie Isaak entgegen. Dieser rührte sich nicht und sagte kein Wort. Dann plötzlich fing er eine weiße Karte auf und sagte traurig: „Bei dieser Karte bin ich mir nicht sicher. Ich glaube, ich würde sie nicht verwenden wollen. Ich will meinem Partner nicht misstrauen, aber ich musste die Punkte ausgleichen.“ Edward schoss vor und nahm den Zettel an sich, dann las er vor: „Wahrheit. Die Bindungspartner können nur die Wahrheit zueinander sagen. Die Karte hat eine plus Acht.“ Isaak lächelte gequält und ließ erneut die Karten fliegen. Abermals wurde die Kugel grün und über ihr schwebten eine grüne Null und Fünf. „Dies wäre mein Vorschlag, in Anbetracht der aktuellen Lage, der Möglichkeiten und Bedingungen.“ Ohne auch nur eine Eigenschaft zu lesen, wollte Jake erneut alles zerstören, aber Bella stellte sich ihm in den Weg. „Wir kommen nicht weiter und die Zeit wird knapp. Wir haben nur noch knapp zwei Stunden. Lass mich das bitte mal durchgehen, okay?“ Der Gestaltwandler verdrehte die Augen und schmiss sich auf den Sessel. Bella besah sich die Anordnung genau und hatte eine Ahnung, warum Isaak diese Eigenschaften ausgewählt hatte. Mit einem Seufzer setzte sie sich in einen anderen Sessel und sagte: „Erkläre es mir. Warum so?“ Isaak warf Jake einen kurzen Blick zu und begann dann zu erklären: „Weil es die beste Variante für Jake wäre. Die „geistige Verbindung ohne Einschränkungen“ ist meines Erachtens eine gute Wahl. Ich bin darin geübt, meine Gedanken nicht schweifen zu lassen, und kann Jakes Gedanken sowieso lesen, wenn ich das will. Ich würde, aber versuchen Jake möglichst nicht zu belästigen. Dann die Karte „Wahrheit“. Da wir eh schon geistig verbunden sind, macht es kaum noch einen Unterschied. Zusammen mit den anderen Karten hatte ich genug Punkte, um die Karte „Keine sexuelle Bindung“ zu wählen. Das erschien mir Jakes größtes Problem zu sein.“ Bei diesen Worten stand Jake auf und zog den entsprechenden Zettel zu sich. Isaak hatte es wirklich geschafft, diese Karte einzubauen. Nachdenklich steckte er sie zurück und sah sich auch die anderen an. Einige gefielen ihm gar nicht, aber er schaute immer auf die Punkte und war sich sicher, dass das der Preis für seine sexuelle Freiheit war. Er knurrte. Dennoch, so gefiel ihm das nicht. Er warf einen Seitenblick zu Isaak. Vielleicht hatte er ihm doch Unrecht getan? Isaak bemühte sich offenbar wirklich, es ihm recht zu machen, und achtete nicht auf seine eigenen Wünsche. Er hatte zugegeben, dass er ihn mochte. Dennoch hatte er, ohne zu zögern, diese Karte eingebaut, nur weil Jake es so wollte. Zum ersten Mal fragte sich Jake, was er eigentlich wirklich wollte. Wie würde er sich eine Beziehung vorstellen. Er klammerte den Gedanken „mit Isaak diese Beziehung zu führen“ fürs Erste aus und fragte sich stattdessen, was, wenn es jemand anderes gewesen wäre? Was, wenn er mit Bella zusammengekommen wäre und nun vor dieser Entscheidung stehen würde? Was würde er dann wollen? Er besah sich noch einmal die blaue Karte in der Sphäre. Er schluckte und musste sich eingestehen, dass er diese Eigenschaft niemals ausgewählt hätte. Aber es ging nun mal nicht um Bella, sondern um einen Mann. War er wirklich ernsthaft bereit, eine Beziehung mit einem Mann, mit Isaak, zu führen und wenn ja, wie sollte diese dann aussehen? Was würde er wollen? Er hatte nur noch eineinhalb Stunden, dann würde die Prägung ihm diese Entscheidung einfach wegnehmen. Wollte er das? Er ging nochmal alles in seinem Kopf durch, was geschehen war und versuchte dabei seine Abneigung gegen Isaak zu ignorieren. Wollte er so eine solche Beziehung führen? Es gefiel ihm überhaupt nicht, aber hatte er denn eine Wahl? Dann entschied er sich für einen Weg. Angepisst bluffte Jake: „Und, was, wenn ich diese Karte nehmen würde? Was dann?“ Isaak sah zu der entsprechenden Eigenschaft und dachte kurz nach. Dann baute er die Bindung entsprechend um. Sofort sah sich Jake die Veränderungen an. Es ging in die richtige Richtung, war aber immer noch nicht gut genug. Er schluckte schwer und nahm angewidert eine andere Karte. Er fragte diesmal erst gar nicht, und steckte sie einfach in die Sphäre, welche sofort rot erglühte und eine andere Karte derselben Farbe fiel unten raus. Der Rotblonde war irritiert, spielte aber mit, und stellte ein Gleichgewicht in der Kugel her. So experimentierte Jake eine geschlagene Stunde. Er sah Isaak kein einziges Mal an und bekam deshalb nicht mit, wie sich dessen Gesichtszüge langsam aufhellten. Die Richtung, in die das ganze ging, gefiel dem Rotblonden. Dann zögerte Jake er nahm eine weiße Karte aus der Kugel und fragte: „Kannst du die ersetzen, ohne alles kaputt zu machen?“ „Das kommt auf deine Wünsche an. Ich kann jede Eigenschaft ersetzen. Hier ein paar Vorschläge“, sagte der Wächter und schnippte mit den Fingern. Vier weitere Sphären erschienen. Einige Karten vermehrten sich und flogen wild durcheinander. Dann sah Jake vor sich fünf grünen Kugeln. Die jeweiligen Veränderungen erglühten in einem Blau auf und machten es ihm leicht, den Überblick zu behalten. Er sah auf die Uhr. Noch dreißig Minuten. Schweren Herzens musste er sich entscheiden. Alle Möglichkeiten hatten Pros und Contras. Er musste sich also fragen, mit welchen Karten er am besten leben konnte. Dann deutete er auf eine der Kugeln und knurrte: „Die.“ Isaak machte große Augen. Er wusste genau, welche Karten sich wo befanden. „Bist du dir sicher? Wir haben noch etwas Zeit ich könnte versuchen diese Eigenschaft zu schwächen.“ Dabei trat der blaue Zettel aus der Kugel und schwebte vor seine Augen. Jake wandte sich ab. Er wusste, welche Karte es war und er wollte sie nicht sehen. „Nein, dann ändert sich wieder alles. Damit werde ich leben müssen.“ Bella wollte den Zettel ergreifen, aber Isaak ließ mit einem Fingerschnippen alle Karten in einem wirren Wirbel umherfliegen. Sie verlor sofort ihr Ziel aus den Augen. Dann tadelte der Rotblonde: „Es ist nicht deine Wahl, junges Fräulein.“ Sie sah zu ihrem besten Freund. Dieser war knallrot im Gesicht und wich ihrem Blick aus. Dann gab er sich einen Ruck und sagte: „Zeig ihr die Karte…, bitte.“ Entsetzt ließ Isaak die Hand sinken und starrte ihn mit offenem Mund an. Er war sprachlos und unfähig seine Magie aufrecht zu erhalten. Der Wirbel legte sich und alle Zettel fielen zu Boden. Das war das erste Mal, das Jake ihn nicht angewidert oder wütend angesprochen hatte. Dazu hatte er auch noch bitte gesagt. Konnte es sein? Durfte Isaak sich die Hoffnung gestatten? Nein, das war absurd. Er schüttelte sich und hob die Hand erneut. Die blaue Karte schoss empor und schwebte direkt vor Bellas Augen. Sie nahm diese und las stumm für sich: Fast vollständige sexuelle Bindung. Die Verbundenen können keinerlei sexuellen Praktiken außerhalb der Bindung mit einer anderen Person vollziehen, haben jedoch die Möglichkeit sich absolut frei ihren Phantasien hinzugeben, wenn sie sich selbst befriedigen. Sie sah auf. Jake fand auf einmal das Wandgemälde äußerst interessant und begutachtete dieses aus der Nähe. Dann fiel ihr Blick auf Isaak. Dieser sah ungläubig zu dem Gestaltwandler und konnte es einfach nicht fassen. Edward schlich sich von hinten an und griff nach der blauen Karte, da schnippste Isaak mit den Fingern und alle Zettel schossen, wie Gewehrkugeln, umher. Dann gingen sie in Flammen auf und nicht einmal ein Staubwölkchen blieb von ihnen übrig. Auch die Sphären und Zahlen waren verschwunden. Zudem erhob sich die Tischdekoration vom Boden und stellte sich wieder an ihren Platz zurück. Anschließend stand Isaak auf und sagte: „Gut ich benötige ungefähr eine Minute um alles vorzubereiten. Wenn ich ehrlich bin, habe ich nicht geglaubt, dass du dich überhaupt entscheiden würdest und schon gar nicht für diesen Weg.“ Dann ging er auf die Haustür zu. Sofort folgten ihm die anderen und auch der Rest der Vampire schloss sich der Prozession an. Keiner wollte das verpassen. Isaak ging nach draußen. Es regnete zwar, aber das störte ihn auch diesmal nicht. Er ging einige Meter weit und fing dann an, in einer unbekannten Sprache zu sprechen. Dabei hob er die Arme und der Regen begann um ihn herumzuwirbeln. Dann flammte auf dem Boden ein Pentagramm auf. Die blauen Flammen erloschen und zurück blieben schwarze Linien im Gras. Isaak stand genau in der Mitte. Daraufhin machte er mit den Händen eine Bewegung und ein Kreis aus seltsamen Runen brannte sich in die Wiese um das Pentagramm herum ein. Er untersuchte den Ritualplatz und nickte. Dann hob er den Blick, straffte sich und sagte: „Jake du musst dich zu mir in die Mitte stellen. Carlisle darf ich dich bitten mir zu assistieren?“ Beide kamen zu ihm, wagten es aber nicht, den Runenring zu überschreiten. Missmutig fragte Jake: „Wie genau wird diese Bindung vollzogen?“ Isaak schmunzelte und fragte grinsend: „Hat der große böse Wolf Bammel?“ „Verarsch mich nicht. Du kannst doch eh meine Gedanken lesen“, fuhr er ihn an. „Nein, das kann ich nicht. Nicht, solange du die Kette trägst“, gestand Isaak. „Habe ich das nicht erwähnt?“ „Nein, hast du nicht. Aber, wieso kannst meine Gedanken nicht lesen? Du hast doch diese Kette erschaffen, wie du sagtest. Bist du dann nicht fähig, ihre Kraft zu überwinden?“ Isaak druckste etwas beschämt rum und erklärte: „Ja, ich habe die Kette geschaffen. Aber, durch deine Prägung auf mich, hatte ich stetigen Zugang zu deinen Gedanken. Und ich.. nun ja…“ Er wandte den Blick ab. „Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen dein ewiges Mantra zu hören. Diese ständige: „Ich bin nicht schwul“ hat mich sehr aufgewühlt. Ich habe echt angefangen an meiner eigenen Sexualität zu zweifeln. Zudem tat es mir einfach in der Seele weh, dir so viel Schmerz bereitet zu haben. Also habe ich entschieden dich vor mir und mich vor dir zu schützen. Immerhin wusstest du nicht, dass ich zuhöre. Als ich die Kette erschuf, habe ich es so eingerichtet, dass ich deine Gedanken nicht mehr hören kann und dich gleichsam vor sämtlicher geistiger Beeinflussung geschützt, dass schloss auch mich mit ein.“ „Du hast meine Gedanken nicht ertragen, und jetzt willst du eine dauerhafte geistige Verbindung mit mir eingehen?“, fragte Jake fassungslos. „Ich habe es nicht ertragen, wie du dich selbst gegeißelt hast. Aber, ich werde es in Zukunft ertragen, damit du es leichter hast.“ Jake konnte nur den Kopf schütteln. Hatte er wirklich so gewaltige Scheuklappen aufgehabt? Dieser Mann tat alles, damit es ihm besser ging. Er hingegen hatte Isaak nur beschimpft und zum Teufel gejagt. Ja, die Situation war echt beschissen und wenn er ehrlich zu sich selbst war, er hätte sich nie freiwillig an diesen Mann gebunden, aber es hätte ihn auch wesentlich schlimmer treffen können. Außerdem konnte er es Isaak wirklich übelnehmen, dass dieser seine Prägung ausversehen ausgelöst hatte? Isaak wollte nur nicht mehr allein sein. Das war dessen einziger Fehler gewesen und seitdem litt Isaak nahezu klaglos unter seinen Launen. Der andere hatte so viel ertragen und für ihn getan. Jake konnte zwar immer noch nicht über seinen Schatten springen, aber er konnte dem anderen wenigstens die Chance geben, einander besser kennenzulernen. Ohne zu zögern ging er in den Kreis und vertraute darauf, dass Isaak ihm nichts Böses wollte. Dann fragte er ungeduldig: „Also, was jetzt?“ Einen Moment sah Isaak ihn einfach nur nachdenklich an, dann erklärte er: „Das Ritual ist einfach und simpel. Wir reichen uns die Hände, dann stößt Carlisle meinen Dolch durch sie und wir müssen gleichzeitig ein paar Worte aufsagen. Das wars.“ „Ich habe es mir schlimmer vorgestellt“, gestand Jake. Er war zwar nicht begeistert, von einem Dolch durchbohrt zu werden, aber immer noch besser, als eine schwülstige Zeremonie mit Ringtausch und einem Kuss am Ende oder sowas in der Art. Dann erklärte Isaak was Jake sagen musste. Erneut war dieser überrascht: Das klang echt simpel. Isaak schloss seine Hände, wie zum Gebet und als er sie voneinander trennte, wuchs der silberne Dolch aus seiner linken Hand. Mit der Rechten griff er nach der Klinge und hielt das Heft Carlisle entgegen. Dieser nahm die Waffe und sah auf die schimmernde Schneide. „Deine Hände, Jake“, sagte Isaak und wartete geduldig. Schnell straffte der Gestaltwandler sich und hob seine Hände an. Dann ließ er zu, dass Isaak ihre Gliedmaßen übereinander anordnete. Die Handflächen der jeweiligen rechten und linken Hände lagen aufeinander. Die Hände und auch die Wärme des Anderen zu spüren, ließ Jake erschaudern. Isaaks Handflächen waren so angenehm weich und zart. Dann hoben beide den Blick und sahen sich in die Augen. „Carlisle dein Auftritt. Stoße den Dolch möglichst in der Mitte durch unsere Hände und achte bitte darauf, Jakes Knochen nicht zu treffen. Das wird ihm unnötige Schmerzen ersparen.“ Der Wolf rollte mit den Augen. Isaak tat es schon wieder und dachte nur an sein Wohl. „So“, fragte der Arzt und hob den Dolch über ihre Hände. Der Rotblonde korrigierte die Ausrichtung und nickte zufrieden. Dann sagte er: „Tu es.“ Jake verkrampfte sich, als er den Dolch hinabfahren sah und musste den Reflex unterdrücken, die Hände wegzuziehen. Er schloss die Augen und wartete auf die Dinge, die da kämen. Dann zuckte er zusammen, als die Klinge sein Fleisch durchschnitt, wie ein warmes Messer durch Butter. Er konnte sich ein schmerzvolles Zischen nicht verkneifen. Nachdem die erste Schmerzwelle abgeklungen war, spürte er, wie ihr beider Blut ihm über die linke Hand tropfte. Er machte die Augen auf und sah den besorgten Blick Isaaks, dieser öffnete gerade den Mund, als er ihn anfuhr: „Frag jetzt ja nicht, ob´s mir gut geht. Ich habe einen Dolch in meinen Händen stecken. Also, weiter im Text.“ Der Wächter sah ihn eindringlich an. Dann sagte er, ohne den Augenkontakt zu unterbrechen: „Carlisle, tritt bitte aus dem Kreis.“ Er wartete einen Moment und Jake spürte den Luftzug der raschen Vampirbewegung. Dann nickte Isaak und sagte: „Jetzt die Worte. Bei Drei. Eins. Zwei. Drei.“ Beide begannen zu rezitieren: „Blut zu Blut, Seele zu Seele, was getrennt, sei nun verbunden und für alle Ewigkeit verkünden wir nun unsere Einheit.“ Die Welt hörte auf zu existieren. Sie standen, umgeben von Licht, in der Mitte, von Allem und Nichts. Es existierte nichts anderes mehr, außer sie selbst und ihre Verbindung. Jake sah auf ihre Hände. Feine Linien wanderten aus dem Dolch und schlängelten sich um ihre verbundenen Gliedmaßen. Er konnte spüren, wie die Fäden sie miteinander verbanden, ihr Blut und ihre Seelen miteinander verknüpften. Sie bildeten ein komplexes Muster und schlangen sich fest um ihre Hände. Der Dolch löste sich nun auf und ihre Wunden heilten augenblicklich. Dann spürte er es. In seinem Inneren öffnete sich etwas. Irgendetwas flog aus ihm und hinterließ eine gähnende Leere in ihm. So schnell, wie dieses Empfinden auch auftauchte, so war es auch wieder verschwunden und wurde ersetzt, durch ein eigenartiges Gefühl. Ihre Herzen schlugen in perfekten Einklang. Er spürte Isaaks Wärme und seine Gefühle. Ja, er spürte seine Furcht vor dem Kommenden, seine Trauer über das Geschehene und ganz tief vergraben seine Freude, nicht mehr allein zu sein. In diesem Augenblick waren sie sich näher als es körperlich überhaupt möglich war. Sie sahen einander so, wie sie waren. Nichts verdeckte ihre Sicht und nichts konnten sie verstecken. Alles lag offen: Sämtliche Wünsche, Gedanken, Ängste, Begierden – ihr ganzes Dasein. Jake konnte nicht mehr sagen wo sein Körper endete und der von Isaak begann. Alles war miteinander verbunden und verschmolzen. Dann sah er eine Linie, die sich zwischen ihren Herzen erstreckte. Isaak begann Worte in der Sprache der Magie aufzusagen und Jake wusste einfach, dass er nun die Prägungen aufhob. Der schwächliche Faden zerriss und löste sich auf. Er spürte, wie etwas in ihm wieder dorthin zurückkehrte, wo es hingehörte. Dann lächelte Isaak ihn glücklich an. Seine Freude war so überwältigend und Jake konnte gar nicht anders, als ebenfalls zu lächeln. War es nicht eher so, dass er sich freute? Mit Bestimmtheit konnte er es jedenfalls nicht sagen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)